Eric-Emmanuel Schmitt: Adolf H. – Zwei Leben

Adolf H. - Zwei Leben Book Cover
Adolf H. – Zwei Leben Eric-Emmanuel Schmitt S. Fischer Erschienen am: 01.04.2010 Seiten: 511 ISBN: 978-3-596-18457-6

Inhalt:

„Was wäre geschehen, wenn die Kunstakademie Adolf Hitler aufgenommen hätte?“ 8. Oktober 1908: „Adolf Hitler ist durchgefallen.“ Ein einzelner Satz steht am Anfang der Katastrophe, die ein Jahrhundert erschüttert hat.

Was aber, wenn der Zwanzigjährige tatsächlich Maler geworden wäre? Ohne Scheuklappen wirft Eric-Emmanuel Schmitt die verstörende Frage nach den Bedingungen auf, die einen Menschen zu dem machen, was er ist. Parallel zu der Geschichte des Diktators Adolf Hitler erzählt er eine Lebensgeschichte im Konjunktiv: die Biographie des Kunstmalers Adolf H. (Klappentext)

Rezension:

Ein Gedankenspiel mit Tücken, was rein von der Thematik, rein von der Person, um die es sich dreht zur Stolperfalle für jeden Autor werden kann, hat Eric-Emmanuel Schmitt hier mit Bravour geleistet.

Parallel zueinander werden zwei Geschichten erzählt, die sich am Anfang gleichen und mit den Jahren immer mehr von einander entfernen. Die eine ist bekannt.

Hitler, der im Ersten Weltkrieg seine Initiation erfährt und die Welt in die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte stürzt, die andere genial: Hitler, der erfolgreiche und mit sich ins Reine kommende Kunstmaler. Tolerant, einsichtig und sympathisch.

Doch, darf man so über Hitler schreiben, dieses Gedankenspiel machen? Ist es zulässig?

Ganz klar, ja. Zumindest, wenn der Autor, wie Schmitt es in gewohnter Weise tut, bewusst die Fettnäpfchen-Themen sucht, sie gekonnt für sich nutzt und damit am Ende nicht Schiffbruch erleidet. Hätte hier durchaus anders ausgehen können.

Doch, Schmitt hat mit der parallelen Erzählung ein Schema gefunden, der Thematik gerecht zu werden ohne die Opfer des „echten“ Hitler gerecht zu werden und dennoch den fiktiven Menschen Adolf H. sympathisch erscheinen zu lassen.

Eine Meisterleistung, die nur ganz wenigen Autoren gelungen wäre. Tatsächlich hat mir diese Umsetzung besser gefallen als Timur Vermes‘ Szenario, welches auch erst heute im Hinblick des Erstarkens der AfD interessant geworden ist.

Eine prophetische Gabe, von der ich nicht wollte, dass sie sich im übertragenen Sinne bewahrheitet. Nun aber „Adolf H. – Zwei Leben“. Zwei Leben, die unterschiedlich gegensätzlicher nicht sein könnten. Kurze Abschnitte, Szenen, die sich direkt hinteinander abwechseln.

Am Anfang fällt es schwer, zwischen den einzelnen Protagonisten, ja, es ist ein und die selbe Person, dann wieder auch nicht, hin und her zu schalten. Gegen Mitte des Romans, wenn die Unterschiede größer werden, fällt es leichter. Der Lesefluss ist trotzdem ein langsamer.

Hoch konzentriert sollte man sich dieses Gedankenspiel zu Gemüte führen. Ein Schmankerl, der Kunstmaler H. trifft auf den jüdischen Psychotherapeuten Sigmund Freud und legt sich auf die Couch. Der Leser gleichsam mit ihm. Eric-Emmanuel Schmitt spielt mit dem Leser und es gelingt.

Der Schreibstil, der Ernsthaftigkeit der Thematik angemessen. Tatsächlich würde man vielleicht sogar gern ein Bild des friedlichen Kunstmalers in seiner Wohnung hängen lassen oder in einer Galerie bewundern. Der wahre Hitler indes ist nur zu verdammen.

Im Anhang dieser Ausgabe, nicht minder interessant, berichtet der Autor über den Entstehungsprozess des Werkes, welches in einer Reihe zu stellen ist, mit „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ oder „Das Kind von Noah“.

Man wünscht sich, so etwas im Anschluss von viel mehr Romanen zu lesen. Auch auf die Gefahr hin, dass dies viel interessante ist als die Geschichte an sich. Doch hier tut die Ergänzung sogar Not, ist wichtig, ergänzend.

Insgesamt also eine runde Sache, die sich zu lesen empfiehlt. Wenn auch sich der Roman etwas sperrig und nur langsam lesen lässt. Begibt man sich jedoch einmal auf diese Reise, entdeckt man etwas Großartiges.

Autor:

Eric-Emmanuel Schmitt wurde in Frankreich 1960 geboren und ist ein französisch-belgischer Schriftsteller, Dramatiker und Filmregisseur. Nach dem Abitur studierte er in Paris und promovierte in Philosophie, unterrichtete mehre Jahre lang in Cherbourg und an der Universität in Chambery.

Zunächst arbeitete er als Autor für Theaterstücke und wurde 1993 mit dem Theaterpreis Moliere ausgezeichnet. Seine darauf folgenden Theaterstücke wurden in über 35 Ländern aufgeführt und in mehreren Sprachen übersetzt. Einzelne Romane wurden verfilmt.

2009 führte er selbst bei „Oskar und die Dame in Rosa“ Regie. Schmitt lebt in Brüssel und besitzt neben der französischen auch die belgische Staatsbürgerschaft.

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Rafik Schami: Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat

Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat Book Cover
Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat Rafik Schami dtv Erschienen am: 01.08.2013 Seiten: 207 ISBN: 978-3-423-14231-1

Inhalt:

Seit beinahe vierzig Jahren lebt Rafik Schami nun schon in Deutschland, seinen staunenden und kritischen Blick auf den deutschen Alltag hat er dabei nicht verloren.

