Literatur

Leipziger Buchmesse 2019: Constanze John in der Minutenwelt Georgiens

“Wir sind Gäste in dieser Welt der Minute, Wir vergehen, und die Nächsten bleiben hier. Was wir miteinander tun, all diese freundlichen und angenehmen Dinge – das ist es doch, wofür wir leben, oder? Was, außer dem, werden sie mit in unsere Gräber legen? Nur drei Meter leinwand, nur”…

Zutisopeli/Die Minutenwelt, zitiert aus Constanze John “40 Tage Georgien”.

Es sind noch ein paar Dinge offen, die ich von der Messe mitgenommen habe, drei Interviews und Gespräche vor allem, die ich in Leipzig dieses Jahr mit verschiedenen Autoren geführt habe. Leider komme ich erst jetzt und in den nächsten Tagen wirklich dazu, diese zu sichten und werde dies hier, nach und nach, veröffentlichen. Gleich das erste Interview, welches ich vereinbart habe, veröffentliche ich jedoch in Form eines Berichts, da ich in diesem Falle noch besser meine Eindrücke schildern kann. Die anderen Interviews werde ich jedoch wirklich als solche veröffentlichen.

Das Gespräch selbst fand im Büro der Reisemission Leipzig GmbH statt, einer der vielen Veranstaltungsorte im Rahmen des Programms “Leipzig liest”. Diese Ausrichtung der Messe sorgt dafür, dass es eben eine wirkliche Publikumsmesse ist und nicht nur in den Messehallen selbst das Lesefieber gelebt wird. Und so versammelten sich in diesem Büro zahlreiche Zuhörer und Interessierte, um der Leipziger Schriftstellerin zu lauschen.

Constanze John
40 Tage Georgien – Unterwegs von Tiflis bis ans schwarze Meer
Seiten: 411
ISBN: 978-3-7701-8293-0
Verlag: mairdumont

Mit so viel Andrang hatte man beim mairdumont Verlag, bei der Reisemission selbst, wohl nicht gerechnet, am allerwenigsten, so schien es mir, die Autorin. Doch Georgien als Land eine große Unbekannte, weckt Interesse. Wir sprechen hier vom letztjährigen Gastland der Frankfurter Buchmesse, doch durch Autoren wie Nino Haratischwili ist das Land immer noch im Gespräch. Auch darüber habe ich mit Constanze John gesprochen.

Doch, zunächst drängelten sich die Zuhörer in den zwei kleinen Büroräumen und die Lesung begann mit einer Einführung in Georgiens “Minutenwelt”. Diese Zeilen, oben zitiert, eröffnen den Reisebericht, der hier schon rezensiert wurde, zeigen, wie dieses Land, gelegen am Kaukasus, tickt.

Die Autorin berichtet von ihrer Entdeckung der Faszination für die georgische Lebensart und vor allem für die Menschen und ihre Geschichten. Fotos werden gezeigt, Ausschnitte gelesen. Als sich der Trubel legt, die Lesung beendet ist, ist der Wunsch, das Land selbst einmal zu bereisen, bei vielen Zuhörern weit nach oben gerückt. Die Autorin und ich sind dann noch in den Büros geblieben und haben miteinander gesprochen.

Zwischen Supra und “Minutenwelt”, nach ihrer Lesung, Constanze John.

Wir vertiefen das in der Lesung Gesagte und kommen schnell auf die Welt des Augenblicks zu sprechen, die die Lebensart der Georgier zu bestimmen scheint. Man lebt jetzt, in diesem Moment und soll dies auch bewusst tun. Dieser Gedanke beeindruckt, wie auch die dort gelebte Gastfreundschaft. Ein Jeder wird willkommen geheißen, aufgenommen, Höhepunkt vielleicht, in das große Ritual der Supra mit einbezogen zu werden, die einen bestimmten Ablauf vorweist.

Constanze John über “40 Tage in Georgien – Unterwegs von Tiflis bis ans Schwarze Meer”.

Als dies zur Sprache kommt, ist Constanze John wieder in Gedanken bei ihren Eindrücken von ihren Reisen dorthin, und wieder auch bei den Menschen, die in hippen wandlungsfähigen Städten leben, aber auch in rauen und ursprünglichen Dorfgemeinschaften, bei einer kreativen und jungen künstlerichen Szene, aber auch bei Familien, deren Familienbiografien durch den Konflikt mit dem großen Nachbarland Russland und den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien gebeutelt sind.

Die Autorin kommt auf Begegnungen, etwa mit den Künstler Pridon zu sprechen, der in seiner ganz eigenen “Minutenwelt” lebt, aber auch auf Momente des Glücks in Uschguli. Wer den Reisebericht gelesen hat, spürt die Sehnsucht der Autorin zu den bereisten Orten zwischen den Zeilen, beim Vortrag und auch im Gespräch hat sie das nochmals unterstrichen.

Wer Georgien einmal erlebt hat, verfällt dem wohl vollkommen. Und auch dem Humor dieses Volkes, wenn es Witze über die Armenier macht, wie es umgekehrt genau so geschieht, oder wenn mit lachenden Augen von der Entstehungslegende berichtet wird, die die Autorin im Gespräch ebenfalls nochmals hervorhebt.

Constane John hat sich Georgien über die Menschen und ihre Geschichten erschlossen.

Als Gott nämlich die Länder auf die einzelnen Völker verteilte, feierten Armenier und Georgier jeweils rauschende Feste. Als die Verteilung beendet war, blieb für die Armenier nur noch das Land der Steine übrig, die Georgier, die immer noch feierten , bekamen erst einmal nichts. Gott hatte jedoch Erbarmen und schenkte ihnen einen Flecken Erde, den er selbst für sich als Ruhesitz vorgesehen hatte. Unter einer Bedingung, nämlich, dass die georgier jeden Gast freundlich aufnehmen mussten, der zu ihnen käme. Und das tun sie bis heute.

Wie sich das auswirkt, kann man dann in Constanze Johns Reisebericht nachlesen, doch, nach ein paar Tipps gefragt, welche Orte man in diesem Land unbedingt besucht haben sollte, hat die Autorin folgende für uns Leser und Reisende:

Tblissi, als pulsierende Stadt im inneren des Landes mit abwechslunsgreichen Nachtleben.

Uschguli, das höchst gelegene Dorf Georgiens. Die Geschichte Georgiens, konzentriert auf einen Punkt. Wehrtürme als Wahrzeichen und die Kraft der natur in der Bergwelt des Kaukasus. und die Menschen, stolz und eigensinnig, die dort leben.

