Vergessen

Beliban zu Stolberg: Zweistromland

Inhalt:

Die Rechtsberaterin Dilan ist Tochter kurdischer Aleviten, die Verfolgung und Gewalt ausgesetzt waren. Doch darüber schweigen sie. Erst als ihre Mutter stirbt und sie selbst ein Kind erwartet, arbeitet Dilan gegen das unerträgliche Schweigen an: Sie reist nach Diyarbakir im Osten der Türkei. Die alte Stadt am tigris ist die heimliche Metropole der Kurden. Hier haben ihre Eltern einst gelebt, geliebt und gekämpft.

Ein poetischer und brennend aktueller Roman über politischen Mut, qualvolles Vergessen und die gefährliche Reise einer jungen Frau. (Klappentext)

Rezension:

Ein Roman zwischen Vergangenheit und Gegenwart, eine Protagonistin auf der Suche, ein Konflikt, der nicht nur das Leben der Eltern teilt und eine Sprache als Schlüssel. Dies ist “Zweistromland”, von Beliban zu Stolberg, die sich in ihrem Debüt einer Thematik von gewaltiger Sprengkraft annimmt und beinahe poetisch erzählt.

Das Ende ist der anfang. Als die Mutter stirbt, begegnet die junge Dilan einer Frau, die einen Steinen ins Rollen bringt, der sie bis in die ehemalige Heimat ihrer Eltern führen wird. Sie selbst lebt da schon in Istanbul, verwurzelt in zwei Sprachen, doch seit ihrer Kindheit weiß die Protagonistin, dass Kurdisch der schlüssel zum früheren Leben der Mutter und des Vaters gehören. Sätze, die für das Kind verschlossen und geheimnisvoll klingen. Zu Hause wird nur Türkisch und Deutsch gesprochen. Später, als Erwachsene, als sie kurz davor steht, selbst Mutter zu werden, sucht sie einen Zugang, möchte begreifen. Eine Reise beginnt, die Risse vollends sichtbar werden lässt.

Nur oberflächlich beinahe ein Roadtrip entpuppt sich der vorliegende Roman als kompaktes Familienepos, hoch politisch, voller Schmerz über das Verlorene. Unruhe hineingeschrieben in jede Zeile wird zu einem Drängen, welches Tempo in die Erzählung mit einbringt. Der Wechsel zwischen den Zeitebenen gibt der Protagonistin und der sie umgebenden Menschen Konturen. Beliban zu Stolberg versteht es, so viel wie möglich zwischen den Zeilen zu packen und auf jeder einzelnen Ebene, bewusst oder unbewusst, funktioniert das auch. Nichts wirkt dabei gestellt, fehl am Platz. Mehr als einmal kann man den Schmerz, der unzählige Familienbiografien durchziehen muss, fühlen, wo das Unaussprechliche zur drückenden Last wird, für die die nachvollgenden Generationen eine Erklärung suchen. Das Trauma der Eltern lebt in ihren Kindern weiter.

Die Geschichte wird in zwei Zeitebenen erzählt, von annähernd gleicher Tonalität immer im Wechsel. Vom Weg der Erwachsenen lesen wir, wie auch vom Kind, dass noch nicht genau umfassen kann, auf was es da stößt. Der Grundsatz, die Vergangenheit ruhen zu lassen, um das hergestellte fragile Gleichgewicht nicht zu gefährden, gerät mit der Entscheidung, in den Bus zu steigen und sich auf den Weg zu begeben, ins Abseits. Ob das gut ist, bleibt offen, so vieles in diesem Roman. Beliban zu Stolberg wertet nicht, lässt die Lesenden ein eigenes Bild vor ihren inneren Augen entstehen.

Es ist ein Roman über große Politik und ihren Auswirkungen auf die Menschen, in der die Protagonistin genügt, um selbigen vollständig auszufüllen. Die Nebenfiguren sind, rar gesät, nur impulsgebend, während Dilans Suche mit zunehmender Seitenzahl sich immer drängender gestaltet. Nicht wissend, worauf diese hinauslaufen wird. Slo stockt einem der Atem, von einzelnen Szenen muss man sich beinahe losreisen. Die Autorin, die sonst Drehbücher schreibt, hat einen Film auf Papier ausformuliert.

