Geschichte

Autoren-Interview auf der Leipziger Buchmesse 2018: Dogan Akhanli und ein Tag in Granada

NH: Herr Akhanli, der Haftbefehl von Interpol in Spanien durch die Türkei beruhte offensichtlich auf ihre Arbeiten, die sehr kritisch mit der Politik dieses Landes umgehen, etwa mit den Völkermord an den Armeniern. In wie fern war das ausschlaggebend?

DA: Ich beschäftige mich mit der türkischen Politik, aber ich bin vorsichtiger, wenn es um politische Akteure geht. Ich bin kein Journalist. Ich beschäftige mich mit der Kontinuität des Landes. Woher kommt es, dass wir in einer ständigen Situation der Agonie leben oder dieser ständige Ausnahmezustand? Dieser Zustand endete bisher nicht.

Wenn man einen Blick in die Geschichte der Türkei wirft, sieht man dass diese Gewalt eine normale politische Form ist. Wenn ich über die Gewalt an den Armeniern rede, über die Vertreibung der Griechen oder ähnliches, spreche ich von aktuellen Themen.

NH: Kein geschichtlicher Bezug, also, weil sich das kontinuierlich durchzieht?

DA: Ja.

NH: Sie wurden in Spanien praktisch aus dem Bett heraus verhaftet. Andere Journalisten und Schriftsteller in der Türkei sind direkt im Zugriff dieses Staates. Was sagt das aus, über die heutige Situation für Autoren und Journalisten in der Türkei?

DA: Die Situation der Meinungsfreiheit hat sich in der Türkei so verschlechtert, dass man es leicht mit der Militärzeit vergleichen kann. Als das Militär an der Macht war, haben alle geschwiegen, durften auch nicht frei schreiben. Jetzt darf man angeblich schreiben, wenn man das aber macht, kommt man ins Gefängnis. Das ist die Kontinuität der Verfolgung.

Es gibt die Geschichte von zwei Brüdern, Journalisten, die verhaftet wurden. Deren Vater war auch Journalist in den 1960er Jahren und hat ähnliches durchmachen müssen. Er war Parlamentsabgeordneter, gleichzeitig Journalist und Schriftsteller. Er wurde damals schwer gefoltert. Ein halbes Jahrhundert später „gehen“ die Söhne den gleichen Weg und kommen lebenslänglich ins Gefängnis.

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Dogan Akhanli über seine Verhaftung in Spanien.

NH: Sie wurden zwei Mal verhaftet, einmal 2010 und 2016. Wie gehen Sie damit um, dies zu verarbeiten, auch, wenn andere Schriftsteller, die Sie vielleicht gut kennen, ebenfalls verhaftet werden und in die gleiche Situation kommen?

DA: Obwohl ich in Deutschland, einen geschützten Raum, lebe, habe ich nach der Festnahme und Freilassung 2010 fast den Bezug zu meiner Muttersprache verloren. In dieser Zeit ist mein Vater gestorben. Ich wollte nicht mehr Türkisch schreiben und mit der Türkei nichts mehr zu tun haben. Das war eine so tiefe Verletzung, dass ich danach Jahre lang kein Buch mehr schreiben konnte.

In Spanien, nach dieser Festnahme, habe ich die Blockade überwunden, und habe über „Die Verhaftung in Granada“ geschrieben. Dass war das erste Buch seit sieben Jahren. Im Vergleich mit den türkischen Kollegen bin ich in einer priviligierten Situation. Ich kann die Türkei kritisieren und angreifen. Sie dürfen es nicht, machen es trotzdem und landen dafür im Gefängnis. Dann ist es meine Freiheit, mich mit denen zu solidarisieren.

9783462318562
Autor: Dogan Akhanli
Titel: Verhaftung in Granada
Seiten: 224
ISBN: 978-3-462-31856-2
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
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NH: Im Buch beschreiben Sie ein Gespräch zwischen einen türkischen Gefängnisbeamten und Ihnen, in der es darum geht, dass der deutsche Staat sich um seine Bürger kümmert und sorgt. Der Beamte ist dem gegenüber verständnislos, da er das so nicht kennt. Ist es flächendeckend so, dass der türkische Bürger vor dem Staat Angst hat?

DA: In der Türkei ist die Beziehung zwischen Bürger und Staat sehr interessant. Sie mögen den Staat nicht, haben eine unglaubliche Angst. Aus der Erfahrung heraus wissen sie, dass dieser Staat seine eigenen Bürger seit hundert Jahren u.a. getötet, vertrieben, gefoltert und verfolgt hat.

Das ist im Gedächtnis gespeichert. Sie gehen in etwa damit so um, wie bei einer Frau, die ständig von ihrem Mann geprügelt wird, aber jeden Tag sagen muss, dass sie ihn liebt. Aus dieser Angst heraus gibt es ständige „Liebeserklärungen“ an diesen Staat. Das hat mit Liebe oder Mögen nichts zu tun, nur mit Selbstschutz.

NH: Wie gelingt es dann diesen Staat sich zu halten, wenn die Bürger nicht dahinterstehen? Halten Sie friedliche Demonstrationen und die Auflösung der macht, wie es sie in der DDR gab, für möglich oder eher nicht?

DA: Das passiert gerade. Am 8. März haben sehr viele Frauen demonstriert. Das waren tausende Menschen. Sie schrieen, wir wollen keine Diktatur. Sie waren kreativ und mutig, solche Slogen zu entwickeln, um gegen den Staat zu agieren. Es ist für mich die einzige Hoffnung, dass zukünftig häufiger eine solche Bewegung von unten kommt, dass Erdogan am Ende weg ist.

NH: Also glauben Sie an eine Zukunft der Türkei nach Erdogan?

DA: Ja. Absolut. Er hat riesige Angst vor dem Machtverlust. Deshalb begibt er sich in den Krieg und greift Syrien an. Er hat diese Bedrohung einfach erfunden. Es gab sie nicht. Er will durch die Hetze gegen die Kurden die türkische Bevölkerung zusammenhalten. Aber er kann scheitern, wenn er dies nicht schafft. Das kann für ihn sehr gefährlich werden. Wenn der kurdische Widerstand Erfolg hat, kann Erdogan seine Macht verlieren.

NH: Hierzulande sind wir sehr abhängig von den Bildern aus den Medien, die natürlich immer nur einen Ausschnitt zeigen können. Die Deutschen sind darauf in unsicher, ob sie z.B. in die Türkei weiter reisen sollen oder nicht. Sind Sie zufrieden mit der Berichterstattung hier über dieses Land?

DA: Die sachliche Berichterstattung der deutschen Medien finde ich nicht schlecht. Sehr distanziert, keine feindseelige Stimmung. Das gefällt mir. Ob man in die Türkei reisen darf oder nicht, ob man durch den Tourismusboykott die Opposition verstärken kann, bin ich mir nicht sicher. Wenn ich die Vergangenheit anschaue, haben solche Boykottaufrufe nicht viel gebracht.

Wenn es den Menschen schlecht geht, beschäftigen sie sich nur mit dem Überleben und sind von der Politik abgewendet. Ich würde weiter empfehlen, Urlaub in der Türkei zu machen. Die Begegnungen mit den Menschen in der Türkei sind wichtig.

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"Die Begegnungen mit den Menschen in der Türkei sind wichtig."

Man kann es nicht pauschalisieren, dass alle Türken Anhänger von Erdogan sind. Ich finde es schade, wenn die Begegnungen nicht stattfinden können. Die Touristen kommen mit einen anderen Blick, andere Werte, eine andere Weltanschauung. Diese Begegnungen können etwas bewirken.

NH: Ihre Situation wurde medial sehr aufmerksam beobachtet. Es gab eine große Berichterstattung. Was muss sich ändern, für Kollegen, die vielleicht nicht wissen, dass sie auf irgendeiner Liste stehen und für die die Aufmerksamkeit nicht ganz so groß ist?

DA: Wir haben als zivile Gesellschaft nicht so viele Möglichkeiten. Wir können uns aber mit bedrohten oder sich in Haft befindlichen Kollegen solidarisieren, z.B. über Briefkontakte mit Inhaftierten. Man muss Wege finden, dass die Menschen nicht ins Vergessen geraten. Das ist unsere Aufgabe. Von der deutschen Politik erwarte ich, dass sie sich nicht zum Komplizen der türkischen Despotie macht. Da sollte man sehr vorsichtig sein. Erdogan ist keine vertrauenswürdige Person.

Die deutsche Regierung sollte alle diplomatischen Wege versuchen, bevor man nicht mehr miteinander redet. Das hat etwas mit Verhandlungen zu tun. Es mussten rote Karten gezeigt werden, dass z.B. Deniz Yücel immer noch in Haft ist. Deutschland sollte seine eigenen Möglichkeiten etwas besser nutzen als früher. Nicht leise sein und sich zurückhalten, sondern an die Möglichkeiten glauben.

NH: Wie viel von dem, was für Ihre Freilassung im Hintergrund getan wurde, haben Sie mitbekommen?

DA: Viel. 2010, aber auch 2017 in Spanien war es ein Glück, dass die Öffentlichkeit schnell reagiert hat. Diese schnelle Reaktion von der deutschen Presse, der zivilen Gesellschaft und der Regierung hat mich wirklich aus einer schwierigen Situation gerettet. Ich habe viel Unterstützung aus allen Kreisen bekommen.

NH: Wie ist Ihre Situation in der türkischen Gemeinde aufgenommen worden?

DA: Das weiß ich nicht genau, weil ich so wenige Kontakte habe. Ich habe hauptsächlich Kontakt zu Exil-Personen und ein paar andere, nicht aber AKP-Kreise. Nur zwei Leute daraus, auch Kollegen von mir, haben zu mir Kontakt und dadurch bekomme ich ein wenig die Stimmung mit. Warum sie so denken und eine gewisse Zuneigung zu Erdogan haben, weiß ich nicht.