Unnachahmlich charmant erzählt er in den teilweise erstmals veröffentlichten Erzählungen aus den Jahren 1990 bis 2010 von den Deutschen und ihren sprachlichen Eigenheiten, wundert sich über die unerschütterliche Konsequenz, mit der deutsche Gäste bei Einladungen selbst gemachten Nudelsalat mitbringen, muss erfahren, dass ein Kaufhaus kein Basar ist, verrät, warum er kein Amerikaner wurde, und schließt – beinahe – Freundschaft mit der sprechenden Stubenfliege Subabe. (Verlagstext)

Rezension:

Rafik Schami hat das Glück und Unglück in zwei Welten zu leben, zwischen diesen hin und her wechseln zu können, manchmal auch zu müssen. Seit jahren lebt der autor, der inzwischen auf zahlreiche schriftstellerische Erfolge zurückblicken kann, in Deutschland und ist längst integriert, fühlt dann aber doch das Besondere seiner Biografie.

Die Abweichungen und die Vorzüge, sich aus mehreren Kulturen berechtigt bedienen zu können und die Menschen von unterschiedlichen Standpunkten aus beobachten zu können.

Und so ist auch diese, wie diverse andere, Textsammlung Rafik Schamis entstanden, der die Pünktlichkeit der Deutschen ebenso bemerkt, wie für ihn unverständliche Essgewohnheiten. Nudelsalat in x verschiedenen Ausführungen geht gar nicht. Zumindest nicht auf einmal.

Und so erzählt der syrisch-stämmige Autor von seiner Kindheit und Jugend in damaskus, seiner Flucht vor den Händen des syrischen Staates und seines Vaters und sein Leben in deutschland.

Alleine, die Sprünge sind zu groß. Dieser Band enthält eine Auswahl seiner Texte aus diversen Kolumnen, mir wäre eine zusammenhängende Erzählung seines Lebens lieber gewesen. So aber war für mich das erste Drittel der Texte sehr gut lesbar, die begeisterung hat dann jedoch mit den nachfolgenden texten nachgelassen.

Über sein schriftstellerisches Werden, über das man gerade am Anfang der Texte mehr erfahren will, erfährt man so gut wie nichts. Vielmehr wandeln sich die Texte von einer Selbstbeobachtung zur Betrachtung anderer, was dem Lesefluss nicht gut tut.

Dies mag an der Kürze der Texte liegen. Ich hätte ganz gerne längere und ausführliche Betrachtungen seines Lebens oder die andere Menschen gelesen.

Die Sprünge zwischen den Themen und Zeiten, die der Autor hier versammelt (Oder eher dtv hier zusammengestellt hat?) sind mir zu groß und zu viele, was sehr schade ist. Denn erzählen kann Rafik Schami durchaus. Würde mich über eine größere zusammenhängende Geschichte von ihm freuen.

Autor:

Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus/Syrien geboren und wanderte 1971 nach Deutschland aus. Nach der Schule studtierte er in damaskus Chemie, Mathematik und Physik und promovierte in Chemie 1979 in Heidelberg.

Neben diverser Nebenjobs während des Studiums veröffentlichte er zahlreiche Texte und Anthologien, zunächst in arabischer, seit 1977 auch in deutscher Sprache. Sein erstes Buch auf Deutsch erschien 1978 („Andere Märchen“). Seit dem gründete er mehrere Literaturzirkel und Veröffentlichungen über Literatur.

Schami engagiert sich seit Jahren für die Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis, wird daher von vielen arabischen Autoren kritisiert. Rafik Schami erhielt zahlreiche Literatur-Preise und lebt mit seiner Familie in der Pfalz.

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Riad Sattouf: Der Araber von morgen – 2

Der Araber von morgen - 2 Book Cover
Der Araber von morgen – 2 Serie: Der Araber von morgen Graphic Novel Knaus Seiten: 158 ISBN: 978-3-8135-0724-9

Inhalt:

Ein Ausflug nach Palmyra. Riad sattouf zeichnet die Geschichte seiner Kindheit: Der Sohn eines Syrers und einer Französin kommt in Syrien in die Dorfschule. Trotz seiner blonden Haare und der Ferien in Frankreich am Meer unternimmt er alles, um ein echter Araber zu werden – wie sein Vater. (Klappentext)

Bücher der Reihe:

Gestaltung und Einordnung:
Es handelt sich hierbei um eine Graphic Novel, ein in einem bestimmten Zeichenstil auf hochwertigen Papier gedruckten Comic mit Klappenbrochure-Einband.   Tonangebend sind hier die Farben Rot und Grün, die jeweils die Kapitel kennzeichnen, die in der arabischen Welt spielen, wehrend die europäischen „Episoden“ kontrastreich in blauen Ton gehalten sind.  

Die Kapitel, die in Syrien oder Lybien spielen sind wesentlich kantiger gezeichnet. Dies ist der zweite Teil einer Trilogie.

Rezension:
Der französische Zeichner Riad Sattouf erzählt seine Geschichte weiter, die um so interessanter ist als das sie in einer der heutigen mit den größten Konflikten beladenen Regionen der Welt spielt.

Den seine halbe Kindheit verbrachte er in Syrien und erlebte dort den Gegensatz, zwar arabisch aufzuwachsen aber nicht arabisch zu sein. Aus diesen Erlebnissen heraus ist eine beeindruckende Graphic Novel Serie entstanden, die es in sich hat. Im kontrastreichen Rot und Grün erzählt der Autor von seinem Leben zwischen den Welten, die Beobachtungen seiner Kindheit und die Widersprüche, die das Leben der Eltern mit sich brachte. Ob für sich selbst, ihre Kinder oder den syrischen Verwandten.   Und so streift man im zweiten Band die Schulanfangszeit Sattoufs mit einem lachenden und einem kritischen Auge. Der Zeichner entdeckt sein Talent, was er später mal zum Beruf machen wird aber auch den Ernst der Welt der Erwachsenen.  

