Kiepenheuer & Witsch

Timo Peters: Couchsailing

Inhalt:

Timo Peters hat kein Boot, so gut wie keine Segelerfahrung und kaum Geld – aber den Traum, auf einem Segelboot den Atlantik zu überqueren: Mit leichtem Gepäck macht er sich auf die Suche nach einem Kapitän, bei dem er anheuern kann. In mehreren Etappen und auf verschiedenen Schiffen geht es über den Ozean – unterwegs erwarten ihn überraschende Herausforderungen, Grenzerfahrungen und wunderliche Begegnungen. Eine unvergessliche Reise, ein unglaubliches Abenteuer! (Klappentext)

Rezension:

Spätestens seit Stephan Orth dürfte vielen der Begriff Couchsourfing geläufig sein, doch funktioniert diese Form des Reisens auch auf hoher See? Ein Platz in einer Koje gegen eine helfende Hand an Bord? Mit nur wenig Segelerfahrung, wenn man diese überhaupt so bezeichnen mag, macht sich Timo Peters auf die Suche, dies herauszufinden. Am Ende steht ein neues Leben, ein großes Abenteuer und ein Bericht über die eigentümliche Welt der Segler.

Kennzeichnend für Reiseberichte sind vor allem ausführliche Schilderungen von Begegnungen und die Beschreibung von Landschaften. Letztere beschränken sich hier zwangsläufig fast nur auf die Hafenanlagen für Segelschiffe und die Boote selbst, stellen diese doch für Wochen die ganze Welt dar. Ansonsten ist man der Natur ausgeliefert, der Willkür von Wind, Wasser und Wetter. Anfangs noch fasziniert davon, schenkt dem der Autor nach einer gewissen Zeit kaum mehr Aufmerksamkeit als er muss.

Gerade nur so viel wird zur Kenntnis genommen, wie es für den Trip über den Atlantik von Nöten ist, um so mehr fokussiert sich Peters auf die Schilderungen der Menschen um ihn herum. Schließlich stelklen diese für Wochen seine einzigen Kontakte dar. Im Notfall ist man aufeinander angewiesen. Aus dem Weg gehen kann man sich nach dem Ablegen ohnehin nicht.

Kurzweilig schreibt Timo Peters von seiner Reise, die ihm unbekannte Sichtweisen auf eine teilweise sehr eigentümliche Welt zeigt. Was macht das mit Einem, wenn man der Natur ausgeliefert ist und Menschen, denen man nie zu vor begegnet ist? Welche Schicksale kreuzen sich in den Anlagen der Marinas? Was treibt die Glücksritter, Abenteuerlustigen, Sportsegler und Sinnsuchende an, für Wochen den schwankenden Boden unter den Füßen zu suchen?

Der Autor erzählt von den kleinen Momenten des Glücks, mehr Augenblicken des Zweifels und auch jenen, in denen man nur noch funktionieren und in Bruchteilen von Sekunden die richtigen Entscheidungen treffen muss. Zu Beginn vielleicht noch etwas blauäugig, an manchen Stellen färbt zudem die rosarote Brille im Nachhinein, findet Peters dann doch immer wieder den Ausgleich, so dass auch Konflikte und Gefahren zur Sprache kommen, auf die er reagieren musste.

Für all jene, die jetzt überlegen, eine solche Reise anzutreten, es ist kein Ratgeber, aber der Autor zeigt, was ein solcher Trip mit einem macht. Wenn man daraus etwas für sich ziehen kann, ist es gut. Für alle anderen bleibt die Erkenntnis, das große Abenteuer auch heute noch möglich sind.

Autor:

Timo Peters lebt und arbeitet als freiberuflicher Journalist für diverse Zeitungen und Magazine in Norwegen. Nebenbei betreibt er den Abenteuerblog »bruderleichtfuss.com« und das Onlinemagazin „Fjordwelten„.

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Hannes Stein: Der Weltreporter

Inhalt:

Ein nachgebautes München im Dschungel, ein Gespräch mit einem Yeti auf dem Mount Everest und ein Eingang zur Ewigkeit, an dem buddha, Christus und Mohammed Karten spielen. (Klapppentext)

Rezension:

Kurzgeschichten haben bei mir einen schweren Stand. Das liegt an den Gegebenheiten des Genres, welches kaum genug Raum lässt, damit Szenarien sich entfalten, Protagonisten sich vielschichtig entwickeln können. Zudem fehlt bei Sammlungen oft genug der rote Faden, der alle Erzählungen zusammenhält. So geraten einzelne, auch gelungene Geschichten in Vergessenheiten. „Short Stories“ sind daher zumeist Schall, Rauch und weiter nichts.

Und dann gibt es Hannes Stein. Der in New York lebende Korrespondent einer großen deutschen Zeitung legt nach „Nach uns die Pinguine“, eine zweite Sammlung kurioser und zu Teilen sich ins Absurde steigernde Sammlung von Kurzgeschichten vor, die die Leserschaft laut auflachen, dann wieder nachdenklich werden lässt.

Anders als beim „Vorgängerband“ gelingt hier dem Autoren es besser, einen roten Faden zu halten, die Verknüpfung zwischen den einzelnen Geschichten konstanter wirken zu lassen, andererseits stechen einzelne Ideen wirklich hervor. Ein Indianerstamm, der in weiter Zukunft den bis dahin immer noch schlechtesten US-Präsidenten als ihrem Messias verehrt, wir alle wissen, wer da gemeint ist, ein Schweizer Pendant in Afghanistan oder ein sozialistisches Utopia mitten in Sibirien. Das ist doch genial.