NH: Das ist teilweise sehr schwer für die Deutschen nachzuvollziehen.

DA: Das ist normal. Auswanderer unterstützen meist die Mächtigen des Herkunftlandes. In der deutschen Geschichte war das auch so. In der Nazi-Zeit haben die Deutschen im Ausland oft auch die Nazis unterstützt. Das ist nicht außergewöhnlich. Für mich ist es auch unerklärlich, dass viele, die hier geboren, zur Schule gegangen sind und diese Demoratie kennen, trotzdem diesen Mann schätzen. Es gab mal eine Umfrage einer wissenschaftlichen Studie, dass die Mehrheit der türkischen Einwanderer Merkel mehr als Erdogan als ihren Präsident sehen. Sie schätzen Frau Merkel zehn Mal mehr als ihn.

NH: Das Pendeln zwischen diesen zwei Welten, der türkischen und der deutschen. Wie sehr hat sie das beeinflusst, jetzt auch nochmal in Hinblick Ihrer Situation 2017?

DA: Ich lebe isoliert von türkischen Kreisen, aber ich würde auch nicht unterscheiden. Ich habe keine Möglichkeiten zwischen zwei Welten zu unterscheiden, da ich mit Leuten mehr in Kontakt bin, die der gleichen Meinung wie ich sind. Ich möchte einen Dialog mit meinen Landsleuten, sie auch verstehen, warum sie so gekränkt sind, wenn man über Erdogan so eine kritische Stimme erhebt. Warum empfinden sie so gekränkt? Ich habe leider wenige Möglichkeiten, mit denen in Kontakt zu treten.

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Dogan Akhanli: "Ich bin isoliert von türkischen Kreisen."

NH: Was müsste sich konkret ändern, damit Sie wieder in die Türkei reisen würden wollen?

DA: Die Situation hat sich seit 2010 verschlechtert, und damals war es schon willkürlich. Ich kann sowie so in die Türkei nicht reisen, da es einen Haftbefehl gegen mich gibt. Auch, wenn der nicht da wäre, könnte ich nicht dorthin, weil es so unberechenbar geworden ist. Da muss sich etwas Grundsätzliches ändern.

NH: Wie sehr waren Sie von der Situation in Granada überrascht?

DA: Sehr. Ich dachte, ich bin Deutscher und geschützt in Europa. Habe nie gedacht, dass sie mich festnehmen würden, aber es ist passiert. Es war eine Ohnmachtssituation, später Wut, dann Heilung, aber es hat mich wirklich überrascht.

NH: Wann haben Sie 2017 zum ersten Mal gemerkt, dass es sich für Sie dann doch in eine positive Richtung entwickelt. Wann war der Moment, jetzt wird alles gut?

DA: Sofort. Am nächsten Tag, da ich die Berichterstattung aus Deutschland mitbekommen hatte. Alle großen Zeitungen haben darüber berichtet und die deutsche Regierung sich eingemischt hat. Da dachte ich, dass es mir nicht so schlecht gehen kann.

NH: Hätten Sie es denn der spanischen Regierung zugetraut, sie abzuschieben?

DA: Nein. Das wäre ein Skandal gewesen, und illegal. Ich bin als Flüchtling hergekommen und habe diese Anerkennung. Nach dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofes wusste ich, dass sie politisch anerkannte Flüchtlinge nicht abschieben dürfen. Trotzdem haben sie zwei Monate gebraucht, zum Punkt zu kommen. Richtige Angst hatte ich nicht.

NH: Was sind Ihre zukünftigen Pläne?

DA: Eigentlich, wie immer. Ich schreibe Romane, mache Begegnungsprojekte zwischen Türken und Deutschen, dass die Menschen aus unterschiedlichen Kreisen zusammenkommen. Und ich werde weiter schreiben.

NH: Dann danke ich Ihnen für das Gespräch.

Das Interview und Bildmaterial darf ohne Genehmigung nicht vervielfältigt oder andersweitig verwertet werden. Dies ist redaktionsrechtlich geschützt. Die Rechte liegen bei findosbuecher.com, den Verlag Kiepenheuer & Witsch und Dogan Akhanli.

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Autoren-Interview auf der Leipziger Buchmesse 2018: Mr. History Guido Knopp

NH: Geschichte im Fernsehen. Die Präsentation von Themen ist abängig von verschiedenen Faktoren, etwa der Quote. Vielleicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht ganz so entscheidend, aber unterlag Ihre Arbeit jemals diesem Einfluss oder waren Sie frei und unabhängig zu entscheiden, welche Themen Sie wie bearbeiten?

GK: Zum einen war ich in meinen Entscheidungen wegen des Programmes wirklich völlig frei. Keiner hat mir reingeredet. Kein politischer Druck, kein Druck von Außen, dafür war ich sehr dankbar. Was nun die Rücksicht auf die Quoten betrifft, so ist es natürlich wenn man einen Programmzeitpunkt erhalten hat, der um 20:15 Uhr liegt, also die beste Zeit im Hauptprogramm, eigentlich selbstverständlich, dass man schaut, dass man möglichst viele Zuschauer bekommt.

Nicht nur die jenigen, die eh schon alles wissen oder zu wissen glauben, sondern auch die jenigen, die durch die Art der Filme für etwas interessieren kann. Und wenn diese Art so ist, dass sie nicht nur Insider abholt, sondern auch z.B. den Arbeiter, der abends müde von der Werkbank kommt und eigentlich Unterhaltung sehen will, aber von der Art des Gebotenen, die Spannung, die Emotion, so gefesselt wird, dass er dran bleibt, hat der Autor des Filmes die Chance Informationen zu liefern.

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Guido Knopp über "Meine Geschichte".

NH: Sie haben das gemacht, in dem Sie teilweise neue Stilmittel für Dokumentationen verwendet haben, die es so vorher zumindest hierzulande nicht gab und wurden dafür des Öfteren auch kritisiert.

GK: Die Stilmittel, die ich verwendet habe, waren einerseits bekannte, die ich nur perfektioniert hatte. Historisches Material ist das Eine bei historischen Dokumentationen, Zeitzeugen sind das Andere. Ich habe sie nur anders dargeboten. Perfekter geschnitten, perfekter kommentiert. Was neu war, was wir als erste gemacht haben, dass wir Spielszenen in Dokumentationen integriert haben, sogenannte. Reenactments.

Da wurden wir am Anfang von den Althergebrachten, die gewohnt waren, dass Dokumentationen dies nicht machen dürfen, natürlich dann und wann kritisiert. Das hat sich aber durchgesetzt. Wir waren die Pioniere und haben das weltweit verbreitet. Unsere Filme wurden weltweit vertrieben und verkauft. Heute ist das ein Stilmittel, was überall angewandt wird und das auch anerkannt ist.

Wenn Sie Sachverhalte haben, zu denen Sie keine Bilder besitzen, die aber bekannt sind, dann ist es völlig legitim, wenn Sie das sehr gut inszenieren und die dokumentarischen mit den Spielsequenzen ergänzen. Das ist eine Fortführung der Dokumentation.

NH: Ein anderer Kritikpunkt waren die anzahlmäßig vielen Dokumentationen zum „Dritten Reich“, aber es gab ja auch andere Themen, wozu etwas gemacht wurde. Gab es irgendeinen Plan, ein Schema, welche Themen aufgearbeitet werden sollten?

GK: Ich hatte die Zuständigkeit in meinem Sender für das gesamte 20. Jahrhundert. Und wenn man das hat, darf man keinen Bogen um das sogenannte „Dritte Reich“ machen. Es war natürlich, vor allem in den Jahren zwischen 1995 und 2005 ein Schwerpunkt, nicht der einzige Schwerpunkt.

Und ich habe mir gesagt: Wenn ich das Thema behandle, will ich es systematisch angehen. Ich habe angefangen mit einer Serie über den Tyrannen an der Spitze „Hitler – Eine Bilanz“, wie in der Form einer Pyramide. Dann die zweite Stufe der Pyramide „Hitlers Helfer“, „Hitlers Generäle“ und am Ende die Basis der Pyramide, die Phänomene der Tyrannei.

Hitler - Eine Bilanz von Guido Knopp
Hitler – Eine Bilanz von Guido Knopp
Autor: Guido Knopp
Titel: Hitler - Eine Bilanz
Seiten: 320
ISBN: 978-3-442-15352-7
Verlag: Goldmann

Das sind zunächst die Hitlerjugend, die SS, der Holokaust, das sind Flucht und Vertreibung und der Bombenkrieg als Phänomene der Zeit. Das war die Phase zwischen 1995 und 2005. Danach war das für uns zwar noch nicht auserzählt, aber die Systematik war in diesem 10-Jahres-Rythmus schon ganz bewusst gewollt. All die anderen Themen kamen immer wieder dazu.

Bei den Monarchien war es so, dass ich gesagt habe: Wir brauchen für den Sommer in unserem Programm ein leichteres Thema und da bot sich das Thema -Monarchie- an, was ja nicht nur ein Bunte-Blätter-Thema ist.

Man hat dort auch eine historische Relevanz, denn all diese Königshäuser leben ja nur, weil sie ihre Untertanen, ihre Bevölkerung, mitnehmen und das Gefühl geben, dass die Geschichte diese royalen Themen und Traditionen in das Volk hineinträgt und das Volk dadurch Identität gewinnt.

NH: Sie haben dadurch natürlich viele Zeitzeugen befragt, nehmen wir z.B. Für die Reihe „100 Jahre – Der Countdown“, bei der ich mich immer noch ärger, dass sie nicht vollständig auf DVD vorliegt (so im Nebensatz gesprochen)…

GK: Darf ich erzählen, woran das liegt?

NH: Ja, bitte.

