Sachbuch

Marie Parakenings: Berliner Tiere

Inhalt:
Neben aktuell 104.757 Hunden und 3,63 Millionen Menschen leben in Berlin auch rund 20.000 Wildtierarten – Arten, wohlgemerkt, nicht Exemplare! Ganz genau zählen konnte nämlich noch niemand so richtig. Fakt ist aber, dass sich nicht nur die menschlichen Bewohner*innen an die Lebensbedingungen der Hauptstadt angepasst haben. Vom Spatz, der sein Nest mit Zugarettenstummeln polstert, zur Bahnhofsmaus, deren Verdauungssystem sich an Dönerfleisch angepasst hat… Es gibt einfach tierisch viel zu entdecken in einer Stadt wie Berlin. (Klappentext)

Rezension:
In einer der grünsten Hauptstädte Europas tobt das Leben und zieht jedes Jahr mehr und mehr Menschen an. Doch nicht nur die werden in Berlin heimisch, auch viele Säugetiere, Vögel und Insekten haben sich inzwischen an das Großstadgewusel angepasst. Andere, ebenfalls eine Komponente zu uns Zweibeinern, kämpfen dagegen mit Lärm, Verkehr, Abfall oder den Auswüchsen der menschlichen Bauwut. Doch wer lebt alles zwischen Tempelhofer Feld und dem Betriebsgelände Südbahnhof, Wannsee und Tiergarten, Alexanderplatz und Regierungsviertel?

Welche Szenen spielen sich da tagtäglich beinahe unbemerkt von uns ab? Und welche Strategien haben unsere tierischen Mitbewohner entwickelt, um zwischen U-Bahngleisen, Verkehr und historischen, wie modernen Gebäuden zu überleben? Die Gestalterin und Illustratorin Marie Parakenings hat sich ihrer Heimatstadt angenommen und führt uns durch den Großstadtdschungel.

Dabei ist von Beginn an klar. Eine solche Zusammenstellung kann nur unvollständig sein und eine subjektive Auswahl. Zu viel gibt es einfach zu entdecken, wenn man mit offenen Augen und einer gewissen Neugier durch die Straßen geht. Dennoch wird nach Art eines Lexikons auf die Fauna Berlins eingegangen, die überraschend vielfältig ist. Von bekannten Bewohnern wie Waschbär und Wildschwein ist da die Rede, von Singvögel, deren Rufe lauter sind als die ihrer in der Wildnis lebenden Verwandten, um im Menschenlärm bestehen zu können, aber auch von Gelbwangenschildkröte und Goldfisch, deren erste Exemplare ehemalige Haustiere gewesen sein dürften.

Eine Doppelseite bleibt da für jeden Vertreter seiner Art, welcher mit einer wunderschönen Illustration vorgestellt wird und einem zahlenmäßigen Faktum, bei dem einem teilweise so ganz anders wird. 275 Kilogramm Taubenkacke z. B. regnet es täglich in Berlin und Nebelkrähen richteten 2014 am Berliner Hauptbahnhof Schäden im Wert von 11.000 Euro an. Aus Langeweile. Abgerundet wird die Erläuterung dieser Anekdoten im Anschluss mit stichpunktartigen Fakten und einem kleinen Tierknigge, Hinweise für Naturbanausen und Stadtkinder.

Der etwas flapsige Ton, der im Buch angeschlagen wird, passt dabei ganz gut zum Gehabe der menschlichen Bewohner, wirkt beim Lesen jedoch stellenweise etwas fehl am Platz. Ansonsten hat man hier jedoch ein amüsantes Nachschlagewerk, dessen Inhalte sich hintereinander weg lesen lassen oder einfach häppchenweise zwischendurch. Danach sieht man Fuchs und Co. mit anderen Augen und geht vielleicht etwas aufmerksamer durch die Stadt. Wenn das erreicht ist, ist schon viel gewonnen.

Autorin:
Marie Parakenings wurde 1993 in Berlin geboren und ist eine Gestalterin und Illustratorin. Sie arbeitet in diesem Bereich mit einem Fokus auf soziale Themen und der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und hat inzwischen für mehrere Städte entsprechende Naturguides veröffentlicht.

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Birge Tetzner: Fred bei den Wikingern

Inhalt:
Irgendwo an einem Fjord in Dänemark lebte vor vielen, vielen Jahren der Wikingerjunge Ivar. Der Tag, an dem Fred zu ihm kommt, ist für Ivar ein trauriger Tag: Odin hat seinen Vater nach Walhall geholt – und das Dorf hat keinen Anführer mehr. Ivar muss ein schweres Erbe eintreten.

Wie soll er jemals ein so großer Krieger werden, wie sein Vater es war? Fred wird Ivar ein treuer Freund. Doch als der streitsüchtige Jarl Eirik sich rüstet, Ivars Dorf anzugreifen, brauchen die beiden schnell einen guten Plan. Fast ein Jahr bleibt Fred bei den Wikingern. Er hört die nordischen Sagas von Odin, Thor und Loki. Er lernt den Bootsbauer Harald kennen und erfährt von ihm, wie die Wikinger ihre schnellen Langschiffe bauten. Er trifft den grimmigen Knut (den er lieber nicht getroffen hätte) und die Seherin Thorbjörk. Bevor ein Jahr vergangen ist, warnt sie ihn, muss er die Wikinger wieder verlassen haben. Sonst wird es ihm nicht mehr gelingen. (Klappentext)

Rezension:
Nach Dänemark soll es gehen, doch als Freds Opa seinem Enkel mit auf die Reise nimmt, reist dieser gleich viel weiter. Ins Wasser, durch die Zeit gefallen, taucht der Junge in der Welt der Wikinger wieder auf, wo er doch eigentlich nur einen Ausflug auf einem nachgebauten Wikingerschiff unternehmen wollte. Ivar, dem Sohn des im Kampf gefallenen Stammesführers zum Geschenk gemacht, freundet dieser sich mit ihm an, als die Dorfgemeinschaft vor einer entscheidenden Auseinandersetzung steht. Nicht nur für Fred, der so das Leben und die Sagen der Wikinger kennenlernt, wird diese zu einer großen Herausforderung werden.

