Hei, wir sind Marcus und Martinus Gunnarsen. Wir kommen aus Trofors, Norwegen, und haben eine Mama, einen Papa und zwei Schwestern. Wir gehen zur Schule, spielen Fußball, hören gern Musik, hängen mit Freunden ab und müssen iin der Woche um zehn im Bett sein. Wir sind zwei ganz gewöhnliche Jungs. Aber es gibt bei uns auch einige Dinge, die nicht ganz normal sind. Hier ist unsere bisherige Geschichte. (Klappentext)
Rezension:
In der Jugendecke finden sich in den Buchhandlungen immer öfter
Bücher von Youtubern und Möchtegern-Stars, denen ihre Zielgruppe
nacheifert und jede Bewegung auf den verschiedenen Social Media Kanälen
verfolgt. Gemeinsam steht und fällt man, feiert Erfolge und baut eine
Karriere auf, die manchmal aus nur wenig mehr als gutem Aussehen und
einem richtigen Riecher für den Erfolg besteht, worin der auch immer
liegen mag. Etwas anders gelagert ist die Geschichte dieses Buches.
Natürlich ist klar, dass hier die Hilfe eines Ghostwriters in Anspruch genommen wurde, deren Name man auch mit ein wenig Suche herausbekommt, doch erzählt wird hier die Geschichte zweier Teenager, die als Zwillingsbrüder einmal bei der skandinavischen Variante des Junior Eurovision Song Contests teilnahmen, den Mega Grand Prix jr., und diesen gewannen.
Dank Unterstützung der Eltern, einer gewaltigen Portion Glück und den Kontakten zu den richtigen Leuten stürmten sie bald darauf die norwegischen Charts, erreichten Gold und Platin, füllten mehrmals das Oslo Spektrum (ausverkauft) und eroberten nicht nur ihre Heimat, sondern bald darauf den rest Skandinaviens. Derzeit werden Länder, wie Deutschland und Frankreich, ins Auge gefasst. Zu dieser Strategie passt wunderbar das Buch.
Wir begleiten die Jungs hier auf ihren Weg zur Musik und durch die
Stationen ihres bisherigen Weges. Der ist reich bebildert, gefühlt
relativ wenig Text, aber das macht nichts. Die Fans freut es sicher. Aus
Sicht der Zwillinge, die einfach nur ihren traum verfolgen, dabei
unbändiges Glück haben, diesen auch verwirklichen zu können, staunen sie
über Meilensteine, reflektieren jedoch auch, wie sehr sich ihr Leben
inzwischen von dem ihrer Altersgenossen unterscheidet und wem sie das
alles zu verdanken haben. Vor- und Nachteile, nicht vergessen.
Und mehr kann man oder braucht man auch nicht darüber zu sagen. Für
Fans ist es ein Nice-to-have neben der Musik und den Konzertauftritten,
von denen es inzwischen auch welche in Deutschland gab. Man macht’s
einfach den Beispielen aus Amerika nach, ich werde hier Justin Bieber
nicht erwähnen (ups), in manchen Teilen sogar noch besser. Bisher hat
das funktioniert und so funktioniert auch dieses Buch. Wer nicht Fan
ist, wird dieses ohnehin nicht lesen.
Mit Ghostwriter-Hilfe Marcus und Martinus Gunnarsen, die 2002 geboren wurden und zu den Youngstars der skandinavischen Musikszene gehören. Nach der Teilnahme am Mega Grand Prix Junior, den sie 2012 gewannen, schafften sie den Sprung zu Teenie-Stars, stürmten mehrfach die norwegischen, schwedischen und dänischen Charts. Ihre Platten räumten Gold und Silberstatus ab, bekamen Platin.
Sie wurden mit den Spellemann-Preis nominiert, den wichtigsten Preis der norwegischen Musikszene. Inzwischen gehören sie zu den etablierten Künstlern Norwegens, durften bei einer Verleihung des Friedensnobelpreises auftreten und planen als nächstes, in Europa Fuß zu fassen. In Norwegen erschien neben den Buch bereits ein Kinofilm, eine Miniserie. Regelmäßig sind sie zudem Gäste in skandinavischen Fernsehshows und auch als Synchronsprecher waren sie bereits unterwegs.
Das Haus der unfassbar Schönen
Joseph Cassara
Rezensionsexemplar/Roman
Kiepenheuer & Witsch
Erschienen am: 11.04.2019
Hardcover
Seiten: 444
ISBN: 978-3-462-05169-8
Übersetzer: Stephan Kleiner
Inhalt:
New York, 1980: Die Stadt platzt fast vor Glamour und Energie und keine Subkultur könnte diesen Zeitraum besser verkörpern als die aufkommende LGBTQ-Ballroom-Szene. Neu in diese schillernde Welt kommt angel, eine gerade mal siebzehnjährige Dragqueen, schwer traumatisiert von ihrer eigenen Vergangenheit und auf der Suche nach einer Familie für Menschen ohne Familie.
Sie begegnet Hector, der davon träumt, Profitänzer zu werden. Die Beiden verlieben sich und gründen das Haus Xtravagaanza, in dem sie ausschließlich Latino-Queens aufnehmen, um in sogenannten Bällen gegen die anderen Häuser anzutreten. Zur Familie der Xtravaganzas gehören bald noch Venus, Juanito und Daniel; zusammen kämpfen die Xtravaganzas um Anerkennung und Respekt vor ihren Lebensentwürfen – und nicht zuletzt ums blanke Überleben, denn ein grausames Virus macht die Runde. (Klappentext)
Rezension:
Ein Roman, wie ein Schrei. So in etwa
kann man die Geschichte aus der Feder Joseph Cassaras beschreiben,
die uns Kiepenheuer & Witsch hier in der deutschen Übersetzung
vorlegt. In seinem Debüt erzählt der aus New Jersey stammende
Schriftsteller vom Wandel der Gesellschaft, einem flirrenden
Jahrzehnt, Rausch und Extremen und Extremsituationen, denen sich die
Protagonisten ausgesetzt sehen.
In handlichen Kapiteln begleiten wir
die Figuren, die alle ihre Lebensgeschichte als schweres Paket mit
sich herumtragen, durch das schillernde New York, jedoch in seine
Schattenseiten hinein. Angel ist die Hauptprotagonistin, die
ob ihrer Geschlechtsidentität aus den vorgegebenen engen Grenzen der
Gesellschaft zunächst ausbricht, später anderen dabei hilft. In
Zeiten von Diversity ein hochaktuelles Thema, welches noch vor
wenigen Jahren weniger offen gehandhabt wurde, heute immer noch auf
Barrieren stößt.
Vertiefend steht am Anfang der Einführung zunächst die Lebensgeschichte, eingebunden in die Romanhandlung, der Figuren, die zusammen einen Weg suchen, ihre eigene Identität zu finden, zu wahren und zu verteidigen. Das ist anfangs etwas anstrengend zu lesen. Man muss sich in Schreib- und Erzählstil, immer aus wechselnder Protagonisten-Sicht übrigens, einfinden.
Die eingeflochtenen hispanischen Redewendungen und Ausdrücke, der Slang des Buches macht das selbige nicht gerade zu einer einfachen Lektüre, zumal Joseph Cassara seine Protagonisten quält und sie von der einen in die andere Extremsituation wirft. Es geht ums Leben, die Liebe, den Tod, Gesellschaft und Ausgrenzung, Selbstfindung, Drogen und Sexualität. Auch das damals aufkommende HIV-Virus ist ein immer wiederkehrendes Thema.
Ziemlich viel für eine Geschichte. Es klappt, wenn es auch an einigen Stellen hakt. Übergänge zwischen einzelnen Handlungen hätte ich mir an mancher Stelle etwas sanfter gewünscht, rein vom Lesefluss her, Brüche dramatischer und in bestimmten Zeitebenen, zum Beispiel Rückblicke, wäre ich gerne ein wenig länger verharrt.
