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Joachim B. Schmidt: Moosflüstern

Inhalt:
Im Juni 1949 brachte der Dampfer „Esja“ rund 200 Frauen aus Deutschland nach Island, wo sie sich als Dienstmädchen auf Bauernhöfen verdingten. Darunter auch Heinrich Liebers Mutter, von der er immer geglaubt hatte, sie sei nach seiner Geburt gestorben. 40 Jahre später ist Heinrich Bauingenieur, verheiratet, doch sein Leben gerät auf einmal ins Wanken. Der sonst so korrekte Mann fasst einen überstürzten Entschluss und reist nach Island, wo er sich auf die Suche nach seiner Herkunft macht. (Klappentext)

Rezension:
Ein Einsturz verändert alles. Doch auch so, ohne den Zusammenbruch der Lagerhalle, den Heinrich über seine Bauzeichnungen brütend, sich zunächst nicht erklären kann, gerät sein Leben aus den Fugen, als seine Adoptiveltern ihn vom erst kürzlichen Tod der schon länger verstorben geglaubten Mutter erzählen. Zwei Tropfen, die das Fass zum Überlaufen, das Gedankenkarussel in Bewegung setzen und in Joachim B. Schmidts Roman „Moosflüstern“ vom beschaulichen Zürich in die raue Landschaft Islands führen.

In seiner Erzählung folgen wir zwei Handlungssträngen auf unterschiedlichen Zeitebenen. In der Gegenwart folgen wir den von Selbstzweifeln und Unsicherheiten befangenen Hauptprotagonisten auf Spurensuche nach seiner Vergangenheit, sowie im Wechsel der jungen Anna, die sich kurz nach Kriegsende aus dem gebeutelten Europa auf dem Weg nach Island macht. Nach und nach führen beide Handlungen zueinander, wenn auch der Rahmen unterschiedlicher gefasst nicht sein könnte. Joachim B. Schmidt erzählt von Polartagen, die sich wie Wochen anfüllen und von Jahren, die verstreichen.

Dabei liest sich „Moosflüstern“ gleichermaßen melancholisch wie leichtgängig, was sowohl an den wenigen Hauptfiguren liegt, mit deren Ecken und Kanten man sich schnell identifizieren mag, als auch an kunstvollen Orts- und Landschaftsbeschreibungen, die einem ganz für das Geschehen einnehmen vermögen. Das vollkommene Ausbleiben eines kompletten Antagonisten tut sein Übriges. Nein, beide Hauptfiguren stehen sich selbst im Weg und finden doch immer wieder auf die Spur zurück. Ähnlichkeiten zueinander sind hier unverkennbar, wunderbar ausgestaltet durch den Autoren. Das macht es leicht, sich in die Protagonisten beider Handlungsstränge hineinzuversetzen.

Mit seiner Erzählung bringt Joachim B. Schmidt ein hierzulande kleines, jedoch fast vergessenes Kapitel Geschichte zum Vorschein und lässt sie einfühlsam lebendig werden. Die eine Protagonistin ist ihr ausgesetzt, der andere macht sich nach und nach ein Bild. In der rauen Landschaft setzt sich ein Puzzle zusammen, was Heinrich auch mit der eigenen Verantwortung für sein Tun konfrontieren wird. Hier eröffnen sich feine Unterschiede, Risse, die Seite für Seite feinsinnig herausgearbeitet werden.

Daraus ist ein in sich abgeschlossener Roman entstanden, der ohne großspurige Wendungen auskommt, jedoch auch keine Lücken aufweist und trotzdem streckenweise spannend zu lesen ist. Genau im richtigen Maße, ohne alles in Eiskristalle gehüllte Melancholie ersticken zu lassen, lässt der Autor Perspektiven und Beschreibungen wechseln. Zeile für Zeile durchzieht den Text eine fast filmische Sprache, die beide Handlungsstränge sehr plastisch wirken lassen. Ein wenig Kitsch wird sich hier und da dennoch erlaubt.

Weder zu heiter noch düster ist die Erzählung, deren Hintergründe man gerne nachspüren möchte. Das liegt nicht zuletzt an Joachim B. Schmidts der seine Gespräche mit Menschen hat einfließen lassen, die die hier am Anfang stehende Überfahrt nach Island tatsächlich gemacht haben. Der Sprung ins kalte Fjordwasser ist hier gelungen.

Wer andere Werke des Autoren kennt, wie etwa „Kalmann“ oder „Tell“ wird hier erneut überrascht werden, von seiner Vielseitigkeit des Erzählens. Wieder liest es sich anders als das aus seiner Feder bekannte, wobei, dies sei auch erwähnt, der Eindruck leider nicht ganz so nachhaltig wirkt. Das jedoch ist Meckern auf hohem Niveau, ergibt allerhöchstens Abzüge in der B-Note. Joachim B. Schmidts Figuren folgt man dann doch zu gerne.

Autor:
Joachim B. Schmidt ist ein Schweizer Journalist und Schriftsteller, der zunächst eine Ausbildung zum diplomierten Hochbauzeichner absolvierte. Mit einer Kurzgeschichte gewann er einen Schreibwettbewerb und veröffentlichte erstmals 2013 seinen ersten Roman. Als Journalist und Touristenquide arbeitet er in Reykjavik, Island, wohin er 2007 ausgewandert ist. Sein Roman „Kalmann“, dem weitere folgten, erschien 2020 bei Diogenes. Er ist ausgezeichnet mit dem Crime Cologne Award und dem Glauser Preis.

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Bea Davies: Super-GAU

Inhalt:

Am 11. März 2011 trifft die Fukushima-Katastrophe Japan mit voller Wucht. Tausende Kilometer entfernt, in Berlin, geht das Leben weiter – doch nicht unberührt vom Geschehen. Acht menschen, deren Schicksale unerwartet miteinander verflochten sind, erleben, wie ein fernes Ereignis ihre Welt ins Wanken bringt.

Bea Davies erzählt in ihrer eindringlichen Graphic Novel von den feinen Verbindungen zwischen globalen Katastrophen und persönlichen krisen und zeigt, wie diese Momente unser aller Leben verändern können. (Klappentext)

Rezension:

Wie dünne Fäden ziehen sich die Verbindungen von Menschen rund um den Globus und so bleiben auch wir, scheinbar sicher vor so mancher menschengemachter oder natürlicher Katastrophe, nicht verschont. Diese Ereignisse ziehen Veränderungen nach sich, derer wir nicht entkommen können, die uns einen anderen Blick zu unserer eigenen Vergangenheit, Gegenwart, unserem Leben einnehmen lassen. Die Illustratorin Bea Davies ist für ihr Werk „Super-Gau“ erstmalig auch in die Rolle der Autorin geschlüpft und zeigt, wie sich das Leben mit einem Schlag ändern kann. Auch fernab im vermeintlich sicheren Berlin.