Die Unbekümmertheit der Vorschulzeit verfliegt zu Gunsten von Lehrern mit Rohrstöcken, in der Familie gibt es gar einen Ehrenmord mit dem sich Riads Vater konfrontiert sieht. Die Erzählung gewinnt an Tempo und man bekommt eine leise Ahnung, welchen Weg die Familienmitglieder später, nach dem Comic gehen werden.

Riad Sattoufs Zeichnungen sind detailliert und einprägsam. Ernste Szenen wechseln mit witzigen ab, so dass die Geschichte weder in das Eine oder Andere abrutscht, sondern ausgewogen bleibt. Wenn auch erste kleine Risse im Idealbild des Vaters und der Familie sichtbar werden.

Mir hat die Art, diesen Prozess darzustellen, und im Gegensatz zum ersten Band einen verhältnismäßig geringen Zeitraum zu fokusieren, sehr gut gefallen, zumal ich sonst nicht in diesem Genre (Graphic Novel) zu Hause bin.

Schafft der Autor dies auch im dritten Band fortzusetzen, hat der Leser nicht nur einen tollen Hingucker im Regal, sondern eben auch ein Stück erlebter Alltagsgeschichte, wie man sie sich vielleicht in manchen Teilen, nicht allen, heute für Syrien wünschen würde.

Graphic Novels sind spätestens seit „Persepolis“ in aller Munde. Man kann darüber streiten, ob dies nur eine Art und Weise ist, überteuerte Comics an Erwachsene zu verkaufen oder doch viel mehr.

Feststeht, ich habe es auch dieses Mal nicht berreut, mich dieser Ausgabe hingegeben zu haben, auch wenn ich nur bei wenigen Graphic Novels hängen bleibe.

Autor:
Riad Sattouf wurde 1978 in Paris geboren und ist Comic-Zeichner und Filmemacher. Aufgewachsen in Lybien un Syrien kehrte er mit 13 Jahren nach Frankreich zurück und studierte Animation. Er avancierte in Folge dessen zu einem der bekanntesten Comic-Künstler seines Landes.   Von 2004 bis 2014 zeichnete er für das Satire-Magazin Charlie Hebdo und wurde unter anderem mit dem Prix Rene Goscinny ausgezeichnet. Den bekam er für seinen Erstlingsfilm „Jungs bleiben Jungs“. Mit seiner Familie lebt und arbeitet er in Paris.

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Anna Maria Sanders: Ich dreh gleich durch!

Ich dreh gleich durch! Book Cover
Ich dreh gleich durch! Anna Maria Sanders Gütersloher Verlagshaus Erschienen am: 25.04.2016 Seiten: 304 ISBN: 978-3-579-08633-0

Inhalt:

Max, 11 Jahre alt, lebhaft, quirlig, impulsiv, planlos, vergesslich, eine richtige Nervensäge, aber auch ein äußerst liebenswerter Zappelphilipp – ein Kind mit ADHS.

Wie mag sich ein solches Kind in seinem Alltag mit all dem Chaos fühlen? In diesem Buch kommt zum ersten Mal ein ADHS-Kind selbst zu Wort. Max erzählt witzige Episoden aus seinem Leben.

Er lässt uns lachen, weinen und nachdenklich sein und verhilft uns durch seine entwaffnende Offenheit zu einer Riesenportion Verständnis und Gelassenheit. Auch diejenigen, die mit ihm zu tun haben, schreiben sich in einem erfrischenden Perspektivwechsel ihre liebe Not mit dem Energiebündel von der Seele. (Klappentext)

Rezension:

Ich halte nichts davon, Probleme mit Ratgeberbüchern zu lösen, die aufgrund ihrer Fülle und Lösungsansätze Probleme nicht lösen, sondern eher dazu beitragen, noch mehr zu verwirren. Dieses Buch hier aber, ist anders.

Erstmals wird in Tagebuchform aus der Sicht eines von ADHS betroffenen Kindes dessen Alltag beschrieben, der nicht nur für seine Umgebung, Eltern, Klassenkameraden und Lehrer äußerst anstrengend ist, sondern eben auch für Max.

Der Elfjährige, der völlig uncool zu seinem Geburtstag ein Tagebuch geschenkt bekommt, beginnt sich den Alltagsfrust von der Seele zu schreiben und bringt dabei allerhand witzige, traurige und nachdenklich machende Begebenheiten zur Sprache, ebenso wie seine Eltern, sein Großvater, seine schreckliche Tante und die Lehrerschaft, die die Mutter mit E-Mails ob der Schandtaten ihres Sohnes bombardieren und oft nicht wissen, wie umgehen mit dem kleinen Energiebündel.

Und nach und nach beginnen alle Seiten die jeweils andere zu verstehen. Max lernt sich selbst besser kennen, seine Eltern verlassen sich nicht allein auf Bücher oder aber wohlmeinende, kontraproduktive Verwandte, sondern vor allem auf Liebe, Einfühlungsvermögen, ihre erprobten Nerven und Intuition.

Nach und nach lernt man den Jungen einfach nur lieben und versteht, dass gerade Kinder mit solch einem Handicap ganz besonders sind.

Literarisch natürlich ist dieses Buch kein großer Wurf. Muss es auch nicht sein. Der Ansatz ist es, welcher diesen Ratgeber, der keiner sein will, so interessant macht. Warum nicht einfach einmal einen Betroffenen, zumal noch Kind, selbst zu Wort kommen lassen?

Gerade im Bereich ADHS, welcher von kontroversen debatten bestimmt und überdies noch nicht zur Gänze erforscht ist, eion radikaler Neuversuch, dieses Syndrom zu betrachten.

