sowjetunion

Sasha Filipenko: Kremulator

Inhalt:

Pjotr Nesterenko ist mit dem Tod auf vertrauten Fuß. Als Direktor des Moskauer Krematoriums in der Stalin-Zeit hat er sie alle eingeäschert: die Abweichler, die angeblichen Spione und die einstigen Revolutionshelden, die den Säuberungen zum Opfer fallen.

Er jedoch, davon ist er überzeugt, kann gar nicht sterben. So oft ist er dem Tod schon knapp entronnen. Bis der Tag seiner eigenen Verhaftung kommt. Wird er auch diesmal den Hals aus der Schlinge ziehen? Ein Roman über Russlands Vergangenheit, die ihre Schatten bis in die Gegenwart wirft – auf Grundlage historischer Dokumente, die dem Autor von der Organisation Memorial (Friedensnobelpreis 2022) zur Verfügung gestellt wurden. (Klappentext)

Rezension:

Wie sehr muss man sich eigentlich in den Brennpunkt einer Gefahr hinein begeben, um nach und nach den Schrecken vor ihr zu verlieren und schließlich nicht mehr als solche wahrzunehmen? Dabei ist der Direktor des Moskauer Krematoriums Pjotr Nesterenko täglich mit ihr konfrontiert, lässt er doch die Überbleibsel des Stalinschen Terrors von der Bildfläche verschwinden.

Mit jedem Menschen, den Nesterenko verbrennen lässt, zieht sich die Schlinge auch um seinen Hals immer enger zu, bis er schließlich selbst in derer Fänge gerät. Der Geheimdienstoffizier, ihm gegenüber sitzend, bringt ihn zum reden. Nesterenko, der dem Tod so oft ins Auge gesehen hat, spricht, im guten Glauben auch da heil heraus zu kommen, um seines Lebens willen.

Ein Roman funktioniert dann am besten, wenn der Schreibende genau um die Fascetten dessen weiß, worüber er schreibt. Dem belarussischen Schriftsteller Sasha Filipenko gelingt dies ein ums andere Mal, nun wieder. In seiner neuesten Erzählung greift er den Stalinschen Terror auf, dessen Auswirkungen noch heute in vielen russischen Familien zu spüren sind, heute durch die jetzigen Regierenden in anderer Art und Weise, subtiler vielleicht, fortgeführt werden. Mit kurzen prägnanten Sätzen, die nicht zu selten wie gezielte Nadelstiche wirken, eröffnet der Autor ein zu Beginn fast schon amüsant weil surreal wirkendes Kammerspiel, welches sich mehr und mehr zu einem Schachspiel um Leben und Tod wandelt.

Während des Lesens der ersten Hälfte des Romans muss man zuweilen schmunzeln. Das Lachen bleibt im Halse stecken. Wir scheinen schnell zu ahnen, worauf das dargestellte Katz-und-Maus-Spiel hinauslaufen wird. Doch wagen wir zu hoffen, jedem Gedanken um das Unausweichliche beiseite zu schieben. Erzählt wird so ein Zeitraum von wenigen Wochen, der für den Protagonisten mal zu einer atemraubenden Tortur wird, dann wieder in zähflüssiger Langeweile sich zersetzen scheint.

Der Autor öffnet dabei verschlungene Pfade und lässt seine Figur Nesterenko zurückblicken, auf eine Biografie, wie sie ähnlich wohl zu der beschriebenen Zeit viele in Erklärungsnot gebracht haben dürfte. Wir Lesende erfahren so ein bewegendes Stück russischer Geschichte, mit der man auch viel heutiges erklären könnte, bleibt jedoch mit mehr Fragen zurück, als dass man Antworten bekommt.

Nach und nach bekommt die Hauptfigur so Konturen, der Antagonist zeigt indessen sein wahres Gesicht, welches er schon zu Beginn kaum verbirgt. Der hat ein Ziel, der beschriebene Weg und was dies mit seinem Protagonisten macht, ist die Frage, die Filipenko sich stellt und auf deren Beantwortung wir Lesende hinfiebern. Die Intensionen beider Figuren können nachvollzogen werden. Rasant führt die eine den anderen in den Abgrund hinab, den beide aus unterschiedlichen Positionen heraus nur allzu gut kennen.

Die Dynamik im Text entsteht durch gekonnt gesetzte Brüche in Form von verschiedenen Zeitebenen, die sich nur langsam zusammenfügen. Es verdient Anerkennung, das geschrieben zu haben, ohne den Überblick zu verlieren. Dem kommt zu Gute, dass das Figurenensemble überschaubar bleibt. Kein Wort ist hier zu viel, zu wenig gesetzt. Eine Kunst, die Filipenko vollkommen beherrscht. Rückblenden werden gezielt eingewoben. Wäre die beschriebene Zeit jedoch nicht klar, wäre solch ein Verhör, wie dort beschrieben, auch und besonders im heutigen Russland vorstellbar. Abweichung wird nicht geduldet. Damals nicht, heute auch nicht. Und sei sie nur gefühlter Natur.

Zumindest am Anfang nicht ganz so düster daherkommend, wie etwa der Vorgängerroman “Der ehemalige Sohn”, der vordergründig eher ein Familiengefüge beleuchtet hatte, wirkt diese Erzählung an vielen Stellen deutlich leiser. Die Bedrohung packt den Protagonisten an seinen wunden Punkten. Wer liest, dem läuft das kalt den Rücken hinunter. Fast wirkt das, als wäre man selbst der Verhörte, der im Prinzip weiß, redet man, geht man daran zugrunde. Redet man nicht, dann sowie so. Also spricht man, hat natürlich trotzdem oder gerade deswegen die Hoffnung, noch einmal davonzukommen.

Diese Parallelen vom Damals zum Heute sind es, die die Erzählung so besonders machen, da so fein ausgearbeitet, selten ein zweites Mal zu lesen sind. Vergleichbares ist schwer zu finden. Gibt es Romane mit dieser Thematik, die einem noch mehr in den Bann ziehen? Man wird in die Handlung hinein gesogen. Zuweilen fühlt man sich, als würde man diesem fast schon intimen “Gespräch”, welcher zu großen Teilen aus einem äußeren, unterbrochen von inneren, Monolog besteht. Das schafft unbedingte Nähe.

Immer wieder einen anderen gesellschaftlichen oder historischen Aspekt der Geschichte Belarus’ und Russlands aufgreifend, hat es Filipenko mit “Kremulator” erneut geschaffen, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, der auch nach Zuschlagen der letzten Seite nachhallt und emotional berührt.

Bei mir schaffen das nicht alle Romane, so in diesem Maße und nicht alle Schreibende so oft und stark, wie Sasha Filipenko, der wieder einmal meine Erwartungshaltung übertreffen konnte. Empfohlen sei die Erzählung allen, die sich für die Zeit des Stalinschen Terrors, dieser gewollt herbeigeführten Gesellschaft interessieren, die durch nichts als Angst zusammengehalten wurde und für jene, die erfahren möchten, warum auch heute noch die oberen Zehntausend Russlands mit den ihnen ausgesetzten Massen praktisch nach Gutdünken verfahren können. Die Geschichte ins Heute übertragen, könnte man sicher für einen Gutteil der dortigen Bevölkerung sagen, die Angst hat bis heute überlebt. Man stellt sich ein Verhör mit ungewiss-gewissen Ausgang auch heute noch so vor.

Schlicht und ergreifend beeindruckend ist das, wie hier Filipenko erneut durch den Spiegel der Historie etwas Modernes erzählt. Schon alleine daher ist “Kremulator” unbedingt zu empfehlen.

Autor:

Sasha Filipenko wurde 1984 in Minsk geboren und ist ein belarussischer Schriftsteller, Journalist und TV-Moderator. Er, der auf Russisch schreibt, wurde in über 15 Sprachen übersetzt und studierte nach der Schule zunächst an der Europäischen Humanistischen Universität Minsk und ging anschließend 2004 nach St. Petersburg. Dort schloss er das Studium der Literatur ab und arbeitete für verschiednee unabhängige russische Fernsehsender.

