Rezension

Dorothy B. Hughes: Ein einsamer Ort

Inhalt:

Einsam und frustriert lebt der ehemalige Jagdflieger Dix Steele im Los Angeles der späten 1940er Jahre. Nachts streift er durch die Stadt und stellt Frauen nach. Als er einen alten freund wieder trifft, ist er fasziniert von dessen Arbeit als Detective. Unmittelbar kann Dix mitverfolgen, wie Brub die Morde an einer Reihe junger Frauen untersucht – und es beginnt ein nervenaufreibendes Spiel, bei dem immer unklarer wird, wer eigentlich auf der Jagd nach wem ist.

Dorothy B. Hughes, die lange vergessene Pionierin der Kriminalliteratur, blickt unerschrocken und hellsichtig in die Abgründe von Frauenfeindlichkeit und Gewalt.
(Klappentext)

Rezension:

Nicht wenige der modernen Thriller dieser Tage setzen auf den Effekt und rasanten Wendungen, gleichsam eines rasanten Films, in dessen Handlungssträngen Details versteckt werden, die man normal zuschauend, gar nicht so schnell wahrnehmen kann. Der klassische Kriminalroman früherer Jahre kommt leiser daher, setzt auf die charakterliche Ausarbeitung der Figuren, der psychologische Effekt steht im Vordergrund oder das Ermitteln selbst. Der Weg ist das Ziel, welcher zu einer überraschenden Wendung und schließlich zur Auflösung führt.

Mit “Ein einsamer Ort” ist ein solches Erzählstück wieder neu aufgelegt worden, der mit Erscheinen Weichen stellte. Die amerikanische Autorin Dorothy B. Hughes durchbrach, nicht nur hier, bis dahin geltende klassische Erzählkonventionen (was hier nicht näher erläutert werden kann, sonst würde man einen Teil der Auflösung verraten) und schuf eine Geschichte, in die sich auch heute noch gut eintauchen lässt.

Das beginnt schon mit der Konzentration auf nur eine Perspektive, aus deren Sicht erzählt wird. Verdächtig ruhig ist es im Los Angeles der 1940er Jahre, fast zu ruhig, doch im Inneren des städtischen Ballungsraumes rumort es. Eine Mordserie an Frauen erschüttert die Metropole. Die ermittelnde Polizei tappt im Dunkeln. Lange ist nicht klar, wird auch den Lesenden nicht klar sein, wer hier Täter ist, auch wenn sich ein Verdacht aufgrund der Art des Erzählens schnell ergibt. Fast zu schnell. Doch Beweise fehlen lange.

Fast nüchtern wird aus der Sicht des ehemaligen Jagdfliegers erzählt, dessen Charakter zunächst schwer zu fassen, dann greifbar ist. Er ist es auch, aus dessen Perspektive die anderen Figuren beleuchtet, gewertet werden. Dorothy B. Hughes hat es verstanden, ihren Figuren klare Konturen zu geben, die Lesenden förmlich in eine trügerische Stille einzulullen, um dann nur eine einzige überraschende Wendung einzuführen, die zum Ziel gereicht. Die Rollenzuteilung bei der Auflösung war schon für damalige Zeiten überraschend und wirkt auch aus heutiger Sicht sehr modern.

Der Zeitraum der Handlung umfasst wenige Wochen und die Anzahl der Charaktere, die alle ein entgegengesetztes Gegenüber besitzen, ist überschaubar, was das Einfinden in die Erzählung erleichtert. Der nüchterne Ton wirkt zuweilen kalt und unnahbar. Wer nur moderne Thriller gewohnt ist, wird zunächst irritiert sein. Es finden sich kaum Darstellungen von Gewalt, ausführliche Beschreibungen. Die Bedrohung bleibt für lange Zeit sehr diffus. Unterschwellig ist sie jedoch immer vorhanden.

Durch die Konzentration aufs Wesentliche hat sich Dorothy B. Hughes nicht verzettelt, sondern ihre Handlungsstränge konzentriert zu Ende geführt. Logikfehler sind keine zu entdecken oder zumindest zu vernachlässigen. Klassische Rollenmuster werden durchbrochen, einzelne kleine Blickpunkte auf das amerikanische Alltagsleben und schon damals vorhandene gesellschaftliche Gegensätze gegeben, ohne dass die Handlung verloren wird. Interessant aus heutiger Sicht die Beschreibung derer, die aus den Schrecken des Krieges aus Europa zurückgekehrt sind und wieder in einen Alltag sich einfinden müssen, der nicht mehr der ihre ist. Der Kriminalroman wurde zwei Jahre nach Kriegsende, 1947, veröffentlicht.

Wer liest findet sich ein, überrascht vielleicht am Ende von der Perspektive, die man die gesamte Zeit über eingenommen hat. Dorothy B. Hughes ist nichts für den Fan rasanter Kriminalliteratur oder blutrünstiger Thriller. Wer psychologische Aspekte mag, eingebettet in einer ruhigen Erzählung und dennoch überraschender Wendungen, die hier sehr sparsam gesetzt sind, wird mit “Ein einsamer Ort” jedoch spannende Stunden erleben.

Autorin:

Dorothy Belle Hughes wurde 1904 in Kansas City, Missouri geboren und ist eine US-amerikanische Kriminalschriftstellerin und Literaturkritikerin gewesen. Zunächst studierte sie Journalismus und arbeitete für verschiedene Zeitungen, belegte an mehreren Universitäten Kurse. 1931 gewann sie mit ihrem Schreibdebüt, einem Gedichtband einen wichtigen Literaturwettbewerb, bevor sie 1940 ihren ersten Kriminalroman veröffentlichte.