Wer sich ein wenig mit neuerer Zeitgeschichte, Subkulturen und LGBTQ auskennt, wird sich vielleicht leichter einfinden, andere werden neue Facetten entdecken und ein Jahrzehnt im Schnelldurchlauf durchleben, aus Sicht einer damals sehr weit ausgrenzten Gruppe von Menschen.
Josep Cassara hat mit diesem Roman
gezeigt, dass er das Zeug dazu hat, in einer Reihe mit großen
amerikanischen Schriftstellern, etwa Jonathan Safran Foer, genannt zu
werden, die ein fortschrittliches und nachdenkliches, kritisches
Amerika repräsentieren und den Finger auf die Wunden legen. Dafür
hat sich dieses Werk, wenn auch mit kleineren Abstrichen, gelohnt. Und
da kann man auch mal das extrem ablenkende Cover übersehen, welches ich
jetzt jedoch als verlegerische Entscheidung werte.
Autor:
Joseph Cassara ist in New Jersey geboren und aufgewachsen. Er
studierte zunächst an der Columbia University und schloss einen
Schreibworkshop ab, bevor er selbst seinen ersten Roman „Das Haus der
unfassbar Schönen“ veröffentlichte. Für diesen erhielt er bereits
mehrere Preise. Parallel unterrichtet er selbst Kreatives Schreiben.
Es gibt Tage, von denen man erst etwas mitbekommt, wenn sie gerade laufen oder schon gelaufen sind. Praktisch, wenn es schon fast zu spät ist. Bei mir ist das der diesjährige Gratiscomictag, der sich 2019 zum zehnten Mal jährt. Nach amerikanischen Vorbild möchten auch im deutschsprachigen Raum namenhafte Verlage auf sich aufmerksam machen und junge Leser für Comics gewinnen, alte Leser zurück gewinnen und so wurden am Samstag in Buchhandlungen und Spezialgeschäften gratis Comics verteilt.
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Über vierzig verschiedene, vom Comic bis zum Manga war alles dabei. Zwei bis drei Hefte durfte man pro Geschäft mitnehmen, ich habe vier meiner Stammbuchläden aufgesucht und bin auf insgesamt zwölf Stück gekommen. Als hätte ich nicht schon genug Lesestoff zu Hause.
Ob sich das für mich gelohnt hat, wird sich spätestens beim Lesen zeigen. Ich bin mir aber unsicher, ob ich mir dies noch einmal antue? Auf der Buchmesse machen mir ja Menschenmassen nichts aus, aber in so kleinen Läden bekommt so ein Gedränge noch einmal eine ganz andere Bedeutung. Und, wenn Erwachsene sich freuen, noch vor dem zehnjährigen Knirps das letzte Heft eines bestimmten Comics abgegriffen zu haben, trauriges Kindergesicht und erwachsene Schadenfreude, dann ist das auch nicht Sinn der Sache. Trotzdem ist es eine interessante Aktion und vielleicht hat ja der eine oder andere Ladenbesuch zu einem ungeplanten Buchkauf geführt? Dann hätte sich der Tag auch für die Buchhandlungen gelohnt.
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Man muss dazu sagen, dass ich ansonsten in Buchhandlungen sehr viel Geld ausgebe.
Der virtuelle Spendenhut
Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.
Drei Tanten, ein toter Onkel, ein Drittel-Life-Crisis-geplagter Neffe und eine tragikomische Reise durch die Jahrzehnte von Wien bis nach Montenegro.
Voller Witz, Verve und Herzenswärme erzählt Vea Kaiser in ihrem neuen großen Roman von einer Familie aus dem niederösterreichischen Waldviertel. Von drei ungleichen Schwestern, die ein Geheimnis wahren, von Bärenforschern, die die Zeit anhalten möchten, von glücklichen und tragischen Zufällen und davon, wie die Seelen der Verstorbenen die Lebenden auf Trab halten. In ihrer unnachahmlichen Art verwebt sie die Wahrheiten alter Mythen mit der Gegenwart und erschafft ein mitreißendes und unvergessliches Familienepos. (Klappentext)
Rezension:
Roadmovies sind weder auf der Leinwand noch zwischen zwei Buchdeckeln etwas wirklich Neues, um so mehr müssen sich die Schreiber solcher Werke anstrengen, um im Gedächtnis zu bleiben. Ob dies gelingt, weiß man oft erst nach der Lektüre, denn eine solche Erzählung wirkt, der Natur der Sache geschuldet, nur als Ganzes.
Dazu kommt, dass man dem Schreiber jede Zeile abnehmen können sollte und erst dann, wenn man ein solches stimmiges gesamtbild vorfindet, ist dies als gelungen zu bezeichnen. Vea Kaiser ist dies mit „Rückwärtswalzer“ gelungen.
Im Zentrum stehen vier liebevoll gezeichnete, im Laufe der Geschichte, sich vertiefende Protagonisten, die den Lesern Zeile für Zeile an’s Herz wachsen. Detailliert beschreibt die Autorin aus wechselnder Erzählperspektive den Werdegang ihrer Figuren durch die Zeitgeschichte vergangener Jahrzehnte, bis hinein ins heutige Wien, der Wandel auf den Weg zum Ziel mit inbegriffen.
Die Figuren hängen ihren Gedanken nach, jeder für sich allein, doch irgendwie zusammen und so ergibt sich aus vielen Einzelteilen ein stimmiges Gesamtbild.
Die Entscheidungen der einzelnen Figuren werden aus der Vergangenheit heraus begründet. Feinsinnig hat Vea Kaiser hier die Fäden gehalten; keinen verloren, was auch nicht jedem Autoren gelingt, und als Handlungsstränge letztendlich stimmig zusammengeführt.
Mit Wortwitz und einer gewaltigen Prise Humor treibt sie die Handlung fort und fast wirkt es so, als säße man mit im Wagen, nur um einen Verstorbenen seinen letzten Willen erfüllen zu können. Kurzweilige und vor allem handliche Kapitel tragen mit so manchen Cliffhanger die Handlung voran. Unterhaltung im besten Sinne.
Keine der Figuren geht auf die Nerven, vielmehr muss man über die
schrulligen Eigenheiten der Protagonisten schmunzeln. Erwähnenswert sind
hier die Referenzen zur römischen Mythologie, die zugleich titelgebend
sind und auf diese immer wieder Bezug genommen wird. Manen sind die
römischen Totengeister, denen man als Nachfahre der Verstorbenen nicht
zu entkommen vermag. Das Studium der Autorin macht sich hier bemerkbar.
Dabei ist dieser Roman weder traurig oder so sehr melancholisch, dass
es einem stimmungstechnisch mit hinunter zieht, sondern so witzig, dass
man die eine oder andere Eigenschaft an sich und anderen Menschen
wiedererkennen wird. Alleine, dafür schon ein großes Lob.
Vea Kaisers Roadtrip der Familie Prischinger ist Unterhaltung in
Reinform und macht Lust auf mehr. Ob nun in Wien, Montenegro oder
anderswo.
Autorin:
Vea Kaiser wurde 1988 in St. Pölten geboren und ist eine österreichische Schriftstellerin. Sie arbeitete zunächst als Übersetzerin und Fremdenführerin, studierte von 2007 an Klassische und Deutsche Philogie mit Schwerpunkt Altgriechisch in Wien.
Nachdem sie zudem Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studierte wurde 2014 ein von ihr geschriebenes Theaterstück in Wien uraufgeführt. 2012 erschien ihr erster Roman, zudem schreibt sie Kolumnen für verschiedene Zeitungen. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin lebt in Wien.
Das Interview enthält einen Spoiler, den ich als einen solchen gekennzeichnet habe. Dieser kann jedoch übersprungen werden; man muss ihn aufklappen, um ihn zu lesen. Wer dies nicht tut, bleibt spoilerfrei. Das Interview kann auch ohne diesen gelesen werden.
NH: In Ihrem neuen Thriller
„Abgeschlagen“ geht es um einen Fall innerhalb der Kieler
Rechtsmedizin und den Protagonisten Dr. Herzfeld. Wie viel Herzfeld
steckt in Ihnen persönlich?
