Sachbuch

Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein

Jeder schreibt für sich allein Book Cover
Jeder schreibt für sich allein Anatol Regnier C.H. Beck Erschienen am: 17.09.2020 Seiten: 366 ISBN: 978-3-406-75592-7

Inhalt:

Dieses Buch handelt von Schriftstellern im nationalsozialistischen Deutschland, ihrem Spagat zwischen Anpassung und künstlerischer Integrität unter den Bedingungen der Diktatur.

Opportunisten und Konjunkturritter sind dabei, aber auch Autoren, die nur ihrer Arbeit nachgehen wollten und versuchten, moralisch sauber zu bleiben. Mit leichter Hand verknüpft Anatol Regnier die Biografien von Hans Fallada und Erich Kästner, Agnes Miegel und Ina Seidel, Gottfried Benn, Hanns Johst und Will Vesper. Es sind Geschichten von überraschender Widersprüchlichkeit, die das ganze Spektrum menschlichen Verhaltens im Dritten Reich abbilden. (Klappentext)

Rezension:

Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten an die Macht im Deutschen Reich gelangten, begann gerade im kulturellen Bereich ein beispielloser Exodus. Schriftsteller, wie der Nobelpreisträger Thomas Mann oder Literaturkritiker, wie Alfred Kerr, flohen ins Ausland. Nur zu gut waren ihre Positionen zu den neuen Machthabern bekannt, die ihre Ziele kaum verheimlichten. Mit einem Schlag war Deutschland einem Großteil seines kulturellen Lebens beraubt. Doch, viele SchriftstellerInnen und DichterInnen blieben, da sie nicht fliehen wollten oder konnten. Dies ist ihre Geschichte.

Anatol Regnier, Enkel des im Jahr 1918 verstorbenen Dramatikers Frank Wedekind, hat mit „Jeder schreibt für sich allein“ ein bemerkenswertes Porträt geschaffen, jener Zeit, in der man sich teilweise bis zur Unkenntlichkeit verbiegen musste, um bestehen zu bleiben und überleben zu können. Doch, wie weit musste man als Schriftsteller gehen, der ständig durch das Damoklesschwert Schreibverbot bedroht wurde, zudem, jede Zeile, sei sie auch noch so wohlwollend, kritisch beäugt sah.

Wie gingen Literaten, wie Erich Kästner, der bereits weltbekannt war, als die Nazis die Macht erlangten damit um, wie ein psychisch angeschlagener Hans Fallada und was erhofften sich Ina Seidel und Will Vesper? Anatol Regniers dokumentarischer Bericht zeigt anhand der Werke einer Auswahl von Autoren, was die Zwänge der Diktatur mit den Menschen machten, wozu diese teilweise durch das Regime getrieben wurden.

Hier wird detailliert auf einzelne Biografien Bezug genommen. Andere fallen dabei unter den Tisch. Teils, weil sie zu umfangreich wären für einen Gesamtüberblick, da dies nur eine Übersicht darstellen soll, aber auch, da die ganze Blut-und-Boden-Literatur nur gestreift wird. Vielmehr geht es Regnier, um die jenigen, die zwischen den Stühlen standen und sich nach dem Krieg vor Größen, wie Thomas Mann, verteidigen mussten. Für jede Zeile, die auch nur ansatzweise anrüchig klang.

Der Autor seziert einzelne Werke gründlich. Als Lesender kann man nur vermuten, welche Rechercheleistung dahinter steckt, aber auch die Liebe zur Literatur, die gerade aus dieser Zeit mehrdeutig betrachtet werden muss. Sachlich nüchtern präsentiert der Autor die schreibenden Kollegen jener Zeit, die sich hinterher rechtfertigen mussten und praktisch mit dem Rücken zur Wand standen.

Er zeigt, welchen Einfluss oder auch nicht, einzelne Kulturschaffende hatten, wie diese sich teilweise bei Behörden und Ministern für ihre Kollegen einsetzen und um jede Zeile kämpfen mussten. Mal mehr, mal weniger. Sehr kompakt geschrieben ist dies, trotzdem spürt man auch beim Lesen des Sachbuchs die ständige Bedrohung, der die Schriftsteller im Nationalsozialismus unterlagen.

Was dabei herauskam, lässt sich heute noch anhand ihrer Werke nachvollziehen, wobei es Autoren wie Erich Kästner auch im Nachkriegsdeutschland gelang, wieder Fuß zu fassen. Anderen, berechtigterweise nicht. Der Zwist der Vielen, die dazwischen standen, ist heute fast vergessen. Um so wichtiger, dieses Buch, welches z.B auch parallel zu Volker Weidermanns „Buch der verbrannten Bücher“ gelesen werden kann. Einige Autoren finden sich auch dort wieder.

Autor:

Anatol Regnier wurde 1945 in Sankt Heinrich geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Chansonsänger und Gitarrist. Sein Großvater ist der Dramatiker und Schriftsteller Frank Wedekind, über den er 2008 eine Biografie veröffentlichte.

Regnier selbst, studierte am Royal College of Music in London und dozierte selbst am Konservattorium in München. Mitte der 1980er Jahre lebte er in Australien. Im Jahre 2003 erschien seine Familienbiofie. Zwei Jahre später erhielt er den Ernst-Hoferichter-Preis der Stadt München, sowie den Schwabinger Kunstpreis, 2012. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und lebt heute in München.

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Ernö Rubik: Cubed

Cubed Book Cover
Cubed Ernö Rubik C.H. Beck Erschienen am: 17.09.2020 Seiten: 215 ISBN: 978-3-406-75572-9 Übersetzer: Andreas Wirthensohn

Inhalt:

Er war das Kultobjekt der 80er Jahre: der Zauberwürfel, auch „Rubiks Cube“ genannt. Bis heute ist sein Bann ungebrochen. Jeder siebte Mensch hat mit ihm gespielt, das sind über eine Milliarde.

Unzählige Bücher sind bereits über ihn geschrieben worden. Doch einer hat bislang geschwiegen: der Erfinder, Ernö Rubik. Nun erzählt er vom Zauberwürfel und seiner Welt. Er beschreibt sein Leben mit dem Würfel, erzählt dessen Geschichte und fragt, was wir aus ihr lernen können.

In seinem zutiefst sympathischen Buch verbindet er virtuos eine Vielzahl von Themen: Bildung, Architektur, Fragen, Rätsel, Verspieltheit, Widersprüche, Schönheit: In ihm stecken die Kreativität und Weisheit eines Erfinderlebens – im Spiegel eines Objekts, das jeder kennt. (Inhaltsangabe Verlag)

Rezension:

Kaum eine Erfindung ist so untrennbar mit seinem Schöpfer verbunden, wie diese und doch kennt heute kaum jemand den Menschen hinter dem Objekt. Selbiges vermag zu faszinieren. Doch was macht den Würfel, Cube wie er liebevoll oder ernüchternd genannt wird, so besonders?