Natürlich bleiben auch hier einzelne Geschichten farblos, was zuweilen an der Schreibweise liegen mag. Punktuell wird hier augenzwinkender Humor mit krachender Gesellschaftskritik vermischt, ein moderner Münchhausen als Protagonist, aktuelle Ereignisse ohnehin auf’s Korn genommen. Im übertragenenen Sinne trifft sogar einen der Arbeitgeber des Autoren. Wozu gehört wohl die Zeitung „Welt“?! Kurzweilig liest sich das. fast muss man sich zwingen, das eine oder andere Mal inne zu halten, alleine schon, um die Geschichten genüsslich mit den realen Vorlagen abgleichen zu können.

Die Hauptprotagonisten, deren Geschichte die erzählten „Short Stories“ verbinden, bleiben jedoch, abgesehen von zumindest einem Teil, verhältnismäßig blass. Alleine die beiden sind einen eigenen Roman wert. Schon der Name „Bodo von Unruh“ ist großartig, der aktuelle Hintergrund, der beim Schreiben in seiner ganzen Wirken noch gar nicht so klar ersichtlich war, wie heute, tut sein Übriges. Einige der erzählten Kurzgeschichten wünscht man sich tatsächlich mehr Raum, sich zu entfalten, während andere schnell aus dem Gedächtnis fallen werden. Der Schreibstil wirkt zuweilen fahrig. Dennoch oder gerade, weil es Hannes Stein hier noch besser gelungen ist als bei seiner vorherigen Kurzgeschichtensammlung ein kurioses Gesamtpaket zu schnüren und eine Steigerung zu sehen ist, ist das Lesen nicht falsch. Nachdem Gesetz der Serie und Steigerungsfähigkeiten, müsste das nächste Buch dann im Vier-Sterne-Bereich anzusiedeln sein.

Autor:

Hannes Stein wurde 1965 in München geboren und ist ein Journalist und Schriftsteller. Aufgewachsen in Salzburg, begann er 1984 in Hamburg Amerikanistik, Anglistik und Philosophie zu studieren und lebte 1989 ein Jahr als Deutschlehrer in Schottland. Später arbeitete er für die FAZ, den Spiegel und der Zürcher Weltwoche, sowie den Merkur. Von 1997 an, lebte er in Jerusalem und schrieb dort seine erstes Buch, war dann als Literaturkorrespontdent und Redakteur für verschiedene zeitungen tätig.Seit 2012 lebt er in den USA. kurzzeitig ließ er sich als Republikaner registrieren, wechselte dann ins Lager der Demokraten. „Nach uns die Pinguine“, ist sein neuntes Buch.

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Esther Safran Foer: Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind

Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Book Cover
Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Esther Safran Foer Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 05.11.2020 Seiten: 288 ISBN: 978-3-462-05222-0 Übersetzer: Tobias Schnettler

Inhalt:

Esther Safran Foer, die Mutter des Bestsellerautors Jonathan Safran Foer, begibt sich auf die Suche nach der Geschichte ihrer Familie, die in der schrecklichen Dunkelheit des Nationalsozialismus begraben wurde.

Nur mit einem Schwarz-Weiß-Foto und einer handgezeichneten Karte reist sie zusammen mit ihrem Sohn in die heutige Ukraine, um das Schtetl zu finden, in dem sich ihr Vater während des Krieges versteckt hatte. Ein Buch gegen das Vergessen und ein kleiner Triumph über den Faschismus.

Rezension:

Kaum eine Familie lebt ohne sie, diesen Anekdoten, denen man sich kaum entziehen kann. Diesen Ereignissen, die immer wieder zur Sprache kommen und so zur Wahrheit eines jeden einzelnen Familienmitgliedes werden, auch wenn dieses das Erzählte selbst nicht erlebt hat.

Es gibt aber auch die andere Form, die unausgesprochenen Ereignisse, Weichenstellungen, Schicksalsschläge, die kaum erzählt werden, nur beiläufig erwähnt oder in ganz besonderen Momenten in Worte gefasst werden.

Etwas, worüber nur selten in Ausnahmefällen gesprochen wird. Einem solchen Moment wohnt Esther Safran Foer bei, als ihre Mutter von der Vergangenheit ihres Mannes beiläufig erzählt. Darauf beginnt eine jahrelange Suche und das Aufbrechen der finstersten Jahre ihrer Familiengeschichte.

Es ist die Geschichte einer Familie, die man vielleicht nicht lesen würde, wenn nicht die Schreibende selbst Mutter eines erfolgreichen Autoren wäre, doch Esther Safran Foer nimmt sich beim Beschreiben dieser, ihres Vaters und ihrer Mutter, bewusst zurück. Die Autorin hält sich an Fakten, lässt die Emotionen dieser Bewältigungsarbeit behutsam einfließen und herausgekommen ist ein liebevolles erschütterndes Porträt.

Wie viel Leid, wie viel Ruhelosigkeit vermag eine junge Familie zu ertragen? Welchen unbewussten Einfluss hat die Geschichte auf das Schreiben ihrer Söhne und ist Verarbeitung ein generationsübergreifender Prozess, der nie beendet werden kann? Diese und andere Fragen stellt man sich unwillkürlich beim Lesen der Zeilen.

Sehr dicht, sehr schnell, fast gedrängt beschreibt die Autorin das Zusammenführen der Puzzleteile, die sie schließlich in das Land ihrer Vorfahren führt, um diesen nahe zu sein und einen, wie auch immer gearteten Abschluss zu finden.

Es ist ein Streifzug durch die Geschichte der Foers, der fiktionalisiert im Roman „Alles ist erleuchtet“ des einen Sohnes begann, sich über die Jahre immer wieder durch das Leben von Esther Safran Foer zieht. Wie ein Detektiv, der lose Fäden findet und zusammenfügen muss, beschreibt sie, wie eine Antwort zu unzähligen neuen Fragen führt, wie ihre Mutter eigentlich mit der Vergangenheit abschließen wollte, doch diese für die Tochter fast zur Obsession wurde.

Wie viel kann eine Familie ertragen? Wie groß müssen Abstände zum Unaussprechlichen sein, um weiterleben zu können? geht das überhaupt? wie groß ist der Einfluss, auf das, was nachfolgt, aquf das Leben weiterer Generationen?