GK: Dass liegt daran, dass wir 75 Prozent der Sendung mit einer Produktionsfirma produziert haben. 25 Prozent sind Eigenproduktionen und der Produzent hatte das Recht, die Produktionen, die er gemacht hat, auf DVD zu vertreiben, aber die 25 Prozent, die wir selber hergestellt haben, eben nicht. Ich gebe Ihnen den Rat: Wenn diese Sendung demnächst wieder bei Phoenix läuft, die gesamten 20 Stunden aufzunehmen.

Inzwischen legendär. 
Die 1000 minütige Dokumentation "100 Jahre - Der Countdown"

NH: Ich hatte einen Geschichtslehrer, der diese Dokumentation verwendet hat, um uns Schüler dafür zu begeistern. Woher kommt Ihre Begeisterung für Geschichte.

GK: Das höre ich vielfach. Das ist eine Sache, die schon lange in meiner Jugendzeit zurückliegt. Ich hatte eine Familie, die natürlich von der Geschichte berührt war, wie so viele deutsche Familien. Väterlicherseits kommt meine Familie aus Oberschlesien, von Flucht und Vertreibung betroffen. Das war ein Thema, wenn man als Kind die Großeltern besuchte.

Ich hatte aber auch einen exzellenten Geschichtslehrer, der schon in den 60er Jahren etwas getan hat, was andere auch hätten tun können, aber nicht getan haben. Er benutzte die Medien der damaligen Zeit, als da waren Tonbänder, Schallplatten und Filme, die man von den Landesfilmbildstellen ausleihen konnte. Das hat er alles im Unterricht eingesetzt.

Meine Geschichte von Guido Knopp
Meine Geschichte von Guido Knopp
Autor: Guido Knopp
Titel: Meine Geschichte
Seiten: 320
ISBN: 978-3-570-10321-0
Verlag: C.Bertelsmann
Rezension: hier klicken

Und das war natürlich eine spannende bildkräftige Geschichte. Wir haben uns auf diesen Unterricht immer extrem gefreut. Das hat meinen latenten Wunsch, dieses Fach später selber mal zu studieren, sehr beflügelt. Ich habe dann auch Geschichte und Politik studiert.

NH: Später haben Sie dann für die Dokumentationen Zeitzeugen befragt, normale Menschen aber auch prominente. Gab es da besonders beeindruckende Begegnungen?

GK: Das kann ich gar nicht sagen. Es waren oft ganz einfache Menschen, die von Wendepunkten ihres Lebens erzählten, die erzählt haben, wie Geschichte in sie eingegriffen hat, Erlebnisse im Holokaust, von Flucht und Vertreibung. Das waren sehr beeindruckende Begegnungen, gerade wenn es um Kinderschicksale ging.

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Die Befragung von Zeitzeugen mündete u.a. in den Projekt "Gedächtnis der Nation". Im Zeitzeugen-Portal werden die Berichte von Zeitzeugen, berühmt oder nicht, gesammelt. Zeitzeugen-Portal.de - Gedächtnis der Nation.

Wenn ich jetzt an prominente Zeitzeugen denke, dann war es immer sehr eindrucksvoll etwa mit Simon Wiesenthal zu sprechen. Ich habe mit ihm acht Stunden aufgenommen. Ich habe mit Hans-Dietrich Genscher neun Stunden aufgenommen, über die Facetten seines Lebens. Davon wurde eine Stunde gesendet. Die gesamten neun Stunden lagern noch, sorgfältig archiviert, in unserem Filmarchiv. Und ich habe auch sehr oft mit Helmut Kohl gesprochen, über die Hintergründe der Wiedervereinigung.

Das war sehr interessant, weil er sehr offen über die Frage gesprochen hat, dass wir letzten Endes doch ziemliches Glück gehabt haben, denn dieser Prozess war zeitweise sehr gefährdet. Es gab schon im Sommer 1990 einen sehr ernsthaften Putschplan gegen Gorbatschow. Die selben Leute, die dann 1991 diesen tatsächlich durchgezogen haben, den Jelzin dann niedergeschlagen hat.

Die wollten Gorbatschow von der Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte in die DDR einladen, um ihn dort zu verhaften, um einen Marshall der Sowjetunion an seine Stelle zu setzen. Im letzten Augenblick ist der Marshall, der dafür vorgesehen war, Sergei Achromejew, abgesprungen, da er kalte Füße bekommen hat. Wenn der Putsch tatsächlich Erfolg gehabt hätte, hätten wir die Wiedervereinigung vergessen können und deshalb sagt Helmut Kohl, nicht zuletzt wegen solcher Dinge haben wir enorm viel Glück gehabt.

NH: Für Ihre Arbeit mussten sie teilweise sehr ungewöhnliche Wege gehen. In dem Buch ist eine Episode erwähnt, wo Sie Staubsauger in den Kreml transferieren mussten.

GK: Das war die Frage, ob wir im Kreml eine Diskussion aufzeichnen durften. Es war die Situation der späten 80er Jahre, als wir im ZDF mit dem sowjetischen Fernsehen sehr viel gemeinsam produziert haben. Das war eine besondere Zeit der deutsch-russischen Beziehungen, die später leider versandet ist. Eine dieser Diskussionen wollte ich im legendären Katharinensaal des Kreml aufzeichnen, wo der Vertrag Brandt-Breschnew 20 Jahre vorher unterzeichnet worden war.

Und das wollte man zuerst nicht, denn der Katharinensaal ist heilig, und wir haben lange verhandelt. Die Verhandlungen waren zäh, und irgendwann flog ein Engel durch den Raum. Wir haben eher durch Zufall die Russen gefragt, sagt mal Leute, können wir euch irgendwie behilflich sein? Braucht ihr irgendetwas? Dazu muss man wissen, dass es in der Sowjetunion damals eine regelrechte Wirtschaftskrise gab.

Sie überlegten einen Moment, schauten sich an, schauten uns an. Dann sagten sie, wenn Sie uns so fragen, wir bräuchten Staubsauger. Gesagt, getan. Wir haben eine Luftbrücke gebildet, von Frankfurt nach Moskau, und haben 20 nagelneue Staubsauger der Marke Kärcher, der Name sei genannt, in den Kreml transferiert. Die Diskussion fand statt. Man sieht, was Staubsauger positiv für die deutsch-russischen Beziehungen leisten können.

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Guido Knopp: "Wir haben 20 Staubsauger in den Kreml transferiert."

NH: In Anbetracht der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen, in der Politik, stellt man sich die Frage, ob man wieder mehr Geschichte im Fernsehen braucht. Ist dem so?

GK: Wenn Sie einen Historiker fragen: Natürlich brauchen wir mehr Geschichte im Fernsehen. Alle sollten über Geschichte etwas wissen. Nicht nur über die Geschichte des sogenannte „Dritten Reiches“, aber vor allem auch, denn man wird ja doch außerhalb der Landesgrenzen immer wieder gelegentlich konfrontiert. Wie hältst du es denn damit? Wie stehst du denn dazu?

Das muss jeder eigentlich wissen. Ich sage: Es gab 1933 keine Einbahnstraße in den Nationalsozialismus. Vieles war so angelegt, dass es dazu kommen konnte, aber es hat nicht zwangsläufig dazu kommen müssen. Es hätte durchaus anders kommen können, wenn die Handelnden, die Verantwortungsträger von Weimar, anders gehandelt hätten. Die Möglichkeiten hätten sie gehabt. Wenn es aber dazu gekommen und die Tyrannei schon angelaufen ist, wenn man sich dann dazu bequemt und abnickt, einem Ermächtigungsgesetz zustimmt, dann ist es schon zu spät.

Die Lehre heißt: Wehret den Anfängen. In der Nachschau muss man sagen, und das hat mir Simon Wiesenthal gesagt, Schuld ist nie kollektiv, für nachfolgende Generationen nicht. Schuld ist immer individuell, aber Verantwortung ist es. Und daher haben wir als nachfolgende Generationen dafür zu sorgen, dass so etwas zumindest in unserem Lande nie wieder passiert.

NH: Die Dokumentationen wurden ja nicht nur hier gerne gesehen, auch im Ausland. Wie waren da die Reaktionen?

GK: Sehr positiv, und auch mit Genugtuung, dass endlich einmal Filme über das sogenannte „Dritte Reich“ aus Deutschland kamen. Als wir anfingen, hatte die BBC global betrachtet fast schon ein Alleinvertretungsrecht für dokumentarische Darstellung von Geschichte, nicht zuletzt deutscher. Wir fanden, dass das gar nicht geht.

Wir sind selbst verantwortlich für die Darstellung von Geschichte und müssen uns selbst kümmern. Man war wirklich froh, dass wir das getan und große Serien gemacht haben. Die Tatsache, dass diese Serien zum Teil in über 150 Ländern gelaufen sind, ist ein Indiz dafür, dass dieser deutsche Zugang für Darstellung von Geschichte international angekommen ist.

Es war am Anfang so, dass das Interesse sich auf die Thematik „Drittes Reich“ konzentrierte. Es hat ein wenig gedauert, bis ich unsere Partner dazu bewegen konnte, sich auch für andere Themen der deutschen Geschichte zu interessieren. Ich erinnere mich noch, wie ich meinen Freund Charlie (Nachname fehlt), den Chef des History Channel, dazu zu überreden versuchte.

Der Wettlauf zum Suedpol von Guido Knopp
Der Wettlauf zum Suedpol von Guido Knopp
Nicht nur Hitler. Guido Knopp "Der Wettlauf zum Südpol".

Wir haben so gute Serien jenseits der Nazizeit, etwa über die Geschichte der Bundesrepublik, die Geschichte der Bundeskanzler. (Charlie) How boring, Guido! Wie langweilig. What’s your next Hitler-project? Das war so eine Phase. Gott sei Dank hat sich das gelegt und sie haben allmählich auch andere Serien genommen, unsere Reihe über die Geschichte der Deutschen, wo wir aus dem Ghetto des 20. Jahrhunderts ausgebrochen und bis ins 10. Jahrhundert vorgedrungen sind und die Geschichte von den Anfängen bis heute erzählt haben.