In Belarus ist sein Werk teilweise verboten, zudem er in Opposition zum herrschenden Machtapperat um Lukaschenka steht, sich mit den in seinem Geburtsland stattfindenden Protesten 2020-2021 solidarisierte. Mit seiner Familie lebt er inzwischen im Schweizer Exil. Filipenko schreibt seine Texte weiterhin auf Russisch.

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Uwe Neumahr: Das Schloss der Schriftsteller

Inhalt:

Wohl nie waren so viele berühmte Schriftsteller und Reporterinnen aus aller Welt unter einem Dach versammelt wie in Nürnberg 1946. John Dos Passos und Erika Mann, Erich Kästner und Martha Gellhorn, Willy Brandt und Markus Wolf: Sie kamen, um zu berichten – von den Gräueln des Krieges und des Holocaust, die dort vor Gericht verhandelt wurden. Sie wohnten und schrieben auf Schloss Faber-Castell, diskutierten, tanzten, verzweifelten, tranken. Uwe Neumahr erzählt ihre Geschichte in seinem aufregenden und bewegenden Buch. (Klappentext)

Rezension:

In den Abgrund blickend, saß die Welt 1946 in Nürnberg zu Gericht, wo die noch Lebenden der ehemaligen NS-Führungsriege sich verantworten mussten, für die Auswirkungen ihrer Politik und Entscheidungen, die zum Krieg führten und in die Verbrechen des Holocausts mündeten. Das Unfassbare in Worte fassen, eine Sprache dafür zu finden und der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, oblag den zahlreichen Journalisten und Schriftstellern, die den Prozessen beiwohnten, gänzlich oder zeitweise.

Im Gerichtssaal den einstigen Tätern gegenüber sitzend, danach im von den Alliierten eingerichteten Presse-Quartier auf Schloss Faber-Castell zu versuchen, dies zu verarbeiten und in Worte zu fassen. Der Germanist Uwe Neumahr erzählt ihre Geschichte.

Als im Februar 1933 das NS-Regime auch gegenüber den Kulturschaffenden seines Landes die Macht zementierte, ahnten wenige, dass die Welt nur Jahre später in Trümmern liegen und zu Gericht sitzen würde über die Führungsriege eines Staats, der Millionen Menschenleben forderte. Über diesen Beginn berichtet Uwe Wittstock in seinem viel beachteten literarisch wirkenden Sachbuch. Das Ende, an dem zu einem kleinen Teil die gleichen Protagonisten Anteil nahmen, wird nun in diesem Werk in den Blick genommen.

Anders als Uwe Wittstock hangelt sich jedoch Uwe Neumahr nicht entlang eines Zeitstrahl, sondern beschreibt das Unwirkliche anhand von Personenkonstellationen, die schon für sich selbst genommen so besonders sind, wie der Prozess selbst, ob zu der geschilderten Zeit, davor oder erst viel später.

Das Geschehen der Verhandlungen, im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung war es anzahlmäßig nie nur ein einziger Prozess, gibt den Rahmen vor, ein sehr sonderbares Stück Geschichte einmal aus einem anderen Blickwinkel aufzuzeigen, der heut abseits der bekannten Bilder fast vergessen ist. In sich kompakt und geschlossen wirken die Kapitel, die zusammen einer Linie folgen und in der sich der Autor vor allem auf einzelne Biografien und der dadurch beeinflussten Wahrnehmung fokussiert.

So wurde der Prozess nicht nur von den Journalisten der verschiedenen Herkunftsländer unterschiedlich aufgenommen, auch abseits aller Ideologie oder Geografie gab es in der damaligen journalistischen Betrachtung durchaus ausgemachte Unterschiede. Wie wurde der Prozess etwa von den wenigen anwesenden weiblichen Journalistinnen gesehen? Wie schauten sei auf Angeklagte, Kläger und Richter? Wie schauten die Schreiberlinge auf das Leben und Wirken ihrer Konkurrenz? Gab es Unterschiede in der Betrachtung zwischen ausländischen und den wenigen anwesenden deutschen Journalisten?

Wie gestalteten sich und wirkten Verwerfungslinien im journalistischen Arbeiten während oder in Folge der Prozesse? Der Autor folgt diesen und geht der unterschiedlichen Betrachtungen von John Dos Passos oder Martha Gellhorn auf dem Grund, beschreibt die Wahrnehmungen von Erika und Golo Mann oder etwa Willy Brandts und Markus Wolf, deren Biografien sich dort zum ersten Mal kreuzen sollten.

Diese Vielfalt macht dieses Sachbuch zu einer aufwühlenden und zugleich spannenden Lektüre, die innerhalb einer besonderen und sehr sensibel anzufassenden Thematik gut recherchiert weitere Besonderheiten herausschält. Es liegt dabei in der Natur des Textes, dass einzelne Längen durchzuhalten sind, aber durch die relativ kurz gehaltenen Kapitel fällt dies nicht weiter ins Gewicht. Die Perspektive wechselt nicht nur zwischen den einzeln beleuchteten Personen, die Dynamik kommt immer wieder durch das jeweilige Gegenüber zustande.

Diese Art und Weise Geschichte nicht kalenderartig zu erzählen, sondern indirekt über die sie zur damaligen Zeit erlebenden Personen schafft einen sehr besonderen Zugang. Zugleich ist es ein Sachbuch, welches dadurch innerhalb der Bücher gegen das Vergessen einfach heraussticht. Diese Perspektivensammlung gibt es bisher so zu selten. Gestützt auf zahlreiche Quellen und einer Fülle an Archivmaterial hat Uwe Neumahr eine Lektüre geschaffen, die zugleich einer Vielfalt an journalistischen und schriftstellerischen Arbeiten ein Denkmal setzt, die damit ebenso gewürdigt und manchmal kritisch betrachtet werden muss, wie die Vorgänge, denen Kästner und andere beiwohnten.

Über die eine oder andere dort beleuchtete Person lohnt es sich dabei durchaus ein wenig Grundwissen in der Hinterhand zu haben. Die Lektüre lädt jedoch ein, selbstständig ergänzend zu recherchieren, so dass man selbstständig noch viel mehr Informationen zusammentragen kann. Wenn man denn möchte. Auch ohne bekommt man jedoch ein umfassendes Bild über jene, die sich einer fast unlösbaren Aufgabe gegenüber sahen.

Uwe Neumahr würdigt an der einen und beleuchtet kritisch an anderer Stelle. So ausgewogen möchte man mehr davon lesen. Das was da ist, lohnt sich.

Autor:

Uwe Neumahr wurde 1972 geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Literaturagent. In Tübingen und Pisa studierte er zunächst Literaturwissenschaft, promovierte in Köln und war Mitarbeiter der Forschungsstelle zur spanischen Renaissance der Universität Kiel. Danach arbeitete er als Lektor, sowie als Literaturagent, seit 2013 in München, wo er zahlreiche nationale und internationale Autor:innen vertritt. Er ist Autor mehrerer Sachbücher, u. a. einer Biografie über Cervantes, die 2015 erschien.

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Karl Schlögel: Terror und Traum – Moskau 1937

Inhalt:

Schauprozesse und Massenverhaftungen markieren den Höhepunkt von Stalins diktatorischer Herrschaft. Im Schatten des Terrors aber scheint der Traum einer neuen Gesellschaft Gestalt anzunehmen: Gigantische Bauprojekte verändern das Stadtbild, sowjetisches Hollywoodkino, Fliegerhelden und Sportspektakel begeistern die Massen. Karl Schlögels neues Meisterwerk schildert ein russisches Schicksalsjahr, das in der europäischen Geschichte tiefe Spuren hinterlassen hat. (Klappentext)

Rezension:

Im Blick auf die Zivilisationsbrüche der 1930er Jahre herrscht eine auffallende Asymmetrie. Eine Welt, der sich im kollektiven Gedächtnis nach dem Zweiten Weltkrieg Namen wie Dachau, Buchenwald und Auschwitz eingeprägt hatten, fehlen oft Workuta, Kolyma oder Magadan. Auch in Stalins Riesenreich vollzog sich ein totalitärer Wandel, dessen Opfer spätestens mit der Festigung des Eisernen Vorhangs zum zweiten Mal hinter einer Mauer des Schweigens verschwanden und erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der zaghaften Öffnung von Archiven wieder zum Vorschein kamen.