Ist es seine Starre und gleichzeitige Beweglichkeit, das Rätsel, welches dahinter steckt, der Spieltrieb, den es weckt oder steckt mehr dahinter? Ein kleines plastisches Gebilde mit großer Wirkung. Dies ist beider Geschichte.

„Cubed“ ist kein Lösungsbuch für den Würfel, den wohl fast jeder schon einmal in den Händen gehalten hat. Dies wird mit den ersten Seiten klar, um so faszinierender ist das Sachbuch, welches der Ungar Ernö Rubik zu Papier gebracht hat, obwohl der laut eigener Auskunft das Schreiben eigentlich nicht besonders mag.

Viel lieber beschäftigte er sich Zeit seines Lebens kreativ oder mit Rätselspielen, und so entwickelte der Dozent für Architektur einst rein zum Selbstzweck ein Objekt, um eine fachliche Fragestellung zu verdeutlichen.

Eines Tages – ich weiß nicht mehr genau, wann und warum – ergriff eine Idee Besitz von mir: Ich fand es interessant, acht kleine Würfel so zusammen zu setzen, dass sie miteinander verbunden blieben, gleichzeitig aber einzeln bewegt werden konnten. Ich hatte nicht die geringste Vorstellung, für wen außer mir das von Interesse hätte sein können.

Ernö Rubik: Cubed

Diese Ausgangssituation war der Beginn eines beispiellosen Erfolges, der bis heute anhält und von dem aus betrachtet, sich viele Perspektiven, auch auf andere Themengebiete erschließen lassen.

Immer wieder geht es dabei um die einzelnen Fascetten der Biografie Rubiks, doch sachlich und immer noch eng verbunden mit seiner Erfindung, erfahren wir auch seine Gedanken, etwa zur Bildung und Kreativität selbst. So ist „Cubed“ nicht nur das eine, sondern zugleich auch eine philosophische Betrachtung von vielem. Die Erde ist halt ein Würfel. Als Motiv Cube tauchte sie bereits auf einigen Covern verschiedener Zeitschriften auf.

Es gab Zeiten, da glaubten die Leute, ich sei der reichste Mensch in Ungarn. Und es gab Zeiten, da dachten die Menschen, ich hätte überhaupt kein Geld mehr. Ich sei einst wohlhabend gewesen, doch damit sei es aufgrund skrupelloser Menschen in meinem Umfeld vorbei. Die Gerüchte nahmen Fahrt auf. Buchstücke meiner Biografie wurden genommen und ausgestellt, als handle es sich um Tatsachen.

Ernö Rubik: Cubed

In klarer Sprache schildert der Architekt, Dozent und Erfinder seinen Weg, betrachtet die Entwicklung des Cube, die längst zum Selbstläufer geworden ist.

Rubik, für den schon die Schaffung des Objekts an sich ein Erfolg gewesen ist, gibt Informationen und Hinweise zu bisher unbekannten Stationen dieses Objektes, welches aus einem der sprachlich isoliertesten Länder Europas seinen Siegeszug um die Welt antrat. Zugleich zeigt er die Fragestellungen auf, die untrennbar mit den Würfel verbunden sind.

Unterhaltsam ist diese Objekt- und zugleich Personenbiografie geschrieben, die zudem ein philosophisches Werk und ein Stück Kunst-, wie im weitesten Sinne Architekturgeschichte darstellt. Das ist interessant genug. Lösungen gibt es anderswo. Nur, diese Ergänzung hat bisher gefehlt.

Autor:

Ernö Rubik wurde 1944 in Budapest geboren und ist ein ungarischer Bildhauer, Architekt und Designer. Als solches arbeitet er an der Hochschule für Industrielle Kunst in Budapest. Von 1971-1975 arbeitete er als Architekt, bevor er an die Mohol-Nagy-Universität als Dozent lehrte. Rubik leitete in den frühen 1980er Jahren eine Rätselzeitschrift, bevor er den Cube und andere Rätselobjekte erfand.

Er gründete die Internationale Rubiks-Stiftung, um junge Ingenieure und Designer zu fördern. 1990 wurde er Präsident der Ungarischen Ingenieursakademie. Rubik arbeitet immer noch als Architekt, auch als Designer von Videospielen, sowie innerhalb der von ihm gegründeten Stiftung.

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Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Die seltsamsten Orte der Religionen Book Cover
Die seltsamsten Orte der Religionen Johann Hinrich Claussen C.H. Beck Verlag Erschienen am: 27.08.2020 Seiten: 239 ISBN: 978-3-406-75598-9 Illustrationen: Lukas Wossagk

Inhalt:

Niemand hat die Absicht, einen seltsamen Ort zu schaffen. Es passier einfach. Der älteste Steingarten Japans wird von Moos überwuchert, Bäume erweisen sich plötzlich als heilkräftig, Kirchen müssen vor Verfolgern versteckt werden. Das Buch führt seine Leserinnen und Leser zu 39 christlichen und nichtchristlichen Orten auf der ganzen Welt, die wie von einem anderen Stern sind. (Klappentext)

Rezension:

Die Welt ist voller Religion, ob es einem gefällt oder nicht.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Was und woran glaubst du? An der Frage scheiden sich, sprichwörtlich, die Geister und so kommt es nicht von Ungefähr, dass sich die unterschiedlichen Spielarten in den verschiedensten Plätzen und Orten, Gebäuden, manifestieren. Kirchen, Moscheen und Synagogen, Tempel sind zwar die Norm, doch Religion zeigt sich eben nicht nur in offiziellen Bauten.

Vielerorts gibt es Abweichungen von der Norm, die hervorstechen und dadurch zu etwas Besonderen werden. Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen nimmt uns Lesende mit auf eine Reise zu den spirituellen Orten der Welt.

Der sonderbare Trip erfordert einen besonderen Reiseführer, der nun in der Art eines kurzweiligen Sachbuches bei C.H. Beck vorliegt. In handlichen Kapiteln und kurzweiligen Abschnitten werden hier Pilgerziele für Millionen ebenso vorgestellt, wie Orte religiöser Prägung, die nur einer kleinen ausgewählten Gruppe von Menschen vorbehalten sind.

Spannend die Geschichten dahinter, weshalb in Frankreich etwa ein Postbote sein Mausoleum errichtet hat oder der Gottesdienst seinen Weg ins Internet gefunden hat. Hat wer vielleicht Angst vor dem Tod, gibt es inzwischen die Möglichkeit sich einfrieren zu lassen. Nachhaltigkeit gibt es jedoch auch ganz und gar, zum Beispiel in Spanien. Dort wird eine Kathedrale aus Müll errichtet.

