Geschichte

Birge Tetzner: Fred bei den Wikingern

Inhalt:
Irgendwo an einem Fjord in Dänemark lebte vor vielen, vielen Jahren der Wikingerjunge Ivar. Der Tag, an dem Fred zu ihm kommt, ist für Ivar ein trauriger Tag: Odin hat seinen Vater nach Walhall geholt – und das Dorf hat keinen Anführer mehr. Ivar muss ein schweres Erbe eintreten.

Wie soll er jemals ein so großer Krieger werden, wie sein Vater es war? Fred wird Ivar ein treuer Freund. Doch als der streitsüchtige Jarl Eirik sich rüstet, Ivars Dorf anzugreifen, brauchen die beiden schnell einen guten Plan. Fast ein Jahr bleibt Fred bei den Wikingern. Er hört die nordischen Sagas von Odin, Thor und Loki. Er lernt den Bootsbauer Harald kennen und erfährt von ihm, wie die Wikinger ihre schnellen Langschiffe bauten. Er trifft den grimmigen Knut (den er lieber nicht getroffen hätte) und die Seherin Thorbjörk. Bevor ein Jahr vergangen ist, warnt sie ihn, muss er die Wikinger wieder verlassen haben. Sonst wird es ihm nicht mehr gelingen. (Klappentext)

Rezension:
Nach Dänemark soll es gehen, doch als Freds Opa seinem Enkel mit auf die Reise nimmt, reist dieser gleich viel weiter. Ins Wasser, durch die Zeit gefallen, taucht der Junge in der Welt der Wikinger wieder auf, wo er doch eigentlich nur einen Ausflug auf einem nachgebauten Wikingerschiff unternehmen wollte. Ivar, dem Sohn des im Kampf gefallenen Stammesführers zum Geschenk gemacht, freundet dieser sich mit ihm an, als die Dorfgemeinschaft vor einer entscheidenden Auseinandersetzung steht. Nicht nur für Fred, der so das Leben und die Sagen der Wikinger kennenlernt, wird diese zu einer großen Herausforderung werden.

Buchtrailer zu „Fred bei den Wikingern“, von Birge Tetzner. (Quelle: Youtube ultramar media)

Das neu überarbeite Kinderbuch von Birge Tetzner entführt seine jungen Lesenden wieder einmal in ein spannendes Reiseabenteuer durch die Geschichte. Dabei ist diese vieles. Abenteuergeschichte, eine Erzählung über Freundschaft, Mut, Vertrauen und Gemeinschaft, zugleich jedoch auch Wissensvermittlung, wie sie spannender nicht sein könnte, ohne erhobenen Zeigefinger.

„Fred bei den Wikingern“ wirkt dabei auf mehreren Ebenen. Da wäre zunächst einmal die Geschichte selbst, die nicht nur mit den wunderbaren kräftigen Illustrationen von Karl Uhlenbrock aufwarten kann, sondern Protagonisten folgen lässt, die man sich sehr gut vor dem inneren Auge vorstellen kann. Mit den beiden Hauptfiguren, die man einfach nur gerne haben mag, kann sich die Zielgruppe wunderbar identifizieren. Junge Lesende dürften sich ernst genommen fühlen.

Ernste Fragestellungen, manchmal fast philosophische, werden hier auf Augenhöhe verhandelt und doch leicht verständlich vermittelt. Diesen müssen sich Fred und sein neuer Freund Ivar stellen, wie auch den erwachsenen Protagonisten, die ihrerseits mit Ecken und Kanten versehen sind und den fremden Jungen nach und nach in die Gemeinschaft aufnehmen und ihre Welt erklären. Passend zu den einzelnen Kapiteln wechselt das Erzähltempo. Man kann sich das gut als Hörspiel (was auch existiert) vorstellen. Eine sehr lebendige Sprache lässt sowohl Protagonisten und Landschaftsbilder vor dem inneren Auge entstehen.

Man fiebert mit Fred und den Wikingern mit. Werden diese den gefürchteten Jarl Eirik besiegen? Und wird Fred einen Weg finden, wieder in seine Welt zu gelangen? Letztere Frage schwingt immer mit, gleichzeitig möchte man jedoch mehr über die Welt der Wikinger erfahren. Auch das funktioniert sehr gut mit der Lektüre. Immer wieder gibt es an den Seitenrändern gut aufbereitete Wissenstexte, die verständlich formuliert sind. Autorin und Illustrator merkt man dabei viel Liebe zur Recherche und zum Detail an. Das beginnt mit der beinahe exakten Darstellung des Wikingerschiffmuseums Roskilde, bis hin zu den unterstützenden Informationstexten, die, als wäre das nicht schon genug, auch noch durch ein umfangreiches Glossar anhängt, welches ebenfalls kindgerecht aufbereitet ist.

Als spannende Abenteuergeschichte, Wissensvermittlung oder einfach nur zum Vorlesen, in die Illustrationen versinkend funktioniert „Fred bei den Wikingern“, dessen Hauptprotagonist in anderen Werken schon in die Eiszeit oder ins alte Rom hinein gereist ist, auch über die Zielgruppe hinaus. Und das ist einfach wunderbar.

Hier gehts zum Wikingerschiffsmuseum Roskilde: Hier klicken.

Autorin:
Birge Tetzner ist Kunsthistorikerin, Autorin und Sprecherin. Sie spricht Reportagen, erstellt Interviews und verfasst Nachrichten, ist Autorin für Museen, Ausstellungen und Kinder(hörbüchern. Im Verlag ultramar media erscheinen von ihr Bücher und Hörbücher für Kinder.

Illustrationen:
Karl Uhlenbrock ist Illustrator und Designer für Kinderbücher, Museen und Unternehmen.

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Bea Davies: Super-GAU

Inhalt:

Am 11. März 2011 trifft die Fukushima-Katastrophe Japan mit voller Wucht. Tausende Kilometer entfernt, in Berlin, geht das Leben weiter – doch nicht unberührt vom Geschehen. Acht menschen, deren Schicksale unerwartet miteinander verflochten sind, erleben, wie ein fernes Ereignis ihre Welt ins Wanken bringt.