Sie gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der amerikanischen Hardboiled Literature. 1963 erschien ihr letzter Roman. Ihre Werke wurden teilweise verfilmt, zudem betätigte sie sich als Literaturkritikerin. Dafür gewann sie mehrere Male den Edgar Allan Poe Award. Hughes starb 1993.

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Sebastian Fitzek: Der Heimweg

Der Heimweg Book Cover
Der Heimweg Sebastian Fitzek Droemer Knaur Erschienen am: 21.10.2020 Seiten: 400 ISBN: 978-3-426-28155-0

Inhalt:

Wer das Datum seines Todes kennt, hat mit dem Sterben schon begonnen…

Samstag, kurz vor Mitternacht. Jules Tannberg sitzt am Begleittelefon, ein Service für Frauen, die nachts auf ihrem Heimweg Angst bekommen und eine beruhigende Stimme brauchen. So wie Klara. Die junge Frau glaubt, von einem Psychopathen verfolgt zu werden, der vor Wochen mit Blut ein Datum auf ihre Schlafzimmerwand malte: Klaras Todestag! Und dieser Tag bricht gerade an… (Klappentext)

Rezension:

Für seinen Freund übernimmt er die Schicht am Begleittelefon, einen ehrenamtlichen Service für Frauen, um diesen mit beruhigender Stimme Sicherheit auf ihrem Heimweg zu geben. Geübt, mit ruhiger Stimme, spricht Jules ihnen Mut zu. Seine Mission, ihnen Sicherheit zu geben. Komme, was da wolle. Mit diesem Anruf jedoch hat er nicht gerechnet und so gerät Jules zusammen mit Klara, die ihrem Leben anfangs selbst ein Ende setzen möchte, um den zuvor zu kommen, der ihr eine schreckliche Frist gesetzt hatte, in ein grausames Verwirrspiel.

Deutschlands meist gelesener Autor für Psychothriller nimmt wieder einmal eine Gegebenheit aus der realen Welt zum Anlass, um dieses mit den tiefsten menschlichen Abgründen zu verweben, die man sich nur denken kann. In kurzweiligen Kapiteln und stetig steigender Spannungslinie hat er eine Geschichte um eine real existierende Hotline geschrieben, die chaotischer nicht sein könnte.

Aus wechselnden Perspektiven wird “Der Heimweg” erzählt, wobei beide Protagonisten ihre dunklen Seiten aufweisen, die nach und nach aufgedeckt werden, und die Lesenden förmlich dazu einladen, das aufgegebene Rätsel zu lösen. Zugänglich werden beide Figuren nicht wirklich zugänglich, zudem der Titel nur im übertragenen Sinne zu lesen ist und der Klappentext einmal mehr so viel wie wenig mit dem eigentlichen Inhalt zu tun hat.

Wer Fitzeks Erzählstil kennt, weiß jedoch, worauf man sich einlässt, rät mit, um am Ende doch noch überrascht zu werden. Sebastian Fitzek schreibt eben Unterhaltungsliteratur, ohne Ziel, Kriminalität realitätsnah abzubilden. Wer sich das wünscht, kann getrost jeden zweiten Krimi im Fernsehen und in Papierform für sich streichen.

Davon abgesehen ist die nervenzerrende Spannung dieses Werkes nichts für zarte Gemüter. Phasenweise ist die erzählte Geschichte brutal. Der deutsche Psychothriller-Autor nähert sich da sehr manchen britischen oder amerikanischen Kollegen an, wenn auch nicht ganz so absurd wie etwa Cody McFadyen, der kaum lesbar ist.

Hier bekommt Fitzek immer wieder die Kurve, auch wenn es dieses eine Mal hart an der Grenze ist und er immer wieder eine Zehe drüber setzt. Der Autor hat einmal gesagt, dass, um so schöner die Umgebung ist, in der er schreibt, um so erschreckender werden seine Geschichten. Fitzek hatte offenbar viel Zeit, sich eine entsprechende Schreibumgebung hierfür zu schaffen.

So fügt sich das Werk nahtlos in die Reihe der bisher geschriebenen ein und beweist einmal mehr, weshalb der Autor in schöner regelmäßig weiter oben auf den Büchertischen landet. Die Hotline existiert derweil in der Realität und ist anders als in der Geschichte ansonsten für jedem verfügbar, der sie benötigt.

In diesem Sinne darauf aufmerksam und den Service etwas bekannter zu machen, ist ja auch mal ganz schön, zumal Sebastian Fitzek durchaus viele Menschen erreicht. Schön ist auch, wer aufmerksam liest, entdeckt zudem einen Protagonisten in einer Erwähnung, aus einem der anderen Bücher.

Und wenn dies das Werk schafft, ist mit einer grausamen Rätselgeschichte auch einmal etwas Gutes getan worden.

Das reale Heimwegtelefon ist übrigens nicht nur ein Service für Frauen, sondern für alle, die eine beruhigende Stimme auf ihrem Weg brauchen.

Hier klicken.

Autor:

Sebastian Fitzek wurde 1971 geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Mit seinem Debüt “Die Therapie” war er so gleich erfolgreich und so landet seit 2006 beinahe jedes seiner Bücher auf den Bestsellerlisten. Mehrerer seiner Romane wurden bereits verfilmt, zudem für die Theaterbühne adaptiert.

Im Jahr 2018 erhielt Fitzek den Europäischen Preis für Kriminalliteratur und war damit der erste deutsche Autor, der damit ausgezeichnet wurde. Zusammen mit anderen Autoren ging Fitzek bereits mehrere Kooperationen ein. Kennzeichen seiner Erstauflagen sind immer besondere Gimmicks, die seine Werke von anderen auf den Büchertischen abheben. Sebastian Fitzek lebt in Berlin.