Dabei wirkt die Katastrophe von Fukushima, zunächst das Erdbeben und der Tsunamie, die anschließend das Reaktor-Ungluck zur Folge haben werden, in der feinfühligen Graphic Novel als stetes Hintergrundrauschen, welches die Schicksale der einzelnen Figuren auf unterschiedliche Art und Weise beeinflusst. Vor diesem Weltgeschehen erzählt Bea Davies die Geschichte einer jungen Frau, die ihre Mutter nie gekannt hat und nun in einer Obdachlosenunterkunft tätig ist, einer Mitarbeiterin vom Jugendamt, eines Schreibenden, eines Wissenschaftlers, eines Jungen. Alle leben und haben sie ihren Alltag, der durch ihre Umgebung und eben den Ereignissen, um sie herum, gelenkt wird. Natürlich auch durch solch außergewöhnliche, wie Fukushima.

Im steten Wechsel verschieden großer Panels erzählt Bea Davies so mehrere Geschichten, die zusammen eine große ergeben. Wie Puzzle-Stücke muten diese zum Teil an. Manche fast malerisch, andere im eindeutigen Comic-Stil. Immer in Schwarz-Weiß. Eindrücklich besonders sind die übergroßen, teilweise ganze Seiten einnehmenden Panels, die das Ausmaß an persönlicher Zerrüttung und Zerstörung durch die Katastrophe verdeutlichen. Dies verursacht Momente, die zum Innehalten, in Details versinken, einladen. Das ganze Ausmaß von Verletzlichkeit zeigt sich hier. Fukushima als Chiffre für persönliche Krisen, Probleme und Suchen.

Wir folgen den Figuren auf ihren Wegen, die sich kreuzen, ohne dass dies verwirrend wäre oder erzählerisch schwierige Lücken provoziert. Es sind immer genau so viele Details, wie nötig, die da auf einem einprasseln. Keines zu wenig oder zu viel. Man lebt und leidet mit all den Protagonisten, ohne dass es effekthaschend wirkt. Diese Graphic Novel regt zum Nachdenken an, natürlich über solcherlei Ereignisse, aber auch über die Verbindungen zwischen uns, derer wir nur durch eben diese gewahr werden.

In diesem Sinne sei die Graphic Novel unbedingt empfohlen.

Blick auf Instagram: Bea Davies

Autorin und Illustratorin:

Bea Davies wurde 1990 in Italien geboren und lebt seit 2012 in Berlin als freie Illustratorin und Comic-Zeichnerin. Nach Erhalt eines Stipendiums fing sie 2010 ihre künstlerische Ausbildung an der School of Visual Arts of New York an. Ihr Studium führte sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee fort. Im Jahr 2019 erschien ihre erste Graphic Novel. „Super-GAU“ ist ihr zweites Werk, zudem ihr Debüt als Autorin.

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Doris Wirth: Findet mich

Version 1.0.0

Inhalt:

Erwin bringt das Geld nach Hause, seine Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt. Doch als Erwin Mitte 50 seinen Job verliert und sein Vater stirbt, fällt er in eine akute Krise. Er pendelt zwischen Verzweiflung und Größenwahn. In seinem Kopf sprießen bizarre Pläne und die Gier nach einem puren, triebhaften Leben in der Wildnis. Eines Tages zieht er los und verschwindet.

Sprachlich intensiv und formal virtuos verwebt Doris Wirth Familienroman und Roadmovie. Sie zeichnet das komplexe Psychogramm eines Mannes, der eine manische Psychose durchlebt. Aus wechselnden Perspektiven erzählt Findet mich Erwins Geschichte und zeichnet die der Familie über drei Generationen nach: von der Unterdrückung individueller Wünsche über die Prägung durch patriarchale Strukturen bis zur Suche neuer Rollen in der Gegenwart. (Klappentext)

Rezension:

Das vorliegende Romandebüt der Schweizer Autorin Doris Wirth, die zuvor bereits mehrere Erzählungen veröffentlicht, spürt den Veränderungen innerhalb einer Familie nach, deren Alltag plötzlich durch eine psychische Krankheit dominiert wird. Seiner Handlungsspielräume beraubt und seines Platzes verwiesen, spürt das ehemalige Oberhaupt nur noch den Drang, sich privaten Zwängen und dem gesellschaftlichen Druck zu entziehen und nähert nicht nur sich damit einem dunklen Abgrund an.

Leichtgängig klingt dies schon im Klappentext nicht an. Auch in der Zusammenfassung wirkt es nicht besser, doch liest sich der Wandel des Hauptprotagonisten und aller, die ihn umgeben, durchaus flüssig, in sofern wir sofort Bezüge zu den einzelnen Figuren herstellen können. In unserer schnelllebigen Gesellschaft sind nicht wenige selbst von psychischen Zwängen und Krankheiten betroffen oder kennen dies zumindest aus dem engeren Umfeld und so fällt das Einfinden leicht.

Nur wenige Stellschrauben, Auslöser, braucht die Autorin, um Verbindungen herzustellen. Die beiden Hauptfiguren, die im Laufe der Erzählung um eine geringe Anzahl erweitert werden, bekommen durch ihre Vorgeschichte Konturen. Diese sind klar gehalten, nach und nach schält sich das Unheil heraus. Dunkle Momente werden immer zahlreicher, ehe sie schließlich handlungsbestimmend wirken.

Vor allem für den männlichen Hauptpart, dessen Handeln man beinahe atemlos verfolgt. In der Art und Weise dessen, wirkt dies folgerichtig, ohne Lücken oder unlogische Sprünge zu hinterlassen. Bilder schafft hier die Autorin vor allem sehr stark durch innere Monologe, gedankliche Ausführungen, womit die Figuren ihre Ecken und Kanten bekommen. Im Kontrast zu dem vor allem so aufgebauten Protagonisten wirken die umgebenden Personen um so stärker. Doris Wirth gelingt es hier zu zeigen, dass auch Familienmitglieder mit einer solchen Situation zu kämpfen haben, nicht nur die Betroffenen selbst und das der Weg da raus nur entlang von Bruchkanten verlaufen kann.