Bea Davies erzählt in ihrer eindringlichen Graphic Novel von den feinen Verbindungen zwischen globalen Katastrophen und persönlichen krisen und zeigt, wie diese Momente unser aller Leben verändern können. (Klappentext)

Rezension:

Wie dünne Fäden ziehen sich die Verbindungen von Menschen rund um den Globus und so bleiben auch wir, scheinbar sicher vor so mancher menschengemachter oder natürlicher Katastrophe, nicht verschont. Diese Ereignisse ziehen Veränderungen nach sich, derer wir nicht entkommen können, die uns einen anderen Blick zu unserer eigenen Vergangenheit, Gegenwart, unserem Leben einnehmen lassen. Die Illustratorin Bea Davies ist für ihr Werk „Super-Gau“ erstmalig auch in die Rolle der Autorin geschlüpft und zeigt, wie sich das Leben mit einem Schlag ändern kann. Auch fernab im vermeintlich sicheren Berlin.

Dabei wirkt die Katastrophe von Fukushima, zunächst das Erdbeben und der Tsunamie, die anschließend das Reaktor-Ungluck zur Folge haben werden, in der feinfühligen Graphic Novel als stetes Hintergrundrauschen, welches die Schicksale der einzelnen Figuren auf unterschiedliche Art und Weise beeinflusst. Vor diesem Weltgeschehen erzählt Bea Davies die Geschichte einer jungen Frau, die ihre Mutter nie gekannt hat und nun in einer Obdachlosenunterkunft tätig ist, einer Mitarbeiterin vom Jugendamt, eines Schreibenden, eines Wissenschaftlers, eines Jungen. Alle leben und haben sie ihren Alltag, der durch ihre Umgebung und eben den Ereignissen, um sie herum, gelenkt wird. Natürlich auch durch solch außergewöhnliche, wie Fukushima.

Im steten Wechsel verschieden großer Panels erzählt Bea Davies so mehrere Geschichten, die zusammen eine große ergeben. Wie Puzzle-Stücke muten diese zum Teil an. Manche fast malerisch, andere im eindeutigen Comic-Stil. Immer in Schwarz-Weiß. Eindrücklich besonders sind die übergroßen, teilweise ganze Seiten einnehmenden Panels, die das Ausmaß an persönlicher Zerrüttung und Zerstörung durch die Katastrophe verdeutlichen. Dies verursacht Momente, die zum Innehalten, in Details versinken, einladen. Das ganze Ausmaß von Verletzlichkeit zeigt sich hier. Fukushima als Chiffre für persönliche Krisen, Probleme und Suchen.

Wir folgen den Figuren auf ihren Wegen, die sich kreuzen, ohne dass dies verwirrend wäre oder erzählerisch schwierige Lücken provoziert. Es sind immer genau so viele Details, wie nötig, die da auf einem einprasseln. Keines zu wenig oder zu viel. Man lebt und leidet mit all den Protagonisten, ohne dass es effekthaschend wirkt. Diese Graphic Novel regt zum Nachdenken an, natürlich über solcherlei Ereignisse, aber auch über die Verbindungen zwischen uns, derer wir nur durch eben diese gewahr werden.

In diesem Sinne sei die Graphic Novel unbedingt empfohlen.

Blick auf Instagram: Bea Davies

Autorin und Illustratorin:

Bea Davies wurde 1990 in Italien geboren und lebt seit 2012 in Berlin als freie Illustratorin und Comic-Zeichnerin. Nach Erhalt eines Stipendiums fing sie 2010 ihre künstlerische Ausbildung an der School of Visual Arts of New York an. Ihr Studium führte sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee fort. Im Jahr 2019 erschien ihre erste Graphic Novel. „Super-GAU“ ist ihr zweites Werk, zudem ihr Debüt als Autorin.

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Eva-Martina Weyer: Tabakpech

Inhalt:

„Tabakpech“ erzählt eine Familiengeschichte aus den Jahren 1930 bis 1995 im unteren Odertal, wo die Grenzen von Preußen und Pommern, von Hochdeutsch und Platt verwischen. Das Leben der Menschen ist vom Tabakanbau und von Traditionen geprägt.

Tabakpech, der Saft, der beim Ernten aus der Pflanze tritt, klebt schwarz an den Händen, hält die Familien fest auf ihren Höfen, auch wenn dabei mancher Traum zugrunde geht. (Klappentext)

Rezension:

Nur eine Bewegung ist es, die über Glück und Unglück der Menschen im Odertal entscheidet. Das Eintauchen der Arme des Aufkäufers, mit dem dieser die Qualität der Ernte prüft, zwischen die Tabakbunde, entscheidet, ob es ein erfolgreiches Jahr gewesen ist oder alle Mühen umsonst waren.

Die Region ist hart zu den Menschen, doch die Nachfahren hugenottischer Einwanderer haben auch ihr Glück im Tabak gefunden. Und so entspannt sich eine Geschichte vom Wandel der Landwirtschaft über mehrere Familiengenerationen, eindrücklich erzählt von Eva-Martina Weyer.

Der Rhythmus der Jahreszeiten, die Erntefolge bestimmt den Takt, in dem Einwohner des kleinen Ortes denen die Autorin in ihrem kompakt gehaltenen Roman verfolgt, um eine Familiengeschichte von Beständigkeit und Veränderung zu erzählen, wie sie dort auch tatsächlich stattgefunden haben könnte.

Dabei werden der gesellschaftliche und persönliche Wandel innerhalb von wenigen Jahrzehnten thematisiert, sowie die sich verändernde Rolle und Stellung von Frauen, die auf den Feldern so manchen Traum abhanden kommen lassen müssen und dann in entscheidenden Momenten selbstbewusst das Heft in die Hand nehmen. Erzählt wird ein Strukturwandel in vielerlei Hinsicht.

Hauptsächlich aus dem Blick von Elfi betrachten wir das Geschehen, die als Waisenkind von Wilmine aufgenommen, ihren Weg zwischen den Tabakpflanzen gehen wird. Beeindruckend hat die Autorin eine Hauptprotagonistin mit Ecken und Kanten versehen, die handlungstreibend wirken. Einerseits ist da die Träumerin, phantasiebegabt, manchmal unsicher, andererseits jene, die mit zunehmenden Jahren immer selbstbewusster auftreten kann. Auch die anderen Figuren wurden feinfühlig ausgestaltet. Eine Gemeinschaft, in der ein jeder zwischen Hoffnungen und Zwängen und dem Gesspür für Veränderung und Tradition agieren muss.