NH: Das war eine Reihe, mal komplett mit Spielszenen.

GK: Nicht komplett, es gab Historiker-Kommentare, aber wenn Sie außerhalb des 20. Jahrhunderts etwas machen möchten, müssen Sie Spielszenen verwenden. Es gibt ja nichts anderes. Die müssen auf einem sehr hohen Niveau sein, dass sie vom Publikum angenommen werden. Wir haben da ein wenig Geld in die Hand genommen und es so gemacht, dass das alles sehr Prime-Time-fähig ist. Es ist sehr gut angenommen worden. Man sah schon bei der ersten Folge, über „Otto und das Reich“, da hatten wir 6,5 Millionen in der Spitze und das war ein großer Erfolg.

NH: Zur Prime Time läuft ja oft ein Krimi oder ein Tatort und dergleichen. Da ist es doch an sich ein Wagnis, eine Dokumentation zu bringen. Wie war die Zuschauerstruktur?

GK: Einer meiner Chefredakteure, Nikolaus Brender, hat mal gesagt, das ZDF wird durch Geschichte jung. Er hat das deshalb gesagt, da unser Zuschauerschnitt jünger war als der des ZDF im Allgemeinen. Es ist ja ein Phänomen von ARD und ZDF, dass wir ein relativ altes Publikum haben. Alt im Sinne, so ab 65 Jahre.

Wir hatten teilweise einen Schnitt ab 59 Jahren und jünger, eine deutliche Verjüngung. Und wir hatten auch in der Gruppe der 14 bis 49-jährigen mehr Zuschauer als es das ZDF im Allgemeinen hatte. In sofern ist das ein Indiz, dass wir die Zuschauer von 8 bis 99 Jahren interessieren wollten, die Hundertjährigen natürlich auch, relativ nah herangekommen sind. Nicht nur, was die Altersstruktur betrifft, sondern auch die Bildungsstruktur.

NH: Für die Dokumentationen haben Sie mit Wissenschaftlern, Historikern zusammen gearbeitet. Sind Sie manchmal Gefahr gelaufen, es zu wissenschaftlich zu gestalten?

GK: Es war von Anfang an mein Ansatz, nicht in diese Falle zu tappen. Wissenschaftler als Berater haben bei einem Film nur zwei Mal eine wichtige Aufgabe. Wenn es am Anfang darum geht, ein Drehbuch anzuschauen und abzunehmen, und Fehler zu korrigieren. Und dann drehen die Teams und dann nehme ich später den Rohschnitt ab, und kläre den Kommentartext ab.

Wenn der abgenommen ist, geht der wieder an die wissenschaftlichen Berater, und die schauen, ob der Kommentar verifiziert ist, mit den wissenschaftlichen Kenntnissen übereinstimmt. Das hat wunderbar geklappt. Bei „Die Deutschen“ war es so, dass wir aufgrund mangels Zeitzeugen, Wissenschaftler auch im On (Einspieler mit Interview) integriert haben, für kurze Statements zu bestimmten Sachverhalten der Geschichte. Das war eine Ausnahme.

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Spielszenen machen in Dokumentationen Geschichte begreiflich.

NH: Es bleiben zahlreiche Dokumentationen. Welche hätten Sie gerne noch gemacht?

GK: Wenn Sie mich so fragen, dann sage ich: Was ich nicht gemacht habe, und zwar aus verschiedenen Gründen, ist eine große Geschichte der Bundesrepublik ab 1945.

Ich habe eine Serie über Kanzler gemacht, und viele Einzeldokumentationen für das Spätabendprogramm „ZDF History“, aber eine groß angelegte Geschichte, 14-18 teilige Reihe, habe ich nicht gemacht, weil wir genau wussten, von den Vorhersagen, der Medienforschung, dass ist auf einem Prime Time Termin nicht präsentabel.

Das wird nicht genügend Zuschauer haben. Das kann man machen, bei einem Spätabendtermin oder bei unseren Tochtersendern, wie Phoenix, für die ich immer noch aktiv bin. Die haben aber nicht die Mittel, die es braucht, um das hochattraktiv und groß zu machen. Es ist ein zweischneidiges Schwert, weshalb ich das nicht realisiert habe.

NH: Eine letzte Frage. Eine Zeitreise. Wo würden Sie gerne hinreisen, mit der Option natürlich, wieder zurückreisen zu können?

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Guido Knopp: "Goethe und Napoleon. Mit der Medizin von heute."

GK: Ich würde gerne in die Zeit, Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, die Napoleonische Ära aber auch die Goethe-Ära. Da ist wahnsinnig viel passiert, in Deutschland, in Europa. Eine Umbruch-Zeit. Man sieht es an der Mode, die damals angesagt war, an den Möbeln. Ich sammle antike Möbelstücke und mich interessiert diese Phase, spätes Rokoko und Empire. Diese Zeit des Aufbruchs und Umbruchs zu erleben wäre natürlich reizvoll. Am liebsten in Weimar. Aber, und das mit einem großen Aber, mit den medizinischen Möglichkeiten von heute.

NH: Herr Knopp, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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Björn Berge: Atlas der verschwundenen Länder

Atlas der verschwundenen Länder Book Cover
Atlas der verschwundenen Länder Björn Berge Verlag: dtv Erschienen am: 09.03.2018 Seiten: 239 ISBN: 978-3-423-28160-7

Inhalt:

Es gibt unzählige Länder, die im Laufe der Zeit wieder von den Landkarten verschwunden sind, und von vielen ist nichts geblieben. Björn Berge hat sich für diesen Atlas der anderen Art von seiner Briefmarkensammlung inspirieren lassen.

Angeregt von diesen kleinsten Dokumenten der Welt hat er sich auf eine spannende Spurensuche begeben und lässt alte Länder und Zeiten wieder auferstehen. Es finden sich bekannte Namen wie Helgoland, Schleswig und Danzig ebenso wie extische, darunter Inini, Sazan oder Kap Juby. (Klappentext)

Rezension:
Es gibt viele Arten Macht auszuüben und zu zeigen, Briefmarken heraus- und in den Druck zu geben, war viele Jahrhunderte eine davon. Sie zeigen, wer gerade zu jener Zeit die politische und wirtschaftliche Macht innehatte, die Art des Druckes lässt auf die Eigenheiten jener Regionen, den Wünschen und Vorstellungen ihrer politischen Führer, Ansprüche erkennen.

Das Material z.B. der Farbe, des Papiers, des Klebers auf die Voraussetzungen, auf die man sich örtliche einlassen musste. Ein gefülltes Briefmarkenalbum erzählt Geschichten von Städten, Ländern, und Politik, in aller erster Linie jedoch von denen, die sie benutzten.

Björn Berge hat sein Briefmarkenalbum hervorgeholt und dabei besondere Wertzeichen genauer unter die Lupe genommen. Der Autor nimmt seine Leser mit in längst vergessene Zeiten, Länder, die es nicht mehr gibt. Wie mit dem in etwa vergleichbaren „Atlas der erfundenen Orte“ von Edward Brooke-Hitching, ist mit den vorliegenden Werk dem dtv-Verlag ein erneuter Coup gelungen.

Das Sachbuch, welches sich auf den ersten Blick mit einem etwas langweiligeren Thema bechäftigt, offenbart, wie einst die Welt ausgesehen hat und welche Macht- und Ränkespiele sich überall auf unseren Planeten über die jahrhunderte lang abgespielt haben.

In Form von Postwertzeichen, nicht unbedingt wertvoll, gebraucht und zerschlissen sowie so, erzählt der Autor ihre Geschichte, die heute fast vergessen ist. In kurzweiligen, jeweils gerade einmal ein paar Seiten langen Kapiteln, begibt sich der norwegische Autor auf Spurensuche.

Ergänzt durch Personengeschichte und immer mit Quellenangabe weiterführender Literatur, manchmal auch ortsüblichen Kochrezepten und Berichten von damals dort lebenden Personen, ist eine bunte Mischung von Geschichten entstanden, die vom kurzen oder längeren Leben der Länder erzählen, die sich so selbstsicher fühlten, um eigene Briefmarken herauszugeben, und doch heute im Nirvana der Geschichte verschwunden sind.

Detailliert beschreibt der Autor die im Mittelpunkt stehenden Marken und offenbart, dass sie keineswegs nur dröges Papier darstellen, sondern Gegenstände, die etwas zu erzählen haben.

Es ist ein Buch für Sammler und Fans mitunter kurioser, aber immer auch spannender Geschichtsschreibung, die von wechselhaften Mächteverhältnissen, Glücksrittern und Pechvögeln, kolonialen Größenwahn und Entdeckerstolz erzählt, aber auch von den Unglücken, mitunter in recht kurzer Zeit, von den Landkarten und damit vom Tableau der Weltgeschichte zu verschwinden.

Immer mit Weitblick, so manches Mal mit Stirnrunzeln und oft mit einer Brise Scharfsinn und Humor liegt mit dem „Atlas der verschwundenen Länder“ ein besonderes Geschichtsbuch vor, welches dazu anregt, seine eigene (oder geerbte) Briefmarkensammlung hervorzuholen und auf Entdeckungstour zu gehen.

Vielleicht finden sich ja noch mehr spannende Geschichten, die es zu erzählen gilt?

Autor:
Björn Berge ist ein norwegischer Architekt und Wissenschaftler, der eine Leidenschaft für’s Wandern und dem Sammeln von Treibgut hegt. Sein zweites großes Projekt ist eine Sammlung von Briefmarken, von allen Ländern, die je auf der Erde existiert und welche herausgegeben haben.

Im vorliegenden Buch stellt er eine Auswahl von Briefmarken und deren Geschichten vor.