Dabei ist das Moskau 1937 ein Schauplatz europäischer Geschichte, viel facettenreicher und durchmischter, als das die damaligen Machthaber wahrhaben wollten. Die Welle des Terrors, mit der Stalins getreue, die nicht selten selbst derer Opfer wurden, fegte um so heftiger über die Metropole an der Moskwa hinweg. Der Historiker Karl Schlögel zeichnet dies nach und schaut dabei nicht nur auf die großen Schauprozesse, sondern auch auf eine immer mehr verängstigte Gesellschaft im erzwungenen Wandel.

Das sehr detaillierte Sachbuch des Osteuropa-Historikers Karl Schlögel erfährt, 2008 erstmals erschienen, durch die tagespolitischen Ereignisse eine Aktualität, die ihres Gleichen sucht, ist die Geschichte der Stalinschen Terrors doch untrennbar mit dem verbunden, was danach passieren sollte, auch, was passiert, wenn Verarbeitungs- und Erinnerungskultur nicht in dem Maße wirken können, wie dies in der Mitte des europäischen Kontinents in Sachen Holocaust der Fall ist.

Dabei wagt der Autor einen Rundumblick, soweit es damals schon die geöffneten Archive in Russland zugelassen haben und führt die Leserschaft ein, in ein pluralistisches Moskau, welches es nach 1937 so nicht mehr gab. Schlögel zeigt eine Vielfältigkeit auf, die sich nicht nur in Architektur und Fortschrittsglaube widerspiegelte, sondern auch in Kunst und Kultur, sowie Technik. Der junge Staat wollte sich der Welt präsentieren, zugleich die Machthaber im Kreml ihren Status sichern und festigen. Kapitel für Kapitel beschreibt Schlögel einzelne Aspekte des gesellschaftlichen Kosmos’ einer Metropole, die im Zuge des Stalinschen Terrors in seine Bestandteile zerfiel. Das letzte Adressbuch für lange Zeit, 1936, steht am Anfang dessen, sowie Kongresse und Ausstellungen, die die Welt bewegten, während anderswo in Europa bereits zuvor dunkle Wolken dem vorauseilten, was später die Welt in den Abgrund stürzen sollte. Danach folgte nur noch Terror, mit all seinen schrecklichen Folgen.

Der beschriebene Zeitraum ist überschaubar, nicht so sehr die geschehenen Ereignisse und beleuchteten Perspektiven, deren Biografien abrupt 1937/38 endeten. In seinem Standardwerk nimmt sich der Historiker Zeit für einzelne gesellschaftliche Aspekte, die Beschränkung liegt allein im stadtgeografischen Raum, den Stalins Getreue mit Gewalt umformen wollten. Hier versinkt man in Details, was sehr nüchtern, teilweise sehr schwerfällig zu lesen ist, doch auch so sein muss, wenn man ein umfassendes Gesamtwerk erhalten möchte.

Fragen kommen auf, wie jene, warum selbst ehemalige Minister und Beamte, die an der ersten Terrorwelle beteiligt waren, in Schauprozessen angeklagt, selbst absurde vorgefertigte Geständnisse und Schuldbekenntnisse unterschrieben? Im Wissen um die Mechanismen des Machterhalt Stalins. Der Historiker beleuchtet das Geschehen an verschiedenen Schauplätzen Moskaus, den Blick der Einheimischen, der alten und der neuen Elite Russlands, sowie die Betrachtung der Emigranten und Exilanten, den Blick Amerikas auf das neue Moskau, sowie diesem auf sich selbst. Nach und nach setzt Schlögel hier ein Puzzle zusammen, welches abrupt zum Stillstand kam, als ein anderes Land Europa mit Gewalt und Terror überziehen sollte.

Karl Schlögel spricht hier den interessierten Laien mit Vorkenntnissen an, sowie Kenner der Historie und hat mit seinem geschichtlichen Standardwerk Grundlage für Diskussionen und weitere Betrachtungen gelegt, denen sich Andere annehmen können. Vieles von dem, was später in der Sowjetunion passierte, wäre ohne das Jahr 1937 nicht denkbar. So ganz ohne Vorkenntnisse geht es jedoch nicht, die mit Quellen gut unterfütterte Lektüre, ergänzt durch eine historische Karte des Schauplatzes, ist ohne dies nicht leicht lesbar. Zu viele Namen mussten erwähnt, zu viele Biografien und gesellschaftliche Aspekte beleuchtet werden.

Die Lektüre, die nur vor allem die Konzentration der Lesenden gewinnt, ist erhellend. Fraglich nur, wie viele Fakten letztendlich hängen bleiben und was die noch ausführliche Betrachtung eines einzelnen Aspekts des gesellschaftlichen Wandels Moskaus noch zusätzlich für Erkenntnisse bringt. Hier ist die Grundlage dafür, dies auszuprobieren und um sich, in turbulenten Zeiten, neue Perspektiven zu schaffen. In diesem Sinne, zu empfehlen.

Autor:

Karl Schlögel wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Historiker und Publizist. Er studierte u. a. Soziologie, osteuropäische Geschichte und Slawistik in Berlin und schrieb seine Dissertation über Arbeiterkonflikte in der Sowjetunion nach Stalin. 1982 ging er als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Moskau, wo er sich mit der Geschichte der russischen Intelligenzija im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigte, arbeitete anschließend als Privatgelehrter und freier Mitarbeiter für den Rundfunk.

Er veröffentlichte dort, sowie in mehreren Magazinen und Zeitungen, bevor er eine Professur für Osteuropäische Geschichte in Konstanz erhielt, sowie 1995 die selbe in Frankfurt/Oder. Von 2003 bis 2005 war er dort Dekan der Kulturwissenschaftlichen Universität.2013 wurde er emeritiert. Er konzipierte mehrere Ausstellungen und Zeitschriften mit, war Mitglied der Jury des Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und beschäftigt sich seit Beginn der Krimkrise intensiv mit der Geschichte der Ukraine. 2013 wurde er mit der Puschkin-Medaille ausgezeichnet, welche er 2014 ablehnte. 2018 erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse, ein Jahr darauf den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

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Fabien Nury/Thierry Robin: The death of Stalin

The death of Stalin Book Cover
The death of Stalin Fabien Nury/Thierry Robin Splitter Verlag Erschienen am: 25.02.2018 Seiten: 144 inkl. Bonusmaterial ISBN: 978-3-96219-171-9 Übersetzer: Harald Sachse

Inhalt:

An alle Parteigenossen…

An alle Werktätigen der Sowjetunion…

Das Herz des Kampfgefährten und genialen Fortsetzers der Sache Lenins,

des weisen Führers der Kommunistischen Partei und des Sowjetvolkes, Josef Wissarionowitsch Stalin…

… hat aufgehört zu schlagen.

-Mitteilung der Partei- und Staatsführung der UdSSR vom 8. März 1953-

(Klappentext)

Rezension:

Eine komplette Biografie in Form eines Comics zu gestalten, funktioniert in den meisten Fällen schon aufgrund der Vielschichtigkeit von Ereignissen nicht und würde ein sehr ausuferndes Projekt werden, so scheiterte Thierry Robin bei dem Versuch, eine solche über keinen Geringeren als Stalin zu entwerfen.

Doch, wie ist es, eine solche auf ein bestimmtes Moment zu konzentrieren? Erzielt man damit nicht genau die gleiche, wenn nicht sogar eine bessere Wirkung?