Aus der Ferne sieht es aus wie ein überdimensionierter Schrotthaufen – ein wildes Gewirr von Metallstäben, die spitz in die Höhe ragen. Dabei ist es das Nationalheiligtum Litauens.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Vornehmlich christliche Orte werden hier aufgelistet, was dann auch einer der wenigen Kritikpunkte ist, immer mit Ortsangabe und kurzem, überhaupt nicht trögen geschichtlichen Abriss. Manifestifikationen anderer Religionen sind Einsprengsel und werden in wenigen Beiträgen erörtert. Schade, dabei gibt es gerade auf diesem Gebiet sicher so viel zu entdecken, wenn es auch nicht für jeden ein Besuch im indischen Rattentempel sein muss.

Sachlich und wohlwollend sind die Schilderungen. Kritik schimmert kaum durch, doch zeigt Claussen durchaus Wege auf, die Menschen konsequent gegangen sind, wenn diese sich verstoßen oder ausgegrenzt, wahlweise auch erleuchtet gefühlt haben, um ihrem Glaube Ausdruck zu verleihen.

Das funktioniert im Großen und Ganzen, wenn auch einige Längen beim Lesen entstehen, die jedoch den Blick über den Tellerrand schärfen. Und, wer weiß? Vielleicht begibt sich ja der eine oder andere Leser selbst einmal auf Entdeckungsreise. Der Autor zeigt zumindest, dass sich ein Trip da und dorthin durchaus lohnen kann.

Autor:

Johann Hinrich Claussen wurde 1964 in Hamburg geboren und ist ein deutscher evangelisch-lutherischer Theologe und Autor. Er studierte evangelische Theologie in Tübingen, Hamburg und London, promvierte dort im Jahr 1996.

Im selben Jahr wurde er zum Pastort ordiniert, habilitierte sich 2005 an der Universität Hamburg und lehrte dort als Privatdozent. Claussen ist Beauftragter im Rat der EKD für Kultur und leiter des dort dafür zuständigen Büros. Für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge. Eines seiner ersten Werke erschien im Jahr 2004.

Illustrator:

Lukas Wossagk ist seit 2012 als freiberuflicher Illustrator und Grafiker tätig, unter anderem für Projekte der Stadt München. Zudem wirkte er bereits mehrfach für im C.H. Beck Verlag erschienene Werke.

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Bücher gegen das Vergessen #05

Bücher gegen das Vergessen sollen uns geschichtliche Ereignisse vor Augen führen, für die wir nicht unbedingt die Verantwortung tragen, aber dennoch verantwortlich sind, sie nicht zu vergessen. Abseits von Rezensionen soll hier eine Auswahl vorgestellt werden.

Der Untergang der Titanic 1912 – Eine Auswahl an Literatur.

Der Glaube an die Unbesiegbarkeit der Technik war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ungebrochen, doch erlitt er schon am Beginn des zweiten Jahrzehnts desselben einen herben Dämpfer. Der Untergang der Titanic 1912, das damals größte und luxuriöseste Passagierschiff der Welt, forderte über 1500 Menschenleben und erschütterte die Gemüter zu beiden Seiten des Ozeans.

Wer versucht, den Bann des Ereignisses der Nacht des 14. Aprils zu begreifen, die damalige Faszination für dieses Flaggschiff der Reederei White Star Line zu erfassen, landet heute bei einigen Filmen und einer ganzen Reihe literarischer Werke, die sich damit beschäftigen. Zeit, sich einiges näher davon anzusehen.

Grundlage dessen, was wir über die Geschehnisse an Bord des Schiffes wissen, bildet eine Sammlung von Augenzeugenberichten, die erstmalig 1955 erschien. Der Sachbuchautor Walter Lord konnte noch über sechzig Zeugen der Katastrophe, Überlebende, befragen und kurz vor seinem Tode James Camerons Team für die Dreharbeiten zu ihrem Film beraten.

Walter Lord „Die letzte Nacht der Titanic – Augenzeugen erzählen“
Seiten: 272, erschienen bei S.Fischer, ISBN: 978-3-596-19269-4
Übersetzer: Erwin Duncker

Zwar reichten seine Kenntnisse als das Buch erschien, nicht an dem heran, was wir heute über den Untergang wissen, doch alleine die Versammlung der Berichte überlebender Passagiere ist historisch wertvoll und nicht zu unterschlagen.

Natürlich hatte kein Passagier mit einer solchen Katastrophe gerechnet. Wer tut das schon, wenn man solch eine Überfahrt bucht? Vielleicht ohne Wiederkehr als Einwanderer mit dem Ziel, in der Neuen Welt ein neues Leben zu beginnen oder, als Passagier der ersten Klasse, einfach die Annehmlichkeiten, den Luxus der Art einer solchen Reise zu genießen? Getrost der Kategorien heutiger Kreuzfahrtschiffe, kann man ja auch die Titanic als eine Art „schwimmende Stadt“ bezeichnen.

Begeben wir uns also in die Rolle eines Reisenden an Bord der Titanic. Der ehemalige Marineoffizier und Nautiker John Blake hat eine fiktive Handreichung für Passagiere verfasst.

Wir begrüßen Sie auf der Titanic zur Jungfernfahrt nach New York.

Damit Sie sich zurechtfinden, hier ist Ihr Bordbuch. Dort finden Sie alles, was Sie über unser Schiff wissen, Informationen zum Aufenthalt und zur Orientierung in allen Klassen, die Anordnung der Decks und Unterkünfte, und, und, und,… Wir hoffen, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt.

John Blake „Das Titanic-Bordbuch – Eine Handreichung für Passagiere“
Seiten: 128, erschienen bei Delius Klasing, ISBN: 978-3-667-11079-4
Übersetzer: Klaus Neumann

Reich bebildert und sehr detailliert bekommen wir so als Passagiere ein erstes Bild von dem, was uns erwartet.

Wie angenehm ist es doch, auf diese Art zu reisen. Wo war jetzt gleich nochmal meine Kabine? Wie gelangt man zu den Rettungsbooten? Wobei, das passiert sowie so nicht.

Natürlich gibt es auch viel romanhaftes über die Schiffskatastrophe zu lesen und auch darüber lohnt es sich, einen Blick zu werfen. Gleichsam eine Vorwegnahme, wenn nicht gar Vorahnung der Ereignisse ist der bereits 1898 erschiene Roman von Morgan Robertson „Titan. Eine Liebesgeschichte auf hoher See.“, in der ein Unglück beschrieben wird, in welchem das Schiff „Titan“ erstaunlichen Parallelen zur später erbauten Titanic aufweist.

Im Fokus steht die Liebesgeschichte der darin vorkommenden Protagonisten, eine Vorhersehung der Ereignisse hat der Autor natürlich später mehrfach in Befragungen verneint, manchmal jedoch sind Zufälle recht sonderbar.