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Kurzblick: Das Rafik-Schami-Nudelsalat-Problem oder meines mit Kurzgeschichten

Eine Rezension zu schreiben, geht mir normalerweise leicht von der Hand. Zu gerne lese und erzähle ich. Wenn man es genau nimmt, mache ich das Gleiche, wie ein Schriftsteller, nur eben in der Draufsicht. Das funktioniert gut, egal ob das beschriebene Werk die Bestnote erhält oder ein Verriss zu formulieren ist.

Beides macht im Übrigen Spaß. Schwierig ist es, den Mittelwert auszuloten. Auch das jedoch, gelingt mir meistens. Eine literarische Gattung hat es jedoch geschafft, mich zur Verzweiflung zu bringen.

Kurzgeschichten sind konzentriert auf den Augenblick gerichtet, enden zumeist abrupt und erzählen gleichsam einer Fotografie Momentaufnahmen. Das kann entspannend sein, für mich jedoch ist es eine Herausforderung. Zu wenig Zeit, um die Protagonisten auf sich wirken zu lassen, die Sprache, der sich der oder die Schreibende bedient hat, sowie so. Und so liegt ausgelesen hier das Werk von Rüdiger Saß „Sein letztes Lächeln“ vor mir.

Aus Gründen außerhalb der Wertung.
Rüdiger Saß “Sein letztes Lächeln”
Seiten: 140
ISBN: 978-3-948172-03-9
Verlag: container press

Rezensieren werde ich es nicht, jedenfalls nicht in der üblichen Form. Wieder einmal bin ich über das „Rafik-Schami-Nudelsalat“-Problem gestolpert. Weder ein Problem des Autoren, noch des unabhängigen Verlages „container press“, nur mein eigenes. Auf den Punkt gebracht, als Leser funktionieren Kurzgeschichten für mich nicht, zumal solche, wie diese, die ständige Konzentration abverlangen.

Nicht das Problem des Autoren oder des Verlages, mein eigenes.

Das beginnt bei den abgedrehten Namen der Protagonisten, endet dann bei absurden Handlungen, denen ich kaum folgen kann. Immer wieder suche ich das Schwarze Loch, in dem vermeintlich wichtige Inhalte verschwunden sind, die jedoch nicht beschrieben wurden, da Rüdiger Saß sich hier nur auf das absolut Notwendige beschränkt hat. Keine Ausschweifungen, keine durchgehenden Geschichten, einfach nur das Spiel mit den Mitteln der Sprache.

Wer dies als Aufgabe von Literatur sieht, ist hiermit gut bedient. Andere Lesende werden vielleicht auf ähnliche Probleme stoßen, wie ich. Eine Gattungsform zu haben, mit der man nicht zurechtkommt, und das hat mir nun Rüdiger Saß mit dieser Sammlung als zweiter Autor vor Augen geführt. An alle Anderen gebe ich gerne diese Herausforderung weiter.

Konzentration, abrupte Enden und Absurdität, und das ist jetzt positiv gemeint, wird man hier finden, sowie Möglichkeiten, was Sprache auch bewirken kann. Zumindest das hat Rüdiger Saß bei mir geschafft, aufzuzeigen. Ein Abbruch war es nicht. Eine Grenze jedoch, die es mir auch diesmal nicht gelungen ist, sie zu überschreiten.

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Das Bloggen mit Büchern: Das Problem, Buchreihen zu rezensieren.

Je mehr Reihen ich lese, um so schwerer tue ich mich damit, die Einzelbände nach und nach vorzustellen und zu rezensieren. Irgendwann kommt man an den Punkt, bereits in den ersten Bänden Geschehenes zu erwähnen, um den Bericht über die Lektüre zu unterfüttern, nimmt damit das Lesen der vorangegangenen Bände vorweg, spoilert, um eine vernünftige Rezension ohne Geschwafel des Folgebandes zustande zu bringen.

Natürlich würde ich gerne als Schreibender davon ausgehen, dass jemand die Rezension zu einem Folgeband nur liest, wenn er oder sie die vorangegangenen Bücher schon gelesen hat und somit um das bereits Geschehene weiß, doch weiß ich, wie neugierig ich bin. Anderen wird es da wohl kaum anders gehen. Gekennzeichnete Spoiler werden angeklickt, und wenn einem die Reihe mit den bereits gelesenen Bänden gefällt, kann man ja gleich weiter lesen.

Schon ist man bei der Rezension, nicht nur des nächsten Bandes, um sich zu orientieren, ob man eine Reihe weiterverfolgen möchte, sondern irgendwann auch weiter und kennt dann schon den Inhalt des übernächsten und aller weiteren Bände, ohne den Weg dahin durch die wirklichen Buchseiten verfolgt zu haben.

Ein Grund von vielen, warum ich zuletzt Einzelrezensionen zu Büchern aus Reihen vom Blog genommen habe. Ein anderer ist, dass teilweise Zwischenbände nicht rezensiert wurden. Wenn Band 1 und Band 4 rezensiert wurden, wo sind dann die Berichte zu den Büchern, die dazwischen erschienen sind? Das passiert mir immer dann, wenn ich im Urlaub lese und der Abstand zum Gelesenen beim Schreiben nach der Rückkehr zu groß ist. Funktionieren tut dies, wenn es Krimireihen sind.

Da spielt der Kriminalfall eine Rolle. Verbindende Elemente, wie die Beziehungen der Ermittler, wenn es welche gibt, sind eher zu vernachlässigen. Bei Reihen, wie „Harry Potter“ von Joanne K. Rowling, wird es dagegen schon schwierig, Bände auszulassen. Dort bauen ja wirklich alle Elemente aufeinander auf. Ich behaupte einmal, dass es in diesem Fall nichts bringt, Bände auszulassen. Auch nicht beim Rezensieren selbst.