MT: Es steckt einiges Persönliches drinnen, dass ich natürlich, wie mein Protagonist das Problem habe, zu viel zu arbeiten, zu wenig zu Hause bin und zu wenig Zeit für die Familie zu haben. Das klingt ja immer wieder durch, sowie dass ich von Berufs wegen neugierig bin und es mir keine Ruhe lässt, wenn sich mir etwas nicht erschließt.
Was nicht auf mich zutrifft ist, dass ich nie diese Risiken eingehen und Alleingänge machen würde, die Herzfeld macht. Das muss man aber, der Dramaturgie geschuldet, machen. Wenn Sie jemanden haben, der 16 Uhr nach Hause kommt und bei jeder Kleinigkeit die Polizei ruft, haben Sie keine Hauptfigur.
NH: Sie können für sich auch das
Dramaturgische und das, was fachlich vielleicht notwendig wäre,
trennen?
MT: Das kann ich. Das ist der Vorteil der Belletristik. Im Sachbuch kann man das nicht, dort muss man bei den Fällen genau dranbleiben. In der Belletristik habe ich die Möglichkeit, einen echten Fall mehr auszuschmücken, mehrere Fälle zusammenfließen zu lassen und den Protagonisten Dinge tun lassen, die man sonst als Rechtsmediziner nicht machen würde. Die Möglichkeiten habe und nutze ich auch.
NH: Ist das Schreiben eines
Thrillers für Sie eine Art „Ausgleich“ zur Wirklichkeit?
MT: Irgendjemand hat mich einmal gefragt, ob es eine Art „Therapie“ wäre. Vielleicht ist es das auch. Einmal macht es natürlich Spaß. Ich habe ansonsten relativ wenige Hobbys, aufgrund der fehlenden Zeit. Ich habe früher auch sehr viel Wissenschaftliches publiziert, in Fachzeitschriften überall auf der Welt, von der Idee bis zur Druckfahne und dem Erscheinen.
Das ist auch das, was bei einem Buch Spaß macht. Es ist sicherlich eine Art „Therapie“ zu wissen, ich schreibe etwas und irgendwann gibt es Leute, die lesen das, die finden es gut und es gibt Feedback. Das ist Erfolg, der einem auch positiv bestätigt.
NH: Wie war das Feedback zum neuen
Thriller von Kollegen der Rechtsmedizin? Gab es da welches?
MT: Nein, bisher nicht. Das ist jedoch auch nichts, was ich jetzt erwarten würde. Ich habe einigen Arbeitskollegen das Buch geschenkt, da diese mich beraten und als Probeleser fungiert haben. Ansonsten gibt es da fachlich kein Feedback. Es macht jeder seines. Es interessiert einen Rechtsmediziner in Hamburg nicht, ob ich Rechtsmediziner in Berlin ein Buch schreibe.
https://www.instagram.com/p/BSETeWdFf_f/
Das war 2017. Michael Tsokos stellte damals einen anderen True-Crim-Thriller vor.
NH: Wie erklären Sie sich bei den
einfachen Publikum und Lesern die Faszination für Thriller und
Krimis?
MT: Der Tod als zentraler Bestandteil
von Krimis und Thriller übt natürlich eine große Faszination auf
die Menschen aus. Das ist etwas, was ich aus meinem Leben als
normaler Bürger ausklammern möchte. Ich kann mir als Normalbürger
nicht vorstellen, dass ich jeden Tag früh ins Büro gehe, zwölf
Leichen auf den Tisch liegen habe, so wie ich, die aufgeschnitten und
untersucht werden…
NH: Sind das so viele?
MT: Ja, wir machen jeden Tag so viele
Obduktionen. Ich bin auch bei allen Obduktionen in Berlin dabei. Wir
machen ca. 2200 Obduktionen pro Jahr. An regulären Arbeitstagen sind
das schon zwölf.
NH: Auch der Thriller „Abgeschlagen“
hat einen wahren Hintergrund. Wo genau liegt der „wahre Kern“
hinter der Geschichte?
Spoiler
MT: Vor ungefähr 25 Jahren hat mein damaliger Chef in der Hamburger Rechtsmedizin mir erzählt, dass es einmal einen skandinavischen Rechtsmediziner gab, der Prostituierte getötet, zerstückelt und die Leichenteile in den Park versteckt hat. Als sie dann gefunden wurden, hat er die obduziert. Über diese Geschichte findet man so gut wie nichts im Internet, da das in den 70er und 80er Jahren passiert ist, aber sie hat mich fasziniert.
Das ist das zentrale Thema. Was ist, wenn ein Rechtsmediziner tatsächlich selbst der Täter ist? Wenn er sein spezielles Wissen ausnutzt, um der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein. Im Buch ist relativ schnell klar, um wen es sich handelt, aber der Weg bis zu seiner Überführung und zum Showdown ist sehr spannend. Das ist entscheidend bei „Abgeschlagen“.
[Einklappen]
NH: Der Weg ist das Ziel. Kann man
ja durchaus auf Ihre Arbeit übertragen. Wie kommt man zu diesen
medizinischen Bereich? Gibt es so etwas wie Freude an dieser Arbeit?
MT: Mein Beruf bereitet mir auch Freude und Spaß. Ich freue mich jeden Tag, wenn ich morgens zur Arbeit fahre, ob dem, was mich erwartet. Es gibt in der Medizin vieles, was ich nicht machen könnte. Wenn ich z.B. auf einer Kinderkrebsstation arbeiten würde und die kleinen Patienten sterben oder ich in einer Dialyse-Station, wo die Menschen zunehmend ins Nierenversagen rutschen, da sie keine Spenderniere bekommen, das wäre eine Sache, die ich nicht machen könnte.
Freude an beiden Berufen. Schriftsteller und Gerichtsmediziner Michael Tsokos.
MT: Ich weiß, dass es für viele unvorstellbar ist, den Job zu machen, den ich habe. Es gibt für mich jedoch genug andere, die ich nicht machen wollen würde. Ich war im Studium von der Rechtsmedizin total fasziniert. Das hat angehalten und deshalb habe ich mich auch dafür entschieden.
NH: Der Protagonist Dr. Herzfeld deckt im Laufe der Ermittlungen die Hintergründe der Tat auf. Wäre dies heute, in Anbetracht der Entwicklung von kriminalistischer Untersuchungsmethoden überhaupt noch so möglich? Ein unaufgeklärter und inszenierter Mord, dieses Schauspiel als Folge?
MT: Absolut. Das ist möglich, da wir
natürlich genau wissen, wie Spuren verändert werden können. Wie
legen wir falsche und verändern eigene Spuren? Das wäre absolut
möglich.
NH: Gibt es den perfekten Mord?
MT: Den gibt es. Ich kann natürlich
keine Beispiele nennen, jedoch gibt es gerade in Berlin den Fall
eines verschwundenen Mädchens, dass sehr wahrscheinlich Opfer eines
Tötungsdeliktes geworden ist. Die Polizei hat nicht den geringsten
Anhaltspunkt, was passiert ist.
NH: Wenn Sie im „Schreibprozess“
sind, wie gehen Sie vor? Steht die Geschichte fest oder beginnen Sie
zu schreiben und schauen, wohin dies führt?
MT: Der Grundblock steht von Anfang bis Ende fest. Man macht sonst den Fehler, sich zu verzetteln und nicht dort anzukommen, wo man hin möchte. Der Weg dahin ist flexibel. Ich habe den Protagonisten und habe die Rollen verteilt; bei dem, was dazwischen passiert, bin ich flexibel.
Zwischendurch kommen ja auch neue Ideen hinzu. Was von vornherein klar ist, ich brauch einen großen Showdown, ein Finale. Es ist jedoch zum Beginn des Schreibprozesses nicht unbedingt klar, wie das aussieht. In „Abgeschlagen“ war es das auch noch nicht, nur, dass es einen großen Abgang haben und quasi filmische Sequenzen haben muss.