Buchtrailer zu „Fred bei den Wikingern“, von Birge Tetzner. (Quelle: Youtube ultramar media)

Das neu überarbeite Kinderbuch von Birge Tetzner entführt seine jungen Lesenden wieder einmal in ein spannendes Reiseabenteuer durch die Geschichte. Dabei ist diese vieles. Abenteuergeschichte, eine Erzählung über Freundschaft, Mut, Vertrauen und Gemeinschaft, zugleich jedoch auch Wissensvermittlung, wie sie spannender nicht sein könnte, ohne erhobenen Zeigefinger.

„Fred bei den Wikingern“ wirkt dabei auf mehreren Ebenen. Da wäre zunächst einmal die Geschichte selbst, die nicht nur mit den wunderbaren kräftigen Illustrationen von Karl Uhlenbrock aufwarten kann, sondern Protagonisten folgen lässt, die man sich sehr gut vor dem inneren Auge vorstellen kann. Mit den beiden Hauptfiguren, die man einfach nur gerne haben mag, kann sich die Zielgruppe wunderbar identifizieren. Junge Lesende dürften sich ernst genommen fühlen.

Ernste Fragestellungen, manchmal fast philosophische, werden hier auf Augenhöhe verhandelt und doch leicht verständlich vermittelt. Diesen müssen sich Fred und sein neuer Freund Ivar stellen, wie auch den erwachsenen Protagonisten, die ihrerseits mit Ecken und Kanten versehen sind und den fremden Jungen nach und nach in die Gemeinschaft aufnehmen und ihre Welt erklären. Passend zu den einzelnen Kapiteln wechselt das Erzähltempo. Man kann sich das gut als Hörspiel (was auch existiert) vorstellen. Eine sehr lebendige Sprache lässt sowohl Protagonisten und Landschaftsbilder vor dem inneren Auge entstehen.

Man fiebert mit Fred und den Wikingern mit. Werden diese den gefürchteten Jarl Eirik besiegen? Und wird Fred einen Weg finden, wieder in seine Welt zu gelangen? Letztere Frage schwingt immer mit, gleichzeitig möchte man jedoch mehr über die Welt der Wikinger erfahren. Auch das funktioniert sehr gut mit der Lektüre. Immer wieder gibt es an den Seitenrändern gut aufbereitete Wissenstexte, die verständlich formuliert sind. Autorin und Illustrator merkt man dabei viel Liebe zur Recherche und zum Detail an. Das beginnt mit der beinahe exakten Darstellung des Wikingerschiffmuseums Roskilde, bis hin zu den unterstützenden Informationstexten, die, als wäre das nicht schon genug, auch noch durch ein umfangreiches Glossar anhängt, welches ebenfalls kindgerecht aufbereitet ist.

Als spannende Abenteuergeschichte, Wissensvermittlung oder einfach nur zum Vorlesen, in die Illustrationen versinkend funktioniert „Fred bei den Wikingern“, dessen Hauptprotagonist in anderen Werken schon in die Eiszeit oder ins alte Rom hinein gereist ist, auch über die Zielgruppe hinaus. Und das ist einfach wunderbar.

Hier gehts zum Wikingerschiffsmuseum Roskilde: Hier klicken.

Autorin:
Birge Tetzner ist Kunsthistorikerin, Autorin und Sprecherin. Sie spricht Reportagen, erstellt Interviews und verfasst Nachrichten, ist Autorin für Museen, Ausstellungen und Kinder(hörbüchern. Im Verlag ultramar media erscheinen von ihr Bücher und Hörbücher für Kinder.

Illustrationen:
Karl Uhlenbrock ist Illustrator und Designer für Kinderbücher, Museen und Unternehmen.

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Hubert Wolf: Die geheimen Archive des Vatikan

Inhalt:
85 Kilometer Akten aus über tausend Jahren: Die Vatikanischen Archive sind die größten und ältesten der Welt. Vieles ist unzugänglich. Niemand darf frei herumstöbern. Hubert Wolf zeigt in seinem fesselnden Buch, wie man hier mit detektivischen Spürsinn Entdeckungen machen kann, die hinter die Kulissen von Tradition und Unfehlbarkeit blicken lassen. Von der rätselhaften Haltung des Papstes zum Holocaust über vergessene mächtige Frauen bis zu verborgenen Missbrauchsskandalen lässt er uns an Tiefenbohrungen in den Archiven teilhaben, die unser Bild von der Kirche nachhaltig verändern. (Klappentext)

Rezension:
Für die meisten verschlossen, öffnen sich die Türen der Vatikanischen Archive nur für jene, die entsprechende Empfehlungsschreiben besitzen. Die Geheimnisse der staubigen Akten aber, erschließen sich nicht sofort. Nach einem ganz eigenen Ablagesystem geordnet, entdeckt dort wer sucht, Nadeln im Heuhaufen und kann so mancher Diskussion innerhalb der wirkmächtigen Institution Kirche nachspüren. Der Historiker Hubert Wolf begibt sich bereits seit Jahren auf Spurensuche und hat dabei so manches Geheimnis zu Tage gefördert. Darüber erzählt er im hier vorliegenden Sachbuch.

Wer etwas bestimmtes sucht, muss wissen, wo. So ist es nicht gerade einfach, in den jahrhundertealten Archiven zu recherchieren, die man sich anders vorzustellen hat, als es uns Autoren wie Dan Brown weismachen wollen. Da wäre zunächst die Tatsache, dass der Weg durch die Kurie die Ablage der Akte bestimmt, sowie schlicht und einfach die Tatsache, dass es mehrere Archive gibt und durch die Jahrhunderte so manches Schriftstück unergründliche Wege nimmt. Wer die Systematik durchschaut, kann erstaunliche Funde machen.

Der Autor zeigt dies anhand einiger Beispiele, die jeder für sich ein eigenes Buch verdient hätten, darüber zu berichten. Nach einer Einführung in die Art und den Aufbau der Vatikanischen Archive, den man sich etwas ausführlicher, zumal über die Entstehung derer wünschen würde, kommt Hubert Wolf gleich zu Beginn auf den interessantesten Fall zu sprechen. Die Fragen nämlich um das Schweigen Pius XII. zu den Geschehnissen des Holocausts: Hat der Heilige Vater davon gewusst? In welchem Ausmaß und wie haben die Kurie und er intern und weshalb nach außen so reagiert, wie es heute unserem Geschichtsbild entspricht? Die Akten des betreffenden Pontifikats sind noch nicht lange für die Forschung freigegeben worden und schon jetzt, ergeben sich neue Erkenntnisse.