Die Autorin lässt dabei die Erfahrungen aus der Erziehung ihres jüngsten Sohnes, der ebenfalls an ADHS leidet, mit einfließen, sowie aus diversen medizinischen Studios und, ja, auch Ratgeberbüchern vor allem wissenschaftliche Betrachtungen mit einfließen.

Die Lösung aber findet sie selbst, ohne Medikamente, die sie laut ihrer Homepage aber auch nicht verteufeln will, denn sie können eine mögliche Lösung sein. Je nach dem. Schließlich muss jeder Fall individuell betrachtet werden. Allein, bei Max helfen andere Dinge.

Dieses Buch soll all jenenen Mut machen, die unter ADHS leiden oder mit Betroffenen einen oft sehr viel schwereren Alltag meistern müssen als die meisten von uns. Es ist auch jenen zu empfehlen, die vielleicht nicht direkt aber in der Verwandtschaft oder als Lehrer und Erzieher mit ADHS-Kindern zu tun haben.

Einen solchen Einblick können viele Fachbücher so nicht bieten und viele Lösungsansätze sind zu stark fokussiert, ohne dass äußere vom Tellerrand zu betrachten. Gespickt mit fachlichen Informationen, Erläuterungen zum realen Vorbild von Max Bergmann und den Tagebucheinträgen, die sich zum teil aus dem real Erlebten der Autorin, ihres Sohnes und der Familie speisen, ist dieses Buch unglaublich wertvoll und jedem zu empfehlen.

„Ich dreh gleich durch!“, sollte zur Pflichtliteratur aller Eltern und Betroffenen werden, die mit ADHS in Berührung kommen. Am Ende ist Verständnis der Weg zum Ziel.

Autorin:

Anna Maria Sanders wurde 1961 geboren und lebt verheratet mit ihrer Familie in Salzburg. Nachdem sie 1980 die Schule mit dem Abitur abgeschlossen hat verbrachte sie mehrere längere Aufenthalte in den USA und studierte in Salzburg Germanistik.

Sie arbeitete als Sprachlehrerin und beschäftigt sich seit der Geburt ihres zweiten Sohnes mit ADHS, worüber sie 2014 begann ihre Erfahrungen mit den Familienalltag eines ADHS-Kindes aufzuschreiben.

Die Autorin: http://www.anna-maria-sanders.com/autorin/

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Michael Byrne: Lottery Boy

Lottery Boy Book Cover
Lottery Boy Michael Byrne Verlag: cbt Erschienen am: 21.09.2015 Seiten Hardcover: 317 ISBN: 978-3-641-15490-5

Inhalt:

Bully hat niemandnen mehr auf der Welt außer seinem Hund Jack. Doch dann: Das große Los. Ein Lottoschein mit sechs Richtigen. Es gibt da nur ein kleines Problem. Der Gewinn verfällt in fünf Tagen. Und Bully braucht einen Erwachsenen, um an das Geld, zu kommen. Aber wen kann er vertrauen? (Klappentext)

Rezension:

Wen gönnt man eigentlich einen Gewinn? Einen Jackpot im Lotto zum Beispiel. Doch wohl den, den man gar nicht auf der Rechnung und der es am nötigsten hat? Und so begegnet dem Leser Bully, eigentlich Bradley, 12 Jahre alt, Protagonist dieses Romans.

Der Junge, der auf der Straße lebt, seine Mutter verloren hat und nur noch lose Verbindungen zu seinem früheren Leben hat, schlägt sich mit seinem Hund Jack so eben durch. Dabei macht er dies so sympathisch, dass man ihn sofort ins Herz schließt und seinen Weg gern verfolgt.

Doch das tun auch andere. Besonders als Billy entdeckt, dass der Lottoschein, den seine Mutter einst ausfüllte, sechs Richtige ausweist. Der Jackpot ist geknackt. Einziges Problem, Bully hat niemanden, den er trauen kann und so beginnt, als die Straßenszene Londons vom „Goldjungen“ Wind bekommt, eine gnadenlose Jagd auf ihn.

Und der Zwölfjährige weiß nun nicht, wen er trauen kann. Doch, ohne Erwachsenen kommt er nicht an das Geld. Was also tun?

Noch nie war eine moderne Version von Oliver twist, der Vergleich drängt sich hier unweigerlich auf, so sympathisch. Michael Byrne schafft es mit wenigen Sätzen den Leser in den Bann zu ziehen. Diese Mischung aus Abenteuer, Spannungsroman, Krimi hat es in sich und das nicht zu knapp.

So sehr, dass es nicht nur den jugendlichen Leser gefallen mag, sondern auch Erwachsene. Der Autor beschreibt eindrucksvoll das Leben auf den Straßen von London, fernab jeder häuslichen Wärme und die Berührungspunkte zu einer Welt, die den Obdachlosen der Metropole zumeist verschlossen bleiben.

Die Nöte von der Unterkunft bis zur nächsten Mahlzeit, dass Hoffen und Bangen werden so detailliert beschrieben, dass man gar nicht anders kann, als Bully in sein Herz zu schließen.

Dieser Roman ist nicht schwarz und nicht weiß, wobei für Bully der Feind, der an seinen Gewinn heran möchte, völlig klar ist. Ansonsten aber haben alle Figuren, wie auch im realen Leben, ihre Schattierungen, Nöte, Ängste und Probleme. Am Greifbarsten bleibt freilich der Hauptprotagonist. Michael Byrne schafft es, mit Bully den Leser in seinen Bann zu ziehen. Die Seiten fliegen nur so dahin.

Man bangt mit dem sympathischen Jungen, der doch nichts anderes will als ein besseres, ein anderes Leben, dabei wie ein kleiner Junge, der er ja auch ist, träumt und dennoch erwachsen und überlegt strategisch handeln muss.

