Messe-Countdown LBM 2019 #2

Im ersten Beitrag über die Vorbereitungen ging es um Unterkunft und Visitenkarten, die ersten Termin-Absprachen mit Verlagen und Autoren und um das erste Durchsehen des Programms. Mittlerweile sind diese Punkte erledigt und die Technik wird zusammengesucht (Kamera, Video-Cam, Stativ, Akkus usw.), das Zugticket gebucht und ich lese noch die letzten Bücher, um mich auf die Interviews vorzubereiten. Die Ergebnisse davon werdet ihr nach der Messe hier lesen können, doch zuvor habe ich, aus meiner eigenen Messeplanung ein paar interessante Programmpunkte ausgesucht, die ich mir anschauen werde und die sicher auch den Einen oder Anderen von euch interessieren könnte. Natürlich habe ich mir noch mehr Veranstaltungen herausgesucht, aber hier einmal eine kleine Auswahl:

Donnerstag, 21. März 2019

12:00-12:30 Uhr Matrosenruhe – Meine Jahre in Putins Gefängnissen
Lesung und Gespräch mit Wladimir Perewersin über Justizwillkür und Grausamkeit des Strafvollzugs in Russland – ein erschütternder Bericht
Forum Sachbuch, Halle 5, Stand F401/G410 – Ch. Links Verlag

15:30-16:00 Uhr Ferdinand Sauerbruch und die Charite – Operationen gegen Hitler
Lesung und Gespräch mit Christian Hardinghaus über die Neubewertung eines großen Mediziners
Forum Sach- u. Fachbuch, Halle 3, Stand H300 – Europaverlag

17:00-17:30 Uhr Frieden oder Krieg
Lesung und Gespräch mit Fritz Pleitgen und Michael Schischkin, Erklär mir Russland – eine Annäherung
Forum Sachbuch, Halle 3, Stand E201 – Ludwig Verlag

Freitag, 22. März 2019

10:30-11:00 Uhr „Fische, die auf Bäume klettern – ein Kompass für das Abenteuer namens Leben“
Gespräch mit Sebastian Fitzek, der sich existentiellen Fragen: Was zählt das Leben? Wie findet man sein Glück?
ARD Forum, Halle 3, Stand B400 – Droemer Knaur

Samstag, 23. März 2019

10:00-10:30 Uhr Ostwärts – oder wie man mit den Händen Suppe isst, ohne sich nachher umziehen zu müssen
Julia Finkernagel im Gespräch über ihr Buch zur TV-Reihe
MDR, Glashalle, Stand 17 – MDR Kultur und Knesebeck Verlag

16:00-16:30 Uhr Couchsurfing in China. Durch die Wohnzimmer der neuen Supermacht
Stephan Orth im Gespräch über sein neues Buch, und plötzlich wirkt das schwer durchscheinbare China weniger fremd, als man vermutet hätte
MDR, Glashalle, Stand 17 – MDR Kultur und Piper Verlag

Sonntag, 24. März 2019

11:00-11:30 Uhr Ruanda 1994. Vom Umgang mit dem Völkermund
Lesung und Gespräch über den Völkermord in Ruanda vor 25 Jahren, der noch immer von großen Widersprüchen geprägt ist
Forum Sachbuch, Halle 5, Stand F401/G410 – Zu Klampen Verlag

11:30-12:00 Uhr Die Resistance
Lesung und Gespräch mit Ulrich Schneider über den Antfaschistischen Widerstand in Frankreich 1940-1945
Die Bühne, Halle 5, Stand E404 – PapyRossa Verlag

Das sind natürlich nicht alle Programmpunkte der Messe. Ich selbst habe mir vier A4-Zettel vollgeschrieben, mit für mich spannenden Terminen. So kann ich dann nach Lust und Laune entscheiden, was ich mache, ohne mich stundenlang durch das Programmheft zu wühlen. Ihr könnt die Veranstaltungen auf der Messe und in der Stadt hier durchsuchen. Ich empfehle euch außerdem auch mal das Programm des Gastlandes zu sichten. Das ist in diesem Jahr Tschechien.

Viel Spaß dabei.

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Christian Hardinghaus: Die Spionin der Charite

Die Spionin der Charite Book Cover
Die Spionin der Charite Christian Hardinghaus Europaverlag Erschienen am: 08.02.2019 Seiten: 240 ISBN: 978-3-95890-237-4

Inhalt:

Lily Kolbe, ehemalige Sekretärin des weltbekannten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch zerreißt wütend die Zeitung, als erneut an das Hitler-Attentat und den Widerstand um Stauffenberg erinnert wird, die Welt aber nichts vom Widerstand einer kleinen Gruppe bekannt ist, die sich innerhalb der Berliner Charite zu Kriegszeiten gebildet hatte.

Die acht Mitglieder hatten sich geschworen, ihre Aktionen geheim zu halten, doch jetzt will Lily ihr Schweigen brechen. Sie wendet sich an Eddie Bauer, einem Journalisten, erzählt ihre Geschichte, und bringt damit einen Stein ins rollen, der die Geister der Vergangenheit weckt. Plötzlich wird Lily von längst vergessenen Feinden bedroht, auch der Journalist verhält sich merkwürdig. Wen kann sie noch trauen? (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Es liegt in der Natur der Sache, dass ich mich schwer tue, wenn historischer Stoff ins Fiktionale übersetzt wird und aus wahren Begebenheiten eine Geschichte gestrickt wird. Tatsächlich bin ich jetzt kein Fan von historischen Romanen, zumal, wenn ich die Hintergründe der wahren Begebenheit kenne.

In sofern war es ein Fehler, das Sachbuch zur Thematik zuerst gelesen zu haben und erst dann den Roman, dennoch liegt mit „Der Spionin der Charite“ von Christian Hardinghaus im Europaverlag nun ein würdiges Äquivalent zum Sachbuch vor, welches der gleiche Autor über den Chirurgen der Charite, Ferdinand Sauerbruch, geschrieben hat.