Das strukturschwache Odertal mit seiner landwirtschaftlichen Prägung, war einst eines der größten Tabakanbaugebiete der Welt. Dieser Schauplatz, viel mehr das Dorf, in dem die Hauptprotagonistin aufwächst, wird anhand sehr detaillierter Beschreibungen greifbar. Auch die Handlungen der Protagonisten, die in all ihren Grauschattierungen gezeichnet werden, werden teilweise plastisch beschrieben. Manchmal sehr hart an der Grenze zum Kitsch, gerade wenn es gefühlig wird. Rentnerhafte ARD-Wohlfühlatmosphäre braucht dennoch niemand zu befürchten.

Werden andere Perspektiven eingenommen, als die der Hauptprotagonistin, kündigt sich eine handlungstreibender Wandel an. Das Erzähltempo bleibt dabei gleichförmig. Eva-Martina Weyer lässt dabei keine unlogischen Wendungen oder gar Lücken zu und bleibt im Gegensatz zu anderen Autor:innen von Familien-Epen bodenständig in ihrer kompakten Erzählung.

Diese bleibt bis zum Ende nachvollziehbar. Nicht nur zwischen den Zeilen merkt man, dass die Autorin die Gegend gut kennt. Man bekommt durchaus Lust, der wahren Geschichte des Tabakanbaus in der Region nachzuspüren, wo man doch in die Handlung hineingezogen wird. Nicht nur für Lesende, die das Odertal und ihre Menschen gut kennen, wird hier ein Kulturerbe verschriftlicht, welches diese über Jahrhunderte prägte.

Der Roman lässt einem die körperlichen Anstrengungen, das Hoffen und Bangen förmlich selbst spüren, wenn auch an mancher Stelle ein schnelleres Erzähltempo vermissen. Der Tupfen auf dem I versinkt dabei leider im Tabakpech. Bis zum Schluss bleibt er lesenswert, eben nicht nur der hervorzuhebenden grafischen Gestaltung wegen.

Tabakmuseum:

Wer dem Tabak nachspüren möchte, kann das tun. In Vierraden, Schwedt/Oder.

Autorin:

Eva-Martina Weyer wurde 1961 in Anklam geboren und ist eine deutsche Journalistin und Autorin. Sie wuchs in Schwedt/Oder auf und studierte Journalismus, arbeitete in diesem Beruf für eine große Regionalzeitung Berlins. Als selbstständige Journalistin recherchierte sie zum Tabakanbau in der Uckermark. „Tabakpech“ ist ihr erster Roman.

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Edward Brooke-Hitching: The Most Interesting Book in the World

Inhalt:

Ein Werk voller erstaunlicher Entdeckungen, verblüffender Erzählungen und interessanter Illustrationen – ein einzigartiges Sammelsurium des Seltsamen und Wundervollen aus Geschichte, Wissenschaft, Literatur und vielem mehr.

Edward Brooke-Hitching beantwortet Fragen wie: Warum ist eine Katze zugleich Flüssigkeit und Feststoff? Wie versuchten Wissenschaftler im 18. Jh. mit Außerirdischen Kontakt aufzunehmen? Und warum aßen die Niederländer einst ihren Premierminister?

Entdecken Sie skurrile Geschichten wie die von einem religiösen Führer, der einen elektrischen Messias aus einem Esstisch bauen wollte, oder Menschen, die im Dunkeln leuchten. Ein Buch voller kurioser Fakten und unterhaltsamen Storytelling – ideal, um immer wieder etwas Neues zu entdecken! (Klappentext)

Rezension:

Von Eichhörnchen, die für 10 bis 20 Prozent aller Stromausfälle in den Vereinigten Staaten von Amerika verantwortlich sind, bis hin zu seekranken Fischen gibt es alleine in der Natur allerhand Kuriositäten, über die sich schmunzeln lässt. Nicht nur die hat Edward Brooke-Hitching, Hobby-Geograph und Sammler allerhand Erstaunlichen in seinem neuen Werk zusammengestellt. Dabei ist der Titel bewusst zu hoch gegriffen, doch lädt dieses kunterbunte Sammelsurium zum Schmökern und Entdecken ein, halten doch Wissenschaft, Natur, Kultur und Geschichte abseits des Mainstreams vielfach Interessantes bereit, auf das man erst mit dem zweiten, dritten Blick stoßen wird.

Ohne eine schematische Gliederung, wie es sonst den Werken Brooke-Hitchings eigen ist, werden wir Lesenden quer durch bunt zusammen gewürfeltes Wissen geworfen, welches ohne große Unterteilungen von Themenbereich zu Themenbereich springt. Nahtlos gehen da etwa die Fakten von den Naturwissenschaften zur Technik, in die Menschheitsgeschichte über. Für diese Art von Kompendien ist das eine ungewohnte Herangehensweise, an die man sich erst herantasten muss, andererseits funktioniert doch so das Entdecken und Erforschen vom Unbekannten.

Die einzelnen Fakten werden in mit Absätzen getrennten Textblöcken präsentiert, die man einzeln oder hintereinanderweg lesen kann, durchbrochen von kuriosen Listen, aus denen so interessante Dinge zu erfahren sind, wie etwa wo vor z. B. Alfred Hitchcock eigentlich Angst hatte oder welche ungewöhnlichen Sachen eigentlich schon vom Himmel gefallen sind, und damit ist dann nicht der selbige auf den Köpfen gewisser Gallier gemeint.

In jeder Zeile merkt man die Recherchelust des Autoren, der zwischen kuriosen Erfindungen allerhand Fragen beantwortet, wie etwa die, nach dem Geruch des Universums oder warum man barfußlaufend am Strand von Hawaii ziemlich sicher Ausscheidungen einer bestimmten Tierart zwischen den Zehen hat. Aufgelockert wird das Werk mit einigen Abbildungen, die Recherche untermauert dort zahlreiche Fußnoten, die „The Most Interesting Book in the World“ hervorragend ergänzen.