Wie also Reihen gerecht werden, sie doch noch eine Rolle auf den Blog spielen lassen? Ich lese sie ja auch. Durchgehend rezensieren, wirklich jeden Band? Als Sammelrezension nach Beenden des letzten Bandes? Wie sieht das aus, wenn nach einer Sammelrezension weitere Bände erscheinen? Ergänzt man dann, hängt hinten an? Spielt es keine Rolle, wie bei den angesprochenen Krimis, wenn Bände ausgelassen werden? Oder, man rezensiert nur den ersten Band und alle weiteren lässt man aus?

Hier würde mich wirklich eure Meinung interessieren. Eine Ideallösung ist mir bis dato noch nicht über den Weg gelaufen, auch handhaben das Blogger recht unterschiedlich. Meine Zwischenlösung sieht übrigens so aus.

Reihen, die ich z.B. nicht rezensiert oder vom Blog genommen habe:

Margaret Peterson Haddix: Schattenkinder

John Grisham: Theo Boone

Holly Black/Cassandra Clare: magisterium

Colin Dann: Als die Tiere den Wald verließen

Euer findo.

P.s. Jetzt seid ihr dran.

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Alexandra Endres: Niemand liebt das Leben mehr als wir

Niemand liebt das Leben mehr als wir Book Cover
Niemand liebt das Leben mehr als wir Alexandra Endres Verlag: mairdumont Erschienen am: 08.10.2019 Seiten: 330 ISBN: 978-3-7701-8249-7

Inhalt:
Mexiko – ein unglaublich vielfältiges Land, landschaftlich und kulturell. Und vom Drogenkrieg gezeichnet. Alexandra Endres durchquert das Land, welches oft für viele nur eine Durchgangsstation ist.

Ein Land voller Gewalt, in dem täglich Menschen spurlos verschwinden, aber auch ums Überleben kämpfen, um die Natur und ihr kulturelles Erbe. Alexandra Endres trifft auf das indigene Erbe der Maya ebenso, wie auf traditionelle Mezcal-Brenner und engagierte Umweltschützer.

Sie lernt Menschen kennen, die sich unerschütterlich für ihr Heimatland einsetzen und von einer besseren Zukunft träumen. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

Niemand liebt das Leben mehr als wir, weil für uns der Tod so sehr präsent ist.

Guillermo del Toro

Der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro fand einst diese Worte, um das Lebensgefühl seiner Landsleute zu umschreiben. Doch, wie sieht es aus, das heutige Mexiko, welches, wenn überhaupt, hierzulande nur in die Schlagzeilen gerät, wenn mal wieder ein hochrangiger Drogenboss den Behörden ins Netz geht oder die Dramen an der Grenze zu den USA nicht mehr von den Nachrichten-agenturen ignoriert werden könne?

Alexandra Endres, Redakteurin, u.a. von ZEIT Online, hat sich aufgemacht, auf Spurensuche durch ein faszinierendes und vielfältiges Land.

Von Süd nach Nord hat die Autorin den mittelamerikanischen Staat durchquert, der für so viele nur eine Durchgangsstation zum Traum von einem besseren Leben sein soll, der jedoch spätestens im Norden für allzu viele zerplatzt.

Endres nimmt sich Zeit für die Begegnungen mit Menschen, denen ihre Heimat nicht egal ist, die etwas für sich und Andere bewegen wollen, die Abwärtsspirale aus Korruption und Drogenhandel, Umweltverbrechen, nicht akzeptieren.

Aufgrund vermittelter Kontakte begab sie sich auf eine Reise, die ihres Gleichen sucht, zumal als Frau alleine in dieser Gegend zuweilen nicht ganz ungefährdet. Der Blick geschärft für Details schildert sie lebendig das Leben der Menschen, die sie daran teilhaben lassen und zeichnet so ein vielschichtiges Bild.

Kurzweilig sind die Kapitel, immer entsprechend ihrer gewesenen Reiseabschnitte gegliedert, doch beginnt die kurzweilige Reisereportage mit einer Beobachtung, die fast gegen Ende der Reise selbst stattfand. Um so beeindruckender sind die nachfolgenden Schilderungen.

Die Autroin schafft es ihre Bedenken, ihre Zweifel, vor allem aber auch ihre Neugier auf das Unbekannte und ihre Zugewandtheit den Menschen gegenüber lebendig werden zu lassen. Ein Reisebericht kann dabei immer nur einen Ausschnitt aus einem Land zeigen, dessen ist sich die Autorin bewusst.

Sie versucht dennoch einen Rundumblick zu bekommen. Wo stehen Mexiko und seine Menschen heute? Mit welchen Problemen haben sie zu kämpfen und was heißt es, dort zu überleben, wo einem der Tod so nahe ist?

Alexandra Endres schildert all dies nicht nüchtern. In lebendigen Farben gibt sie wieder, was sie gesehen hat und herausgekommen ist der nachhallende Zustandsbericht eines Landes, welches mit keinem anderen zu vergleichen ist.

Durchgangsstation und Endpunkt langer, beschwerlicher Reisen, unfreiwilliger Schmelztigel und indigene Völker auf der Suche nach ihrer Identität, vermischt mit christlichen Traditionen. All dies zusammen führt zu einer besonderen Mischung, die man mit Zeile zu Zeile als Lesender zu verstehen versucht, jedoch immer noch mehr Fragen bekommt.

Aufgelockert durch zahlreiche Skizzen, die Wege markieren, Kartenmaterial im Inneren der Umschlagseiten, sowie einem Fototeil, zeigt die Autorin die Vielfältigkeit dessen, was sonst nur einseitig in unseren Medien dargestellt wird.

Mit jedem Wort wird klarer, wie nah Freude, Zuversicht, Mut und Verzweiflung beieinander liegen, gerade wenn sie mit Umweltschützern, Frauenrechtlerinnen oder Indigenen spricht, die sich für ihre Interessen, nicht ohne Gefahr für sich selbst, einsetzen. Beeindruckend, um nur ein Wort zu nutzen. Bewundernswert in jedem Fall.

