Gesellschaft

Leipziger Buchmesse 2018 – Freitag

Wenn Buchmesse ist, versuche ich immer möglichst viel mitzunehmen. Nicht gerade Kugelschreiber und Notizblöcke, nach denen man eh seit mehreren Jahren explizit fragen muss, wenn man welche haben möchte, aber viele Lesungen, Diskussionen und Interviews möchte ich mir dann doch ganz gerne anschauen und so ging es am Freitag gleich früh am Morgen los, als am MDR Kultur Stand Rüdiger Frank über die Erlebnisse sprach, die zu seinem neuesten Werk „Unterwegs in Nordkorea„, führten, welches bei DVA erschien.

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Detlev Meyer: Das Sonnenkind

Das Sonnenkind Book Cover
Das Sonnenkind Detlev Meyer aufbau Verlag Erschienen am: 19.01.2018 Seiten: 232 ISBN: 978-3-351-03718-5

Inhalt:

Carsten ist fast zehn Jahre alt, ein wenig altklug und entdeckt die Welt mit seinen Kinderaugen. Das sind die Besuche des Cafe Kranzler mit Opa, das Spielen mit Freunden auf der Straße und die Eltern, die den kleinen wissbegierigen und manchmal alklugen Bengel, Herr werden müssen.

Doch, der Großvater erkrankt und versucht seine Umgebung davon abzuschirmen, der Junge indes macht seine ganz eigenen Erfahrungen mit der ihn meist wohlgesonnenen Umgebung, die dennoch ihre Tücken hat. Bühne frei für das Sonnenkind… (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Carsten, fast zehn Jahre alt, wächst im „richtigen“ Teil Berlins auf, als der Westen im Wohlstand des Wirtschaftswunders schwelgte, sich die Demokratie dadurch etablierte und überhaupt das Leben am schönsten ist. Warum auch nicht, wo doch der Junge von allen gemocht wird?

Die Großeltern dichten sich eine adlige Herkunft an, verwöhnen ihren Enkel nach Strich und Faden, der Vater hadert mit den Kriegserinnerungen, versucht nach vorne zu blicken, der Großvater hat eine Geliebte und der Bruder macht aus allem ein Geschäft. Und alle mögen den Sonnenschein, vom Truseweg aus Neukölln, welches noch nicht das Viertel von Einwanderen ist, welches es einmal werden wird. Das Leben ist schön.

Detlev Meyer erzählt aus der Kindheit seines alten Egos. Entstanden ist mit den „Sonnenkind“ ein wunderbares Straßenportrait liebenswerter Figuren, die Betrachtung einer quirligen, sich findenden Metropole in Kleinformat.

Der Leser erfährt die Welt aus der Sicht eines altklugen, wissbegierigen, aber vorwitzigen und liebenswerten Bengels, der es faustdick hinter den Ohren hat, damit aber ganz und gar nach der Familie kommt.

Alle Charaktere sind schrullig, neben der Spur und doch so, wie man die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Berliner darstellen würde, wäre dies gefordert. Passieren tut dabei nicht viel, es ist trotzdem amüsant zu lesen, wie der Kleine die Widersprüchlichkeit der Erwachsenenwelt begreift und für sich zu nutzen weiß.

So wird der grantige Hausmeister ebenso um den kleinen Finger gewickelt, wie der tödlichen Krankheit des Großvaters der Schrecken genommen und der Leser kann gar nicht ohne Schmunzeln, Lächeln, von Zeile zu Zeile springen, Wort für Wort in sich aufsaugen. Ein kleiner Großstadtroman, der es in sich hat.

Geschrieben aus wechselnder Ich-Perspektive der handelnden Protagonisten ist der Lesende nah dran an den Figuren, die man durchweg für voll nehmen kann. Genau so stellt man sich diese und jene Person vor, und eben nicht anders.

Der Schreib- und Erzählstil macht sie greifbar, den Großvater, der seinem geliebten Enkel die Krankheit zu erklären versucht, sich selbst aber ebenso erklären muss, den Vater, der versucht Frau und Söhnen Herr zu werden und die Kinder, die ob ihres Charakterzugs im gesamten Straßenzug berühmt und berüchtigt sind.

Autobiographische Züge hat der Roman, in dem der Autor auf vorangegangenes Geschriebenes und auf seine Kindheit Bezug nimmt und sich so selbst ein Denkmal gesetzt ha.

Es is dies, sein letztes großes Werk, in welchen Detlev Meyer sich seiner Kindheit bewusst wird, die schön und angenehm war, als die Welt noch fass- und beherrschbar war, der Mauerbau nicht drohte und überhaupt Politik keine Rolle spielte. Nicht für einen Zehnjährigen, dessen Interesse sich nur in den Grenzen seiner unmittelbaren Umgebung bewegt.

„Das Sonnenkind“, ist ein gefälliger Roman, dessen Wirkung man sich kaum entziehen können wird, der gute Laune, eben die eines Kindes, verbreitet und mit Gewinn gelesen werden kann. Vielleicht sollten wir uns alle irgendwann an unsere Kindheit, an die Sonnentage, erinnern? Es könnte sich lohnen.

Autor:

Detlev Meyer wurde 1948 in Berlin geboren und studierte zunächst Bibliotheks- und Informationswissenschaften, bevor er als Bibliothekar in Toronto und Entwicklungshelfer in Jamaika arbeitete.

Er erhielt mehrere Literaturstipendien und widmete sich in Gedichten und Prosatexten als einer der wenigen offen schwul lebenden Autoren der Szene, sowie der Bedrohung durch Aids und deren Folgen. Sein letzes Werk erschien postum 2001 (Das Sonnenkind), nachdem er 1999 starb.

