Zerrissen
Reihe: Fred Abel – 4
Michael Tsokos
Rezensionsexemplar/Thriller
Knaur
Erschienen am: 01.10.2020
Taschenbuch
Seiten: 400
ISBN: 978-3-426-52549-4
Inhalt:
Rechtsmediziner Dr. Fred Abel, stellvertretender Leiter der BKA-Einheit „Extremdelikte“, muss als Gutachter in einem besonders schweren Fall aussagen. Ein heikler Umstand: Das Opfer ist die Nichte seiner Kollegin Sabine Yao.
Kurz darauf landen zwei spektakuläre Morde auf Abels Sektionstisch. Seit Monaten ermittelt die Berliner Polizei gegen vier Brüder eines libanesischen Clans. Abel erkennt, dass die Machenschaften der Brüder schon länger seinen Weg kreuzen, und stellt eigene Nachvorschungen an. Doch das bleibt dem Clan nicht verborgen, und plötzlich ist das Leben von Abels schwangerer Lebensgefährtin Lisa in höchster Gefahr. (Klappentext)
Wechselhafte und dicht geschriebene Thriller scheinen zurzeit in Mode. Wer möchte, findetr da viel Lesestoff. Spannend sind vor allem die, die sich an tatsächliche Geschehnisse anlehnen. Schließlich schreibt das wahre Leben mitunter die besten Geschichten, die, hätte man sie erfunden, mehr oder weniger auf Unglauben stoßen würden. Doch ist es auch hier notwendig, die Spreu vom Weizen zu trennen. Der Rechtsmediziner Michael Tsokos ist jemand, den dieser Spagat beim Schreiben gelingt. Seine Inspiration ist oft genug auf den Sektionstischen der Rechtsmedizin zu finden. So auch die Grundlagen für den neuen Fall um Rechtsmediziner Dr. Fred Abel.
Die Gemengenlage der Spree-Metropole und noch einige andere Fälle aus dem Erfahrungsschatz des Autoren bilden erneut die Grundlagen für eine spannende Verwicklung, in der schon zum vierten Mal die Figur des Protagonisten Dr. Fred Abel die Hauptrolle einnimmt.
Gleich mehrere Fälle werden so fiktionalisiert verwoben, so dass nicht nur erneut berufliche und private Grenzen der handelnden Personen sich vermischen, sondern auch eine dichte Taktung kaum Spannungstiefen erscheinen lassen. Kurzweilig sind die schnell zu lesenden Kapitel zu lesen. Ein Sog entsteht, den man sich als LeserIn kaum entziehen mag.
Es geht um Clan-Kriminalität, Kindesmisshandlung, Drogenkriminalität und noch so einiges mehr. Die Grenze um Too-much-Moment ist nicht weit, wird zwar gestreift, dennoch nicht überschritten. Wenn auch nur, gerade noch so. Haarscharfe Wendungen sind folgerrichtig, wenn man sich auch manchmal beim Lesen selbst bremsen muss, um den einen oder anderen Spannungsmoment wirklich aufzunehmen, da der für die nachfolgende Handlung wichtig werden könnte.
Das funktioniert hier noch, auch wenn der Autor das eine ums andere Mal etwas zu sehr ins Medizinische abdriftet. Das dürfte den Fans von Tsokos nicht neu sein, jedoch andere Thriller-Leser vielleicht abschrecken.
Den vierten Band der Reihe kann man losgelöst von den vorangegangenen lesen. Keinerlei Faktenwissen darasu notwendig. Wer jedoch schon mehr Geschichten um die Rechtsmediziner Abel und Herzfeld gelesen hat, dem werden Anspielungen und Zusammenhänge auffallen, zudem auch, dass Tsokos immer geübter wird, wahrheit und Fiktion zu verbinden.
Die ersten Bände lesen sich nicht ganz so flüssig, wie dieser nun vorliegende. Um so erfreulicher, dass auch hier Ausssicht auf Fortsetzung besteht.
Autor:
Michael Tsokos wurde 1967 in Kiel geboren und ist ein deutscher Rechtsmediziner und Professor an der Charite in Berlin. Er leitet seit 2007 das dortige Institut für Rechtsmedzin, gleichzeitig das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berrlin-Moabit. Zudem ist er Leiter der Gewaltschutzambulanz der Charite. 1998-99 nahm er an der Exhuminierung und Identifizierung von Leichen aus Massengräbern des Bosnienkrieges und im Kosovo teil.
2004-05 war er im Auftrag des Bundeskriminalamtes zur Identifizierung der Tsunami-Opfer in Thailand täig. Er ist Autor mehrerer Fachzeitschriften, populärer Sachbücher und Mitautor mehrerer Thriller. Seit 2014 ist er Botschafter des Deutschen Kindervereins. Tsokos lebt mit seiner Familie in Berlin.
Wolf-Ulrich Schüler arbeitet als Journalist und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Köln.
Spiele
Carl Edson – 2
Bo Svernström
Rezensionsexemplar/Thriller
Rowohlt
Erschienen am: 18.08.2020
Taschenbuch
Seiten: 608 ISBN: 978-3-499-27630-9
Übersetzerin: Ulla Ackermann
Inhalt:
Robert Lindström hütet ein Geheimnis: In einem Wutanfall tötete er seinen besten Freund. Aber war es wirklich so? Als Elfjähriger des Mordes beschuldigt, wurde er aufgrund seines Alters nie verurteilt. Als Erwachsener lebt er zurückgezogen. Bis ihn Lexa kontaktiert. Sie ist Journalistin und schreibt ein Buch über den Fall.
Ihre Theorie: Robert ist unschuldig. Zur gleichen Zeit wird die Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Im gleichen Stockholmer Vorort, in dem Robert aufwuchs. Und in dem er mit Lexa den Ereignissen von damals nachgeht. Zufall? Hauptkommissar Carl Edson von der Reichsmordkommission leitet die Ermittlungen, und seltsame Zwischenfälle führen ihn immer näher an die Wahrheit über Robert. (Klappentext)
Bücher der Reihe
Bo Svernström: Carl Edson 1 – Opfer
Bo Svernström: Carl Edson 2 – Spiele
[Einklappen]
Rezension:
Skandinavische Krimis versinken entweder in ihrem melancholisch anmutenden Mehltau oder funktionieren. Grautöne gibt es dazwischen nur selten. Dem Schweden Bo Svernströms ist mit seinem Nachfolge-Band um Kriminalhauptkommissar Carl Edson jedoch ein solches Werk gelungen. Vielschichtig und zunächst in Teilen etwas zu komplex ist die Geschichte gezeichnet, die den Fokus auf den zweiten Hauptprotagonisten anfangs legt, dessen eigene Vergangenheit zum Dreh- und Angelpunkt wird.
Nur, Robert Lindström kann sich schlechterdings an diese fast nicht erinnern, doch eine aufgefundene Kinderleiche wird für ihm und die Journalistin Lexa zum Anlass, diese noch einmal nachzuspüren. Nicht wissend, welche Geister der Vergangenheit sie wachrufen.
Vielschichtig sind die Protagonisten der ermittelnden Seite gezeichnet, die sich hier aufgliedert in die üblichen Kommissare, die jedoch auch unterschiedliche Parts in den Rollenverhältnissen besetzen, sowie Robert und Lexa, die irgendwo zwischen diesen und der anderen, zunächst nicht näher definierten Seite stehen.
Verkompliziert wird dies durch per Kapitel abgegrenzte Zeitsprünge und Erzählperspektivwechsel, in die man sich Lesende/r erst einmal hineinfinden muss. Das ist gewöhnungsbedürftig, lässt diverse Längen entstehen und funktioniert erst mit zunehmender Seitenzahl.