Wenn man die Protagonistin als Kind, sowie als Erwachsene getrennt voneinander betrachtet, kann man von mehreren Perspektiven sprechen und das reicht vollkommen aus. Immer ist da eine unterschwellige Spannung zu spüren, wie sie das Stöbern in der Vergangenheit mit sich bringt. Unbeschwerte Momente wechseln mit melancholischen, im nächsten Moment ruhelosen Handlungen. Sehr atmosphärisch wirkt das besonders, wenn Kipppunkte erzählt werden, die zu Stolbergs Figur ins Wanken bringen.

Wie liest sich der Roman wohl, wenn man einen ähnlichen Hintergrund hat? Wie die Protagonistin, wie die Autorin?

Auch so versteht sie es, in die Geschichte hineinzuziehen, auch Bilder entstehen zu lassen und schafft damit, denen eine Stimme zu verleihen, die von einer Konfliktsituation getroffen sind, direkt oder indirekt, die vom Rest der Welt vergessen, verschwiegen, unter den Teppich gekehrt wird. Man findet viel zu wenig davon.

Man braucht nicht unbedingt all zu sehr detaillierte Kenntnisse der politischen Geschichte der Türkei und des Kurdenkonflikts, Grundlagen reichen und vielleicht der eine oder ander Blick auf Kartenmaterial, welches Orte und Verteilung von Volksgruppen, Sprachen und religiösen Minderheiten zeigt. Zumindest eine geografische Karte hätte ich abgedruckt noch als I-Tüpfelchen empfunden. Vielleicht ja für eine nächste Auflage.

So oder so versinkt man in dieses gewichtige Debüt. Glaubt kaum, dass es eines ist. Spannend, was da vielleicht noch von Beliban zu Stolberg kommen wird.

Autorin:

Beliban zu Stolberg wurde 1993 in Hamburg geboren als Kind einer deutschen Mutter und eines kurdischen Vaters. Von 2015 an studierte sie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Drehbuch und wirkte an zahlreichen Kurzfilmen und Webserien mit. 2016/17 war sie Mitglied im Jungen Berliner Rat des Maxim Gorki Theaters, 2018 wurde sie mit einem Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung gefördert, nahm daraufhin an einer Autorenwerkstatt teil. Mehrere Aufenthalte in Finnland folgten, sowie 2023 eine Teilnahme an der Netflix Writing Academy. “Zweitstromland” ist ihr erster Roman.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Beliban zu Stolberg: Zweistromland Read More »

Reinhard Kuhnert: Was unvergessen bleibt

Inhalt:

Fergus Monahan ist tot. Oder vielleicht doch nicht? Seine Frau Maeve jedenfalls ist fest davon überzeugt, dass er sich allerbester Gesundheit erfreut …

Ein höchst wundersames Geschehen in der westirischen Provinz Connemara, ein familienzwist in der Klassikerstadt Weimar, zwei Männer an einem Grab und die Geschichte von Josef, der sich einem Gedächtnistest unterziehen soll – vier Erzählungen über das Erinnern und Vergessen und über das, was unvergessen bleibt. (Klappentext)

Rezension:

Herausfordernd sind die Geschichten, denen die Schreibenden nur wenige Worte zugestehen, die auf begrenzten Raum eine Wirkung entfalten müssen und so ist die Kurzgeschichte eine sehr eigenwillige Form, die oft genug daran scheitert, dass entweder Protagonisten nicht ausreichend ausgestaltet worden sind oder Situationen nicht genug Zeilen bekommen, um ihre Wirkung zu entfalten. Das gelingt am besten, wenn Autor oder Autorin die Kunst der Auslassung beherrschen oder die der Konzentration auf ein bestimmtes Motiv. Ein positives Beispiel dafür ist der hier von Reinhard Kuhnert vorliegende Erzählband “Was unvergessen bleibt”.

Mit vier sehr verschiedenen Kurzgeschichten nähert sich der Autor und Regisseur den großen Themen des sich Erinnerns und des Vergessens, die wie ein roter Faden das Werk durchziehen und in unterschiedlicher Gewichtung ihre Wirkung entfalten. Nehmen wir die Geschichte zweier Brüder, deren eigene Geschichte zugleich die der Teilung Deutschlands ist, damit einhergehende Entfremdung, aber auch der Frage nach Schuld und Schuldigkeit.