NH: Wie gehen Sie mit der Realität
in ihren Büchern um, z.B. im Gegensatz zu Sebastian Fitzek? (Die
Frage habe ich ursprünglich anders gestellt, so dass es weder zum
damaligen Interview mit Fitzek selbst gepasst hätte, noch hier
zielführend gewesen wäre. Michael Tsokos hat jedoch, unbewusst, so
geantwortet, dass ich nachträglich in der Abschrift die Frage
umformulieren konnte. Jetzt passt es.)
MT: Im Gegensatz zu Fitzek muss ich die Realität abmildern, da sonst niemand das Buch lesen würde. Das würde kein Verlag drucken. Bei mir sind die Fälle aus dem wahren Leben.
Michael Tsokos und „Abgeschlagen“.
NH: Ihre Arbeit ist sehr
zeitintensiv, in Berlin und auch im Ausland, wo Sie zu vielen Fällen
hinzugezogen werden? Woher nehmen Sie die Zeit, zusätzlich Thriller
zu schreiben?
MT: Ich habe es sehr komfortabel, da
ich mir keine Fälle ausdenken muss. Die Geschichten kommen zu mir.
Ich bearbeite so viele Fälle mit unfassbaren Details und Wendungen.
Die Story zu bekommen, ist nicht schwierig. Eher noch die Umsetzung,
ein Buch daraus zu formen, neben den sonstigen Pensum. Man muss sehr
diszipliniert sein und seine freie Zeit nutzen, zu schreiben.
NH: Zuletzt wurde die Serie
„Charite“ ausgestrahlt. Es gibt zwei neue Bücher über einen der
prägenden Ärzte, Ferdinand Sauerbuch. Welchen Eindruck haben Sie
davon?
MT: Ich bin selbst immer wieder
erstaunt, wie sich Ärzte im Nationalsozialismus verhalten, zu
Handlangern und willfährigen Henkern dieses Systems gemacht haben.
Für mich erstaunlich, aber es ist natürlich ein Punkt, den ich für
mich selbst kritisch hinterfrage. Wie würde ich mich in solch einer
Situation verhalten? Mich hat die Serie total fasziniert.
NH: Wie wird es denn auch
weitergehen mit Paul Herzfeld?
MT: Es wird eine Trilogie werden. Das
nächste Buch heißt „Abgebrüht, um eben in dieser „Ab-“-Reihe
zu bleiben. Es geht weiter.
NH: In diesem Sinne, vielen Dank für
das Gespräch.
MT: Vielen Dank.
Wir danken Michael Tsokos und DroemerKnaur für die Gelegenheit, das Interview zu führen. Wie immer der Hinweis, dass das Interview Eigentum des Autoren, des Bloggers und des Verlages ist und nicht vervielfältigt, kopiert oder andersweitig verbreitet werden darf. Cover-Fotos werden nach Vorgaben des Verlags verwendet, Fotos des Autoren sind auf der Messe entstanden und gehören den Fotografen. Das Interview erfolgte ohne Gewinnerzielungsabsicht.
Der virtuelle Spendenhut
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Mein Zimmer im Haus des Krieges
Janina Findeisen
Rezensionsexemplar/Sachbuch
Piper
Erschienen am: 02.04.2019
Hardcover
Seiten: 336
ISBN: 978-3-492-05940-4
Inhalt:
Die Journalistin Janina Findeisen wird 2015 auf einer Recherchereise in Syrien gekidnappt und anschließend 351 Tage gefangen gehalten. Sie war nach Syrien gereist, um ihre zum Islam konvertierte Schulfreundin zu treffen und zu verstehen, wie es zu deren Radikalisierung kam.
Kurz nach dem Treffen wird sie, die ihr erstes Kind erwartet, entführt. Sie verbringt fast ein Jahr an unterschiedlichen Orten, in wechselnde Zimmer eingesperrt, von bewaffneten Männern bewacht. In einem dieser Zimmer bringt sie ihren Sohn zur Welt. (Klappentext)
Rezension:
Entführt zu werden ist, wie ins Koma zu fallen: Das Leben drum herum geht weiter, nur ohne dich. Du bist plötzlich nicht mehr dabei, aber du bist trotzdem noch bei vollem Bewusstsein. Bloß kannst du nichts mehr tun, und keiner kann dir mehr helfen.
Janina Findeisen: „Mein Zimmer im Haus des Krieges“
Nehmen wir das Eingangszitat, welches auf der Umschlagsseite abgedruckt ist und womit die Autorin gleich auf den ersten Seiten beginnt, ihre Geschichte zu erzählen. Eigentlich sollte dies das nachspüren der Biografie einer ehemaligen Freundin werden, doch aus den Plänen Janina Findeisens, die Radikalisierung einer ehemaligen Schulkameradin nachzuvollziehen, wurde nichts.
In ihrem Bericht „Mein Zimmer im Haus des Krieges – 351 Tage gefangen in Syrien“ beschreibt die Journalistin, wie sie selbst in die Falle verschiedener Interessensgruppen ging und schließlich entführt wurde. Eingängig schildert sie ihre Situation und die Umstände, die sie blauäugig in eine unkalkulierbare Situation gleiten ließen, die außer Kontrolle geriet.
Janina Findeisen blickt in fassbaren Kapiteln zurück auf eine Freundschaft, die zum Anlass für eine Recherchereise werden sollte, die so ganz anders verlaufen sollte, als geplant. In einfachen Worten schildert sie ihre Beweggründe, sieht im Nachgang auch die Fahrlässigkeit und Dummheit einer solchen Unternehmung, in der selbst sonst hoch gehandelte Sicherheitsgarantien, die ein hohes Gut in der islamischen Welt darstellen, nichts gelten.
Das kann man verurteilen, doch sind die Tage der Unfreiheit und dem, was alles noch daraus hätte folgen können, nicht schon Strafe genug? Diese Frage sollte man sich als Leser stellen, bevor man urteilt.
Bezeichnend sind Sätze, wie dieser.
Meine Entscheidung, schwanger mit einer Sicherheitsgarantie in ein Land einzureisen, in dem Krieg herrscht, ist heute nicht mehr zu begreifen. Es war verantwortungslos, leichtsinnig und falsch. Ich bedauere diesen Schritt zutiefst, doch ich kann meinen Fehler weder ungeschehen machen, noch verbergen oder vergessen. Er ist Teil meiner Lebensgeschichte.
Janina Findeisen: „Mein Zimmer im Haus des Krieges“
Diskussionswürdig ohnehin.
Auch muss man feststellen, das weiß die Autorin, dass sie Glück
hatte. Viele andere Journalisten sind aus verschiedenen Gründen
schlechter aus der Situation herausgekommen als sie. Andere mussten für
ihre Beweggründe mit dem Leben bezahlen, denken wir etwa an den
Amerikaner James Foley, der entführt und vor laufender Kamera enthauptet
wurde. Dies sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man den Bericht
liest, vergisst auch die Autorin nicht und schlägt den Boden zu den
Auswirkungen des Krieges auf das Leben der Menschen in diesem failed
state.
Die Vorwürfe, die man Janina Findeisen machen kann, macht sie sich
selbst auch. Es geht jedoch vor allem um eine möglichst sachliche
Schilderung des Erlebten. Draufsicht auf Unfassbares. Auch, die
Verarbeitung dessen ist wohl Sinn und Zweck des Aufschreibens dieser
Geschichte gewesen und als solche sollte man den Bericht vielleicht auch
betrachten, Dann funktioniert es.
Das Buch gefällt nicht. Dafür ist die thematik zu krass und auch der Begriff Gefallen ist hier falsch gewählt. Janina Findeisen zeigt nur auf, wie sie die Zeit, einer Extremsituation ausgesetzt, überstehen konnte und wie klitzekleine Siege über die Entführer, kaum wahrnehmbar, ihr über diese Tage halfen, sich selbst nicht zu verlieren. Abgesehen vom Diskussionsstoff, den das Buch sicher sonst noch bietet.
Manche Momente im Leben sind teurer als andere, denn sie werden in einer anderen Währung bezahlt. Währung und Preis kennt nur, wer es bezahlen musste.