Anhand beispielhafter Bittschreiben beschreibt Hubert Wolf die Kenntnisnahme und Möglichkeiten des Vatikans, sowie die Kommunikationswege innerhalb der Jahrtausende alten Institution, bis diese schließlich ihren Weg in die Archive fanden, sowie die sich aus den ungeheuerlichen Wissen heraus ergebende Positionierung, die nach außen unverständlich anmutet, im inneren jedoch folgerichtig scheint. Er erzählt von Informationszuträgern und Abwägungen, sowie von Kirchendiplomatie, die aufgrund der Akten, manchmal sehr lückenhaft, mitunter aber minutiös nachvollzogen werden kann.

Alleine dies hätte eine ausführlichere Beschäftigung verdient, doch springt der Autor im weiteren Verlauf durch die Themen, wie es auch die Ordnungssystematik innerhalb der Archive provoziert. Es geht da um die versuchte Kontrolle des Wissens, den Index der verbotenen Bücher und dessen Auswirkungen, sowie um die Entwicklung der Papstwahl zu dem Vorgehen, wie wir dies heute zu kennen glauben. Die Unfehlbarkeit des Papstes, so zeigt Wolf auf, ist da ebenfalls nichts in Stein gemeißeltes, beziehungsweise ein zweischneidiges Schwert, auch das Zölibat wird angesprochen, sowie ein historischer Kriminalfall hinter Klostermauern.

Dies und noch viel mehr findet sich in den Aktenbeständen und soll als Beispiele dienen, für das, was man hinter den Mauern des Vatikans so alles entdecken kann, wenn man weiß, wo man suchen muss. Der Autor kann dies spannend, wie in einem Thriller geschrieben, schildern, so dass eine durchaus kurzweilige und fesselnde Lektüre bevorsteht, wer das gut recherchierte Sachbuch zur Hand nimmt. Ein großes Manko ist aber die mangelnde Ausführlichkeit. Mehr Beispiele, gerade für die erste gewählte Thematik. wären wünschenswert gewesen. Jedes hätte zudem ein eigenes Sachbuch verdient. Auch ist der Titel ein wenig zu allgemein, für die doch sehr punktuell gewählten Fälle, da dieser suggeriert, mehr allgemeines über die Vatikanischen Archive an Wissen preiszugeben. Wer jedoch mit der kompakten Darstellung anhand einiger Beispielfälle zurechtkommt, für den ist die Lektüre deutlich zu empfehlen.

Autor:
Hubert Wolf wurde 1959 in Wört geboren und ist Professor für Kirchengeschichte. Nach dem Abitur studierte er in Tübingen und München Katholische Theologie mit Schwerpunkt Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, sowie später Exegese des Neuen und Alten Testamentes. 1983 erhielt er sein Diplon und setzte seine Ausbildung im Priesterseminar fort. 1985 empfing er die Priesterweihe und war anschließend in der Pfarrseelsorge tätig. 1990 promovierte er in Tübingen, worauf die Habilitation folgte. 1992 erhielt er den Ruf als ordentlicher Professor nach Frankfurt/Main. Er beschäftigt sich mit der Aufarbeitung des Pontifikats Pius XII., sowie zur Unfehlbarkeit und dem Zölibat. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Leibniz-Preis der DFG.

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Kocku von Stuckrad: Nach der Ausbeutung

Inhalt:
Es ist heute kein Geheimnis mehr, dass sich die Erde in einem gewaltigen Transformationsprozess befindet. Die globale Klimakatastrophe hat einen Punkt erreicht, an dem die Lebensfähigkeit vieler Ökosysteme und Arten, auch das Überleben des Menschen, auf dem Spiel stehen. Zunehmen setzt sich die Erkenntnis durch, dass es eine radikale Veränderung im Verhältnis zwischen dem Menschen und der nichtmenschlichen Welt geben muss, wenn wir eine lebendige Zukunft des Planeten sicherstellen möchten.

Wie können wir unser Wissen über die Welt erweitern und so gestalten, dass es die Verletzlichkeit des Lebens respektiert und den Menschen als Teil einer planetarischen Lebensgemeinschaft begreift? Welche Konsequenzen hat ein solcher Ansatz für Wissenschaft, Gesellschaft und Politik? Das sind die Fragen, denen Kocku von Stuckrad in seinem neuen Buch nachgeht. (Klappentext)

Rezension:
Wissenschaft neu denken, in Bezug mit Kultur und Natur zu setzen und damit die Trennung von Geist und Materie aufzubrechen. Dies ist der Ansatz, den der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad verfolgt, um den Menschen in ein komplexes Beziehungsgeflecht mit der nichtmenschlichen Welt in Verbindung zu bringen und so den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Diese Wende,, die er „Mitweltethik“ nennt, soll konkrete Zukunftsperspektiven bieten und die Ausbeutungsregime von Patriarchat, Kapitalismus und Kolonialismus überwinden. Das übergreifende Denkmodell beschreibt er nun in seinem neuen Sachbuch „Nach der Ausbeutung“, welches den Spagat wagt, zwischen Philosophie, Religion und den traditionellen Naturwissenschaften.

Der Ansatz dabei, wie wir Menschen an den Punkt gekommen sind, die Erde kurz vor einem Kollaps und damit selbst einen Fuß bereits im Abgrund stehen zu haben, ist nachvollziehbar. Säulenartig werden die Zustände, die er als Ausbeutungsregime zu benennen weiß, erläutert und zueinander in Bezug gesetzt, bevor der Autor dazu übergeht, zu erklären, wie Wissenschaft abweichend von traditionellen Pfaden bereits in Ansätzen neu gedacht wird, um sie zu überwinden. Die Erkenntnis, interdisziplinär arbeiten zu müssen und dabei auch ungewöhnliche Wege zu verfolgen, ist nicht neu, auch Naturobjekten eine Stimme zu verleihen, mit Hilfe von Kunst und Kultur, ist etwas, was man bereits in einigen Regionen der Welt verfolgt, doch geht von Stuckrad noch viel weiter.