Der Handlungsort des Romans ist dann auch im Wesentlichen die berühmte Klinik selbst, doch zunächst geht es etwas weniger weit zurück in die Vergangenheit. Der Leser erlebt Lily Kolbe, als wiederholt über das Attentat des 20. Juli 1994 berichtet wird. Es ist Jahrestag des selben und die ehemalige Sekretärin des oben erwähnten Chirurgen ärgert sich darüber, dass niemand vom ebenso mutigen Widerstand der Mitarbeiter der Klinik weiß.

Natürlich selbst schuld, da sich die Mitglieder des kleinen „Donnerstagclub“ geschworen hatten, niemanden etwas von ihren Aktionen zu sagen, doch in Lily brodelt es. Sie beschließt, den Journalisten Eddie Bauer zu kontaktieren und ihm ihre Geschichte zu erzählen. Doch, die Vergangenheit holt sie schneller ein als ihr lieb ist. Bald weiß sie nicht mehr, wen sie noch trauen kann. Auch Bauer verhält sich zunehmend merkwürdig.

Dies ist das Grundgerüst der Geschichte, die in größeren Abständen zwischen den Zeiträumen und damit auch der Handlungsebene wechselt. Mehr sei zum Inhalt jedoch auch nicht verraten. In kurzweilig einschlägigen Kapiteln schreitet die Handlung voran. Erst langsam, dann mit zunehmenden Tempo. Die Hauptprotagonistin gewinnt mit zunehmender Seitenzahl an Tiefe. Wahrheit und fiktion wurden hier, Zeile für Zeile, gekonnt miteinander verwoben.

Die Wendung zum Ende hin ist logisch, erfolgt aber gefühlt etwas zu abrupt. Das funktioniert, wenn man das Sachbuch „Ferdinand Sauerbruch und die Charite – Operationen gegen Hitler“ noch nicht gelesen und sich allgemein mit der Geschichte zu wenig beschäftigt hat. Anderenfalls verliert sich ein wenig die Wirkung, die der Autor erzielen wollte.

Hier hätten der Geschichte noch zwanzig bis fünfzig Seiten mehr gut getan, um die Lücke zu füllen, was aber durchaus anders sein kann, wenn man zuerst dieses Werk und dann das Sachbuch liest. Diesen kleinen Abstrich muss ich hier machen, kann jedoch ansonsten eine Empfehlung aussprechen für die, die gerne neuzeithistorische Romane lesen und etwas über ein wenig bekannteres Kapitel der deutschen Geschichte erfahren bzw. sich erst einmal da herantasten möchten. Es funktioniert.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

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Masha Gessen/Misha Friedmann: Vergessen

Vergessen Book Cover
Vergessen Masha Gessen/Misha Friedmann dtv Erschienen am: 28.02.2019 Seiten: 160 ISBN: 978-3-423-28172-0

Inhalt:

In Kolyma, im Osten Sibiriens, leben Menschen, die die Geschichte vergessen zu haben scheint. Unter stalin als Zwangsarbeiter in die Uranminen deportiert, konnten sie sich dei Heimreise nach der Freilassung nicht leisten und leben bis heute neben den verfallenden Ruinen des Massenmords. Die preisgekrönte Journalistin Masha Gessen und der Fotograf Misha Friedman sind auf der Suche nach den Spuren des Gulag nach Russland gereist.

Sie haben die letzten Überlebenden und Angehörige der Opfer in Kolyma getroffen, haben in der Strafkolonie Perm aufgespürt, was heute noch vom System der Unterdrückung zu finden ist, und waren in den Todeswäldern Kareliens. mit den Mitteln des genau beobachtenden Journalismus und der Schwarzweißfotografie halten Gessen und Friedman fest, was im heutigen Russland, dem Putin ein Bild von Macht und Herrlichkeit verordnet hat, keinen Platz findet. „Vergessen“ ist ein Mahnmal der Erinnerung an den Archipel Gulag. (Klappentext)

Rezension:

Vergleichsweise schmal kommt dieser Band daher und präsentiert sich als Coffe Table Book, mit seinen schönen, jedoch sehr erdrückenden Schwarzweisfotografien. Doch, anders als die Wohlfühlbücher mancher Kataloge, erzählen die Bilder und dazugehörigen Texte die Geschichte von Verzweiflung und Leid, der in der Stalinzeit Verurteilten und in die verbannung geschickten Bevölkerung.

Jeden konnte es treffen, ob Parteimitglied, einfacher Angestellter, Bauer, ganz egal. Die Schätzungen der Opferzahlen reichen von Hunderttausenden bis hin zu Millionen. Viele verschwanden in den Lagern Sibiriens. Kolyma, ein Schreckens(w)ort.

Als der Nachfolger des „Stählernen“, Chruschtschow, die Verbrechen öffentlich machte, viele Häftlinge, längst nicht alle amnestierte, standen diese vor dem nichts. Viele konnten nicht mehr in ihre alte Heimat zurück. Sie blieben dort, wo sie waren. Ihre Nachfahren leben zum Teil heute noch dort.

Die Journalistin Masha Gessen und der Fotograf haben sich aufgemacht, in die Wälder Kareliens und in den sibierischen Osten des Landes, stießen auf Überreste des Schreckes und den Versuch, Erinnerung zu wahren und zu interpretieren.

Wie gedenkt man den Opfern der Stalinzeit im heutigen Russland, welchen Umgang pflegt man mit den taten und warum fällt eine Aufarbeitung dessen, was geschah, so schwer? Mit den Blick für’s Wesentliche besuchten die beiden Autoren Nachfahren der Verbannten und Menschen, die die offizielle Politik Russlands übernommen haben und so die Gedinkrichtung des Landes bestimmen.