Janina Findeisen: „Mein Zimmer im Haus des Krieges“
Janina Findeisen steht stellvertretend für einige,
nicht für alle entführten Journalisten, erzählt damit eine andere
Geschichte als die, die sie ursprünglich aufschreiben wollte. In diesem
Sinne ist das flüssig zu lesende Werk, welches wie die Entführung selbst
Längen und Ungewissheiten aufweist, dann wieder rasant erzählt wird,
gelungen. Über die anderen Facetten muss sich der Leser selbst ein Bild
machen und gilt es zu diskutieren.
Autorin:
Janina Findeisen studierte Ethnologie und vergleichende
Religionswissenschaften, forschte zum deutschen Dschihad. Sie arbeitete
als freie Mitarbeiterin für den Rechercheverbund von NDR, WDR und SZ und
veröffentlichte unter Pseudonym Dokumentationen und Reportagen zur
deutschen Dschihadisten-Szene. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin.
VE: Jein. Ich bin langfristig schon optimistisch, da man ja ansonsten nicht existieren und langfristige Sachen machen würde, aber kurzfristig teilweise pessimistisch. Wenn man nicht immer das Schlimmste erwarten würde, könnte man auch keine Thriller schreiben, da passiert ja immer irgendetwas Negatives.
„Sind Sie ein optimistischer Mensch?“ Veit Etzold: „Jein.“
NH: Was hat Sie zu den Thriller
„Staatsfeind“ inspiriert?
VE: Ich habe 2013 mit einem ehemaligen
KSK-Kämpfer (Kommando Spezialkräfte) gesprochen. Der meinte, man
könnte einen Umsturz in Deutschland mit dreihundert Elitekräften
machen. Die würden ausreichen, um alles umzustürzen. Das erschien
mir plausibel und ich habe mir überlegt, was ist, wenn dies wirklich
der Fall wäre? Welche Kräfte würden sich bündeln? Wer würde so
etwas machen? Wie würde das aussehen?
Ich habe dann immer weiter recherchiert, mit verschiedenen Leuten gesprochen und gerade jetzt gibt es eine große Unzufriedenheit bei den Sicherheitsbehörden, die mit der Regierung nicht einverstanden sind, die sich im Stich gelassen fühlen, wo vielleicht die Möglichkeit besteht, so etwas hinzubekommen, gar nicht mal so unrealistisch ist. Auf alle Fälle realistischer als vielleicht vor zehn oder zwanzig Jahren.
NH: Dieses Ereignis, zuerst eines
Terroranschlags und dann eines Umsturzes, setzen Sie auf ein
historisches Ereignis. Den Mauerfall, der sich 2019 zum dreißigsten
Mal jährt. Warum dieses Datum?
VE: Dies ist ein historisches Datum und
die Separatisten wollen Deutschland spalten, in einem
nationalistischen und einem islamischen Staat und bedienen sich dann
auch Islamisten, die ihnen dabei helfen. In sofern wäre es eine
völlige Ironie, dass am dreißigsten Jahrestag der Wiedervereinigung
dann wieder alles auseinander gerissen wird. Der eine Teil
Deutschland wäre dann nationalistisch, der andere islamisch und
jeder der beiden Staaten ist für den anderen da, um ein
abschreckendes Beispiel zu geben.
NH: Sie hatten diese Idee und daraus
die Geschichte formuliert? Wie haben sie diese entwickelt? Gibt es
einen Schreibplan, der Anfang und das Ende stehen vorher fest oder
schreiben Sie und schauen, wo die Idee hinführt?
VE: Der Anfang steht und das Ende steht auch, genau so wie die ganze Story vorab. Es ändern sich vielleicht nur noch ein paar Sachen, auf einige bin ich erst zum Ende hin gekommen, die sich noch ganz gut einfügen ließen, aber bei Thrillern steht normalerweise die gesamte Geschichte gleich zu Beginn. Ich schreibe ein Expose, gliedere teilweise per Excel einzelne Szenen.
Wenn man einfach los schreibt, können logische Brüche entstehen und man kann vielleicht alles nochmal schreiben. Es ist unheimlich schwer, dies wieder hinzubekommen, während man nach einem Expose genau weiß, hier muss ein Charakter öfter auftauchen, hier ist der Bösewicht zu wenig präsent. Es ist um Einiges klarer und strukturierter. Ein Thriller versucht ja auch, den Leser auf eine falsche Fährte zu führen.
Veit Etzold: „Ein Thriller versucht ja auch, den Leser auf eine falsche Fährte zu führen.“
NH: Neben den Schreiben halten Sie
Vorträge und Seminare, arbeiten im Bereich der Unternehmensberatung.
Hilft dies beim Schreiben?
VE: Vor allem mache ich viel über Kontakte, Storytelling und Unternehmensberatung und da gibt es natürlich immer Leute, die sagen, wenn Sie mal eine spannende Idee brauchen, melden Sie sich bei mir. Menschen, die im Bereich Sicherheitstechnologie, IT, Banken arbeiten, haben immer spannende Geschichten zu erzählen, würden selbst vielleicht gerne schreiben, haben aber vielleicht nicht die Zeit dafür oder schaffen es nicht.
Das ist ein tolles Netzwerk, welches man immer kontaktieren kann. Es gibt natürlich Leute in den Sicherheitsbehörden, in der Armee, bei Elitetruppen, ein Netzwerk, welches Geschichten liefern kann, aber oft sagen sie natürlich auch, sie wollen nicht namentlich erwähnt werden.
NH: Gibt es für die Protagonisten
in Ihrem neuen Buch solche realen Vorbilder oder Menschen mit
entsprechenden Charaktereigenschaften?
VE: Cohagen, zum Beispiel ist ein Mensch von Typ Horst Mahler. Horst Mahler war Gründungsmitglied der RAF, hat RAF-Terroristen als Anwalt verteidigt und ist dann Mitglied der NPD geworden. Vom Links- zum Rechtsradikalen, sehr beweglich.
Da geht es wahrscheinlich nur um Umsturz und neue Gesellschaftsformen, die er möchte, egal was da jetzt drauf steht und so ähnlich ist Cohagen, der einer der Hauptverschwörer ist. Es sind schon einige Personen, die an reale angelehnt sind. Das wäre jetzt mit Horst Mahler eine prominente Figur. Es gibt aber viele andere, die ich kenne, die jedoch nicht erwähnt werden möchten.
NH: Für wie realistisch halten Sie
dieses Szenario?
VE: Ich halte die Grundsaat, die Möglichkeit ist relativ hoch. Heute höher denn je als in der Geschichte der Bundesrepublik. Hoffe, dass es dann nicht dazu kommen wird und am Ende alles gut ausgeht.
Es ist jedoch eine Sache, die sehr nah an der heutigen Situation ist, die entsprechende Auswirkungen hätte, wenn sie passiert und nicht komplett unwahrscheinlich ist. Ich wünsche es mir nicht, aber ich glaube, dass es in unserer Zeit eher wahrscheinlich ist als zuvor.
Veit Etzold: „Die Möglichkeit ist relativ hoch.“
NH: Polarisiert der Thriller?
VE: Ich habe schon Kritiken gehört,
E-Mails bekommen, wo es hieß, dass wäre zu krass und verachtend
gegenüber dem etablierten System. Wobei ich ja nicht sage, dass ich
das System verachte, nur sage, was kann passieren, wenn das
etablierte System nicht aufpasst. Ich möchte, dass Demokratie und
Freiheit weiter bestehen, es ist jedoch nicht Gott gegeben. Wenn man
es nicht immer wieder verteidigt, wird es vielleicht irgendwann
abgelöst. Das müssen wir verhindern.
NH: Trotzdem endet ihr Thriller
jetzt nicht gerade mit einem Happy End.
VE: Teilweise. Es muss ja ein Ende
haben. Hier liegt die Bestie am Boden, ist aber noch nicht tot. Man
weiß nicht, wie es weitergeht. Es könnte auch eine Richtung
eingeschlagen werden, die man gar nicht möchte.
NH: Das heißt, Fortsetzung folgt?