Jüngeren Lesern einen Zugang zu der Katastrophe zu geben, gelingt dem Kinderbuchautoren Stephen Davies, der in seinem Roman „Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang“ eine Jungen-Freundschaft in den Fokus stellt. Zunächst erleben Jimmy und Omar bei der Erkundung des Schiffes Abenteuer auf ihrer „Entdeckungsreise“, als es zum Untergang kommt, überschlagen sich jedoch die Ereignisse. Werden sie es schaffen, auf einem der Rettungsboote unterzukommen, auf denen es insgesamt nicht einmal annähernd genug Plätze für alle Personen an Bord gibt?

Stephen Davies „Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang“
Seiten: 127, erschienen bei Aladin, ISBN: 978-3-8489-2103-4
Übersetzerin: Ann Lecker

Das wunderbar illustrierte Werk mit einem angeschlossenen historischem Glossar erzählt es. Eine Rezension davon, gibt es hier zu lesen. Vorweggenommen, der Autor orientiert sich am überlieferten Geschehen, wie zum Beispiel diese, dass bis fast zuletzt eine Gruppe von Musikern zur Beruhigung der Passagiere Instrumente spielte.

Erik Fosnes Hansen „Choral am Ende der Reise“
Seiten: 512, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, ISBN: 978-3-462-05388-3
Übersetzer: Jörg Scherzer

Der norwegische Schriftsteller Erik Fosnes Hansen setzte diesem mit seinem Roman „Choral am Ende der Reise“ ein Denkmal. Die nachgezeichneten Biografien der Musiker sind fiktiv, doch im Bereich der Prosa wird man nicht umhinkommen, sich auch damit zu beschäftigen.

Geschichte zum Anfassen jedoch, gelingt am Leichtesten mit Fundstücken oder, wo nicht verfügbar, Nachbildungen, so genannten Memorabilien. Auch rund um die Titanic gibt es solche, wie z.B. von Memorabilia Pack Company, die damit verschiedene historische Ereignisse lebendig werden lassen. Enthalten sind mehrere Fotopostkarten mit Motiven der Titanic, eine Ticketnachbildung, ein Telegramm, ein Booklet für Passagiere, Plakate, eine Dinner-Karte und vieles mehr, was in die Zeit eintauchen lässt. Für Liebhaber allem Historischem sehr zu empfehlen.

Memorabilia Pack Company „Titanic Replica Pack“
Enthalten sind folgende Nachbildungen, u.a. Ticket, Brief, Telegram, Booklet für Passsagiere, Dinner Karte, Poster, Flyer, Fotos, Postkarten, Zeitungsnachbildung, Poster etc.
Leo stellt den Inhalt einmal vor. Achtung, Englisch. 🙂

Anhand von Biografien lässt sich die Katastrophe nachvollziehen, egal ob das die Geschichte eines einfachen Passagiers ist oder die des Zeitungsjungen Ned Parfett, der am Tag nach der Katastrophe Magazine vor dem Büro der Reederei verkaufte. Augenzeugenberichte, daraus entstandene Romane und Filme sind es, die die Faszination weiterleben und das Ereignis nicht vergessen lassen.

In Anbetracht unserer vollen Weltmeere mit immer mehr und größeren Kreuzfahrtschiffen, die die Titanic um Welten übertreffen, wenn auch die Sicherheitsstandards gestiegen sind, ist das nicht falsch. Heute genügt der Name „Titanic“, um die Illusion absoluter Sicherheit und Unfehlbarkeit zu zerstören.

Cover gehören, wie immer den Verlagen, das erste Video auch. Das zweite einem sehr engagierten kleinen Youtuber, der das Memorablia Pack vorstellt.

Der virtuelle Spendenhut

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Adele Brand: Füchse – Unsere wilden Nachbarn

Füchse - Unsere wilden Nachbarn Book Cover
Füchse – Unsere wilden Nachbarn Adele Brand C.H. Beck Erschienen am: 16.03.2020 Seiten: 208 ISBN: 978-3-406-75113-4 Übersetzerin: Beate Schäfer

Inhalt:

Seit Urzeiten begleitet der Fuchs den Menschen und schon immer war er für seine Intelligenz und Schlauheit berühmt. Heute ist er das am weitesten verbreitete Raubtier und sein leuchtendes Fell selbst in den Städten ein häufiger Anblick.

Doch wer ist dieser wilde Nachbar des Menschen in Wirklichkeit? Adele Brand erschließt uns in ihrem klugen und warmherzigen Buch den mysteriösen Kosmus der Füchse mit ihren erstaunlichen Überlebenskünsten. (Klappentext)

Rezension:

Die Liste von Naturräumen, die der Mensch inzwischen nachhaltig zerstört hat, ist lang. Die Liste von Tierarten und Pflanzen, die von ihm ausgerottet oder an den Rand des Aussterbens gebracht wurden, noch vielschichtiger. Nur wenige Lebewesen konnten sich dagegen behaupten, in dem sie sich an die verändernden Bedingungen anpassten. Der erfolgreichste Kulturfolger unter ihnen ist der Rotfuchs.

Zwischen Bahndämmen und Mülltonnen, Häuserschluchten und Brachflächen hat der listige Jäger nicht nur unsere Vorgärten erobert, sondern tummelt sich inzwischen auch in den Zentren unserer Metropolen. Die britische Ökologin ist seit zwanzig Jahren auf Spurensuche und zeigt in ihrem neuen Buch auf, was sich hinter dem Erfolg von Vulpes vulpes verbirgt und What Does The Fox Say?

Ganz nahe am Nature writing ist dieses vorliegende Werk, doch liegt mit diesem Titel kein verklärendes Stück Literatur vor, sondern ein unterhaltsames und vielschichtiges Sachbuch. In diesem werden Fakten amüsant aufbereitet und einem kritischen Blick unterworfen. Adele Brand versteht es dabei, den Fuchs als Tier unter verschiedenen Winkeln zu beleuchten. In handlichen und kurzweiligen Kapiteln gibt sie zunächst einen Überblick über dessen Entwicklungsgeschichte, welche den Grundstein für den Erfolg und das heutige Überleben bildete.

Danach wendet sie sich der Biologie der Tiere zu, zeigt das komplexe Sozialleben der Füchse auf und zeigt schließlich, wie ein Zusammenleben mit diesen imponierenden Tieren gelingen kann, wie man selbst zum Beobachter eines Wesens werden kann, welches schon längst in Teilen begonnen hat, uns zu studieren.

Interessant hierbei ist vor allem der Einblick in der Arbeit der Autorin, die Feldstudien mit diesem undurchschaubaren Raubtier in unserer Mitte durchgeführt und viel zum Verständnis für den Rotfuchs beigetragen hat. Sie zeigt, was ihn im Gegensatz zu seinen Verwandten, etwa dem Polarfuchs, so erfolgreich machte und was diesem Tier im Gegensatz zu Wolf oder Luchs bisweilen besser gelungen ist.