Der Band lässt sich als Einzelband lesen. Lücken bemerkt man nicht, so sie vorhanden sind, wenn man den Vorgänger „Opfer“ nicht kennt. Positiv hervorzuheben ist , dass Bo Svernström ohne phantastisch anmutende Wendungen auskommt und trotzdem den Fall so auflösen lässt, wie man es kaum auf der Rechnung hat.
Selbst geübte Krimileser dürften damit über die Runden kommen, einmal nicht mit Schema F konfrontiert zu werden. Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden ebenso glaubwürdig dargestellt, wie die Motive der Protagonisten, wenn auch der Autor bewusst Lücken lässt. Das Kopfkino darf mitspielen. Blutig wird das ganze nur im Auge des Betrachters, fast nicht in den Textzeilen selbst.
Der Fokus liegt hier auf der Psyche und in den gesellschaftlichen Verhältnissen, einmal jedoch nicht skandinavische Ermittler als seelische Fracks serviert zu bekommen, ist eine Wohltat. Trotz der Längen, die dennoch vorhanden sind, ein gut zu lesender Krimi, mit Tendenz zum Positiven. Man darf also gespannt sein, ob und wie sich diese Reihe in der Feder des Autoren noch entwickelt.
Autor:
Bo Svernström, Jahrgang 1964, promovierte in schwedischer Literatur und arbeitete jahrelang als Journalist für Aftonbladet, eine der größten schwedischen Zeitungen. «Opfer» ist sein Debütroman, der in elf Ländern bisher erscheint. Der Autor lebt mit seiner Familie in Stockholm.
Inhalt: Auf einem einsamen Bauernhof weist alles auf einen brutalen Mord an einer ganzen Familie hin – nur von den Leichen fehlt jede Spur.
Kurz darauf wird ein Verdächtiger festgenommen, doch der am ganzen Körper mit Zahlen tätowierte Mann, den die Medien bald „Enigma“ nennen, schweigt hartnäckig. Auf Drängen ihrer früheren Vorgesetzten übernimmt die ehemalige Polizistin Mila Vasquez die ermittlungen. Sie findet heraus, dass Enigmas Tätowierungen Koordinaten in einem ominösen Videospiel darstellen. Und als sie ihnen folgt, stößt sie auf eine geheimnisvolle wie gefährliche virtuelle Schattenwelt, in die sie immer tiefer hineingezogen wird… (Klappentext)
Bücher der Reihe:
Donato Carrisi: Mila Vanquez 1 – Der Todesflüsterer
Donato Carrisi: Mila Vanquez 2 – Die Totenjägerin
Donato Carrisi: Mila Vanquez 3 – Diener der Dunkelheit
Donato Carrisi: Mila Vanquez 4 – Enigmas Schweigen
[Einklappen]
Rezension:
Einfach und dennoch ausgeklügelt, setzte das System Enigma, welches zur Verschlüsselung von Nachrichten im Zweiten Weltkrieg seitens der Deutschen verwendet wurde, Maßstäbe und beeinflusste vor der Entkodierung mitunter entscheidend den Kriegsverlauf. Auch heute noch ist dieses Grundprinzip Bestandteil vieler Programme zur Absicherung von Nachrichten und so ist es nicht verwunderlich, dass zumindest die Idee dahinter Eingang in die Kriminalliteratur findet.
Hier, fulminant umgesetzt im mehrdeutigen Titel „Enigmas Schweigen“, des italienischen Schriftstellers Donato Carrisi.
Ausgangssituation ist der Mehrfachmord an einer Familie auf einem einsamen Gehöft, auf dem sich die zuständigen Ermittler keinen Reim machen können. Der Täter ist zwar schnell gefasst, die Opfer sind jedoch zunächst unauffindbar. Nur ein unbeschreibliches Chaos und viel Blut zeugen von der brutalen Tat, Motiv und Hergang bleiben unklar.
Die Lösung sehen die Ermittler in der ehemaligen Kollegin Mila Vasquez, die sich vor über einem Jahr aus dem aktiven Dienst zurückgezogen hatte, um nun ebenso einsam und abgeschieden mit ihrer Tochter zu leben, wie die Opfer selbst. Für die einstige Polizistin liegen die Anhaltspunkte buchstäblich auf der Haut des Täters. Ein rasant mörderisches Spiel beginnt, dem sich Vanquez nicht entziehen kann.
So viel zum Inhalt, dieses aus der Perspektive der Hauptprotagonistin geschriebenen Thrillers, der schon mit den ersten Seiten zunächst vorhersehbare, dann immer mehr überraschende Wendungen aufweist und ein sich stets steigendes Erzähltempo, welches der Autor nutzt, um die Düsternis der Atmosphäre zu verdeutlichen.
Dabei sind erstaunlich wenig Logikfehler angefallen, tatsächlich fallen diese jedoch nicht ins Gewicht, so dass sie beim Lesen schnell in Vergessenheit geraten. Der Wechsel der Erzählorte, ob diese nun die reale oder virtuelle Welt umfassen, trägt ebenso zum Spannungsaufbau bei, was mitunter von anderen AutorInnen bereits viel schlechter umgesetzt wurde. Donato Carrisi hat hier jedoch das richtige Maß gefunden.
Die Darstellung konkurrierender Ermittler, sowie der Wechsel zwischen Solo-Protagonistin und Team überzeugt. Carrisi konzentriert sich hier nicht auf ein Protagonisten-Schema, um dies so zu formulieren, sondern verwebt geschickt mehrere Ebenen. Festgestellt sei auch, dass man diesen Band ohne die Vorgänger zu kennen, sehr gut lesen kann.
Nur das Notwendige, was man als lesende Person unbedingt wissen muss, im Privatbereich der Ermittelnden kommt zur Sprache. Überfrachtet wird hier nichts.
Und dies ist vielleicht zugleich die einzige Schwäche im Erzählstil. Mehrere Szenen hätte ich mir persönlich etwas ausführlicher gewünscht, da Carrisi gut schreiben kann und weiß, an welchen Stellen bei diesem klassischen Thriller er zupacken kann.
Rein von diesem Band ausgehend, lohnt es sich, die Reihe zu verfolgen und um weitere Werke in das Lese-Repertoire aufzunehmen.
Autor:
Donato Carrisi wurde 1973 geboren und ist ein italienischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Zunächst studierte er Rechtswissenschaften in Rom, spezialisierte sich dabei auf Kriminologie und Verhaltensforschung und beschäftigte sich dabei mit Serienmördern, was ihn später zu seinem ersten Thriller inspirierte. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Anwalt, wandte sich jedoch der Schriftstellerei zu und schrieb diverse Drehbücher für Film und Fernsehen.
Sein erster Thriller wurde 2010 ins Deutsche übersetzt, ein Jahr zuvor wurde Carrisis Debütroman mit dem Premio Bancarella ausgezeichnet. Der Autor lebt frei arbeitend in Rom, schreibt zudem Kolumnen für den Corriere della Sera.
Goldjunge
Reihe: Ira Schwarz – 1
Paula Bach (Pseudonym)
Rezensionsexemplar/ Krimnalroman
ullstein
Erschienen am: 15.06.2020
Taschenbuch
Seiten: 512
ISBN: 978-3-548-28888-8
Inhalt:
Köln, 1967: Protestmärsche und die Musik der Beatles ziehen durch die Stadt. Da wird die brutal zugerichtete Leiche eines sechszehnjährigen Jungen gefunden. Die Polizei fahndet nach einem Täter aus dem linken Milieu, doch Kriminalhauptmeisterin Ira Schwarz zweifelt an der Schuld des Verdächtigen.