Ein wunderbarer atemberaubender Roman für kleine und große Jungen. Ein moderner Oliver Twist, der sich „gewaschen“ hat. Im Jungen- und Jugendbuch-Bereich lange nicht mehr so was gutes gelesen.

Autor:

Michael Byrne arbeitete zunächst als Englisch-Lehrer, nachdem er an der Thannes Valley University in London studiert hatte. Er unterrichtete an einer weiterführenden Schule in der Nähe von Heathrow. Nach einem Umzug nach Winchester arbeitete er dann als Taxifahrer und schrieb sein erstes Buch „Lottery Boy“. Mit seiner Familie lebt er in Winchester.

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Michael Brenner: Israel – Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates

Israel - Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates Book Cover
Israel – Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates Michael Brenner C.H. Beck Erschienen am: 21.01.2016 Seiten: 288 ISBN: 978-3-406-68822-5

Inhalt:

Juden waren über Jahrhunderte verfolgte Außenseiter. Die Gründung des Staatsollte endlich eine ganz normale Heimat für sie schaffen. Doch heute sieht sich der jüdische Staat selbst in der Rolle des misstrauisch beobachteten Außenseites.

Michael Brenner erklärt, wie es dazu kommen konnte. Er verwebt auf meisterhafte Weise die politische und gesellschaftliche Entwicklung Israels mit der Geschichte seiner Selbstentwürfe, Träume und Traumata. Nur wer diese Tiefendimensionen kennt, kann das große kleine Land, das immer wieder die Welt in Atem hält, wirklich verstehen. (Klappentext)

Rezension:

Über kaum ein anderes Land wird im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl und Flächengröße so unverhältnismäßig viel berichtet, wie über Israel, ist dieser Staat doch ein künstlich geschaffenes Gebilder in einer schon damalig existierenden Konfliktregion, was nicht gerade zum Frieden unter den bereits dort lebenden Menschen beigetragen hat.

Hinzu kommt, dass die Menschen inner- wie außerhalb immernoch eine Definition für dieses Land suchen, was die Welt in Atem hält. Wie definiert sich die Heimstätte der juden? Was ist das überhaupt? Welche Religion sollte die Religion spielen?

Basis sein für eine Gesellschaft oder eher lose Werte-Orientierung? Wer ist Israeli, wer nicht, wer ist jüdischer Staatsbürger und wer kann dazu werden? Welche Rechte und Pflichten hat welche gesellschaftliche Gruppe in diesem Mittelmeer-Anrainerstaat und wo liegen die Grenzen? Geografisch, politisch, gesekllschaftlich, religiös und überhaupt?

Diese Fragen führten unter den jüdischen wie auch nicht-jüdischen Gruppen auf der ganzen Welt immer wieder zu Diskussionen undunüberbrückbaren Streitigkeiten, die heutzutage wieder zu Spannungen führen, die Israel um seine Zukunft bangen lassen.

Ideologische und religiöse Grabenkämpfe werden zwischend den Nachfahren der Holocaust-Überlebenden in In- und Ausland geführt. Immer wieder bestimmen Fragen über Einwanderer, Auswanderer, Rückkehrer und Juden in Israel selbst und der Welt sowie so die Wahlkämpfe und Regierungskoalitionen israelischer Politiker und am Ende bleibt nur eines.

Der israelische Staat sieht sich als besonderer Staat, der normal sein will, ein „klein Albanien“ unter den Ländern der Erde, es aber nicht sein kann, da sein Volk schon seit jeher eine Sonderrolle hat.

Und damit ist schwer umzugehen. Für Juden, Israelis und für den Rest der Welt schwer zu verstehen und kaum zu lösen. Michael Brenner erklärt hier eindrucksvoll, warum gerade Israel nicht zu begreifen ist aber uns immer wieder faszinieren und gleichzeitig erschrecken vermag.

Warum dieser kleine Staat, der kum so groß ist wie das Bundesland Hessen, in nahezu jeder gesellschaftlichen und politischen Frage vor einer Zerreißprobe steht und die Zukunft des hochtechnologisierten Landes gerade heute auf dem Spiel steht.

Wer Israel verstehen möchte, wird dieses Buch mit Gewinn lesen, hat am Ende jedoch mehr Fragen auf der Zunge, die sich Israel stellen muss, soll dieses Land auch weiterhin eine Existenzberechtigung haben.

Wohlgemerkt, diese stellen heute nicht zuletzt die jüdische Bevölkerung selbst infrage, deren Dreh- und Angelpunkte im Spannungsfeld zwischen dem säkularem Tel Aviv, dem religiösen Jerusalem, dem politischen Washington D.C. und der wieder anziehenden Metropole Berlin liegen.

Michael Brenner greift dies auf, verlangt dem Leser Konzentration und Denkvermögen ab und stößt einen gesellschaftlichen Diskurs an, der von den Juden geführt werden muss. Nur dann hat Israel seine Berechtigung und eine Chance, weiterhin den Stellenwert zu halten, den das Land in der Welt heute einnimmt.

Autor:

Michael Brenner wurde 1964 in Weiden geboren und wuchs als sohn zweier Shoa-Überlebenden in Bayern auf. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische geschichte und Kultur an der Universität München und Direktor des Center vor Israel Studies an der American University in Washington D.C.

Seit 2009 ist er ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und wurde 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zum Thema Jüdische Geschiche, u.a. „Kleine Jüdische Geschichte“, im Jahr 2008.

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Anne-Laure Bondoux: Die Zeit der Wunder

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Die Zeit der Wunder Anne-Laure Bondoux Übersetzung: Maja von Vogel Carlsen Taschenbuch Seiten: 189 ISBN: 978-3-551-31285-3

Inhalt:

Koumail ist Franzose, so hat seine Ziehmutter es ihm erzählt. Zusammen fliehen sie vor den Kriegswirren des Kaukasus nach Frankreich, ins Land der Menschenrechte. Dabei hat er ein klares Ziel: seine Mutter wiederfinden. Eine lange Odyssee liegt vor ihm, doch Koumail verliert nie den Mut – und auch nicht den Glauben an das Glück. (Klappentext)

Rezension:

Ein junger Mann sitzt in der Abflughalle eines Flughafens und zieht einen Brief aus der Tasche und seinen Pass. Und erinnert sich. An seine Vergangenheit, seine Kindheit.