VE: Vielleicht. Könnte man überlegen. Dass es eine Fortsetzung gibt, könnte durchaus sein. Vielleicht aber auch nicht.
Veit Etzold: „Dass es eine Fortsetzung gibt, könnte durchaus sein.“
NH: Wie muss die Umgebung sein, um
solche Bücher zu schreiben?
VE: Ruhig. Lärm nervt mich, wenn ich
konzipiere, plotte und schreibe, ansonsten habe ich da keine großen
Anforderungen. Ein wenig Platz.
NH: Sebastian Fitzek sagte mal, um
so schöner die Umgebung, um so schrecklicher werden die Szenarien.
VE: Es muss eine schöne Umgebung sein.
Schöner Ausblick, zum Beispiel am Meer. Aber bei mir kann das auch
das Hotel sein oder im Flugzeug. Wichtig ist, dass man seinen
Gedanken ungestört Raum geben kann. Ansonsten stimmt das natürlich.
Je schöner die Umgebung, desto schlimmer die Themen. Jedenfalls,
wenn man Thriller schreibt.
NH: Was macht die Faszination für
Thriller aus? Gerne gelesen, im Feuilleton kommt er fast nicht vor.
VE: Sie werden gerne gelesen, da sie Themen behandeln, womit man sich in sicherer Atmosphäre gruseln kann. Der Mensch möchte sich gruseln, jedoch in sicherer Umgebung und nicht wirklich solchen Leuten begegnen, einerseits. Andererseits behandeln Thriller ganz oft den Tod und dieses Thema ist in unserer Gesellschaft völlig ausgelagert worden. Man sieht kaum mehr Tote. Früher hat man die auf den Schlachtfeldern gesehen. Tote werden nicht mehr zu Hause aufgebahrt.
Veit Etzold: „Thriller werden gerne gelesen, da sie Themen behandeln, womit man sich in sicherer Atmosphäre gruseln kann.“
Es gibt eine Lifestyle-Industrie und
wir glauben alle, wir sind für immer jung und unsterblich. Sind wir
nicht, aber glauben wir. Religiös gibt es eigentlich auch keine
Beschäftigung mit einem Leben nach dem Tod. Danach ist es vorbei.
Der Tod ist ausgeklammert worden, aber immer noch präsent. Eine Art
Underdog, der durch die Hintertür wieder hereinkommt, nachdem er
durch die Vordertür hinaus geschmissen wurde.
Der Thriller behandelt den Tod und die
Phänomene, die wir ausklammern, die aber für den Menschen trotzdem
interessant sind. Warum der Feuilleton das nicht möchte, keine
Ahnung. Wahrscheinlich, weil es irgendwie massentauglich oder nicht
intellektuell genug ist. Wir haben in Deutschland als einzigem Land
die Unterscheidung zwischen ernsthafter und Unterhaltungsliteratur.
Ernsthaft kommt ins Feuilleton, aber
nicht auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. Bei Unterhaltung ist es
umgekehrt. In anderen Ländern werden auch Thriller in der New York
Times, Washington Post, Financial Times besprochen, hier nicht. Ich
verstehe es auch nicht.
NH: In Ihren Büchern kommen oft
Antihelden vor, bei denen man nicht weiß, wie man sich eigentlich zu
ihnen positionieren soll. Warum?
VE: Ich glaube, diese ganz klaren Helden, die man zuordnen kann, haben ausgedient. Die Leute wollen ambivalente Figuren, was man auch zunehmend an Serien sieht, in denen die Protagonisten nicht klar zuzuordnen sind. Die meisten Menschen sind ähnlich. Ein Mensch, der sagt, er würde nie töten. Wenn es aber darum geht, die eigene Frau, die eigenen Kinder zu retten, würde man vielleicht schon zum Mörder werden. Die Grenzen, was man machen würde und was nicht, sind immer fließend.
Veit Etzold: „Die Grenzen, was man machen würde und was nicht, sind immer fließend.“
Jeder Held, jeder normale Mensch ist
auch teilweise ein Antiheld. Das ist näher an den potenziellen
Lesern dran als ein Held, der völlig glatt gebügelt ist und weiß,
was er will. Wir wissen oft nicht, was wir genau wollen und wie wir
in Extremsituationen reagieren.
Das kommt auf die Situation an und in
solche werden die Helden hinein geschmissen. Das sind Menschen, keine
Superhelden, die eine gewisse Sache vielleicht gut können, ansonsten
genau so verletzlich und überfordert sind, wie vielleicht auch der
normale Leser in einer ähnlichen Situation.
NH: Dieses Szenario haben wir als
Leser und vor allem der Protagonist jetzt überstanden. In welches
werden wir uns als nächstes begeben?
VE: Als nächstes kommt wieder ein
Clara-Vidalis-Thriller, mittlerweile der siebte Band der Reihe, in
der Clara Vidalis einen Serienmörder jagt. Mehr kann ich noch nicht
verraten, es ist aber Bewährtes mit neuem Setting und neuen
Charakteren und einer ziemlichen Überraschung am Ende.
NH: Dann lassen wir uns überraschen.
Vielen Dank für das Gespräch.
VE: Vielen Dank.
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Die Moskauer
Andreas Petersen
Rezensionsexemplar/Sachbuch
S. Fischer
Erschienen am: 13.03.2019
Hardcover
Seiten: 361
ISBN: 978-3-397435-5
Inhalt:
Die DDR war vor allem in den ersten Jahrzehnten geprägt von Paranoia und Denunziation. Die Gründergeneration um Pieck und Ulbricht hatte einst in Moskau die Jahre des Terrors überlebt, in denen Stalin mehr Spitzenkader der KPD ermorden ließ als Hitler. Angst und Verrat wurden Normalität.
Ab 1945 setzten sich die „Moskauer“ im Machtstreben um die Führung in der sowjetisch besetzten Zone durch. Zweifel und Fragen waren nicht erwünscht. Die „Moskauer“ hätten sich sonst ihrer eigenen Verstrickung stellen müssen. Im neuen werdenden Staat setzten siee die gleichen Methoden ein, denen sie fast alle Jahre zuvor zum Opfer fielen. Das Stalintrauma und seine Folgen, analysiert von Andreas Petersen. (eigene Inhaltsangabe)
Rezension:
Die Geschichte der DDR begann schon Jahre vor der Gründung mit einer Gruppe von Kommunisten, die sich vor den Nazis in die Sowjetunion flüchten konnten und in den Jahren des Exils versuchten, eine Machtbasis für einen späteren Neuanfang zu schmieden. Mit Hilfe der Sowjets gelang dies auch später, doch der Weg zur Macht war für Ulbricht, Pieck und andere weder von vornherein klar vorgezeichnet, noch sicher.
Stalin, der im eigenen Land mit den Jahren unter immer größeren Verfolgungswahn litt, ließ Hunderttausende seiner Landsleute, offiziere des Militärs und selbst der Geheimdienste ermorden, schreckte auch nicht vor der Ermordung der Exilanten zurück.
Hunderte KPD-Mitglieder wurden deportiert, gefoltert und ermordet. So viel zur bekannten Geschichte. Doch, wie prägte das die Führungsriege der KPD und welche Auswirkungen hatte dies später auf das eigene Herrschaftsverhalten nach dem Krieg? Andreas Petersen hat Einblick genommen in Tagebücher, Archive und Berichte. Herausgekommen dabei ist ein minutiös gezeichnetes Sachbuch.
Leider auch ein schwer zu lesendes. Dieses Kapitel deutscher und auch russischer Geschichte ist alleine von der Thematik her sehr interessant, zumal noch nicht alle Archive geöffnet und ausgewertet sind und es noch ganz wenige Zeitzeugen gibt, die davon berichten können. In sofern hätten „Die Moskauer“ interessant und spannend beschrieben werden können, das werden und das Formen der Gründergeneration der DDR.