Als ein weiterer Junge tot aufgefunden wird, befürchtet Ira, einem Serienmörder auf der Spur zu sein. Gemeinsam mit dem Journalisten Ben Weber ermittelt sie auf eigene Faust und bringt damit nicht nur sich selbst in tödliche Gefahr… (Klappentext)
Bücher der Reihe:
Paula Bach: Ira Schwarz 1 – Goldjunge
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Rezension:
Manchmal hat man als Leser/in das Gefühl, dass bei all dem Mord und Todschlag, den man zwischen den Regalwänden finden kann, die Recherche der Schreiberlinge zu kurz gekommen ist. Zu oft wird nur Wert auf die Ausgestaltung der Hauptprotagonisten gelegt, Hintergründe und Setting bleiben dabei auf der Strecke. Nicht so bei Beate Sauer, die unter dem Pseudonym Paula Bach nun diesen zeitgeschichtlichen Kriminalroman zu Papier gebracht hat.
Es sind die Jahre des gesellschaftlichen Umbruchs, in denen wir uns mit der Hauptprotagonistin Ira Schwarz begeben, die zum Einen teil davon ist, zugleich aber auch dessen, was andere Teile der Gesellschaft für das Establishment halten.
Die Kriminalhauptmeisterin ist Mitglied der weiblichen Kriminalpolizei, von den männlichen Kollegen spöttisch und kritisch beäugt, am Beginn ihrer Laufbann und stolpert an der Seite eines alteingesessenen Beamten in ihren ersten Fall hinein, der im Panorama der etwa zeitgleichen Geschehnisse um den Kindermörder Jürgen Bartsch nicht bezeichnender sein könnten.
Stück für Stück legt die Protagonistin die Spuren frei und stößt dabei auf so manches Geheimnis, welches ihre Gegenspieler am liebsten Vergessen machen wollen. Und dies nicht nur auf der Seite des eigentlichen Täters. Hier gelingt der Autorin das Kunststück das Zeitpanorama kunstvoll mit den Handlungssträngen zu verweben, die sie ihren Figuren zugedacht hat und dies ist glaubwürdig, bis ins kleinste Detail.
Nicht nur die Morde stehen im Vordergrund, sondern auch das Aufbrechen von gesellschaftlichen Strukturen, die sich bis in die 1960er Jahre noch halten konnten, dann jedoch in ihre Bestandteile, wenn auch zuerst langsam, zerfielen.
Dies beides in einem immer schneller werdenden Erzähltemp zu schaffen, ist die große Stärke von Paula Bach aka Beate Sauer, die damit einen bemerkenswerten Reihenauftakt geschaffen hat, der sich lohnt, weiter zu verfolgen.
Der mitreisende Schreibstil und die wechselnde Sicht, der andere Handlunngsstrang folgt dem ehrgezigen Journalisten Ben Weber, dessen Weg sich mit dem ira Schwarz‘ kreuzt, runden dies ab.
Positiv anzumerken ist ebenfalls die im Nachgang von der Autorin vorgenommene historische Einordnung, in der dargestellt wird, welche Gegebenheiten den Tatsachen entsprechen, wo Abwandlungen von der historischen Wahrheit geschahen und warum. Viel zu selten findet man dies bei den im historischen Kontext spielenden Kriminalromanen, so dass hier Autorin und Verlag sich einen großen Gefallen getan haben.
Einzig die sich anbändelnde Beziehungsgeschichte der beiden Hauptprotagonisten hätte jetzt nicht sein müssen. Das aber, ist Geschmackssache.
Wer gerne zeitgeschichtliche Krimis liest, mit nachvollziehbarer Handlung, die temporeich ausgestaltet ist und eine Stufe weniger brutal ist als das, was zu oberst auf den Büchertischen zu finden ist, kann mit „Goldjubnge“ nichts falsch machen.
Autorin:
Paula Bach ist das Pseudonym von Beate Sauer, die 1966 geboren wurde. Sie ist eine deutsche Journalistin und Schriftstellerin. Bekannt wurde sie durch ihre historischen Romane, unter Pseudonym veröffentlichte sie bereits mehrere Kriminalromane.
Nach dem Abitur studierte sie, arbeitete dann als freie Mitarbeiterin für diverse Zeitungen und absolvierte eine journalistische Ausbildung. 1999 erschien ihr erster Roman. Für ihre Werke wurde sie bereist mehrfach ausgezeichnet. Die Autorin wurde u.a. 2006 für den Friedrich-Glauser Preis nominiert und erhielt 2015 den Silbernen Homer in der Kategorie Beziehung & Gesellschaft.
Erasmus Levine hat einen Beruf, den es nur einmal gibt. Er trägt den Koffer mit den Codes, die es dem Präsidenten der USA ermöglichen, Atombomben zu zünden.
Levine gehört einer geheimdienstlichen Abteilung an, die nach 9/11 gegründet wurde, von einem Unbekannten namens „Alpha“ geführt. Auf einer Reise des Präsidenten nach Stockholm kommt es zu einem Zwischenfall und Levine trifft auf Alpha. Der hat eine ganz eigene Mission. (eigene Inhaltsangabe)
Rezension:
Wenn schwedische Krimikunst auf amerikanischen Thrill-Faktor trifft, kommt unter Umständen so etwas heraus, wie das vorliegende Werk von Mattias Berg. Doch, funktioniert die Kombination von schwedischer Gelassenheit und amerikanischer Spannungslektüre überhaupt? Der neue Roman „Der Carrier“ zeigt es uns.
Worum geht’s? Der Hauptprotagonist sticht zunächst durch seine ungewöhnliche Tätigkeit hervor, die dem Autoren hier als Dreh- und Angelpunkt seiner Geschichte dient. Levine ist Kofferträger des amerikanischen Präsidenten.
Nicht irgendein Koffer freilich, sondern gleich der mit den Codes, mit deren Hilfe der US-Präsident die volle Kontrolle über das Atomwaffen-Arsenal seines Landes erlangt. Was passiert aber, wenn der Kofferträger in ein Doppelspiel verschiedener Interessen gerät, selbst zur Tarnung seiner Tätigkeit ein solches betrieben hat und plötzlich nicht mehr entscheiden kann, zwischen Fremdbestimmung und eigenem Willen?
Explosiver Stoff ist die Geschichte, deren Erzählperspektive die des Hauptprotagonisten einnimmt, der lange einziger Sympathieträger der Geschichte bleiben wird. Nur hat auch der, wie die anderen eingewobenen Figuren, seine Ecken und Kanten. Zwielicht zieht sich quer durch die Zeilen.
Recht schnell entwickelt sich die Handlung, die von Beginn mehrere Stränge durchziehen, die der Leser bis zuletzt zu entwirren versuchen wird. Erst gegen Ende wird klar, wohin sich die Geschichte entwickeln wird, nachdem mehrere große Längen beim Lesen überwunden wurden.
Dabei ist der Mittelteil richtig gut geschrieben, während man zu Beginn des Buches natürlich nicht ahnen kann, worauf der Autor mit seinem Protagonisten hinaus will. Das Ende hingegen wirkt leider etwas unausgereift. Hier wäre eine Überarbeitung angebracht gewesen, wobei ich selbst mir noch im Unklaren darüber bin, wie diese auszusehen hätte.
Das Werk funktioniert als Mahnung, wie Manipulation wirken kann und welche Kraft einzelne Personen besitzen, wenn sie nur die richtigen „Hebel“ bedienen. Die Geschichte gibt jedoch auch Anlass über Atomwaffen und deren Sinnhaftigkeit nachzudenken, zumal, wenn deren Kontrolle in falsche Hände gerät oder überhaupt infrage gestellt wird.