Halb ernst, aber dann doch immer wieder mit einem zwinkernden Auge geht man in jedem Fall schlauer aus der Lektüre hervor und hat dann allerhand anekdotisches Wissen parat, sicherlich genug Gesprächsstoff. Wer schon immer wissen wollte, wie sich die Kadaver toter Wolfsspinnen zu Händen umfunktionieren lassen oder welche zwei Päpste Ehrenmitglieder der Harlem Globetrotters waren oder welche italienische Bank Käse als Sicherheitseinlage akzeptiert, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Bevor es einem auf den Kopf zu fallen droht. Auch dazu gab es, weiß der Autor zu berichten, im Laufe der Geschichte bereits kuriose und zu weilen schmerzvolle Ereignisse.

Dann lieber doch hiermit in die Regale oder auf den Nachttisch.

Autor:

Edward Brooke-Hitching ist Sohn eines Antiquars und arbeitete bei mehreren Zeitungen und am Theater, bevor er einen Abschluss in Filmwissenschaft an der University of Exeter machte. Als Dokumentarfilmer gewann er mehrere Preise. Im Jahr 2016 wurde seine „Enzyklopädie der vergessenen Sportarten“ veröffentlicht. Ausgangspunkt zu seiner Recherche geografischer Phänomene war eine alte Landkarte im Familienbesitz. Brooke-Hitching sammelt Werke über englische Forscher und Entdecker und lebt in London.

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Der Erste Weltkrieg/Der Zweite Weltkrieg – Die visuelle Geschichte

Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich in diesem Jahr zum achtzigsten Mal. Grund genug also, sich ausführlich mit den unterschiedlichen Aspekten des Krieges zu beschäftigen, der so zerstörerisch und so mörderisch werden sollte, wie keiner zuvor. Davor, mit einer kurzen Phase brüchigen Friedens dazwischen hatte es bereits schon einmal einen weltumspannenden Krieg gegeben. Und so umfassend müssen auch die Übersichten sein, um alle Aspekte aufzuführen, die die Vorgeschichte, Kriegsverläufe und was danach folgen sollte, einigermaßen begreiflich machen zu lassen. Und so haben sich eine Vielzahl von Historikern und anderen Wissenschaftlern daran gemacht, Gesamtdarstellungen zu erarbeiten. Nun liegen diese im Verlag Dorling Kindersley vor.

Die Werke dieses Verlags haben die Eigenheit, gerade wenn sie bewusst in einer Abfolge zueinander erscheinen, nahezu die gleiche Rezension herauf zu beschwören, weshalb ich mir die Freiheit genommen habe, einen gemeinsamen Beitrag für beide Sachbücher zu schreiben. Entlang eines Zeitstrahls wird Geschichte hier erzählt, eingerahmt durch die Vor- und Nachgeschichte, dann die Jahre des jeweiligen Krieges, nochmal einzeln aufgedröselt. Unterschiedliche Perspektiven kommen zur Sprache, sei es durch die Erläuterung der Kriegstaktiken innerhalb der jeweiligen Phase oder weil einzelne Feldzüge beleuchtet werden.

Dabei nehmen die Autor:innen beider Werke nicht nur eurozentrische Perspektive ein, sondern vergessen nicht zu beleuchten, wie der Erste und der Zweite Weltkrieg auf der anderen Seite des Globus‘ aussahen. Immer wieder werden einzelne Persönlichkeiten beleuchtet, die in den jeweiligen Phasen oder überhaupt eine Rolle spielten, sowie auch der „Alltag“ im Krieg oder der Terror des NS-Regimes analysiert, um nur die Beispiele zu nennen.

Die Lesbarkeit ist aufgrund der abwechslungsreichen Gestaltung gegeben. Fließtexte wechseln sich mit Infoboxen ab, Karten und Grafiken visualisieren Informationen. Schon das Überformat zwingt einem, sich bewusst eines der Bücher hervorzuholen, entweder sich mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen oder gezielt zu suchen, was sowohl ein Stichwortregister am Ende der beiden Enzyklopädien möglich macht, als auch ein übersichtliches Inhaltsverzeichnes.

Autorenkollektiv: Der Erste Weltkrieg – Die Visuelle Geschichte
Seiten: 372
Rezensionsexemplar/Sachbuch
Verlag: Dorling Kindersley
ISBN: 978-3-8310-4874-8
Übersetzung: Burkhard Schäfer, Birgit Lamerz-Beckschäfer (u. a.)

Autorenkollektiv: Der Zweite Weltkrieg – Die Visuelle Geschichte
Seiten: 360
Rezensionsexemplar/Sachbuch
Verlag: Dorling Kindersley
ISBN: 978-3-8310-3757-5
Übersetzung: Burkhard Schäfer, Klaus Binder (u. a.)

Beide Werke erhalten, es ist gar nicht anders möglich:

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Hans Martin Krämer: Geschichte Japans

Reihe:

Sachbuchreihe für kompaktes Wissen, z. B. zu Kunst- und Kulturgeschichte, Biografien oder Ländergeschichte. Die Einzelbände können unabhängig von einander gelesen werden.

Inhalt:

Japanische Populärkultur in gestalt von Manga, Anime, J-Pop, Fernsehserien und Computerspielen erfreut sich in der westlichen Welt großer Beliebtheit, und japanische Marken sind in der globalen Konsumkultur fest etabliert. Der vorliegende Band sucht das heutige Japan historisch zu erhellen.

Nach einem knappen Durchgang durch die vormoderne Geschichte wird der Neuzeit deutlich mehr Platz eingeräumt, weil sie für die Erklärung der gesellschaftlichen und kulturellen Gegenwart Japans ungleich wichtiger ist. Eine kurze Einführung in die geografischen und klimatischen Grundlagen der japanischen Geschichte bildet den Auftakt des Bandes. (Klappentext)

Rezension:

Um den Schicksal vieler seiner Nachbarn zu umgehen, kolonisiert zu werden, führten Reformen von oben zu einem Umbau des Landes, welches schließlich selbst einen Großteil des asiatischen Raums kolonialisieren wollte und diese Rolle auf brutale Weise ausfüllte, bis zwei Atombomben auch dort den Zweiten Weltkrieg beenden sollten. Auch danach kam es, wie schon oft zuvor, zu einem politischen und gesellschaftlichen Wandel. Wie gelang es Japan, sich immer wieder an neue Gegebenheiten, vergleichsweise still, anzupassen und wo steht das Land heute? Der Japanologe Hans Martin Krämer hat sich auf Spurensuche begeben.