Ein Gang durch einen Park gestürzter Skulpturen gehört ebenso dazu, wie eine Lagerstätte, die zum Süpielplatz mit historischen Kolorit für Putins Nationalisten avancierte.

Was bleibt übrig und welcher Umgang mit Geschichte ist der Richtige? Wie Gedenken in einem Land, in der es zu viele Täter gab, die Opfer waren und umgekehrt? Der Eindruck eines eigenwilligen und bezeichnenden Geschichtsverständnisses, gekoppelt mit den Schicksal der Menschen, auf deren Rücken ein Konflikt um die historische Wahrhaftigkeit ausgefochten wird.

Der Leser bleibt indes ratlos zurück. Für ihr Werk haben Gessen und Friedman den Preis der Leipziger Buchmesse zur Europäischen Verständigung 2019 bekommen, und werfen damit mehr Fragen auf, als sie beantworten können. Immerhin wird das Blickfeld ungemein erweitert. Aber, ob das ausreicht?

Autoren:

Masha Gessen wurde 1967 in Moskau geboren und emigrierte Anfang der 1980er Jahre mit ihren Eltern in die USA. Nach Ende der Sowjetunion berichtete sie als Journalistin aus der russischen Hauptstadt und gilt als eine der Stimmen der Opposition gegen Wladimir Putin.

Ihre Biografie über ihn war ein internationaler Bestseller. Sie bekam den National Book Award verliehen und den Preis der Leipziger Buchmesse zur Europäischen Verständigung (2019). Sie lebt mit Frau und zwei Kindern in New York City und schreibt für The New Yorker und The New York Times.

Misha Friedman wurde 1977 geboren, auf den Gebiet der heutigen Republik Moldau. Auch er emigirerte, studierte zunächst Wirtschaft und Internationale Beziehungen in Großbritannien und den USA. On seiner Arbeit als Fotograf beschäftigt er sich mit der Ukraine und Russland, mit Korruption und Patriotismus.

Für seine Arbeit erhielt er u.a, den Preis des Pulitzer Center on Crisis Reporting. Friedman lebt ebenfalls mit seiner Familie in New York City, arbeitet für diverse Zeitungen und Zeitschriften. In Deutschland erschienen seine Arbeiten u.a. in der Zeitschrift Der Spiegel.

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Christian Hardinghaus: Ferdinand Sauerbruch und die Charite

Ferdinand Sauerbruch und die Charite Book Cover
Ferdinand Sauerbruch und die Charite Christian Hardinghaus Europaverlag Erschienen am: 08.02.2019 Seiten: 234 ISBN: 978-3-95890-236-7

Inhalt:

Ungeachtet seiner medizinischen Verdienste zählt Ferdinand Sauerbruch zu den umstrittensten Ärzten des letzten Jahrhunderts. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte ein fast heroisches Bild des Menschen und Mediziners, der ab 1928 als Professor für Chirugie an der Berliner Charite arbeitete. Dafür gesorgt hat er teilwesie selbst, doch seit Beginn unseres Jahrhunderts wird der Blick zunehmend kritischer.

Sympathie, ja sogar Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten, wirft man dem Chirugen vor. Christian Hardinghaus begab sich auf Spurensuche und recherchierte. Herausgekommen dabei ist die erste umfassende Biografie dieses Arztes. Quellen belegen seinen Einsatz für Juden und andere politisch Verfolgte und Sauerbruchs Unterstützung des Widerstands gegen Hitler. Der Mediziner Ferdinand Sauerbruch muss neu bewertet werden. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Das berühmteste und bekannteste Krankenhaus Deutschlands, die Charite, hat eine lange und wechselhafte Geschichte vorzuweisen, die immer wieder auch medizinische Standards setzte und bedeutende Ärzte und Forscher hervorbrachte. Zu den Bekannteren unter ihnen gehört nicht zuletzt Ferdinand Sauerbruch, der in den 1930er Jahren dort als Chirug arbeitete und dessen Ruf ihn vorauseilte.

Doch, war er wirklich der „Halbgott in Weiß“, als der er in einer mit Hilfe eines Ghostwriters geschriebenen Biografie dargestellt wurde oder eher ein Kollaborateur der Nazis, wie ihn spätere Berichte nannten? Der Journalist und Autor Christian Sauerbruch begab sich auf Spurensuche. Herausgekommen dabei ist eine umfassende, alle Aspekte beleuchtende, Biografie.

Der Autor beginnt bewusst nicht mit der Geschichte Sauerbruchs selbst, sondern stellt zunächst in Kurzform die des Krankenhauses vor, was erklärt, warum die Charite später die Bedeutung erlangen konnte, die sie noch heute inne hat. Erst dann widmet sich Hardinghaus den Privat- und Berufsmenschen Sauerbruch und beschreibt, gestützt auf Tagebücher, niedergeschriebene Augenzeugenberichte und Archivmaterial, minutiös den Aufstieg und Werdegang eines Schülers zum Studenten, bis hin zum später bedeutenden Arzt.

Seine Genialität, die ihm half, medizinische Unterdruckkammern zu entwickeln, mit denen erstmals Operationen am offenen Brustkorb möglich wurden, wird ebenso beleuchtet, wie die eigene Entwicklung von protesen für Geschädigte des Ersten Weltkrieges, aber auch außergewöhnliche medizinische maßnahmen, die landesweit Aufsehen erregten.

Der Autor geht dabei sehr tief ins Detail und beleuchtet diese, wie auch die persönliche, etwas schwierigere Seite eines Mannes, den später vor allem in drei Punkten seines Lebens Anschuldigungen treffen sollten, die den Ruf des Mediziners auseinander nahmen.

Doch, was ist an den Kritikpunkten dran, auch dies verliert der Autor nicht aus den Blick. Jeder einzelne wird beleuchtet, Hintergründe erklärt und im Spiegel des Zeitgeschehens und dem, was wir heute wissen, beleuchtet.