Wardsia, das größte von drei Höhlenklöstern Georgiens, phänomenal und eindrucksvoll.

Wenn ich etwas aus dem Buch, der Lesung selbst und dem Gespräch mit der Autorin mitgenommen habe, ist es diese Faszination für ein Land, welches man vielleicht nicht auf den ersten Blick weniger als Reiseziel, mehr als Ort der Begegnungen sehen sollte. Die macht man dort nämlich, eingenommen von der Gastfreundschaft der Bevölkerung, in den Städten und Dörfern Georgiens. Letztlich ist es das, was von solchen Erfahrungen bleibt. Vor allem in dieser “Minutenwelt”. Danke, für diesen Austausch der Autorin Constanze John und den Damen und Herren von mairdumont.

Fotos und Bericht dürfen ohne Genehmigung weder vervielfältigt, noch anders verbreitet werden und sind Eigentum des Autoren. Alle Rechte liegen bei findsobeucher.com, der Autorin und mairdumont.

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Constanze John: 40 Tage Georgien

40 Tage Georgien Book Cover
40 Tage Georgien Reisebericht Mairdumont Taschenbuch Seiten: 441 ISBN: 978-3-7701-8293-0

Inhalt:
“Italien des Ostens”. “Balkon Europas”. Die Kaukasus-Republik Georgien hat sich seit ihrer Unabhängigkeit 1991 viele Namen gemacht. Doch welches Land verbirgt sich dahinter? Und welche verborgenenen Reize hält es für Reisende bereit? Constanze John erkunden Georgien von seiner Hauptstadt Tiflis aus in alle Himmelsrichtungen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch mal zu Fuß. Sie reist zu Klöstern und Kathedralen, sucht das Gespräch mit alteingesessenen Einheimischen und Schulklassen. Eine faszinierende Reise auf der Suche nach der Seele Georgiens. (Klappentext)

Rezension:

Wir sind Gäste in dieser Welt der Minute,

Wir vergehen, und die Nächsten bleiben hier.

Was wir miteinander tun,

all diese freundlichen und angenehmen Dinge –

das ist es doch, wofür wir leben, oder?

Was, außer dem, werden sie mit in unsere Gräber legen?

Nur drei Meter Leinwand, nur”

Zutisopeli oder Die Minutenwelt

Zitat “Zutisopeli oder Die Minutenwelt”, abgedruckt in C. John: “40 Tage Armenien”.

Georgien ist die wahrhafte Minutenwelt. Nicht zuletzt deswegen kennt fast jeder Georgier dieses kleine Gedicht, welches die Geisteshaltung der Menschen spiegelt, die dort leben. Georgien, dass ist ein kleines Land an der Grenze zwischen Europa und Asien, das zweite offiziell christliche der Welt. Es ist die Heimat guten Weines, ja, vieler Weine, einer großen Kultur, aber auch Geburtsland Stalins und ort schwelender Konflikte.

Das kleine gebeutetelte Land zu entdecken, Künstlern, Schriftstellern und den Menschen nachspüren, die dort leben, dies hat sich Constanze John zur Aufgabe gemacht, als sie das Land, welches viele kirchen und Klöster, aber auch eine dramatische Landschaft vorzuweisen hat. Herausgekommen dabei ist ein Reisebericht über die Seele Georgiens.

Wie schon im Bericht zuvor, über Armenien, begegnet die Autorin den Menschen, die sie trifft, voller Neugier und Sympathie und berichtet von einer Vielfalt, die man so als Leser nicht erwartet, wenn man überhaupt schon eine Vorstellung von diesem kleinen Land hatte. Diese Gedanken kann man dann auch gleich wieder über Bord werfen. Vierzig Tage lässt sich Constanze John mal in die eine, mal in die andere Richtung treiben. Zufälle und Verabredungen bestimmen den Weg, auf dem sie der “Minutenwelt” auf die Spur kommen möchte.

Mit literarischen Geist und Gespür für die Menschen trifft sie auf Künstler, Schriftsteller, Weinbauern, die versuchen, in den von Konflikten gebeutelten Land ihr Auskommen zu finden, lässt sich von den Auswirkungen des schwelenden Konfliktes mit Russland erzählen, aber auch von großen und kleinen Erfolgen, und den Umgang mit Georgiens jüngerer Geschichte. So vielfältig der Reisebericht, fast literarisch die Erzählweise, so sachlich nimmt sie Ideen und Eindrücke auf und schafft so ein komplexes Bild, welches ein Land im Wandel zeigt.

Gerade, wenn man mit georgischer Literatur nicht besonders vertraut ist, bietet der Bericht einen interessanten Ansatz, das Land zu entdecken. Die Autorin erzählt von Dichtung und Autoren großer Romane, von Künstlern, die diesem kleinen unbedeutenden Land Achtung verschaffen, von den Alten, die von der Geschichte gebeutelt sind und den jungen Menschen, die ihr Glück suchen.

Der Blick auf dramatische Bergdörfer fehlt nicht, ebenso wenig wie die Betrachtung quicklebendiger und wandlungsfähiger Städte. Wer in Georgien zu Gast ist, wird freundlich aufgenommen und verliebt sich sofort, wenn auch meist erst auf den zweiten Blick.

Streckenweise etwas anstrengend zu lesen, ergibt sich dennoch ein interessantes Bild, welches man so von Georgien nicht hatte und der Wunsch, eben dies selbst zu entdecken, schält sich heraus. Die Autorin schafft es hier, wie auch zuletzt in “40 Tage Armenien”, dass man praktisch als nebenstehende Figur mit ihr dieses Land bereist, mal mit ernsten Blick, dann wieder mit großem Humor. Mehr gibt es dabei nicht zu sagen, es ist eben ein Reisebericht. Jedoch einer, der besonderen Sorte. So besonders, wie Georgien selbst.

Autorin:

Constanze John wurde 1959 in Leipzig geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie studierte nach der Schule Germanistik, Geschichte und Pädagogik an der Universität zu Leipzig, lebte zeitweilig in Rostock und absolvierte ein Fernstudium am Literaturinstitut Leipzig von 1984-1987. Seit 1998 ist sie freiberufliche Schriftstellerin, veröffentlichte jedoch seit 1987 Gedichte, sowie ein Werk über Sagen der Region Zwickau.

Seit 2012 leitet die Autorin die Schreibwerkstatt für Kinder und Jugendliche im Haus des Buches Leipzig. Für Deutschlandfunk und Deutschlandradio erarbietete sie mehrere Reisereportagen. Mehrere Auslandsreisen bildeten die Grundlage für ihre Veröffentlichungen im DuMont-Reiseverlag über Armenien und Georgien. Die Autorin wurde mehrfach ausgezeichnet.