Die Biografie einer Suche nach Antworten, fast so literarisch wie die Schreibarbeit von Jonathan Safran Foer selbst, erschütternd jedoch, wie so vieles, was in den Wirren der Zeit des Zweiten Weltkrieges geschehen ist, als die Nazis weite Teile Europas in Schutt und Asche legten, Millionen Menschen ermordeten, nicht zuletzt derer jüdischen Glaubens, wie Teile der Familie Safran, denen mit „Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind“ ein Denkmal gesetzt wurde.

Vielleicht kann diese Familienbiografie, die sich eine Episode herausgreift, zum Anlass genommen werden, einmal selbst in der Vergangenheit der eigenen Familie nachzuforschen? Um Klarheit zu schaffen, aber auch offene Fragen zu beantworten und andere aufzuwerfen.

Autorin:

Esther Safran Foer wurde 1946 in Lodz geboren und ist eine US-amerikanische Autorin und ehemalige Geschäftsführerin eines jüdischen Kulturzentrums. Nach dem Holocaust und einige Jahre in einem DP-Lager in Deutschland wanderte die Familie nach Amerika aus.

Sie studierte Politikwissenschaften und arbeitete 1972 für den Präsidentschaftskandidaten George McGovern und gründete 2002 eine PR-Agentur. Von 2007 bis 2016 leitete sie das jüdische Kulturzentrum „Sixth & I Historic Synagogue“.

2020 schrieb Foer ihre Suche nach der ersten Frau ihres Vaters und dessen Tochter nieder, die beide im Holocaust umkamen. Ihre Söhne sind der Schriftsteller Jonathan Safran Foer und die Journalisten Franklin und Joshua Foer.

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Wiebke von Carolsfeld: Das Haus in der Claremont Street

Das Haus in der Claremont Street Book Cover
Das Haus in der Claremont Street Wiebke von Carolsfeld Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 10.09.2020 Seiten: 361 ISBN: 978-3-462-05475-0 Übersetzerin: Dorothee Merkel

Inhalt:

Wie überlebt man das Undenkbare? Tom weigert sich zu sprechen, nachdem seine Eltern auf brutale Weise sterben.

Seine unfreiwillig kinderlose Tante Sonya nimmt ihn auf, kommt aber nicht an den traumatisierten Jungen heran. Bald ist Tom gezwungen, erneut umzuziehen, diesmal in die Claremont Street in der Innenstadt von Toronto, in der ihm seine liebenswert-chaotische Tante Rose und sein Weltenbummler-Onkel Will ein Zuhause geben.

Mit der Zeit wird Toms Schweigen zu einer mächtigen Präsenz, die es dieser zerrütteten Familie ermöglichst, einander zum ersten Mal wirklich zu hören. Ein Roman darüber, wie mit viel Humor und Liebe selbst aus den schlimmstmöglichen Umständen etwas Positives erwachsen kann. (Inhaltsangabe Verlag)

Rezension:

„Wir sterben.“ Mit letzter Kraft sind es diese Worte, die dem kleinen Hauptprotagonisten über die Lippen kommen. Dann lange nichts. Tatsächlich ist dieses Debüt, welches mit einem lauten Knall beginnt, ein zutiefst mitfühlendes, auch verstörendes Porträt, eine ansonsten ruhige, dafür um so düstere Erzählung, die nun aus der Feder Wiebke von Carolsfelds vorgelegt wird.

Hauptprotagonist und Mittelpunkt der Geschichte ist ein kleiner Junge, der unschuldiger nicht sein könnte und auf dessen kleinen Schultern nun die Last liegt, eines der schlimmsten Vorkommnisse innerhalb von Familien erlebt zu haben. Zuerst ist der Schmerz da. Sehr viel später wird die Trauer folgen, doch Tom schweigt zunächst, lässt niemanden an sich heran. Warum denn auch? Ist doch eh alles vorbei.

Tom packte sich eine Tonscherbe, die von der Wand abgeprallt und direkt neben seinem Fuß gelandet war. Mama hatte diese Tasse geformt, hatte seinen Namen in den feuchten Ton geschrieben. Aber Tom konnte sich nicht mehr an die Konturen ihrer Hände erinnern. Angewidert schloss Tom seine Finger zur Faust und genoss den Schmerz, den der scharfe Splitter ihn bereitete. Je fester er drückte, je tiefer der Schnitt, desto besser.

Wiebke von Carolsfeld „Das Haus in der Claremont Street“

Herzzerreisend lesen sich die Zeilen, in klarer einnehmender Sprache geschrieben, um diese chaotische Familie, deren Zuhause in glücklichen Tagen ein liebevolles wäre, doch nun versucht jeder Protagonisten das Unbegreifbare zu fassen. Nichts ist schwarz oder weiß in diesem Roman, mit jeder Zeile gleitet man tiefer in die Seelenleben der handelnden Personen, die wechselhaft sympathisch agieren, doch innerhalb des erzählten Schicksallschlags völlig logisch, manchmal kopflos.

Wechselhaft ist die Perspektive, über ein Jahr begleiten wir Tom und das, was von der Familie übrig geblieben ist. Wie trauern wir? Wie gehen wir mit der Trauer anderer Menschen um? Wie können wir einander beistehen, nahe sein, wo wir doch vielleicht selbst Halt brauchen? Ist es möglich, einander zu verstehen? Zu begreifen? Heilt die Zeit alle Wunden?

Tom streckte seine Hand aus, um näher an die rot glühenden Kohlen zu kommen. Er würde die Hand nicht zurückziehen, er würde es schaffen, den Kurs zu halten und diese Sache hier zu Ende zu bringen, die er angefangen hatte.