Hier beginnt jedoch eine Problematik, die der Autor sich zwar wünscht aufzubrechen, aber von der alle Lesenden wissen, wie unrealistisch das ist. Wirtschafts- und politische Systeme werden sich nicht so ohne Weiteres umwandeln lassen, auch sind wir Menschen heute um einiges rationaler gestrickt, als es notwendig wäre, um sich auf dieses von ihm verfolgte Denkmodell einzulassen. Eine spannende philosophische Überlegung gleitet damit so weit ins Spiritistische ab, dass es schwer fällt, die ernstzunehmenden Punkte noch von den esoterischen zu trennen. Das tut im Übrigen auch dem Lesefluss nicht gut.

Ein komplexes Modell, welches in Ansätzen sich zwar verfolgen, ganzheitlich aber nicht umsetzen lassen wird, derart zu vertiefen, ist kaum nachzuvollziehen, zudem heute der Komplexität geschuldet, immer mehr fachübergreifende wissenschaftliche Projekte gibt, die im Maße ihrer Möglichkeiten genau das machen, was der Autor sich vorstellt, soweit es nicht ins quasi Religiöse abgleitet. In diesem Sachbuch fehlt mir die rationale Komponente zu sehr, so dass sich einige Fragen und damit Lücken ergeben, die einfach bestehen bleiben. Das mag der Profession von Stuckrads entsprechen, verfehlt aber das Ziel, die Lesenden voll und ganz mitzunehmen.

Autor:
Kocku von Stuckrad wurde 1966 in Kpandu/Ghana geboren und ist ein deutscher Religionswissenschaftler. Er studierte zunächst vergleichende Religionswissenschaft, Philosophie und Judaistik in Bonn und Köln, und promovierte sowie habilitierte anschließend an der Universität Bremen. 2002 folgte eine Gastprofessur an der Universität Bayreuth, anschließend war er in Groningen tätig. Er ist Mitglied der Tierschutzpartei und Beisitzer in derer Berliner Landesverband.

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Carlo Masala: Wenn Russland gewinnt – Ein Szenario

Inhalt:

März 2028: Russische Truppen erobern die estnische Kleinstadt Narwa und die Insel Hiiumaa in der Ostsee. Der Angriff auf das Baltikum hat begonnen. Jetzt rächt sich, dass Europa nach dem Ende des Krieges in der Ukraine nicht aufgerüstet hat und wichtige Fähigkeiten fehlen. Gilt Artikel 5 der NATO? Wie wird sich die Allianz entscheiden? Riskiert sie den atomkrieg?

Wir haben uns daran gewöhnt, dass am Ende alles gut ausgeht. Aber was, wenn nicht? Was, wenn Russland gewinnt? Es ist nur ein hypothetisches Zukunftsszenario, das der renommierte Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala in seinem neuen Buch entwirft – aber es zeigt auf besonders drastische Weise, was heute auf dem Spiel steht. (Klappentext)

Rezension:

Als die Ukraine am Boden liegend einen Waffenstillstand schließen muss, der einer Kapitulation gleichkommt, gibt der russische Präsident Putin überraschend sein Amt ab und lässt eine neue jüngere Generation an die Schalthebel der Macht. Der Neue im Kreml ist im kriegsmüden Westen ein unbeschriebenes Blatt, doch in den Morgenstunden des März 2028 besetzen russische Truppen eine kleine Estland vorgelagerte Insel und eine Kleinstadt mit mehrheitlich russischsprachiger Bevölkerung, gleichzeitig mehren sich in Europa Sabotageakte.

Doch, was will Russland, welches sich zunächst nicht weiterbewegt wirklich und wie soll man darauf reagieren? Estland und die anderen baltischen Staaten fordern die Auslösung von Art. 5, den Bündnisfall des militärischen Beistandsvertrages. Nicht alle Mitglieder der NATO aber wollen das Risiko eines Krieges, möglicherweise mit Atomwaffen eingehen. Wie viel aber ist dann das Bündnis wert und was wären die Folgen?

Szenarien, Planspiele sind seit jeher Bestandteile militärischen Denkens. Einen Schritt voraus zu sein, sich auf alle Möglichkeiten und Eventualitäten vorzubereiten, um dann im Ernstfall folgerichtig reagieren zu können, ist notwendiger den je geworden. In Cyber-Kriegen werden Trollarmeen ins Feld geführt, um ganze Gesellschaften und Systeme zu destabilisieren.

Mit ihrem Auftreten stellen einige Staaten die gegenwärtige Weltordnung in Frage. Der Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala zeigt an einer dieser Gedankenspiralen, wie viel davon abhängt, wie wir auf etwaige Bedrohungslagen reagieren und wählt einen der nächsten realistischen Ausgangspunkte. Der Angriff auf das Territorium der baltischen Staaten ist so weit weg nicht. Schon heute wird an deren Grenzen massiv aufgerüstet, während auf der anderen Seite der Zäune Russland Militärübungen abhält und sich regelmäßig versucht, in innerpolitsche Belange der Länder einzumischen, die es zu seiner Einflussspähre zählt.

Der Autor zeigt dabei in sehr komprimierter Form die politische Schrittfolge und verdeutlicht die Klaviatur, auf der Russland mit den Ängsten der Europäer zu spielen vermag, aber auch, was es bedeutet, wenn Europa nicht geeint und geschlossen handelt und vor allem, weiter es versäumt, Lücken zu schließen, die entstehen, sollte Amerika sich entgültig aus dem gemeinsamen Militärbündnis verabschieden.

In einzelnen Kapiteln verfolgen wir an unterschiedlichen Schauplätzen, die im zeitlichen Verlauf in dichter Abfolge wechseln. Klare Sätze verdeutlichen die Brisanz der Thematik, ohne die verschiedenen Perspektiven nachzuvollziehen- Am Ende ist klar, es gibt viele Verlierer, einenen scheinbaren Gewinner und einen lachenden Dritten. Und das sind weder Russland, die USA noch Europa.