Herausgekommen ist eine lesenswerte und vor allem kurzweilige Biografie, die ein differenziertes Bild auf einen Mediziner ermöglicht, dessen Wirken auch in Kriegszeiten weit über die Grenzen Deutschlands Beachtung fand, ihn und die direkt mit ihn in Kontakt Gestandenen schützten und vor allem ein Stück Berliner Personengeschichte, die nicht vergessen werden sollte.

Anhand von Augenzeugenberichten, Tagebucheinträgen und Archivmaterial, aufgelockert durch Fotografien und Skizzen, etwa medizinischer Apparaturen, ist ein bedeutendes Stück Medizingeschichte zu lesen. Selbst für medizinische Laien.

Der Schreibstil von Hardinghaus packt wie in einem Roman, nur dass mit „Ferdinand Sauerbruch und die Charite“ fast ein literarisches Sachbuch vorliegt. Wobei das Sachbuch eindeutig überwiegt. Die Recherchearbeit merkt man dabei auf jeder einzelnen Seite, das wirkliche Interesse, die Person zu ergründen, ebenso.

Der Autor zeigt einen Mann zwischen Berufsethos, Anpassung und Widerstandsgeist, Genie und Wahnsinn und einen besonderen Menschen in besonderer Zeit, der sich für nicht besonders hielt, seiner Wirkung aber bewusst war. Skalpell bitte.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

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Messe-Countdown LBM 2019 #1

Dieser Artikel ist schon längst überfällig. Da ich aber gerade arbeitstechnisch voll und ganz ausgelastet bin, komme ich erst jetzt dazu, ihn zu schreiben. Dabei ist die Leipziger Buchmesse, in der uns die Verlage und Autoren ihre derzeitigen und kommenden Werke präsentieren, schon in ein paar Wochen und ich selbst bin seit Ende Dezember des letzten Jahres dabei, mir meine persönlichen Messetage zusammen zu stellen. Ein wenig möchte ich euch, in diesem Beitrag und weiteren, an den Vorbereitungen teilhaben lassen.

Von Kindesbeinen an bin ich praktisch seit ich das Lesen gelernt habe, jedes Jahr auf der Buchmesse in Leipzig gewesen. Klar, ich bin in der Stadt aufgewachsen und jede Schule schleppt ihre Schützlinge mindestens einen Tag dorthin und das behalten die meisten dann auch ihr Leben lang bei. Ausgesetzt habe ich, glaube ich, nur ein oder zwei Mal aus beruflichen Gründen, doch als Blogger ist es praktisch „Pflicht“ zumindest sich auf einer Messe einmal sehen zu lassen. Frankfurt fällt für mich meist weg, da die Messe meist in meine Haupturlaubszeit hineinfällt und die verbringe ich dann doch lieber woanders als im schnöden Frankfurt/Main. Was natürlich nichts gegen die Stadt oder der dortigen Messe heißen soll.

https://www.instagram.com/p/BgVmESKDGNB/

Es sind zudem ganz praktische Erwägungen, die mich zur Leipziger Messe bewegen. Ich spare mir schlicht und einfach die Hotelkosten. Bis jetzt ist zumindest mein Bruder noch nicht auf die Idee gekommen oder ich konnte es erfolgreich verhindern, etwas für mein Aufenthalt zu verlangen. Wehe dir. Nein, Spaß. Außerdem ergibt sich damit die Gelegenheit zwei Familiengeburtstage zu begehen und die ganze Sippschaft zu sehen. Etwas, was mir seit meinem beruflichen Umzug nach Berlin wirklich fehlt.

Und so bereite ich mich jedes Jahr auf die Verlags- und Autorenschau im März vor, wobei das bei mir schon im Dezember beginnt. Zunächst schreibe ich sämtliche Verlage an, die mich interessieren und kann meist schon am Anfang des Jahres die ersten Treffen und Interviews organisieren. Dies bezüglich dürft ihr euch übrigens auf sehr interessante Beiträge gefasst machen, sofern Leipzig nicht wieder im Schnee versinkt.

https://www.instagram.com/p/BgahiXpjHeI/

Ist das geschafft oder zumindest angestoßen, gestalte und bestelle ich Visitenkarten, die ich jedes Jahr ein klein wenig anders designe (Klingt gut, was?) und dann trudeln auch schon die ersten Rezensionsexemplare ein, die ich für die Messe lesen möchte oder muss. Je nachdem, wie man das sieht. dazu kommt dann noch die Akkreditierung bei der Messe und dann wird gewartet.

Auf das Messeprogramm, was auch dieses Jahr wieder ein paar für mich abwechslungsreiche und interessante Programmpunkte bereithalten wird. So viel ist sicher, aber auch davon verrate ich jetzt noch nicht all zu viel. Ein wenig Überraschung muss sein. Nur so viel, es werden wieder vier volle Tage werden, mit Bloggertreffen, Literaturforentreffen, Autoren und Buchvorstellungen, denen ich mittlerweile sehr entgegenfieber. Vorfreude ist doch das schönste.

https://www.instagram.com/p/BuLkKr2AP_O/

Ihr könnt mich die gesamte Zeit über auf der Messe, die vom 21.-24. März stattfinden wird, treffen. Es würde mich freuen, auch eure Gesichter einmal kennen zu lernen und wenn nicht auf der Messe, sieht man sich unter Umständen in der Innenstadt, in der Woche davor. Ich reise nämlich schon eine Woche vorher an, um noch ein wenig Zeit für mich zu haben und den einen oder anderen Stadtrundgang zu machen. In den Zoo wollte ich auch mal wieder.

Das Messeprogramm findet ihr übrigens hier. Wer damit nicht zurecht kommt, lade sich die App der Leipziger Buchmesse auf sein Smartphone. Ich selbst nutze sie nicht, da ich mir meine Termine bereits auf Papier notiert und ausgedruckt habe.