Zusammen von Fabien Nury und Thierry Robin gestaltet, liegt hiermit “The death of Stalin” vor, die Graphic Novel, die nun den Fokus rund um die Ereignisse legt, die sich um den Tode des Massenmörders und sowjetischen Diktators Stalin abspielten.

Fein nuanciert wird dargestellt, welches Machtvakuum dieser Machtmensch bereits im Sterbebett hinterließ und welche Ränkespiele sofort nach seinem Tode begannen.

Die Autoren und Zeichner orientierten sich dabei eher lose an dem, was überliefert ist, so gab es z.B. den am Anfang dargestellten Brief der Maria Judina wirklich, doch war er nicht der Auslöser für Stalins Schlaganfall, der zum Tod führte. Dennoch ist den beiden Zeichnern ein großer Wurf gelungen.

In düsteren Farben wird der irrsinn von Macht- und Ränkespielen dargestellt, sowie die Charkterzeichnung der einzelnen Akteuere auf die Spitze getrieben. Wiedererkennungswert haben die Protagonisten. Ihre realen Vorbilder sind sofort ersichtlich.

Kalt wird es den Lesern den Rücken hinterlaufen, wenn der gefürchtete Geheimdienstchef Beria seine finsteren Pläne schmiedet und Figuren wie Chruschtchow oder Bulganin darauf reagieren müssen. Wirkliche Sympathieträger gibt es nicht, doch zeigen Nury und Robin den ganzen Irrsinn auf, den das Machtvakuum verursachte, welches sich nach Stalins Tod ergab.

Die Autoren zeigen auf, dass Stalins Terrorregime weitreichende Folgen hatte, noch über den Tod hinaus, mit den Folgen zu kämpfen hatte. Das Chaos, welches der große Terror hinterließ, wenn es um die Suche nach geeigneten Ärzten etwa ging oder selbst vor Stalins erwachssenen Kindern nicht haltmachte.

In diesem Sinne kann man Thierry und Nury nur Respekt zeugen, sich auf wichtige Details dieser geschichtlichen Ereignisse zu konzentrieren. Vielleicht ist nicht alles den tatsächlichen Begebenheiten zu hundert Prozent angeglichen, sofern überhaupt überliefert, aber so hätte es sein können. Der Geist des Geschehens kommt in jedem Fall rüber.

Ausgesprochen gut zeigen die Autoren, was Macht mit den Menschen macht, besonders aber die abhängigkeiten udn Rivlitäten der Führungsfiguren, die in den Zeichnungen einen realen Wiedererkennungswert besitzen.

Es fällt leicht, dem zu folgen, selbst, wenn man sich bisher kaum mit den geschichtlichen Werdegängen beschäftigt hat. Alleine, um die Atmosphäre aufzunehmen, genügen bereits ein paar Seiten.

Die Zusammenarbeit von Robin und Nury hat hier zu einer gelungenen Mischung geführt, diese wiederum zu einer interessanten und packenden Graphic Novel, die es in sich hat.

Geschichte kann eben spannend sein. Besonders, wenn sie so erzählt wird.

Autoren/Zeichner:

Fabien Nury wurde 1976 geboren und ist ein französischer Comicautor. Zeichnungen von Kurzgeschichten erschienen in mehreren Magazinen, bevor er sich auf historische Erzählungen spezialisierte. Er prägte dabei das biografische Comic. Seine Werke wurden mehrfach ausgestellt und ausgezeichnet.

Thierry Robin wurde 1958 geboren, ist ebenfalls Comicautor und zeichnete bereits Weihnachtsbriefmarken für die französische Post. Sein Werk wurde 1990 erstmals ausgestellt, was ihm die Türen zum Verlagswesen öffnete. Zusammen mit Nury veröffentlichte mehrere historische Graphic Novels.

Film-Adaption:

Hervorrragend auch die Film-Adaption von 2018.

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Andreas Petersen: Die Moskauer

Die Moskauer Book Cover
Die Moskauer Andreas Petersen S. Fischer Erschienen am: 13.03.2019 Seiten: 361 ISBN: 978-3-397435-5

Inhalt:

Die DDR war vor allem in den ersten Jahrzehnten geprägt von Paranoia und Denunziation. Die Gründergeneration um Pieck und Ulbricht hatte einst in Moskau die Jahre des Terrors überlebt, in denen Stalin mehr Spitzenkader der KPD ermorden ließ als Hitler. Angst und Verrat wurden Normalität.

Ab 1945 setzten sich die “Moskauer” im Machtstreben um die Führung in der sowjetisch besetzten Zone durch. Zweifel und Fragen waren nicht erwünscht. Die “Moskauer” hätten sich sonst ihrer eigenen Verstrickung stellen müssen. Im neuen werdenden Staat setzten siee die gleichen Methoden ein, denen sie fast alle Jahre zuvor zum Opfer fielen. Das Stalintrauma und seine Folgen, analysiert von Andreas Petersen. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Die Geschichte der DDR begann schon Jahre vor der Gründung mit einer Gruppe von Kommunisten, die sich vor den Nazis in die Sowjetunion flüchten konnten und in den Jahren des Exils versuchten, eine Machtbasis für einen späteren Neuanfang zu schmieden. Mit Hilfe der Sowjets gelang dies auch später, doch der Weg zur Macht war für Ulbricht, Pieck und andere weder von vornherein klar vorgezeichnet, noch sicher.

Stalin, der im eigenen Land mit den Jahren unter immer größeren Verfolgungswahn litt, ließ Hunderttausende seiner Landsleute, offiziere des Militärs und selbst der Geheimdienste ermorden, schreckte auch nicht vor der Ermordung der Exilanten zurück.

Hunderte KPD-Mitglieder wurden deportiert, gefoltert und ermordet. So viel zur bekannten Geschichte. Doch, wie prägte das die Führungsriege der KPD und welche Auswirkungen hatte dies später auf das eigene Herrschaftsverhalten nach dem Krieg? Andreas Petersen hat Einblick genommen in Tagebücher, Archive und Berichte. Herausgekommen dabei ist ein minutiös gezeichnetes Sachbuch.

Leider auch ein schwer zu lesendes. Dieses Kapitel deutscher und auch russischer Geschichte ist alleine von der Thematik her sehr interessant, zumal noch nicht alle Archive geöffnet und ausgewertet sind und es noch ganz wenige Zeitzeugen gibt, die davon berichten können. In sofern hätten “Die Moskauer” interessant und spannend beschrieben werden können, das werden und das Formen der Gründergeneration der DDR.

Warum dieses absolute Machtstreben, Denunziation und Aushorchen selbst unter politischen Gleichgesinnten und die Schaffung eines Klimas der Angst, welches über den Tode Stalins noch hinaus wirkte? Warum löschte der Diktator selbst seine künftigen verbündeten einst beinahe selbst komplett aus? Weshalb setzten die DDR-Oberen diese Politik unter anderen Vorzeichen, obwohl selbst einst Betroffene, in ihrem eigenen Staat fort?

Ein Stoff, wie gemacht für einen Politkrimi, jedoch unglaublich reich an Fakten und Statistiken, die auch durch persönliche Geschichten fassbar gemacht werden können. Alleine mit letzteren geht der Autor jedoch allzu sparsum um, so dass am Ende ein schwer zu lesender, für den Laien kaum aufzunehmender Text übrig bleibt, der mehrmals gelesen werden muss, um verinnerlicht zu werden.

Was hängen bleibt, sind Längen und einzelne Fakten. Persönlichkeitsgeschichte, die sonst in solchen Werken den Leser bei Stange hält, ist rar gesät. das funktioniert nur ungenügend, zumal man praktisch gezwungen ist, Absätze wiederholend sich zu Gemüte zu führen und langsam zu lesen.

Vielleicht dachte der Autor beim Schreiben eher an sein sonstiges Zielpublikum? Im Regelfall sind das Studenten. Für’s Fach sind “Die Moskauer” jedenfalls nach meinem dafürhalten mehr geeignet, als jetzt für den Laien, der sich mit Geschichte beschäftigen und sich diesem bestimmten Kapitel mal von einer etwas anderen Sicht aus nähern möchte.

