
Inhalt:
Erwin bringt das Geld nach Hause, seine Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt. Doch als Erwin Mitte 50 seinen Job verliert und sein Vater stirbt, fällt er in eine akute Krise. Er pendelt zwischen Verzweiflung und Größenwahn. In seinem Kopf sprießen bizarre Pläne und die Gier nach einem puren, triebhaften Leben in der Wildnis. Eines Tages zieht er los und verschwindet.
Sprachlich intensiv und formal virtuos verwebt Doris Wirth Familienroman und Roadmovie. Sie zeichnet das komplexe Psychogramm eines Mannes, der eine manische Psychose durchlebt. Aus wechselnden Perspektiven erzählt Findet mich Erwins Geschichte und zeichnet die der Familie über drei Generationen nach: von der Unterdrückung individueller Wünsche über die Prägung durch patriarchale Strukturen bis zur Suche neuer Rollen in der Gegenwart. (Klappentext)
Rezension:
Das vorliegende Romandebüt der Schweizer Autorin Doris Wirth, die zuvor bereits mehrere Erzählungen veröffentlicht, spürt den Veränderungen innerhalb einer Familie nach, deren Alltag plötzlich durch eine psychische Krankheit dominiert wird. Seiner Handlungsspielräume beraubt und seines Platzes verwiesen, spürt das ehemalige Oberhaupt nur noch den Drang, sich privaten Zwängen und dem gesellschaftlichen Druck zu entziehen und nähert nicht nur sich damit einem dunklen Abgrund an.
Leichtgängig klingt dies schon im Klappentext nicht an. Auch in der Zusammenfassung wirkt es nicht besser, doch liest sich der Wandel des Hauptprotagonisten und aller, die ihn umgeben, durchaus flüssig, in sofern wir sofort Bezüge zu den einzelnen Figuren herstellen können. In unserer schnelllebigen Gesellschaft sind nicht wenige selbst von psychischen Zwängen und Krankheiten betroffen oder kennen dies zumindest aus dem engeren Umfeld und so fällt das Einfinden leicht.
Nur wenige Stellschrauben, Auslöser, braucht die Autorin, um Verbindungen herzustellen. Die beiden Hauptfiguren, die im Laufe der Erzählung um eine geringe Anzahl erweitert werden, bekommen durch ihre Vorgeschichte Konturen. Diese sind klar gehalten, nach und nach schält sich das Unheil heraus. Dunkle Momente werden immer zahlreicher, ehe sie schließlich handlungsbestimmend wirken.
Vor allem für den männlichen Hauptpart, dessen Handeln man beinahe atemlos verfolgt. In der Art und Weise dessen, wirkt dies folgerichtig, ohne Lücken oder unlogische Sprünge zu hinterlassen. Bilder schafft hier die Autorin vor allem sehr stark durch innere Monologe, gedankliche Ausführungen, womit die Figuren ihre Ecken und Kanten bekommen. Im Kontrast zu dem vor allem so aufgebauten Protagonisten wirken die umgebenden Personen um so stärker. Doris Wirth gelingt es hier zu zeigen, dass auch Familienmitglieder mit einer solchen Situation zu kämpfen haben, nicht nur die Betroffenen selbst und das der Weg da raus nur entlang von Bruchkanten verlaufen kann.
Dieser Balanceakt erzeugt starke Bilder vor dem inneren Auge, auch bringt der stete Perspektivwechsel innerhalb der Kapitel eine temporeiche Dynamik mit sich. Dieser zu folgen ist dabei nicht sonderlich schwierig, wenn auch die Thematik nicht ohne ist. Man sollte dies vor dem Lesen wissen. Nicht jeder dürfte diese Erzählung einfach so weg lesen können. Auch der Genre-Mix trägt sein Übriges dazu bei. Psychogram und Roadmovie passen, das beweist Doris Wirth, hier wieder einmal gut zusammen. Schauplätze werden hier ebenso plastisch beschrieben wie Gefühlswelten, ohne ins Klischeehafte abzugleiten.
Immer wieder stolpert man dabei über einzelne Passagen, die hängen bleiben und nachdenklich machen. Manchmal ist es auch nur etwas Unbestimmtes, was beim Lesen zurückbleibt. Gerade für solche Momente lohnt sich das Lesen des Romans, in den man gerne den einzelnen Figuren neben dem Hauptprotagonisten noch mehr Raum geben würde, dabei wechseln die Sympathien durchaus von Kapitel zu Kapitel. Es hängt dann von den einzelnen Lesenden ab, welche Nachwirkungen hier Doris Wirth erzielt hat.
Ohne Spuren aber geht es nicht.
Autorin:
Doris Wirth wurde 1981 geboren und ist eine Schweizer Autorin. Zunächst studierte sie Germanistik, Filmwissenschaft und Philosophie in Zürich und Berlin, bevor 2014 ihr erster Erzählband erschien, dem weitere folgten. Für ihre Prosa mehrfach ausgezeichnet, erschien 2024 ihr Romandebüt. Die Gewinnerin mehrerer Literaturwettbewerbe lebt in Berlin.