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Björn Berge: Atlas der verschwundenen Länder

Atlas der verschwundenen Länder Book Cover
Atlas der verschwundenen Länder Björn Berge Verlag: dtv Erschienen am: 09.03.2018 Seiten: 239 ISBN: 978-3-423-28160-7

Inhalt:

Es gibt unzählige Länder, die im Laufe der Zeit wieder von den Landkarten verschwunden sind, und von vielen ist nichts geblieben. Björn Berge hat sich für diesen Atlas der anderen Art von seiner Briefmarkensammlung inspirieren lassen.

Angeregt von diesen kleinsten Dokumenten der Welt hat er sich auf eine spannende Spurensuche begeben und lässt alte Länder und Zeiten wieder auferstehen. Es finden sich bekannte Namen wie Helgoland, Schleswig und Danzig ebenso wie extische, darunter Inini, Sazan oder Kap Juby. (Klappentext)

Rezension:
Es gibt viele Arten Macht auszuüben und zu zeigen, Briefmarken heraus- und in den Druck zu geben, war viele Jahrhunderte eine davon. Sie zeigen, wer gerade zu jener Zeit die politische und wirtschaftliche Macht innehatte, die Art des Druckes lässt auf die Eigenheiten jener Regionen, den Wünschen und Vorstellungen ihrer politischen Führer, Ansprüche erkennen.

Das Material z.B. der Farbe, des Papiers, des Klebers auf die Voraussetzungen, auf die man sich örtliche einlassen musste. Ein gefülltes Briefmarkenalbum erzählt Geschichten von Städten, Ländern, und Politik, in aller erster Linie jedoch von denen, die sie benutzten.

Björn Berge hat sein Briefmarkenalbum hervorgeholt und dabei besondere Wertzeichen genauer unter die Lupe genommen. Der Autor nimmt seine Leser mit in längst vergessene Zeiten, Länder, die es nicht mehr gibt. Wie mit dem in etwa vergleichbaren „Atlas der erfundenen Orte“ von Edward Brooke-Hitching, ist mit den vorliegenden Werk dem dtv-Verlag ein erneuter Coup gelungen.

Das Sachbuch, welches sich auf den ersten Blick mit einem etwas langweiligeren Thema bechäftigt, offenbart, wie einst die Welt ausgesehen hat und welche Macht- und Ränkespiele sich überall auf unseren Planeten über die jahrhunderte lang abgespielt haben.

In Form von Postwertzeichen, nicht unbedingt wertvoll, gebraucht und zerschlissen sowie so, erzählt der Autor ihre Geschichte, die heute fast vergessen ist. In kurzweiligen, jeweils gerade einmal ein paar Seiten langen Kapiteln, begibt sich der norwegische Autor auf Spurensuche.

Ergänzt durch Personengeschichte und immer mit Quellenangabe weiterführender Literatur, manchmal auch ortsüblichen Kochrezepten und Berichten von damals dort lebenden Personen, ist eine bunte Mischung von Geschichten entstanden, die vom kurzen oder längeren Leben der Länder erzählen, die sich so selbstsicher fühlten, um eigene Briefmarken herauszugeben, und doch heute im Nirvana der Geschichte verschwunden sind.

Detailliert beschreibt der Autor die im Mittelpunkt stehenden Marken und offenbart, dass sie keineswegs nur dröges Papier darstellen, sondern Gegenstände, die etwas zu erzählen haben.

Es ist ein Buch für Sammler und Fans mitunter kurioser, aber immer auch spannender Geschichtsschreibung, die von wechselhaften Mächteverhältnissen, Glücksrittern und Pechvögeln, kolonialen Größenwahn und Entdeckerstolz erzählt, aber auch von den Unglücken, mitunter in recht kurzer Zeit, von den Landkarten und damit vom Tableau der Weltgeschichte zu verschwinden.

Immer mit Weitblick, so manches Mal mit Stirnrunzeln und oft mit einer Brise Scharfsinn und Humor liegt mit dem „Atlas der verschwundenen Länder“ ein besonderes Geschichtsbuch vor, welches dazu anregt, seine eigene (oder geerbte) Briefmarkensammlung hervorzuholen und auf Entdeckungstour zu gehen.

Vielleicht finden sich ja noch mehr spannende Geschichten, die es zu erzählen gilt?

Autor:
Björn Berge ist ein norwegischer Architekt und Wissenschaftler, der eine Leidenschaft für’s Wandern und dem Sammeln von Treibgut hegt. Sein zweites großes Projekt ist eine Sammlung von Briefmarken, von allen Ländern, die je auf der Erde existiert und welche herausgegeben haben.

Im vorliegenden Buch stellt er eine Auswahl von Briefmarken und deren Geschichten vor.

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Ian Kershaw: Höllensturz – Europa 1914 bis 1949

Höllensturz - Europa 1914 bis 1949 Book Cover
Höllensturz – Europa 1914 bis 1949 Ian Kershaw DVA Erschienen am: 12.09.2016 Seiten: 764 ISBN: 978-3-421-04712-9 Übersetzung: Klaus Binder (u.a.)

Inhalt:

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stürzt sich Europa in eine selbstverschuldete Katastrophe, die historisch ohne Beispiel ist. Über drei Jahrzehnte hinweg, von 1914 bis 1949, prägten Kriege, Völkermorde, Vetreibungen und politische Unruhen die Geschichte des Kontinents.

Ian Kershaw gelingt ein Glanzstück der modernen Geschichtsschreibung in seiner Schilderung dieser gleichermaßen faszinierenden wie beklemmenden Ära, in der Europa sich beinahe selbst zerstört hätte.