Warum dieses absolute Machtstreben, Denunziation und Aushorchen selbst unter politischen Gleichgesinnten und die Schaffung eines Klimas der Angst, welches über den Tode Stalins noch hinaus wirkte? Warum löschte der Diktator selbst seine künftigen verbündeten einst beinahe selbst komplett aus? Weshalb setzten die DDR-Oberen diese Politik unter anderen Vorzeichen, obwohl selbst einst Betroffene, in ihrem eigenen Staat fort?
Ein Stoff, wie gemacht für einen Politkrimi, jedoch unglaublich reich an Fakten und Statistiken, die auch durch persönliche Geschichten fassbar gemacht werden können. Alleine mit letzteren geht der Autor jedoch allzu sparsum um, so dass am Ende ein schwer zu lesender, für den Laien kaum aufzunehmender Text übrig bleibt, der mehrmals gelesen werden muss, um verinnerlicht zu werden.
Was hängen bleibt, sind Längen und einzelne Fakten. Persönlichkeitsgeschichte, die sonst in solchen Werken den Leser bei Stange hält, ist rar gesät. das funktioniert nur ungenügend, zumal man praktisch gezwungen ist, Absätze wiederholend sich zu Gemüte zu führen und langsam zu lesen.
Vielleicht dachte der Autor beim Schreiben eher an sein sonstiges Zielpublikum? Im Regelfall sind das Studenten. Für’s Fach sind „Die Moskauer“ jedenfalls nach meinem dafürhalten mehr geeignet, als jetzt für den Laien, der sich mit Geschichte beschäftigen und sich diesem bestimmten Kapitel mal von einer etwas anderen Sicht aus nähern möchte.
Als populärwissenschaftliches Werk funktioniert es nicht, was schade ist, denn die zahlreichen Quellen, die auf eine intensive Recherchearbeit schließen lassen, verknüpft mit einzelner Personengeschichte, hätten anders aufbereitet interessanter wirken können. So aber ist die Thematik nicht greifbarer geworden. Schade.
Autor:
Andreas Petersen wurde 1961 in Köln geboren und ist ein deutscher Historiker. Nach der Schule studierte er Osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich und war Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin. Als Dozent für Zeitgeschichte wirkt er an der Fachhochschule Nordwestschweiz und ist zudem Gründungspräsident des Forums für Zeitzeugen in Aarau. Er schreibt für Tageszeitungen und Zeitschriften, pendelt zwischen Berlin und Zürich. Er ist Herausgeber und Autor mehrerer sachgeschichtlicher Werke.
„Wir sind Gäste in dieser Welt der Minute, Wir vergehen, und die Nächsten bleiben hier. Was wir miteinander tun, all diese freundlichen und angenehmen Dinge – das ist es doch, wofür wir leben, oder? Was, außer dem, werden sie mit in unsere Gräber legen? Nur drei Meter leinwand, nur“…
Zutisopeli/Die Minutenwelt, zitiert aus Constanze John „40 Tage Georgien“.
Es sind noch ein paar Dinge offen, die ich von der Messe mitgenommen habe, drei Interviews und Gespräche vor allem, die ich in Leipzig dieses Jahr mit verschiedenen Autoren geführt habe. Leider komme ich erst jetzt und in den nächsten Tagen wirklich dazu, diese zu sichten und werde dies hier, nach und nach, veröffentlichen. Gleich das erste Interview, welches ich vereinbart habe, veröffentliche ich jedoch in Form eines Berichts, da ich in diesem Falle noch besser meine Eindrücke schildern kann. Die anderen Interviews werde ich jedoch wirklich als solche veröffentlichen.
Das Gespräch selbst fand im Büro der Reisemission Leipzig GmbH statt, einer der vielen Veranstaltungsorte im Rahmen des Programms „Leipzig liest“. Diese Ausrichtung der Messe sorgt dafür, dass es eben eine wirkliche Publikumsmesse ist und nicht nur in den Messehallen selbst das Lesefieber gelebt wird. Und so versammelten sich in diesem Büro zahlreiche Zuhörer und Interessierte, um der Leipziger Schriftstellerin zu lauschen.
Constanze John 40 Tage Georgien – Unterwegs von Tiflis bis ans schwarze Meer Seiten: 411 ISBN: 978-3-7701-8293-0 Verlag: mairdumont
Mit so viel Andrang hatte man beim mairdumont Verlag, bei der Reisemission selbst, wohl nicht gerechnet, am allerwenigsten, so schien es mir, die Autorin. Doch Georgien als Land eine große Unbekannte, weckt Interesse. Wir sprechen hier vom letztjährigen Gastland der Frankfurter Buchmesse, doch durch Autoren wie Nino Haratischwili ist das Land immer noch im Gespräch. Auch darüber habe ich mit Constanze John gesprochen.
Doch, zunächst drängelten sich die Zuhörer in den zwei kleinen Büroräumen und die Lesung begann mit einer Einführung in Georgiens „Minutenwelt“. Diese Zeilen, oben zitiert, eröffnen den Reisebericht, der hier schon rezensiert wurde, zeigen, wie dieses Land, gelegen am Kaukasus, tickt.
Die Autorin berichtet von ihrer Entdeckung der Faszination für die georgische Lebensart und vor allem für die Menschen und ihre Geschichten. Fotos werden gezeigt, Ausschnitte gelesen. Als sich der Trubel legt, die Lesung beendet ist, ist der Wunsch, das Land selbst einmal zu bereisen, bei vielen Zuhörern weit nach oben gerückt. Die Autorin und ich sind dann noch in den Büros geblieben und haben miteinander gesprochen.
Zwischen Supra und „Minutenwelt“, nach ihrer Lesung, Constanze John.
Wir vertiefen das in der Lesung Gesagte und kommen schnell auf die Welt des Augenblicks zu sprechen, die die Lebensart der Georgier zu bestimmen scheint. Man lebt jetzt, in diesem Moment und soll dies auch bewusst tun. Dieser Gedanke beeindruckt, wie auch die dort gelebte Gastfreundschaft. Ein Jeder wird willkommen geheißen, aufgenommen, Höhepunkt vielleicht, in das große Ritual der Supra mit einbezogen zu werden, die einen bestimmten Ablauf vorweist.
Constanze John über „40 Tage in Georgien – Unterwegs von Tiflis bis ans Schwarze Meer“.
Als dies zur Sprache kommt, ist Constanze John wieder in Gedanken bei ihren Eindrücken von ihren Reisen dorthin, und wieder auch bei den Menschen, die in hippen wandlungsfähigen Städten leben, aber auch in rauen und ursprünglichen Dorfgemeinschaften, bei einer kreativen und jungen künstlerichen Szene, aber auch bei Familien, deren Familienbiografien durch den Konflikt mit dem großen Nachbarland Russland und den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien gebeutelt sind.
Die Autorin kommt auf Begegnungen, etwa mit den Künstler Pridon zu sprechen, der in seiner ganz eigenen „Minutenwelt“ lebt, aber auch auf Momente des Glücks in Uschguli. Wer den Reisebericht gelesen hat, spürt die Sehnsucht der Autorin zu den bereisten Orten zwischen den Zeilen, beim Vortrag und auch im Gespräch hat sie das nochmals unterstrichen.
Wer Georgien einmal erlebt hat, verfällt dem wohl vollkommen. Und auch dem Humor dieses Volkes, wenn es Witze über die Armenier macht, wie es umgekehrt genau so geschieht, oder wenn mit lachenden Augen von der Entstehungslegende berichtet wird, die die Autorin im Gespräch ebenfalls nochmals hervorhebt.
Constane John hat sich Georgien über die Menschen und ihre Geschichten erschlossen.
Als Gott nämlich die Länder auf die einzelnen Völker verteilte, feierten Armenier und Georgier jeweils rauschende Feste. Als die Verteilung beendet war, blieb für die Armenier nur noch das Land der Steine übrig, die Georgier, die immer noch feierten , bekamen erst einmal nichts. Gott hatte jedoch Erbarmen und schenkte ihnen einen Flecken Erde, den er selbst für sich als Ruhesitz vorgesehen hatte. Unter einer Bedingung, nämlich, dass die georgier jeden Gast freundlich aufnehmen mussten, der zu ihnen käme. Und das tun sie bis heute.