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Felicitas von Lovenberg: Gebrauchsanweisung fürs Lesen

Gebrauchsanweisung fürs Lesen Book Cover
Gebrauchsanweisung fürs Lesen Sachbuch Piper Hardcover Seiten: 127 ISBN: 978-3-492-27717-4

Inhalt:

Wie, warum und was wir heute lesen – eine leidenschaftliche Anstiftung zur Lektüre für alle, die vom Lesen nicht lassen wollen. (Klappentext)

Rezension:

Die Reihe “Gebrauchsanweisung für”-Reihe aus den Piper-Verlag ist vor allem in der Reiseliteratur nicht mehr wegzudenken. Eigentlich stellen hier Autoren Länder und Städte, ihre Kultur, Geschichte, sehenswürdigkeiten und die Eigenheiten ihrer Bewohner vor und so manch Gereister wird das eine oder andere wiedererkennen, mit dieser kleinen Liebeserklärung an das Lesen als Tätigkeit wird das Schema jedoch durchbrochen.

Felicitas von Lovenberg schreibt über ihre liebste Passion und lässt ihre Leser an grundsätzliche Fragen teilhaben, aber auch an solche, die die Leserschaft seit jeher spalten. Kann man sich zunächst darauf einigen, dass die denk- und Merkfähigkeit durch das Lesen von Büchern angekurbelt wird, gehen schon die Meinungen beim Ordnen der Regale oder den Abbrechen von Büchern auseinander.

Die Autorin versucht auf diese und andere Fragen Antworten zu geben, verhält sich sehr diplomatisch zu allem. Nicht Schweizerin, aber dennoch keine Meinung. Nur die eine, Lesen ist toll, aber das wissen wir ja.

Was mich aber dennoch überzeugt, sind die reinen Fakten, wenn es um die wissenschaftliche Betrachtung des Lesens als Tätigkeit geht, sowie die Erklärung, warum Printbücher nachhaltiger wirken als E-Book-Reader. Wobei man sich hier auch die Frage stellen darf, warum dann überhaupt der Verlag eben solche auch verkauft.

Es geht jedoch interessant weiter und damit dies nicht nur graue Theorie bleibt, hat von Lovenberg zitate großer Autoren herausgepickt, an denen sie sich entlang hangelt und so eine leidenschaftliche Stimme, zusammengesetzt aus vielen anderen, für das Lesen erhebt.

Man erfährt nicht viel Neues, aber wird in seiner Lieblingstätigkeit bestärkt, freut sich um so mehr auf den nächsten großen oder kleinen Schmöker und die darin vorkommende Welt, die es zu entdecken gilt. Alleine dafür lohnt sich die Lektüre.

Autorin:

Felicitas von Lovenberg wurde 1974 in Münster geboren und ist eine deutsche journalistin, Literaturkritikerin, Autorin und Verlegerin. Während der Schulzeit wechselte sie von Deutschland auf ein englisches Internat und trat nach ihrem College-Abschluss in die Feuilleton-Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein.

Seit 2008 leitete sie dort das Ressort Literatur und moderiert in unregelmäßigen Abstäden die SWR-Sendung lesenswert. Sie ist Mitglied in mehreren Literaturstiftungen und übernahm 2016 die verlegerische Geschäftsführung des Piper-Verlages.

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Bodo Kirchhoff: Dämmer und Aufruhr

Dämmer und Aufruhr Book Cover
Dämmer und Aufruhr Bodo Kirchhoff Frankfurter Verlagsanstalt Erschienen am: 29.06.2018 Seiten: 462 ISBN: 978-3-627-00253-4

Inhalt:

Ein Autor bewohnt das Zimmer, in einem kleinen Hotel am Meer, in dem einst seine Eltern vor Jahrzehnten glückliche Tage verbrachten, die letzten vor ihrer Trennung. Er erinnert sich zurück, an die Jahre seiner Kindheit, seinem Aufwachsen bei ungleichen Elternteilen und im Internat, wo ein Drama seinen Lauf nimmt.

Bodo Kirchhoff nähert sich dem, mit den Mitteln des Romans und schildert zugleich die Geschichte des beginnenden Schreibenden. Wie für etwas Worte finden, für das es keine Wörter gibt? Bodo Kirchhoffs schmerzlicher Weg zur Literatur, sein großer autobiografischer Roman. (eigene Inhaltsangabe).

Rezension:
Es ist ein Roman, der leisen Töne, den uns der Schriftsteller Bodo Kirchhoff mit “Dämmer und Aufruhr” vorlegt, und dennoch erfährt man hier viel über die Anfänge der Schreibarbeit des Trägers des Deutschen Buchpreises, der sich am einstigen Ferienort seiner Eltern, kurz vor ihrer Trennung, zurückerinnert, an diese und andere Ereignisse seiner Kindheit, seiner Jugend und schließlich an den jungen Erwachsenen, der er einst gewesen ist.

Aus der ich-Perspektive beschreibt er eine glückliche Kindheit zwischen schwankenden Eltern, einmal ikonenhaft angebetet, im nächsten Moment verwirrende Ältere, die, als der Sohn nicht mehr in der Schule hinterher kommt und im unsteten Pendeln seiner Eltern keinen Haltepunkt findet, ihn ins Internat stecken.

Auch dort fällt es den genauen Beobachter, Träumer und Sonderling zu gleichen Teilen schwer und leicht, Anschluss zu finden. Ein Kantor nimmt sich seiner an und nimmt sich körperlich das, was nicht ihm gehört.

Der Junge weiß, dass dies falsch ist, wird es später nicht Missbrauch nennen, anders den Schmerz beschreiben, mit der Waffe des Wortes. Der Schriftsteller, der er noch nicht ist, jongliert schon als Kind mit Worten. Nun sind diese Erinnerungen zu Papier gebracht.

Bodo Kirchhoffs autobiografischer Roman hat mich beeindruckt, ob seiner ruhigen Erzählweise, die das Unerhörte um so lauter erscheinen lässt und eine schöne Sprache außerdem, die hier wirklich dei Handlung trägt und den Leser nicht wegnicken lässt.

Kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig, penibel und unterhaltsam die Familienszenen beschrieben, die der Aufwachsenede beobachtet. Außenstehend und doch immer dabei. Geliebt von seinen Eltern und doch Meilen weit von ihm entfernt.