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Ian Kershaw: Höllensturz – Europa 1914 bis 1949

Höllensturz - Europa 1914 bis 1949 Book Cover
Höllensturz – Europa 1914 bis 1949 Ian Kershaw DVA Erschienen am: 12.09.2016 Seiten: 764 ISBN: 978-3-421-04712-9 Übersetzung: Klaus Binder (u.a.)

Inhalt:

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stürzt sich Europa in eine selbstverschuldete Katastrophe, die historisch ohne Beispiel ist. Über drei Jahrzehnte hinweg, von 1914 bis 1949, prägten Kriege, Völkermorde, Vetreibungen und politische Unruhen die Geschichte des Kontinents.

Ian Kershaw gelingt ein Glanzstück der modernen Geschichtsschreibung in seiner Schilderung dieser gleichermaßen faszinierenden wie beklemmenden Ära, in der Europa sich beinahe selbst zerstört hätte.

Meisterlich denkt er die wichtigsten Entwicklungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der europäischen Länder zusammen und führt uns die Auswirkungen des tiefgreifenden Wandels auf das Leben von Millionen von Menschen vor Augen. (Klappentext)

Rezension:

Sehr umfangreiche und detaillierte Sachbücher führen wohl ein Nischendasein in unseren Buchhandlungen, doch entdeckt man unter den „Wälzern“ bei genaueren Hinsehen immer wieder Schätze, die es sich zu Betrachten lohnt.

Ian Kershaw ist ein Garant für solch eine Literatur, die selbst mit der Thematik vertrauten Lesern neues und vielschichtiges Hintergrundwissen vermittelt. Hier zumeist inhaltlich sich mit den Zweiten Weltkrieg und Hitler als Person befassend.

Aber auch der große Zeiten-Überblick gelingt dem britischen Historiker, der sich wissenschaftlich und auch sonst wieder einmal ein Denkmal zwischen zwei Buchdeckeln geschaffen hat.

„Höllensturz – Europa 1914 bis 1949“, erzählt die Geschichte eines Kontinents in Umbruch, von Ländern, die sich gegenseitig in unvergleichliche Abgründe getrieben haben und von Menschen, die ihresgleichen millionenfach in zwei schrecklichen Kriegen vernichteten.

Es ist unsere Geschichte, die zum Fanal für mehrere Generationen und ihrer Auswirkungen, die noch mehrere Jahrzehnte spürbar waren. Europa im modernen beinahe 30-jährigen Krieg.

Ian Kershaw hat sich der schwierigen Thematik angenommen und beleuchtet dieses Mal nicht nur die geschichte der Deutschen, sondern die Geschichte der großen und kleinen Länder des kontinents.

Er erläutert detailliert, wie es zur Urkatstrophe des 20. Jahrhunderts kommen konnte und weshalb vor 1949 demokratische Staatsformen Schwierigkeiten hatten, sich zu etablieren.

Der Autor analysiert den Niedergang des British Empire zugleich mit den Aufstieg der USA und das auseinanderbrechende Mächtegleichgewicht zwischen Frankreich, dem Deutschen Reich und dem Russischen Reich, erklärt weshalb der Staat der Habsburger in einer Kettenreaktion seinem Untergang entgegen kämpfte, die schließlich auch andere Staaten ins Unglück stürzte.

Messerscharf beleuchtet er gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Komponenten, macht fassbar, was unfassbar ist.

Geschichte begreiflich zu machen, ist die vornehmste Aufgabe der Historiker und Ian Kershaw beherrscht dies perfekt. Bewiesen hat er es schon mit seiner Hitler-Biografie, die in der wissenschaftlichen Aufarbeitung Maßstäbe setzte, hier legt der Historiker jedoch noch eine Schippe drauf.

Natürlich ist der Einstieg in die Thematik nicht einfach, tatsächlich wird, wer die Detailliertheit und Informationsfülle nicht gewohnt ist, Schwierigkeiten bekommen. Und ja, Vorbildung und Interesse empfiehlt sich.

Wer jedoch Geduld mitbringt, wird mit umfangreichen Analysen, verständlich gezogenen Linien von Überblickswissen und einer Genauigkeit belohnt, die ihres Gleichen sucht.

Ian Kershaw setzt hier Maßstäbe in der Verarbeitung von unzähligen Quellen, dessen Verzeichnis knapp gehalten ist, jedoch auf das unfassbar zahlreiche Material hinweist, welches dem Autoren zur Verfügung stellt. Geschichtswissenschaft für Fachleute und das gemeine Volk, Kershaw schafft beides.

Es ist Lektüre, die ein hohes Maß an Konzentration erfordert, deren Leser jedoch mit Wissen, neuen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen belohnt werden. Es ist die Aufarbeitung des 20. Jahrhunderts aller europäischen Völker, welche sich Ian kershaw zu einem Langzeitprojekt gemacht hat.

Die zweite Hälfte, eine glücklichere Zeit, wird ebenso ausgearbeitet erscheinen, so zumindest der Historiker im Vorwort, der wissenschaftlich korrekt auf die Vielzahl an Arbeiten anderer Historiker hinweist, die auch ihm als Grundlage zum Schreiben dienten.

Das Lesen solcher Bücher ersetzt den Geschichtsunterricht und wirkt effektiv nach. Geschichte muss nicht trocken sein, Sachbücher nicht pur theoretisch, so gelingt moderne Vermittlung, auf dass sich die Vergangenheit nicht wiederholen mag.

Kershaw appeliert an unser Gewissen, denn der nächste Krieg, soviel ist 1949 schon klar, hat das Potential, die Menschheit völlig zu vernichten. Eingeleitet durch Zitate berühmter Personen aus Politik und Kultur jener Zeiten schwebt in den ausführlichen Kapiteln diese Warnung wie ein Damoklesschwert über die Köpfe der Leser.

Uns sollte daran gelegen sein, es nicht hinunterfallen zu lassen.

Autor:

Sir Ian Kershaw wurde 1943 in Oldham, Lancashire geboren und ist ein britischer Historiker, der durch seine Schriften zum Nationalsozialismus, besonders durch seine Hitler-Biografie Bekanntheit erlangte.

Nach der Schule studierte er geschichte und war zunächst Dozent für Mittelalterliche und Moderne Geschichte an der University of Manchester. Nebenbei erlernte er im Goethe-Institut seiner Stadt die deutsche Sprache und verlagerte seinen Tätigkeitsschwerpunkt auf die deutsche Geschichte.

1983/84 hatte er eine Gastprofessur an der Ruhr-Universität Bochum inne, 1987 nahm er eine Professur in Nottingham an, später in Sheffield, wo er bis Ende september 2008 Geschichte lehrte. Zahlreiche Auszeichnungen erhielt er für seine Aufarbeitung deutscher und europäischer Geschichte, u.a. das Bundesverdienstkreuz.

2002 wurde er zum Ritter geschlagen. 2012 erhielt er den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. 2013 wurde er für sein Lebenswerk mit den Meyer-Struckmann-Preis geeehrt. Seine Werke gelten als geschichtswissenschaftliche Standardliteratur.

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Guido Knopp: Meine Geschichte

Meine Geschichte Book Cover
Meine Geschichte Guido Knopp C. Bertelsmann Erschienen am: 13.11.2017 Seiten: 320 ISBN: 978-3-570-10321-0

Inhalt:

Mister History blickt zurück: Guido Knopp, der das neue Geschichtsfernsehen prägte und damit für Millionen Zuschauer zum wichtigsten Geschichtslehrer wurde, verknüpft pointiert und anekdotenreich zentrale gesellschaftliche und politische Entwicklungen der vergangenen sechs Jahrzehnte mit prägenden autobiografischen Stationen und persönlichen Erlebnissen.

Immer vor dem Hintergrund seines Lebensthemas, der deutschen Geschichte. Ein Buch nicht nur für seine Zuschauer und Leser, die ihm über Jahrzehnte treu geblieben sind. (Klappentext)

Rezension:
Geschichte muss nicht trocken sein, nicht langweilig oder gar oberlehrerhaft rübergebracht werden, um ihrer gerecht zu werden. Im Gegenteil, ist sie doch in all ihren Facetten spannend und durchaus erkenntnisreich. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Wenn es ein Fazit bedarf, welches man aus Guido Knopps Arbeit ziehen darf. Lehrer setzen seine Dokumentationen im Unterricht ein, Wiederholungen einzelner Senderreihen bringen den Schwestersendern des ZDF immer noch gute Quoten, DVD-Verkäufe inmmer noch ordentliche Ergebnisse.

Doch, wer war der Mann, der als Initiator hinter all den Dokumentationen steckte, dem oft vorgworfen wurde, zweifelhafte Personen der Geschichte zu verherrlichen, der neue Dokumentationstechniken anwendete, die heute zum Standard gehören und das Geschichtsverständnis nun schon mehrerer Generationen zumindest mitprägte? Wer war Mr. History?

Erzählt wird seine Geschichte nun von ihm selbst. In seiner Biografie „Meine Geschichte“ zeichnet Guido Knopp, gespickt immer wieder mit amüsanten Anekdoten, sein Leben nach und immer wieder auch ein Stück Fernsehgeschichte des ZDF.

Er berichtet von dem Aufbau seiner Redaktion bis zur Gestaltung der ersten Sendungen, gibt Einblick in den Aufwand, der hinter all den zahlreichen Dokumentationen steckt und wirft einen humorvollen Blick auf seine Kritiker, die ihm seine Erfolge mitunter neideten.

Er beschreibt das Wie und Warum, erklärt, wie Neuerungen in der fernsehtechnischen Gestaltung zunächst das Feuilleton althergebrachter Zeitungen verärgerte, und es zum Ruf der „Verknoppung“ der Geschichte kam.