Bis dahin. Man sieht und liest sich.

LG Euer findo.

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Alastair Bonnett: Die allerseltsamsten Orte der Welt

Die allerseltsamsten Orte der Welt Book Cover
Die allerseltsamsten Orte der Welt Alastair Bonnett C.H. Beck Verlag Erschienen am: 14.02.2019 Seiten: 268 ISBN: 978-3-406-73441-0 Übersetzer: Andreas Wirthensohn

Inhalt:

Eines haben die sehr verschiedenen Orte, von denen Alastair Bonnett in seinem neuen Buch berichtet, gemeinsam: Sie lassen uns darüber staunen, welche Geheimnisse in unserer durchkartierten Welt noch zu entdecken sind.

In der Arktis gibt das zurückweichende Eis nie von Menschen betretene Inseln frei, der Likouala-Sumpf im Kongo wartet bis heute auf eine geographische Erfassung, Städte wie Hongkong oder Sao Paulo verlieren buchstäblich ihre Bodenhaftung. Doch das Allersonderbarste, so die feste Überzeugung des Autors, ist fast immer vor der eigenen Haustür zu finden. (Klappentext)

Rezension:

Kaum mehr weiße Flecken gibt es auf unseren Welt. Sämtliche Gegebenheiten werden von Satelliten erfasst und von jedem Ort der Welt können die Menschen in die Ferne schweifen, ohne das heimische Wohnzimmer verlassen zu müssen. Was mit Flugzeug oder Schiff erreichbar ist, zu Fuß erkundet werden kann, liegt nahe. Nicht-Orte, so scheint es auf den ersten Blick, gibt es nicht mehr. Die zeit der großen und kleinen Entdeckungen und damit verbundenen Abenteuer ist vorbei.

Auf den zweiten Blick aber, kann man sich jederzeit und überall vom Gegenteil überzeugen. Alöastair Bonnett, der schon für sein erstes Buch die grenzen des geographischen Raumes erkundet und erweitert hat, begab sich erneut auf Spurensuche, weltweit. Er erkundet erschreckende Utopien und begibt sich auf die Suche nach Geisterstraßen, die nur auf Stadtplänen zu finden sind, nicht aber in der Realität.

Inseln, die auftauchen und wieder verschwinden, besucht er ebenso, wie Städte, deren Oberschichten sich neue Ebenen abseits des Straßenpflasters erschließen. Fußgängerbrücken als gescheiterte architektonische Projekte werden in Augenschein genommen, sowie gewollte Nicht-Orte, die das Entsetzen der Bevölkerung hervorrufen.

In kurzweiligen Kapiteln erläutert der Autor seine Faszination für das Nahbare und Augenscheinliche, lässt den Leser fortan mit einem genaueren Blick auf seine Umgebung zurück. Geografie ist längst nicht nur der faltbare Stadtplan, sondern ein spannender Blickwinkel, aus dem sich Orte betrachten und einordnen lassen. Bonnet wagt den Versuch, Probleme aufzuzeigen, Chancen zu sehen und sieht das Besondere im Selbstverständlichen.

Eine große Stärke dieses kleinen Sachbuches, welches sich sowohl in einem Rutsch, trotz einiger Längen, als auch häppchenweise lesen lässt. Und vielleicht sucht man bei seinem nächsten Städtetrip, auch vor der eigenen Haustür geht das, so der Autor, nach diesen und anderen, dann gar nicht mehr so seltsamen Orten und erschließt sich so seine ganz eigene Landkarte. Die gilt es schließlich zu füllen. Weiße Flecken aber, dies macht der Autor uns bewusst, werden bleiben. Ohne sie wäre die Welt jedoch nur halb so interessant.

Autor:

Alastair Bonnett ist Professor of Social Geography an der Universität Newcastle uund Autor zahlreicher wissenschaftlicher Werke und Herausgeber der psychogeographischen Zeitschrift „Transgressions: A Journal of Urban Exploration“. Er lebt in Newcastle upon Tyne in England.

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Ben Rhodes: Im Weissen Haus

Im Weissen Haus Book Cover
Im Weissen Haus Ben Rhodes C.H. Beck Erschienen am: 21.02.2019 Seiten: 576 ISBN: 978-3-406-73507-3 Übersetzer: Enrico Heinemann (u.a.)

Inhalt:

Acht Jahre lang sah Ben Rhodes fast alles, was im Herzen von Barack Obamas Präsidentschaft passierte. In seinem rasant geschriebenen, aufrichtigen, klugen Buch schildert er die Dramen dieser Präsidentschaft, die Ideale, von denen Obama sich leiten ließ, und die Grenzen des Machbaren, auf die er traf. Selten hat man einen so intimen, luziden Einblick in die inneren Gesetze der Politik im Zentrum der amerikanischen Weltmacht erhalten. (Klappentext)

Rezension:

Die Menschen scheinen sich nach Ruhe und Beständigkeit, nach Zuverlässigkeit zu sehnen, in einer Welt, in der aus allen Ecken Gegenwind zu spüren ist. Kaum anders ist es zu erklären, warum gerade jetzt, da Amerika in seinen politischen Ebenen immer mehr Wackelkandidat statt strategischer oder anders zuverlässiger Partner zu werden scheint, Bücher der ehemaligen Entscheider, politischen Berater, für die Sicherheit verantwortlich Gewesene, selbst deren Ehefrauen weltweit auf den Bestsellerlisten ihren Platz finden.

Nach der ehemaligen First Lady oder gescheiterten Geheimdienstchefs ist nun der politische Bericht Ben Rhodes‘ auf den Markt, in dem der New Yorker beschreibt, wie er vom Mitarbeiter eines poltiischen Thinktank zum Berater von Barack Obama wurde und an politischen Projekten arbeiten konnte, auf deren Außenwirkung Obamas Bild in der Öffentlichkeit aufbauen sollte.