Aufgelockert wird das ganze durch Geschichten persönlicher Beobachtungen, anhand derer sie etwa Fuchskrankheiten erklärt, um so den Lebenszyklus dieser Tiere zu komplettieren. Auffällig, es ist keine ausufernde oder fordernde Lektüre, auch kein reines Pamphlet pro und contra der umstrittenen Fuchsjagd, welches aus Groß-Britannien zu erwarten wäre. Adele Brands Position dazu ergibt sich praktisch schon mit den ersten Zeilen.

Eine Spur sachlicher als Sy Montgomery (Rendezvous mit einem Oktopus) in ihrem ebenfalls hervorragenden Werken, ist Adele Brand ein hervorragendes Plädoyer für das letzte Stück Wildnis gelungen, welches Bestandteil auch vieler unserer Leben geworden ist. Wer nach der Lektüre einen Rotfuchs beobachtet, wird diesen mit einem noch wertschätzenderen Blick begegnen, als zuvor so schon.

Und, wie macht nun eigentlich der Fuchs? LeserInnen werden das herausfinden.

Weiterführende Informationen:

Blog und Facebook der Autorin

Youtube-Channel der Autorin: hier klicken

Autorin:

Adele Brand ist Ökologin und hat schon als Kind in ihren Tagebüchern über Füchse geschrieben, die die Passion ihres Lebens wurden. Sie hat Füchse auf vier Kontinenten studiert, Forschungsprojekte in fünf verschiedenen Ländern geleitet, verwaiste Fuchswelpen aufgezogen und verletzte Füchse gepflegt. Bei all dem setzt sie sich leidenschaftlich dafür ein, die Verbindung der Menschen mit der Tierwelt zu stärken. (Autorenangabe Verlag)

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Sebastian 23: Cogito, ergo dumm

Cogito, ergo dumm -  Book Cover
Cogito, ergo dumm – Eine Geschichte der Dummheit Rezensionsexemplar/Humor Benevento Taschenbuch Seiten: 336 ISBN: 978-3-7109-0103-4

Inhalt:

Machen wir uns nichts vor, der Mensch neigt zu Dummheiten. Aber waren wir immer gleich dumm, oder gibt es Anhaltspunkte für eine fortschreitende Verdummung? Und was ist dran am Gerücht, dass Dumme glücklicher sind? Bestseller-Autor SEBASTIAN 23 nimmt uns mit auf einen Parforceritt durch die Dummheiten der Menschheitsgeschichte. (Klappentext)

Rezension:

Ein Mediziner, der mit seiner Behandlungsmethode erfolgreich zwei Stardirigenten ihrer Zeit erblinden ließ, ein antiker Feldherr, der das Meer auspeitschte, nachdem ihm die Überquerung nicht gelang und ein Präsident, der Ketchup als Gemüse an amerikanischen Schulen durchsetzen wollte.

Die Geschichte der Menschen ist seit jeher durchzogen von klugen Einfällen und so vielen Dummheiten, dass man sich fragen darf, wie wir es eigentlich bisher geschafft haben, zu überleben? Zum Schreien komisch ist die vorliegende Sammlung des Satirikers und Poetry-Slamers Sebastian 23, die im Benevento-Verlag erschienen ist, welche ein ernstzunehmendes Sachbuch mit einer gewaltigen Portion Humor darstellt.

Ein schwedischer König, der im Wettrüsten um die größte Kanone, ein Schiff so stark bestückte, dass es gleich im Hafen unterging, ist da noch als amüsante Begebenheit zu nennen, nicht so der Pilot, der den falschen Knopf drückte und damit eine Atombombe fallen ließ. Zum Glück ist die nicht explodiert. Und so konnte sich Sebastian 23 durch kuriose und skurile Situationen wühlen, sie in seinem neuen Buch zusammenstellen.

Er stellt dar, was eigentlich Intelligenz ist und welche Arten von Dummheit es gibt, konzentrierte sich dabei im Laufe des Schreibens vor allem auf die situative, die uns heute herzhaft lachen lässt. Gehört sie nicht zum Leben dazu oder anders gesagt, macht uns gerade Dummheit menschlich?

Einem belgischen Fernfahrer wurde von seinem Arzt gesagt, er ernähre sich unausgewogen und bräuchte mehr Eisen. Dass der Mann umgehend in einem Haushaltswarenladen ging und sich eine Packung Nägel kaufte und schluckte, kann man ihm da kaum vorwerfen, oder? Mit seinen inneren Verletzungen kam er sofort ins Krankenhaus.

Sebastian 23 in „Cogito, ergo dumm – Eine Geschichte der Dummheit“.

Ein U-Boot-Kommandant, der entdeckt wurde, da er die Toilettenspülung nicht richtig bedienen konnte oder Hähne als Kopfbedeckung gegen die Pest sind da noch das wenigste. Wie wäre es mit einem Banküberfall und zur Verschleierung der Identität natürlich die obligatorische Maske. Dumm nur, wenn sie mit Farbe aufgetragen wurde.

Zu nennen wäre da auch der Kriminelle, der zur Polizei ging, um ein schöneres Fahndungsfoto zu bekommen oder der Verbrecher, der ausbrach um praktisch ins Gefängnis einzubrechen.

Sebastian 23 nimmt sich selbst nicht so ernst und diese, sowie andere Dummheiten der Menschheitsgeschichte auf die Schippe. Thematisch gegliedert geht es zunchst darum, was Intelligenz und Dummheit eigentlich sind, welche Unterscheidungen da getroffen werden und wie sich diese darstellen. Lässt sich Dummheit gleichsam wie Intelligenz messen?

Wenn ja, stimmt die Behauptung, dass die Menschen immer dümmer werden? Oder wird unsere Welt nur vielschichtiger und wir unserer eigenen Unzulänglichkeit mehr bewusst? Ein Blick auf die Politiker vergangener und unserer Zeiten, auf Wissenschaft und Technik und in die Gesellschaft hilft dabei. Mit viel Augenzwinkern, wohl gemerkt.

Die intensive Recherche zu diesem Buch, welches eine abwechslungsreiche bunte Lektüre darstellt, die kurzweilig von der Antike bis zu Instagram-Verbrechen unserer Zeit führt, muss dem Autor unheimlich viel Spaß gemacht haben.

Anders kann ich mir das Feuerwerk an Anekdoten nicht erklären, die Sebastian 23 hier zusammengestellt hat und zum Besten gibt. Diese sind urkomisch, tragisch und regen zum Nachdenken an, zumal, wenn Dummheiten nicht mehr nur auf die humoristische Schippe genommen werden, sondern auch ernste Folgen für uns alle haben.