Titel zur Ländergeschichte komplettieren die umfangreiche Reihe aus dem Hause C. H. Beck, die kompakt und auf den Punkt gebracht, Überblickswissen präsentiert und über die man, einmal einen beliebigen Band sich vorgenommen, eigentlich immer das Gleiche sagen kann. Informationen, auf den neuesten wissenschaftlichen stand, werden hier niederschwellig, ohne zu sehr sich in Details zu verlieren, präsentiert, ohne eine gewisse Oberflächlichkeit aufkommen zu lassen oder entscheidende Punkte gar zu unterschlagen.

Das gilt auch für diesen Band, der sich nun mit der Historie Japans beschäftigt und zunächst einen Überblick über die Geografie und mit Hilfe von zwei Karten auf den Innenseiten des Einbandes auch über die politische Gliederung des Landes gibt. In kurzweiligen Kapiteln werden wir durch die einzelnen geschichtlichen Epochen, von den Anfängen bis zur Gegenwart gelotst und mit all den Fragestellungen und Herausforderungen der verschiedenen Zeitabschnitte konfrontiert.

Wir erleben erste Landwirtschaft und das Bilden einer Gemeinschaft bis hin zum Kaisertum, auch erläutert der Autor wirtschaftliche Gegebenheiten und ihren Einfluss auf das politische Geschehen. Je näher wir der Gegenwart kommen, desto kleiner werden die beschriebenen Zeitabschnitte unterteilt, um ein größeres Verständnis für den heutigen Stand zu schaffen. Dies gelingt, ohne die Konzentration als ein „Rasen“ vor allem zu Beginn des Lesens zu empfinden oder das Gefühl, bestimmte Abschnitte nur sprunghaft und mit Abstrichen aufgespürt zu haben und das, bei einer durchaus ausführlichen Quellenlage, aus der heraus recherchiert wurde.

Für mich damit ein weiterer Band, der sich nahtlos in die Reihe der zuvor erschienen einfügt und sie damit gut ergänzt. Vor allem, wer ohne Vorkenntnisse an die Thematik herangeht, aber auch sonst, ist mit „Geschichte Japans“ gut bedient.

Autor:

Hans Martin Krämer wurde 1972 in Wuppertal geboren und ist ein deutscher Japanologe. Er studierte zunächst in Düsseldorf und Bochum Geschichte, Japanologie und Philosophie, nevor er nach Forschungsaufenthalten in Tokyo, Harvard und Kyoto im Jahr 2008 eine Juniorproffesor für Japanologie in Bochum antrat. Seit 2012 lehrt er als Professort für Japanologie an der Universität Heidelberg.

Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Geschichte, Bildungs- und Religionsgeschichte, Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, sowie der Frühen Neuzeit. Seit 2019 ist er Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung, für eine Amtszeit von 4 Jahren ist er seit 2023 Dekan der Philosophischen Fakultät Heidelberg.

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Matz: Das Verschwinden des Josef Mengele

Inhalt:

1949: Josef Mengele landet in Buenos Aires. Hinter verschiedenen Pseudonymen versteckt, glaubt der ehemalige Folterarzt von Auschwitz, er könne sich ein neues Leben erfinden. Perons Argentinien ist wohlwollend, die ganze Welt will die Nazi-Verbrechen vergessen. Doch die Verfolgung wird wieder aufgenommen und er flieht über Paraquay nach Brasilien. Seine Pdyssee wird nicht mehr unterbrochen … bis zu seinem mysteriösen Tod 1979. Eine herausragende Adaption des Romans von Olivier Guez über die Flucht und die Jagd nach Mengele, dem „Todesengel“ ohne Reue. (Klappentext)

Rezension:

Als 1945 das Deutsche Reich am Boden lag, versuchten viele ihrer Repräsentaten, ehemals hohe Würdenträger, Politiker an den Schalthebeln der Macht und ausführende Beamte ihr Heil in der Flucht. Für nicht wenige führte dieser Weg über die sogenannte „Rattenlinie“ nach Südamerika, Eichmann etwa, der Organisator der Todeslager oder Eduard Roschmann, der „Schlächter von Riga“.

Auch Josef Mengele, der an der Rampe von Auschwitz über Leben und Tod entschied, bestialische Experimente an Zwillingen, unter den Deckmantel der Medizin, durchführte, gelang es so, nicht zuletzt durch die Hilfe einflussreicher Freunde, beinahe spurlos zu verschwinden. Die Geschichte seiner Flucht und des Versteckens hat Olivier Guez zu einem packenden Roman verarbeitet. Fünf Jahre später wurde die Erzählung für die hier nun vorliegende Graphic Novel durch Alexis Nolent (Matz) und Jörg Mailliert adaptiert.

Erdfarben und klare Linien dominieren die einzelnen Panels, die die Geschichte eines Phantoms erzählen, deren unmenschliche Grausamkeiten kaum in Worte zu fassen sind. Das versuchen weder der Autor des Skripts, noch der Illustrator. Die Geschichte setzt nach dem Unfassbaren an, welches in Rückblenden nur gestreift wird. Konzentriert wird sich hier auf die Zeit nach 1945, die sich anhand weniger Puzzlestücke rekonstruieren lässt. Dabei tauchen wir ein in die wirre Gedankenwelt eines Mannes, dessen Handeln nicht mehr nachzuvollziehen ist.

Einige Dokumente und Geld im Gepäck, die Unterstützung von Freunden, nicht zuletzt der Familie, die mit einem gut situierten Betrieb fest im wirtschaftlichen Gefüge des bayerischen Heimatortes der Mengeles, gelingt es dem „Todesengel“ von Auschwitz zu fliehen, wo er sich auf ein funktionierendes Netzwerk verlassen kann. Das Untertauchen gelingt. Man trifft sich untereinander, phantasiert von Rückkehr und „Viertem Reich“, wenn sich die Lage in Europa wieder beruhigt haben sollte. Das tut sie nicht. Mit den Jahren gelingt es Verfolgern in Israel und Deutschland, Spuren aufzunehmen. Die Schlinge zieht sich immer enger zu. Auch in Südamerika selbst wird es einsam um Mengele, der immer mehr seiner Unterstützer verprellt.