Als populärwissenschaftliches Werk funktioniert es nicht, was schade ist, denn die zahlreichen Quellen, die auf eine intensive Recherchearbeit schließen lassen, verknüpft mit einzelner Personengeschichte, hätten anders aufbereitet interessanter wirken können. So aber ist die Thematik nicht greifbarer geworden. Schade.

Autor:

Andreas Petersen wurde 1961 in Köln geboren und ist ein deutscher Historiker. Nach der Schule studierte er Osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich und war Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin. Als Dozent für Zeitgeschichte wirkt er an der Fachhochschule Nordwestschweiz und ist zudem Gründungspräsident des Forums für Zeitzeugen in Aarau. Er schreibt für Tageszeitungen und Zeitschriften, pendelt zwischen Berlin und Zürich. Er ist Herausgeber und Autor mehrerer sachgeschichtlicher Werke.

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Masha Gessen/Misha Friedmann: Vergessen

Vergessen Book Cover
Vergessen Masha Gessen/Misha Friedmann dtv Erschienen am: 28.02.2019 Seiten: 160 ISBN: 978-3-423-28172-0

Inhalt:

In Kolyma, im Osten Sibiriens, leben Menschen, die die Geschichte vergessen zu haben scheint. Unter stalin als Zwangsarbeiter in die Uranminen deportiert, konnten sie sich dei Heimreise nach der Freilassung nicht leisten und leben bis heute neben den verfallenden Ruinen des Massenmords. Die preisgekrönte Journalistin Masha Gessen und der Fotograf Misha Friedman sind auf der Suche nach den Spuren des Gulag nach Russland gereist.

Sie haben die letzten Überlebenden und Angehörige der Opfer in Kolyma getroffen, haben in der Strafkolonie Perm aufgespürt, was heute noch vom System der Unterdrückung zu finden ist, und waren in den Todeswäldern Kareliens. mit den Mitteln des genau beobachtenden Journalismus und der Schwarzweißfotografie halten Gessen und Friedman fest, was im heutigen Russland, dem Putin ein Bild von Macht und Herrlichkeit verordnet hat, keinen Platz findet. “Vergessen” ist ein Mahnmal der Erinnerung an den Archipel Gulag. (Klappentext)

Rezension:

Vergleichsweise schmal kommt dieser Band daher und präsentiert sich als Coffe Table Book, mit seinen schönen, jedoch sehr erdrückenden Schwarzweisfotografien. Doch, anders als die Wohlfühlbücher mancher Kataloge, erzählen die Bilder und dazugehörigen Texte die Geschichte von Verzweiflung und Leid, der in der Stalinzeit Verurteilten und in die verbannung geschickten Bevölkerung.

Jeden konnte es treffen, ob Parteimitglied, einfacher Angestellter, Bauer, ganz egal. Die Schätzungen der Opferzahlen reichen von Hunderttausenden bis hin zu Millionen. Viele verschwanden in den Lagern Sibiriens. Kolyma, ein Schreckens(w)ort.

Als der Nachfolger des “Stählernen”, Chruschtschow, die Verbrechen öffentlich machte, viele Häftlinge, längst nicht alle amnestierte, standen diese vor dem nichts. Viele konnten nicht mehr in ihre alte Heimat zurück. Sie blieben dort, wo sie waren. Ihre Nachfahren leben zum Teil heute noch dort.

Die Journalistin Masha Gessen und der Fotograf haben sich aufgemacht, in die Wälder Kareliens und in den sibierischen Osten des Landes, stießen auf Überreste des Schreckes und den Versuch, Erinnerung zu wahren und zu interpretieren.

Wie gedenkt man den Opfern der Stalinzeit im heutigen Russland, welchen Umgang pflegt man mit den taten und warum fällt eine Aufarbeitung dessen, was geschah, so schwer? Mit den Blick für’s Wesentliche besuchten die beiden Autoren Nachfahren der Verbannten und Menschen, die die offizielle Politik Russlands übernommen haben und so die Gedinkrichtung des Landes bestimmen.

Ein Gang durch einen Park gestürzter Skulpturen gehört ebenso dazu, wie eine Lagerstätte, die zum Süpielplatz mit historischen Kolorit für Putins Nationalisten avancierte.

Was bleibt übrig und welcher Umgang mit Geschichte ist der Richtige? Wie Gedenken in einem Land, in der es zu viele Täter gab, die Opfer waren und umgekehrt? Der Eindruck eines eigenwilligen und bezeichnenden Geschichtsverständnisses, gekoppelt mit den Schicksal der Menschen, auf deren Rücken ein Konflikt um die historische Wahrhaftigkeit ausgefochten wird.

Der Leser bleibt indes ratlos zurück. Für ihr Werk haben Gessen und Friedman den Preis der Leipziger Buchmesse zur Europäischen Verständigung 2019 bekommen, und werfen damit mehr Fragen auf, als sie beantworten können. Immerhin wird das Blickfeld ungemein erweitert. Aber, ob das ausreicht?

Autoren:

Masha Gessen wurde 1967 in Moskau geboren und emigrierte Anfang der 1980er Jahre mit ihren Eltern in die USA. Nach Ende der Sowjetunion berichtete sie als Journalistin aus der russischen Hauptstadt und gilt als eine der Stimmen der Opposition gegen Wladimir Putin.

Ihre Biografie über ihn war ein internationaler Bestseller. Sie bekam den National Book Award verliehen und den Preis der Leipziger Buchmesse zur Europäischen Verständigung (2019). Sie lebt mit Frau und zwei Kindern in New York City und schreibt für The New Yorker und The New York Times.

Misha Friedman wurde 1977 geboren, auf den Gebiet der heutigen Republik Moldau. Auch er emigirerte, studierte zunächst Wirtschaft und Internationale Beziehungen in Großbritannien und den USA. On seiner Arbeit als Fotograf beschäftigt er sich mit der Ukraine und Russland, mit Korruption und Patriotismus.

Für seine Arbeit erhielt er u.a, den Preis des Pulitzer Center on Crisis Reporting. Friedman lebt ebenfalls mit seiner Familie in New York City, arbeitet für diverse Zeitungen und Zeitschriften. In Deutschland erschienen seine Arbeiten u.a. in der Zeitschrift Der Spiegel.

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Ian Kershaw: Höllensturz – Europa 1914 bis 1949

Höllensturz - Europa 1914 bis 1949 Book Cover
Höllensturz – Europa 1914 bis 1949 Ian Kershaw DVA Erschienen am: 12.09.2016 Seiten: 764 ISBN: 978-3-421-04712-9 Übersetzung: Klaus Binder (u.a.)

Inhalt:

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stürzt sich Europa in eine selbstverschuldete Katastrophe, die historisch ohne Beispiel ist. Über drei Jahrzehnte hinweg, von 1914 bis 1949, prägten Kriege, Völkermorde, Vetreibungen und politische Unruhen die Geschichte des Kontinents.

Ian Kershaw gelingt ein Glanzstück der modernen Geschichtsschreibung in seiner Schilderung dieser gleichermaßen faszinierenden wie beklemmenden Ära, in der Europa sich beinahe selbst zerstört hätte.

Meisterlich denkt er die wichtigsten Entwicklungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der europäischen Länder zusammen und führt uns die Auswirkungen des tiefgreifenden Wandels auf das Leben von Millionen von Menschen vor Augen. (Klappentext)

Rezension:

Sehr umfangreiche und detaillierte Sachbücher führen wohl ein Nischendasein in unseren Buchhandlungen, doch entdeckt man unter den “Wälzern” bei genaueren Hinsehen immer wieder Schätze, die es sich zu Betrachten lohnt.

Ian Kershaw ist ein Garant für solch eine Literatur, die selbst mit der Thematik vertrauten Lesern neues und vielschichtiges Hintergrundwissen vermittelt. Hier zumeist inhaltlich sich mit den Zweiten Weltkrieg und Hitler als Person befassend.