Mexiko, so bleibt festzustellen, ist ein unerschrocken unermüdliches Land mit Menschen, die an sich glauben, an ihr Leben hängen. Es lohnt sich, dies zu beobachten und zu verfolgen. Alexandra Endres ist dies im Rahmen ihrer Möglichkeiten gelungen. Wünschenswert, wenn es in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit für die Menschen gibt, die das Leben so sehr lieben.

Autorin:

Nachd er Schule studierte Alexandra Endres in Köln Volkswirtschaft in Kombination mit Realpolitik, bevor sie Redakteurin bei der FAZ wurde und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Wirtschaftsgeographischen Institutes der Uni Köln. Seit 2006 arbeitet sie für ZEIT Online und unternimmt immer wieder Reisen nach Südamerika.

2014 arbeitete sie als Gastredaktuerin für eine kolumbianische Zeitung. Die südamerikanischen Länder (die sie immer wieder bereist), ihre Rohstoffe und Ressourcen, sowie Entwicklung und Menschenrechte gehören zu ihren Hauptthemen. 2016 bereiste sie Kolumbien erneut. Ihre Erlebnisse veröffentlichte sie auf ihren Blog und ausführlich in Buchform.

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Michael Tsokos: Schwimmen Tote immer oben?

Inhalt:
Ist das Erwürgen eine schnelle und effektive Mordmethode? Wie kann man einen Tierbiss von einem Menschenbiss unterscheiden? Können Leichen explodieren? Fernsehkrimis haben einfache Antworten auf diese Fragen.

Doch meist sind es Klischees, die bedient werden – die Realität sieht anders aus. Keiner weiß das besser als Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner. Er nimmt die bizarrsten Irrtümer in unseren Fernsehkrimis aufs Korn und informiert unterhaltsam und spannend über die Mittel und Methoden der Rechtsmedizin. (Klappentext)

Rezension:
Irgendwo läuft immer ein “Tatort” und auch sonst erfreuen sich die Fernsehkrimis anhaltender Beliebtheit. In der Sicherheitszone des eigenen Wohnzimmers lässt es sich halt angenehm gruseln, das Mitraten, wer ist eigentlich der Täter, macht auch Spaß und Ablenkung vom Alltag ist es ohnehin. Doch leider ist diese mit allerhand Klischees bedeckt. Wie arbeiten Rechtsmediziner wirklich?

Welche Unterschiede gibt es im Beruf der Rechtsmediziner zu deren Pendants im Fernsehen, und schwimmen Tote tatsächlich immer oben? Michael Tsokos legt nach und klärt in der Fortsetzung zu “Sind Tote immer leichenblass?” über weitere Irrtümer auf, die im Zusammenhang mit Fernsehkrimis bei vielen Zuschauern entstanden sein dürften.

Unterhaltsam, in kurzweiligen Kapiteln, werden Fragestellungen auf’s Korn genommen und Tsokos, der sich für dieses Buch die allabendlichen Tatortsendungen vorgenommen hat, beschreibt den Alltag und den Wahrheitsgehalt hinter dem, was uns das Fernsehen suggeriert. Findet man wirklich bei Ertrunkenen immer Wasser in den Lungen? Haben nur starke Raucher schwarze Lungen? Knabbern Hunde und Katzen ihre ehemaligen Herrchen an oder verhungern sie lieber?

Aus dem langjährigen Erfahrungsschatz, unter Zuhilfenahme ihm bekannter und auf dem Tisch gelandeter Fälle beschreibt Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner den Unterschied zwischen Wahrheit und Fiktion. Man bekommt jedoch auch eine Ahnung, warum in Krimis der rechtsmedizinische Bereich anders dargestellt wird. Schließlich möchte Tsokos den Spaß am gepflegten Wohnzimmergrusel nicht nehmen, sondern nur das Sichtfeld seiner Leser erweitern.

Das gelingt mit Charme und durch die Auflockerung wunderbarer Illustrationen, die die einzelnen Kapitel ergänzen. Witzig umgesetzt von Christoph Keller unterstreichen sie die Ausführungen des Autoren, der zeigt, was Rechtsmedizin heute kann, wohin sie zukünftig führen wird und was eben nicht möglich ist.

Auch dies ganz interessant. Wenn also das nächste Mal im näheren Umfeld Scheintote wieder auferstehen, Leichen explodieren oder Würgmerkmale untersucht werden, weiß der geneigte Leser dies einzuordnen. Oder man beschäftigt sich dann doch lieber mit True Crime, anstatt leinwandflimmender Verbrechen.

Autor:
Michael Tsokos wurde 1967 in Kiel geboren und ist ein deutscher Rechtsmediziner und Professor an der Charite in Berlin. Er leitet seit 2007 das dortige Institut für Rechtsmedzin, gleichzeitig das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berrlin-Moabit. Zudem ist er Leiter der Gewaltschutzambulanz der Charite.

1998-99 nahm er an der Exhuminierung und Identifizierung von Leichen aus Massengräbern des Bosnienkrieges und im Kosovo teil, 2004-05 war er im Auftrag des Bundeskriminalamtes zur Identifizierung der Tsunami-Opfer in Thailand täig. Er ist Autor mehrerer Fachzeitschriften, populärer Sachbücher und Mitautor mehrerer Thriller. Seit 2014 ist er Botschafter des Deutschen Kindervereins. Tsokos lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Michael Tsokos: Paul Herzfeld 1 – Abgeschlagen

Inhalt:

In einem Kieler Park werden ein toter nackter Mann und eine zerstückelte Frauenleiche entdeckt. Rechtsmediziner Paul Herzfeld ist überrascht, welche mysteriösen Reaktionen dieser Fall auslöst: Professor Schneider, Herzfelds Vorgesetzter, legt sich schon zu Beginn der Obduktion auffällig schnell auf eine Machete als Tatwaffe fest, während der Sektionsassistent vor lauter Nervosität kaum seine Arbeit verrichten kann.