Koumail ist 12 Jahre alt als er auf der Flucht von der französischen Polizei aufgegriffen wird und hat für sein Alter schon eine Menge erlebt. Der Junge kennt nichts anderes als Chaos, Krieg, Hunger und die Ungewissheit, wie der nächste Tag sein wird, doch eigentlich sollte ihn das nicht schrecken.

Denn, eigentlich heißt er ja Blaise, Blaise Fortune und ist Bürger der französischen Republik. Doch, seine Kindheit liegt in den Kriegswirren des Kaukasus, eine Region, die man nicht verstehen kann, die er nicht verstehen muss, so seine Ziehmutter Gloria, die sich um ihn kümmert, ihn antreibt und Hoffnung gibt, dass sich eines Tages alles ändern wird, wenn sie es schaffen vor den Milizen zu fliehen.

Dann ist Gloria plötzlich verschwunden und er allein. Zum ersten Mal hat Koumail/Blaise das Gefühl, von seinem Glück in Stich gelassen worden zu sein. Eine anrührende geschichte von brutaler Aktualität ist das, was uns hier Anne-Laure Bondoux vorlegt. Eine Geschichte, die für Kinder und Jugendliche geschrieben wurde, um die Problematik begreifbarer zu machen. Falls das überhaupt möglich ist.

Und sie spricht ein Thema an, welches in den Debatten über Flüchtlingszahlen, Quoten und Unterkünften untergeht und mehr Beachtung finden muss. Egal welcher Konflikt, egal wer die Flüchtlinge sind, am meisten leiden Kinder darunter, die viel zu schnell erwachsen werden müssen und um ihre Unbekümmertheit betrogen werden.

Weil die Erwachsenen Konflikte auf ihren Rücken austrägt. Und so gibt es dann auch immer Kinder, die Eltern verlieren, die nur Krieg kennenlernen und gar unbegleitet flüchten müssen. In der Hoffnung, dass sich ihrer jemand annimmt. Auf der Flucht und irgendwann im fernen Zielland.

Traumatisch und nichts beschönigend, aus Kinderaugen, schildert Anne-Laure Bondoux ein Kinderschicksal, wie es sich zu allen Zeiten, in allen Krisenregionen der Welt abspielen könnte. Ja, gerade jetzt hundertfach abspielt. Und jetzt. Und jetzt. Und in Zukunft.

Dieser kleine Roman ist eine Mahnung an die Erwachsenen, was sie mit ihren Konflikten gerade den jungen Menschen auf dieser Welt antun und ein Fingerzeig auf die Scharfmacher, die zu gern Zahlenspiele und Schreckenszenarien durchspielen, den einzelnen Menschen dahinter nicht sehen. Eine Mahnung, einmal inne zu halten und mehr „Zeit der Wunder“ zu zulassen, gerade die Jüngsten unter den Flüchtlingen aufzunehmen und willkommen zu heißen.

Der Schreibstil lässt flüssiges Lesen zu, ist einfühlsam und ehrlich. Nichts wird beschönigt. Bondoux lässt aber dem Protagonisten den Glauben an eine bessere Zukunft und dem Leser das Gefühl, dass es wichtig ist, nie aufzugeben und immer zu hoffen.

Ein Roman zu einer schwierigen Thematik und dennoch überwiegend positiven Grundstimmung, bei der man nicht umhin kann, den Protagonisten Koumail/Blaise ins Herz zu schließen. Zwar weiß man schon am Anfang die Lösung, doch der Weg Koumails ist hier das Ziel und um so beeindruckender dargestellt.

Natürlich ist es eine erfundene Geschichte, doch sie findet so oder ähnlich praktisch täglich statt. Sollte nicht dafür gesorgt werden, dass diese einen positiven Ausgang finden?

Autorin:

Anne-Laure Bondoux wurde am 23. April 1971 in Box-Colombes, Frankreich, geboren und ist eine französische Schriftstellerin. Sie studierte Moderne Literaturwissenschaften und arbeitete seit 1996 für verschiedene Literatur-Fachzeitschriften.

Seit 2000 ist sie selbstständige Autorin und setzt sich für die Förderung von Lesen und Schreiben bei verhaltensauffälligen Kindern ein und veranstaltet für diese Schreibwerkstätte. Ihre Werke wurden mehrfach übersetzt und vielfach ausgezeichnet.

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Alastair Bonnett: Die seltsamsten Orte der Welt

Die seltsamsten Orte der Welt Book Cover
Die seltsamsten Orte der Welt Alastair Bonnett C.H. Beck Erschienen am: 15.12.2015 Seiten: 296 ISBN: 978-3-406-67492-1 Übersetzer: Andreas Wirthensohn

Inhalt:

Spätestens seit Google Earth ist die Welt bis in den letzten Winkel erforscht und vermessen. Es gibt keine unbekannten Orte mehr, keine unberührten Eilande, nichts mehr zu entdecken – oder etwa doch? Alastair Bonnett stellt in diesem Buch faszinierende und außergewöhnliche Orte vor, die unsere Vorstellungen von der Welt gehörig durcheinanderbringen.

Sie tauchen auf und unter, wie die Inseln im Gangesdelta, verschwinden von Satellitenbildern, wie Sandy Island vor

der australischen Küste, oder verstecken sich unter Gebüsch und Gestrüpp, das alle Spuren überwuchert, wie auf der britischen Halbinsel Arne.