Kurzweilig und spannend, wie auch seine Beiträge, seine Dokumentationen zur deutschen Geschichte ist auch seine eigene. Wer „Fan“ seiner Arbeiten ist, empfiehlt sich die Lektüre ohnehin, wer Kritiker ist, dem sei „Meine Geschichte aus dem C.Bertelsmann-Verlag ebenfalls ans Herz gelegt.

Wie entstanden bestimmte Sendungen, welcher Aufwand, der für den Zuschauer so nicht sichtbar ist, musste betrieben werden, um Sendereihen zu komplizierten Themen zu füllen, gerade wenn die Türen sich nur per Staubsauger öffnen ließen (sinnbildlich gesprochen)?

Wo waren die Grenzen der ZDF Redaktion Zeitgeschichte und wie die Resonanz in Deutschland, Europa und der Welt? Welche Historiker arbeiteten im Hintergrund mit, welche historischen Persönlichkeiten, von Berühmt bis zum zufällig gewesenen Zeitzeugen gaben Einblicke in die Geschehnisse?

Guido Knopp erinnert sich und kann sich damit getrost einreihen, in die Aufzeichnungen der Gespräche, die er und sein Team mit den verschiedensten Interviewpartnern geführt haben.

Das Kind des Wirtschaftswunders, welches die brotlose Kunst der Geschichte studierte, und diese selbst so spannend zu erzählen wusste, wie einst sein Lehrer auf seinem Gymnasium und sich damit um seiner Lieblingsthematik verdient machte.

Interessenten, die nicht zuletzt ein Stück Fernsehgeschichte nachempfinden und einen Blick hinter die Kulissen werfen möchten, und auch sonst, eine unbedingte Leseempfehlung. Geschichte ist spannend wie ein Krimi und es unbedingt wert, sie zu erzählen.

Was ist eigentlich "Verknoppung"?

Guido Knopp setzte als einer der ersten Spielszenen ein, wo historisches Filmmaterial nicht ausreichte, bestimmte Ereignisse der Geschichte darzustellen. Heute ein gängiges Mittel in den Fernsehtechniken unserer Zeit, war dies damals noch eine neue ungewohnte Technik.

„Nicht authentisch“, lautete das Urteil einiger großer Zeitungen. Zudem wurde Geschichte erstmals nicht nur chronologsich erzählt, sondern anhand von bestimmten Ebenen (z.B. anhand von Personenhierarchien), um eine bessere Nachvollziehbarkeit zu gewähren. Auch dies damals ein Novum.

Zudem wurde historisches Filmmaterial mit Kommentaren unterlegt, Personen nicht vor wertenden, sondern neutralen Hintergründen interviewt.

Auch dies, und die Präsentation geschichtlicher Themen, nicht „oberlehrerhaft“, zur Primetime, um für Aufklärung Reichweite zu bringen, brachten Guido Knopp und seiner Redaktion bestimmte Kritiken ein. Andere, wie Johannes Rau oder Simon Wiesenthal lobten Knopp für seinen Beitrag zum Geschichtsverständnis seiner Zuschauer.

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Autor:
Guido Knopp wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Journalist, Historiker, Publizist und Moderator. Nach der Schule studierte er Geschichte, Politik und Publizistik und arbeitete zunächst als Redakteur verschiedener Zeitungen.

So war er u.a. für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und der „Welt am Sonntag“ tätig. 1978 wechselte er zum ZDF und leidete ab 1984 die von ihm initiierte Redaktion „Zeitgeschichte“. Neben der Podiumsdiskussionsreihe „Aschaffenburger Gespräche“ verantwortete er zahlreiche Dokumentationsreihen zur deutschen Geschichte.

Seit 2010 ist er Vorsitzender des Vereins „Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation.“ Guido Knopp erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. die „Goldene Kamera“ oder den „Emmy“. Er lebt mit seiner Familie in Mainz.

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John Boyne: Der Junge auf dem Berg

Der Junge auf dem Berg Book Cover
Der Junge auf dem Berg John Boyne S. Fischer Verlag Erschienen am: 24.08.2017 Seiten: 302 ISBN: 978-3-7373-4062-5 Übersetzung: Ilse Layer

Inhalt:

Als Pierrot seine Eltern verliert, nimmt ihn seine Tante zu sich in den deutschen Haushalt, in dem sie Dienst tut. Aber dies ist keine gewöhnliche Zeit: Der Zweite Weltkrieg steht unmittelbar bevor. Und es ist kein gewöhnliches Haus: Es ist der Berghof – Adolf Hitlers Sommerresidenz.

Schnell gerät der Junge unter den direkten Einfluss des charismatischen Führers. Um ihm seine Treue zu beweisen, ist er zu allem bereit – auch zum Verrat. (Klappentext)

Rezension:

Der Junge, noch Kind, welches die Ereignisse um sich herum nicht einzuordnen weiß, gerät unter den Einfluss des größten Despoten und Diktatoren aller Zeiten, nimmt dessen Denken an und stürzt sich und seine Umgebung in einem Strudel aus Katastrophen.

Dieses Gerüst ist die Grundlage für John Boynes neuen Roman, der sechs Jahre nach „Der Junge im gestreiften Pyjama“ nun in Deutschland erschienen ist. Erschienen, wieder im S. Fischer Verlag nimmt der Leser erneut die Position eines Jungen ein, der mit dem Grauen des NS Regimes in seiner ganzen Härte konfrontiert werden wird, und der sich bald bereit dazu ist, alle Grenzen menschlicher Moral beiseite zu fegen.

Einfühlsam beschrieben, entwickelt der Leser schnell Sympathie für den Hauptprotagonisten, der jedoch schnell abschreckend wirkt. Nicht zuletzt dem rasanten Schreibstil geschuldet, erleben wir ein Gefühlschaos und die Macht der Vereinnahmung durch grausamste Ideologie.

Zu was sind wir fähig, wenn wir ständig bestimmten Einflüssen ausgesetzt sind? Welche Entscheidungen fallen wir, wenn wir ständig von deren Richtigkeit überzeugt werden, obwohl wir es eigentlich besser wissen müssten? In wie weit sind wir bereit, moralische Grenzen zu verschieben, um anderen zu gefallen? Wann genau hört unser menschliches Gewissen auf zu existieren?

John Boyne stellt seinen Lesern diese Fragen, die sich sowohl mit der größten menschlichen Bestie aller Zeiten konfrontiert sehen, als auch mit einem Jungen, der über die Zeit hinaus verdorben werden wird. Es ist ein kleiner Roman, der beschäftigen und aufwühlen, zum Nachdenken anregen wird. Anschaulich beschrieben, rasantes Tempo rennt der Leser samt Protagonist dem Abgrund entgegen.

Eine Geschichte gegen das Vergessen und über das Fällen von Entscheidungen, entweder den leichten falschen oder den schweren richtigen Weg zu gehen. Am Ende steht die Hauptfigur vor eben dieser Frage. Der Leser wird nach der letzten Seite noch lange über die Antwort nachdenken.

Autor:

John Boyne wurde 1971 in Dublin geboren und ist ein irischer Schriftsteller. Seine Romane wurden in über 50 Sprachen versetzt, sein Buch „Der Junge im gestreiften Pyjama“ (2006/2007) mehr als neun Million Mal verkauft. Bevor er als Autor arbeitete, studierte er Englische Literatur und Kreatives Schreiben. Boynes Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, in Deutschland u.a. mit dem Jugendliteraturpreis 2008.

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Michael Gruenbaum: Wir sind die Adler

Wir sind die Adler Book Cover
Wir sind die Adler Michael Gruenbaum/Todd Hasak-Lowy Rowohlt Kindler Erschienen am: 22.04.2017 Seiten: 346 ISBN: 978-3-463-40679-4 Übersetzer: Jan Möller

Inhalt:

Michael -Mischa- erlebt eine behütete Kindheit in Prag. Er spielt gern Fußball, der Vater ist ein erfolgreicher Anwalt. Doch als Mischa gerade acht Jahre alt ist, marschieren die Deutschen ein. Die Repressionen nehmen zu, bis zur Gründung des Prager Ghettos, in dem Mischa mit seiner Familie landet.

Aber das ist nicht die Endstation: 1942 wird er mit Mutter und Schwester ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Dort lebt er mit vierzig anderen Jungen in einem Schlafsaal unter der Leitung von Franta, der die Jungen heimlich unterrichtet – vaterfigur, Beschützer und Mentor zugleich.

Die Kinder bilden eine verschworene Gemeinschaft, viele wachsen Mischa ans Herz wie Brüder. Doch über allen schwebt stehts die Angst, in einem der Züge gesetzt zu werden, die an einen Ort namens Auschwitz fahren… (Klappentext)

Rezension:

Genreübergreifende Werke haben das Zeug dazu, etwas weiter oben auf den Bücherstapeln der Läden zu landen, gerade wenn sie eine beeindruckende Geschichte zur Grundlage haben. Und so liegt mit „Wir sind die Adler“, ein beeindruckendes Werk aus dem Kindler-Verlag vor, welches sowohl eine Kindheitsbiografie, Zeitgeschichte, Kriegsroman und Jugendbuch darstellt.

Eines, dass es in sich hat. In Romanform erzählt wird die Geschichte von Michael Gruenbaum, der als Junge in Prag aufwächst, seine Eltern gehören zu den angesehenen Familien der tschechoslowakischen Hauptstadt, als die Nazis einmarschieren.

Sofort gibt es überall Einschränkungen, Verordnungen, Verbote, die der anfangs achtjährige Junge nicht begreifen kann. Er ist Jude und damit plötzlich am Rande der Gesellschaft. Die Ausgrenzungen fangen beim Vebrot des betretens bestimmter Straßenzüge an, bishin zur Jagd über die selben durch Gleichaltrige.

Das Geld wird knapper, die Eltern verlieren ihre Arbeiten, schließlich wird der Vater mitgenommen. Mischa sieht später nur noch den Sarg auf der Beerdigung. Dann kommen Deportationsbescheide. Terezin, die große Unbekannte und auch dort wird das Leben ständig bedroht.