Und dannkommt der Hausmeister des Instituts auch noch einem brisanten Geheimnis auf die Spur. Daraufhin stellt Herzfeld eigene Nachforschungen an und bringt sich und seine Familie in größte Gefahr. (Klappentext)

Bücher der Reihe:

Michael Tsokos/Sebastian Fitzek: Paul Herzfeld – Abgeschnitten (Stand Alone)

Michael Tsokos: Paul Herzfeld 1 – Abgeschlagen

Michael Tsokos: Paul Herzfeld 2 – Abgefackelt

Michael Tsokos: Paul Herzfeld 3 – Abgetrennt

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Rezension:

Es scheint immer mehr so zu sein, dass Crossover zu verschiedenen alltagstauglichen Berufen Bücher geschrieben werden und diese damit besonders gut funktionieren. Das merkt der Leser z.B. an Sebastian Fitzeks “Amokspiel”, einen Thriller, den man durchaus als Anspielung auf die Radiozeit des Bestseller-Autoren verstehen könnte, aber auch an die True-Crime-Werke von Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner, der bereits mit seiner Figur Fred Abel, einen weiteren erfolgreichen Quasi-Ermittler auf das Parkett der Buchhandlungen gebracht hat.

Nun jedoch, an das gemeinsame Werk “Abgeschnitten” anknüpfend, welches der Autor zusammen mit Fitzek geschrieben hatte, ein gelungener wahrscheinlicher Auftakt zu einer neuen Serie.

Handelnder Hauptprotagonist ist Paul Herzfeld, den der Leser über sehr kurze Kapitel, die schnell aufeinander folgen, begleitet. Fachlich versiert und scharfsinnig bearbeitet der Kieler Rechtsmediziner seine Fälle, erstaunt jedoch als sich sein Vorgesetzter allzu leicht auf die Mordwaffe festlegt. Wie kann das sein? Zweiter Handlungsstrang, zumindest zu Beginn und zugleich Aufmacher des Thrillers ist die Geschichte eines freikommenden Mörders, welcher alleine dazu dient, die Handlung ins Rollen zu bringen.

Das funktioniert zunächst gemächlich. Sehr ruhig wird der Leser anfangs durch die Handlung geführt. Schnell ist ausgemacht, wer auf welche Seite steht. Für meinen Geschmack ein wenig zu schnell. Mit zunehmender Seitenzahl gewinnt die Geschichte dann jedoch an Tempo, der Spannungsbogen steigt kontinuierlich an und steuert gezielt auf ein großes Finale im verschneiten Schleswig-Holstein zu.

So viel zum Inhalt. Mehr darf und kann man jedoch auch nicht verraten. faszinierend sind die Details rechtsmedizinischer Arbeit, die Michael Tsokos in seine Werke, hier besonders stark, einfließen lässt. Fasst möchte man mitraten, wie viel von der Handlung wirklich wahr sind und welche fachlichen Anekdoten ihn zu diesem Thriller inspiriert haben.

Diese Gedankenspiele sind es, welches die Leser bei der Stange halten, auch die gute Ausarbeitung der Charaktere und gelungene Beschreibung der Arbeit im Obduktionssaal zeichnen sich verantwortlich für das gewisse Etwas. Wer allerdings Brutalität oder allzu blutige Szenen nicht lesen kann, sollte die Finger vom Buch lassen. Nur so als warnung.

Natürlich hat das Werk auch Schwächen, aber das liegt meines Erachtens daran, dass eben Michael Tsokos’ Arbeit nicht hauptberuflich das Schreiben ist, sondern das Ergründen von Todesursachen, auch wenn dies nur einen kleinen Teil der Rechtsmedizin darstellt. In sofern sind Wortwiederholungen oder schwächere Formulierungen, die man vielleicht bei “hauptberuflichen” Thriller-Autoren nicht durchgehen lassen würde, verzeihlich.

Legt euch also auf den Sektionstisch und taucht ein in ein mörderisches Szenario des winterlichen Kiel. Nicht nur für Schleswig-Holstein-Fans eine packende Geschichte. Nur eines gilt laut Danksagung übrigens als sicher. Paul Herzfeld wird uns voraussichtlich noch öfter begegnen.

Autoren:

Michael Tsokos wurde 1967 in Kiel geboren und ist ein deutscher Rechtsmediziner und Professor an der Charite in Berlin. Er leitet seit 2007 das dortige Institut für Rechtsmedzin, gleichzeitig das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berrlin-Moabit. Zudem ist er Leiter der Gewaltschutzambulanz der Charite.

1998-99 nahm er an der Exhuminierung und Identifizierung von Leichen aus Massengräbern des Bosnienkrieges und im Kosovo teil, 2004-05 war er im Auftrag des Bundeskriminalamtes zur Identifizierung der Tsunami-Opfer in Thailand täig. Er ist Autor mehrerer Fachzeitschriften, populärer Sachbücher und Mitautor mehrerer Thriller. Seit 2014 ist er Botschafter des Deutschen Kindervereins. Tsokos lebt mit seiner Familie in Berlin.

Wolf-Ulrich Schüler arbeitet als Journalist bei BILD, wurde 1980 geboren und lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Masha Gessen/Misha Friedmann: Vergessen

Vergessen Book Cover
Vergessen Masha Gessen/Misha Friedmann dtv Erschienen am: 28.02.2019 Seiten: 160 ISBN: 978-3-423-28172-0

Inhalt:

In Kolyma, im Osten Sibiriens, leben Menschen, die die Geschichte vergessen zu haben scheint. Unter stalin als Zwangsarbeiter in die Uranminen deportiert, konnten sie sich dei Heimreise nach der Freilassung nicht leisten und leben bis heute neben den verfallenden Ruinen des Massenmords. Die preisgekrönte Journalistin Masha Gessen und der Fotograf Misha Friedman sind auf der Suche nach den Spuren des Gulag nach Russland gereist.