Meisterlich denkt er die wichtigsten Entwicklungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der europäischen Länder zusammen und führt uns die Auswirkungen des tiefgreifenden Wandels auf das Leben von Millionen von Menschen vor Augen. (Klappentext)

Rezension:

Sehr umfangreiche und detaillierte Sachbücher führen wohl ein Nischendasein in unseren Buchhandlungen, doch entdeckt man unter den „Wälzern“ bei genaueren Hinsehen immer wieder Schätze, die es sich zu Betrachten lohnt.

Ian Kershaw ist ein Garant für solch eine Literatur, die selbst mit der Thematik vertrauten Lesern neues und vielschichtiges Hintergrundwissen vermittelt. Hier zumeist inhaltlich sich mit den Zweiten Weltkrieg und Hitler als Person befassend.

Aber auch der große Zeiten-Überblick gelingt dem britischen Historiker, der sich wissenschaftlich und auch sonst wieder einmal ein Denkmal zwischen zwei Buchdeckeln geschaffen hat.

„Höllensturz – Europa 1914 bis 1949“, erzählt die Geschichte eines Kontinents in Umbruch, von Ländern, die sich gegenseitig in unvergleichliche Abgründe getrieben haben und von Menschen, die ihresgleichen millionenfach in zwei schrecklichen Kriegen vernichteten.

Es ist unsere Geschichte, die zum Fanal für mehrere Generationen und ihrer Auswirkungen, die noch mehrere Jahrzehnte spürbar waren. Europa im modernen beinahe 30-jährigen Krieg.

Ian Kershaw hat sich der schwierigen Thematik angenommen und beleuchtet dieses Mal nicht nur die geschichte der Deutschen, sondern die Geschichte der großen und kleinen Länder des kontinents.

Er erläutert detailliert, wie es zur Urkatstrophe des 20. Jahrhunderts kommen konnte und weshalb vor 1949 demokratische Staatsformen Schwierigkeiten hatten, sich zu etablieren.

Der Autor analysiert den Niedergang des British Empire zugleich mit den Aufstieg der USA und das auseinanderbrechende Mächtegleichgewicht zwischen Frankreich, dem Deutschen Reich und dem Russischen Reich, erklärt weshalb der Staat der Habsburger in einer Kettenreaktion seinem Untergang entgegen kämpfte, die schließlich auch andere Staaten ins Unglück stürzte.

Messerscharf beleuchtet er gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Komponenten, macht fassbar, was unfassbar ist.

Geschichte begreiflich zu machen, ist die vornehmste Aufgabe der Historiker und Ian Kershaw beherrscht dies perfekt. Bewiesen hat er es schon mit seiner Hitler-Biografie, die in der wissenschaftlichen Aufarbeitung Maßstäbe setzte, hier legt der Historiker jedoch noch eine Schippe drauf.

Natürlich ist der Einstieg in die Thematik nicht einfach, tatsächlich wird, wer die Detailliertheit und Informationsfülle nicht gewohnt ist, Schwierigkeiten bekommen. Und ja, Vorbildung und Interesse empfiehlt sich.

Wer jedoch Geduld mitbringt, wird mit umfangreichen Analysen, verständlich gezogenen Linien von Überblickswissen und einer Genauigkeit belohnt, die ihres Gleichen sucht.

Ian Kershaw setzt hier Maßstäbe in der Verarbeitung von unzähligen Quellen, dessen Verzeichnis knapp gehalten ist, jedoch auf das unfassbar zahlreiche Material hinweist, welches dem Autoren zur Verfügung stellt. Geschichtswissenschaft für Fachleute und das gemeine Volk, Kershaw schafft beides.

Es ist Lektüre, die ein hohes Maß an Konzentration erfordert, deren Leser jedoch mit Wissen, neuen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen belohnt werden. Es ist die Aufarbeitung des 20. Jahrhunderts aller europäischen Völker, welche sich Ian kershaw zu einem Langzeitprojekt gemacht hat.

Die zweite Hälfte, eine glücklichere Zeit, wird ebenso ausgearbeitet erscheinen, so zumindest der Historiker im Vorwort, der wissenschaftlich korrekt auf die Vielzahl an Arbeiten anderer Historiker hinweist, die auch ihm als Grundlage zum Schreiben dienten.

Das Lesen solcher Bücher ersetzt den Geschichtsunterricht und wirkt effektiv nach. Geschichte muss nicht trocken sein, Sachbücher nicht pur theoretisch, so gelingt moderne Vermittlung, auf dass sich die Vergangenheit nicht wiederholen mag.

Kershaw appeliert an unser Gewissen, denn der nächste Krieg, soviel ist 1949 schon klar, hat das Potential, die Menschheit völlig zu vernichten. Eingeleitet durch Zitate berühmter Personen aus Politik und Kultur jener Zeiten schwebt in den ausführlichen Kapiteln diese Warnung wie ein Damoklesschwert über die Köpfe der Leser.

Uns sollte daran gelegen sein, es nicht hinunterfallen zu lassen.

Autor:

Sir Ian Kershaw wurde 1943 in Oldham, Lancashire geboren und ist ein britischer Historiker, der durch seine Schriften zum Nationalsozialismus, besonders durch seine Hitler-Biografie Bekanntheit erlangte.

Nach der Schule studierte er geschichte und war zunächst Dozent für Mittelalterliche und Moderne Geschichte an der University of Manchester. Nebenbei erlernte er im Goethe-Institut seiner Stadt die deutsche Sprache und verlagerte seinen Tätigkeitsschwerpunkt auf die deutsche Geschichte.