Dies die Handlung der verdichteten Graphic Novel, in denen sich großformatige Panels abwechseln, die reine Unbeschwertheit zeigen, abewechselnd mit Details des tiefen Falls einer Figur, die am Ende nur noch der Schatten ihrer Selbst sein wird. Zwei Stränge stehen hier im Fokus, natürlich der Weg Mengeles selbst, zunächst im Versuch sich mit Hilfe alter Seilschaften ein neues Leben aufzubauen, dann zunehmend in Wahn und Verzweiflung verfallend, als alle Unterstützung nach und nach wegbricht.

Zum anderen können wir die Situation in Deutschland verfolgen, der Umgang der Familie, die einerseits ihren wirtschaftlichen Erfolg nutzt, um Mengele in Südamerika zu unterstützen, andererseits aber auch ihren Betrieb aus dem Blickfeld heraushalten möchte, als nach den Anfängen der Bundesrepublik doch noch die Nazi-Gräuel des Familienmitglieds Thema werden, nicht zuletzt auch durch innere Auseinandersetzungen. Auch die Verfolgung der Repräsentanten des NS-Regimes durch Menschen wie Fritz Bauer oder des israelischen Geheimdiensts Mossad schaffen Zeichner und Texter mit einzubringen. So werden die wichtigsten Handlungsstränge und Aspekte des Romans, der als Vorlage diente, eingebunden und auf sehr anschauliche Weise übermittelt.

Der nervöse Strich des Zeichners korrespondiert sich im irren Blick der unmenschlichen Bestie, die sich jämmerlich verkriecht und doch immer wieder Morgenluft wittert, zudem gerade der deutsche Staat in seiner Anfangszeit wenig Interesse verspürt, den Opfern des NS-Regimes Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Diese Hoffnungsschimmer zerrinnen der kümmerlichen Figur, zu der Mengele mit den Jahren wird, immer schneller durch die Finger. Am Ende bleibt vom Skorpion, der sich mehrfach gehäutet hat, nichts mehr übrig und verkommt zu einem Phantom.

Eine sehr eindrückliche Graphic Novel, die weder mit visuellen Eindrücken spart, zudem durchaus textlastig daherkommt, jedoch keineswegs überfrachtet wirkt. „Das Verschwinden des Josef Mengele“, kann man als durchaus gelungene Adaption betrachten, deren Bilder nicht so schnell loslassen werden.

Autoren und Illustrationen:

Alexis Nolent ist ein französischer Schriftsteller, vor allem für Drehbücher von Videospielen, zudem veröffentlichte er auch einen Roman und unter dem Pseudonym Matz eine Reihe von Comics. Er wurde in Rouen, Frankreich geboren, wuchs in der Karibik auf, bevor er nach Paris zog. Vor dem Schreiben von Comics studierte er Jura. Für seine Arbeit bekam er u. a. den Priix Saint-Michel, 2004 und 2006.

Jörg Mailliet wurde 1970 im Toulon geboren und ist ein französischer Comic-Zeichner. Er studierte Grafikdesign in Lyon und arbeitet seitdem als freier Grafiker. Er illustriert Kinderbücher und ist Mitgründer eines Kinderbuchverlages. Für die Illustration des Comic Tagebuchs 14/18 wurde er 2015 für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.

Olivier Guez wurde 1974 in Straßburg geboren und ist ein französischer Journalist und Schriftsteller. Er studierte von 1992 bis 1996 in Straßburg Internationale Beziehungen. Weitere Stationen führten ihn nach London. In einem Fernstudium studierte er Jura, bevor er 1998 eine Masterprüfung in Europäische Politik und Verwaltung abglegete. 1998 war er als Beobachter der Wahlen von der OSZE und dem französischen Außenministerium nach Bosnien-Herzegowina entsandt, danach berichtete er für verschiedene Tageszeitungen aus Lateinamerika, Europa und dem Nahen Osten. Nach verschiedenen Stationen u. a. 2009 einer Beobachtermission in Pakistan und Afghanistan lebt Guez in Paris und ist u. a. Kulturberichterstatter für die FAZ und FASZ.

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Kristin Rubra: Keloid

Inhalt:

Christina, eine junge deutsche Medizinstudentin in den USA, verliebt sich Anfang der 1980er Jahre in einen Mitstudenten, der die Traumata seiner jüdischen Familie in Body-Actionpaintings austobt. Sein Vater Leon, ehemaliger GI bei den legendären Thunderbirds, die das KZ Dachau befreiten, ist strikt gegen „alles Deutsche“ und vor allem gegen sie.

Sieben Jahre später liegt Leon nach einem Verkehrsunfall in einem deutschen Krankenhaus auf dem OP-Tisch vor Christina. Aus dem Wiedererkennen entwickelt sich eine spannungsgeladene Beziehung: Leon, der Christina von alten und uralten Verletzungen anhand seiner Edelsteinsammlung erzählt, wird für sie zum wichtigsten Menschen ihres Lebens. (Klappentext)

Rezension:

Zeit heilt alle Wunden, doch Spuren bleiben. Äußerlich kann dies in Form von Narben passieren, die zurückbleiben, doch auch innerlich lassen Kristina bestimmte Ereignisse im Leben nicht los, wie auch Leon bereits als junger Erwachsener erfahren musste. So kommt es, dass beide sich treffen, einander umkreisen und ob der Wunden, die ihnen hinzugefügt wurden und die sie sich selbst gegenseitig verschaffen, im Laufe der Jahre nie zur Gänze fallen und aufeinander einlassen können. Erzählt wird diese Liebesgeschichte von Kristin Rubra, mit den mehrdeutigen Titel „Keloid“. Welche Wunden sind wir bereit einander zuzufügen, im Leben zu tragen und manchmal gar in etwas Positives umzuwandeln?