Wiebke von Carolsfeld „Das Haus in der Claremont Street“

Fragen werden aufgeworfen, in diesem relativ kompakten Roman, die nicht einfach zu beantworten sind. Sofern dies überhaupt möglich ist. daran entlang hangelt sich die Autorin und lässt ihre Protagonisten einen langen steinigen Weg gehen, der für jeden von ihnen unterschiedliche Fallstricke bereithält.

Mehr oder weniger geschickt, meistern diese das Bevorstehende, um das Zurückliegende zu begreifen. Der Lesende wird in die Handlung hineingezogen. Klare Sprache, in einem ruhigen und der Thematik angemessenen düsteren Handlungsrahmen.

Kleine Momente des Glücks blitzen auf. Mit Witz treten sie an der Oberfläche, um zunächst so schnell zu verschwinden, wie sie gekommen sind. Die Zeit bringt es mit sich, dass sie zahlreicher werden. Wird es ihnen am Ende gelingen, eine Art Abschluss zu schaffen?

Eine Erzählung über Trauer, Auseinandergehen und Zusammenhalt, Hilfe und Verarbeitung, darüber, was Familie wirklich bedeuten kann. Schon alleine deshalb ist Wiebke von Carolsfelds Roman einer der ganz großen, die es verdient haben, bekannter zu werden.

Kinder sind am Anfang eines solchen Weges die Schwächsten, können jedoch, wenn alle Umstände günstig liegen, am stärksten aus einem solchen Schlag hervorgehen. Die Autorin zeigt das mit sehr viel Einfühlungsvermögen, so dass ich einen allzu kitschigen Absatz gegen Ende gern überlesen habe. Unbedingt lesenswert.

Autorin:

Wiebke von Carolsfeld wurde 1966 in Deutschland geboren und lebt als Filmeditorin, Regisseurin und Drehbuchautorin in Montreal. Als Cutterin gewann sie zahlreiche Preise und gibt zahlreiche Kurse über das Drehbuchschreiben, Filmemachen und den kreativen Prozess. 2002 wurde sie für den besten Schnitt für den Genie Award nominiert. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch machte sie zuvor eine Ausbildung zur Verlagskauffrau. Dies ist ihr erster Roman.

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James Gould-Bourn: Pandatage

Pandatage Book Cover
Pandatage James Gould-Bourn Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 02.05.2020 Seiten: 382 ISBN: 978-3-462-05364-7 Übersetzer: Stephan Kleiner

Inhalt:

Danny Maloony hat es schwer. Ein Glückspilz war er noch nie, aber seitdem seine Frau vor etwas mehr als einem Jahr bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, läuft gar nichts mehr glatt.

Sein Sohn Will hat aufgehört zu sprechen, Danny verliert den Job, und als ihm auch noch sein Vermieter mit Rausschmiss droht, kauft er von seinem letzten Geld ein Pandakostüm, um als Tanzbär Geld zu verdienen. Doch tanzen kann er leider auch nicht… (Klappentext)

Rezension:

Dass auch eine grobe Schreibarbeit zu einer wundervollen und berührenden Geschichte führen kann, beweist James Gould-Bourn, der mit seinem Debütroman „Pandatage“ eine einfühlsame Erzählung zu Papier gebracht hat. Hauptprotagonist ist der alleinerziehende Danny Maloony, der mit Haushalt, traumatisierten Sohn und seiner eigenen Trauer zu kämpfen hat, nachdem seine Frau bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.

Seit dem scheint ihm nichts mehr zu gelingen. Von einem auf den anderen Tag steht der Bauarbeiter beinahe vor dem Nichts. Auf der anderen Seite sein Sohn Will, der ebenso trauert, nicht mehr spricht, in der Schule zum Punchingball der Klassenschläger geworden ist, sich emotional immer mehr von Danny entfernt. Danny sieht in einem Pandakostüm schließlich die Chance auf bessere Tage. Doch, auch das erweist sich als einfacher als gedacht.

Nicht gerade fein ausgearbeitet ist diese Erzählung einer Vater-Sohn-Geschichte, tatsächlich ist der Schreibstil eher platt, die Protagonisten bis auf die beiden Hauptcharaktere sehr einseitig konstruiert und auch der Humor dürfte nicht jedermanns Sache sein. Dennoch hat James Gould-Bourn eine Geschichte geschrieben, die zu berühren mag. In ihrer Gesamtheit ist sie stimmig.

Das war Pandamonium!

James Gould-Bourn: Pandatage, Roman von Kiepenheuer & Witsch.

Das Klischee, dass sonst immer, wenn von Alleinerziehenden die Rede ist, von einer Mutter-Kind-Beziehung gesprochen wird, wird aufgebrochen, stehen doch Männer in dieser Situation vor den gleichen Problemen, auch der Umgang mit Trauer ist hier sehr schön dargestellt, zudem welche Bedeutung Menschen haben, die einfühlsam für einem auch in schlechten Zeiten da sind.

Der Humor des Autors ist speziell, wer sich jedoch darauf einlässt, entdeckt einen nachdenklich schwermütigen Roman, der immer genau dann aufgebrochen wird, wenn den Lesern die Last der Protagonisten förmlich zu erdrücken droht.

Ich wünschte, ich wäre gestorben, mit Mum zusammen, weil ich lieber tot wäre, als allein mit dir zu sein.

James Gould-Bourn: Pandatage. Roman von Kiepenheuer & Witsch.

Das wäre wiederum feinfühlig.

Die Stärke dieser Schreibarbeit liegt hier eindeutig im Beginn und Mittelteil. Der Schluss ist fast zu schnell erzählt. Hier hätte etwas mehr Ausgestaltung der Geschichte gut getan und nur mit den Blick, dass es praktisch egal sein kann, wie man sein Geld verdient, kann man die Auflösung gelten lassen. In der Realität halte ich das für schwierig.

Der Wortwitz und die Protagonisten, die man von der ersten Seite an liebgewinnt, machen „Pandatage“ zu einem lesenswerten Roman über Trauer, familie, Freundschaft, Glauben und Zuversicht, der in seiner Gesamtheit ein stimmiges Bild abgibt und funktioniert, da James Gould-Bourn diesen Stil von Beginn bis zum Ende durchhält.