Unter der Oberfläche des Erzählten entdeckt man lesend einige Facetten, an denen einige Familiengeschichten heute noch zu tragen haben dürften, gleichwohl Mauerfall und Wiedervereinigung schon vor über dreißig Jahren stattgefunden haben. Oder, in einer der anderen Geschichten die Gewichtung der Vergangenheit als höher bei der älteren Generation und die Frage nach der Zukunft bei der jüngeren. Starke Motive werden mit wenigen Worten zur Sprache gebracht, die Reinhard Kuhnert nicht nur als Autor virtuos beherrscht.

In jeder Geschichte konzentriert sich der Autor nur auf wenige Protagonisten, gibt zudem dem Davor und Danach verschiedene Schwerpunkte, so dass ein jeder lesend wohl eine Erzählung finden wird, mit der man sich identifizieren kann, die in abgewandelter Form vielleicht auch in der eigenen Familie, im eigenen Leben stattgefunden hat. Sehr kompakt aufgebaut, jede Handlung umfasst im Schnitt nicht mehr als vierzig bis fünfzig Seiten, entfalten die Kurzgeschichten ihre Wirkung und erzählen doch zuweilen größere Zeitspannen, als man dies für möglich halten würde, dass das in dieser Form so funktioniert.

Allesamt spielen sie im nicht nur der Historie schwierigen Gegensatz und Miteinander zwischen Ost und West. Eine perfekte Grundlage, um auch mit beiden Motiven dergestalt spielen zu können. Dabei verliert der Autor nicht einmal seine Protagonisten aus dem Blick, welche er in nur wenigen Zeilen auch mit Ecken und Kanten ausgestaltet hat. Lücken wurden nicht unbewusst gesetzt, auch unlogische Brüche sind in keiner einzigen der Erzählungen zu finden. Persönlich hat es mich positiv gestimmt, dass es doch noch Kurzgeschichten gibt, die für mich funktionieren, was ja aus genannten Gründen oft genug nicht der Fall ist.

Wenige Worte reichen dem Autoren hier aus, um Bilder vor den inneren Augen der Lesenden zu erzeugen und in die Protagonisten hineinzufühlen. Faszinierend, dass es bei fast jeder Erzählung gelingt, eine Identifikationsfigur zu finden und den anderen dennoch nachvollziehbare Handlungsmotive zu zugestehen. Wirkliche Antagonisten braucht es nicht, das Drama, zuweilen aus Zeitsprüngen und Rückblenden bestehend, funktioniert auch so. Hier merkt man Reinhard Kuhnerts Hintergrund des Theaters und Films.

Nadelstiche, so sie denn gesetzt sind, widerum, wirken wahrscheinlich eher bei einem älteren Lesepublikum. Mir fehlt rein der Erlebnishorizont, um um die Wirkung zu wissen, hätte ich die Wendezeit und das davor bewusst erlebt. Wie ist es für jene die Szene des Protagonisten zu lesen, der eine Rede hält und darauf hin erleben muss, wie der Staatsapperat mit einer Härte Steine ins Rollen zu bringen beginnt, die unsereins sich heute nur schwer vorstellen kann? Vielleicht sollte man deshalb auch an solcherlei Dinge erinnern, womit wir wieder zurück bei den handlungsübergreifenden Motiven wären.

Diese Aspekte scheinen mir für die Betrachtung dieses Werks wichtiger als wenn ich näher auf die einzelnen Geschichten und Protagonisten eingehen würde. Zu schnell gerät man bei Kurzgeschichten in die Gefahrenzone des Spoilerns. Mir ist die thematische Umsetzung ebenso positiv aufgefallen, wie die sprachliche Unaufgeregtheit, aber auch einzelne Sätze, die für sich stehen können. Für jene die die beschriebene Zeitenwende bewusst erlebt haben, kommt der Wirkungsaspekt noch hinzu, für Lesende wie mich, diese vor Augen zu führen, was passieren könnte, wenn …, wobei ja das Erinnern und Vergessen als solche zeitunabhängig sind. Auch das hat der Autor hier übrigens nicht aus dem Blick verloren.

Das Erinnern und Vergessen macht Geschichten. Aus der Feder Kuhnerts lohnen sie sich zu lesen.