Aber auch der große Zeiten-Überblick gelingt dem britischen Historiker, der sich wissenschaftlich und auch sonst wieder einmal ein Denkmal zwischen zwei Buchdeckeln geschaffen hat.

“Höllensturz – Europa 1914 bis 1949”, erzählt die Geschichte eines Kontinents in Umbruch, von Ländern, die sich gegenseitig in unvergleichliche Abgründe getrieben haben und von Menschen, die ihresgleichen millionenfach in zwei schrecklichen Kriegen vernichteten.

Es ist unsere Geschichte, die zum Fanal für mehrere Generationen und ihrer Auswirkungen, die noch mehrere Jahrzehnte spürbar waren. Europa im modernen beinahe 30-jährigen Krieg.

Ian Kershaw hat sich der schwierigen Thematik angenommen und beleuchtet dieses Mal nicht nur die geschichte der Deutschen, sondern die Geschichte der großen und kleinen Länder des kontinents.

Er erläutert detailliert, wie es zur Urkatstrophe des 20. Jahrhunderts kommen konnte und weshalb vor 1949 demokratische Staatsformen Schwierigkeiten hatten, sich zu etablieren.

Der Autor analysiert den Niedergang des British Empire zugleich mit den Aufstieg der USA und das auseinanderbrechende Mächtegleichgewicht zwischen Frankreich, dem Deutschen Reich und dem Russischen Reich, erklärt weshalb der Staat der Habsburger in einer Kettenreaktion seinem Untergang entgegen kämpfte, die schließlich auch andere Staaten ins Unglück stürzte.

Messerscharf beleuchtet er gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Komponenten, macht fassbar, was unfassbar ist.

Geschichte begreiflich zu machen, ist die vornehmste Aufgabe der Historiker und Ian Kershaw beherrscht dies perfekt. Bewiesen hat er es schon mit seiner Hitler-Biografie, die in der wissenschaftlichen Aufarbeitung Maßstäbe setzte, hier legt der Historiker jedoch noch eine Schippe drauf.

Natürlich ist der Einstieg in die Thematik nicht einfach, tatsächlich wird, wer die Detailliertheit und Informationsfülle nicht gewohnt ist, Schwierigkeiten bekommen. Und ja, Vorbildung und Interesse empfiehlt sich.

Wer jedoch Geduld mitbringt, wird mit umfangreichen Analysen, verständlich gezogenen Linien von Überblickswissen und einer Genauigkeit belohnt, die ihres Gleichen sucht.

Ian Kershaw setzt hier Maßstäbe in der Verarbeitung von unzähligen Quellen, dessen Verzeichnis knapp gehalten ist, jedoch auf das unfassbar zahlreiche Material hinweist, welches dem Autoren zur Verfügung stellt. Geschichtswissenschaft für Fachleute und das gemeine Volk, Kershaw schafft beides.

Es ist Lektüre, die ein hohes Maß an Konzentration erfordert, deren Leser jedoch mit Wissen, neuen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen belohnt werden. Es ist die Aufarbeitung des 20. Jahrhunderts aller europäischen Völker, welche sich Ian kershaw zu einem Langzeitprojekt gemacht hat.

Die zweite Hälfte, eine glücklichere Zeit, wird ebenso ausgearbeitet erscheinen, so zumindest der Historiker im Vorwort, der wissenschaftlich korrekt auf die Vielzahl an Arbeiten anderer Historiker hinweist, die auch ihm als Grundlage zum Schreiben dienten.

Das Lesen solcher Bücher ersetzt den Geschichtsunterricht und wirkt effektiv nach. Geschichte muss nicht trocken sein, Sachbücher nicht pur theoretisch, so gelingt moderne Vermittlung, auf dass sich die Vergangenheit nicht wiederholen mag.

Kershaw appeliert an unser Gewissen, denn der nächste Krieg, soviel ist 1949 schon klar, hat das Potential, die Menschheit völlig zu vernichten. Eingeleitet durch Zitate berühmter Personen aus Politik und Kultur jener Zeiten schwebt in den ausführlichen Kapiteln diese Warnung wie ein Damoklesschwert über die Köpfe der Leser.

Uns sollte daran gelegen sein, es nicht hinunterfallen zu lassen.

Autor:

Sir Ian Kershaw wurde 1943 in Oldham, Lancashire geboren und ist ein britischer Historiker, der durch seine Schriften zum Nationalsozialismus, besonders durch seine Hitler-Biografie Bekanntheit erlangte.

Nach der Schule studierte er geschichte und war zunächst Dozent für Mittelalterliche und Moderne Geschichte an der University of Manchester. Nebenbei erlernte er im Goethe-Institut seiner Stadt die deutsche Sprache und verlagerte seinen Tätigkeitsschwerpunkt auf die deutsche Geschichte.

1983/84 hatte er eine Gastprofessur an der Ruhr-Universität Bochum inne, 1987 nahm er eine Professur in Nottingham an, später in Sheffield, wo er bis Ende september 2008 Geschichte lehrte. Zahlreiche Auszeichnungen erhielt er für seine Aufarbeitung deutscher und europäischer Geschichte, u.a. das Bundesverdienstkreuz.

2002 wurde er zum Ritter geschlagen. 2012 erhielt er den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. 2013 wurde er für sein Lebenswerk mit den Meyer-Struckmann-Preis geeehrt. Seine Werke gelten als geschichtswissenschaftliche Standardliteratur.

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Guido Knopp: Meine Geschichte

Meine Geschichte Book Cover
Meine Geschichte Guido Knopp C. Bertelsmann Erschienen am: 13.11.2017 Seiten: 320 ISBN: 978-3-570-10321-0

Inhalt:

Mister History blickt zurück: Guido Knopp, der das neue Geschichtsfernsehen prägte und damit für Millionen Zuschauer zum wichtigsten Geschichtslehrer wurde, verknüpft pointiert und anekdotenreich zentrale gesellschaftliche und politische Entwicklungen der vergangenen sechs Jahrzehnte mit prägenden autobiografischen Stationen und persönlichen Erlebnissen.

Immer vor dem Hintergrund seines Lebensthemas, der deutschen Geschichte. Ein Buch nicht nur für seine Zuschauer und Leser, die ihm über Jahrzehnte treu geblieben sind. (Klappentext)

Rezension:
Geschichte muss nicht trocken sein, nicht langweilig oder gar oberlehrerhaft rübergebracht werden, um ihrer gerecht zu werden. Im Gegenteil, ist sie doch in all ihren Facetten spannend und durchaus erkenntnisreich. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Wenn es ein Fazit bedarf, welches man aus Guido Knopps Arbeit ziehen darf. Lehrer setzen seine Dokumentationen im Unterricht ein, Wiederholungen einzelner Senderreihen bringen den Schwestersendern des ZDF immer noch gute Quoten, DVD-Verkäufe inmmer noch ordentliche Ergebnisse.

Doch, wer war der Mann, der als Initiator hinter all den Dokumentationen steckte, dem oft vorgworfen wurde, zweifelhafte Personen der Geschichte zu verherrlichen, der neue Dokumentationstechniken anwendete, die heute zum Standard gehören und das Geschichtsverständnis nun schon mehrerer Generationen zumindest mitprägte? Wer war Mr. History?

Erzählt wird seine Geschichte nun von ihm selbst. In seiner Biografie “Meine Geschichte” zeichnet Guido Knopp, gespickt immer wieder mit amüsanten Anekdoten, sein Leben nach und immer wieder auch ein Stück Fernsehgeschichte des ZDF.

Er berichtet von dem Aufbau seiner Redaktion bis zur Gestaltung der ersten Sendungen, gibt Einblick in den Aufwand, der hinter all den zahlreichen Dokumentationen steckt und wirft einen humorvollen Blick auf seine Kritiker, die ihm seine Erfolge mitunter neideten.