In diesem Punkt widerum ist Mattias Bergs Schreiben sehr stark.
Das Zusammenspiel zwischen skandinavischer Kriminalliteratur und amerikanischen Thrill wirkt etwas holprig, funktioniert jedoch im großen und Ganzen. Ein gelungenes Debüt, mit Potenzial nach Oben. Den journalistischen Hintergrund des Autoren merkt man besonders dann, wenn Fakten eine Rolle spielen. Und so dürfen wir gespannt sein, welche Geschichte uns der Autor als nächstes erzählt.
Autor:
Mattias Berg wurde 1962 in Stockholm geboren und ist ein schwedischer Journalist, Reporter und Schriftsteller. Für die großen schwedischen Tageszeitungen arbeitete er als investigativer Journalist. Heute leitet er die Kulturredaktion des schwedischen Radios. Mit seiner Familie lebt er in Stockholm. Dies ist sein erster Roman.
Inhalt: Auf einem Londoner Friedhof wird die Leiche eines nigerianischen Terrorismusexperten entdeckt, er wurde brutal ermordet. Kurz zuvor hatte der Professor dort ein geheimes Treffen mit Nora Sand, Korrespondentin der dänischen Zeitung Globalt.
Mit seinem Tod fehlt ihre wichtigste Informationsquelle, daher wird Nora auf etwas anderes angesetzt: die spektaktuläre Scheidung eines russischen oligarchen von einem dänischen Reality-Sternchen. Das Paar streitet öffentlich um das Sorgerecht für seinen Sohn. Als er entführt wird, stößt Nora darauf, dass beide Fälle zusammenhängen könnten. Die Suche nach der Wahrheit führt sie in die dunkelsten Winkel der Stadt. (Klappentext)
Rezension: Schon, wenn man die Buchdeckel aufklappt, kann man bei den meisten skandinavischen Krimis den bleischweren Mehltau der Melancholie förmlich mit den Händen greifen und so habe ich mich, dementsprechend skeptisch, an die Lektüre von „Hexenjunge“ gewagt.
Lone Theils konstruiert hier die Parallele zweier verlaufender Handlungen, die zunächst im ruhigen Fahrwasser der geschichte nichts miteinander zu tun haben scheinen, dann jedoch immer enger miteinander verflochten werden, bis es schließlich zum großen Knall kommt.
In der losen Aneinanderreihung begleiten die Leser die Journalistin Nora Sand im Spagat zwischen der schillendern Londoner Welt eines Londoner Oligarchen und seiner Beziehung zu einem dänischen Reality-Sternchen; hier bin ich so frei, die Formulierung aus dem Klappentext einfach zu übernehmen; und nigerianischen Terrorismus‘, dessen Wirkung noch Kreise ziehen wird.
Behutsdam verwebt die Autorin beide Bestandteile dieses dritten Bandes um die Hauptprotagonistin, den man übrigens auch losgelöst von der Reihe lesen kann, und schafft damit ein spannendes Szenario, dessen Wirkung man praktisch schon mit den ersten Seiten greifen kann.
Die Handlung wird dabei behutsam aufgebaut, vom Groben ins Kleinteilige, immer aus der Sicht der hauptprotagonistin, deren Bild wie das eines Puzzels immer vollständiger wird, je mehr Teile sie miteinander in Verbindung setzen kann.
Dabei gelingt der Autorin das Kunststück, nicht zu sehr abzuschweifen, oder sich etwa in der Nebenhandlung des Privatlebens von Nora Sand zu verzetteln, so dass der Leser ganz konzentriert der Handlung folgen kann. Geschickt zeigt Lone Theils dabei die gesellschaftlichen Verquickungen auf, die beide Fälle mit sich bringen und schafft so zunächst unterschwellige spannung, die nach und nach immer klarer wird, um dann mit voller Gewalt den Leser in ihrem Bann zu ziehen.
Die Hauptprotagonisten bleibt dabei als einzige scharf gezeichnet. Alle anderen Charaktere werden nur in sofern beschrieben, wie es der Geschichte nützt. Nichts überflüssiges wird hier erzählt, dennoch gibt es genug Wendepunkte und Kontraste, um die Leserschaft in die Irre zu führen.
So nebelig wie das Cover bleibt auch zunächst die Auflösung, gleichwohl amn vom Anfang an spürt, dass Nora Sand im gegensatz zu ihrer Umgebung die richtigen Schlüsse ziehen kann, die dann übrigens nach einer Fortsetzung schreien. Die Reihe wird weitergeführt, vielleicht sogar mit Verknüpfungen zu diesem Band, gleichwohl dieser losgelöst gelesen werden kann.
Die Parallelen zur eigentlichen Arbeit der Autorin, die die Protagonisten aufweist, sind nicht von der Hand zu weisen. Tatsächlich ist auch Lone Theils als Journalistin tätig gewesen und teilt ihr Hobby ebenso mit dieser. Im nächsten Band ist daher durchaus der große „Schlag“ zu erwarten.
Autorin: Lone Theils arbeite jahrelang als London-Korrespondentin für die dänische Zeitung Politiken, sowie für diverse Fernsehsender. In 16 Ländern erschienen bisher ihre Bücher, die u.a. für das Fernsehen adaptiert werden. Zwischen Dänemark und England teilt die Autorin mit ihrer Protagonistin Nora Sand die Leidenschaft für’s Kickboxen.
Die stumme Patientin
Alex Michaelides
Übersetzerin: Kristina Lake-Zapp
Rezensionsexemplar/Thriller
Droemer
Erschienen am: 02.05.2019
Taschenbuch
Seiten: 379
ISBN: 978-3-426-28214-4
Inhalt:
Blutüberströmt hat man die Malerin Alicia Berenson neben ihrem geliebten Ehemann gefunden – dem sie fünf Mal in den Kopf geschossen hat.
Seit Jahren sitzt die Malerin nun in einer geschlossenen psychiatrichen Anstalt. Und schweigt. Kein Wort hat sie seit der Nacht des Mordes verloren, lediglich ein Bild gemalt. Fasziniert von ihrem Fall, setzt der forensische Psychiater Theo Faber alles daran, Alicia zum Sprechen zu bringen. Doch will der Psychiater wirklich nur herausfinden, was in jener Nacht geschehen ist? (Klappentext)
Rezension:
Krimis und Thriller zu rezensieren, fällt schwer. Wie leicht lässt sich hier spoilern oder verraten, dass es der Butler war oder der Gärtner der Mörder ist, doch ich bleibe bei der Inhaltsangabe laut Klappentext. Das ist in diesem Falle mal unverfänglich und verrät nichts. Wer möchte, kann also getrost weiterlesen, gleichwohl ich es schwierig finde, eine vernünftige Rezension zu schreiben.
Der Inhalt ist dann auch schnell ersichtlich, gehen wir also gleich zum Aufbau dieses einzigartigen Debüts über. Gegliedert ist das Buch in kurzweilige Kapitel aus der Sicht des Hauptprotagonisten, anfangs sehr einseitigen, später wandlungsfähigen Theo Fabers und Tagebucheinschüben eben jener stummen Patientin, Dreh- und Angelpunkt des Thrillers. Weitere Perspektiven gibt es nicht.
Alex Michaelides beschränkt sich hier auf das Notwendige. Andere Protagonisten dürfen und können hier auch bemerkenswert blaß bleiben, was auf den Leser sehr wohltuend wirkt. In ruhiger Erzählweise geht der Autor mit seinem Hauptprotagonisten, dieser ist anfangs nur wenig facettenreich, was sich im Verlauf der Handlung jedoch bessert, auf Spurensuche und lullt den Leser damit ein.