Autor:

Reinhard Kuhnert wurde 1945 in Berlin geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Regisseur, Schauspieler und Synchronsprecher. Er studierte zunächst an der Theaterhochschule und am Literaturinstitut Leipzig, bevor er als Schauspieler, Regieassistent und Regisseur an mehreren Theatern arbeitete, Bis 1983 war er als Dramatiker in Ost-Berlin tätig, bevor er nach West-Berlin übersiedelte und seine Arbeit vor allem im Ausland fortsetzte, u. a. in Luxemburg, Irland und Australien. Er schreibt für Theater, Rundfunk und Fernsehen, war zeitweilig gastdozent an der Universität Galway, Irland. 1999 erhielt er den Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin und 2017 deie Goldene Schallplatte als Erzähler der Hörbücher von “Games of Thrones”.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Reinhard Kuhnert: Was unvergessen bleibt Read More »

Rita Mielke: Atlas der verlorenen Sprachen

Atlas der verlorenen Sprachen Book Cover
Atlas der verlorenen Sprachen Rita Mielke Duden Verlag Erschienen am: 07.10.2020 Seiten: 240 ISBN: 978-3-411-70984-7

Inhalt:

Fremde Sprachen eröffnen überraschende Einblicke in die Lebenswelten von Völkern und Kulturen. Irokesisch, Tofalarisch, Sami, Bora, Quechua: Allein der Klang dieser Sprachbezeichnungen erinnert an die enorme kulturelle Vielfalt auf unserer Erde – und daran, dass viele dieser Sprachen bedroht oder bereits verloren sind. der “Atlas der verlorenen Sprachen” reist einmal um die Welt und besucht 50 Sprachen auf fünf Kontinenten. (Klappentext)

Rezension:

Sprachen sind per Definition komplexe Systeme, sich auszudrücken und um sich zu verständigen. Unzählige gibt es auf unserem Planeten,allesamt Kulturgut. Wenige werden von vielen Menschen gesprochen, allzu viele sind dagegen vom Aussterben bedroht oder bereits für immer verschwunden. Das hat verschiedene Ursachen, die großteils in unserer Geschichte zu suchen sind.

Um so wichtiger ist es, zu dokumentieren, was noch zu recherchieren ist, die wenigen verbliebenen Sprecher und Sprecherinnen aufzusuchen, um so viele Wortschöpfungen, grammatikalische Gegebenheiten für die Nachwelt zu bewahren, zumal in einer globalisierten Welt, in der kleinräumige Sprachen immer mehr drohen, auszusterben.

Manchmal gelingt das. Verschiedene Sprachen, die einst auszusterben drohten, werden heute wieder gepflegt. Andere sind bereits heute verloren. Die Duden-Redaktion hat sich aufgemacht und legt zum wiederholten Male ein buntes Sammelsurium vor, diesmal rund um den Globus, in fünfzig Sprachen um die Welt.

Wie viele Wortschöpfungen kennt eine Sprache für Regen? Was bedeuten Zahlen, wenn nach der Vier nur noch “Viele” kommen und was wurde und wird bis heute getan, um Sprache zu bewahren? Kurzweilig ist dieses kuriose Lexikon, welches das Vorkommen der Sprache in schereschnittartiken Landkarten verdeutlicht, ebenso die Anzahl derer, die die jeweiligen Sprachen heute noch pflegen, damit kommunizieren können.

Auf den nachfolgenden jeweils zwei bis vier Seiten wird dann ein kleiner informativer, nicht trockener Abriss der Geschichte dieser Sprache dargestellt, Zusammenhänge gezeigt, die zum jeweiligen Zustand dieser führten, in der sich die erwähnten Sprachen heute befinden.

Das ist zum Teilen amüsant, oft genug traurig, doch wird hier gezeigt, dass Sprache durchaus lebendig gehalten werden kan, ob in Gegenständen der sie jeweilig verwendenden Kulturen oder durch die Übernahme von Begriffen in einer Sprache, die in noch größerer Anzahl gesprochen wird.

Wer dieses Werk, dieses kleine Lexikon zur Hand nimmt, wird darin versinken und über so herrliche Begriffe wie Humuhumunukunukuapua’a stoßen und herausfinden, was der Autor von “Peter Schlemihls wundersamer Geschichte”mit einem Riesenfarn zu tun hat, wie kompliziert man in anderen Sprachen Verwandtschaftsbeziehungen ausdrücken kann, und das isolierte Sprachen den Hang zum Komplizierten besitzen.

Es wäre doch witzig, wenn aufgrund von solchen Werken nicht mehr nur Igel im Herbst unsere Wege kreuzen, sondern ein Stachelinus (Begriff aus dem Rotwelchem).