Ein strategisches Planspiel, in welchem alle Akteure mit den Muskeln spielen, um das Beste für sich herauszuholen ohne das Schlimmste eintreten zu lassen, liegt hier vor und liest sich beinahe wie ein Politthriller. Nur, dass alles tatsächlich so geschehen könnte, wenn wir nicht aufpassen, ist eben das, weshalb es so wichtig ist, solche und andere Szenarien zu durchdenken und entsprechend Lehren daraus zu ziehen. Carlo Masala versucht, hier vereinfacht aber deutlich aufzuzeigen, dass sich die NATO und ihre Partner nicht länger herausreden können, wenn es um das Verteidigen unserer Freiheiten geht, auch wenn es uns nicht immer direkt betrifft.

Man möge dieses Buch sämtlichen beschwichtigenden Politikern um die Ohren hauen.

Autor:

Carlo Masala wurde 1968 geboren und ist Professor für Internationale Politk an der Universität der Bundeswehr in München und Kommentator für deutsche und ausländische Medien. Er gilt als Experte für bewaffnete Konflikte.

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Emilie Aubry/Frank Tetart: Die Welt der Gegenwart

Inhalt:

Vom Ukrainekrieg über den Nahostkonflikt bis zur Krise in der Sahelzone, von der Grenzfrage und der gesellschaftlichen Spaltung in den USA bis zu Chinas Griff nach der Vorherrschaft im Indopazifik – die Macher der ARTE-Sendung „Mit offenen Karten“ Emilie Aubry und Frank Tetart führen uns in ihrem einzigartigen Atlas überall dorthin, wo im 21. Jahrhundert die entscheidenden Konflikte über Land, Ressourcen und die Zukunft der Demokratie stattfinden. Sie durchstreifen die Kontinente und berichten von den wichtigsten geopolitischen Umwälzungen der Gegenwart. (Klappentext)

Rezension:

Die Konfliktlinien unserer Zeit sind so vielfältig wie herausfordernd und vor allem allgegenwärtig. Überall auf unserem Planeten sehen sich wir Menschen damit konfrontiert, egal ob eine politisch heraufbeschworene Krise, bereits lang anhaltende Auseinadersetzung zwischen Interessensgruppen dem zu Grunde liegt oder der Klimawandel die Existenz ganzer Staaten in Frage stellt.

Die Macher der Informationssendung „Mit offenen Karten„, die regelmäßig auf Arte sich geopolitischen Fragen widmet, haben mit „Die Welt der Gegenwart“ eine Übersicht des Ist-Standes rund um den Globus geschaffen. Zwei Jahre später liegt dieser nun seit 2024 in der deutschen Übersetzung vor.

Gerade, wenn es um sehr dynamische Geschehnisse geht, wie sie gegenwärtige Konflikte nun einmal bieten, ist dies herausfordernd und problematisch zugleich, zudem wenn aus einer so komplex vernetzten Welt wie der unseren Beispiele zunächst herausgefildert werden müssen. Eines ist nämlich gleich zu Beginn der Lektüre klar, eine vollständige Übersicht ist nicht möglich, doch Emilie Aubry und Frank Tetart kommen mit ihrer Zusammenstellung einer nach, die umfangreichen Informations- und Erkenntniswert bietet.

Schon der Blick ins Inhaltsverzeichnis offenbart, dass sich die Autoren den herausfordernsten der Konflikte pro Erdteil vorgenommen haben, diese in sehr kompakter Form darzustellen. Nach Kontinenten gegliedert, wird in kompakter Form etwa auf die poltische Änderung an der brasilianischen Staatsspitze eingegangen, ebenso auf deren Auswirkungen im Zusammenhang mit den Abholzungen des dort befindlichen Regenwaldbestandes, das Machtstreben Chinas vor seiner Haustür, welches insbesondere das vorgelagerte Taiwan bedroht, veranschaulicht, ohne die historischen Hintergründe zu vernachlässigen.

Viele der im Buch beschriebenen Konflikte sind nur kurze Zeit auf den Titelseiten der großen Zeitungen und innerhalb der Hauptsendezeiten der Nachrichten zu finden gewesen, schwelen aber weiter, auch wenn das öffentliche Interesse seither abgenommen hat. Die Autoren rufen mit ihrer strukturierten Publikation eben diese wieder in Erinnerung, da die Gegenwart und unserer Umgang mit ihr erheblichen Einfluss darauf hat, was die Zukunft bringen mag.

Dabei werden Aubry und Tetart nicht, informieren nur mit ihrem sehr gut recherchierten Werk, welches zahlreiche geografische Karten beinhaltet, die die einzelnen Konfliktlinien visualisieren, wenn es etwa um die Verteilung von Bodenschätzen geht, Bevölkerungsmehrheiten oder der Sprengkraft des Arabischen Frühlings.

Jedem Abschnitt vorangestellt ist innerhalb der Kapitel die Erläuterung des Konfliktes meist anhand eines beispielgebenden Ortes. So wird etwa sehr kompakt dem Kapitel der politischen Umwälzungen in den USA, vorangestellt, an den 6. Januar 2021 erinnert, als eine Meute angestachelt durch Donald Trump, in der amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. das Kapitol stürmte.

Das ist alles, da ausgiebig recherchiert, sehr informativ und verständlich, doch haben an der einen oder anderen Stelle die Ereignisse die Erscheinung der ersten Ausgabe in Frankreich überrollt, so dass aktualisiert werden musste, um dann gleich wieder ins Hintertreffen zu geraten. Der 7. Oktober 2023, als Kämpfer der Hamas nach Israel eindrangen und zahlreiche Menschenleben forderten, ist Bestandteil der vorliegenden Ausgabe. Donald Trump als wiedergewählter Präsident noch nicht. Je nach dem sollte man also zusehen, möglichst die aktuelle Auflage zu erwischen, vorausgesetzt eine Aktualisierung wird fortgeführt.

„Die Welt der Gegenwart – Ein geopolitischer Atlas“, in der Übersetzung von Anna und Wolf Heinrich Leube ist aber auch so die Sammlung erstklassiker journalistischer Informationsvermittlung, die aus der großen Masse an Sensations- und Katastrophenjournalismusartikeln hervorsticht. Ohne das man den Blick auf alle beteiligten Akteure zu verlieren oder einen derer zu vernachlässigen droht.

Alleine um den Blick zu schärfen, lohnt sich die Lektüre, die einem mehr als nachdenklich zurücklassen wird.