Der Perspektivwechsel zum älteren Ich, welcher die letzten Jahre der Mutter schreibt, selbst Schriftstellerin, vormals Schauspielerin, diese Nähe und Bewunderung, die der Autor sich natürlich aus der Kindheit bewahrt hat, ist ebenso gelungen und glaubwürdig. Der Bogen überspannt durch das Beobachten, Verinnerlichen und späteren Schreiben.

Dem Unerhörten, was nicht sein darf, ein Gesicht zu geben, ist ebenso ein Verdienst des Autoren, den man nicht gering schätzen darf.

Bewundernswert, wie Kirchhoff es schafft, den Missbrauch durch den Internatskantor zu beschreiben, ohne es Missbrauch zu nennen, doch mit genau der gleichen Wucht, die den damaligen Jungen in eine Abhängigkeit versetzt hat, die nicht zu entschuldigen ist und die den späteren Mann keine geistliche Musik mehr ohne Beigeschmack hören lassen kann.

Entlang von Fotos aus dieser Zeit hangelt sich der Autor von Erlebten zu Erlebten und beschreibt das so, als würde man am Tisch Kirchhoffs sitzen, und durch das Fotoalbum blättern.

Ein Roman, der einem kalt den Rücken herunterläuft, aber nicht kalt lassen wird.

Autor:
Bodo Kirchhoff wurde 1948 in Hamburg geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, der Romane und Drehbücher veröffentlicht. Er studierte 1972 bis 1979 Pädagogik an der Universität Frankfurt und veröffentlichte erstmals bei Suhrkamp.

Vorher arbeitete er u.a. als Eisverkäufer in den USA, zeichnete und war später 1994/95 Dozent, ebenfalls in Frankfurt/Main. er gibt Kurse für Kreatives Schreiben und enthüllte 2010 in einem Artikel des Spiegel, den an ihn begangenen Missbrauch eines Kantors der Evangelischen Internatsschule, auf die er19659-1968 ging.

Für seine Novelle “Widerfahrnis” bekam er 2016 den Deutschen Buchpreis. Er lebt in Frankfurt/Main, zeitweise auch am Gardasee in Italien.

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Andreas Guski: Dostojewskij – Eine Biographie

Dostojewskij - Eine Biografie Book Cover
Dostojewskij – Eine Biografie Andreas Guski C.H. Beck Verlag Erschienen am: 15.08.2018 Seiten: 460 ISBN: 978-3-406-71948-6

Inhalt:

Mit “Schuld und Sühne” hat Dostojewskij, so Thomas Mann, “den größten Kriminalroman aller Zeiten” verfasst. Kaum weniger fesselnd als seine großen Romane ist sein von äußeren und inneren Dramen geprägtes Leben. Als junger Mann verbringt er vier Jahre im Zuchthaus, am Ende seines Lebens wird er als Prophet der Nation gefeiert.

Dazwischen liegen die Höhen und Tiefen seines literarischen Glücks wie seiner verzehrenden Spielsucht. Der Slawist Andreas guski legt die erste Biographie in deutscher Sprache seit über 25 Jahren vor. Anschaulich erzählt er dostojewskijs Leben und erschließt sein gewaltiges OEuvre im Kontext der Zeit. (Klappentext)

Rezension:

Heute zählen seine Werke unbestritten zu den Klassikern russischer Literatur, doch war dem nicht immer so. Im Gegenteil, zu Beginn seines schriftstellerischen Wirkens war Dostojewskij umstritten, seine Erzählkunst wurde angezweifelt, dazu kamen schier unüberwindbare Überliteraten, wie Puschkin und Tolstoi, und bis zuletzt hatte er mit seiner schon im frühen Erwachsenenalter aufkeimenden Spielsucht zu kämpfen.

Und doch veränderte und erweiterte der mann, der schon immer Schriftsteller sein wollte, die Literatur mit seinen großen Romanen “Schuld und Sühne” und “Der Idiot”, sowie in zahlreichen Zeitungsartikeln Land und Leser gleichermaßen.

Über sein Wirken, ein abwechslungsreiches, von vielen Fallgruben und wenigen erfolgen gekennzeichneten Leben liegt nun diese Biographie vor.

Andreas Guski nähert sich den Leben eines Verrückten oder eines Genies, so genau weiß man das nicht zu sagen, auf der privaten und auf der schriftstellerischen Ebene an. Sein Leben wird im Kontrast zu den seiner Zeitgenossen gestellt, Vergleichslinien gezogen und sehr detailliert aufgesplittet, wo die Wendepunkte lagen, die Dostojewskij bewältigen musste.

Der Autor analysiert im gleichen Atemzug das jeweils zu der beschriebenen Zeit enstandene Werk, zeigt die Arbeitsweise dieses Talents, welches seine Zeitgenossen erst erkennen wollten, als der Schriftsteller Dostojewskij nur noch wenige Jahre zu leben hatte.

Herausgekommen dabei ist ein vielschichtiges Portrait einer wunderlichen epoche und eines Mannes, der nur durch die Betrachtung seiner Werke kaum zu fassen ist. Die Detailiertheit lohnt sich, vor allem wenn man noch keines der Werke Dostojewskijs selbst gelesen hat, oder im Vegrleich dazu eines der anderen schon genannten Schriftsteller.

Guskis Biografie bildet die Grundlage zu verstehen, etwa hinter die verschiedenen Romane zu schauen, die beim oberflächlichen Lesen sonst verloren gehen könnten. Für alle anderen ist es ein interessantes Zeitenportrait, in denen Genie und Wahnsinn sich versammeln. Dostojewski ist beides aber nicht nur er alleine.

Konzentration erfordert die Lektüre, langsames Lesen sowie so. etwas anderes lässt der Schreibstil Guskis nicht zu, die detailliertheit der Recherche jedoch ebenso wenig. Guski lässt die Fassade hinter Dostojewski bröckeln und baut sie zugleich neu auf.

Ein vielschichtiges Werk über ein gewaltiges Stück Literaturgeschichte, die zugleich eine Lebensgeschichte darstellt. Allen Interessenten sei dies empfohlen.

Autor:

Andreas Guski ist Professor für Slawistische Philologie an der Universität Basel. Seine Dissertation schloss er 1970 ab, bevor er 1985 zur Literatur des Stalinismus habilitierte. Seine Forschungsgebiete sind u.a. die russische und tschechische Literaturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

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Ernest van der Kwest: Die Eismacher

Die Eismacher Book Cover
Die Eismacher Autor: Ernest van der Kwest Rezensionsexemplar/Roman btb Verlag Taschenbuch Seiten: 384 ISBN: 978-3-442-71597-8

Inhalt:

Seit fünf Generationen haben sich die Talaminis der süßen Kunst des Eismachens verschrieben. Jedes Jahr im Frühling siedeln sie aus dem “Tal der Eismacher” in den malerischen Dolomiten nach Rotterdam über.