Das zu Beginn ruhig wirkende Debüt lässt dabei keine Spuren vom melnacholischen Mehltau skandinavischer Krimis zu. Der Autor hat dennoch die Geduld aufgebracht, eine klare Linie mit nicht allzu kaputten Protagonisten zu verfolgen und den Handlungsverlauf Stück für Stück im Spannungsbogen aufzubauen.
Am Anfang passiert nicht viel, trotzdem möchte man weiterlesen. Michaelides weiß, welche Stellschrauben er drehen muss, um seine Leser in den Bann zu ziehen. Ja, auch ruhige englische Krimis gibt es, die mit nur einem Mord auskommen. Blut fließt hier nicht gerade in Strömen. Vielmehr werden die psychologischen Komponenten ins Spiel gebracht.
Hier sieht man die Kenntnisse des Autors aus der Psychologie eingewoben. Eine Arbeit, deren Erfolge man etwa bei anderen Autoren, wie Sergej Lukianenko, in anderer Form beobachten kann. Gutes Autorenhandwerk ist eben nicht nur das Spiel mit der Sprache und das Lebendigwerdenlassen von Protagonisten, sondern eben auch das Einarbeiten von sonstigen Fachkenntnissen.
Auch merkt man die Erfahrungen des Drehbuchschreibens von Michaelides, der einen Film vor dem inneren Auge seiner Leser ablaufen lässt, der zu überraschen vermag.
Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ständig und nur Krimis oder Thriller lesen. Mich haben die, sparsam aber sehr gezielt wirkenden, Wendungen jedoch sehr überrascht. Tatsächlich habe ich fast bis zum Schluss nicht einmal ansatzweise geahnt, worauf die Handlung hinausläuft. Der große Knall kam unerwartet.
Das ist eine wunderbare Qualität und einer der vielen Punkte, die es wert macht, die Arbeit des Autoren zu verfolgen. Nicht nur Drehbücher kann Alex Michaelides nämlich schreiben, sondern auch in Buchform begeistern. Und das ist bei der Flut von Krimis sehr bezeichnend. Hoffen wir, dass „Die stumme Patientin“ nicht untergeht, sondern viel weiter oben auf dem Leserradar landet. Dieser Thriller hätte das verdient.
Autor:
Alex Michaelides wurde 1977 auf Zypern geboren. Er studierte zunächst in Cambridge und Los Angeles, schreibt Drehbücher für’s Fernsehen und Kino. Er ließ sich zum Psychotherapeuten ausbilden und arbeitete zwei Jahre in einer psychiatrichen Klinik für Jugendliche. Dies ist sein erster Roman, der zugleich in über 39 Ländern erschienen ist. Michaelides lebt in London.
Jeden Sommer kommen Hunderte Kinder ins Segelcamp nach Lökholmen, der kleinen Insel gegenüber von Sandhamn, und verbringen dort ihre Ferien. Doch nicht alle, die am Camp teilnehmen, können ihre Zeit dort genießen, denn einige Kinder werden gemobbt und leiden unter den Gemeinheiten der anderen. Als eines von inen plötzlich verschwindet, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit… (Klappentext)
Einordnung: Dies ist der achte Band der Thomas-Andreasson-Reihe.
Rezension:
Skandinavische Krimis kennzeichnen sich allzuoft durch Melancholie, die sich wie Mehltau durch die Bücher zieht, schönen Landschaftsbeschreibungen, aber gescheiterten Existenzen, denen man die Ermittlerrolle nur mit großem Wohlwollen abnehmen kann.
Nur hin und wieder sticht ein Fall, eine Geschichte oder gar eine Reihe wohltuend heraus und setzt ein Zeichen gegenüber dem Einerlei dieses sehr eigenen Genres. In diesem Sinne entführt Viveca Sten ihre Leser wieder einmal nach Lökholmen und Sandhamn, jener ländlichen idylle Schwedens, die tief im Inneren ihre Schattenseiten verbirgt. Zumindest, wenn man der feder der Autorin folgt.
Ein Handlungsstrang verfolgt den Weg des kleinen elfjährigen Benjamin, der gegen seinen Willen in ein Segelcamp auf der Schäreninsel verfrachtet wird und dort schnell das Ziel von älteren Jugendlichen wird, die in ihm das ideale Mobbingopfer sehen.
Ein parallel geführter Erzählstrang verfolgt ein, mit diesem Protagonisten lose verbundenen Gerichtsprozess, ein anderer dritter ist der verbindende Klebstoff zwischen den Zeilen.
Dies führt bei manchen Autoren dazu, dass sie sich verlieren und es nicht schaffen, eine vernünftige Lösung zur zusammenführung zu schreiben, doch mit Hilfe eines kontinuierlichen Spannungsaufbaus, der wellenförmig mal die eine Handlung hervorhebt, dann wieder andere Protagonisten fordert, schafft es die Autorin, was nur bei wenig Krimis so überzeugend gelingt.
Dies, in einer vergleichsweise ruhigen und fast unbrutalen schreib- und Erzählweise, die einem dennoch einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Nicht umsonst wurde diese Geschichte, wie auch schon mehrere andere der Reihe, bereits für eine Miniserie verfilmt.
Man kann diesen Krimi ohne Kenntnis der Vorgängerbände lesen, sei jedoch gewarnt, wenn man den Trigger Kindesentführung vermeiden möchte. zwar gibt es gewalttätigere Geschichten in diesem Genre, jedoch selten so gut erzählt. Die Perspektivwechsel folgen logisch in kurzweiligen Kapiteln, die jeweils einem Protagonisten folgen, ohne unter den bereits erwähnten Krimi-Mehltau zu ersticken.
Der Handlungsstrang um die Mobber wurde zu Gunsten der Entführung und den entsprechenden Folgen wahrscheinlich vom Lektorat zusammengekürzt, doch liegt es nicht in der Natur der sache, dass man im Alltag einzelne Aspekte verfolgt und andere aus den Augen verliert? In diesem Sinne ist es dennoch ein gut abgerundeter Kriminalroman, der es sich zu lesen lohnt.
Autorin:
Viveca Sten wurde 1959 in Stockhilm, Schweden, geboren und ist eine skandinavische Schriftstellerin und Juristin. Nach der Schule entschied sie sich für ein Jura-Studium und arbeitete als Chefjuristin für die schwedische und dänische Post.
Nachdem sie mehrfach Fachliteratur und entsprechende Aufsätze publiziert hatte, veröffentlichte sie 2008 ihren ersten Kriminalroman, aus dem inzwischen eine mehrbändige Reihe geworden ist. Die Reihe wurde als Miniserie für’s Fernsehen verfilmt. Die Autorin verbringt mit ihrer Familie die Sommer weitestgehend in Sandhamn, Haupthandlungsort ihrer Bücher und lebt mit ihrer Familie bei Stockholm.
Das Interview enthält einen Spoiler, den ich als einen solchen gekennzeichnet habe. Dieser kann jedoch übersprungen werden; man muss ihn aufklappen, um ihn zu lesen. Wer dies nicht tut, bleibt spoilerfrei. Das Interview kann auch ohne diesen gelesen werden.
NH: In Ihrem neuen Thriller
„Abgeschlagen“ geht es um einen Fall innerhalb der Kieler
Rechtsmedizin und den Protagonisten Dr. Herzfeld. Wie viel Herzfeld
steckt in Ihnen persönlich?
MT: Es steckt einiges Persönliches drinnen, dass ich natürlich, wie mein Protagonist das Problem habe, zu viel zu arbeiten, zu wenig zu Hause bin und zu wenig Zeit für die Familie zu haben. Das klingt ja immer wieder durch, sowie dass ich von Berufs wegen neugierig bin und es mir keine Ruhe lässt, wenn sich mir etwas nicht erschließt.