Der Autor beschreibt sich selbst, so der Eindruck eines Lesers, als immer wieder zweifelnden Beobachter, der dennoch Ziele und Visionen verfolgt, nicht zuletzt die von barack Obama sich selbst zu Eigen machte. Vom kleinen Redenschreiber bis hinein in die Entscheidungsebenen des Weißen Hauses, dem Handlungsspielraum eines präsidenten erfährt man einiges, was man so noch nicht gehört hat.

Große Momente mit großer Wirkung werden indes klein gehalten. Sicherheitsrechtlichen Bestimmungen geschuldet, wird etwa die fassung Bin Ladens sehr schnell abgehandelt, das kleinteilige und entnervende Spiel und Aushandeln kleinster politischer Erfolge dagegen en detail beschrieben. Das schafft Längen, die diese Biografie einer Präsidentschaft und nicht zuletzt des Autoren selbst kennzeichnen, zeigt aber auch die Schwierigkeiten mit denen Barack Obama und sein Team zu kämpfen hatten.

Es ist aber auch ein Zeichen dafür, welche Kämpfe die letzten jahre diese Politik bestimmten, und was nach den ersten schwarzen Präsidenten folgen sollte.

Stark ist Ben Rhodes vor allem darin, wenn es um die Aushandlung der poltischen Projekte und Themen geht, die er selbst maßgebend gestalten konnte. So erfährt man eben nicht nur über die Arbeit eines Redenschreibers, sondern noch mehr über die Hintergründe und Entwicklung von Obamas Kuba-Politik, welches ein persönlichesw Projekt Rhodes‘ war oder Amerikas Rolle beim Atomdeal mit den Iran, sowie der Orientierungssuche im Prozess des Arabischen Frühlings 2011.

Ausführlich, jedoch nicht abgehoben und immer wieder die gesamte Entwicklung sehend, beschreibt der Autor seine Sicht auf eine Präsidentschaft, bei der er das Glück hatte, ein Teil davon zu sein und eine aktive Rolle zu spielen.

Es sind nicht nur die Worte: „Yes, we can!“, die zum Wahlkampfslogan und Motto Obamas avancieren sollten, die aus der Feder seines Teams stammten, sondern zahlreiche andere Elemente, die der amerikanischen Poltik inzwischen völlig abhanden gekommen sind und von denen zu hoffen ist, dass sie sich eines Tages wieder darauf besinnt. Vielleicht muss es deshalb solche Bücher geben und vielleicht gerade daher, haben sie jetzt solch einen Erfolg?

Ben Rhodes‘ Innenansichten, die einen anderen und wichtigen Blickwinkel auf ein anderes politisches Amerika werfen, als das, welches sich derzeit im Vordergrund befindet und eine Hommage an eine ganz besondere Präsidentschaft.

Autor:

Benjamin J. „Ben“ Rhodes wurde 1977 in New York City/USA geboren und war Stellvertretender Berater für nationale Sicherheit und strategische Kommunikation des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama.

Nach der Schule besuchte er die Rice University in Houston/Texas und studierte Politikwissenschaften und Anglistik, später Kreatives Schreiben an der New York University. 1997 engagierte er sich für die Wiederwahl Giulianis zum Bürgermeister von New York City, im Sommer 2001 arbeitete er für Diana Reynas Kampagne zur Wahl des rats der Stadt New York.

Ende 2006 arbeite er als Redenschreiber für Mike Warner. Nachdem dieser seine Kandidatur für die anstehende Präsidentschaftswahl für beendet erklärtete, wechselte er zu Obama und schrieb von beginn an seine Reden, arbeiete später als stellvertretender Sicherheitsberater des Präsidenten und an politischen Projekten zur Aussohnung mit Kuba oder der Verhandlung des Atomdieals mit den Iran. heute ist er Co-chair der Organisation National Security Action in Washington und arbeitet weiter als Berater für Barack Obama.

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Asne Seierstad: Einer von Uns

Einer von Uns Book Cover
Einer von Uns Asne Seierstad Kein & Aber Verlag Erschienen am: 28.04.2016 Seiten: 544 ISBN: 978-3-0369-5740-1

Inhalt:

Wie konnte sich anders Breivik, der im wohlhabenden Westen aufwuchs, zu einem perfiden Terroristen entwickeln? Asne Seierstads ausgezeichnetes Buch ist gleichzeitig psychologische Studie und literarisches True Crime, gleichzeitig Würdigung der opfer und eine messerscharfe Analyse einer Tat, die sich jederzeit und überall wiederholen könnte. (Klappentext)

Rezension:

Wenn es einen europäischen 11. September gibt, so ist es wohl der 22. Juli für Norwegen, der die Gesellschaft des skandinavischen Landes in ihren Grundfesten erschütterte. Die Bevölkerung, sonst für Offenheit und Toleranz bekannt, befand sich in einer Art Schockstarre, als die Bilder eines zerstörten Osloer Regierungsgebäudes über die Fernsehschirme flimmerten, noch mehr, als die Nachrichten Schüsse auf der nicht weit entfernten Insel Utoya vermeldeten.

Die Opfer waren großteils Jugendliche. Insgesamt 77 Menschen starben. Unzählige wurden schwer verletzt und tragen an den Spätfolgen noch heute.

Die Journalistin und Autorin war in ihrer Funktion als Reporterin für eine Zeitung bei den Gerichtsprozess um den Attentäter Breivik anwesend und recherchierte weiter, als dieser längst verurteilt war. Seierstad wälzte Gerichtsakten und psycholigsiche Gutachten, sprach mit Weggefährten und ehemaligen Bekannt- und Freundschaften Breiviks, mit dessen Mutter und studierte die Schriften des Mannes, der die größte Tragödie der jüngeren norwegischen Geschichte ausgelöst hatte.