Er beschreibt das Wie und Warum, erklärt, wie Neuerungen in der fernsehtechnischen Gestaltung zunächst das Feuilleton althergebrachter Zeitungen verärgerte, und es zum Ruf der “Verknoppung” der Geschichte kam.

Kurzweilig und spannend, wie auch seine Beiträge, seine Dokumentationen zur deutschen Geschichte ist auch seine eigene. Wer “Fan” seiner Arbeiten ist, empfiehlt sich die Lektüre ohnehin, wer Kritiker ist, dem sei “Meine Geschichte aus dem C.Bertelsmann-Verlag ebenfalls ans Herz gelegt.

Wie entstanden bestimmte Sendungen, welcher Aufwand, der für den Zuschauer so nicht sichtbar ist, musste betrieben werden, um Sendereihen zu komplizierten Themen zu füllen, gerade wenn die Türen sich nur per Staubsauger öffnen ließen (sinnbildlich gesprochen)?

Wo waren die Grenzen der ZDF Redaktion Zeitgeschichte und wie die Resonanz in Deutschland, Europa und der Welt? Welche Historiker arbeiteten im Hintergrund mit, welche historischen Persönlichkeiten, von Berühmt bis zum zufällig gewesenen Zeitzeugen gaben Einblicke in die Geschehnisse?

Guido Knopp erinnert sich und kann sich damit getrost einreihen, in die Aufzeichnungen der Gespräche, die er und sein Team mit den verschiedensten Interviewpartnern geführt haben.

Das Kind des Wirtschaftswunders, welches die brotlose Kunst der Geschichte studierte, und diese selbst so spannend zu erzählen wusste, wie einst sein Lehrer auf seinem Gymnasium und sich damit um seiner Lieblingsthematik verdient machte.

Interessenten, die nicht zuletzt ein Stück Fernsehgeschichte nachempfinden und einen Blick hinter die Kulissen werfen möchten, und auch sonst, eine unbedingte Leseempfehlung. Geschichte ist spannend wie ein Krimi und es unbedingt wert, sie zu erzählen.

Was ist eigentlich "Verknoppung"?

Guido Knopp setzte als einer der ersten Spielszenen ein, wo historisches Filmmaterial nicht ausreichte, bestimmte Ereignisse der Geschichte darzustellen. Heute ein gängiges Mittel in den Fernsehtechniken unserer Zeit, war dies damals noch eine neue ungewohnte Technik.

“Nicht authentisch”, lautete das Urteil einiger großer Zeitungen. Zudem wurde Geschichte erstmals nicht nur chronologsich erzählt, sondern anhand von bestimmten Ebenen (z.B. anhand von Personenhierarchien), um eine bessere Nachvollziehbarkeit zu gewähren. Auch dies damals ein Novum.

Zudem wurde historisches Filmmaterial mit Kommentaren unterlegt, Personen nicht vor wertenden, sondern neutralen Hintergründen interviewt.

Auch dies, und die Präsentation geschichtlicher Themen, nicht “oberlehrerhaft”, zur Primetime, um für Aufklärung Reichweite zu bringen, brachten Guido Knopp und seiner Redaktion bestimmte Kritiken ein. Andere, wie Johannes Rau oder Simon Wiesenthal lobten Knopp für seinen Beitrag zum Geschichtsverständnis seiner Zuschauer.

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Autor:
Guido Knopp wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Journalist, Historiker, Publizist und Moderator. Nach der Schule studierte er Geschichte, Politik und Publizistik und arbeitete zunächst als Redakteur verschiedener Zeitungen.

So war er u.a. für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” und der “Welt am Sonntag” tätig. 1978 wechselte er zum ZDF und leidete ab 1984 die von ihm initiierte Redaktion “Zeitgeschichte”. Neben der Podiumsdiskussionsreihe “Aschaffenburger Gespräche” verantwortete er zahlreiche Dokumentationsreihen zur deutschen Geschichte.

Seit 2010 ist er Vorsitzender des Vereins “Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation.” Guido Knopp erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. die “Goldene Kamera” oder den “Emmy”. Er lebt mit seiner Familie in Mainz.

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Erika Fatland: Sowjetistan

Sowjetistan Book Cover
Sowjetistan Erika Fatland Suhrkamp Erschienen am: 06.03.2017 Seiten: 511 ISBN: 978-3-518-46752-6 Übersetzer: Ulrich Sonneberg

Inhalt:

Erika Fatland über Sowjetistan – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan.

Mit ihrer fulminanten Reisereportage über die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens öffnet Erika Fatland uns die Tür zu einem fernab gelegenen Teil der Welt voller beeindruckender geschichten, skurriler Begebenheiten und überraschender Einblicke.

Sie erzählt von Samarkand und Dschingis Khan, von Brautraub und der Kunst der Adlerjagd, von korrupten Despoten, marmornen Städten und riesigen Goldstatuen, die sich mit der Sonne drehen. (Klappentext).

Rezension:

Es sind Länder zwischen den Stühlen. Genau so wie das Heimatland der Autorin, eher noch weniger, wird auch über die Länder Zentralasiens kaum berichtet. Abgeschottet zwischen Russland, Pakistan, Afghanistan und China liegend, die jede Aufmerksamkeit auf sich ziehen, bilden die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken einen weißen Fleck auf vielen Landkarten.

Früher abgeschottet, viele Städte aufgrund geheimer Militärprogramme der Sowjets auf den Karten nicht verzeichnet, regieren heute quasi Diktatoren die Länder, deren Landstrich auch heute allenfalls für das Verschwinden des Aralsees bekannt ist.

Der größten menschengemachten Naturkatastrophe in dieser Region, abgesehen von den Atomtests im Kalten Krieg.

Erika Fatland hat sich aufgemacht und versucht hinter die Fassade despotischer Diktaturen zu blicken und die Menschen kennenzulernen, deren Geschichte vom blühenden Handel auf der Seidenstraße erzählen kann aber auch von mongolischen Heerführern a la Dschingis Khan.

Wie lebt es sich heute in einer Region, die immer noch mit dem Erbe ihrer jüngeren Geschichte zu kämpfen hat, deren Berwohner am Rande des wirtschaftlichen Existenzminimums ums Überleben kämpfen, unterdrückt von Machthabern, deren Karrieren noch in den letzten Tagen der Sowjetunion begann?

Gibt es sie noch, die sagenumwobene Gastfreundschaft der Steppen- und Bergvölker, die längst großteils sesshaft geworden sind?

Wie sieht sie aus, die Gegenwart zwischen Orient und Okzident und welche Zukunft hält das Leben für das bunte Völkergemisch bereit, die sich heute an ihren Grenzen das Leben schwer machen, früher mit der eisernen Hand Moskaus unter Kontrolle gehalten worden?

Erika Fatland lässt sich darauf ein und nimmt ihre Leser mit auf eine reise ins Unbekannte. Sie blickt hinter schroffen und falschen Fassaden, stellt fest, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, auch wenn die Diktatoren als ebenso vergoldete Statuen auf sie herabblicken und der Wettkampf um den höchsten Fahnenmast mit Eifer betrieben wird und der einzige Gewinner dabei eine westliche Herstellerfirma ist.

Zwischen staatlichen Aufpassern und Wettkämpfen, resignierenden Archäolgen und vom Pferd fallenden Despoten versucht sie das Geheimnis von Samarkand und Taschkent zu ergründen, den Schein Astanas aufzudecken, reist zwischen Aschgabat und Duschanbe.

Der Blick der Autorin gilt dabei immer den Menschen der Region. Ungeschönt berichtet sie über das harte Leben der Menschen, deren Zukunft ungewiss ist und abhängig von den großen Nachbarstaaten, die sie umgeben. In ihren Heimatländern ist diese jedenfalls nicht zu finden.

Die Jungen wandern aus, richten ihren Blick nach Moskau oder in den Westen Europas, die Alten arrangieren sich mit den Verhältnissen und träumen von vergangenen Zeiten als man noch zu einer Großmacht gehörte.