Der Junge findet sich schnell ein, zwangsläufig, doch spürt er, wie er immer mehr an den Rand des Todes rückt. Wahre Geschichte ist immer noch die eindrücklichste, besonders wenn sie in einem Zeitraum spielt, den wir nicht vergessen sollten.

Und, wenn sie gut erzählt ist. Michael Gruenbaums Kindheit aus den Erinnerungen aufgeschrieben, ausformuliert von einem der besten Jugendbuchautoren Amerikas, fesselt, fasziniert und stößt den Leser in die Abgründe menschlicher Grausamkeiten, die für die besetzten Völker Europas und besonders für die jüdischen Bürger der betroffenen Länder, Realität wurden.

Am Anfang nur Gerüchte, die kaum zu glauben waren, wurde bald den meisten Menschen klar, welches die Ziele der „Herrenmenschen“ waren. Hasak-Lowy und Gruenbaum beschreiben dessen Erlebnisse aus Kindessicht auf.

Der Junge muss in einem viel zu kleinen Körper zu schnell erwachsen werden und handeln, um zu überleben. Mehr als einmal kommt er nur um Haaresbreite mit dem Schrecken davon.

Der Leser spürt all die Ängste, die Unsicherheiten, die Verzweiflungen, wenn wieder einmal Freunde verschwinden, schlechte Nachrichten aus anderen lagern eintreffen oder der Hunger übermäßig wird.

Hasak-Lowy merkt man die gute Schreibarbeit, selbst in der Übersetzung, an. Auch die Rechercheleistungen sind großartig. Wer einmal die Schauplätze in Prag und Terezin besichtigt hat, kann sich sofort hineinversetzen, wer diese Orte noch nicht betreten hat, wird den Wunsch verspüren, den Jungen aus dieser Hölle herauszuholen.

Michael Gruenbaum erinnert sich und Hasak-Lowy hat ergänzt, hat ereignisse rekonstruiert und so findet der Leser, der sich schon länger mit den Kindern von Theresienstadt beschäftigt, Jungen wie Petr Ginz oder Zdenek Taussig wieder, durchleidet deren Schicksale.

Kinder sagen immer die Wahrheit, nehmen die Welt mit ihren Augen neugierig auf, haben Hoffnungen und Träume, finden das kleine Glück auch in schwersten Zeiten. Dies gelingt den Autoren zu zeigen und zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Werk, welches für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen gut lesbar und beeindruckend ist.

Wieder ein Stück Personengeschichte, welches für die Nachwelt unbedingt bewahrt werden muss. Mit der Veröffentlichung im englisch- und deutschsprachigen Raum ist schon mal ein erster Schritt getan.

Michael Gruenbaum und den vielen anderen Kindern in Theresienstadt, besonders denen, die es nicht geschafft haben, ist es zu wünschen, dass dieses Buch viele Leser findet.

Autoren:

Michael Gruenbaum wurde 1930 in Prag geboren, wo er bis zu seiner Deportation nach Thersienstadt (Terezin) mit seiner Familie lebte. Nach der Befreiung des Ghettos wanderte er 1950 in die USA aus, wo er studierte und zwei Jahre in der US-Army diente.

Er arbeitete im öffentlichen Dienst, gründete eine Beratungsfirma und engagierte sich im Bereich Stadtplanung. Noch bis in die 2000er Jahre gab es Wiedersehenstreffen der überlebenden Jungen aus Theresienstadt.

Todd Hasak-Lowy ist Kinder- und Jugendbuchautor. Er promovierte in Vergleichende Literaturwissenschaft auf der University of California, Berkeley, war zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann außerordentlicher Professor für Hebräisch und Literatur an der University of Florida.

Er gab diese Position auf und schrieb Romane, wie „Dass ich ich bin, ist genau so verrückt wie die Tatsache, dass du du bist“. Für die Kindheitsgeschichte von Michael Gruenbaum fungierte er als Co-Autor. Er übersetzt hebräische Werke ins Englische und gibt Kurse in Kreatives Schreiben an der School of Arts Institute in Chicago.

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György Dalos: Der letzte Zar

Der letzte Zar Book Cover
Der letzte Zar Rezensionsexemplar/Sachbuch C.H. Beck Verlag Seiten: 231 Hardcover ISBN: 978-3-406-71367-5

Inhalt:

„Was? Wie?“, fragte der Zar – und instinktiv schützte er mit einer Hand die Zarin, mit der anderen den Zarewitsch. Dann wurde das Feuer eröffnet. Jekaterinburg, 17. Juli 1918, zwei Uhr morgens.

In der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 1918 wurde Zar Nikolaus II. mit seiner Frau und der gesamten Familie von einem Kommando der Tscheka in Jekaterinenburg ermordet. Der Alptraum aller Monarchien, der sich in Aufständen, Verschwörungen und Attentaten schon angedeutet hatte, war Wirklichkeit geworden. In dieser historisch fundierten, lebendigen Darstellung wird deutlich, wie das beständige politische Versagen der Romanow-Dynastie den revolutionären Prozess befeuert hat, den der letzte Zar nicht mehr aufhalten konnte. […] (Verlagstext)

Rezension:

Mit Schüssen endete die über dreihundert Jahre alte Dynastie der Romanows und die Herrschaft von Nikolaus II., der sein Amt einst ebenso glücklos angetreten hatte, wie es endete. An der Macht durch seinen Vater nie herangeführt, eignete er sich nicht dazu, dass höchste Amt des Russischen Reiches auszufüllen, zögerte in politischen und familiären Entscheidungen, was zu damaliger Zeit auf Gleiches hinaus lief und führte die letzte absolute Monarchie Europas in ihren Untergang.

Die Tragik eines Menschen, zu dem die Rolle eines Gutbesitzers mehr gepasst hätte, als die des letzten Zaren, skizziert in einer Kurzbiografie. György Dalos hat sich diesem Projekt angenommen. Der ungarische Historiker und Publizist György Dalos hat hier den Versuch gestartet, kurz und präzise etwas zu beschreiben, was an sich langen und ausführlichen Erklärungen bedarf.

Informationen, wie eines zum anderen führte, wie das Herrschaftssystem der Romanows bröckelte und welche Einflussfaktoren sonst noch zum Zusammenbruch und scheitern führten, werden gnadenlos zusammengefasst. Wichtige Inhalte oder alleine die Tragweite des Laufs dieser Tage gehen verlorenoder kommen zu kurz. Gut und verständlich geschrieben ist diese Biografie eines besonderen Zeitabschnitts zwar, dies hilft jedoch wenig.

Mehr als einen kleinen, unvollständigen Überblick, bekommt man nicht. Der Ausschnitt aus der Biografie Nikolaus II., hätte winziger nicht gewählt werden können.

Als weiteres Ergänzungswerk braucht man dalos nicht zu lesen. Wer aber noch nie etwas von den Romanows gehört hat, sich noch nie damit beschäftigt hat, dem genügt „Der letzte Zar – Der Untergang des Hauses Romanow“, um sich einen Überblick zu verschaffen, der in die Thematik einführt.

Für diese Leser ist es verständlich und sehr kurzweilig beschrieben, für andere, die schon etwas mehr Hintergrundwissen besitzen, lohnt sich diese Kurzbiografie jedoch nicht. Zu wenig neue Informationen, zu wenig neue Schlussfolgerungen, zu knappe Analysen.

Da gibt es andere Werke, die lohnender scheinen.

Das ist zwar nicht unbedingt Dalos‘ Problem, alleine daran krankt die Fokussierung auf Personen in der geschichtlichen Betrachtung. Schade aber, dass der Historiker immer knapp und nicht ausführlicher wird. Dabei gäbe es so viel zu erzählen. das historische Quellenmaterial ist üppig, angefangen von den Tagebüchern der Mitglieder der Zarenfamilie selbst, bis hin zum Protokoll der Ermordung eben dieser.

Für einen ersten Überblick ist dieses Werk jedoch gut genug gelesen zu werden, jedoch nicht zu vergleichen mit den Werken eines Sebag Montefoire oder einer Historikerin wie Elisabeth Heresch, die sich schon asuführlicher mit der Zarenfamilie auseinander gesetzt hat. Beim Titel jedenfalls, erwartet man viel mehr als das, was man bekommt. Mehr Seiten hätten dem Genüge getan.

Autor:

György Dalos wurde 1943 in Budapest geboren und ist ein ungarischer Schriftsteller und Historiker, Dalos wuchs bei seinen großeltern auf, da sein Vater 1945 an den Folgen des Arbeitslagers starb, in dass man ihn wegen der jüdischen Herkunft der Familie verbracht hatte.

Von 1962 an studierte er Geschichte in Moskau unf arbeitete anschließend als Museologe in Budapest. 1964 erschien sein erster Gedichtband. Nach Verhängung eines Berufs- und teilweisen Publikationsverbotes war er dann als Übersetzer tätig. 1977 gehörte er zu den Gründern der demokratischen Oppositionsbewegung in Ungarn und 1988/89 war er Teil der östdeutschen Untergrundzeitschrift „Ostkreuz“.

2004 wurde sein Buch „Ungarn in einer Nussschale“ veröffentlicht. Seit 1987 lebt er als freier Publizist in Wien und Berlin, schreibt für Zeitungen und Rundfunksendern. Seine Bücher erscheinen weltweit übersetzt, in mehreren Sprachen.

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Klaus-Dieter Felsmann: Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg

Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg Book Cover
Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg Klaus-Dieter Felsmann/Bernd Sahling Verlag: DEFA Stiftung Erschienen: 01.02.2010 Seiten: 172 ISBN: 978-3-00-030098-1

Inhalt:

Der DEFA-Kinderfilm erfreute sich aufgrund seiner liebevollen Machart und thematischen Vielfalt großer Beliebtheit beim DDR-Publikum. Klaus-Dieter Felsmann beleuchtet nun zum ersten Mal, welche Rolle der DEFA-Kinderfilm in der Bundesrepublik Deutschland spielte.