Sie wollte das Unverständliche zumindest nachvollziehen können und herausfinden, wie in einem wohlsituierten Land jemand zur Bestie werden konnte.

Eingängig geschrieben und in klare Abschnitte geteilt, liest sich das Werk, dessen Untertitel im Deutschen fälschlicherweise an eine Biografie denken lässt, als wäre man bei den Ereignissen dabei. Das ist dann vielleicht auch der drängenste Kritikpunkt. Ob man sich beim Lesen eines solchen Berichtes wie im Film fühlen soll, wage ich zu bezweifeln.

Das ist grenzwertig und diskussionswürdig. Genau so, wie der Untertitel, der im Original sich eben nicht nur auf den Täter selbst bezieht, sondern ausdrücklich die eigentliche Tat zum Thema nimmt. Damit funktioniert das Werk auch.

Die Autorin stellt dem Bösen gegenüber, die Biografien seiner Opfer und zeigt damit zugleich das Grundverständnis skandinavischer Gesellschaften auf, welches die Norweger auch nach den Attentat versucht haben, hochzuhalten. Ein Pluspunkt, vergisst Seierstad doch hier gerade nicht, dass die Leidtragenden zu oft außerhalb des Fokus‘ geraten.

Mit einem Vor- und Nachwort rahmt sie ihre Recherchen ein, erklärt ihre Arbeits- und Herangehensweise, was die Verarbeitung widerum erklärt. Asne Seierstad wollte mit ihrem Werk „Rechtsextremismus entblößen, um ihn zu bekämpfen.“ Für ihren Ansatz bekam sie dafür den Preis der Leipziger Buchmesse 2018 zur Europäischen Verständigung.

Autorin:

Asne Seierstad wurde 1970 in Oslo geboren und ist eine norwegische Schriftstellerin und Jornalistin. Sie studierte zunächst Russisch, Spanisch und Ideengeschichte, bevor sie für die Zeitung Arbeiderbladet tätig wurde. Von 1993-96 berichtete sie als Auslandskorrespondentin aus Russland, 1997 aus China.

Von 1998 an arbeitere sie als Kriegsreporterin in verschiedenen Konfliktregionen, darunter Serbien, Afghanistan und Tschetschenien. Ihre Berichte wurden im norwegischen und schwedischen Fernsehen gesendet. Ihre Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Für „Einer von uns – Die Geschichte einesMassenmörders“ erhielt sie 2018 den Preis der Leipziger Buchmesse zur Europäischen Verständigung.

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Katharina Greve: Das Hochhaus

Das Hochhaus - 102 Etagen Leben Book Cover
Das Hochhaus – 102 Etagen Leben Katharina Greve avant Verlag Erschienen am: 01.09.2017 Seiten: 56 ISBN: 978-3-94503-471-2

Inhalt:

Was will die Familie von oben mit diesem irrsinnig großen Fernseher? Warum hat die Frau von unten ihre Tochter zur Castingshow angemeldet und der Mann nebenan nach dem Einbruch nicht die Polizei gerufen? Dieses Buch liefert 102 Antworten auf die Frage, welche großen und kleinen Dramen sich täglich hinter der anonymen Fassade eines Hochhauses abspielen. Vielleicht erkennen Sie Ihre Nachbarn wieder. Oder sich selbst. (Klappentext)

Rezension:

Einigen Zeitungslesern mag die Wahl-Berlinerin Greve ein Begriff sein, andere stolperten im Jahr 2013 vermutlich über ein Kalenderblatt, welches die Künstlerin schlagartig bekannt machte. Eher als Witz gedacht, hatte sie das Bild des damaligen Papstes Benedikt XVI. gezeichnet, der einen Lottoschein begutachtet und sechs Richtige getippt hatte, um daraufhin seinen Rücktritt zu verkünden: „Heiliger Strohsack! Morgen kündige ich!“ Der Rücktritt kam tatsächlich.

Doch, nicht nur eine prophetische Gabe legt die Autorin und studierte Architektin an den Tag, sondern auch einen simplen und fast schon kühlen Zeichenstil, der in diesem Buch, welches ursprünglich einmal als Web-Projekt begann, zur Geltung kommt. Seite für Seite werden die Etagen eines Hochhauses freigelegt und man blickt in skurrile und manchmal allzu alltägliche Situationen derer Bewohner hinein. Hinter der grauen Fassade begegnen sich Dramen, wie ein jeder sie kennt oder auch nicht, muss so manches Mal schmunzeln, lachen oder bleibt nachdenklich zurück.

Eine Ansammlung von Marotten vereint auf wenigen Seiten zeigt, wie vielfältig Lebenssituationen sein können und welche Umstände sich daraus ergeben. Greve verknüpft dabei lose den Alltag der gezeichneten Figuren und so kann man von Etage zu Etage springen, von hinten nach vorne, „richtig herum“ lesen oder durcheinander. Das ist egal.

Katharina Greve: Das Hochhaus – 102 Etagen Leben, avant verlag

Besonders spannend aber wird es, wenn man versucht, den Situationen zu folgen. Vom fremdgehenden Ehemann aus dem unteren Stockwerk seiner Freundin etwa, zur betrogenen nichts ahnenden Ehefrau oder vom Einbrecher, der im Hochhaus lebt, zu den Wohnungen seiner Nachbarn, die von ihm geplündert worden. Das ist große Klasse und ein toller Humor der Zeichnerin, der sich auf jeder Seite wiederspiegelt.