Dieser Balanceakt erzeugt starke Bilder vor dem inneren Auge, auch bringt der stete Perspektivwechsel innerhalb der Kapitel eine temporeiche Dynamik mit sich. Dieser zu folgen ist dabei nicht sonderlich schwierig, wenn auch die Thematik nicht ohne ist. Man sollte dies vor dem Lesen wissen. Nicht jeder dürfte diese Erzählung einfach so weg lesen können. Auch der Genre-Mix trägt sein Übriges dazu bei. Psychogram und Roadmovie passen, das beweist Doris Wirth, hier wieder einmal gut zusammen. Schauplätze werden hier ebenso plastisch beschrieben wie Gefühlswelten, ohne ins Klischeehafte abzugleiten.

Immer wieder stolpert man dabei über einzelne Passagen, die hängen bleiben und nachdenklich machen. Manchmal ist es auch nur etwas Unbestimmtes, was beim Lesen zurückbleibt. Gerade für solche Momente lohnt sich das Lesen des Romans, in den man gerne den einzelnen Figuren neben dem Hauptprotagonisten noch mehr Raum geben würde, dabei wechseln die Sympathien durchaus von Kapitel zu Kapitel. Es hängt dann von den einzelnen Lesenden ab, welche Nachwirkungen hier Doris Wirth erzielt hat.

Ohne Spuren aber geht es nicht.

Autorin:

Doris Wirth wurde 1981 geboren und ist eine Schweizer Autorin. Zunächst studierte sie Germanistik, Filmwissenschaft und Philosophie in Zürich und Berlin, bevor 2014 ihr erster Erzählband erschien, dem weitere folgten. Für ihre Prosa mehrfach ausgezeichnet, erschien 2024 ihr Romandebüt. Die Gewinnerin mehrerer Literaturwettbewerbe lebt in Berlin.

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Zora del Buono: Seinetwegen

Inhalt:

Zora del Buono war acht Monate alt, als ihr Vater 1963 bei einem Autounfall starb. Der tote Vater war die große Leerstelle der Familie. Wie kann jemand, der fehlt, ein Leben dennoch prägen? Die Tochter macht sich auf die Suche und fragt, was der Unfall bedeutet hat: für die, die mit einem Verlust weiterleben, für den, der mit einer Schuld weiterlebt. Seinetwegen erzählt Zeitgeschichte als Familiengeschichte – detailgenau, raffiniert komponiert, so präzise wie poetisch. (Klappentext)

Rezension:

Wir wirken Lücken auf uns, die praktisch immer schon existieren, wenn Verlust Dauerzustand ist und was macht dieser mit jenen, die ihn verursacht, aber ansonsten kaum Berührungspunkte haben? Vor allem nicht mit den Betroffenen, die darunter dann Zeit ihres Lebens leiden müssen. Die Schweizer Journalistin und Autorin Zora del Buono geht diesen und damit zusammenhängenden Fragen in ihrer biografischen Reportage „Seinetwegen“ nach und entdeckt anhand eines Teils der Familiengeschichte auch ein Stück ihrer Selbst.

Der Erzählton des vorliegenden Textes ist ruhig und doch spürt man das Drängen, mit dem die Schriftstellerin den letzten Stunden ihres Vaters nachgeht, welchem sie im Alter von acht Monaten bei einem Autounfall verlor. Die Mutter im Heim, längst in die Demenz abgeglitten, Zeit ihres Lebens hatte sie nicht darüber gesprochen, vom Verursacher des Unfalls existiert zunächst nur ein Name und ein kleiner Zeitungsartikel über den nachfolgenden Prozess.

Wenig für diejenige, die begreifen und ergründen möchte, doch del Buono spürt der Geschichte des Moments nac, der das Leben der Familie für immer verändern sollte. Ihr Bild des Unfallfahrers verschiebt sich dabei ebenso, wie jenes von der Schweizer Gesellschaft, von den 1960er Jahren bis heute.

So unaufgeregt das kompakte Werk daherkommt, so aufgewühlt ist im Inneren der Autorin zugegangen, die mit ihrer Recherche eine große Lücke in ihrem Leben zu füllen. Die rastlose Suche, die zwischen den Zeilen daherkommt und immer wieder an Glasdecken stößt, ergibt nur langsam ein vielschichtiges Bild, zunächst vor allem von einer Gesellschaft im wandel. Erst später wird sie beiden Personen nahekommen. Dem Verursacher, dessen Leben vom Wandel der Gesellschaft erzählt und ihrem Vater, der einst als Fremder in die Schweiz kam und sich dort ein neues Leben zu aufbauen versuchte.

Die Zeitstrahlen einerseits der vergangenen Jahrzehnte, andererseits der wochenlangen Suche laufen schließlich zusammen, doch sind es die Figuren selbst, die diese biografische Reportage zu etwas Besonderen machen. Dabei beschränkt sich die Autorin, die damit auch zum Gegenstand ihres Schreibens wird, auf wenige Personen. Nach und nach kann man sogar dem Unfallverursacher nachspüren. Jede Geschichte hat zwei oder mehr Seiten. So verarbeitet Zora del Buono das, was ihre Mutter nie so wirklich konnte. Braucht es also, zu der Erkenntnis könnte man gelangen, manchmal nur eine Generation Abstand?

Kurze prägnante Sätze wechseln sich mit ausschweifenden Gedankengängen ab, kulminierend in den Treffen der Freunde der Autorin, die im Verlust zu geliebten Menschen vereint sind. Rückblenden in die Kindheit durchbrechen den Text, der auch dadurch nahbar wird. Schauplätze werden zu Bildern. Del Buono lässt sie vor dem inneren Auge entstehen.

Es ist der Versuch der Verarbeitung etwas Unbegreiflichen. Ob dieser gelungen ist, kann nur die Autorin selbst entscheiden, er macht jedenfalls ordentlich Eindruck. Natürlich stellt sich die Frage, was dabei gewonnen ist, einem Menschen auf dieser sehr persönlichen Suche zu begleiten? Vielleicht können jene die Frage beantworten, welche selbst solch einen Verlust erlitten haben.

Für alle anderen bleibt die Erzählung des gesellschaftlichen Wandels. Dafür aber braucht es jetzt nicht unbedingt diesen Rahmen. Dieser kleine biografische Bericht lässt einem dennoch für einen Moment innehalten und nachdenklich zurück. Letztlich muss wohl jeder für sich entscheiden, ob dies genügt.

Autorin:

Zora del Buono wurde 1962 in Zürich geboren und ist eine Schweizer Architektin, Journalistin und Autorin. Zunächst studierte sie Architektur in Zürich und Berlin, wo sie bis 1995 als Architektin tätig war. Danach absolvierte sie ein Studium für Szenografie. 1996 war sie Mitgründerin der Zeitrschrift Mare, welche sie von 2001 bis 2008 als stellvertretende Chefredakteurin begleitete.