In Zeiten der politischen Trennung stellte er ein kleines aber durchaus verbindendes Element der Kinolandschaft beider Staaten dar. Dabei wird sein Anteil am Kinderkino der Bundesrepublik und dessen Kinderfilmfestivals, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und seine Wirkungsrelevanz für die Kinderfilmkultur untersucht.

Bernd Sahling führt Gespräche mit den Kinderfilmregisseuren der DEFA. […] Sie berichten aus ihrem reichen Erfahrungsschatz und lassen den Leser Hintergründe und Arbeitsweise der damaligen Produktionen besser verstehen. (Klappentext)

Rezension:

Die Spielfilme der DEFA sind inzwischen Kult. Egal, ob „Moritz in der Litfaßsäule“ oder „Der kleine Muck“, dessen Requisiten man immer noch in den Filmstudios Babelsberg betrachten kann, Kinderfilme waren nicht nur ein verhältnismäßig vom politischen Druck freies Feld für Regisseure in der DDR, sie waren über die Jahre ein kontinuierliches Band zum Westen.

In Kinos in Bayern, im Ruhrpott oder an der Nordsee wurden die Filme gezeigt, ebenso im bundesdeutschen Fernsehprogramm. Doch, wie arbeitete es sich in den Filmstätten in Potsdam?

Wie entstanden die legendären Streifen und welche Voraussetzung gab es auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs für den deutschen Kinderfilm?

Klaus-Dieter Felsmann und Bernd Sahling haben sich durch die Archive der DEFA gearbeitet, Regisseure wie Helmut Dzuba und Hannelore Unterberg interviewt und liefern einen einzigartigen Einblick von der Idee zum Film, bis zum Suchen und der Arbeit mit den Kinderschauspielern und einen Ausblick auf die heutige Situation des Kinderfilms im vereinigten Deutschland.

Die Schriftenreihe der DEFA ist für Cinemasten ein Muss, wird hier doch qualitativ hochwertig ausgewertet, was in den dortigen Studios einst entstand und heute teilweise Sammlerwerte besitzt, die auf Ebay Preise erzielen, wenn sie nicht gar immer mal wieder im Fernsehprogramm oder auch bei öffentlichen Vorführungen zu finden sind.

Es geht um Zahlen, um die Wirkung von Filmen, Technik und Metern von Filmrollen, um nervige politische Diskussionen,w as gedreht werden durfte, was nicht und um das kleine Glück, mit ganz besonderen Darstellerkindern arbeiten zu dürfen.

Unaufgeregt, einige zu verschmerzende Längen mitgenommen, analysieren die beiden Autoren das Filmschaffen von vier Regisseuren, die vor dem Mauerfall viel wollten und teilweise auch machen durften, nach der Wende von der bundesdeutschen Konkurrenz an den Rand gedrängt, da es nun um das Abgreifen von Fördergeldern ging.

Bis auf Günter Meyer konnte keiner der DEFA-Regisseure an frühere Erfolge mehr anknüpfen, doch halten Feldmann und Sahlinger eine für Filmschaffende wundersame zeit fest, die es zu entdecken gilt.

Spannend die Interviews über das Aussuchen der Kinderdarsteller, Drehtage und Entstehungsprozesse, die von einem ganz anderen Tempo und Hintergrund geprägt waren, als es heutige Filmemacher erleben.

Mit einem kritischen Blick in die Entwicklung und der Sparte des Kinderfilms, der von Fernsehschaffenden und Kinobetreibern kritisch beäugt und stiefmütterlich behandelt wird, früher jedoch einen ganz anderen Stellenwert hatte.

Man muss sich schon für Filme interessieren, sollte vielleicht den einen oder anderen zumindest vom Namen her kennen und zeitlich einordnen können, um die Gedankengänge aller Personen zu verstehen, die zu Wort kommen, dann aber ist dies ein beeindruckender Band festgehaltener Filmgeschichte und ein willkommener Anlass, sich diese Filme nochmals zu Gemüte zu führen (heute wieder möglich, da ein Großteil inzwischen auch auf DVD erschienen ist).

Bis dahin kann man sich zumindest lesetechnisch schon mal einstimmen.

Autoren:

Klaus-Dieter Felsmann wurde 1951 geboren und studierte Germanistik und Geschichte, lebt als freier Publizist und Autor in Berlin. 1997 übernahm er die Leitung der „Buckower Mediengespräche“.

Bernd Sahling wurde 1961 geboren und arbeitete nach einem Volontariat im DEFA-Spielfilmstudio babelsberg als Regieassistent, bevor er ein Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen, ebenfalls in Babelsberg, begann. Daneben arbeitete er als Regisseur und autor und gibt Workshops zum Thema Kinderfilme.

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Georg Piltz: Der Prinzenraub und andere historische Kriminalfälle

Der Prinzenraub und andere historische Kriminalfälle Book Cover
Der Prinzenraub und andere historische Kriminalfälle Georg Piltz Das neue Berlin Erschienen am: 24.09.2014 Seiten: 288 ISBN: 978-3-360-02188-5

Inhalt:

Warum entführte Kunz von Kauffungen bei Nacht und Nebel die beiden Prinzen seines Landes? Ist Friedrich II. schuld am grausamen Tod seines Jugendfreundes? Und wie kam es, dass die Mark Brandenbrug in die Hände eines greisen Betrügers fiel?

Der Kunsthistoriker Georg Piltz kannte die Schlösser und Burgen von Sachsen, Thüringen und Preußen wie kein Zweiter. Sie sind Zeugen eenheit voller Intrigen, Mord, Diebstahl und Hexenwahn. Piltz hat ihnen ihre Geheimnisse entlockt und zeigt, wie klug, raffiniert und fintenreichdie gekrönten häupter agierten oder agieren ließen.

Fast immer waren sie schnell und ohne allzu große Hemmungen bereit, sich krimineller Praktiken zu bedienen, wenn es um Machtzwachs und Erhaltung der Staatsräson ging. (Klappentext)

Rezension:

Wer mit offenen Augen durch Ostdeutschland geht, tief in die Geschichte Thüringens, Sachsens oder Preußens eintaucht, entdeckt so manche Überraschungen.

Düstere Zeiten werden erlebbar in den kleinen Heimatmuseen vieler Kleinstädte, wenn es um die Erhaltung der Macht des Adels und seiner Bediensteten geht. Man wird nicht umhinkommen, Schwindler, Betrüger, Mörder zu entdecken, oft gedeckt durch die höchsten Ebenen der Staaten, die sich auf diesen Gebieten einst befanden.

Georg Piltz nimmt uns hier auf eine Zeitreise in unsere Vergangenheit mit und deckt so manche Kuriosität auf, die es in sich und die man unseren Vorfahren gar nicht zugetraut hätte.

Herausgekommen dabei ist ein wundersames, leicht zu lesendes und informatives Portrait von neun historischen Kriminalfällen, die es in sich haben. Einer erstaunlicher als der andere. Der Autor, selbst fasziniert, beleuchtet fachlich versiert, örtliche Gegebenheiten der jeweiligen Zeit, Gründe von Herrschern, Generälen, Adligen und solchen, die sich dafür hielten.

Mit einer leichten Prise Humor, noch viel mehr Wissen zeigt er uns, warum die Entführung zweier sächsicher Prinzen grandios scheiterte oder die kleine thüringische Stadt Hildburghausen jahrelang ein großes Geheimnis hütete. Kurzweilig und kenntnisreich gestaltet sich diese Lektüre, die eine Zusammenstellung aus anderen kunsthistorischen Werken georg Piltz‘ vbedeutet, da dieser drei Jahre zuvor gestorben war.

Eine Hinterlassenschaft, die nicht nur dazu dient, Wissen aufzubauen und die geschichtlichen Besonderheiten einiger Orte Ostdeutschlands nachzuvollziehen, sondern ebenso als kulturgeschichtlicher Reiseführer dienen kann.

Am Ende eines jeden kapitels finden sich Hinweise auf Dauerausstellungen, Heimatmuseen und örtlichen Gegebenheiten, interessant für den, wer an die Orte des Geschehens gehen und die Zeiten nachempfinden möchte. Schnell zu lesen, ohne Abstriche, sind die einzelnen Kapitel, immer wieder aufgelockert durch Bilder und historische Zeichnungen, die das Ganze komplettieren.

Von Dessau über Altenburg, Hildburghausen oder Eisenach, Ostdeutschland hat eine große und für Gesamtdeutschland wichtige Vergangenheit, deren Geheimnisse es zu entdecken gilt. Georg Piltz hilft bei der Suche und ist dabei auf so manche Ungeheuerlichkeit und Kuriosität gestoßen. Nachspüren und entdecken lohnen sich unbedingt.

Autor:

Georg Piltz wurde 1925 in Frankfurt am Main geboren und war ein deutscher Schriftsteller, Kunsthistoriker und Herausgeber. Nach dem Krieg arbeitete er als Volontär bei der Niedersächsischen Volksstimme, einer Regionalzeitung der KPD. Nach der Währungsreform 1948 siedelte er in die spätere DDR über.

Dort arbeitete er ab 1953 für den Aufbau-Verlag, arbeitete später als Schriftsteller und schrieb vor allem kunst- und kulturhistorische Bücher. Einige Werke erschienen auch als Lizenzausgaben im Westen. Bis 1990 war er Mitglied im Schriftstellerverband der DDR.

Einige seiner arbeiten wurden nach seinem Tod zusammengefasst und erschienen 2014 posthum unter den Titel: „Der Prinzenraub und andere historische Kriminalfälle“. Er selbst starb im Jahr 2011.

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