Unterhaltsam und leichtfüßig werden Orte wie Bir Tawil in Ostafrika beschrieben, die partout keine Nation haben will, oder Orte, die scheinbar zu zwei Nationalstaaten gleichzeitig gehören. Berichtet wird von versteckten Labyrinthen, unterirdischen, verlassenen oder überbauten Städten ebenso wie von ihrer historischen Entwicklung.

Lehrreich, aber nicht belehrend führt Bonnett durch geographische Kuriositäten und zeigt, dass auch für den heutigen Menschen das Entdecken nie aufhört. (Verlagstext)

Rezension:

Der Mensch hat nahezu alles vermessen und katalogisiert, eingeordnet und bestimmt, was auf der Erde existiert. Dennoch gibt es weiße Flecken, die es zu entdecken gilt und über die es sich nachzudenken lohnt. Orte, auftauchen um wieder zu verschwinden, Orte, die zu zwei Staaten gleichzeitig gehören, die kein Staat haben will, Orte, die nur vorrübergehend existierend oder gar nicht an der Oberfläche, sondern nur direkt darunter.

Alastair Bonnett widmet sich diesen geographischen Kuriositäten, ob nun von der Natur oder vom Menschen geschaffen und nähert sich diesen in philosophischer Betrachtung, was anders gar nicht machbar wäre. Er lässt uns nachdenken, über unsere gewöhnliche Definition von Orten und Grenzen, an selbigen, die alle Regeln zu kippen scheinen und schrieb mit seinem Buch nicht nur eine Hommage an eben diese sondern auch an die Menschen, die das Ungewöhnliche in ihren Alltag integrieren müssen, da sie dort leben.

Ich habe etwas anderes erwartet, keinesfalls eine derartige Herangehensweise, sondern eine mehr sachliche, die über diese Orte, eine überdies willkürliche aber interessante Aufzählung, berichtet. Dennoch gefiel mir, was ich gelesen habe. Schön, das ganze mal aus einem Blickwinkel zu betrachten, den ich so nicht angedacht habe.

Zudem schärft es auch ein Blick für Orte, über die man sich ansonsten nie Gedanken machen würde und gibt Anstoß, das nächste Mal die Landkarte genauer zu betrachten oder gar einige solcher Orte vielleicht selbst zu besuchen. Was ich mir z.B. im Falle Baarle-Naussaus und Baarle-Hertongs auf jeden Fall vornehmen werde.

Insgesamt hat mir diese Betrachtung sehr gut gefallen, wenn sie auch etwas ungewöhnlich war und ich gerne mehr über die Orte und ihre Geschichte, so sie eine haben, und über die Menschen, die dort leben, erfahren hätte. Trotzdem ist Bonnetts Denkanstoß dazu geeignet, alltägliche Definitionen neu zu justieren, dort, wo sie nicht mehr funktionieren und alleine das ist ein großer Pluspunkt, genau so wie die ungewöhnliche Aufzählung verschiedenster geografischer Kuriositäten.

Zu guter Letzt, nur weil sich das hier lohnt, auch einen Blick auf Cover und Umschlaggestaltung. Kein normaler Papierumschlag, sondern schon etwas fester, von der Struktur her wie ein dünneres Wackelbildchen. Nur ohne Wackeln.

Fasst sich ganz anders an, ist gewöhnungsbedürftig. Manche werden wohl das Gefühl bekommen, daran fest zu kleben, wenn sie den Umschlag vorher nicht abnehmen. Es ist eine Sache der Gewohnheit. Überdies wunderschön und sehr detailliert gestaltet, passend zur Thematik des Buches und zum Spezialgebiet des Autors. Ein Schmuckstück unter den Sachbüchern.

Insgesamt, eine Leseempfehlung von mir. Am besten selbst an einem ungewöhnlichen Ort.

Autor:

Alastair Bonnett ist Professor of Social Geography an der Universität Newcastle uund Autor zahlreicher wissenschaftlicher Werke und Herausgeber der psychogeographischen Zeitschrift „Transgressions: A Journal of Urban Exploration“. Er lebt in Newcastle upon Tyne in England.

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Isabel Bogdan: Sachen machen

Sachen machen Book Cover
Sachen machen Isabel Bogdan Rowohlt Erschienen am: 02.07.2012 Seiten: 219 ISBN: 978-3-499-62818-4

Inhalt:

Wer macht denn so was? Isabel Bogdan macht so was. Sie blamiert sich im Rhönrad, wohnt der Schlachtung eines Schweins bei, staunt auf einer Esoterikmesse, spielt Pingpong mit Punks, besichtigt einen Darm, schlüpft in eine Fett-weg-Hose und schüttelt ihr Haar beim Heavy-Metal-Festival in Wacken. Klingt nach einem großen Spaß? Ist es auch. 43-mal. Und wenn Sie das alles gelesen haben, wollen Sie plötzlich selbst Sachen machen. Wetten? (Klappentext)

Rezension:

Am Anfang dachte ich noch, warum sollte ich lesen, wie eine Frau Sachen macht? Nicht im Sinne von Sachen herstellen, sondern verschiedene Sachen ausprobieren. Nach den ersten Kapiteln war ich schon begeistert. Isabel Bogdan probiert Sachen aus, die sie schon immer machen wollte, sich aber nie dazu aufraffen konnte, sie auszuprobieren, aus Faulheit, aus Angst oder einfach, weil man sie zwar doch gerne täte aber nie dazu kommt.

Und so taucht sie ab, nimmt Schlagzeug-Unterricht, fährt Segway oder lässt sich nachts in einer Buchhandlung einschließen (!). Sie probiert kuriose Sportarten aus, überwindet sich und beweist Mut. Und mal im Ernst, hat nicht jeder schon einmal geträumt, bestimmte Sachen einfach zu tun und sie aus irgendwelchen Gründen nie in Angriff genommen?

Isabel Bogdan macht es vor, das „einfach machen“ und zeigt, dass das eigentlich ganz einfach ist, mal anstrengend, mal beängstigend, mal abstoßend, mal lustig sein kann aber auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.