2008 erschien ihr Debütroman, dem weitere Werke folgten. Del Buono ist Mitglied des Schweizer PEN, erhielt 2024 den Schweizer Buchpreis und 2012 den ITB Buch Award.

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Yande Seck: Weiße Wolken

Inhalt:

Zwei Schwestern: Die eine arbeitet sich an sämtlichem Unrecht unserer Gegenwart ab, die andere am bürgerlichen Familienideal. Für die eine ist ihr Schwarzsein eine politische Kategorie, für die andere ihr Muttersein.

Dieo lebt mit ihrem Mann Simon und drei Söhnen in einem schönen Altbau im Frankfurter Nordend. Mit ihrem Therapeuten bespricht sie die Eskapaden ihrer exzentrischen Mutter und die ungerechte Verteilung von Mental Load in ihrer Beziehung. Derweil verzweifelt ihre jüngere Schwester zazie zunehmend an der rassistischen und sexistischen Gesellschaft. Ihre Wut trifft auch ihren Schwager Simon, der als mittelalter weißer Mann in der Techbranche für alles steht, was sie verachtet.

Als der Vater der Schwestern, ein eigensinniger Nietzsche-Fan, der vor über vierzig Jahren aus dem Senegal nach Deutschland kam, unerwartet stirbt, gerät das fragile Familiengefüge aus dem Gleichgewicht. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Im Spannungsfeld zahlreicher Themenbereiche bewegt sich der von der Autorin Yande Seck vorgelegte Debütroman „Weiße Wolken“, der beachtenswert versucht, verschiedenste Handlungsstränge miteinander zu verbinden. Doch, ist dies gelungen, zumal in einer solch kompakt gehaltenen Form?

Der Schreibstil ist zumindest schon mal eingängig und auch die Tonalität vor allem an den beiden, in der Erzählung, Raum einnehmenden Hauptfiguren eingepasst, die in ihrer ihnen eigenen Dynamik die Handlung vorantreiben und zugleich als Gegenparts zueinander dienen, die doch mehr miteinander verbindet.

In wechselnder Perspektive begleiten wir die Hauptprotagonisten, die sich in verschiedener Form an den Vorstellungen und Gedankengrenzen, zum einen der Gesellschaft, aber auch persönlicher Determinanten stoßen und dabei mehr und mehr unter Druck stehen.

Das beginnt bei der eigenen Familie, zieht sich weiter in verschiedener Ausprägung im beruflichen als auch öffentlichen Kontext, wobei auch das Geschwisterpaar selbst sehr verschieden zueinander ist. Die Nebenfiguren, von denen im Verlauf der Erzählung immer mehr auf das Tableau gebracht werden, bringen dabei eine ganz eigene Dynamik mit, die wiederum den Hauptfiguren ihre Ecken und Kanten geben.

Die Autorin scheut dabei nicht, mehrere Handlungsstränge und vielerlei gesellschaftliche Fragen im Spiegel ihrer Figuren zur Diskussion zu stellen, zudem in einer zugänglichen Tonalität, die dazu führt, dass man vielleicht nicht gleichwertig Sympathin für die Protagonistinnen entwickelt, jedoch ein gewisses Verständnis für Denken und Handeln, ohne dass dies auf Kosten des Leseflusses gehen würde.

Jedoch werden die einzelnen Stränge über die gesamte Strecke der Erzählungen nicht konsequent durchgehalten oder gar am Ende zusammengeführt. Bei Letzterem stellt sich das Gefühl ein, hierfür fehlte die Zeit, Dinge auszuformulieren. Vielleicht hätten es jedoch vorher auch ein paar hundert Seiten mehr sein können, um die Geschichte in all ihren Facetten abzurunden. Trotzdem natürlich sind die einzelnen Figuren greifbar und kann man sich die Schauplätze vorstellen, neben der Sprache eine der großen Stärken Yande Secks.

Die Schwächen der Erzählung sind dennoch sichtbar und kaum zu ignorieren. Ein paar Ausführungen mehr, auch die Ausgestaltung der einen oder anderen Nebenfigur hätte der Geschichte gut getan. Positiv daran, eine solche bietet sich an, fortgesetzt zu werden. Hier wäre ein Weiterschreiben wünschenswert, um genau dies auszugleichen. Wenn nicht, so darf man gespannt sein, wie sich das Schreiben der Autorin mit potenziell weiteren Roman entwickelt.

Der Roman ist eine Großstadterzählung, zugleich Familiengeschichte, die in der einen oder anderen Form mit all ihren Fragen zwischen den Figuren, durchaus vielen bekannt sein dürfte, zudem sehr viel Diskussionspotenzial bietet.

Yande Seck leistet damit gerade heute einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte und lässt überdies keinen Zweifel, welche Gedanken auch sie beschäftigen. In sofern darf man auf weitere Veröffentlichungen gespannt sein. Und vielleicht gelingt es dann, einerseits die Waage zwischen den Themen zu halten und auch Handlungsstränge nicht aus den Blick zu verlieren. Zu wünschen wäre es.

Autorin:

Yande Seck wurde 1986 in Heidelberg geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin, Erziehungswissenschaftlerin und Kinderpsychotherapeutin. In Frankfurt promovierte sie zu Mutterschaft, Migration und Psychoanalyse und schoss dem 2015 eine Ausbildung zur Psychotherapeutin an, die sie 2019 abschloss. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Offenbach. Seit 2019 ist sie zudem als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sonderpädagogik der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt tätig. Ihr erster Roman erschien 2024.

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Henning Kreitel: August Barthel 1 – Der Mord an der Mühle

Inhalt:

August Barthel ist Bürgerpolizist in der Sächsischen Schweiz. Nach einer Wanderung hört er Hilferufe aus einer nahe gelegenen Schlucht. Er vermutet, dass sie von Friedrich Hauer stammen, dem Zimmermann. Hinweise auf ein Verbrechen findet er dort aber nicht, nur dessen Handy. Vom Zuhälter Carlo Wolff erfährt Barthel von Hauers Plänen, die ehemalige Lochmühle bei Pirna in einen Edelpuff umzuwandeln. Auf Hauers Handy entdeckt er aufreizende Fotos der Wildhüterin Ronja Gräfe. Als er sie zur Rede stellen will, flieht sie. Hauer bleibt derweil verschwunden. Ein Mord wird immer wahrscheinlicher … (Klappentext)

Einordnung in der Reihe:

Henning Kreitel: August Barthel 1 – Der Mord an der Mühle

[Einklappen]

Rezension:

Von der quirligen Metropole Berlin verschlägt es den Polizisten August Barthel inmitten der Sächsischen Schweiz, als er das Haus seines verstorbenen Vaters erbt. Fortan nimmt er dort für zwei Gemeinden die Stelle des Bürgerpolizisten wahr, ein stiller Posten, den ihn mancher Kollege neidet. Mit der Ruhe indes ist es bald vorbei, als der umtriebige Zimmermann des Ortes verschwindet. Barthel beginnt sofort mit seinen Ermittlungen, nicht ahnend, in welches Wespennest er sticht.