Was nicht auf mich zutrifft ist, dass ich nie diese Risiken eingehen und Alleingänge machen würde, die Herzfeld macht. Das muss man aber, der Dramaturgie geschuldet, machen. Wenn Sie jemanden haben, der 16 Uhr nach Hause kommt und bei jeder Kleinigkeit die Polizei ruft, haben Sie keine Hauptfigur.
NH: Sie können für sich auch das
Dramaturgische und das, was fachlich vielleicht notwendig wäre,
trennen?
MT: Das kann ich. Das ist der Vorteil der Belletristik. Im Sachbuch kann man das nicht, dort muss man bei den Fällen genau dranbleiben. In der Belletristik habe ich die Möglichkeit, einen echten Fall mehr auszuschmücken, mehrere Fälle zusammenfließen zu lassen und den Protagonisten Dinge tun lassen, die man sonst als Rechtsmediziner nicht machen würde. Die Möglichkeiten habe und nutze ich auch.
NH: Ist das Schreiben eines
Thrillers für Sie eine Art „Ausgleich“ zur Wirklichkeit?
MT: Irgendjemand hat mich einmal gefragt, ob es eine Art „Therapie“ wäre. Vielleicht ist es das auch. Einmal macht es natürlich Spaß. Ich habe ansonsten relativ wenige Hobbys, aufgrund der fehlenden Zeit. Ich habe früher auch sehr viel Wissenschaftliches publiziert, in Fachzeitschriften überall auf der Welt, von der Idee bis zur Druckfahne und dem Erscheinen.
Das ist auch das, was bei einem Buch Spaß macht. Es ist sicherlich eine Art „Therapie“ zu wissen, ich schreibe etwas und irgendwann gibt es Leute, die lesen das, die finden es gut und es gibt Feedback. Das ist Erfolg, der einem auch positiv bestätigt.
NH: Wie war das Feedback zum neuen
Thriller von Kollegen der Rechtsmedizin? Gab es da welches?
MT: Nein, bisher nicht. Das ist jedoch auch nichts, was ich jetzt erwarten würde. Ich habe einigen Arbeitskollegen das Buch geschenkt, da diese mich beraten und als Probeleser fungiert haben. Ansonsten gibt es da fachlich kein Feedback. Es macht jeder seines. Es interessiert einen Rechtsmediziner in Hamburg nicht, ob ich Rechtsmediziner in Berlin ein Buch schreibe.
https://www.instagram.com/p/BSETeWdFf_f/
Das war 2017. Michael Tsokos stellte damals einen anderen True-Crim-Thriller vor.
NH: Wie erklären Sie sich bei den
einfachen Publikum und Lesern die Faszination für Thriller und
Krimis?
MT: Der Tod als zentraler Bestandteil
von Krimis und Thriller übt natürlich eine große Faszination auf
die Menschen aus. Das ist etwas, was ich aus meinem Leben als
normaler Bürger ausklammern möchte. Ich kann mir als Normalbürger
nicht vorstellen, dass ich jeden Tag früh ins Büro gehe, zwölf
Leichen auf den Tisch liegen habe, so wie ich, die aufgeschnitten und
untersucht werden…
NH: Sind das so viele?
MT: Ja, wir machen jeden Tag so viele
Obduktionen. Ich bin auch bei allen Obduktionen in Berlin dabei. Wir
machen ca. 2200 Obduktionen pro Jahr. An regulären Arbeitstagen sind
das schon zwölf.
NH: Auch der Thriller „Abgeschlagen“
hat einen wahren Hintergrund. Wo genau liegt der „wahre Kern“
hinter der Geschichte?
Spoiler
MT: Vor ungefähr 25 Jahren hat mein damaliger Chef in der Hamburger Rechtsmedizin mir erzählt, dass es einmal einen skandinavischen Rechtsmediziner gab, der Prostituierte getötet, zerstückelt und die Leichenteile in den Park versteckt hat. Als sie dann gefunden wurden, hat er die obduziert. Über diese Geschichte findet man so gut wie nichts im Internet, da das in den 70er und 80er Jahren passiert ist, aber sie hat mich fasziniert.
Das ist das zentrale Thema. Was ist, wenn ein Rechtsmediziner tatsächlich selbst der Täter ist? Wenn er sein spezielles Wissen ausnutzt, um der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein. Im Buch ist relativ schnell klar, um wen es sich handelt, aber der Weg bis zu seiner Überführung und zum Showdown ist sehr spannend. Das ist entscheidend bei „Abgeschlagen“.
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NH: Der Weg ist das Ziel. Kann man
ja durchaus auf Ihre Arbeit übertragen. Wie kommt man zu diesen
medizinischen Bereich? Gibt es so etwas wie Freude an dieser Arbeit?
MT: Mein Beruf bereitet mir auch Freude und Spaß. Ich freue mich jeden Tag, wenn ich morgens zur Arbeit fahre, ob dem, was mich erwartet. Es gibt in der Medizin vieles, was ich nicht machen könnte. Wenn ich z.B. auf einer Kinderkrebsstation arbeiten würde und die kleinen Patienten sterben oder ich in einer Dialyse-Station, wo die Menschen zunehmend ins Nierenversagen rutschen, da sie keine Spenderniere bekommen, das wäre eine Sache, die ich nicht machen könnte.
Freude an beiden Berufen. Schriftsteller und Gerichtsmediziner Michael Tsokos.
MT: Ich weiß, dass es für viele unvorstellbar ist, den Job zu machen, den ich habe. Es gibt für mich jedoch genug andere, die ich nicht machen wollen würde. Ich war im Studium von der Rechtsmedizin total fasziniert. Das hat angehalten und deshalb habe ich mich auch dafür entschieden.
NH: Der Protagonist Dr. Herzfeld deckt im Laufe der Ermittlungen die Hintergründe der Tat auf. Wäre dies heute, in Anbetracht der Entwicklung von kriminalistischer Untersuchungsmethoden überhaupt noch so möglich? Ein unaufgeklärter und inszenierter Mord, dieses Schauspiel als Folge?
MT: Absolut. Das ist möglich, da wir
natürlich genau wissen, wie Spuren verändert werden können. Wie
legen wir falsche und verändern eigene Spuren? Das wäre absolut
möglich.
NH: Gibt es den perfekten Mord?
MT: Den gibt es. Ich kann natürlich
keine Beispiele nennen, jedoch gibt es gerade in Berlin den Fall
eines verschwundenen Mädchens, dass sehr wahrscheinlich Opfer eines
Tötungsdeliktes geworden ist. Die Polizei hat nicht den geringsten
Anhaltspunkt, was passiert ist.
NH: Wenn Sie im „Schreibprozess“
sind, wie gehen Sie vor? Steht die Geschichte fest oder beginnen Sie
zu schreiben und schauen, wohin dies führt?
MT: Der Grundblock steht von Anfang bis Ende fest. Man macht sonst den Fehler, sich zu verzetteln und nicht dort anzukommen, wo man hin möchte. Der Weg dahin ist flexibel. Ich habe den Protagonisten und habe die Rollen verteilt; bei dem, was dazwischen passiert, bin ich flexibel.
Zwischendurch kommen ja auch neue Ideen hinzu. Was von vornherein klar ist, ich brauch einen großen Showdown, ein Finale. Es ist jedoch zum Beginn des Schreibprozesses nicht unbedingt klar, wie das aussieht. In „Abgeschlagen“ war es das auch noch nicht, nur, dass es einen großen Abgang haben und quasi filmische Sequenzen haben muss.