Sie haben die letzten Überlebenden und Angehörige der Opfer in Kolyma getroffen, haben in der Strafkolonie Perm aufgespürt, was heute noch vom System der Unterdrückung zu finden ist, und waren in den Todeswäldern Kareliens. mit den Mitteln des genau beobachtenden Journalismus und der Schwarzweißfotografie halten Gessen und Friedman fest, was im heutigen Russland, dem Putin ein Bild von Macht und Herrlichkeit verordnet hat, keinen Platz findet. “Vergessen” ist ein Mahnmal der Erinnerung an den Archipel Gulag. (Klappentext)

Rezension:

Vergleichsweise schmal kommt dieser Band daher und präsentiert sich als Coffe Table Book, mit seinen schönen, jedoch sehr erdrückenden Schwarzweisfotografien. Doch, anders als die Wohlfühlbücher mancher Kataloge, erzählen die Bilder und dazugehörigen Texte die Geschichte von Verzweiflung und Leid, der in der Stalinzeit Verurteilten und in die verbannung geschickten Bevölkerung.

Jeden konnte es treffen, ob Parteimitglied, einfacher Angestellter, Bauer, ganz egal. Die Schätzungen der Opferzahlen reichen von Hunderttausenden bis hin zu Millionen. Viele verschwanden in den Lagern Sibiriens. Kolyma, ein Schreckens(w)ort.

Als der Nachfolger des “Stählernen”, Chruschtschow, die Verbrechen öffentlich machte, viele Häftlinge, längst nicht alle amnestierte, standen diese vor dem nichts. Viele konnten nicht mehr in ihre alte Heimat zurück. Sie blieben dort, wo sie waren. Ihre Nachfahren leben zum Teil heute noch dort.

Die Journalistin Masha Gessen und der Fotograf haben sich aufgemacht, in die Wälder Kareliens und in den sibierischen Osten des Landes, stießen auf Überreste des Schreckes und den Versuch, Erinnerung zu wahren und zu interpretieren.

Wie gedenkt man den Opfern der Stalinzeit im heutigen Russland, welchen Umgang pflegt man mit den taten und warum fällt eine Aufarbeitung dessen, was geschah, so schwer? Mit den Blick für’s Wesentliche besuchten die beiden Autoren Nachfahren der Verbannten und Menschen, die die offizielle Politik Russlands übernommen haben und so die Gedinkrichtung des Landes bestimmen.

Ein Gang durch einen Park gestürzter Skulpturen gehört ebenso dazu, wie eine Lagerstätte, die zum Süpielplatz mit historischen Kolorit für Putins Nationalisten avancierte.

Was bleibt übrig und welcher Umgang mit Geschichte ist der Richtige? Wie Gedenken in einem Land, in der es zu viele Täter gab, die Opfer waren und umgekehrt? Der Eindruck eines eigenwilligen und bezeichnenden Geschichtsverständnisses, gekoppelt mit den Schicksal der Menschen, auf deren Rücken ein Konflikt um die historische Wahrhaftigkeit ausgefochten wird.

Der Leser bleibt indes ratlos zurück. Für ihr Werk haben Gessen und Friedman den Preis der Leipziger Buchmesse zur Europäischen Verständigung 2019 bekommen, und werfen damit mehr Fragen auf, als sie beantworten können. Immerhin wird das Blickfeld ungemein erweitert. Aber, ob das ausreicht?

Autoren:

Masha Gessen wurde 1967 in Moskau geboren und emigrierte Anfang der 1980er Jahre mit ihren Eltern in die USA. Nach Ende der Sowjetunion berichtete sie als Journalistin aus der russischen Hauptstadt und gilt als eine der Stimmen der Opposition gegen Wladimir Putin.

Ihre Biografie über ihn war ein internationaler Bestseller. Sie bekam den National Book Award verliehen und den Preis der Leipziger Buchmesse zur Europäischen Verständigung (2019). Sie lebt mit Frau und zwei Kindern in New York City und schreibt für The New Yorker und The New York Times.

Misha Friedman wurde 1977 geboren, auf den Gebiet der heutigen Republik Moldau. Auch er emigirerte, studierte zunächst Wirtschaft und Internationale Beziehungen in Großbritannien und den USA. On seiner Arbeit als Fotograf beschäftigt er sich mit der Ukraine und Russland, mit Korruption und Patriotismus.

Für seine Arbeit erhielt er u.a, den Preis des Pulitzer Center on Crisis Reporting. Friedman lebt ebenfalls mit seiner Familie in New York City, arbeitet für diverse Zeitungen und Zeitschriften. In Deutschland erschienen seine Arbeiten u.a. in der Zeitschrift Der Spiegel.

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Guido Knopp: Meine Geschichte

Meine Geschichte Book Cover
Meine Geschichte Guido Knopp C. Bertelsmann Erschienen am: 13.11.2017 Seiten: 320 ISBN: 978-3-570-10321-0

Inhalt:

Mister History blickt zurück: Guido Knopp, der das neue Geschichtsfernsehen prägte und damit für Millionen Zuschauer zum wichtigsten Geschichtslehrer wurde, verknüpft pointiert und anekdotenreich zentrale gesellschaftliche und politische Entwicklungen der vergangenen sechs Jahrzehnte mit prägenden autobiografischen Stationen und persönlichen Erlebnissen.