Erika Fatland versucht die Hintergründe unverstellt darzulegen, die dazu führen, dass es immer noch Brautraub gibt und die Länder isoliert vom Weltgeschehen beinahe vor sich hin vegetieren. Herausgekommen dabei ist ein Blick auf das Besondere, auf den Alltag einer Region, die es noch zu entdecken gilt.

Einfühlsam ohne Verklärung berichtet Erika Fatland von einer Region, in der die Zukunft alles andere als sicher ist und doch, je nach Staat unterschiedlich verlaufen kann.

Dort kann alles passieren, ist sie sich sicher und beschreibt episodenhaft die Geschichte dieser Landstriche, durchsetzt von gesellschaftlichen Exkursen und immer wieder auch der Beschreibung von kuriosen Ereignissen, vor allem aber von Menschen.

Unverstellt wünscht man sich mehr solcher unaufgeregter und neugieriger Reisereportagen, wie die von Fatland, der dies mit “Sowjetistan” mehr als gelungen ist. Diese Momentaufnahme, aufgelockert durch mehrere Karten und Fotoaufnahmen, hilft uns zu verstehen.

Doch, wer wirklich begreifen möchte, muss sich mit Sack und Pack selbst aufmachen, die Region zu erkunden. Wer keine Gelegenheit dazu hat, hat mit “Sowjetistan” einen wunderbaren Einblick in das Leben in einer faszinierenden Landstrich gewonnen.

Autorin:

Erika fatland wurde 1983 in Hausgesund/Norwegen geboren und ist eine norwegische Schriftstellerin und Ethnologin. Nach der Schule studierte sie in Kopenhagen und Oslo Anthropologie und schrieb ihre Abschlussarbeit über die Nachwirkungen des Geiseldranas von Beslan in Nordossetien.

Danach arbeitete sie 2008-2009 am Norwegischen Institut für Internationale Angelegenheiten. 2009 schrieb sie ein Kinderbuch und kehrte im Jahr darauf nach Beslan zurück um ihre Arbeit über Beslan fortzusetzen. Ihr Buch darüber erschien in Norwegen 2011.

Im Herbst 2012 veröffentlichte sie ein Buch über die Terroranschläge in Norwegen und machte sich zwei Jahre später auf, die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens zu besuchen. Für die Reisereportage wurde Erika Fatland mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt in Oslo.

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Simon Sebag Montefoire: Die Romanows – Glanz und Untergang der Zaren-Dynastie 1613-1918

Die Romanows - Glanz und Untergang der Zaren-Dynastie 1613-1918 Book Cover
Die Romanows – Glanz und Untergang der Zaren-Dynastie 1613-1918 Simon Sebag Montefoire Verlag: S. Fischer Erschienen am: 27.10.2016 Seiten: 1038 ISBN: 978-3-10-050610-8 Übersetzer: (u.a.) Gabriele Gockel

Inhalt:

Wie kein anderes Adelsgeschlecht sind die Romanows der Inbegriff von schillerndem Prunk, Macht, Dekadenz und Grausamkeit. Über 300 Jahre dominierten sie das russische Reich, mehr als 20 Zaren und Zarinnen gingen aus dem Geschlecht hervor, allesamt getrieben von unbändigem Machthunger und rücksichtslosem Willen zu herrschen – einige dem Wahnsinn näher als dem Genie.

Simon Sebag Montefiore erzählt die Saga dieser unglaublichen Familie, in der Rivalität, Giftmorde und sexuelle Exzesse regelrecht auf der Tagesordnung standen.

Basierend auf neuester Forschung und unbekanntem Archivmaterial zeichnet er die Schicksale und politischen Verwicklungen nach. Weder zuvor noch danach gab es ein so gewaltiges Reich, in dem sich Glanz und Grausamkeit auf so unheilvolle Weise verbündeten. (Verlagstext)

Rezension:

Die Öffentlichkeit kennt die Geschichte der Familie des letzten Zaren ebenso gut wie die von Katharina II. (Die Große), Peter dem Großen oder Iwan dem Schrecklichen.

Doch, was ist mit den anderen, fast zwanzig Zaren, die aus dem einst allmächtigen Herrschergeschlecht hervorgingen? Was, mit Michael I., der als Kind den Thron bestieg und damit den Auftakt bildete für eine Dynastie, die Europa, Asien und zeitweise Alaska in Amerika kontrollieren sollte? Weshalb war die Familie so erfolgreich, wie keine andere zuvor?

Weshalb brauchte es zu deren Sturz nur einen “Wanderprediger” und eine neurotische Zarin? Diesen und vielen anderen spannenden Fragen geht Simon Sebag Montefiore mit erstaunlicher Akrebie nach, befragt Verwandte, die von Zeitzeugen abstammen, stöbert in Archiven und holt bisher ungeöffnete Briefe und Korrespodenzen ans Tageslicht. Herausgekommen dabei ist ein historisches Standardwerk, was eine einzigartige Familiengeschichte beleuchtet.

Die Geschichte der Romanows beginnt und endet quasi mit zwei Jungen. Der Eine wollte keinesfalls Zar werden, legte jedoch den Grundstein für eine sehr erfolgreiche Herrschaft, der andere wurde brutal ermordert, womit sich für alle Zukunft die Aussicht auf eine Fortführung der Romanowschen Geschichte zerschlugen, die einige wenige während des Zerfalls der Sowjetunion zur Sprache brachten.

Dabei zeigt sich die Geschichte als eine Art Kreislauf, deren wichtigstes Element, die Autokratie, im größten Land der Welt auch heute noch in abgewandelter Form eine bedeutende Rolle spielt.

Warum dies so ist, erklärt Sebag Montefiore anhand der Portraitierung der Epochen und zeigt, wie die Zaren Privates und Politisches miteinander verbunden. Keinesfalls schwerfällig aber fakten- und erkenntnisreich untermauert der Autor seine schonungslose Analyse, die auch das romantisierte Bild Katharina der Großen oder Nikolaus II. ins Wanken bringt und die Wirklichkeit voranstellt.

Eine Stammbaum-Übersicht, Landkarte, zahlreiche Fotos und am Anfang eines jeden Kapitels geschrieben Auflistung der Personen des jeweiligen Zeitabschnitts machen es leicht, den Anschluss zu behalten, auch wenn man als Leser förmlich in den Strudel dieser faszierenden Geschichte, die packender ist als jeder historische Roman, hineingesogen wird.

Der Verlag bewirbt die umfangreiche Ausarbeitung mit dem Satz: “Dagegen ist ‘Games of Thrones’ das reinste Kaffeekränzchen.”, und zitiert damit Anthony Beevor, einem anderen großen Historiker.

Wer dieser Rezension nicht glauben mag, sollte zumindest ihm folgen und sich auf eine Geschichte der Familie einlassen, die mehrere Kontinente und unzählige Völker beeinflusst hat, Menschen schon zu Lebzeiten fasziniert und verhasst zugleich war.

Es bleibt die Frage ob Russlands heutige “Zaren” von den Romanows gelernt haben? Für alle anderen lohnt sich eine genaue Betrachtung derer.

Autor:

Simon Jonathan Sebag Montefiore wurde am 27. Juni 1965 in London geboren und ist ein britischer Historiker, Moderator und Gewinner mehrmaliger Auszeichnungen für die Veröffentlichung geschichtlicher Sachbücher und Romane.

Er stammt aus einer jüdischen Familie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Russischen Zarenreich vor antijüdischen Progromen floh. Er studierte Geschichte am Gonville & Caius College in Cambridge und machte dort seinen Doktor in Philosophie.

Zugleich gewann er am College eine Ausstellung. Bevor er als Schriftsteller wirkte, arbeitete er als Bankangestellter, Jounalist und Korrespondent und tat sich durch seine Berichterstattung während des Zerfalls der Sowjetunion hervor.

2004 gewann er mit seiner Biografie “Stalin: Der rote Zar” die British Book Awards. neben zahlreichen Sachbüchern veröffentlichte er einige Romane. Er ist Mitglied der Royal Academy of Literature und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in London.

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