In ihrem kleinen Eiscafe gibt es alles, was das Herz begehrt: zartschmelzendes Grappasorbet, sanftgrünes Pistazieneis, zimtfarbene Schokolade. Dennoch beschließt der ältere Sohn Giovanni, mit der Familientradition zu brechen, um sein Leben der Literatur zu widmen. Denn er liebt das Lesen so sehr wie das Eis. Bis eines Tages sein Bruder Luca ein höchst ungewöhnliches Anliegen hat… (Klappentext)

Rezension:

Ein Roman über zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Welt des Eismachens, handwerklich schwere Arbeit, wenn man das süße klebrige Etwas nicht maschinell, sondern per Hand herstellt.

Nach Rezepten, die man von Generation zu Generation weitergibt, irgendwann nur noch nach Gefühl befolgt und damit den Besuchern eines Eiscafes für ein paar Minuten eine kleine Freude bereitet, einerseits. Andererseits, die Welt der Poesie, der Lyrik, die Gefühle nicht in Aromen, aber in Worten auszudrücken vermag. Geschriebene Zeilen, denen man sich öffnen und sich darin fallen lassen muss.

Beide Welten sind die von Giovanni, der eines Tages mit der Tradition seiner Familie brechen muss, um sich einer konkret zu widmen, dabei alle enttäuscht. Seinen Bruder, der daher seine eigenen Träume zurückstellen muss, seine Eltern, die in ihm an sich den Nachfolger seines Großvaters und seines Vaters selbst sehen, seine Liebe zur Literatur nicht verstehen wollen und können und immer wieder darauf stoßen, wie sehr dieser Bruch einen Riss durch die Familie gezogen hat.

Ernest van der Kwast hat mit “Die Eismacher” einen wahrhaft poetischen Roman geschrieben, in dem der Generationenkonflikt schon früh angelegt und herausgearbeitet wird. Sehr detailliert wird die handwerkliche Arbeit, die Geschichte des Eismachens dargestellt.

Hier merkt man die Recherchearbeit des Autoren, der sich zudem mit den Schwierigkeiten des familiären Zusammenhaltes befasst, wenn die Kinder etwa während der Eissaison ins Internat müssen, fernab des Eiscafes und damit von den Eltern getrennt, sowie den Riss, der sich durch die Familien zieht, sowie den Zwang, eine Arbeit aufzunehmen, die von Generation zu Generation vielleicht immer unattraktiver wird.

Perspektivwechsel zwischen den erwachsenen Ich der Protagonisten und Kindheitsrückblicken zeigen diese Differenz auf, schon in den ersten Zeilen spürt man den Gegensatz zwischen den beiden Brüdern, die auseinander streben, jedoch nicht ohneeinander können.

Doch genau da, spätestens ab etwa der Mitte des Handlungsverlaufes wird es unglaubwürdig. Die Bitte des Bruders, auf die im Klappentext so schön hingewiesen wird, ist im realen Leben kaum vorstellbar, der Umgang mit den Folgen, so sie auch positiv sind, einfach nur unverständlich und nicht nachvollziehbar.

Der Schreibstil ist klar. Jede Zeile lässt die Liebe des Autoren für das Kulinarische, das Eis, und das Seelische, die Literatur, erkennen, doch der Handlungsverlauf bremst den Spannungsbogen ab, die Auflösung der Geschichte stimmt nicht zufrieden.

Positiv ist, dass man viel erfährt über die Geschichte des Eismachens, über die Schwierigkeiten der Herstellung, die beim Eiscafe-Besuch kaum gewürdigt werden und der angelegte Konflikt. Unzufrieden macht die Auflösung und der Umgang der Protagonisten untereinander. Eine Geschichte mit Ecken und Kanten, gar nicht so rund wie eine Eiskugel. Welche Sorte auch immer.

Autor:

Ernest van der Kwast wurde 1981 in Bombay geboren, und ist ein niederländischer Autor und Journalist. Bevor er Schriftsteller wurde, erreichte er im Hochleistungssport, in der Disziplin Diskuswurf nationale Bedeutung. Er gab den Sport auf, studierte Wirtschaftswissenschaften, veröffentlichet später eine Sammlung von Erzählungen und einen Roman. Mit dem Aufschreiben seiner Familiengeschichte gelang ihn 2010 der Durchbruch.

Der Autor war Chefradakteur einer niederländischen Literaturzeitschrift, später Autor einer satirischen Kolumne in einer Internetausgabe des NRC Handelsblad. Zeitweise lebte er mit seiner Familie in Südtirol, derzeit jedoch wieder in Amsterdam.

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Rebecca Makkai: Ausgeliehen

Ausgeliehen Book Cover
Ausgeliehen Rebecca Makkai List Verlag Taschenbuch ISBN: 978-3-548-61134-1 Übersetzerin: Mirjam Pressler

Handlung:

Der zehnjähriger Ian ist süchtig nach immer neuen Geschichten. Lucy Hull, Bibliothekarin in der Stadtbücherei von Hannibal, ist dabei seine Komplizin. Sie hilft ihm, die geliehenen Bücher an seiner strengen Mutter vorbeizuschmuggeln.

Eines Morgens traut Lucy ihren Augen kaum. Ian, von zu Hause ausgerissen, kampiert zwischen den Regalen. Er hat einen Plan: Geschickt lotst er sie in Richtung highway und mitten hinein in eine abenteuerliche Reise. (Klappentext)

Bemerkung:

Die Taschenbuchausgabe scheint vergriffen. Ich selbst habe sie nur gebraucht erworben. Es gibt jedoch eine Hardcover-Ausgabe mit anderen Cover, die bei Ullstein verlegt wird.

Rezension:

Wenn man als Autor zu viel möchte, es aber nicht schafft, auch nur eine Idee komplett aus- und zu Ende zu führen, passiert genau das. Dann entstehen solche, vorsichtig ausgedrückt, unausgegorenen Geschichten, wie diese von Rebecca Makkai geschriebene. Das Hauptthema ist dabei noch das interessanteste.

Ein kleiner Junge durchlebt die Liebe zur Literatur heimlich, da er jedes Buch an seiner strenggläubigen Mutter vorbeischmuggeln muss. Behilflich ist ihn dabei die Bibliothekarin der Kinderbuchabteilung seiner Stadtbibliothek, die er kurzer Hand entführt und auf einen Roadtrip quer durch das Land entführt.