Immer vor dem Hintergrund seines Lebensthemas, der deutschen Geschichte. Ein Buch nicht nur für seine Zuschauer und Leser, die ihm über Jahrzehnte treu geblieben sind. (Klappentext)

Rezension:
Geschichte muss nicht trocken sein, nicht langweilig oder gar oberlehrerhaft rübergebracht werden, um ihrer gerecht zu werden. Im Gegenteil, ist sie doch in all ihren Facetten spannend und durchaus erkenntnisreich. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Wenn es ein Fazit bedarf, welches man aus Guido Knopps Arbeit ziehen darf. Lehrer setzen seine Dokumentationen im Unterricht ein, Wiederholungen einzelner Senderreihen bringen den Schwestersendern des ZDF immer noch gute Quoten, DVD-Verkäufe inmmer noch ordentliche Ergebnisse.

Doch, wer war der Mann, der als Initiator hinter all den Dokumentationen steckte, dem oft vorgworfen wurde, zweifelhafte Personen der Geschichte zu verherrlichen, der neue Dokumentationstechniken anwendete, die heute zum Standard gehören und das Geschichtsverständnis nun schon mehrerer Generationen zumindest mitprägte? Wer war Mr. History?

Erzählt wird seine Geschichte nun von ihm selbst. In seiner Biografie “Meine Geschichte” zeichnet Guido Knopp, gespickt immer wieder mit amüsanten Anekdoten, sein Leben nach und immer wieder auch ein Stück Fernsehgeschichte des ZDF.

Er berichtet von dem Aufbau seiner Redaktion bis zur Gestaltung der ersten Sendungen, gibt Einblick in den Aufwand, der hinter all den zahlreichen Dokumentationen steckt und wirft einen humorvollen Blick auf seine Kritiker, die ihm seine Erfolge mitunter neideten.

Er beschreibt das Wie und Warum, erklärt, wie Neuerungen in der fernsehtechnischen Gestaltung zunächst das Feuilleton althergebrachter Zeitungen verärgerte, und es zum Ruf der “Verknoppung” der Geschichte kam.

Kurzweilig und spannend, wie auch seine Beiträge, seine Dokumentationen zur deutschen Geschichte ist auch seine eigene. Wer “Fan” seiner Arbeiten ist, empfiehlt sich die Lektüre ohnehin, wer Kritiker ist, dem sei “Meine Geschichte aus dem C.Bertelsmann-Verlag ebenfalls ans Herz gelegt.

Wie entstanden bestimmte Sendungen, welcher Aufwand, der für den Zuschauer so nicht sichtbar ist, musste betrieben werden, um Sendereihen zu komplizierten Themen zu füllen, gerade wenn die Türen sich nur per Staubsauger öffnen ließen (sinnbildlich gesprochen)?

Wo waren die Grenzen der ZDF Redaktion Zeitgeschichte und wie die Resonanz in Deutschland, Europa und der Welt? Welche Historiker arbeiteten im Hintergrund mit, welche historischen Persönlichkeiten, von Berühmt bis zum zufällig gewesenen Zeitzeugen gaben Einblicke in die Geschehnisse?

Guido Knopp erinnert sich und kann sich damit getrost einreihen, in die Aufzeichnungen der Gespräche, die er und sein Team mit den verschiedensten Interviewpartnern geführt haben.

Das Kind des Wirtschaftswunders, welches die brotlose Kunst der Geschichte studierte, und diese selbst so spannend zu erzählen wusste, wie einst sein Lehrer auf seinem Gymnasium und sich damit um seiner Lieblingsthematik verdient machte.

Interessenten, die nicht zuletzt ein Stück Fernsehgeschichte nachempfinden und einen Blick hinter die Kulissen werfen möchten, und auch sonst, eine unbedingte Leseempfehlung. Geschichte ist spannend wie ein Krimi und es unbedingt wert, sie zu erzählen.

Was ist eigentlich "Verknoppung"?

Guido Knopp setzte als einer der ersten Spielszenen ein, wo historisches Filmmaterial nicht ausreichte, bestimmte Ereignisse der Geschichte darzustellen. Heute ein gängiges Mittel in den Fernsehtechniken unserer Zeit, war dies damals noch eine neue ungewohnte Technik.

“Nicht authentisch”, lautete das Urteil einiger großer Zeitungen. Zudem wurde Geschichte erstmals nicht nur chronologsich erzählt, sondern anhand von bestimmten Ebenen (z.B. anhand von Personenhierarchien), um eine bessere Nachvollziehbarkeit zu gewähren. Auch dies damals ein Novum.

Zudem wurde historisches Filmmaterial mit Kommentaren unterlegt, Personen nicht vor wertenden, sondern neutralen Hintergründen interviewt.

Auch dies, und die Präsentation geschichtlicher Themen, nicht “oberlehrerhaft”, zur Primetime, um für Aufklärung Reichweite zu bringen, brachten Guido Knopp und seiner Redaktion bestimmte Kritiken ein. Andere, wie Johannes Rau oder Simon Wiesenthal lobten Knopp für seinen Beitrag zum Geschichtsverständnis seiner Zuschauer.

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Autor:
Guido Knopp wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Journalist, Historiker, Publizist und Moderator. Nach der Schule studierte er Geschichte, Politik und Publizistik und arbeitete zunächst als Redakteur verschiedener Zeitungen.

So war er u.a. für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” und der “Welt am Sonntag” tätig. 1978 wechselte er zum ZDF und leidete ab 1984 die von ihm initiierte Redaktion “Zeitgeschichte”. Neben der Podiumsdiskussionsreihe “Aschaffenburger Gespräche” verantwortete er zahlreiche Dokumentationsreihen zur deutschen Geschichte.

Seit 2010 ist er Vorsitzender des Vereins “Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation.” Guido Knopp erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. die “Goldene Kamera” oder den “Emmy”. Er lebt mit seiner Familie in Mainz.

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