Kurzweilige, flüssig zu lesende Kapitel aus wechselnder Perspektive, zeigen was möglich und dass es durchaus richtig ist, an „Pandatage“ zu glauben. Eine lesenswerte Erzählung in Pandakostüm.

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Kristina Palten: Allein durch den Iran

Allein durch den Iran Book Cover
Allein durch den Iran Kristina Palten Erschienen am: 08.04.2020 Kiepenheuer & Witsch seiten: 344 ISBN: 978-3-462-05412-5 Übersetzer: Paul Berf

Inhalt:

Kristina Palten ist 31, als sie zum ersten mal das Laufen für sich entdeckt. Nach einer Lebenskrise steigert sie ihr Pensum und bricht als Ultraläuferin alle Rekorde.

Doch auch das reicht ihr irgendwann nicht mehr: Sie will ihre eigenen Vorurteile und Ängste besiegen und allein durch den Iran laufen. Mit ihrer Geschichte zeigt uns Kristina Palten, was möglich ist, wenn wir unsere Angst überwinden. (Klappentext)

Rezension:

Undurchsichtig ist für die meisten Menschen in Europa dieses Land zwischen Kaspischen Meer und Persischen Golf, ein Hort der Unterdrückung und eine Quelle des Bösen für die anderen. Doch, wie ist es den Iranern von heute in ihrem Land zu begegnen, sich einzulassen auf eine uns fremde Kultur und Lebensweise?

Kristina Palten hat den Blick über den Tellerrand gewagt und sich selbst ein Bild gemacht. So weit die Füße tragen, läuft die gelernte Ingenieurin, die zuvor ihre Stelle bei einem schwedischen Mobilfunk- und Technikkonzern aufgegeben hatte, um sich vollkommen ihrem Hobby zu widmen. Über 1800 km sind es, quer durch das Reich der Mullahs, von der türkischen bis zur turkmenischen Grenze.

Die Läuferin berichtet von einer Strecke, die ihr alles abverlangte, zugleich jedoch zeigte, dass die Wirklichkeit vielschichtiger ist, als es uns die Medienwelt mitunter vorgaukelt.

Unter den Eindruck von Veränderungen in Arbeits- und Privatleben, beginnt Palten die planungen für ihre Reise, die sie umsichtig betreibt und ausführlich beschreibt. Welche Vorsichtsmaßnahmen sind zu treffen, wie Streckenabschnitte, Übernachtungen zu koordinieren?

Wird man sie als alleinstehende Frau überhaupt unbehelligt laufen lassen, in einem Land, welches unter den Deckmantel der Religion das Leben seiner Bürger kontrolliert? Wird sie frei mit den Menschen, auf die sie trifft agieren können? Wen kann sie überhaupt vertrauen?

Mit diesen und anderen Fragen und einen vollbepackten als Gepäckhilfe missbrauchten Kinderwagen beginnt sie im Spätsommer ihre Reise, die erst zwei Monate danach am anderen Ende des Landes beendet sein wird. Und trifft dabei auf Menschen, die ein völlig anderes Bild vermitteln, als sie es selbst vor ihrer Reise hatte.

Gastfreundschaft und Neugier begegnen der Schwedin, der überall Unterkunft gewährt und Begeisterung für ihr Vorhaben, welches sie ohne offizielle Genehmigung von staatlichen Stellen umsetzt, entgegen gebracht wird. Auch die andere Seite des Gottesstaates bekommt sie natürlich zu spüren, doch mit Unterstützung von Freunden gelingt ihr etwas, was den meisten iranischen Frauen nicht vergönnt sein wird.

Es ist das beeindruckende Portrait einer Frau, welches hier in Tagebuchform veröffentlicht wurde. Kristina Palten zeigt, wie leicht es sein kann, den Blick über den Tellerrand hinaus zu öffnen, aber auch, welche Grenzen dem immernoch in unserer Welt gesetzt sind.

Die Läuferin beschreibt ihre Reise, setzt dabei den Fokus auf die Tätigkeit und vor allem, auf die Menschen, denen sie begegnet. Palten zeigt, wie es ihr gelang, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen und in welchem Zwiespalt sich die Menschen bewegen. Einfühlsam beschreibt sie in klaren Sätzen Erlebtes, Trauriges, Ernüchterndes und Hoffnungsvolles. Schwedische Gelassenheit und Grundoptimismus traf hier auf Neugier, Offenheit, mancherlei Grenzen.

In kurzweiligen Kapiteln zeigt die Autorin jedoch, was möglich ist, wenn man Mut beweist und einander vertraut. Wenn dies gelingt, ist schon viel gewonnen.

Der Film:

Auf Teilstrecken wurde Kristina Palten von einem Kameramann begleitet. Viel filmte sie zudem selbst. Daraus entstand ein Film über einen sehr besonderen Lauf. Diesen kann man downloaden und ansehen. Hier klicken.

Trailer zum Film über Paltens Lauf durch den Iran.

Mehr Informationen, hier. Über Kristina Palten, hier klicken.

Autorin:

Kristina Palten wurde 1971 in Nordschweden geboren, ist eine Ingenieurin und hält mehrere Rekorde in Marathon- und Ultraläufen. Mit dem Plan, Ängste und Vorurteile abzubauen ist sie knapp zwei Monate, nachdem sie ihren Job aufgegeben hatte, um sich vollkommen dem Laufen zu widmen, 1840 km durch den Iran gelaufen. Von der türkischen bis zur turkmensichen Grenze.

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Stefanie de Velasco: Kein Teil der Welt

Titel: Kein Teil der Welt Book Cover
Titel: Kein Teil der Welt Stefanie de Velasco Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 10.10.2019 Seiten: 432 ISBN: 978-3-462-05043-1

Inhalt:
Vom Aufwachsen in der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas.