Autoren:

Emilie Aubry wurde 1975 in Paris geboren und ist eine französische Journalistin und Moderatorin. Nach ihrem Studium begann sie 2001 beim Fernsehkanal des französischen Parlaments und präsentierte die Fernsehnachrichten. Danach leitete sie mehrere Debatten im Zusammenhang von Vorwahlen. Im Jahr 2007 interviewte sie die französischen Präsidentschaftskandidaten.

Seit 2009 moderierte sie auf Arte das Magazin Global Mag. Weitere Formate folgten, u. a. auch das Literaturmagazin La Cite du Livre. Seit 2017 ist sie Chefredakteurin des Magazins „Mit offenen Karten“, sowie Moderatorin einer Radiosendung auf France Culturel.

Frank Tetart studierte Internationale Beziehungen und promovierte anschließend in Geopolitik. Er war viele Jahre Berater der Sendung „Mit offenen Karten“ und unterichtet an Sekundarschulen, sowie an der Universität Paris 1. Er ist Autor mehrerer Atlanten.

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Die Leipziger Buchmesse 2025 – Tag 2

Der zweite Messetag begann mit einem Kaffee im Pressezentrum und Foto-Bombing. Die große Treppe in der Glashalle muss einmal pro Messe fotografiert werden. So will es das Gesetz. Da kann man schon mal anderen Buchbloggenden in die Quere kommen. Dann ging es zu S. Fischer, wo wir einfach die neuen Blogger-Betreuer kennenlernen wollten und zu einem Foto mit Thomas Mann auch nicht nein sagen konnten.

Die noch stille Treppe (Quelle: Privatarchiv)

Nein, nicht den echten Thomas. Eine Pappfigur und ein Bilderrahmen musste als Foto-Point herhalten. Eine tolle Idee, die jeden Tag für ein anderes Motiv genutzt werden konnte, soweit ich das aus den Augenwinkel sehen konnte. Aber ein Thomas Mann sticht halt vieles.

Dieses Jahr vielleicht nicht Kristine Bilkau, die mit ihrem Roman „Halbinsel“ in der Kategorie Belletristik den Preis der Leipziger Buchmesse gewann. Die erste Veranstaltung war ein Interview mit ihr, dem ich zuhören wollte, in dem aber die Moderatorin mehr gesprochen hat als Frau Bilkau selbst. Fand ich jetzt nicht gerade günstig, aber ich habe Kristine Bilkau am letzten Messetag nochmal in einem anderen Interview sehen dürfen.

Das Buch und die Preisträger der anderen Kategorien habe ich mir übrigens auch nach Hause geholt. Zwei Sachbücher darunter hat man jetzt auch nicht so häufig.

Danach stellte Viktor Remizov seinen Roman „Permafrost“ vor, der drei Familienschicksale in Sibirien verfolgt. Interessant, der Autor ist eigentlich Russe und lebt in Moskau, ist jedoch mit einer Italienerin verheiratet und hat selbst auch einen italienischen Pass, darf deshalb reisen und kann wohl um einiges freier agieren als andere Autoren, somit auch nicht betroffen von den derzeit noch immer aktiven Sanktionen. Finde ich spannend.

Die Moderatorin Julia Finkernagel stellte im Anschluss ihr Sachbuch „Reisefieber“ vor und Fußballer und Weltmeister Christoph Kramer auf einer Bloggerveranstaltung des Verlags seine Coming of Age Geschichte „Das Leben fing im Sommer an„. Er ist super sympathisch, einige Bookstagrammerinnen auf dieser Veranstaltungen waren es nicht. Teeniehafte kindische Fangirlfragen, die einigen von uns nur die Augen verdrehen haben lassen. Aber, alle wie sie wollen.

Auf einer nachfolgenden Lesung hatten die Illustratorin Bea Davis, die ihre Graphic Novel „Super Gau“ über die Katastrophe von Fukushima vorstellen wollte und ihr Moderator mit der Technik zu kämpfen, was aber nicht sonderlich schlimm gewesen ist. Am Stand von Carlsen hat sie viele ihrer Bücher signieren können und in jeder auch etwas hinein gezeichnet. So, dass dieses Motiv aussieht, als wäre es gedruckt und normal zum Buch gehört. Nicht nur ich fand das toll.

Vor dem nach der Messe folgenden Treffen im Pinguin gab es am Stand von Karl Rauch, dem Verlag des Kleinen Prinzen, ein Meet&Greet mit verschiedenen Autoren und Freunden des Verlags. Eine Signatur konnte ich mir von Mattia Insolia und Hanne Orstavik holen und ein paar Projekte und Ideen besprechen. Es sind auch solche Sachen, weswegen ich diese Messen liebe.

In Kürze folgt dann der Messebericht Tag 3.

Euer findo

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Florian Russi (Hrsg.): Philosophie für unterwegs (Reihe)

Die großen Philosophen und Philosophinnen verschiedener Zeitepochen selbst einmal zu durchdenken, ihre Werke in ihren Grundsätzen zu durchdringen, ist oftmals mit ziemlich viel Zeitaufwand verbunden, zudem, wenn man sich mit derer Für und Wieder beschäftigt. Auch die Frage, wie und wo man denn beginnen soll, ist vielfach nicht leicht zu beantworten. Die Reihe „Philosophie für unterwegs“, erschienen beim Mitteldeutschen Verlag, herausgegeben von Florian Russi, bietet die perfekte Eingangslektüre dafür.

Mehr als zwanzig Bände umfasst die Heftreihe, die mal auf etwas mehr, mal auf weniger als 50 Seiten pro Heft auf jeweils eine Person und ihrem Werk eingeht. Und zwar durch alle Zeitepochen. Die Autoren und Autorinnen und Florian Russi selbst, haben sich bereits mit den großen Namen wie Aristoteles und Albert Camus beschäftigt, aber auch z. B. mit Simone Weil und Oswald von Nell-Breuning, die zumindest mir bisher vorher gar nicht bekannt waren.

Diese Zusammenstellung ist schon alleine betrachtet etwas besonderes, doch ist es auch faszinierend zu sehen, wie sich selbst komplexeste Werke (Kant dürfte durchaus als schreibwütig zu bezeichnen sein, Hannah Arendt nicht minder.) auf das wesentliche herunterbrechen lassen.