Bei allem Humor stellt er auch situative Situationen zur Debatte, die einem wirklich an den Verstand der Menschen zweifeln lassen. Doch, ein wenig Dummheit gehört zu unsere Existenz dazu und wer aus der Lektüre mit einem Lächeln herausgeht, war schon mal intelligent genug. Humor bereichert und verlängert schließlich unser Leben, wie auch Penicillin, welches erst durch einen Fehler, eine wissenschaftliche Dummheit, im Experiment, entdeckt wurde.

Die Geschichte der Dummheit oder die Unzulänglichkeit der menschlichen Intelligenz. Lesen wäre klug.

Autor:

Sebastian 23 wurde 1979 geboren und ist ein deutscher Slampoet, Satiriker und Autor. Nach der Schule studierte er Philosophie und trat bei zahlreichen Poetry-Slam-Meisterschaften an. Er lebt in Bochum und geht mit seinem Programm regelmäßig auf Tour, veröffentlichte mehrere Bücher und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet.

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Hans Fricke: Unterwegs im blauen Universum

Unterwegs im blauen Universum Book Cover
Unterwegs im blauen Universum Hans Fricke Galiani Berlin Erschienen am: 05.03.2020 Seiten: 347 ISBN: 978-3-86971-202-4

Inhalt:

Abenteuer Wissenschaft: Hans Fricke ist eine Mischung aus Jacques Cousteau, Konrad Lorenz und Indiana Jones, ein besessener Meeresforscher und Taucher.

Mit dem Fahrrad fuhr er bis ans Rote Meer, um dort zu tauchen, baute ohne eigene finanzielle Mittel ein Unterwasserhaus und suchte nach einem einzigen Aalei in den Weiten des Pazifiks. Der Meeresbiologe erzählt von seinen Forschungsstationen, in denen er nach Quastenflossern, Wasserflöhen und alten historischen Rätseln suchte. Immer unterwegs im blauen Universum. (abgewandelter Inhaltstext)

Rezension:

Mit Feuerlöscher und Gasmaske baute sich der elfjährige Junge, der später einer der profiliertesten deutschen Meeresbiologen werden sollte, eine eigene Tauchausrüstung und begann damit ein beispielloses Stück Wissenschaftsgeschichte zu schreiben.

Später, aus der DDR geflohen, wurde Hans Fricke zum Bewunderer und Schüler von Konrad Lorenz, schlüpfte in die Schuppenhaut der Fische und begann das blaue Universum zu erforschen. Nun liegt im Verlag Galiani Berlin seine erstaunliche Biografie vor, voller spannender Episoden aus seinem Forscherleben.

Wissenschaft ist keinesfalls dröge, sondern derart facettenreich, dass man sich schon auf einzelne Personen konzentrieren muss, um den interessanten Anekdoten hinter einzelnen Forschungsprojekten auf der Spur zu kommen.

Hans Fricke erzählt von seinen Projekten und damit auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte, die er selbst mit viel Improvisationstalent zu bewältigen musste. Meeresbiologie so zeigt der Autor, ist eben nicht nur das Beobachten von Korallen oder bestimmten Fischarten, sondern führt an erstaunliche Orte, deren faszinierende Welt sich erst unter der Wasseroberfläche erschließt.

Dabei kann man dann auch schon mal in tiefe Brunnen absteigen oder zum Bergungshelfer der örtlichen Polizei werden.

Diese Aneinanderreihung der Ereignisse ist es, die Hans Frickes Mischung aus Biografie, Geschichte und Sachbuch so lesenswert macht. Nachvollziehbar und keineswegs abgehoben erzählt er von Herausforderungen, die ihm zu technischen Meisterleistungen angetrieben haben, aber auch von den Grenzen der Wissenschaft, die nicht selten durch behördliche Zwänge entstehen.

Dabei wird deutlich, dass Forschungssprojekte zunächst wahre Geduldsproben sind und des Rätsels Lösung mitunter erst nach Jahren zufällig auftaucht, was einzelne Objekte betrifft. In kurzweiligen Kapiteln berichtet der Meeresbiologe aus seinem Leben.

Man lese und staune, was alles zu Forschungsprojekten eines solchen werden kann und dass es oft das kleine Unscheinbare ist, welches die erhofften oder ganz und gar überraschende Erkenntnisse erbringt.

In der deutschen Forscherriege hat sich Hans Fricke nicht zuletzt durch seine mit selbst konstruierten U-Boote einen Namen gemacht, aber auch sonst ist dieses Stück Wissenschaftsgeschichte unterhaltsam zu lesen, wenn auch einige Episoden gerne etwas ausführlicher beschrieben werden können.

Hans Fricke zeigt aber auch ein Stück Naturgeschichte und erklärt, wie unsere Riffe sich im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert haben, worauf künftige Generationen achten müssen, um es nicht zu verlieren. Der Autor ist zugleich jedoch Inspiration für große und kleine Forscher, zeigt, was möglich ist, wenn man nur Ausdauer entwickelt, Ideen nachgeht und Träume verfolgt. Zur Not auch unter Wasser.

Autor:

Hans Fricke wurde 1941 in Schönbeck(Elbe) geboren und ist ein deutscher Biologe und Tierfilmer. Er studierte zunächst Biologie in Berlin, promiverte 1968 und habilitierte 1978 in München im Fach Zoologie.

Als Gastwissenschaftler war er am Max-Planck-Institut für Verhaltenspsychologie in Seewiesen tätig, wo er mit Konrad Lorenz zusammenarbeitete, später nahm er eine Gastprofessur der hebräischen Universität Jerusalem an.

Seit 1988 ist er in München tätig. Forschungsgebiete sind die Ökologie und das Sozialverhalten mariner Organismen.

Für Zeitschriften und Magazine schrieb er zahlreiche Artikel. Für Dokumentationen wurde er mehrfach ausgezeichnet. Bekannt wurde er durch den Einsatz mit- und selbstkonstruierter U-Boote Geo und Jago, mit denen er u.a. das Verhalten der Quastenflosser erforschte.

Der Meeresbiologie hat 10.000 Stunden unter Wasser verbracht und isst kein Fisch.

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Christian Goeschel: Mussolini und Hitler

Mussolini und Hitler - Die Inszenierung einer faschistischen Allianz Book Cover
Mussolini und Hitler – Die Inszenierung einer faschistischen Allianz Christian Goeschel Rezensionsexemplar/Sachbuch Suhrkamp Hardcover Seiten: 476 ISBN: 978-3-518-42891-7

Inhalt:
Öfter als jedes andere Duo westlicher Staatschefs jener Zeit trafen sich Mussolini und Hitler, die Diktatoren an der Spitze Italiens und des Deutschen Reichs.

Die Inszenierung der Freundschaft sollte nach außen Einheit und Macht demonstrieren, nach innen Volksnähe vermitteln, doch war sie nur wenig mehr als ein Zweckbündnis, welches sich verselbstständigte.