1983/84 hatte er eine Gastprofessur an der Ruhr-Universität Bochum inne, 1987 nahm er eine Professur in Nottingham an, später in Sheffield, wo er bis Ende september 2008 Geschichte lehrte. Zahlreiche Auszeichnungen erhielt er für seine Aufarbeitung deutscher und europäischer Geschichte, u.a. das Bundesverdienstkreuz.

2002 wurde er zum Ritter geschlagen. 2012 erhielt er den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. 2013 wurde er für sein Lebenswerk mit den Meyer-Struckmann-Preis geeehrt. Seine Werke gelten als geschichtswissenschaftliche Standardliteratur.

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T.C. Boyle: Die Terranauten

Die Terranauten Book Cover
Die Terranauten T.C. Boyle Erschienen am: 09.01.2017 Hanser Verlag Seiten: 606 ISBN: 978-3-446-25386-5

Inhalt:

Zwei Jahre lang darf keiner der acht Bewohner die Glaskuppel von „Ecosphere 2“ verlassen. Egal, was passiert. Touristen drängen sich um das Megaterrarium, Fernsehsender filmen, als wäre es eine Reality-Show. Eitelkeit, Missgunst, Rivalität – auch in der schönen neuen Welt bleibt der Mensch schließlich doch, was er ist. Und es kommt, wie es kommen muss: Der smarte Ramsay verliebt sich in die hübsche Dawn – und sie wird schwanger. Kann sie das Kind in der geschlossenen Sphäre austragen oder muss das experiment abgebrochen werden? […] (Umschlagtext)

Rezension:

Die amerikanische Weltraumorganisation NASA und auch ihr europäisches Pendant ESA arbeiten bereits seit einigen Jahren an Plänen für die Zukunft der bemannten Raumfahrt. Diese sollen die Menschen nicht nur erneut zum Mond, sondern auch, im Idealfalle auf den Mars führen. Ein Szenario, was nach derzeitigen technischen Stand durchaus realistisch ist.

Nur, wie bereitet man sich auf solch eine Mission vor? Wie trainiert man ein Überleben in geschlossenen Systemen, abhängig von den vorhandenen Ressourcen und nur wenigen Menschen, wie sie einem auch in einer ebensolchen Mission zur Verfügung stehen würden? Doch wohl nur auf der Erde.

Dieses Experiment, man bringe acht Menschen in eine Art Biospäre unter und sehe zu, wie sie überleben, sich ihre Nahrung selbst erwirtschaften und mit den vorgewundenen Bedingungen zurechtkommen oder auch nicht, hat es Anfang der 1990er Jahre tatsächlich gegeben. Heute ist das Projekt, dessen Überreste noch immer für universitäre Forschungen genutzt werden, als gescheitert anzusehen. Genau so, wie Boyls darauf basierender Roman.

Angelehnt an die tatsächlichen Geschehnisse und diese, zumindest die von der ersten Crew erlebten Tage, spinnt Boyle eine Geschichte menschlicher Intrigen, Liebe, Neid, Hass und all der anderen Abgründe und schafft so die Grundlage für eine interessante Geschichte. Die Protagonisten einmal eingeführt, sind kaum bis überhaupt nicht sympathisch, rauben jedoch ihren Lesern die letzten Nerven. So viel Gesülze und Oberflächlichkeit versammelt, zieht der Autor diese Linie bis zum bitteren Ende durch und bleibt oberflächlich. Zeile für Zeile.

Kaum ein Spannungsbogen wird längerfristig gehalten, eine charakterliche Entwicklung der Figuren ist nicht auszumachen und vom Alltag hinter Glas erfährt man gerade einmal ansatzweise etwas, und erlebt ansonsten nur Geplänkel wie in einer schlechten amerikanischen Sitcom.

Der Schreibstil, schlicht und einfach, lässt zwar die Leser nicht in Stich, Boyle jedoch tut es. Triebgesteuerte Erwachsene, die sich mehr als pubertär verhalten. Möchtegernwissenschaftler, deren Charakterzüge der Autor zwielichtig und ansonsten uneinsichtig geformt hat. So, dass man geneigt ist, dieses Buch selbst in eine Ecospähre zu verwünschen, auf dass sie die dort Eingeschlossenen in den Wahnsinn treibe. Der Autor hätte gut daran getan, einen historischen Roman zu schreiben, um die tatsächlichen Geschehnisse.

Dann wäre dieses Projekt nicht annähernd so gegen die Wand gefahren, wie das wirkliche Experiment, welches allenfalls 08/15 Erkenntnisse erbracht hatte, die man auch ohne „Biosphäre 2“ über kurz oder lang gehabt hätte. Davon abgesehen, dass sich die Wirklichkeit eines geschlossenen Systems in einem nachgebauten auf der Erde befindlichen nie so darstellen lässt, wie es sich in einer Raumstation etwa abbilden lassen würde oder irgendwann tatsächlich auf den Mars.

Ein Roman, der auf ganzer Linie, von der ersten bis zur letzten Seite enttäuscht und nur nicht vollständig von der Werteskala runterfällt, da die Idee an sich nicht schlecht, man zumindest eine Ahnung (leider nicht mehr) vom tatsächlich gemachten Experiment bekommt, außerdem die Frage der Skrupelosigkeit gestellt wird, die zwangsläufig entsteht, wenn Wissenschaft einhergehen muss mit wirtschaftlichen und öffentlichen Interesse.

Das hätte Boyle, zuzüglich eben der wissenschaftlichen Seite mehr ausbauen müssen. So aber bleibt leider nur ein gescheiterter und oberflächlicher Beziehungsroman. Rundablage P.