Mit unwiderstehlicher Kraft führt uns Stefanie de Velascos aufrüttelnder Roman in eine Welt, die mitten in der unsrigen existiert und dennoch kein Teil von ihr ist. Klug, rasant und herzzerreißend erzählt er vom Emanzipationsprozess einer jungen Frau, der sämtliche Fundamente zum Einstürzen bringt. (Klappentext)

Rezension:
Unser Grundgesetz legt fest, dass ein Jeder glauben darf, woran er oder sie möchte, so lange man seinem Gegenüber nicht schadet. Dies ist ein Privileg, zumal es noch genug Orte auf der Welt gibt oder es in der Geschichte gab, an denen die jenigen verfolgt wurden, die von den Meinungen der Mehrheitsgesellschaft abweichen oder ganz und gar ihre eigenen Wege gehen.

Doch, was ist, wenn sich die Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft zu sehr abschotten und sich selbst schaden? Stefanie de Velasco erzählt die fiktive Geschichte zweier Mädchen innerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas.

Die Autorin, die selbst lange Zeit Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen ist, erzählt nicht ihre oder eine andere klassische Aussteigergeschichte, sondern stellt dem Leser zwei klassische identifikationsfiguren an die Seite, deren Schicksal man von Zeile zu Zeile atemlos verfolgt.

Zum einen ist da das Mädchen, welches den Glauben mit einer Ernsthaftigkeit praktiziert, dass man als Leser nur den Kopf schütteln kann, dioe jedoch später nach ersten Zweifeln beginnt, zu hinterfragen. Die Erzählerin indes ist die andere Protagonistin, die einfach ihre Ruhe haben, keinen Wandel möchte, doch vom Zweifel ihrer Freundin mitgerissen wird.

Im Wechsel der Zeitebenen wird die Geschichte erzählt. Rückblenden und Gegenwartseindrücke gehen nahtlos ineinander über.

Das ist die Stärke des Romans und zugleich seine Schwäche. Zu Beginn weiß man nicht, wo diese Geschichte einem hinführen wird, welches Ziel die Protagonisten verfolgen. Auch das Lesetempo, welches die Autorin einfordert ist nicht gerade einladend.

Am Anfang fließt der Erzählstrom langsam, doch schon nach dem ersten Drittel wird klar, dass die Figuren sich in immer rasanteren Tempo dem Abgrund nähern. Dies widerum tut der Handlung gut, wenn auch im Mittelteil die Wendung zu abrupt kommt. Hier hätten fünfzig Seiten mehr der Geschichte gut getan.

Stefanie de Velasco erzählt eine nur in Ansätzen autobiografische Geschichte und doch eine, wie sie passieren könnte. Sie zeigt, wie wichtig es ist, auch auf die jenigen zu achten, die außerhalb unserer Gemeinschaft stehen, ohne erhobenen Zeigefinger natürlich, aber dennoch Hilfe anzubieten, wenn stille Zeichen dazu Anlass geben.

Die Autorin erzählt, dass es wichtig ist, auf diese Menschen einzugehen, gleich dem wie fremd die einstige Denkweise sein mag, aber auch wie wichtig es ist, größere Katastrophen zu verhindern, sind doch die Einschnitte ohnehin brutal genug.

Mit der Kraft des Erzählens zeigt „Kein Teil der Welt“ jedoch auch, wie nah Freud und Leid beieinander liegen und das Freundschaft auch dann noch eine Wirkung hat, wenn diese längst vergangen ist. Und da sind dann die Protagonisten dann doch nicht so anders als die Welt um sie herum.

Einige Längen und ein allzu abrupter Wechsel im handlungsverlauf zum Trotz, zieht einem der Roman in seinem Bann, lässt einige Fragen offen und im Leser arbeiten. Das halboffene Ende passt dazu, insgesamt hätten der Erzählung ein paar Seiten mehr Ausführungen gut getan. Im Großen und Ganzen jedoch, lesenswert.

Autorin:
Stefanie de Velasco wurde 1978 geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Aufgewachsen bei den Zeugen jehovas verließ sie die Religionsgemeinschaft im Alter von 15 Jahren. Nach der Schule studierte sie Europäische Ethnologie und Politikwissenschaft in Bonn, Berlin und Warschau.

Für das Berliner Stadtmagazin Zitty, die FAS und Zeit Online schreibt sie regelmäßig Beiträge. Im Jahr 2013 erschien ihr Debütroman „Tigermilch“, der verfilmt und zahlreich übersetzt wurde. Ein Jahr später wurde sie dafür für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. „Kein Teil der Welt“, ist ihr zweiter Roman.

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Isabel Bogdan: Laufen

Laufen Book Cover
Laufen Autorin: Isabel Bogdan Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 12.09.2019 Seiten: 200 ISBN: 978-3-462-05349-4

Inhalt:
Eine Frau glaubt nach einem erschütternden Verlust, am Ende ihrer Kraft zu sein. Dennoch beginnt sie zu laufen.

Ihre Runden werden von Woche zu Woche länger und was als Davonlaufen beginnt, wird schließlich ein Weg zurück ins Leben. Immer an ihrer Seite: ihre Freundin, ihre Wut, ihre Liebe zur Musik und ein Humor, der es mit der Verzweiflung aufnehmen kann. (Klappentext)

Rezension:
Zwischen all den Romanen mit aufmerksamkeitsheischenden Klappentexten und noch mehr schreienden Covern kommt die neueste Novelle von Isabel Bogdan sehr unscheinbar daher, hat es jedoch gewaltig in sich. Der Leser taucht zunächst ein, in die Gedankenwelt einer Frau, derene Leben vor kurzer Zeit eine unumkehrbare Wende genommen hat.

Düster ist der Beginn und so folgt man der Ich-Erzählerin Schritt für Schritt durch die Hamburger Innenstadt, entlang der Alster. Sie läuft, um ihr Leben und um zu leben, doch, was zunächst nur ein Ausweichmanöver scheint, wird zu einem Ritual und schließlich zu einer Passion.