Doch, gleich auf den ersten Seiten beginnen die erzähltechnischen Probleme der Autorin. Geschrieben aus der Ich-Perspektive Lucy Hulls, der erwachsenen Protagonistin, reiht sich ein Klischee an ein anderes. Gedanken werden angeregt aber nicht zu Ende geführt.

Die Hauptprotagonisten sind zwar sympathisch aber handeln unschlüssig und ohne Ziel. Man erfährt weder, warum eine erwachsene Frau sich so von einem zehnjährigen Nerd übertölpeln lässt, noch warum dieser Hull quer durch das Land schickt. Sonnebebrillt und asthmatisch an ihrer Seite sitzend.

Auch die Familiengeschichte der Bibliothekarin ist für sich genommen interessant genug, einen eigenen Roman zu tragen, fügt sich hier aber gleichsam schlecht ein und warum die Autorin so permanent mit der Sexualisierung eines Kindes herumspielt, liegt nur begründet in der Einführung einer kruden Nebenfigur, was zwar hauptthematik sein möchte aber auch nicht wirklich funktioniert.

Zu allem Überfluss gesellt sich dann noch eine Möchtergern-Verfolgungs-Agenten-Geschichte dazu. Handlungsstränge allesamt lose und kaum ein stimmiges Gesamtbild ergebend.

Bei alledem sollte man meinen, dass wenigstens das Erzähltempo anzieht, doch auch hier hat die Autorin die Ruhe weg. tatsächlich plätschert die Geschichte so dahin. Ruhiger geht’s teilweise auf keinen anderen Roadtrip zu.

Bei “Tschick” hat das einst funktioniert, hier offenbaren sich dadurch nur noch mehr die Stolperfallen, denen die Autorin erlegen ist. Man merkt, dass es ihr erster Roman ist und hofft, dass sie sich in ihren nachfolgenden Geschichten erheblich verbessert hat.

Dennoch, es ist kein schlechter Roman. Wenn man über die so ausführlich beschriebenen Schwächen hinwegsieht, funktioniert es. Rebecca Makkai gelingt es dann und wann doch, zu unterhalten, die Gedanken des Lesers festzuhalten und uns in eine, hierzulande sehr kritisch gesehene Seite amerikanischen Alltags einzuführen.

Wenn man ihr etwas Positives zurechnen möchte, dann ist es überhaupt dies, dass sie den Finger in eine Wunde legt, die vor allem den großen starrsichtigen Freikirchen nicht gefallen dürfte, die die Bibel nur allzu wörtlich auslegen und eine Null-Toleranz-Grenze gegenüber Andersdenkenden verfolgen.

Daraus alleine hätte man trotzdem noch viel mehr machen können. Man darf nur hoffen, dass es Rebecca Makkai in ihren weiteren Arbeiten mit dieser oder anderen Thematiken besser gelingt.

Autorin:

Rebecca Makkai wurde 1978 geboren und ist Verfasserin von mehreren Romanen und Kurzgeschichten. Ihr erster Roman erschien 2011 und war in der Top-Ten-Liste 2011, der Schriftsteller-Debüts, zudem in der Auswahl des Chicago Magazines der besten Geschichten des Jahres.

Ihr Roman wurde in über sieben Sprachen übersetzt. Auch ihr Nachfolge-Roman füllte einige Bestenlisten und gewann mehrere Preise. Eine Novelle, die sich der Thematik AIDS annimmt, ist von ihr in Vorbereitung.

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Edgar Allan Poe: Unheimliche Geschichten

Unheimliche Geschichten Book Cover
Unheimliche Geschichten Edgar Allan Poe Rezensionsexemplar/Erzählung Erschienen am: 10.03.2017 Seiten: 421
Verlag: dtv
ISBN: 978-3-423-28118-8 Übersetzer: Andreas Nohl

Inhalt:

Poes Werk war und ist eine Provokation. Seine protagonisten, kühn und verwegen, gehen an die Grenzen des kognitiv Fassbaren, des physikalischen Raums, sie wandeln zwischen Leben und Tod: der nacht- und opiumsüchtige Detektiv Auguste Dupin, der seltsam überspannte Abenteuerer William Legrand, der Mondfahrer Hans Fall. Poe nimmt der Angst alles Schauerlich-Beschaulische und legt ihre zuckenden Herzmuskeln bloß. (Klappentext)

Einordnung:

Dies ist der erste Band einer, geplant, fünfbändigen Reihe. Sie enthält neben zahlreichen Kurzgeschichten Baudelaires Kommentare, Anmerkungen des Übersetzers, ein Nachwort und die editorische Nachbearbeitung des Ganzen.

Auswahl der Geschichten:

– Der Doppelmord in der Rue Morgue

– Der entwendete Brief

– Der Gold-Skarabäuas

– Ente einer Ballonfahrt

– Das beispiellose Abenteuer eines gewissen Hans Pfaall

– “Manuskript in Flasche gefunden”

– Ein Sturz in den Malstrom

– Die Fakten im Fall von M. Valedemar

– Mesmerische Offenbarung

– Eine Geschichte aus den Ragged Mountains

– Morella

– Ligeia

– Metzengerstein

sowie Texte von Charles Baudelaire

Rezension:

Ich erinnere mich irgendwo noch eine ganz alte Ausgabe der Geschichten von Edgar Allan Poe zu besitzen. Der Einband beinahe zerfallen und die Schrift in Fraktur. Gelesen habe ich die Geschichten nie, da das Interesse nicht vorhanden war, dennoch war mir der amerikanische Schriftsteller als einer der großen Literaten bekannt.

Besonders für seine Horror- udn Detektivgeschichten. Doch Poes Werke umfassen viel mehr. Andreas Nohl legt mit der nun vorliegenden Neuübersetzung den Lesern die ganze Bandbreite dieses schriftstellerischen Genies vor, der nicht nur mit einem erzählerischen Talent gesegnet war, sondern auch wissenschaftliche und philosophische Überlegungen in diese einfließen ließ.

Entstanden ist dabei eine Sammlung von Geschichten, die in den kommenden Jahren im dtv-Verlag neu aufgelegt und damit einer noch größeren Masse an Lesern zugänglich gemacht wird.

Dabei versucht Nohl Edgar Allan Poe gerecht zu werden und die Verdienste Baudelaires zu würdigen, dem es zu verdanken ist, dass sein idol nicht in Vergessenheit geriet. Und das ist vortrefflich gelungen, wenn auch in keiner Zeile Poes von einfach zugänglicher Arbeit die Rede sein kann. Vielmehr ist Poe hohe Literatur.