Autor:

T.C. Boyle wurde 1948 geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Boyle, der in schwierigen Verhältnissen aufwuchs studierte nach der Schule Englisch und Geschichte und nahm an Kursen für Kreatives Schreiben teil.

Danach arbeitete er als Lehrer an einer High School und schrieb erste Erzählungen.

Eine Veröffentlichung davon brachte ihn die Aufnahme in einem Schreibworkshop ein. 1977 erwarb er einen Doktortitel in englischer Literatur. Seit 1986 ist er ordentlicher Professor an der University of Southern California. 1982 veröffentlichte er seinen ersten Roman. Boyles Werke wurden mehrfach ausgezeichnet.

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Dogan Akhanli: Verhaftung in Granada

Verhaftung in Granada Book Cover
Verhaftung in Granada Rezensionsexemplar/Bericht Kiepenheuer & Witsch Taschenbuch Seiten: 222 ISBN: 978-3-462-05183-4

Inhalt:
19. August 2017: Spanische Polizisten verhaften Dogan Akhanli, einen deutschen Staatsbürger, in Granada. Die Türkei hatte ihn über Interpol zur Festnahme ausgeschrieben. Die Tür seiner Zelle schließt sich hinter ihm – wieder einmal:

Wie in einer Zeitkrümmung durchlebt er erneut die Monate und Jahre, die er in der Türkei als politischer Häftling verbracht hat – 1975, 1985-1987 und ab August 2010. „Verhaftung in Granada“ ist, bei aller Grausamkeit und allem Unrecht, von denen die Rede ist, eine abenteuerliche, poetische und oft auch humorvolle Reise durch die letzten 40 Jahre, die uns hilft zu verstehen, warum in der Türkei noch immer und wieder Willkür und Gewalt herrschen. (Klappentext)

Rezension:
Eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen, oder was von diesem Status noch übrig ist, trudelt seit der Staatsgründung immer wieder von krise zu Krise.

Eine explosive Mischung aus Machtgier, Neid, Missgunst, falschen Geschichtsbewusstsein und Willkürordnen die Machtverhältnisse in unregelmäßigen Abständen immer wieder neu, was folgt ist ein Unterdrückungsregime im Schafspelzmantel.

Je nachdem, wer an der Macht ist, mit weniger oder eben mehr negativen Auswirkungen. Dogan Akhanli hat sie mehrmals, die harte Hand der diktokratischen Herrscher zu spüren bekommen. Gefängnisaufenthalte, die ihn immer wieder an sich und an die türkische Gesellschaft zweifeln lassen und ihn versuchen zu brechen.

Doch, Akhanli bleibt selbstbewusst und unbequem.

Wer ist dieser Mensch, der inzwischen Deutschland als seine Heimat betrachtet und dessen Name 2017 Schlagzeilen in den Zeitungen und Medienberichten machte?

Weshalb wurde Akhanli wochenlang in Spanien von der spanischen Polizei auf Ersuch des türkischen Präsidenten Erdogan festgehalten und was sagt das über einen Staat aus, der sich international demokratischer Mittel bedient, um Rache und Willkür walten zu lassen?

Wo stand die Türkei in den 70er, in den 80er Jahren, wohin treiben die jetzigen Machteliten dieses Land und wie sieht die Zukunft aus? Fragen, die gestellt werden müssen. Und Akhanli denkt laut darüber nach.

Es ist das Selbstprotrait eines Menschen, der die Ereignisse aus seiner Sicht schildert, die Deutschland beschäftigten und immer noch Probleme bereiten, wenn es um Staatsbürger geht, die als Journalisten unterwegs sind, praktisch von ihrer Arbeit abgehalten werden oder einfach so im Machtbereich der Türkei festgehalten und zum Spielball der Politik werden.

Akhanli schildert, sehr ernst und eindringlich, wie die Mächtigen in der Türkei zu unterschiedlichen Zeiten ihre Bevölkerung unterdrückten und bei unbequemen Fragen selbst unbequem werden. Zu Lasten der Bürger, die nichts anderes kennen, als einen Wechsel von demokratisch scheinenden aber im Grunde willkürlichen Systemen.

Mit Ernst und einer kleinen Prise Humor, anders wären die Qualen wohl kaum zu ertragen gewesen, schildert Akhanli Ursachen und Wirkungen, zieht Linien zur Entstehungsgeschichte und dem dunkelsten Kapitel der türkischen Geschichte, welches erst vor wenigen Jahren z.B. im Deutschen Bundestag geächtet wurde.

Der Autor schildert detailliert die subtilen Ungewissheiten eines menschenverachtenden Systems, welches nicht nur Gehirnwäsche betreibt, sondern auch Gewalt anwendet, ob psychischer oder physischer Natur, wenn niemand genau hinsieht.

Die Niederschrift Akhanli ist eine Ansage, dass es sich lohnt unbequem zu bleiben, dass es aber auch weiterhin hunderte Menschen gibt, Türken oder Ausländer, die unter Erdogans Häschern leiden. Auf dass sie nicht vergessen werden.

Dogan Akhanli hatte das Glück, die richtigen Kontakte und auf die richtigen Menschen zu treffen, bei allen seinen Gefängnisaufenthalten in der Türkei, doch müssen wir uns sein und die anderen Schicksale ständig in Erinnerung rufen, zumal wenn sie keine große Lobby haben.

Nur so besteht vielleicht irgendwann einmal die Chance, dass die türkische Bevölkerung ihren Weg unbesorgter gehen kann. Das Buch des Autoren ist vielleicht ein erster Schritt dazu.