Hochkonzentriert ist der Handlunsstrang. Nebenprotagonisten sind auf das Wesentliche reduziert. dadurch lässt sich der innere Monolog der namenlösen Protagonistin sehr gut nachvollziehen und verfolgen. Einatmen, ausatmen. Das Lauftempo bestimmt den Verlauf der Geschichte. Um so mehr Schritte gelaufen und Seitenzahlen gezählt sind, um so mehr helle Flecken mischen sich unter die Düsternis, was dem Leseempfinden ganz gut tut.

Der Schreibstil ist den umherschwirrenden Gedanken der Protagonistin angepasst. Ein Monolog in Schachtelsätzen, vom Kleinen ins Große und wieder zurück, ohne Punkt und Komma. Dies ist gewöhnungsbedürftig und als Leser muss man erst in die Geschichte hineinfinden. Die nötige Konzentration sollte man schon mitbringen.

Wer sich fallen und berieseln lassen möchte, ist mit dieser Erzählung defintiv falsch bedient. Das produziert ein paar Längen, die jedoch zu verschmerzen sind, da die Kapitel logisch aufeinander aufbauen, wie gelaufene Kilometer. Höhen und Tiefen, sowohl im Sport als auch im Leben.

Isabel Bogdan, die seit Jahren in der Hamburger Bloggerszene vernetzt, als Autorin und Übersetzerin tätig ist, zeigt hier, dass sie neben humorvollen Texten auch mit ernsthaften jonglieren kann. Eben auch eine Art von Laufen.

Autorin:
Isabel Bogdan wurde 1968 in Köln geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin, Übersetzerin und Bloggerin. Zunächst studierte sie Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio, erhielt 2006 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung, 2011 den für Literatur.

Seit 2012 schreibt sie selbst Bücher, nachdem sie u.a. Jonathan Safran Foer, Megan Abbott und Jane Garden übersetzte. Sie ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und im Verband deutschsprachiger Übersetzer VdÜ. 2016 erschien ihr erster Roman, nachdem sie zuvor jahrelang bloggte. Bogdan ist Vorsitzende des Vereins zur Rettung des „anderthalb“.

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Viveca Sten: Mörderisches Ufer

Mörderisches Ufer Book Cover
Mörderisches Ufer Thomas-Andreasson-Reihe (8) Kriminalroman Kiepenheuer & Witsch Taschenbuch Seiten: 454 ISBN: 978-3-462-05190-2

Inhalt:

Jeden Sommer kommen Hunderte Kinder ins Segelcamp nach Lökholmen, der kleinen Insel gegenüber von Sandhamn, und verbringen dort ihre Ferien. Doch nicht alle, die am Camp teilnehmen, können ihre Zeit dort genießen, denn einige Kinder werden gemobbt und leiden unter den Gemeinheiten der anderen. Als eines von inen plötzlich verschwindet, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit… (Klappentext)

Einordnung: Dies ist der achte Band der Thomas-Andreasson-Reihe.

Rezension:

Skandinavische Krimis kennzeichnen sich allzuoft durch Melancholie, die sich wie Mehltau durch die Bücher zieht, schönen Landschaftsbeschreibungen, aber gescheiterten Existenzen, denen man die Ermittlerrolle nur mit großem Wohlwollen abnehmen kann.

Nur hin und wieder sticht ein Fall, eine Geschichte oder gar eine Reihe wohltuend heraus und setzt ein Zeichen gegenüber dem Einerlei dieses sehr eigenen Genres. In diesem Sinne entführt Viveca Sten ihre Leser wieder einmal nach Lökholmen und Sandhamn, jener ländlichen idylle Schwedens, die tief im Inneren ihre Schattenseiten verbirgt. Zumindest, wenn man der feder der Autorin folgt.

Ein Handlungsstrang verfolgt den Weg des kleinen elfjährigen Benjamin, der gegen seinen Willen in ein Segelcamp auf der Schäreninsel verfrachtet wird und dort schnell das Ziel von älteren Jugendlichen wird, die in ihm das ideale Mobbingopfer sehen.

Ein parallel geführter Erzählstrang verfolgt ein, mit diesem Protagonisten lose verbundenen Gerichtsprozess, ein anderer dritter ist der verbindende Klebstoff zwischen den Zeilen.

Dies führt bei manchen Autoren dazu, dass sie sich verlieren und es nicht schaffen, eine vernünftige Lösung zur zusammenführung zu schreiben, doch mit Hilfe eines kontinuierlichen Spannungsaufbaus, der wellenförmig mal die eine Handlung hervorhebt, dann wieder andere Protagonisten fordert, schafft es die Autorin, was nur bei wenig Krimis so überzeugend gelingt.

Dies, in einer vergleichsweise ruhigen und fast unbrutalen schreib- und Erzählweise, die einem dennoch einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Nicht umsonst wurde diese Geschichte, wie auch schon mehrere andere der Reihe, bereits für eine Miniserie verfilmt.

Man kann diesen Krimi ohne Kenntnis der Vorgängerbände lesen, sei jedoch gewarnt, wenn man den Trigger Kindesentführung vermeiden möchte. zwar gibt es gewalttätigere Geschichten in diesem Genre, jedoch selten so gut erzählt. Die Perspektivwechsel folgen logisch in kurzweiligen Kapiteln, die jeweils einem Protagonisten folgen, ohne unter den bereits erwähnten Krimi-Mehltau zu ersticken.

Der Handlungsstrang um die Mobber wurde zu Gunsten der Entführung und den entsprechenden Folgen wahrscheinlich vom Lektorat zusammengekürzt, doch liegt es nicht in der Natur der sache, dass man im Alltag einzelne Aspekte verfolgt und andere aus den Augen verliert? In diesem Sinne ist es dennoch ein gut abgerundeter Kriminalroman, der es sich zu lesen lohnt.