Alleine schon der Sprache wegen, und des Erzählstils wegen, worauf man sich unbedingt konzentrieren sollte. Die wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Überlegungen Poes, die sich in seinen Geschichten entlang des Erzählstrangs hangeln, sind ebenso nicht dazu angedacht, sich fallen zu lassen.

Vielmehr fordern sie das Denken heraus, führen in die Irre und gestalten die Überlegungen seiner Protagonisten zu spannenden Abenteuern a la Jules Verne oder Krimiserien, ganz ohne Skalpell.

Den Stil freilich, muss man mögen, was nicht immer gelingt. Gerade die “Messmerischen Offenbarungen” sind schwierig zu lesen und nicht immer zugänglich, ansonsten bleibt der Eindruck eines Tausendsassas, dem jedes Genre geglückt ist, in dem er sich versucht hat.

Und das haben seither nur wenige mehr geschafft. Für Fans klassischer amerikanischer Literatur auf jeden Fall, für Bewunderer unterschwelligen Grusels sowie so, ist diese Ausgabe (und die da kommenden) ein Muss.

Für alle anderen ein Weg, ihren Horizont dem Unglaublichen zu öffnen. es lohnt sich mit Dupin auf Spurensuche zu gehen oder Hans Pfaalls Reise zum Mond zu begleiten. Am Ende gilt aber auch hier, der Mond selbst strahlt nicht, doch ist nichts so wie es scheint. Was dahinter steckt, muss der Leser selbst herausfinden.

Autor:

Edgar Allan Poe wurde 1809 in Boston geboren.. Er war ein US-amerikanischer Schriftsteller, der vor allem das Genre der Kriminalliteratur, der Science-Fiction und der Horrorliteratur prägte. Zahlreiche Werke von ihm hatten astronomischen, physikalischen oder philosophischen Hintergrund.

Er studierte an der Universität von Virginia/Charlottesville alte und neue Sprachen und lernte sowohl Spanisch, Französisch als auch Italienisch. Schon in seinen Studienjahren verschuldete er sich und begann zu trinken.1827 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband und verpflichtete sich der US-Army für 5 Jahre, wurde dort mehrmals befördert.

1829 wurde Poe ehrenhaft entlassen und kehre nach Richmond, seinem Lebensmittelpunkt vor der Armee, zurück. Er kehrte jedoch zum Militär zurück und studierte an einer Militärakademie, von der er später wegen regelverstößen verwiesen wurde. zwischen 1831 und 1835 veröffentlichte er weitere Erzählungen, war weiterhin Verleger und Herausgeber mehrerer Zeitschriften.

Er starb 1848 unter unbekannten umständen. Die Todesursache ist ungeklärt.

Ursprünglicher Herausgeber:

Charles Baudelaire wurde 1811 in Paris geboren und übertrug von 1845 an Poes werzählungen ins Französische, publizierte einen Band mit Erzählungen des amerikanischen Schriftstellers und machte ihn in seinem Heimatland bekannt.

1858 schloss er die Übertragung von Poes Geschichten ab und starb verarmt 1867. Seine Dichtungen, Kritiken über Kunstausstellungen und Übersetzungen machten ihn weithin über das literarische Paris hinaus beklannt.

Übersetzer:

Andreas Nohl wurde 1954 in Mühlheim an der Ruhr geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. er studierte zunächst Philosophie in West-Berlin und Frankfurt am Main. Nach einem Studiumaufenthalt in San Francisco arbeitete er als Antiquar und ist seit 1989 als freier Schriftsteller tätig, veröffentlichte jedoch bereits 1978 seine erste Erzählung.

Dafür erhielt er den Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung. Als Essayist und Herausgeber hat sich Noehl vor allem für die amerikanische Literatur eingesetzt. Von 1990-2003 veröffentlichte er Literaturkritiken für die Zeitung Die Zeit und die Neue Zürcher Zeitung.

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Divina Michaelis: Erotische Jahreszeiten

Erotische Jahreszeiten Book Cover
Erotische Jahreszeiten Divina Michaelis Qindi Erschienen am: 21.01.2015 Seiten: 248 ISBN: 978-150766-006-5

Inhalt:

Dem Verlauf des Jahres entsprechend befinden sich in diesem Buch vier abgeschlossene Kurzromane, die in der jeweiligen Jahreszeit spielen. Jede Menge Handlung, große Gefühle und vor allem prickelnde Erotik und Leidenschaft wurden in zusammen über zweihundert (Norm-) Seiten verpackt, sodass es dem Leser an nichts fehlen sollte. (Klappentext)

Rezension:
Heute einmal eine Rezension der ganz anderen Art als ihr es von mir gewohnt seid. Zum einem, da ich kaum Ahnung habe, was es auf dem deutschsprachigen Markt an erotischer Literatur so gibt (Übersetzungen mit eingeschlossen), zum anderen weil es mich auch ansonsten nicht interessiert.

In meinen Vorstellungen ist vielleicht einiges Lesbares dabei, bleibt dabei aber auch so stark an der Oberfläche, dass es mich kaum packen dürfte. Und ein Buch nur als W****vorlage zu missbrauchen, ist mir ehrlich gesagt zu billig. Und für meinen Geldbeutel zu schade.

Deswegen und weil sich die meisten Aufmachungen derart eh nur an das weibliche Publikum richten (Liebe klischeedenkende Verlage.) , wird mich das Genre weiterhin nur an den Büchertischen im Laden vorbeigehen sehen.

Doch, dieses Buch habe ich gelesen. Als E-Book. Zum einem, weil man ja durchaus mal über seinen eigenen Schatten springen sollte, zum anderen… Ja, man weiß ja nie.

Und auf der Buchmesse bei der Privatlesung für das Büchertreff.de-Forum habe ich mir einen Ruck gegeben und kam mit der Autorin ins Gespräch. Der Deal, wir probieren es einfach einmal und schauen, was passiert. Ich hoffe nur, dass Divina Michaelis jetzt nicht zitternd vor dem PC sitzt, wenn sie das liest. Einen Grund dazu gibt es nämlich nicht.

Der Aufbau des Romans ist schnell erklärt. Mehrere Kurzgeschichten, die kapitelmäßig in verdauliche Häppchen serviert werden, unter dem Motto der Jahreszeiten, in denen sie spielen. Es gibt dabei keinen Zusammmenhang.

Jede Geschichte kann für sich gelesen werden, immer abwechselnd aus der Sicht der jeweiligen Hauptprotagonisten. Diese sind mehr oder weniger allesamt sympathisch und nachvollziehbar gestaltet. Und, zur Freude für mich, mit zumindest einer solchen Tiefe gestaltet, dass ich sie ernstnehmen konnte. Wenn auch das eine oder andere Augenrollen bei mir auftauchte.