Wie sich das auswirkt, kann man dann in Constanze Johns Reisebericht nachlesen, doch, nach ein paar Tipps gefragt, welche Orte man in diesem Land unbedingt besucht haben sollte, hat die Autorin folgende für uns Leser und Reisende:
Tblissi, als pulsierende Stadt im inneren des Landes mit abwechslunsgreichen Nachtleben.
Uschguli, das höchst gelegene Dorf Georgiens. Die Geschichte Georgiens, konzentriert auf einen Punkt. Wehrtürme als Wahrzeichen und die Kraft der natur in der Bergwelt des Kaukasus. und die Menschen, stolz und eigensinnig, die dort leben.
Wardsia, das größte von drei Höhlenklöstern Georgiens, phänomenal und eindrucksvoll.
Wenn ich etwas aus dem Buch, der Lesung selbst und dem Gespräch mit der Autorin mitgenommen habe, ist es diese Faszination für ein Land, welches man vielleicht nicht auf den ersten Blick weniger als Reiseziel, mehr als Ort der Begegnungen sehen sollte. Die macht man dort nämlich, eingenommen von der Gastfreundschaft der Bevölkerung, in den Städten und Dörfern Georgiens. Letztlich ist es das, was von solchen Erfahrungen bleibt. Vor allem in dieser „Minutenwelt“. Danke, für diesen Austausch der Autorin Constanze John und den Damen und Herren von mairdumont.
Fotos und Bericht dürfen ohne Genehmigung weder vervielfältigt, noch anders verbreitet werden und sind Eigentum des Autoren. Alle Rechte liegen bei findsobeucher.com, der Autorin und mairdumont.
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Niemand weiß, dass du hier bist
Nicoletta Giampietro
Rezensionsexemplar/Roman
Piper
Erschienen am: 01.03.2019
Hardocver
Seiten: 416
ISBN: 978-3-492-05918-3
Inhalt:
Der zwölfjährige Lorenzo soll bei seiner Tante in Siena unterkommen, bis der Krieg vorüber ist. Die Toskana gilt als sicher. Mit seinem neuen Freund Franco träumt Lorenzo vom glorreichen Triumph des faschistischen Italiens. Doch die Begegnung mit Daniele bringt seine Überzeugungen ins Wanken. Daniele ist Jude. Als die Stadt schließlich von den Deutschen besetzt wird, schweben er und seine Eltern in großer Gefahr. Und Lorenzo trifft eine folgenreiche Entscheidung. (Klappentext)
Rezension:
Es gibt Romane, deren Geschichten verschwinden, sobald man den Buchdeckel zugeklappt hat und andere, die bleiben und nachwirken. Zur letzteren Sorte gehört „Niemand weiß, dass du hier bist“ von Nicoletta Giampietro. Das Debüt der italienischen Autorin erzählt die Geschichte des kleinen Lorenzo, der vor den Kriegswirren des Zweiten Weltkrieges in Afrika ins vermeintlich sichere Italien zu Verwandten gebracht wird und dort mit seinem neuen Freund Franco vom Siegeszug des Faschismus träumt.
Zunächst ist alles noch aufregend, auch wenn erste Anzeichen von der Grausamkeit und Bedingungslosigkeit auch den Kinderaugen des Zwölfjährigen nicht entgehen. Jüdische Mitschüler verschwinden aus dem Unterricht, immer schwieriger wird es, an Lebensmittel zu kommen, die Tante eckt mit allzu freier Meinungsäußerung an.
Im Szenario einer Kleinstadt, Siena, in der Toskana konzentrieren
sich die Auswirkungen des Krieges. Viel packt die Autorin hinein. An
historischen Gegebenheiten orierentierent, an realen Personen nur leicht
angelehnt, hat sie einen Aufarbeitungsversuch eines Stückes
italienischer Geschichte geschaffen, der fasst zu vergessen werden
drohte.
Zunächst die Protagonisten, in deren Zentrum der anfangs zwölfjährige Lorenzo steht. Aufgewachsen in Tripolis, ist er der wache Charakter, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. Zugleich außenstehender Beobachter und Beteiligter trägt der Protagonist die Geschichte.
Detailliert zeigt die Autorin den Zwiespalt auf, in dem Lorenzo sich befindet, vor allem in den gegensätzlichen Freundschaften, einerseits zum gleichaltrigen Franco, dessen Familie vom Faschismus profitiert, er selbst ist ganz der Ideologie verfallen, andererseits im späteren Verlauf zu Daniele, der nur knapp dem Unheil der Deportation entgeht. Beide Freundschaften bringen Lorenzo, auf die eine oder andere Art und Weise, in Gefahr.
Immer wieder fallen dabei bezeichnende Sätze, wie dieser:
Ich war an einem sicheren Ort gebracht und zurückgelassen worden. Aber Kriege sind unberechenbar. Und sichere Orte auch.
Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist
Die Geschichte entfaltet eine Sogwirkung, zunächst nur leicht, mit zunehmender Seitenzahl immer stärker, der man sich nicht entziehen kann. Dazu trägt ein kontinuierlicher Spannungsbogen bei und die Tatsache, dass die Autorin möglichst viele Themen gezielt untergebracht hat.
Zwar nur haarscharf an der Überfrachtung vorbei, sind auch die Nebenfiguren so detailliert gezeichnet, dass sie fassbar werden, allen voran Figuren wie Matteo oder Zia Chiara, die durchaus zur Identifikation taugen. Lorenzo steht irgendwo dazwischen. Auch thematisch macht es Giampietro ihren Lesern nicht leicht. Geschont wird niemand.
Es werden die Auswirkungen des Krieges auf den Alltag, das Denken und Handeln der Partisanen, der Mitläufer und der Täter behandelt, aber auch dort immer wieder gezeigt, dass jede Geschichte zwei seiten hat, eine großer Stärke des Romans, unterstützt durch sprachlich wunderbare Bilder.
… fast verschmolzen mit der Wand, zitternd wie ein Pappelblatt im Wind, schmutzig und mit riesigen, angsterfüllten Augen, …
Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist
Geschichtliche Aufarbeitung kennen wir von deutscher, niederländischer oder von polnischer Seite, dieser Roman zeigt einen Versuch etwas Unfassbares fassbar zu machen aus italienischer Sicht. So gelungen, habe ich selten etwas gelesen und kann diesen Roman nur jeden Interessierten ans Herz legen.
In klarer verständlicher Sprache und nicht allzu langen Kapiteln verfolgt die Autorin das Handeln ihres Protgonisten über mehrere Jahre, in denen Lorenzo einen Prozess des zu schnellen Erwachsenwerdens durchmachen muss. Leben, damit der andere überlebt, dabei einen klareren Blick bekommen. Vielleicht kann man es so zusammenfassen?
Emotional, nicht kitschig, beschreibt die Autorin Lorenzos Weg und
zeigt im Nachwort auf, welchen realen Gegebenheiten einzelne Elemente
der Handlung und Beschreibungen entlehnt sind. Gerade dies macht
„Niemand weiß, dass du da bist“ zu einem unglaublich starken Roman,
dessen Geschichte sich so oder ähnlich tatsächlich hätte abspielen
können. Manche Szenen sind der Realität entlehnt.
Wer diesen Roman liest, wird dies mit zunehmend offenen Mund tun und
viel Stoff zum Nachdenken bekommen. Eine Geschichte mit Nachhall, die
ihres Gleichen sucht, gegen das Vergessen und für das Erinnern. Eine
unbedingte Empfehlung.
Autorin:
Nicoletta Giampietro wurde 1960 in Mailand geboren und wuchs in einer
italienisch-französischen Familie auf. Sie studierte nach der Schule
Politikwissenschaften und geschichte in Mailand und Tübingen, zog 1986
nach Deutschland. Seit 1995 lebt sie in mainz, nach Stationen in Köln
und Rotterdam. Sie spricht mehrere Sprachen. „Niemand weiß, dass du hier
bist“ ist ihr erster Roman.