Wenig temporeich beginnt vergleichsweise unscheinbar der erste Band der vorliegenden Krimi-Reihe aus der Feder Henning Kreitels, der uns Lesende in die idyllische Sächsische Schweiz entführt und nach und nach immer rätselhafter anmutet. Beinahe novellenhaft liest sich der leichtgängige Roman, mit dessen Figuren man sich leicht identifizieren kann. Dem Autoren ist hier die Ausarbeitung nicht nur seines Hauptprotagonisten gelungen. Klar, jedoch mit Ecken und Kanten hat Kreitel die Dorffiguren versehen und füllt damit einen Regionalkrimi von der besseren Seite und spielt mit Klischees wie Charakterzügen.

Der Kriminalfall wird ruhig erzählt, ohne haarsträubende Wendungen aufzunehmen, denen man schnell nicht mehr folgen könnte. Man folgt der Ermittlerfigur, wie sie nach und nach Puzzleteile auffindet, wieder verwirft oder neu zusammensetzt. Der Autor beweist hier, dass auch ohne hohem Erzähltempo ein spannendes Rätsel aufgebaut werden kann, wenn auch, gerade wer mehr den modernen Thriller oder Krimi gewohnt ist, sich in diese Art Erzählung wieder einfinden muss.

Ohne zu viele Worte zu verlieren, auf kompakten Raum, wird hier ein Zeitraum von wenigen Tagen erzählt, und ein Geflecht aufgebaut, welches August Barthel zu entwirren und überblicken versucht, der nicht nur gegen den Argwohn seiner Kollegen ankämpfen, sondern auch als praktisch wieder Zugezogener sich in die Empfindlichkeiten seines Ortes neu eindenken muss. Nicht klar zunächst, wer die Gegenspieler sind, vermeintliche sind beim Lesen schnell ausgemacht. Der Autor weiß jedoch mit Grautönen ebenso zu spielen, wie er auch Landschaftsbilder vor dem inneren Auge entstehen lassen kann.

Hier liegen die Stärken Henning Kreitels, der atmosphärisch seinen Reihenauftakt gestaltet, ohne erzählerische Lücken oder unbedachte Sprünge zu machen. An mancher Stelle wirkt diese Komposition fast zu ruhig, doch fängt sich der Roman sehr schnell, so dass man kaum von größeren Längen sprechen kann. Den Fokus hat Kreitel auf seinem Hauptprotagonisten und die Verstrickungen der handelnden Figuren untereinander gelegt, die ebenso gut vorzustellen sind wie die Gegend, in der die Handlung spielt. Damit ist die Art von Kriminalroman geschaffen, deren Ermittelnden man gerne auf den Pfaden weiterer Fälle folgen wird und so darf man gespannt sein, auch um die Entwicklung der Protagonisten willen, was uns mit August Barthel noch alles erwartet.

Ein viel versprechender Reihenauftakt, der an manchen Stellen fast vorabendserientauglich (Schreibt man das so?) daherkommt, mit zu vernachlässigenden Abzügen in der B-Note. Ein Kammerspiel auf Ortsgröße gebracht. Das ist doch etwas.

Autor:

Henning Kreitel wurde 1982 in Weimar geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Fotograf. Er absolvierte eine Ausbildung zum Bankkaufmann und studierte anschließend Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie in Stuttgart. Seit 2012 entstanden erste literarische Texte. Während eines Austauschsemesters in Island wurde eine seiner fotografischen Serien ausgestellt. 2014 schloss er sein Studium ab und ist seitdem als freiberuflicher Schriftsteller und Fotograf tätig. Seine Bilder wurden mehrfach ausgestellt, zudem ist er in der Deutschen Gesellschaft für Fotografie und im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller tätig, Vorsitzender deren Berliner Landesverbands. Kreitel, der in Berlin lebt, wurde 2022 in das PEN-Zentrum Deutschlands aufgenommen.

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Paul Murray: Der Stich der Biene

Inhalt:

Familie Barnes steckt in Schwierigkeiten. Dickie Barnes‘ lukratives Autogeschäft läuft nicht mehr. Aber anstatt sich dem Problem zu stellen, beginnt er in den Wäldern einen Bunker zu bauen. Seiner Frau Imelda, die ihren Schmuck auf ebay verkauft, erscheinen die Avancen von Big Mike, dem reichen Rinderzüchter, immer attraktiver. Die achtzehnjährige Cass, die immer die Klassenbeste war, reagiert auf den Niedergang, in dem sie beschließt, sich bis zu ihrem Abschluss jeden Tag zu betrinken, während der zwölfjährige PJ einen Plan schmiedet, um von zu Hause abzuhauen. (Klappentext)

Rezension:

Immer heftiger werden die dichter aufeinanderfolgenden Einschläge. Die Konstruktion ist schon lange instabil und steht nun kurz vor den Zusammenbruch, als deren Säulen auseinander streben, der Verfall einer Familie in Zeiten finanzieller (und der Klima-)Krise. Ein irisches Buddenbrooks in modernen Gewand legt uns der Schriftsteller Paul Murray mit seinem Roman „Der Stich der Biene“ vor. Doch, funktioniert das?

In der Tradition großer irischer Erzählungen versucht sich der Autor mit seiner Geschichte, deren Dreh- und Angelpunkt eine von der Wirtschaftskrise gebeutelte Kleinstadt ist, deren Auswirkungen auch jene zu spüren bekommen, die mit ihrem Betrieb einst Pulsgeber des Ortes waren. Das Autohaus, welches Dickie Barnes mehr aus Pflichtgefühl denn Leidenschaft und Interesse von seinem Vater übernommen hat, steckt in der Krise.

Das Schicksal des Unternehmens hat bereits auf die einzelnen Familienmitglieder abzufärben begonnen. Schwermütig deprimierend beginnt sich die Geschichte in einer immer dichteren Folge aus Perspektivwechseln zu entspinnen und zeigt, eine Kette von Ereignissen, deren Ursachen vielschichtig sind.