So ist es gelungen, eine Art Einführung und Zugang zu Leben und Werk der beschriebenen Personen zu schaffen. Mehr möchte man mit dieser Reihe im Übrigen auch nicht erreichen. Wer die Kürze hier zurecht beklagt, da er oder sie sich bereits etwa mit Camus ausführlich beschäftigt hat, wird dem ihm gewidmeten Band auch nichts abgewinnen können. Es dient eben nur dazu, eine Art Anfang zu finden, sich überhaupt erst einmal damit auseinanderzusetzen und eine Art Bild des beschriebenen Werks zu bekommen.

Das gelingt vortrefflich. Auch kann man sich diese Art Bände mit Überblickswissen im Philosophpe- oder Ethik-Unterricht vorstellen, um nicht gleich mit allzu Kompliziteren und Hochtrabenden zu verprellen. Und gerade am Beginn einer sehr komplexen Thematik stehend, sollte es ja das Ziel sein, verständlich zu agieren und eine Struktur zu zeigen, nach der man sich orientieren kann. Die Reihe „Philosophie für unterwegs“ vermag das zu tun.

Eine Auswahl der Bände habe ich rezensiert, so z. B. diesen über Hannah Arendt und Albert Camus. Da die Art der Aufbereitung sich von Band zu Band nicht großartig unterscheidet und man, um auf die beschriebenen Werke und Personen ausführlicher eingehen zu können, sich auch mit diesen entsprechend ausführlicher beschäftigt haben muss, hier es aber nur um die Aufbereitung geht, bleibt in diesem Fall der Beitrag zur Reihe für sich stehen.

Herausgeber:

Florian Russi wurde 1941 in Saarlouis geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Nach dem Abitur studierte er Jura, Volkswirtschaft und Philosophie, sowie Kommunikationswissenschaften u. a. in Saarbrückenn und Wien und begann sich schriftstellerisch zu betätigen. Zunächst Richter am Landgericht Saarbrücken, später als Bildungsreferent und u. a. als Dozent tätig, veröffentlichte er 2004 sein erstes Buch, dem weitere folgten. Im Mitteldeutschen Verlag ist er Herausgeber der Reihe „Philosophie für unterwegs“. 2021 wurde Russi mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

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Edward Brooke-Hitching: The Most Interesting Book in the World

Inhalt:

Ein Werk voller erstaunlicher Entdeckungen, verblüffender Erzählungen und interessanter Illustrationen – ein einzigartiges Sammelsurium des Seltsamen und Wundervollen aus Geschichte, Wissenschaft, Literatur und vielem mehr.

Edward Brooke-Hitching beantwortet Fragen wie: Warum ist eine Katze zugleich Flüssigkeit und Feststoff? Wie versuchten Wissenschaftler im 18. Jh. mit Außerirdischen Kontakt aufzunehmen? Und warum aßen die Niederländer einst ihren Premierminister?

Entdecken Sie skurrile Geschichten wie die von einem religiösen Führer, der einen elektrischen Messias aus einem Esstisch bauen wollte, oder Menschen, die im Dunkeln leuchten. Ein Buch voller kurioser Fakten und unterhaltsamen Storytelling – ideal, um immer wieder etwas Neues zu entdecken! (Klappentext)

Rezension:

Von Eichhörnchen, die für 10 bis 20 Prozent aller Stromausfälle in den Vereinigten Staaten von Amerika verantwortlich sind, bis hin zu seekranken Fischen gibt es alleine in der Natur allerhand Kuriositäten, über die sich schmunzeln lässt. Nicht nur die hat Edward Brooke-Hitching, Hobby-Geograph und Sammler allerhand Erstaunlichen in seinem neuen Werk zusammengestellt. Dabei ist der Titel bewusst zu hoch gegriffen, doch lädt dieses kunterbunte Sammelsurium zum Schmökern und Entdecken ein, halten doch Wissenschaft, Natur, Kultur und Geschichte abseits des Mainstreams vielfach Interessantes bereit, auf das man erst mit dem zweiten, dritten Blick stoßen wird.

Ohne eine schematische Gliederung, wie es sonst den Werken Brooke-Hitchings eigen ist, werden wir Lesenden quer durch bunt zusammen gewürfeltes Wissen geworfen, welches ohne große Unterteilungen von Themenbereich zu Themenbereich springt. Nahtlos gehen da etwa die Fakten von den Naturwissenschaften zur Technik, in die Menschheitsgeschichte über. Für diese Art von Kompendien ist das eine ungewohnte Herangehensweise, an die man sich erst herantasten muss, andererseits funktioniert doch so das Entdecken und Erforschen vom Unbekannten.

Die einzelnen Fakten werden in mit Absätzen getrennten Textblöcken präsentiert, die man einzeln oder hintereinanderweg lesen kann, durchbrochen von kuriosen Listen, aus denen so interessante Dinge zu erfahren sind, wie etwa wo vor z. B. Alfred Hitchcock eigentlich Angst hatte oder welche ungewöhnlichen Sachen eigentlich schon vom Himmel gefallen sind, und damit ist dann nicht der selbige auf den Köpfen gewisser Gallier gemeint.

In jeder Zeile merkt man die Recherchelust des Autoren, der zwischen kuriosen Erfindungen allerhand Fragen beantwortet, wie etwa die, nach dem Geruch des Universums oder warum man barfußlaufend am Strand von Hawaii ziemlich sicher Ausscheidungen einer bestimmten Tierart zwischen den Zehen hat. Aufgelockert wird das Werk mit einigen Abbildungen, die Recherche untermauert dort zahlreiche Fußnoten, die „The Most Interesting Book in the World“ hervorragend ergänzen.

Halb ernst, aber dann doch immer wieder mit einem zwinkernden Auge geht man in jedem Fall schlauer aus der Lektüre hervor und hat dann allerhand anekdotisches Wissen parat, sicherlich genug Gesprächsstoff. Wer schon immer wissen wollte, wie sich die Kadaver toter Wolfsspinnen zu Händen umfunktionieren lassen oder welche zwei Päpste Ehrenmitglieder der Harlem Globetrotters waren oder welche italienische Bank Käse als Sicherheitseinlage akzeptiert, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Bevor es einem auf den Kopf zu fallen droht. Auch dazu gab es, weiß der Autor zu berichten, im Laufe der Geschichte bereits kuriose und zu weilen schmerzvolle Ereignisse.