Beide Männer konnten sich persönlich nicht leiden, waren zunehmend aneinander gebunden, stürzten schließlich Europa und sich selbst in den Abgrund.

Christian Goeschel analysiert die choreographierte Diktatorenfreundschaft im Zeitalter der Massenmedien und zeigt, was geschehen kann, wenn in der Politik Performance und Macht miteinander verschmelzen. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:
Kaum ein Ereignis hat in Folge seiner Aufarbeitung so viel Literatur hervorgebracht, wie die größte aller Katastrophen unserer Geschichte.

Um so schwieriger ist es, einen neuen Ansichtspunkt zu finden, der die Betrachtung lohnt, doch ein Blick in die Archive, in private und öffentliche Korrespondenzen fördert auch heute noch Interessantes und Erschreckendes zu Tage.

Der Historiker Christian Goeschel hat einen solchen Ansatz zu einer an sich bekannten Thematik gefunden. Ergebnis seiner Recherchen ist vorliegendes Werk.

Kein anderer Krieg war so zerstörerisch und so mörderisch, wie dieser. Als Europa in Trümmern lag, hatte dieser Millionen von Menschen das Leben gekostet. Heraufbeschworen hatten ihn Diktatoren, in deren Ländern der Weltenbrand, den sie einst ausgelöst hatten, nach sechs Jahren zurückkehrte.

Einer der Männer wurde erschossen und seine Leiche in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt, der andere entzog sich der Verantwortung durch Selbstmord. Doch, wie konnte die Allianz von Hitler und Mussolini, die eine Freundschaft inszenierten, die es so nie gab, einen Kontinent in den Abgrund stürzen?

Welche Rolle spielten persönliche Sympathien, welche die Vorurteile der Diktatoren für dieses Bündnis, welches sich schnell außerhalb der Kontrolle beider verselbstständigen sollte?

In diesem Sachbuch stellt der Historiker Goeschel die Entwicklung eines Bündnisses dar, welches durch erstaunlich dünne Fäden zusammengehalten wurde.

Er analysiert die Gründe, welche die Diktatoren aneinander banden und gemeinsam in den Abgrund stürzten, wie auch sie ihre Länder und die halbe Welt in Schutt und Asche legten. Kühle Analyse trifft hier auf Logik, so dass die Thematik selbst dann zugänglich wird, wenn man sich nur rudimentär für diesen Teil der Geschichte interessiert.

Dennoch bekommt man durch die Lektüre eine Fülle von neuen Informationen oder anderen Blickwinkeln, die sich dann eröffnen.

Christian Goeschel weiß zu interessieren, beschränkt sich jedoch auf’s Wesentliche. Daran sollte man denken, wenn die unzähligen Treffen von Mussolini und Hitler in ihrer Ausführlichkeit detailliert beschrieben werden.

Gefühlt gibt dies Längen in der Lektüre, die jedoch die Komplexität der sich verselbstständigten Dynamik zweier Diktatoren aufzeigt und folgerichtig darstellt. Die Kapitel sind logisch gegliedert. Ein Bildteil dient der Veranschaulichung.

Grundlage bildet eine umfangreiche Recherche, wie das Quellenmaterial erschließen lässt und die Zusammenarbeit, der Austausch mit anderen renomierten Historikern. Diese trugen ungemein zum Gelingen bei.

Hitler und Mussolini im Hinblick ihrer inszenierten Freundschaft, die sich als Bild in den Köpfen der Menschen verselbstständigte und die Dynamik der daraus folgenden Prozesse, deren tödliche Spur sie noch gewollt verstärkten. Eine sehr interessante Analyse.

Autor:
Christian Goeschel wurde 1978 geboren und ist Historiker. Er lehrt an der Universität Manchester und forscht über Interaktion zwischen Politik, Kultur und Gesellschaft in der jüngeren Geschichte.

Zu seinem bemerkenswerten Arbeiten gehört die im Jahre 2011 erschiene Ausarbeitung „Selbstmord im Dritten Reich“. Er unterrichtet Europäische Geschichte.

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Christopher R. Browning: Ganz normale Männer

Ganz normale Männer Book Cover
Ganz normale Männer Christopher R. Browning Rowohlt Erschienen am: 01.09.1999 Seiten: 331 Übersetzer: Jürgen Peter Krause ISBN: 978-3-499-60800-1

Inhalt:
Im Sommer 1944 wurde ein Batallion der Hamburger Polizeireserve, etwa 500 Männer, die zu alt zum Dienst in der Wehrmacht waren, nach Polen zu einem Sonderauftrag gebracht.

Dort wurde ihnen eröffnet, dass sie die jüdische Bevölkerung in den polnischen Dörfern aufzuspüren, Arbeitsfähige auszusondern und die Übrigen, Alte, Frauen und Kinder, auf der Stelle zu erschießen hatten. Vor ihren Einsatz machte der Kommandabr den Männern ein Angebot.

Wer sich der Aufgabe nicht gewachsen fühle, könne sein Gewehr abgeben und würde für eine andere eingesetzt. Nur etwa 12 Männer traten vor. Wie ist es zu erklären, dass „ganz normale Männer“ zu Massenmördern würden? (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:
Der Klappentext gibt genügend Auskunft über den Inhalt, so dass man darüber nicht weitere Worte verlieren muss. Eine, im Gegensatz zu anderen Einheiten, die an Massenmorden im Zweiten Weltkrieg beteiligt waren, dichte Quellenlage ist die Grundlage für das vorliegende Werk, welches jetzt nochmals als Taschenbuchversion aufgelegt wurde.

Detailliert schildert der Autor, der historischen Genauigkeit wegen, die Grausamkeiten des Krieges in Bezug auf ein Batallion der Hamburger Polizeireserve und behandelt damit die Frage, wie aus ganz normalen Männern, Massenmörder werden konnten.

Das teilweise sehr anstrengend kompliziert geschriebene Werk, keinesfalls leichte Lektüre, die man mal ebenso nebenher lesen kann, ist Gegensatnd eines Historikerstreits, der nach der Erstveröffentlichung folgte.

Goldhagen, der mit seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ für Aufmerksamkeit sorgte, kritisiert den Autoren des vorliegenden Werks in dem Punkt, dass Browning den Einfluss der deutschen Kultur auf den Holocaust missachten würde.

Browning wirft seinem Kollegen widerum Doppelbödigkeit und Inkonsequenz in der Schlussfolgerung aufgrund dessen eigener Thesen vor. Klingt nicht einfach? Ist es auch nicht und so müssen, um sich ein klares Bild zu verschaffen, wohl beide Werke parallel gelesen werden.

Mit der Neuauflage ist dies gut möglich, da zunächst das eigentliche Buch vorliegt, dann in einem speziellen Nachwort der Autor auf Goldhagens Thesen, Analysen und Schlussfolgerungen eingeht. Die Wahrheit wird dann wohl irgendwo in der Mitte liegen, jedoch ist die Historie allemal interessant und erschütternd.