Die ruhige Erzählung, die unsere zwei Protagonisten begleitet, umfasst eine Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten, in denen das Machtgefälle und die Sicht aufeinander, sich stets wandeln. Aus der Perspektive Christinas erzählt, deren anfängliche Unsicherheit im Laufe der Jahre einem pragmatischen Selbstbewusstsein weicht, welches sie sich selbst jedoch immer wieder in Frage stellen wird, erleben wir ein langsames Abtasten, aus dem nur langsam ein Zugang zu Leon wird, der erst mit seinem Autounfall langsam bereit ist, auf die ehemalige Freundin zuzugehen. Die Geister der Vergangenheit verfolgen beide, zudem die Familiendynamik des Älteren, welche Christina nur schwer zu fassen bekommt.

Zwischen Berlin und Amerika spielt der Roman, in dem die Autorin Kapitel für Kapitel die Charaktere seziert. Niemand bleibt hier ohne Ecken und Kanten. Ihr Päckchen haben sie alle zu tragen. Keinesfalls wird man mit beiden Protagonisten gleichsam warm werden. Auch die wichtigsten Nebencharaktere haben ihre Grauschattierungen. Über Strecken wirkt dies zuweilen enervierend, doch sind die Figuren nachvollziehbar ausgestaltet, so dass keine Unklarheiten beim Lesen bleiben werden. Alles fügt sich ineinander. Nur manchmal wünscht man sich ein etwas schnelleres Erzähltempo.

Rückblenden dominieren vor allem, wenn sich der Blick Leon zuwendet, dem die Vergangenheit nicht loslässt, die sich zu öffnen, ihm nur gegenüber Christina möglich sein wird. Behutsam hat die Autorin die Beziehung der beiden Figuren zueinander aufgebaut. Irritierend ist nur der Kontrast. Manchmal reagieren die Charaktere zu ruhig oder zu heftig für eine geschilderte Situation. Darunter leidet zwar nicht die Glaubwürdigkeit des gesamten Handlungsstranges, die Autorin hat sich hier auf einen Haupt- und nur wenige Nebenschauplätze konzentriert, es lässt einem für einen kurzen Moment jedoch etwas verdutzt stehen.

Kristin Rubra schafft es Schauplätze und das Gefühl für Orte mit genau der richtigen Mischung an Detailschärfe und dem Blick fürs große Ganze enstehen zu lassen, ohne dass sie es mit der Sprache übertreibt. Erst bei den Charakteren kippt es an manchen Stellen dann doch ins Kitschige. Genrebedingt ist das in Ordnung. Was widerum gut gelungen ist, ist das hintergründige Thema der vererbten oder nachwirkenden Traumata als Überbleibsel von Erinnerungen. Dies wird erst nach und nach verständlich, funktioniert jedoch über den gesamten Handlungsstrang. Die Auflösung, das Ende, funktioniert je nach eigener Gefühlslage mehr oder weniger gut.

Der Roman „Keolid“ wird seine Leser- oder eher Leserinnenschaft, schätze ich, finden, wenn sie sich darauf einlassen kann. Das ist in Ordnung. Eine Erzählung, in dem die medizinerfahrene Autorin nicht nur sprichwörtlich auf das schaut, was auf unserer Haut an Spuren vom Leben zurückbleibt.

Autorin:

Kristin Rubra ist eine deutsche Ärztin. Zunächst studierte sie u. a. in den USA Medizin und Creative Writing und veröffentlichte dort erste Texte, bevor sie ihr Studium in Düsseldorf abschloss. Sie ist als Ärztin im klinischen Bereich tätig. 2019 erschien eine Geschichtensammlung von ihr. Dies ist ihr erster Roman.

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Jean-Jacques Sempe: Benjamin Kiesel

Inhalt:
Benjamin Kiesel wird ständig rot, einfach nur so (nur dann nicht, wenn er etwas angestellt hat), und alle lachen ihn aus. Er träumt von einer Fee, die ihn heilen kann, und findet stattdessen … einen Freund, der ihn nicht auslacht, sondern versteht. Denn auch Rudi Rettich leidet an einer seltsamen Krankheit: Er muss ständig niesen,, selbst wenn er nicht erkältet ist. Eine melancholische wie lustige Geschichte über zwei tapfere Außenseiter, die ihre Freundschaft sogar ins Erwachsenenalter retten können. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft begeistert seit 1971 die Lesenden und könnte nicht besser in die heutige Zeit passen. Grund genug für eine revidierte Neuausgabe mit entsprechender Übersetzung, in der der deutsche Titel „Carlin Caramel“ an den Titel der Geschichte des französischen Originals angepasst wurde.

Viel gibt es nicht über die kleine Erzählung, die man rein von den Textzeilen her als kurze Kurzgeschichte betrachten kann, zu sagen. Beschrieben wird eine Kinderfreundschaft, zweier, die eines gemeinsam haben, nämlich etwas, was sie nicht kontrollieren können und sie so zu Außenseiter macht. Doch, zusammen ist man weniger allein und vor allem immer stärker und so verbringt man fortan viel gemeinsame Zeit, kann sich auch für die Hobbys und Talente des jeweils anderen begeistern. Und das klappt auch, nachdem man sich eine Zeit lang aus den Augen verloren und sich erst im Erwachsenenalter wiedergefunden hat.

Eine Erzählung über Unterschied und Zusammenhalt, Freundschaft und das Interesse für einander, wie es uns in unserer hektischen Zeit zu Oft verloren geht, ist alleine schon deshalb erwähnenswert, hinzu kommen aber noch die liebevollen Zeichnungen von Jean-Jacques Sempe, der nicht nur dem kleinen Nick seine Abenteuer verschaffen hat, sondern auch hier seine Begabung für Wimmelbilder zeigt, die mit schnellen Strich Wimmelbilder entstehen haben lassen, in die man sich verlieren darf.

Großflächig zeichnend hat Sempe eine Unmenge Details in seinen Zeichnungen versteckt, wenn man das Gewusel einer Großstadt betrachtet oder die Massen am Ferienstrand und dort die beiden lieben Protagonisten sucht.