Für alle, die sich gerne mit Sprache beschäftigen, damit spielen und auch sonst Geschichte und Kultur einmal von einem anderen Blickwinkel betrachten möchten, ist dies eine wunderbare Zusammenstellung.

In der Hoffnung, dass es zumindest einige der Sprachen schaffen, zu überleben und aus anderen wenigstens ein paar Begriffe und Eigenheiten zu retten. Dieses nicht auf Vollständigkeit bestehende Werk ist schon einmal ein Anfang. Festzustellen bleibt, Sprache ist spannend.

Autorin:

Rita Mielke ist Autorin und Sprachwissenschaftlerin beim Duden-Verlag.

Und nun eine kleine Rätselfrage. ;-D

Was ist ein Humuhumunukunukuapua’a?

Lösung:

Der Diamant-Picassodrückerfisch in der Sprache Hawaiianisch. Das Tier ist der Staatsfisch von Hawaii.

[Einklappen]

Rita Mielke: Atlas der verlorenen Sprachen Read More »

Bücher gegen das Vergessen #02

Bücher gegen das Vergessen sollen uns geschichtliche Ereignisse vor Augen führen, für die wir nicht unbedingt die Verantwortung tragen, aber dennoch verantwortlich sind, sie nicht zu vergessen. Abseits von Rezensionen soll hier eine Auswahl vorgestellt werden.

Bisher in dieser Rubrik erschienen:

#01: Die Tagebücher des Petr Ginz

[Einklappen]

Kressmann Taylor “Adressat unbekannt”

Es sind nur ein paar Briefe, auf denen diese kleine Novelle beruht und doch traf die Autorin einen Nerv bei ihrem Lesepublikum, als ihre Geschichte als Fortsetzungsreihe 1938 veröffentlichte. Unter Pseudonym in der Zeitschrift “Story” publiziert, erzählt Kathrine Taylor in Form eines Briefwechsels vom Zerbrechen einer Freundschaft aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933.

Wenige Seiten sind es, nicht einmal 60, auf denen ein Strudel von Ereignissen sich abspielt. Zunächst ist da die Freundschaft zweier, die zusammen eine kleine Kunstgalerie in San Francisco gründeten und nun getrennt voneinander leben. Der Eine, seiner Familie zu Liebe in Deutschland, macht nun in der Stadtverwaltung von München Karriere. Martins Freund dagegen, Max, leitet nun alleine die Galerie.

Meine Ausgabe ist eine bei Rowohlt erschienene Taschenbuchausgabe.

Verlinkt ist die aktuell verfügbare.

Sprengstoff tut sich auf. Max ist jüdischer Abstammung und nimmt die aus Deutschland kommenden Berichte mit Sorge auf. Er hakt bei seinem Freund nach, der zunächst beschwichtigt, jedoch immer mehr der grausamen Ideologie der Nazis verfällt. Natürlich muss die Freundschaft zuerbrechen, natürlich macht die Politik auch nicht vor Max’ Familie in Deutschland halt. Natürlich macht sich Martin schuldig.

Die kleine Novelle besteht nur aus diesen Briefen, die man in sich aufnimmt und immer hilfloser Zeile für Zeile liest. Kressmann Taylor reißt ihre Leser, gleichsam wie ihre beiden Protagonisten, in den Abgrund. Der wahre Hintergrund ist es, der diese Geschichte so grausam werden lässt. Die Nazis hatten das Büchlein in Deutschland wohlweißlich verboten.

Im Jahr 1995, anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung der Vernichtungslager wurde die Novelle, von der nicht viel mehr verraten werden kann, nicht verraten werden darf, wieder aufgelegt. Diesmal in mehr als fünfzehn Sprachen. Es ist eines dieser Bücher, die so ganz unscheinbar sind, von denen man sich angesichts ihrer Dichte nicht viel erhofft, die einem dann jedoch umhauen und nicht mehr loslassen.

Wie viele Freundschaften mögen auf ähnliche Art und Weise zerstört worden sein? Wie erging es den Menschen, die hinter den Briefen steckten, die die Vorlage für diesen erschütternden Roman bildeten? Zumindest von einem der Protagonisten kann man das Schicksal erahnen. Dessen Brief kam mit dem Stempel “Adressat unbekannt” zurück.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Bücher gegen das Vergessen #02 Read More »