Autorin:

Viveca Sten wurde 1959 in Stockhilm, Schweden, geboren und ist eine skandinavische Schriftstellerin und Juristin. Nach der Schule entschied sie sich für ein Jura-Studium und arbeitete als Chefjuristin für die schwedische und dänische Post.

Nachdem sie mehrfach Fachliteratur und entsprechende Aufsätze publiziert hatte, veröffentlichte sie 2008 ihren ersten Kriminalroman, aus dem inzwischen eine mehrbändige Reihe geworden ist. Die Reihe wurde als Miniserie für’s Fernsehen verfilmt. Die Autorin verbringt mit ihrer Familie die Sommer weitestgehend in Sandhamn, Haupthandlungsort ihrer Bücher und lebt mit ihrer Familie bei Stockholm.

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Joseph Cassara: Das Haus der unfassbar Schönen

Das Haus der unfassbar Schönen Book Cover
Das Haus der unfassbar Schönen Joseph Cassara Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 11.04.2019 Seiten: 444 ISBN: 978-3-462-05169-8 Übersetzer: Stephan Kleiner

Inhalt:

New York, 1980: Die Stadt platzt fast vor Glamour und Energie und keine Subkultur könnte diesen Zeitraum besser verkörpern als die aufkommende LGBTQ-Ballroom-Szene. Neu in diese schillernde Welt kommt angel, eine gerade mal siebzehnjährige Dragqueen, schwer traumatisiert von ihrer eigenen Vergangenheit und auf der Suche nach einer Familie für Menschen ohne Familie.

Sie begegnet Hector, der davon träumt, Profitänzer zu werden. Die Beiden verlieben sich und gründen das Haus Xtravagaanza, in dem sie ausschließlich Latino-Queens aufnehmen, um in sogenannten Bällen gegen die anderen Häuser anzutreten. Zur Familie der Xtravaganzas gehören bald noch Venus, Juanito und Daniel; zusammen kämpfen die Xtravaganzas um Anerkennung und Respekt vor ihren Lebensentwürfen – und nicht zuletzt ums blanke Überleben, denn ein grausames Virus macht die Runde. (Klappentext)

Rezension:

Ein Roman, wie ein Schrei. So in etwa kann man die Geschichte aus der Feder Joseph Cassaras beschreiben, die uns Kiepenheuer & Witsch hier in der deutschen Übersetzung vorlegt. In seinem Debüt erzählt der aus New Jersey stammende Schriftsteller vom Wandel der Gesellschaft, einem flirrenden Jahrzehnt, Rausch und Extremen und Extremsituationen, denen sich die Protagonisten ausgesetzt sehen.

In handlichen Kapiteln begleiten wir die Figuren, die alle ihre Lebensgeschichte als schweres Paket mit sich herumtragen, durch das schillernde New York, jedoch in seine Schattenseiten hinein. Angel ist die Hauptprotagonistin, die ob ihrer Geschlechtsidentität aus den vorgegebenen engen Grenzen der Gesellschaft zunächst ausbricht, später anderen dabei hilft. In Zeiten von Diversity ein hochaktuelles Thema, welches noch vor wenigen Jahren weniger offen gehandhabt wurde, heute immer noch auf Barrieren stößt.

Vertiefend steht am Anfang der Einführung zunächst die Lebensgeschichte, eingebunden in die Romanhandlung, der Figuren, die zusammen einen Weg suchen, ihre eigene Identität zu finden, zu wahren und zu verteidigen. Das ist anfangs etwas anstrengend zu lesen. Man muss sich in Schreib- und Erzählstil, immer aus wechselnder Protagonisten-Sicht übrigens, einfinden.

Die eingeflochtenen hispanischen Redewendungen und Ausdrücke, der Slang des Buches macht das selbige nicht gerade zu einer einfachen Lektüre, zumal Joseph Cassara seine Protagonisten quält und sie von der einen in die andere Extremsituation wirft. Es geht ums Leben, die Liebe, den Tod, Gesellschaft und Ausgrenzung, Selbstfindung, Drogen und Sexualität. Auch das damals aufkommende HIV-Virus ist ein immer wiederkehrendes Thema.

Ziemlich viel für eine Geschichte. Es klappt, wenn es auch an einigen Stellen hakt. Übergänge zwischen einzelnen Handlungen hätte ich mir an mancher Stelle etwas sanfter gewünscht, rein vom Lesefluss her, Brüche dramatischer und in bestimmten Zeitebenen, zum Beispiel Rückblicke, wäre ich gerne ein wenig länger verharrt.

Wer sich ein wenig mit neuerer Zeitgeschichte, Subkulturen und LGBTQ auskennt, wird sich vielleicht leichter einfinden, andere werden neue Facetten entdecken und ein Jahrzehnt im Schnelldurchlauf durchleben, aus Sicht einer damals sehr weit ausgrenzten Gruppe von Menschen.

Josep Cassara hat mit diesem Roman gezeigt, dass er das Zeug dazu hat, in einer Reihe mit großen amerikanischen Schriftstellern, etwa Jonathan Safran Foer, genannt zu werden, die ein fortschrittliches und nachdenkliches, kritisches Amerika repräsentieren und den Finger auf die Wunden legen. Dafür hat sich dieses Werk, wenn auch mit kleineren Abstrichen, gelohnt. Und da kann man auch mal das extrem ablenkende Cover übersehen, welches ich jetzt jedoch als verlegerische Entscheidung werte.

Autor:

Joseph Cassara ist in New Jersey geboren und aufgewachsen. Er studierte zunächst an der Columbia University und schloss einen Schreibworkshop ab, bevor er selbst seinen ersten Roman „Das Haus der unfassbar Schönen“ veröffentlichte. Für diesen erhielt er bereits mehrere Preise. Parallel unterrichtet er selbst Kreatives Schreiben.

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