Besondere Zeiten schaffen Voraussetzungen für besondere Menschen, leider auch im Schlechten und kehren unsere schlimmsten Eigenschaften hervor.

Dazu Druck, Indoktrination und Vereinnahmung und schon sind wir dazu fähig, anderen Dinge anzutun, die wir uns vorher nicht hätten vorstellen können. Browning zeigt auf, wie ganz normale Männer zunächst mit Abscheu auf ihren Auftrag des Regimes reagierten und nach und nach zu willigen Handlangern der Nazis wurden.

Dieses Werk zeigt exemplarisch an einer Einheit, wie das NS-Regime funktionieren und seine grausame Ideologie umsetzen konnte, ist jedoch keine Lektrüe für Zwischendurch.

Zahlreiche in jedem Satz geseteckte Informationen, machen das Buch eher Lesern zugänglich, die sich bereits entweder Goldhagens Werk zu Gemüte geführt haben, der sich teilweise auf die gleichen Quellen stützt oder sich von vornherein für die Thematik interessieren. Für Jemanden mit „Erstkontakt“ mit diesen Themen empfiehlt sich dieses Buch eher nicht.

Autor:
Christopher R. Browning wurde 1944 geboren und ist ein US-amerikanischer Historiker. Er ist emeritierter Professor der University of North Carolina. Zunächst studierte er Geschichte, deren Professort er 1999 iin North Carolina erhielt, welche er bis 2014 ausübte.

Im Jahr 2006 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Bekanntheit erlangte er in der Auseinandersetzung Daniel Jonah Goldhagens („Hitlers willige Vollstrecker“) mit seinem Werk „Ganz normale Männer“, welches 1992 errstmals veröffentlicht wurde.

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Claudia Weber: Der Pakt

Der Pakt Book Cover
Der Pakt Claudia Weber C.H. Beck Erschienen am: 18.07.2019 Seiten: 276 ISBN: 978-3-406-73531-8

Inhalt:
Im Zweiten Weltkrieg waren Nazideutschland und die Sowjetunion nicht nur erbitterte Gegner, sondern vorübergehend auch Verbündete.

Der Pakt war mehr als das politische Zweckbündnis, das Hitlers Überfall auf Polen erlaubte und den Krieg für die Sowjetunion hinauszögerte. Seine Wirkung blieb nicht nur auf Osteuropa beschränkt, auch wenn beide Mächte ihren Gewaltfuror dort entfesselten. Claudia Weber zeichnet nach, wie Hitler und Stalin einen ganzen Kontinent in weniger als zwei Jahren ins Verderben stürzten. (Klappentext)

Rezension:
Monate vor Kriegsbeginn horchte die Welt auf. Neben den offiziellen Meldungen machten Gerüchte die Runde. unglaublich und unerklärlich für die Völker Europas nicht zuletzt auch für die Deutschen und die Russen selbst.

Deren oberste politische Führungen, die sich ideologisch diametral gegenüber standen, gingen zum handschlag über und hatten einen Pakt geschlossen, den sich niemand ob der vergangenen feindlichen Rhetorik und entgegengesetzten Weltanschauungen erklären konnte. Was also, steckte dahinter?

Claudia Weber begibt sich auf Spurensuche in politischen und privaten Archiven, zwischen Moskau und Berlin. Die Professorin für Zeitgeschichte rekonstruiert die Ereignisse, die dem Schlimmsten aller Kriege vorausgingen, den es je gegeben hat.

Das vorliegende Werk ist das Ergebnis ihrer unermüdlichen Recherchearbeit, die dennoch nicht alle Geheimnisse aufdecken konnte. „Der Pakt“, zeigt dennoch auf, wie zwei Diktatoren Europa unter sich aufteilten und für Jahre in den Abgrund stürzten.

Im C.H. Beck Verlag erschienen, der sich hiermit wieder einmal der Aufarbeitung eines geschichtlichen Kapitels verdient gemacht hat, zeigt Claudia Weber auf, wie und warum die Bestandteile des Hitler-Stalin-Paktes beschlossen wurden, welche Gespräche und Überlegungen dem vorausgingen, welchen Nutzen und Vorteile sich die beiden Vertragspartner davon versprachen.

Die Historikerin zeigt, dass es hierbei nicht nur um die Aufteilung eines Kontinents ging, sondern auch um intensive wirtschaftliche Beziehungen, fernab aller Ideologien und strategischen Überlegungen.

Detalliert werden hier Konsultationen zwischen Deutschen und Sowjets geschildert, sowie die Interpretation ihrer direkten und indirekten Nachbarn, etwa den Polen oder den Briten.

Diese Ausgewogenheit ist notwendig zur zeitlichen Einordnung, gleichzeitig sehe ich einige Formulierungen, so wie sie zwischen den Buchdeckeln geschrieben stehen, kritisch, lenken sie doch die Sympathie manchmal auf die falsche Seite. Größtenteils gelingt es der Autorin jedoch, neutral zu sein, so dass dies nicht allzu sehr ins Gewicht fällt.

Kurzweilig und spannend wie ein Krimi liest sich die Historie zwischen den „two evils“, wie der damalige britische Premier Winston Churchill die Diktoratoren Hitler und Stalin bezeichnete, ihrem Streben nach Macht, Einfluss und territorialen Gewinnen, die Europa auf Jahrzehnte hinaus verändern sollten.

Insbesondere die von beiden Ländern vorab geknüpften, jedoch selten besprochenen, wirtschaftlichen Beziehungen werden hier haarscharf analysiert.

Aufgelockert durch zahlreiche Fotografien und Einbindung noch nicht zu häufig genutzten Quellenmaterials kann dieses Werk als Ergänzung und Vertiefung der Materie genutzt werden, zumal auch das Vertragsprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes selbst mit eingebunden ist, wie auch das geheime Zusatzdokument.

Claudia Weber schildert eindrucksvoll dieses Ereignis, welches dem Weltenbrand vorausging, der unmittelbare Folge davon zwingend sein musste. Trotz Abstrichen in manchen Formulierungen, sehr informativ geschrieben, empfehlenswert zu lesen.

Autorin:
Claudia Weber wurde 1969 geboren und ist eine deutsche Historikerin. Seit 2014 ist sie Professorin für Europäische Zeitgeschichte in Frankfurt/Oder. Zunächst studierte sie Lehramt in Leipzig, danach Südslavistik, Politik- und Osteuropawissenschaften.

Nach mehreren Zwischenstationen sind ihre Forschungsschwerpunkte die Gewalt- und Diktaturengeschichte des 20. Jahrhunderts, die Kulturgeschichte des Kalten Krieges, sowie die vergleichende Imperiengeschichte. Sie veröffentlicht reglmäßig Beiträge in nationalen und internationalen Fachzeitschriften.

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