Johannes Balve: KirschblĂŒte in Fukushima

Inhalt:
Fremdwerden im fremden und im eigenen Land. Als es zu einem Atomunfall im japanischen Fukushima kommt, beginnen all jene Geschichten mitreiĂende, beĂ€ngstigende und tragische Momente anzunehmen. Einige Protagonisten bringen sich in Gefahr, andere versuchen dem Unheil zu entfliehen, ringen um die Suche nach sich selbst und neuer LebensentwĂŒrfe. Ihre Wege kreuzen einander, in einer Zeit, in der Glaube an die Absolutheit der Technik obsolet geworden ist. (eigene Inhaltsangabe)
Rezension:
Eigentlich soll die französische Journalistin Jeanne fĂŒr ihre Zeitung nur ĂŒber ein StĂ€dtebauprojekt recherchieren, doch als plötzlich die Erde zu beben beginnt und ein Tsunami sicher geglaubte GrundsĂ€tze der japanischen Gesellschaft ins Wanken bringt, versuchen vor allem die Expats einen Ausweg. Möglichst weit weg vom Ort der Katastrophe möchten alle, wĂ€hrend vor allem die Journalisten die Neugier packt und sich in der Unterwelt des Inselstaats weiteres Unheil zusammenbraut. Dieses GerĂŒst trĂ€gt den aus der Feder Johannes Balve stammenden vielschichtigen Gesellschaftsroman „KirschblĂŒte in Fukushima“.
ZunĂ€chst beginnt dieser in vergleichsweise gemĂ€chlichen ErzĂ€hltempo ein Figurentableau aufzufĂ€chern, deren handlungsstrĂ€nge sich im Verlauf der Geschichte immer wieder kreuzen werden, wirft doch die Katastrophe alle lang geglaubte Sicherheiten ĂŒber Bord. Der Botschaftsangehörige, der sein Team zusammenhalten versucht, das Mitglied eines Handelsvereins, welches die Familie möglichst schnell auĂer Landes bringen möchte, der Wissenschaftler, der auf taube Ohren stoĂen wird. Als gesellschaftskritische ErzĂ€hlung beginnt der Roman sich pro Handlungsstrang in einen Wissenschaftskrimi, Agententhriller und Familienroman aufzufĂ€chern.
Anfangs wirkt das irritierend, wie das sehr umfangreiche Figurenensemble, welchem der Autor schafft, allen ihre Ecken und Kanten zu verleihen. Jeder Protagonist ist so vielschichtig, wie auch handlungstreibend, doch gerade die ersten Seiten muss man noch sehr konzentriert lesen, um kein wichtiges Detail zu ĂŒbersehen. Schnell aber zeigt sich, dass Johannes Balve es schafft, weder Handlungen noch Figuren aus den Blick zu verlieren. Dabei hat er MaĂ gehalten. Keine Seite wirkt ĂŒberzĂ€hlig, auch wird man nicht das GefĂŒhl haben, es wĂŒrde etwas fehlen. FĂŒr westliche Lesende eher ein Moment, stutzig zu werden, ist die beschriebene Obrighörigkeit innerhalb der japanischen Gesellschaft. Das mag so sein, bildet aber zu Bekannten durchaus einen gewissen Kontrast.
Wer die Stellen der Antagonisten ausfĂŒllt, ist nicht immer ganz klar. Das wechselt auch zwischendurch, schafft aber ebenso eine Dynamik herbeizufĂŒhren, deren Sogwirkung man sich nicht entziehen kann. Das wirkt, ohne zu starke BrĂŒche alles durchaus schlĂŒssig, auch wenn die Agentengeschichte mit einigen Punkten durchaus over the top ist. Ob das nun gut oder schlecht ist, entscheidet sich wohl mit den Genrevorlieben. Aus der Perspektive heraus, dass Lesende ja um die Katastrophe wissen, wirken manche Stellen wie ein vor den inneren Auge ablaufender Film, in dem sich spannende mit sehr ruhigen Momenten abwechseln, den einen oder anderen Zeitsprung mit einbezogen.
Johannes Balve schafft es vieler Arten von Romanvorlieben mit „KirschblĂŒte in Fukushima“ gerecht zu werden, ohne sich zu verheddern. Nicht alle Auflösungen von HandlungsstrĂ€ngen sind dabei gleichermaĂen gelungen, trotzdem können wohl alle etwas fĂŒr sich hier finden. Wann hat man das schon mal? Zudem bei einem Autoren, der es schafft, sehr detailreich zu beschreiben, andererseits durch Auslassungen Bilder zu erzeugen. Empfehlenswert.
Autor:
Johannes Balve ist ein promovierter Literatur- und Bildungswissenschaftler und Schriftsteller. Seit 1990 forscht und lehrt er an deutschen und auslĂ€ndischen UniversitĂ€ten. In Japan hat er in Kanazawa den Lehrstuhl fĂŒr Germanistik und EuropĂ€ische Kulturwissenschaft inne. Er berĂ€t zudem andere japanische UniversitĂ€ten und ist als wissenschaftlicher Gutachter tĂ€tig. FĂŒr deutsche Zeitungen und Magazine verfasste er zahlreiche Reportagen ĂŒber Japan und veröffentlicht in deutschen und internationalen Fachzeitschriften.
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