Autor:
Dogan Akhanli wurde 1957 in der Türkei geboren und ist ein türkischstämmiger Schriftsteller. Nachdem er zuerst in seinem Heimatort die Schule besuchte, zog er später nach Istanbul zu einem älteren Bruder, um seine Schulbildung fortzusetzen.

Nach der Schule studierte er geschichte und Pädagogik, wurde 1975 wegen Kaufs einer linksgerichteten Zeitschrift verhaftet und begann sich politisch zu engagieren. Nach den Militärputsch 1980 ging er in den Untergrund, wurde Mitte der 1980er Jahre erneut verhaftet. 1991 floh er nach Deutschland ins politische Asyl.

Seit dem lebt er in Köln. 1998 wurde er von der Türkei ausgebürgert. Er ist Mitglied der Internationalen Schriftstellervereinigung PEN und engagiert sich in sozialen Projekten.

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Uderzo, Albert/Goscinny, Rene: Asterix – Die Gesamtausgabe 5

Asterix - Die Gesamtausgabe 5 Book Cover
Asterix – Die Gesamtausgabe 5 Comic Egmont Ehapa Hardcover Seiten: 176 ISBN: 978-3-7704-3784-9

Inhalt:
Moralestix, ein gallischer Stammeshäuptling bittet Majestix einen Kessel voller Münzen im Dorf vor den Steuereintreibern Cäsars zu verstecken. Kurz darauf wird der Kessel samt Inhalt gestohlen und Asterix aus den Dorf verbannt. Fortan versuchen Asterix und Obelix den Kessel wieder mit Geld zu befühlen, doch das ist leichter gedacht als getan.

Der Sohn eines spanischen Häuptlings wird von den Römern als geisel genommen und nach Gallien entführt, die dies mitbekommen und den Jungen befreien. Fortan besteht die Mission darin, den kleinen stolzen und launischen Jungen zurück zu seinem Dorf zu bringen, was sich als nicht ganz einfach herausstellt.

Die Stärke der unbeugsamen Gallier liegt in ihrer Einigkeit, folglich versuchen die Römer nun Zwietracht unter den Dorfbewohnern zu sähen, was auch gelingt. Fortan ist die Dorfgemeinschaft gespalten und in großer Gefahr. Die Römer sehen den günstigen Moment, um anzugreifen.

Einordnung:
Die Gesamtausgabe Nr. 5 enthält die Geschichten „Asterix und der Kupferkessel“, „Asterix in Spanien“ und „Streit um Asterix“. Insgesant gibt es 14 Gesamtausgaben mit jeweils 3 Geschichten.

Rezension:
Wie hier schon mehrfach geschehen, wird auch dieses Mal eine Gesamtausgabe der Asterix-Comics, des Egmont Ehapa Verlages besprochen. Und zwar nicht, weil sich nur die Einzelbände der Geschichten von Uderzo und Goscinny nicht lohnen würden, sondern weil die in blauen Leder gebundenen Ausgaben eine besondere Würdigung des Zeichner- und Autorenduos sind.

Dieses Mal ist der fünfte Band an der Reihe, es ist aber nicht wirklich wichtig, wann man welche Geschichte der gallischen Krieger sich zu Gemüte führt. Man kommt auch so in die Handlung und in die Figurenkonstellation hinein, zumal das Grundschema immer gleich bleibt.

Asterix und sein Freund, der Hinkelsteinlieferant Obelix, werden ein um das andere Mal in ein Abenteuer verwickelt, was sie quer durch die damals bekannte und, manchmal sogar, noch unbekannte Welt treibt, schlagen Römer, Wildschweine und Piraten in die Flucht. Und am Ende gewinnt wieder einmal David gegen Goliath.

In der Reihenfolge gelesen, offenbaren sich jedoch bei genaueren Hinsehen Details, die im weiteren Verlauf eine Rolle spielen. In einem Band wird z.B. Idefix eingeführt, in „Asterix in Spanien“, bekommt erstmals Automatix Contra. In Form eines Fischhändlers. Spitzfindigkeiten, auf die noch einmal näher eingegangen wird, wenn man diese besonderen Ausgaben besitzt.

Auch hier wird wieder en detail erklärt, welche Anspielungen die Erfinder unserer gallischen Superhelden eingebaut und somit einen vergnüglichen Geschichtsunterricht gleichsam zur Gesellschaftsparodie wohlgemerkt, die Zeit der Entstehung der Comics) gemacht haben. Wieder einmal in hohem Maße gelungen, wenn etwa der Wohnwagentourismus eine Erfindung der antiken Reisenden ist oder das Sprichwort „die Luft anhalten, bis man platzt“ eine besondere Bedeutung erfährt.

Zeitreisende mögen also auch hier, in den Geschichten selbst, und auf Seiten mit unzähligen Zusatzinformation zur Entstehungsgeschichte der enthaltenen Comics, Gefallen an den unbeugsamen Galliern finden, die Dank Zaubertrank, Glück und Ideenreichtum auch hier wieder dafür sorgen werden, dass einem nicht der Himmel auf den Kopf fällt. Unbedingte Empfehlung.

Autoren:
Rene Goscinny wurde 1926 in Paris geboren und war ein französischer Comicautor. Er schuf zusammen mit dem Zeichner Alber Uderzo u.a. die Comics der unbeugsamen Gallier Asterix und Obelix (ab 1959), für die er internationale Bekanntheit erlangte. Ab 1955 textete er außerdem die von Morris gezeichneten Comics „Lucky Luke“. Als Autor wurde er für seine von Sempe illustrierten Geschichten über den „Kleinen Nick“ bekannt.