NH: Wie gehen Sie mit der Realität
in ihren Büchern um, z.B. im Gegensatz zu Sebastian Fitzek? (Die
Frage habe ich ursprünglich anders gestellt, so dass es weder zum
damaligen Interview mit Fitzek selbst gepasst hätte, noch hier
zielführend gewesen wäre. Michael Tsokos hat jedoch, unbewusst, so
geantwortet, dass ich nachträglich in der Abschrift die Frage
umformulieren konnte. Jetzt passt es.)
MT: Im Gegensatz zu Fitzek muss ich die Realität abmildern, da sonst niemand das Buch lesen würde. Das würde kein Verlag drucken. Bei mir sind die Fälle aus dem wahren Leben.
Michael Tsokos und „Abgeschlagen“.
NH: Ihre Arbeit ist sehr
zeitintensiv, in Berlin und auch im Ausland, wo Sie zu vielen Fällen
hinzugezogen werden? Woher nehmen Sie die Zeit, zusätzlich Thriller
zu schreiben?
MT: Ich habe es sehr komfortabel, da
ich mir keine Fälle ausdenken muss. Die Geschichten kommen zu mir.
Ich bearbeite so viele Fälle mit unfassbaren Details und Wendungen.
Die Story zu bekommen, ist nicht schwierig. Eher noch die Umsetzung,
ein Buch daraus zu formen, neben den sonstigen Pensum. Man muss sehr
diszipliniert sein und seine freie Zeit nutzen, zu schreiben.
NH: Zuletzt wurde die Serie
„Charite“ ausgestrahlt. Es gibt zwei neue Bücher über einen der
prägenden Ärzte, Ferdinand Sauerbuch. Welchen Eindruck haben Sie
davon?
MT: Ich bin selbst immer wieder
erstaunt, wie sich Ärzte im Nationalsozialismus verhalten, zu
Handlangern und willfährigen Henkern dieses Systems gemacht haben.
Für mich erstaunlich, aber es ist natürlich ein Punkt, den ich für
mich selbst kritisch hinterfrage. Wie würde ich mich in solch einer
Situation verhalten? Mich hat die Serie total fasziniert.
NH: Wie wird es denn auch
weitergehen mit Paul Herzfeld?
MT: Es wird eine Trilogie werden. Das
nächste Buch heißt „Abgebrüht, um eben in dieser „Ab-“-Reihe
zu bleiben. Es geht weiter.
NH: In diesem Sinne, vielen Dank für
das Gespräch.
MT: Vielen Dank.
Wir danken Michael Tsokos und DroemerKnaur für die Gelegenheit, das Interview zu führen. Wie immer der Hinweis, dass das Interview Eigentum des Autoren, des Bloggers und des Verlages ist und nicht vervielfältigt, kopiert oder andersweitig verbreitet werden darf. Cover-Fotos werden nach Vorgaben des Verlags verwendet, Fotos des Autoren sind auf der Messe entstanden und gehören den Fotografen. Das Interview erfolgte ohne Gewinnerzielungsabsicht.
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VE: Jein. Ich bin langfristig schon optimistisch, da man ja ansonsten nicht existieren und langfristige Sachen machen würde, aber kurzfristig teilweise pessimistisch. Wenn man nicht immer das Schlimmste erwarten würde, könnte man auch keine Thriller schreiben, da passiert ja immer irgendetwas Negatives.
„Sind Sie ein optimistischer Mensch?“ Veit Etzold: „Jein.“
NH: Was hat Sie zu den Thriller
„Staatsfeind“ inspiriert?
VE: Ich habe 2013 mit einem ehemaligen
KSK-Kämpfer (Kommando Spezialkräfte) gesprochen. Der meinte, man
könnte einen Umsturz in Deutschland mit dreihundert Elitekräften
machen. Die würden ausreichen, um alles umzustürzen. Das erschien
mir plausibel und ich habe mir überlegt, was ist, wenn dies wirklich
der Fall wäre? Welche Kräfte würden sich bündeln? Wer würde so
etwas machen? Wie würde das aussehen?
Ich habe dann immer weiter recherchiert, mit verschiedenen Leuten gesprochen und gerade jetzt gibt es eine große Unzufriedenheit bei den Sicherheitsbehörden, die mit der Regierung nicht einverstanden sind, die sich im Stich gelassen fühlen, wo vielleicht die Möglichkeit besteht, so etwas hinzubekommen, gar nicht mal so unrealistisch ist. Auf alle Fälle realistischer als vielleicht vor zehn oder zwanzig Jahren.
NH: Dieses Ereignis, zuerst eines
Terroranschlags und dann eines Umsturzes, setzen Sie auf ein
historisches Ereignis. Den Mauerfall, der sich 2019 zum dreißigsten
Mal jährt. Warum dieses Datum?
VE: Dies ist ein historisches Datum und
die Separatisten wollen Deutschland spalten, in einem
nationalistischen und einem islamischen Staat und bedienen sich dann
auch Islamisten, die ihnen dabei helfen. In sofern wäre es eine
völlige Ironie, dass am dreißigsten Jahrestag der Wiedervereinigung
dann wieder alles auseinander gerissen wird. Der eine Teil
Deutschland wäre dann nationalistisch, der andere islamisch und
jeder der beiden Staaten ist für den anderen da, um ein
abschreckendes Beispiel zu geben.
NH: Sie hatten diese Idee und daraus
die Geschichte formuliert? Wie haben sie diese entwickelt? Gibt es
einen Schreibplan, der Anfang und das Ende stehen vorher fest oder
schreiben Sie und schauen, wo die Idee hinführt?
VE: Der Anfang steht und das Ende steht auch, genau so wie die ganze Story vorab. Es ändern sich vielleicht nur noch ein paar Sachen, auf einige bin ich erst zum Ende hin gekommen, die sich noch ganz gut einfügen ließen, aber bei Thrillern steht normalerweise die gesamte Geschichte gleich zu Beginn. Ich schreibe ein Expose, gliedere teilweise per Excel einzelne Szenen.
Wenn man einfach los schreibt, können logische Brüche entstehen und man kann vielleicht alles nochmal schreiben. Es ist unheimlich schwer, dies wieder hinzubekommen, während man nach einem Expose genau weiß, hier muss ein Charakter öfter auftauchen, hier ist der Bösewicht zu wenig präsent. Es ist um Einiges klarer und strukturierter. Ein Thriller versucht ja auch, den Leser auf eine falsche Fährte zu führen.
Veit Etzold: „Ein Thriller versucht ja auch, den Leser auf eine falsche Fährte zu führen.“
NH: Neben den Schreiben halten Sie
Vorträge und Seminare, arbeiten im Bereich der Unternehmensberatung.
Hilft dies beim Schreiben?
VE: Vor allem mache ich viel über Kontakte, Storytelling und Unternehmensberatung und da gibt es natürlich immer Leute, die sagen, wenn Sie mal eine spannende Idee brauchen, melden Sie sich bei mir. Menschen, die im Bereich Sicherheitstechnologie, IT, Banken arbeiten, haben immer spannende Geschichten zu erzählen, würden selbst vielleicht gerne schreiben, haben aber vielleicht nicht die Zeit dafür oder schaffen es nicht.
Das ist ein tolles Netzwerk, welches man immer kontaktieren kann. Es gibt natürlich Leute in den Sicherheitsbehörden, in der Armee, bei Elitetruppen, ein Netzwerk, welches Geschichten liefern kann, aber oft sagen sie natürlich auch, sie wollen nicht namentlich erwähnt werden.
NH: Gibt es für die Protagonisten
in Ihrem neuen Buch solche realen Vorbilder oder Menschen mit
entsprechenden Charaktereigenschaften?
