Inhalt:
Die Passagiere an Bord der schwedischen Ostseefähre Baltic Charisma wollen vor allem eins: sich amüsieren, und zwar um jeden Preis. Ob sie nach der Liebe ihres Liebens suchen oder vor den Dämonen ihres Alltags fliehen – die Nacht ist lang, und der Alkohol fließt reichlich.
In dem ganzen Trubel bleiben die beiden dunklen Gestalten unbemerkt, die sich übers Autodeck an Bord schleichen: eine Mutter und ihr Kind. Mit ihnen betritt ein uraltes Grauen das Schiff, und es wird zur tödlichen Falle… (Klappentext)
Rezension:
Mitte der 1990er Jahre sank die Fähre Estonia vor der schwedischen Küste und brachte zahlreichen Menschen den Tod in in der eisigen Kälte der Ostsee. Auch heute noch das nationale Trauma eines landes, welches der gemeine Leser mit Bullerbü-Romantik und Ikea-Regalen assoziiert.
Zu Unrecht, denn das flächenmäßig größte aller skandinavischen Länder hat so viel mehr zu bieten. Unter anderem, wenn nordische Krimikunst auf klassischen Horror trifft, einen der grausamsten und erschreckensten Romane, welcher das Grauen in unsere Welt einbringt.
Zum Anfang ist noch alles normal, verhältnismäßig.. Die Unruhe vor der Fahrt, dass Gewusel an Kai und Anlegestelle, dem Boots-Terminal und die Gäste, die ihren Gedanken nachhängen. Vertieft in ihre ganz eigenen Probleme.
Die ewig alleinstehende und einsame Rentnerin, der Junge, der sich wünscht, dass seine Eltern, die sich auseinander gelebt haben, scheiden lassen, der Teenie, die eigentlich nicht mitfahren möchte aber dazu „gezwungen wird“ oder die Freundinnen, die einfach Spaß um jeden Preis haben wollen.
Doch, mit ihnen schleicht sich jahrhundertealtes Grauen an Bord, welches die Überfahrt zu einem Kampf auf Leben und Tod machen und sie mit dem schrecklichsten aller Schicksale konfrontieren wird.
Schwedens Zeitung „Dagens Nyheter“ bewarb den Krimi mit der Ettiketierung, Mats Strandberg wäre: „Dder schwedische Stephen King.“, doch ist diese Auszeichnung kaum zu halten.
Zwar ist die Geschichte in jeder ihrer einzelnen Seiten empfehlenswert, der Spannungsbogen wird kontinuierlich aufgebaut, doch gelingt der Spagat zwischen dem Großmeister der Horrorliteratur und schwedischen Krimi nur mäßig.
Das ist vollkommen in Ordnung, braucht sich Strandberg dennoch nicht dahinter zu verstecken. Tatsächlich wirkt die Art des Erzählens, die den Leser in größtmöglicher Sicherheit wiegt, um ihn dann ins kalte salzige Ostseewasser zu werfen, auch so.
Die Chraktere allesamt nachvollziehbar machen eine glaubwürdige Entwicklung zum Guten wie zum Bösen, je nach Aufteilung der Handlungsstränge, durch. Die handlungen widerum verdichten sich gegen Ende so, dass durchaus Raum für eine noch nicht geschriebene Fortsetzung besteht. So bleibt es spannend bis zur letzten Zeile.
Der Schreibstil ist nicht hochtrabend und fordernd, reicht aber für vollkommene gute Unterhaltung aus, doch muss man die Erzählstruktur aus abwechselnder Sicht der einzelnen Protagonisten mögen, sowie Blut abkönnen und akzeptieren, dass die wirklichen Vertreter ihres Genres eben nicht mit angezündeten Teelichtern leben, sondern im Blutrausch ihre Opfer in den Abgrund reißen.
Wer allzu zart besaitet ist, für den ist Mats Strandbergs Lektüre nichts, alle anderen erleben ein interessantes Stück modernen Horrors, der die moderne schwedische Literatur noch ein Stück gefahrintensiver werden lässt.
Der schwankende Fährboden ist bedingt durch den Wellengang und das Wetter, kann aber manchmal ganz andere Ursachen haben. Betet, dass ihr dann nicht an Bord seid und dem Grauen dort ausweichen müsst, wo ihr nicht ausweichen könnt. Gute Fahrt.
Autor:
Mats Strandberg wurde 1976 geboren und ist ein schwedischer Schriftsteller und Journalist. Er schreibt regelmäßig für die schwedische Zeitung Aftonbladet und veröffentlichte erstmals 2006 einen Roman.
Seine Engelsfors-Trilogie erschien ab 2011, erst sein Horrorroman „Die Überdfahrt“ machte ihn jedoch auf einen Schlag bekannt. Er wurde im Bereich Jugendliteratur für den August Prize nominiert. 2004 wurde er vom schwedischen Zeitungsverband zum Kolumnisten des Jahres gewählt. Er lebt mit seinem Partner in Stockholm.