Über die Charaktere lässt sich nicht viel mehr sagen, was auch nicht notwendig ist, tzrotzdem kann man sich mit den beiden gut identifizieren. Bei uns allen gibt es schließlich irgendetwas, was uns irgendwo zu Außenseitern macht, auch wenn für uns dieses Merkmal etwas ganz Normales darstellt, was eben zu uns gehört. Toleranz und Akzeptanz so komprimiert darzustellen und so ein Plädoyer zu schaffen, dass es okay ist, einfach nur man selbst zu sein, sich nicht verbiegen zu müssen, wird hier komprimiert gekonnt dargestellt.

Für mich ist dies eine Geschichte, die man in vielerlei Hinsicht einfach nur liebhaben kann. Anderes ist nicht notwendig.

Autor:
Jean-Jacques Sempe wurde 1932 geboren und war ein französischer Zeichner und Karikaturist. Gemeinsam mit Goscinny entwarf er die bekannte Kinderbuchreihe „Der kleine Nick“, nebst veröffentlichte er zahlreiche Bildbände. Nach dem Militärdienst veröffentlichte er regelmäßig Zeichnungen in verschiedenen Printmedien Frankreichs und im Ausland. Er arbeitete mit Künstlern und Autoren wie Goscinny und Patrick Süßkind zusammen. Kennzeichen seiner Bilder waren großformatige Tuschezeichnungen mit schnellem Strich. Er starb 2022.

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Limor Regev: Der Junge von Block 66

Inhalt:

1944 wird der 13-jährige Moshe Kessler mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert. An der Rampe in Birkenau von seiner Familie getrennt, ist er von nun an auf sich allein gestellt. Er entgeht den Tod in den Gaskammern, überlebt monatelange Zwangsarbeit und die Todesmärsche im eisigen Winter, bevor er im Konzentrationslager Buchenwald ankommt. Doch auch dort kann er nur dank der Kühnheit und Entschlossenheit der Untergrundorganisation, der es es gelang, vor Eintreffen der US-Truppen mit gestohlenen Waffen die Wachmannschaft des Lagers zu überwältigen und gefangenzunehmen, im Kinderblock 66 den sicheren Tod zu entkommen.

Dr. Limor Regev hat den anschaulichen Bericht Moshe Kesslers festgehalten und so der Nachwelt ein Zeugnis über den Triumph eines ungebrochenen Lebenswillens vermittelt. (Klappentext)

Rezension:

Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt. Fast 14 Jahre alt ist Moshe Kessler als er in Zeiten der Unmenschlichkeit und des Terrors zusammen mit anderen unter Aufsicht von Antonin Kalina kommt, der zusammen mit anderen KZ-Häftlingen mit den Mut zur Verzweiflung unzähligen Kindern und Jugendlichen das Leben rettete, ausgerechnet im Konzentrationslager Buchenwald, einer der letzten Stationen des Leidenwegs. Zuvor hatte der Junge bereits Todesmarsch und Auschwitz überlebt.

Dies ist die Geschichte eines ungarischen Jungen, dessen Erinnerungen im hohen Alter aufflackern, bei der Bar Mizwa seines jüngsten Enkels, der umgeben ist von seiner ihn lebenden Familie. Moshe Kesslers Bar Mizwa fand dagegen zu einem Zeitpunkt statt, als das Donnergrollen kaum noch zu überhören war und längst einige Familienleben gefordert hatte. Nach Jahrzehnten erinnert und beschreibt Kessler die Geschichte seiner Kindheit und Jugend, die man ihn und unzähligen anderen raubte. Dieses Stück biografischer Erinnerung liegt hier mit „Der Junge von Block 66“ übersetzt vor.

Solche Stücke Erinnerung bilden einen wichtigen Zweig innerhalb der Bücher gegen das Vergessen, als Mahnmal vor allem, wenn sie ohne erhobenen Zeigefinger, sondern nur durch ihre Schilderungen wirken. Diese sind eindrücklich. In klarer, eindeutigiger Sprache schildert die Autorin die Erlebnisse des Kindes, welcher ihr diese Geschichte sehr viel später anvertrauen wird. Dabei wird deutlich, wie sehr Sekunden der Entscheidung über Leben und Tod bestimmen konnten und dass es selbst in unmenschlichen Orten gerade so viel Menschlichkeit gegeben hat, die einigen wenigen geholfen hat, Schreckliches zu überstehen.

In kompakten Kapiteln fügen sich die einzelnen Stationen des Leidensweges zu einem Band zusammen, welches bis ins Mark erschüttert, ergänzt durch ein anschauliches Personenregister, ein Begriffsglossar, welches vor allem dann hilfreich ist, wenn man lesend nicht mit Begrifflich- und Gegebenheiten des jüdischen Glaubens im Einzelnen vertraut ist, sowie einen Fototeil. So eignet sich die Lektüre für Geschichtsinteressierte, aber auch für Jugendliche, zumindest wenn man einige Fußnoten überliest.

Diese wurden zum besseren Verständnis durch die Herausgeberin angefügt, wirken an manchen Stellen wertend und relativierend. Hannah Arendt wird da z. B. als „allgemein etwas überschätzt“ bezeichnet. Solche und andere Meinungen kann man ja durchaus haben, doch gehören sie nicht in den biografischen Bericht eines anderen hinein. Ob der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung über 90-jährige Moshe Kessler um diese Kommentare weiß, sie teilt, die von der Herausgeberin und Übersetzerin stammen, bleibt zwangsweise offen.

Wenn gleich andere Informationen, die in den Fußnoten erscheinen, akribisch recherchiert und behutsam ergänzt worden sind, und es erst einmal überhaupt bemerkenswert ist, einen solchen Bericht für die Nachwelt erhalten zu dürfen, können einen solche Schnitzer eines eigentlich lesenswerten Berichts verhageln. Es bleibt hier also die Empfehlung, den Bericht zu lesen und die Fußnoten einer Überprüfung zu unterziehen. Alles was Augenzeuge und Autorin jedoch zusammengetragen haben, ist es aber wert, gesehen zu werden.

Autorin:

Limor Regev wirkt an der Hebrew University of Jerusalem im Institut für Internationale Beziehungen und hat zuvor über die Auswirkungen des territorialen Rückzugs in Israel geforscht. Ihre weiteren Forschungsarbeiten befassen sich mit territorialen Austritten, Konfliktlösung, internationaler Mediation und israelischer Bedrohungswahrnehmung.

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