VE: Cohagen, zum Beispiel ist ein Mensch von Typ Horst Mahler. Horst Mahler war Gründungsmitglied der RAF, hat RAF-Terroristen als Anwalt verteidigt und ist dann Mitglied der NPD geworden. Vom Links- zum Rechtsradikalen, sehr beweglich.
Da geht es wahrscheinlich nur um Umsturz und neue Gesellschaftsformen, die er möchte, egal was da jetzt drauf steht und so ähnlich ist Cohagen, der einer der Hauptverschwörer ist. Es sind schon einige Personen, die an reale angelehnt sind. Das wäre jetzt mit Horst Mahler eine prominente Figur. Es gibt aber viele andere, die ich kenne, die jedoch nicht erwähnt werden möchten.
NH: Für wie realistisch halten Sie
dieses Szenario?
VE: Ich halte die Grundsaat, die Möglichkeit ist relativ hoch. Heute höher denn je als in der Geschichte der Bundesrepublik. Hoffe, dass es dann nicht dazu kommen wird und am Ende alles gut ausgeht.
Es ist jedoch eine Sache, die sehr nah an der heutigen Situation ist, die entsprechende Auswirkungen hätte, wenn sie passiert und nicht komplett unwahrscheinlich ist. Ich wünsche es mir nicht, aber ich glaube, dass es in unserer Zeit eher wahrscheinlich ist als zuvor.
Veit Etzold: „Die Möglichkeit ist relativ hoch.“
NH: Polarisiert der Thriller?
VE: Ich habe schon Kritiken gehört,
E-Mails bekommen, wo es hieß, dass wäre zu krass und verachtend
gegenüber dem etablierten System. Wobei ich ja nicht sage, dass ich
das System verachte, nur sage, was kann passieren, wenn das
etablierte System nicht aufpasst. Ich möchte, dass Demokratie und
Freiheit weiter bestehen, es ist jedoch nicht Gott gegeben. Wenn man
es nicht immer wieder verteidigt, wird es vielleicht irgendwann
abgelöst. Das müssen wir verhindern.
NH: Trotzdem endet ihr Thriller
jetzt nicht gerade mit einem Happy End.
VE: Teilweise. Es muss ja ein Ende
haben. Hier liegt die Bestie am Boden, ist aber noch nicht tot. Man
weiß nicht, wie es weitergeht. Es könnte auch eine Richtung
eingeschlagen werden, die man gar nicht möchte.
NH: Das heißt, Fortsetzung folgt?
VE: Vielleicht. Könnte man überlegen. Dass es eine Fortsetzung gibt, könnte durchaus sein. Vielleicht aber auch nicht.
Veit Etzold: „Dass es eine Fortsetzung gibt, könnte durchaus sein.“
NH: Wie muss die Umgebung sein, um
solche Bücher zu schreiben?
VE: Ruhig. Lärm nervt mich, wenn ich
konzipiere, plotte und schreibe, ansonsten habe ich da keine großen
Anforderungen. Ein wenig Platz.
NH: Sebastian Fitzek sagte mal, um
so schöner die Umgebung, um so schrecklicher werden die Szenarien.
VE: Es muss eine schöne Umgebung sein.
Schöner Ausblick, zum Beispiel am Meer. Aber bei mir kann das auch
das Hotel sein oder im Flugzeug. Wichtig ist, dass man seinen
Gedanken ungestört Raum geben kann. Ansonsten stimmt das natürlich.
Je schöner die Umgebung, desto schlimmer die Themen. Jedenfalls,
wenn man Thriller schreibt.
NH: Was macht die Faszination für
Thriller aus? Gerne gelesen, im Feuilleton kommt er fast nicht vor.
VE: Sie werden gerne gelesen, da sie Themen behandeln, womit man sich in sicherer Atmosphäre gruseln kann. Der Mensch möchte sich gruseln, jedoch in sicherer Umgebung und nicht wirklich solchen Leuten begegnen, einerseits. Andererseits behandeln Thriller ganz oft den Tod und dieses Thema ist in unserer Gesellschaft völlig ausgelagert worden. Man sieht kaum mehr Tote. Früher hat man die auf den Schlachtfeldern gesehen. Tote werden nicht mehr zu Hause aufgebahrt.
Veit Etzold: „Thriller werden gerne gelesen, da sie Themen behandeln, womit man sich in sicherer Atmosphäre gruseln kann.“
Es gibt eine Lifestyle-Industrie und
wir glauben alle, wir sind für immer jung und unsterblich. Sind wir
nicht, aber glauben wir. Religiös gibt es eigentlich auch keine
Beschäftigung mit einem Leben nach dem Tod. Danach ist es vorbei.
Der Tod ist ausgeklammert worden, aber immer noch präsent. Eine Art
Underdog, der durch die Hintertür wieder hereinkommt, nachdem er
durch die Vordertür hinaus geschmissen wurde.
Der Thriller behandelt den Tod und die
Phänomene, die wir ausklammern, die aber für den Menschen trotzdem
interessant sind. Warum der Feuilleton das nicht möchte, keine
Ahnung. Wahrscheinlich, weil es irgendwie massentauglich oder nicht
intellektuell genug ist. Wir haben in Deutschland als einzigem Land
die Unterscheidung zwischen ernsthafter und Unterhaltungsliteratur.
Ernsthaft kommt ins Feuilleton, aber
nicht auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. Bei Unterhaltung ist es
umgekehrt. In anderen Ländern werden auch Thriller in der New York
Times, Washington Post, Financial Times besprochen, hier nicht. Ich
verstehe es auch nicht.
NH: In Ihren Büchern kommen oft
Antihelden vor, bei denen man nicht weiß, wie man sich eigentlich zu
ihnen positionieren soll. Warum?
VE: Ich glaube, diese ganz klaren Helden, die man zuordnen kann, haben ausgedient. Die Leute wollen ambivalente Figuren, was man auch zunehmend an Serien sieht, in denen die Protagonisten nicht klar zuzuordnen sind. Die meisten Menschen sind ähnlich. Ein Mensch, der sagt, er würde nie töten. Wenn es aber darum geht, die eigene Frau, die eigenen Kinder zu retten, würde man vielleicht schon zum Mörder werden. Die Grenzen, was man machen würde und was nicht, sind immer fließend.
Veit Etzold: „Die Grenzen, was man machen würde und was nicht, sind immer fließend.“
Jeder Held, jeder normale Mensch ist
auch teilweise ein Antiheld. Das ist näher an den potenziellen
Lesern dran als ein Held, der völlig glatt gebügelt ist und weiß,
was er will. Wir wissen oft nicht, was wir genau wollen und wie wir
in Extremsituationen reagieren.
Das kommt auf die Situation an und in
solche werden die Helden hinein geschmissen. Das sind Menschen, keine
Superhelden, die eine gewisse Sache vielleicht gut können, ansonsten
genau so verletzlich und überfordert sind, wie vielleicht auch der
normale Leser in einer ähnlichen Situation.
NH: Dieses Szenario haben wir als
Leser und vor allem der Protagonist jetzt überstanden. In welches
werden wir uns als nächstes begeben?
VE: Als nächstes kommt wieder ein
Clara-Vidalis-Thriller, mittlerweile der siebte Band der Reihe, in
der Clara Vidalis einen Serienmörder jagt. Mehr kann ich noch nicht
verraten, es ist aber Bewährtes mit neuem Setting und neuen
Charakteren und einer ziemlichen Überraschung am Ende.
NH: Dann lassen wir uns überraschen.
Vielen Dank für das Gespräch.
VE: Vielen Dank.
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