Das beziehe ich aber eher auf die dem Genre typischen Eigenheiten. Die erste Geschichte hat mir übrigens am besten gefallen. Trotzdem schadet wohl die eine oder andere kühle Dusche zwischendurch nicht, um sich wieder zusammenzureißen, um die nächste Kurzgeschichte zu lesen.

Auch, dass es eine Handlung gibt und nicht nur die Sache mit der Sache beschrieben wird (welch schönes Wortspiel), mochte ich.

Der lieben Divina Michaelis danke ich für die Zur-Verfügung-Stellung des Rezensionsexemplares. Fan des Genres bin ich noch immer nicht, doch glaube ich nun auch, dass es in diesem Bereich durchaus Ernstzunehmendes an Lesestoff gibt und ich bin bereit auch weiteres von der Autorin zu lesen.

Wenn es nämlich einen Kritikpunkt gibt, dann diesen, dass die Kurzgeschichten zu kurz waren. Schön natürlich, um mal etwas anderes auszuprobieren, aber ich möchte gerne wissen, wie @Divina ihre Charaktere und Geschichten entwickelt, wenn sie noch mehr Raum und Seiten einnehmen dürfen.

In sofern wird das nächste Exemplar, dann auf der Leipziger Buchmesse 2018, auch regulär erworben werden.

Autorin:
Divina Michaelis wurde 1966 in Hamburg geboren und schrieb schon für die Schülerzeitung diverse Kurzgeschichten und Satiren. Jahrelang war Sie in einem Flirt- und Liebesforum als Moderatorin tätig, bevor sie selbst an Ihrem ersten Roman zu schreiben begann. Nach einer Ausarbeitung veröffentlichte sie diesen.

Nebst kleineren und großteils jugendfreien Kurzgeschichten folgten weitere Romane. Die Autorin ist Mitglied des größten deutschsprachigen Literaturforums buechertreff.de und von Quindi, dem Autorenkollektiv für qualitativ hochwertige Indie-Literatur.

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Alan Bennett: Die souveräne Leserin

Die souveräne Leserin Book Cover
Die souveräne Leserin Alan Bennett Wagenbach (SALTO) Verlag Erschienen: 28.08.2008 Seiten: 115 ISBN: 978-3-8031-1254-5

Inhalt:

Eine Liebeserklärung an die Queen und an die Literatur – wer hätte gedacht, dass das zusammenpasst? (Klappentext)

Rezension:

Zweifellos haben die Hunde Schuld, die, als die Queen sie ausführt, auf einem vor dem Gelände parkenden Bücherbus zurennen und ihn ankläffen. Um sich zu entschuldigen und die Verlegenheit des Bibliothekars und eines jungen Küchenjungen zu übergehen, zu überspielen, leiht sich die mächtigste Monarchin Europas wahllos ein Buch aus und beginnt zu lesen.

Und damit beginnt eine Leidenschaft für’s Lesen, ein Hobby, welches sie so gar nicht haben darf. Sie, die für alle Briten greif- und doch unnahbar bleiben muss, einigendes Symbol in einer sich ständig verändernden Welt.

Da passt es so einigen nicht, dass die Königin, die sonst unparteiisch sein muss und allerhöchstens eine von der Regierung verfasste Rede verlesen darf, nun eigene Gedanken entwickelt und auch beginnt auszuleben. Sonst mit der Liebe zur Pflicht gehaltene Sitzungen mit Premierministern werden zur Geduldsprobe für die Frau, die doch nur ihr Buch zu Ende lesen möchte, Termine wie Schiffstaufen sind plötzlich langweiliger denn je.

Alan Bennett hat hier eine Liebeserklärung an die Briten, insbesondere an die Queen und noch viel mehr an das Lesen selbst geschrieben.

Der Autor gesteht der Frau zu, sich aufgrund eines Ereignisses vollkommen zu ändern, sich an eine neue Position anzupassen und Eigenheitzen zu entwickeln, wie man sie von jedem anderen Menschen erwarten darf, nicht aber der obersten Repräsentantin des britischen Staates.

Poetisch beschreibt er die Wirkung von Literatur und dass doch Bücher gelesen werden sollten, so, dass sie wirken. Nicht nur lesen um des Lesens Willen, sondern immer auch einen Nutzen daraus zu ziehen. Und sei es nur, sich ein paar Stunden gut unterhalten zu haben. Dabei verfliegen die Seiten so schnell, dass man nur wenige Stunden in diesem Lesegenuss kommt, dem nicht nur die Königin verfällt.

Gleichwohl erinnert es auch an ein neueres deutsches Gegenstück, dass der “Eisläuferin” von Katharina Münk, in dem auf ähnliche Art und Weise, wenn auch nicht durch Literatur eine wohlbekannte Bundeskanzlerin plötzlich ihr Verhalten und Regierungsstil zu ändern beginnt. Doch alan Bennett schreibt schöner, ruhiger und doch immer wieder mit Pointen durchsetzt, die mehr als einmal zum Schmunzeln anregen.

Für Bibliophile ist dieser Band, den es seit dem 60. Thronjubiläum auch in Königsblau gibt, ein Muss. Gebundenes Leinen, ein eingeprägtes Foto und silberne Schrift auf dem Buchdeckel machen diese kleine Hommage an das Lesen zu einem ansehnlichen Exemplar im Bücherregal, welches sich alleine schon zu besitzen lohnt.

Die Geschichte selbst kann man sich indes noch gut vorstellen, zumal als Leser, der dies gerne tut, das Ende nicht. Zwar ist dieser Effekt vom Autor gewollt, doch das merkt man auch. Beinahe so als habe hier ein Monarchiegegner seinen Wunsch von einem souveränen Abgang zu Papier gebracht. Wenn auch in besonders schöner Form.

Autor:

Alan Bennett wurde 1934 in Leeds geboren und konnte durch ein Stipendium nach der Schule Geschichte studieren. Danach erhielt er eine Juniorprofessur am Magdalen College in Oxford, bevor er ans Theater wechselte. In seinem ersten Drama, welches er 1968 veröffentlichte, beschäftigt sich bennett mit der jüngeren britischen Geschichte. Zudem setzte er sich mit Kafka auseinander (1986).

Auch für das britische Fernsehen schrieb er zaghlreiche Geschichten und entwickelte sich zu einem der populärsten britischen Dramatikern. Er veröffentlichte 2005 seine Memoiren (Untold Stories), nachdem er an Krebs erkrankte. Bennett lebt mit seinem Partner in London.

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