Albert Uderzo wurde 1927 in Fismes bei Reims in Frankreich geboren und ist Zeichner und Mit-Autor der bekannten Comic-Serie „Asterix“. Er wuchs als Sohn italienischer Einwanderer auf, die 1934 die französische Staatsbürgerschaft erhielten. Inspiriert von Wat Disney eignete er sich teils autodidaktisch das Handwerkzeug des Comic-Zeichnens an. Er hat eine Rot-Grün-Sehschwäche und arbeitet teilweise mit nummerierten Farbtönen. Die Comic-Serie „Asterix erschien zunächst in der Zeitschrift „Pilote“, später dann in einem eigenen Verlag. Seit dem Tod Goscinnys1977 produzierte Uderzo die Asterix-Abenteuer alleine, unter Zuhilfenahme eines Teams von Zeichnern seines eigenen Unternehmens.

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Lesung: Rattatatam, mein Herz – mit Franziska Seyboldt

Jeder kennt doch jemanden, der irgendeine Phobie zu haben pflegt. Fast jeder sechste Deutsche leidet einmal in seinem Leben unter einer Angststörung, andere entwickeln lebenslang eine Phobie, unter der sie leiden. Egal, ob das nun Flugangst, die Angst vor Spinnen oder Hunden, oder die Angst vor Bällen ist (Fragt mich nicht.).

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Sarah Hilary: Seelenkinder

Seelenkinder Book Cover
Seelenkinder Sarah Hilary btb Verlag Erschienen am: 11.09.2017 Seiten: 479 ISBN: 978-3-442-74808-2

Inhalt:

Ein grauenvoller Fund: In einem alten Londoner Bunker, tief unter der Erde, werden die Leichen von zwei Jungen entdeckt. Und schon bald verschwinden weitere Kinder. Ein Fall, der Detective Marnie Rome mit den Schatten der eigenen Vergangenheit konfrontiert. Die Ermittlerin ahnt: Jetzt zählt jede Sekunde. (Klappentext)

Rezension:

In der Heimat des Meisterdetektivs Sherlock Holmes ermitteln heute Polizisten mit der modernen Technik, neuesten forensischen und psychologischen Methoden, die den Ermittlern unserer Zeit zur Verfügung stehen.

Doch, genau so wie damals ist der eigene Spürsinn, Intuition und manchmal auch eine gewaltige Portion Glück von Nöten, um komplizierte Verwicklungen und Fälle zu lösen. Spannend verpackt, ergibt sich eine interessante und abwechslungsreiche Geschichte. Solch eine, wie sie Sarah Hilary zu Papier gebracht hat.

Der neue Stern am englischen Krimiautoren-Himmel ist Sarah Hilary nicht zu Unrecht und so begibt sich der Leser im zweiten Band der Marnie Rome Reihe auf Spurensuche durch die dunkelsten Abgründe Londons. Im wahrsten Sinne.

In einem der alten Bunker der britischen Millionenmetropole, genauer in einer der vorstadtsiedlungen, werden zwei Kinderleichen entdeckt. Einmal ins Rollen gebracht, überschlagen sich die Ermittlungen von Rome und ihrem Team, welches Stück für Stück mit den ihnen eigenen psychologischen Schwierigkeiten und, bei Rome zusätzlich, mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert werden. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, als noch weitere Kinder verschwinden.

Der problematische zweite Band ist hier alles, nur kein Problem. Auch wenn man den Auftakt nicht kennt, so wirkt die Geschichte doch in sich geschlossen. Der Spannungsbogen setzt hoch an, und wird abwechslunsgreich über die kurzweiligen Kapitel hinweg weitergeführt.

Perspektivwechsel zwischen den Ermittlern und ihren Gegenparts, auch unterschiedliche Zeitebenen veranlassen, mitzurätseln. Klassische Ermittlungsarbeit und düstere Szenarien inklusive. CSI auf Britisch. Charakterentwicklung wird es wahrscheinlich über die Reihe als gesamtes Paket geben, findet im Band als solchen jedoch nur marginal statt.

Ist auch nicht notwendig. Der Fokus liegt ganz klar auf den zu lösenden Fall, in dem mehrere Handlungsstränge behutsam, aber doch temporeich zusammengeführt werden.

Die Figuren sind abwechselnd sympathisch, jedoch weicht die Autorin vom klassichen Gut-Böse-Schema ab. Es gibt hier keine absolute Größe, nur viele Grautöne, wie Hilary mit ihren Protagonisten zeigt. Es ist keine große literatur, doch besser als das Tatort-Gedöns im Fernsehen allemal.

Die Ermittlerarbeit, erfolgreiche und scheinbar aussichtslose Situationen sind zum Greifen nah. Der Krimi kommt überdies ohne viel Blut und Gewalt aus, auch schon eine Besonderheit in den Bücherregalen heute, wenn man von der Ausgangssituation ausgeht.

Gewalt, auch psychologische Gewalt, spielt sich vor allem im Kopf des Lesers ab, alleine die Rückblenden, wenn man es bei Büchern so formulieren möchte, haben es an manchen Stellen in sich. Wer mit Kindern als Opfern ein Problem hat, sollte hier sowie so vorsichtrig sein.

Wer das aber lesen kann, den erwartet ein tolles Ermittlerteam und ein spannender Fall in und unter London.

Autorin:

Sarah Hilary ist eine britische Schriftstellerin. Geboren in Cheshire, war sie nach der Schule als Buchhändlerin, bei einem Reiseführerverlag und bei der Royal Navy tätig, bevor sie zu schreiben began.