Zugleich zeigt Greve auch, dass man als Autorin auch neue Wege gehen kann. So ist dieses Buch nicht zuerst da gewesen, sondern eben aus einer Internetpräsenz heraus entstanden, kann als Poster im Überformat bestellt werden, neuerdings sogar als Buchrolle, Schriftrolle, die man in beiden Richtungen rollen und lesen kann. Das bietet sich bei dieser Form von Comic an und ist sicher auch etwas für sonst Lesemuffel, in jedem Fall aber etwas für Komic- und Architekturfreunde. Zwar möchte ich selbst nicht in einem Hochhaus leben, mir reichen schon meine Nachbarn, aber selbst darunter erkenne ich ein paar wieder. Alleine dafür hat sich dieses Büchlein schon gelohnt.

Bauplan: Das Hochhaus Online

Autorin/Zeichnerin:

Katharina Greve wurde 1972 in Hamburg geboren und begann 1991 ein Architekturstudium an der Technischen Universität Berlin, welches sie 1999 abschloss. Seit 2002 ist sie freiberuflich als Künstlerin, Autorin und Zeichnerin tätig und wurde für Ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Sie veröffentlichte bereits mehrere Comic-Romane und Graphic Novels.

Ihre Zeichnungen erscheinen zudem in verschiedenen Zeitungen und Magazinen. Bekannt wurde sie durch eine Zeichnung für einen Abreißkalender, in dem sie den Rücktritt des Papstes Benedikt XVI. prophezeite, der einen Tag später diesen tatsächlich bekannt gab. Katharina Greve lebt in Berlin.

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Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter

Der Sommer meiner Mutter Book Cover
Der Sommer meiner Mutter Rezensionsexemplar/Roman C.H. Beck Hardci´over Seiten: 189 ISBN: 978-3-406-73449-6

Inhalt:

Sommer 1969. Der elfjährige Tobias fiebert am Standtrand von Köln der ersten Mondlandung entgegen, während sich seine eher konservativen Eltern mit den neuen, politisch engagierten udn flippigen Nachbarn anfreunden. Deren dreizehnjährige Tochter Rosa bringt Tobias nicht nur Popmusik und Literatur bei, und zwischen den Ehepaaren entwickelt sich eine wechselseitige Anziehung. Aber die Liebe geht andere Wege, als vermutet. Und so erleben Tobias und seine Mutter beide eine erotische Initiation… (Klappentext)

Rezension:

Auf je mehr Seiten eine Geschichte erzählt wird, um so größer sind die Chancen, dass das Gesamtbild stimmig ist. Einfach der Tatsache geschuldet, dass ein Autor bei einer umfangreichen Erzählung mehr Zeit und Platz hat, Handlungen und Protagonisten auszugestalten und Tiefe zu geben. Dann gibt es jedoch auch die Autoren, die es schaffen, auf wenigen Seiten viel und gut zu beschreiben, was den einzelnen Figuren passiert und Ulrich Woelk gelang mit „Der Sommer meiner Mutter“ genau dies.

Wir schreiben das Jahr 1969, das Jahr politischer Auf- und Umbrüche. Tobias, gerade erst elf Jahre alt geworden, lebt mit seinen Eltern in einem ländlichen Vorort von Köln und interessiert sich für Raumfahrt, zumal die erste Mondlandung kurz bevorsteht. Das Einzelkind, umsorgt von seinen Eltern, bekommt mit, wie sich diese immer mehr auseinanderleben, seine Mutter versucht für sich eine neue Rolle zu finden, der Vater hält noch an seinem althergebrachten Gesellschaftsbild fest und da kommt es gerade recht, dass im Nachbarhaus eine neue Familie einzieht. Das völlige Gegenteil von Tobias‘ Familie, deren Leben sich nun verändert.

Geschildert werden sanft die vorstädtisch ländliche Idylle, einhergehend mit sesiblen Charrkaterbeschreibungen und einem ziemlich unspektakulären Handlungsverlauf. Es passiert auf diesen wenigen Seiten nicht viel, aber es reicht vollkommen aus, um Tobi und Rosa lieb zu gewinnen und das Umfeld, welches sich aus Kindersicht immer schneller dreht, am Ende den Abgrund entgegen gehen wird, wie ein Schwamm aufzunehmen. Zudem ist nicht nur die Handlung oder das lieb zusammengestellte Protagonistenensemble zu erwähnen, sondern auch die Sprache, die solche tollen Sätze hervorbringt, wie:

Ich möchte nicht, dass du den Mond verlierst.

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter // C.H.Beck Verlag

Das ist doch großartig. Der Autor hat, das merkt man diesen Roman an, auch Philosophie studiert, drängt dies seinen Lesern jedoch überhaupt nicht auf, hat dies fein in diese Geschichte eingewoben. Es geht hier jedoch nicht nur um Sprache, Philosophie oder der ersten Mondlandung selbst. Woelk hat es vielmehr fertig gebracht, so ganz nebenbei den gesellschaftlichen Wandel zu jener Zeit, Emanzipation und Rollenfindung, ja selbst den Coming-of-Age-Teil stimmig unterzubringen. Präzise und glaubwürdig. Auf so wenigen Seiten.

Aus den C.H. Beck Verlag ein Kleinod und kleiner großer Roman, dessen Komponenten so stimmig sind, wie die Teile des Raumfahrtprogrammes der NASA es waren, welche zur Mondlandung führten. Der Autor hat es nicht nur geschafft, seinen beiden Berufen, den des Schriftstellers und des Astrophysikers Respekt zu zollen, sondern eine vielschichtige und lesenswerte Geschichte vorgelegt, die sich zu lesen lohnt.

Autor:

Ulrich Woelk wurde 1960 in Bonn geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Von 1980-1987 an, studierte er physik und Philosophie an der Universität Tübingen. Er arbeitete bis 1995 an der Technischen Universität Berlin, sowie in Göttingen als Astrophysiker. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1990. 1991 promovierte er über Weiße Zwerge in engen Doppelsternsystemen. Seit 1995 lebt Woelk als freier Schriftsteller in Berlin. Er schreibt Theaterstücke, Romane und Hörspiele. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.

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