Nicht jedes Kapitel hat mir gleich gut gefallen, wie auch Isabel Bogdan nicht jede Aktivität, doch stehen sie exemplarisch dafür, dass wir uns durchaus trauen sollten, bestimmte Dinge einfach mal auszuprobieren. Wo sind eigentlich meine schlittschuhe, wo meine Inliner und Segway fahren möchte ich auch einmal?

Wie sieht’s mit Fallschirmspringen aus und wo ist hier eine Buchhandlung, in der ich mich einschließen lassen kann? Ganz ehrlich, man bekommt Lust und Ideen, was man ausprobieren könnte und es muss nichts großes sein. Das ist es, was die Autorin sagen möchte, dass es sich lohnt über den Tellerrand seines Alltags zu schauen, mal etwas außerhalb der Reihe zu probieren und dabei ganz neue Dinge für sich zu entdecken oder auch nicht.

Aber auf jeden Fall hinterher sich sagen zu können, es wenigstens einmal probiert und einen anderen Blickwinkel zu haben. Denn, nichts ist so wie es scheint und nachher ist man um eine Erfahrung reicher.

Ein kurzweiliges amüsantes Buch, welches Einblicke in viele Aktivitäten gibt, die bewusst auch der „Normalo“ machen kann, wenn er/sie sich dazu aufraffen würde. Und dergleichen gibt es natürlich noch mehr. Wer dieses Buch gelesen hat, hat dann gleich Lust einfach mal Sachen zu machen. Viel Spaß beim Ausprobieren.

Hier, ein Auszug einer Lesung von Isabel Bogdan:

„Sachen machen“, von Isabel Bogdan. Einschließen in der Buchhandlung.

Autorin:
Isabel Bogdan wurde 1968 in Köln geboren und studierte nach dem Abitur Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin (u.a. Jonathan Safran Foer, Sophie Kinshalla und Megan Abbott), liest und schreibt selbst, hauptsächlich in Blogform aber auch in der Kolumne „Was machen die da?“, die Menschen beschreibt, die ihren gewöhnlichen und manchmal außergewöhnlichen Beruf leben und lieben.

Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Rettung des „anderthalb“ und erhielt 2006 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung, 2011 den für Literatur.

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Isabel Bogdan: Der Pfau

Der Pfau Book Cover
Der Pfau Isabel Bogdan Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 18.02.2016 Seiten: 248 ISBN: 978-3-462-04800-1

Inhalt:

„Einer der Pfauen war verrückt geworden.“ Dadurch bringt er das teambuilding-Wochenende einer Bankergruppe in den schottischen Highlands gehörig durcheinander. Eine subtile Komödie in bester britischer Manier. (Klappentext)

Rezension:

Mehr ist nicht im Klappentext zu lesen und ehrlich gesagt, mehr braucht es auch nicht. Tatsächlich besticht Isabel Bogdans Roman durch die Kargheit der schottischen Highlands, in denen es außer viel Grün und später Schnee nichts gibt.

Außer dem Landsitz eines Lords, das dieser aus finanziellen Gründen an Feriengästen vermietet und schließlich auch an einer Gruppe Londoner banker, die sich dort zum Team-Buildng einfindet. Wenig begeistert, die einen, da sie es für unnötig halten, die anderen, weil einer der Pfauen von Lord McIntosh verrückt geworden ist und alles Blaue angreift, was ihm vor den Schnabel kommt.

Als der Pfau dann auch noch das mettalic-blaue Auto der Chefin der Banker demoliert, lässt der Lord den Pfau verschwinden, nicht ahnend, dass er damit eine Kette von Ereignissen auslöst, die sämtliche Anwesende in die Bredouille bringt.

Isabel Bogdan hat mit „Der Pfau“ ihren ersten Roman geschrieben und eine Aneinanderreihung britischen Humors, der Seite für Seite den Leser zum Schmunzeln und Lachen bringt. Nicht zu viel, denn „die Lady ist eine Lady“, wobei sich diese Textstelle eher auf die Gläser Whisky beziehen, von dem es dort reichlich gibt ebenso wie andere schottische Spezialitäten.

Tatsächlich passiert an sich nicht viel, muss auch nicht. Das Verwirrspiel der Charaktere, deren unterschiedlichste Befindlichkeiten aufeinander treffen, ist Grund genug den „Pfau“ zu lesen und schon mal darüber nachzudenken, wie denn der wohl schmeckt. Und sich zu fragen, ob die Autorin nach Pfauengerichten gegooglet hat (hat sie, so auf der Lesung im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2016 erzählt).

Mir hat „Der Pfau“ sehr gefallen, nicht nur das wunderschöne Cover, vor allem, da es die Örtlichkeiten und den verrückt gewordenen Pfau tatsächlich gibt. Lord und Lady kann man googlen, die Widmung macht’s möglich, die Ferienhäuser werden tatsächlich vermietet und der Pfau greift blaue Autos an.

Die witzigsten Geschichten gibt es, zumindest in Teilen, wirklich. Das, komplett in indirekter Rede geschriebene, Buch liest sich flüssig und ist durchsetzt mit britischem Humor. Und wenn man nicht gerade Lust auf ein Pfauen-Gericht bekommt, dann zumindest auf einen Urlaub im Winter der schottischen Highlands.

Autorin:

Isabel Bogdan wurde 1968 in Köln geboren und studierte nach dem Abitur Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin (u.a. Jonathan Safran Foer, Sophie Kinshalla und Megan Abbott), liest und schreibt selbst, hauptsächlich in Blogform aber auch in der Kolumne „Was machen die da?“, die Menschen beschreibt, die ihren gewöhnlichen und manchmal außergewöhnlichen Beruf leben und lieben.

Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Rettung des „anderthalb“ und erhielt 2006 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung, 2011 den für Literatur.

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