Dann lieber doch hiermit in die Regale oder auf den Nachttisch.

Autor:

Edward Brooke-Hitching ist Sohn eines Antiquars und arbeitete bei mehreren Zeitungen und am Theater, bevor er einen Abschluss in Filmwissenschaft an der University of Exeter machte. Als Dokumentarfilmer gewann er mehrere Preise. Im Jahr 2016 wurde seine „Enzyklopädie der vergessenen Sportarten“ veröffentlicht. Ausgangspunkt zu seiner Recherche geografischer Phänomene war eine alte Landkarte im Familienbesitz. Brooke-Hitching sammelt Werke über englische Forscher und Entdecker und lebt in London.

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Zora del Buono: Seinetwegen

Inhalt:

Zora del Buono war acht Monate alt, als ihr Vater 1963 bei einem Autounfall starb. Der tote Vater war die große Leerstelle der Familie. Wie kann jemand, der fehlt, ein Leben dennoch prägen? Die Tochter macht sich auf die Suche und fragt, was der Unfall bedeutet hat: für die, die mit einem Verlust weiterleben, für den, der mit einer Schuld weiterlebt. Seinetwegen erzählt Zeitgeschichte als Familiengeschichte – detailgenau, raffiniert komponiert, so präzise wie poetisch. (Klappentext)

Rezension:

Wir wirken Lücken auf uns, die praktisch immer schon existieren, wenn Verlust Dauerzustand ist und was macht dieser mit jenen, die ihn verursacht, aber ansonsten kaum Berührungspunkte haben? Vor allem nicht mit den Betroffenen, die darunter dann Zeit ihres Lebens leiden müssen. Die Schweizer Journalistin und Autorin Zora del Buono geht diesen und damit zusammenhängenden Fragen in ihrer biografischen Reportage „Seinetwegen“ nach und entdeckt anhand eines Teils der Familiengeschichte auch ein Stück ihrer Selbst.

Der Erzählton des vorliegenden Textes ist ruhig und doch spürt man das Drängen, mit dem die Schriftstellerin den letzten Stunden ihres Vaters nachgeht, welchem sie im Alter von acht Monaten bei einem Autounfall verlor. Die Mutter im Heim, längst in die Demenz abgeglitten, Zeit ihres Lebens hatte sie nicht darüber gesprochen, vom Verursacher des Unfalls existiert zunächst nur ein Name und ein kleiner Zeitungsartikel über den nachfolgenden Prozess.

Wenig für diejenige, die begreifen und ergründen möchte, doch del Buono spürt der Geschichte des Moments nac, der das Leben der Familie für immer verändern sollte. Ihr Bild des Unfallfahrers verschiebt sich dabei ebenso, wie jenes von der Schweizer Gesellschaft, von den 1960er Jahren bis heute.

So unaufgeregt das kompakte Werk daherkommt, so aufgewühlt ist im Inneren der Autorin zugegangen, die mit ihrer Recherche eine große Lücke in ihrem Leben zu füllen. Die rastlose Suche, die zwischen den Zeilen daherkommt und immer wieder an Glasdecken stößt, ergibt nur langsam ein vielschichtiges Bild, zunächst vor allem von einer Gesellschaft im wandel. Erst später wird sie beiden Personen nahekommen. Dem Verursacher, dessen Leben vom Wandel der Gesellschaft erzählt und ihrem Vater, der einst als Fremder in die Schweiz kam und sich dort ein neues Leben zu aufbauen versuchte.

Die Zeitstrahlen einerseits der vergangenen Jahrzehnte, andererseits der wochenlangen Suche laufen schließlich zusammen, doch sind es die Figuren selbst, die diese biografische Reportage zu etwas Besonderen machen. Dabei beschränkt sich die Autorin, die damit auch zum Gegenstand ihres Schreibens wird, auf wenige Personen. Nach und nach kann man sogar dem Unfallverursacher nachspüren. Jede Geschichte hat zwei oder mehr Seiten. So verarbeitet Zora del Buono das, was ihre Mutter nie so wirklich konnte. Braucht es also, zu der Erkenntnis könnte man gelangen, manchmal nur eine Generation Abstand?

Kurze prägnante Sätze wechseln sich mit ausschweifenden Gedankengängen ab, kulminierend in den Treffen der Freunde der Autorin, die im Verlust zu geliebten Menschen vereint sind. Rückblenden in die Kindheit durchbrechen den Text, der auch dadurch nahbar wird. Schauplätze werden zu Bildern. Del Buono lässt sie vor dem inneren Auge entstehen.

Es ist der Versuch der Verarbeitung etwas Unbegreiflichen. Ob dieser gelungen ist, kann nur die Autorin selbst entscheiden, er macht jedenfalls ordentlich Eindruck. Natürlich stellt sich die Frage, was dabei gewonnen ist, einem Menschen auf dieser sehr persönlichen Suche zu begleiten? Vielleicht können jene die Frage beantworten, welche selbst solch einen Verlust erlitten haben.

Für alle anderen bleibt die Erzählung des gesellschaftlichen Wandels. Dafür aber braucht es jetzt nicht unbedingt diesen Rahmen. Dieser kleine biografische Bericht lässt einem dennoch für einen Moment innehalten und nachdenklich zurück. Letztlich muss wohl jeder für sich entscheiden, ob dies genügt.

Autorin:

Zora del Buono wurde 1962 in Zürich geboren und ist eine Schweizer Architektin, Journalistin und Autorin. Zunächst studierte sie Architektur in Zürich und Berlin, wo sie bis 1995 als Architektin tätig war. Danach absolvierte sie ein Studium für Szenografie. 1996 war sie Mitgründerin der Zeitrschrift Mare, welche sie von 2001 bis 2008 als stellvertretende Chefredakteurin begleitete.

2008 erschien ihr Debütroman, dem weitere Werke folgten. Del Buono ist Mitglied des Schweizer PEN, erhielt 2024 den Schweizer Buchpreis und 2012 den ITB Buch Award.

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