Für mehrere Kurzgeschichten wurde sie für verschiedene Preise nominiert und ausgezeichnet, bevor 2014 ihr erster Romn erschien. Ihr Krimidebüt wurde in England als bester Krimi des Jahres ausgezeichnet. Im Jahr 2015 erschien dieses erstmals in deutscher Sprache.

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Mats Strandberg: Die Überfahrt

Mats Strandberg Book Cover
Mats Strandberg Die Überfahrt Fischer Tor Erschienen am: 24.05.2017 Seiten: 507 ISBN: 978-3-596-29599-9 Übersetzerin: Antje Rieck-Blankenburg

Inhalt:

Die Passagiere an Bord der schwedischen Ostseefähre Baltic Charisma wollen vor allem eins: sich amüsieren, und zwar um jeden Preis. Ob sie nach der Liebe ihres Liebens suchen oder vor den Dämonen ihres Alltags fliehen – die Nacht ist lang, und der Alkohol fließt reichlich.

In dem ganzen Trubel bleiben die beiden dunklen Gestalten unbemerkt, die sich übers Autodeck an Bord schleichen: eine Mutter und ihr Kind. Mit ihnen betritt ein uraltes Grauen das Schiff, und es wird zur tödlichen Falle… (Klappentext)

Rezension:

Mitte der 1990er Jahre sank die Fähre Estonia vor der schwedischen Küste und brachte zahlreichen Menschen den Tod in in der eisigen Kälte der Ostsee. Auch heute noch das nationale Trauma eines landes, welches der gemeine Leser mit Bullerbü-Romantik und Ikea-Regalen assoziiert.

Zu Unrecht, denn das flächenmäßig größte aller skandinavischen Länder hat so viel mehr zu bieten. Unter anderem, wenn nordische Krimikunst auf klassischen Horror trifft, einen der grausamsten und erschreckensten Romane, welcher das Grauen in unsere Welt einbringt.

Zum Anfang ist noch alles normal, verhältnismäßig.. Die Unruhe vor der Fahrt, dass Gewusel an Kai und Anlegestelle, dem Boots-Terminal und die Gäste, die ihren Gedanken nachhängen. Vertieft in ihre ganz eigenen Probleme.

Die ewig alleinstehende und einsame Rentnerin, der Junge, der sich wünscht, dass seine Eltern, die sich auseinander gelebt haben, scheiden lassen, der Teenie, die eigentlich nicht mitfahren möchte aber dazu „gezwungen wird“ oder die Freundinnen, die einfach Spaß um jeden Preis haben wollen.

Doch, mit ihnen schleicht sich jahrhundertealtes Grauen an Bord, welches die Überfahrt zu einem Kampf auf Leben und Tod machen und sie mit dem schrecklichsten aller Schicksale konfrontieren wird.

Schwedens Zeitung „Dagens Nyheter“ bewarb den Krimi mit der Ettiketierung, Mats Strandberg wäre: „Dder schwedische Stephen King.“, doch ist diese Auszeichnung kaum zu halten.

Zwar ist die Geschichte in jeder ihrer einzelnen Seiten empfehlenswert, der Spannungsbogen wird kontinuierlich aufgebaut, doch gelingt der Spagat zwischen dem Großmeister der Horrorliteratur und schwedischen Krimi nur mäßig.

Das ist vollkommen in Ordnung, braucht sich Strandberg dennoch nicht dahinter zu verstecken. Tatsächlich wirkt die Art des Erzählens, die den Leser in größtmöglicher Sicherheit wiegt, um ihn dann ins kalte salzige Ostseewasser zu werfen, auch so.

Die Chraktere allesamt nachvollziehbar machen eine glaubwürdige Entwicklung zum Guten wie zum Bösen, je nach Aufteilung der Handlungsstränge, durch. Die handlungen widerum verdichten sich gegen Ende so, dass durchaus Raum für eine noch nicht geschriebene Fortsetzung besteht. So bleibt es spannend bis zur letzten Zeile.

Der Schreibstil ist nicht hochtrabend und fordernd, reicht aber für vollkommene gute Unterhaltung aus, doch muss man die Erzählstruktur aus abwechselnder Sicht der einzelnen Protagonisten mögen, sowie Blut abkönnen und akzeptieren, dass die wirklichen Vertreter ihres Genres eben nicht mit angezündeten Teelichtern leben, sondern im Blutrausch ihre Opfer in den Abgrund reißen.

Wer allzu zart besaitet ist, für den ist Mats Strandbergs Lektüre nichts, alle anderen erleben ein interessantes Stück modernen Horrors, der die moderne schwedische Literatur noch ein Stück gefahrintensiver werden lässt.

Der schwankende Fährboden ist bedingt durch den Wellengang und das Wetter, kann aber manchmal ganz andere Ursachen haben. Betet, dass ihr dann nicht an Bord seid und dem Grauen dort ausweichen müsst, wo ihr nicht ausweichen könnt. Gute Fahrt.

Autor:

Mats Strandberg wurde 1976 geboren und ist ein schwedischer Schriftsteller und Journalist. Er schreibt regelmäßig für die schwedische Zeitung Aftonbladet und veröffentlichte erstmals 2006 einen Roman.

Seine Engelsfors-Trilogie erschien ab 2011, erst sein Horrorroman „Die Überdfahrt“ machte ihn jedoch auf einen Schlag bekannt. Er wurde im Bereich Jugendliteratur für den August Prize nominiert. 2004 wurde er vom schwedischen Zeitungsverband zum Kolumnisten des Jahres gewählt. Er lebt mit seinem Partner in Stockholm.

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