Die Erzählung selbst, mit der Murray versucht etwa an Jonathan Franzen oder Frank McCourt anzuknüpfen, wird geprägt durch die verschiedenen Perspektiven, die zunächst viel Raum bekommen, dann jedoch immer schneller wechselnd auf das Finale zusteuern. Dabei wird ein Zeitraum von wenigen Wochen umrissen, in derer sich die Protagonisten ihrer Vergangenheit, möglichen und vergebenen Chancen stellen müssen, um Auswege zu finden, die es eigentlich nicht gibt.

Dabei entstehen über die einzelnen Kapitel, die mit dem jeweiligen Charakter überschrieben sind, aus dessen Sicht in dem Moment erzählt wird, unweigerlich Längen. Die hätte es wahrlich nicht gebraucht. Einen Protagonisten weniger vielleicht, zweihundert Seiten weniger in jedem Fall. Das hätte der Dynamik dieses Romans gut getan. Hier hilft dann auch nicht mehr der stete Perspektivwechsel, der aus den einzelnen Vergangenheitsperspektiven heraus Wendungen für die Gegenwart der Figuren bewirkt. In China fällt ein Sack Reis um. Hier ist es ein Insektenstich, der alles auslöst. Oder begann die Geschichte der Barnes viel eher?

Einzeln für sich sind die Protagonisten durchaus interessant ausgestaltet. Alle haben ihre Ecken und Kanten, verbergen Geheimnisse, die zur Sprache gebracht vielleicht gemeinsam zu lösen wären, doch bleiben letztlich alle für sich. „Der Stich der Biene“ als Roman vieler Worte, in denen die Figuren nicht viele Worte miteinander verlieren. Und kaum Satzzeichen.

Ohne Sinn und Verstand fehlende Zeichensetzung als stilistisches Mittel zu verwenden, traut sich auch kaum jemand. Wer „Der Stich der Biene“ liest, weiß anschließend auch, warum. Nebst aller anderen Kritikpunkte, die vielleicht irgendwie noch zu rechtfertigen sind, ist das der größte. Nicht zu sprechen vom halboffenen Ende, welches bei der vorhergehenden sehr ausführlichen Erzählweise so wirkt, als hätte der Autor keine Lust gehabt, seine Geschichte zu Ende zu erzählen oder unbedingt einen Termin einhalten müssen. Was auch immer.

All diese Punkte machen diese Erzählung, die so interessant hätte werden können, nur schwer zugänglich. Es wird wohl hier nur Top oder Flop geben. Entweder man mag den Stil oder eben nicht. Ein Dazwischen gibt es nicht. Mit guten Wille auch ein Verweis auf die Finanzkrise. Entweder man kommt durch oder fällt hinten runter. In diesem Sinne ist der Roman wohl gelungen. Für mich hat das leider nicht gereicht.

Autor:
Paul Murray wurde 1975 in Dublin geboren und ist ein irischer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Englische Literatur am Trinity College in Dublin, sowie Kreatives Schreiben in Norwich. Bevor er sich als Autor betätigte, arbeitete er als Buchhändler. Murray veröffentlichte 2003 seinen ersten Roman, dem weitere folgten. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet.

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Lisa Kaltenegger: Sind wir allein im Universum?

Inhalt:

Haben Sie gewusst, dass es in unserer Galaxie Milliarden potenziell lebensfreundliche Planeten gibt? Die Wissenschaft ist näher dran als je zuvor, das Rätsel um Leben im All zu lösen. Lisa Kaltenegger, die international gefragte Astrophysikerin und Astronomin aus Österreich, begibt sich in diesem Buch auf Spurensuche nach Super-Erden, Felsplaneten und Habitablen Zonen. Sie präsentiert Ergebnisse aktueller Forschung auf unterhaltsame Weise und erklärt, unter welchen Umständen außerirdisches Leben möglich ist. (Klappentext)

Rezension:

Unendliche Weiten, faszinierende Tiefen. Der Blick ins All vermag zu faszinieren. Mit immer größeren Teleskopen gelingen immer detailreichere Einblicke und atemraubende Entdeckungen. Viele Geheimnisse des Weltraums beginnen wir gerade erst zu entschlüsseln. Die Antwort auf die spannendste Frage jedoch, die zum ersten Mal vor mehr als eintausend Jahren dokumentiert wurde, steht noch aus. Sind wir allein im Universum? Gibt es Leben außerhalb der Erde? Der beste Beweis für Leben im All sind schließlich wir. Grund genug für die österreichische Astrophysikerin Lisa Kaltenegger, sich auf Spurensuche zu begeben. Von dieser erzählt sie in ihrem nun aktualisiert vorliegenden und vielschichtigen Sachbuch.

Und sie beginnt vor unserer eigenen Haustür, mit der Entstehung unseres Sonnensystems und der Erde, die als Vergleichsmaterial für ernsthafte Forschungen dienen, fernab aller Verschwörungstheorien. Dabei kommt unser Platz im Weltall zur Sprache, ebenso die Rolle von Licht und die Kategorisierung von Planeten, welche zusammen die Faktoren festlegen, nachdem eine Suche nach wie auch immer gearteten Leben überhaupt beginnen kann.

Hoch komplexe Themen erläutert die Autorin sehr anschaulich, so dass dies auch ohne Vorwissen zu begreifen ist, immer wieder aufgelockert durch beinahe comichafte, jedoch dadurch leichtgängige, die Sachverhalte verdeutlichende Zeichnungen. Vom Kleinen angefangen wagt sich die Autorin dabei mit uns Lesenden immer weiter in das Weltall hervor und zeigt, wie dieses Wissen den Wissenschaftler:innen heute hilft, Suchmethoden nach Planeten zu entwickeln und anzuwenden, auf denen Leben möglich sein könnte.

Wie diese funktionieren wird danach ebenfalls erläutert, bevor danach der Themenkomplex eröffnet wird, wie Leben überhaupt beginnen kann und welche Welten die Forschung bisher ins Auge hat fassen können. Entgegen der hoch komplexen Inhalte, sind die Kapitel sehr kurzweilig und kompakt aufgemacht, ohne wichtige Faktoren dieser hochspannenden Suche zu unterschlagen. Lisa Kaltenegger ist es gelungen, nicht allzu viel Fachsprache zu verwenden, ihre Leserschaft dennoch ernst zunehmen.

So wird der neueste Stand der Forschung auch Laien verständlich gemacht, im inneren des Buchrückens findet sich zudem eine der Thematik zu Grunde liegenden Sternenkarte und illustriert die bisherigen Forschungsergebnisse. Rundum ein gelungenes Sachbuch, welches allen Sternen-Fans zu empfehlen ist, die eine Aneinanderreihung von Fakten zugänglich aufbereitet vorfinden werden, ohne ins allzu Trockene abzurutschen oder schlimmer, von einem Schwarzen Loch verschlungen zu werden. Abzüge in der B-Note bringt allerhöchstens das Lektorat, welches den einen oder anderen Tippfehler übersehen hat. Eventuell werden diese jedoch bis zur nächsten Auflage entdeckt, genau so wie Lisa Kaltenegger und ihrem Team noch die Entdeckung vieler möglicher Erden zu wünschen ist.

Autorin:

Lisa Kaltenegger wurde 1977 in Kuchl bei Salzburg geboren und ist eine österreichische Astronomin und Astrophysikerin. Ihr Forschungsgebiet ist die Entdeckung von Exoplaneten, Exomonden und Supererden. Zunächst studierte sie u. a. Technische Physik, Astronomie und Japanisch, arbeitete als Übersetzung, bevor sie das Studium der Astronomie mit Diplom abschloss. 2002 schloss sie ebenfalls das Studium der Technischen Physik mit Spezialisierung auf Biophysik und Biomedizin ab, bevor sie 2004 in Graz promovierte.

Kaltenegger arbeitete zunächst für die Europäische Weltraumorganisation ESA, bevor sie an die Harvard University wechselte und war zudem an verschiedenen Instituten als wissenschaftliche Mitarbeiterin oder Leiterin tätig. Seit 2009 arbeitet sie für die NASA und ist außerdem außerordentliche Professorin an der Cornell University. Sie ist Mitgründerin des dortigen Carl Sagan Institute. Lisa Kaltenegger beschäftigt sich mit der Modellierung und Charakterisierung von Atmosphären um erdähnliche Planeten und deren Wechselwirkungen mit der Planetenoberfläche und war an der Entdeckung mehrerer Planeten beteiligt, die sich in der habitablen Zone befinden.

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Richard Adams: Unten am Fluss – Graphic Novel

Version:
Rezensiert wird hier die Adaption des Romans als Graphic Novel.

Inhalt:

In einer apokalyptischen Vision sieht Hazels jüngerer Bruder Fiver die Zerstörung ihrer Heimat voraus. Sie wissen: Einzig die Flucht kann ihre Kolonie vor dem Untergang retten. Doch kaum jemand will auf sie hören. Und so macht sich nur eine kleine Schar Kaninchen auf, ein neues Zuhause zu finden. Unterwegs durchleben sie zahllose Abenteuer, Meuterei, Verrat und Heldentum, Schlachten mit hohem Blutzoll, bis sie schließlich ins Land der Freiheit und des Friedens einziehen. (Klappentext)

Rezension:

Wie viele Kinder durften sich eigentlich die Trickfilm-Adaption des Romans „Watership Down“ ansehen, um danach nachhaltig wochenlang unter der Angst vor Alpträumen wach zu liegen? Es dürften so einige gewesen sein, schließlich gab es Zeiten, in der auch Eltern, vor allem hierzulande darauf vertraut haben, einen Zeichentrickfilm Kindern ohne Bedenken zeigen zu können.

Die Hauptfiguren sind schließlich flauschige Kaninchen, was also soll schon passieren? Alles, natürlich. So habe ich mich erst Jahrzehnte später an eine andere Adaption des Romans herangetraut, der hier nun vorliegenden Graphic Novel, während ich den Film mir wohl in meinem Leben kein zweites Mal mir ansehen werde und auch der eigentliche Roman noch eine ganze Weile warten darf.

Das Grundgerüst der 1972 erstmalig erschienen Erzählung ist schnell erklärt. Eine Gruppe von Wildkaninchen macht sich auf die Suche nach einer neuen Heimat, nachdem einem von ihnen einer Version vollkommener Zerstörung und Vernichtung anheimfällt. Diese fast epilepsieartigen Anfälle Fivers leiten die Gruppe, die sich von ihrer ursprünglichen Sippe entfernt und eine neue Heimat sucht. Während der Reise ins Ungewisse begegnet diese Gemeinschaft zahlreichen Gefahren und Herausforderungen, die sie nur gemeinsam meistern können. Von Beginn an klar, nicht alle werden es schaffen.

Viel Dramatik ist in dieser beinahe George Orwell anmutenden Geschichte enthalten, die sich zeichnerisch gut in Szene setzen lässt. Dabei wirken die einzelnen Panels beinahe wie in „Winnie the Pooh“, doch zugleich düster und bedrohlicher gehalten. Das gewählte Format und die Entscheidung, ausführlich zu erzählen, transportieren den Geist der Erzählung, so das trotz notwendiger Verdichtung nicht das Gefühl aufkommt, es würde etwas fehlen.

Der Adaption geschuldet, verschmelzen mehrere Nebenfiguren zu einer einzigen, bekommen andere mehr Raum als dies wahrscheinlich im Romantext der Fall ist, doch folgen auch Zeichner und Texter einem kontinuierlichen Spannungsverlauf, der sich fast bis zum Nervenkitzel steigert.

Auch die Graphic Novel ist nichts für Kinder, was hier jedoch auch nicht behauptet wird. Da ich nun zwei Varianten, diese und die Verfilmung kenne, bezweifle ich dies erst recht für den Roman selbst, gleichwohl der Autor diesen wohl selbst seinen eigenen Kindern vorgelesen haben soll.

Roman und Verfilmung haben jeweils mehrere Ebenen, was sich natürlich in zeichnerischer Form besonders gut umsetzen lässt. Fließende Übergänge sorgen für kurzes Innehalten. Die Figuren sind hier gut ausgearbeitet, eine klare Abgrenzung zwischen Gut und Böse liefert Identifikationspotenzial bzw. die Antagonisten. Und ja, Natur ist auch in dieser Version grausam. Warum auch nicht. Ein Verwischen würde die Graphic Novel zu weit vom Original entfernen.

Perspektivwechsel sind hier mit Vorsicht zu genießen. Man kann bei der Anzahl an Charakteren durchaus das eine oder andere Mal durcheinander geraten. Düstere Momente sind dabei in relativ dunklen Farben gehalten, während Erd- und Grüntöne die hauptsächlichen Panels beherrschen, beinahe pastellartig, was zum Versinken einlädt. Der Verlag präsentiert hier ein manchmal schwer verdauliches, in jedem Fall gewichtiges Coffee Table Book.

Da schon Richard Adams eine reale Landschaft zum Handlungsort gewählt hat, fiel es auch hier leicht, dies grafisch zu übertragen. Die Orte existieren, auch das Leben der Protagonisten ist so eindrücklich dargestellt, dass es glaubwürdig wirkt. Von der Übertragung her und vor allem zeichnerisch ist James Sturm und Joe Sutphin hier mit Richard Adams Geschichte etwas großes gelungen, was mich am Ende doch ein wenig mit meinem Kindheitserlebnis versöhnt.

Für Liebhaber der Erzählung ist es zugleich ein wertiges Sammelobjekt, welches hiermit vorliegt.

Autor:
Richard George Adams wurde 1920 in Newbury geboren und war ein britischer Schriftsteller. Nach seinem Einsatz im Zweiten Weltkrieg schloss er 1948 sein Studium der neueren Geschichte ab und arbeitetebis 1974 als Beamter für den Vorläufer des späteren britischen Umweltministeriums. 1972 veröffentlichte er seinen Roman „Unten am Fluss“ und widmete sich fortan hauptsächlich der Schriftstellerei. Er engagierte sich für den Tierschutz und der Einstellung der Fuchsjagd. Später lebte er auf der Isle of Man und starb 2016 in Oxford.

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Monica Subietas: Waldinneres

Inhalt:

Ein jüdischer Kunstsammler rettet sich mit Fluchthelfern vor den Nazis in die Schweiz, doch seine Spur verliert sich im Dickicht eines Waldes. Zurück bleibt nur sein Gehstock, darin eingerollt ein kleines Gemälde.

70 Jahre später betritt Gottfried Messmer das Foyer einer Bank in Zürich. Im Schließfach seines Vaters findet er einen echten Klimt. Wie kam sein Vater an dieses Bild? Und wo ist sein wahrer Besitzer? Gottfried muss sich einem Familiengeheimnis stellen, das weit in die Geschichte seines Landes zurückreicht. (Klappentext)

Rezension:

Als der Sohn den Nachlass seines Vaters inspiziert, den er zuvor einem jahrzehntelang unberührten Bankschließfach entnahm, stockt ihm der Atem. Eingerollt im Hohlraum eines Gehstocks findet sich ein bemaltes Stück Leinwand, kaum größer als eine Postkarte. Ein Original so scheint es, von Gustav Klimt.

Wie kam Hermann einst in Besitz dieses Gemäldes? War Gottfrieds Vater Profiteur von NS-Raubkunst? Und wie soll er den letzten Willen von Hermann erfüllen, den wahren Besitzer von „Waldinneres“ zu finden? Eine Suche auf den Spuren der eigenen Familiengeschichte und in den düsteren Kapiteln seines Heimatlandes entpuppt sich als schwierig. Und als wahrer Krimi.

So viel zur Handlung der vorliegenden kompakt gehaltenen Novelle, in der sich die spanische Kulturjournalistin Monica Subietas mit den Themen Judenverfolgung und NS-Raubkunst auseinandersetzt. Zunächst, das titelgebende Gemälde gibt es tatsächlich.

Der Maler Gustav Klimt schuf es 1881 und war mit seinen Werken einer der Künstler, deren Objekte sich später die Nationalsozialisten auf ihren Raubzügen quer durch Europa aneigneten, welche in Folge entweder in Privatarchive oder Sammlungen wiederfanden, deren Spuren sich über das Kriegsende hinaus verlor und bis dato teilweise noch immer nicht restituiert sind. Dieses Szenario gestreift hat die Autorin einen sogreichen Roman verfasst, der durchaus ein Erzähltempo erzeugt, dessen Sog man sich nicht entziehen kann.

Eingerahmt durch Zeitsprünge erleben wir die Haupthandlung in unserer Gegenwart, die zunächst unscheinbar daherkommt und mit deren Hilfe alle Figuren, auch die aus der Vergangenheit nach und nach ihre Konturen bekommen. Nicht alle gleichermaßen, vieles bleibt im Waagen. Nur langsam lüftet sich der Schleier für den Hauptprotagonisten, der sich schnell innerhalb eines Spiels findet, welches er kaum noch kontrollieren kann.

Verschiedene kurz gehaltene Perspektivwechsel tun ihr übriges dazu, der Handlung eine gewisse Dynamik zu verleihen, die jedoch an mancher Stelle nicht ganz stimmig in ruhige Fahrwasser gerät. Subietas hat hier Potential nicht zur Gänze genutzt, um so erstaunlicher ist es, dass dennoch keine unlogischen Brüche oder Wendungen existieren.

Viel mehr Ausschmückung an Details hätten einzelnen Figuren und Szenen gut getan, wobei Auslassungen an vielen Stellen dann doch funktionieren. Die Tonalität indes bleibt zumeist ruhig. Die Thematik indes ist fast ein Alleinstellungsmerkmal oder zumindest selten für eine Romanhandlung, weshalb „Waldinneres“ dennoch lesenswert ist.

Subietas‘ Stärke liegt in der Ausgestaltung ihres Hauptprotagonisten, dessen innere Zerrissenheit sich in allen Facetten der Handlung widerspiegelt, wogegen die Antagonisten nicht gänzlich der einen oder anderen Seite zuzuordnen sind. Die Autorin scheint die Zwischentöne zu lieben, was durchaus Wirkung zeigt. Auch atmosphärische Ortsbeschreibungen lassen Bilder vor dem inneren Auge entstehen und geben so der Erzählung zusätzlich Konturen. Logikfehler sind, wenn vorhanden, zu überlesen.

Das gesamte Konstrukt wirkt im Zusammenspiel mit einer überraschenden wende beinahe am Ende des Textes, der in kompakt gehaltene Kapitel aufgegliedert ist, zudem helfen die oben beschriebenen Punkte, sich dies alles vorzustellen. Auch das Grundthema trägt seinen Teil zur Spannung bei. Hier wäre dennoch etwas mehr Tiefe wünschenswert gewesen.

Der Roman „Waldinneres“ ist lesenswert und kann durchaus als Ansatz genommen werden, sich einmal mit dem Wirken Klimts sowie der verschlungenen Thematik NS-Raubkunst zu beschäftigen, die bis in unsere Zeit hineinwirkt und noch immer nicht aufgelöst wird, dank des verborgenen Teils der Kunstwelt, der Verschwiegenheit von Banken und auch dem Unwillen staatlicher Institutionen, sich mit den dunklen Flecken der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Mit ihrem Debüt stößt Monica Subietas durchaus gekonnt einen Keil hinein und damit eine Diskussion an, die viel beharrlicher geführt werden muss.

Trotz seiner Schwächen ist alleine deshalb „Waldinneres“ daher sehr lesenswert.

Autorin:

Monica Subietas wurde 1971 in Barcelona geboren und ist eine Kulturjournalistin und Autorin. Die in Zürich als Editorial Designerin tätige arbeitet in der Leseförderung und spricht mehrere Sprachen fließend. „Waldinneres“ ist ihr erster Roman.

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