Kirche

Thomas Seiterich: Letzte Wege in die Freiheit

Inhalt:

Sommer 1940. Die deutsche Wehrmacht besetzt das Elsass, aber es gibt Widerstand: In der Straßburger katholischen Pfarrei St. Jean gründen sechs französische Pfadfinderinnen eine Untergrundfluchthilfe für Regimegegner, Juden, Kommunisten, Militärs. Sie erkunden geheime Wege über die Vogesen und retten viele Menschenleben. Bevor die Gestapo sie 1942 aufgreift, bringen sie ungefähr 500 Menschen in Sicherheit. Thomas Seiterich hat sich auf Spurensuche nach diesen beeindruckenden Frauen des Widerstands gegen das nationalsozialistische Regime begeben und mit den letzten Zeitzeuginnen gesprochen. (Klappentext)

Rezension:

Jenseits der Grenze wird er nun immer häufiger diskutiert, das Gewicht und die Rolle der Frauen in der Resistance, des französischen Widerstands gegen die Deutschen während der Besatzung des Landes im Zweiten Weltkrieg. Deren Wirken war vielfältig, doch auch dort noch vergleichsweise wenig wahrgenommen, spielt er in der hießigen Betrachtung der Historie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.

Der Autor und Soziologe Thomas Seiterich hat sich nun der Thematik angenommen, um dieses beinahe vergessene Stück Geschichte auch einem deutschen Publikum zugänglich zu machen. Dabei entstanden ist ein umfassendes Porträt sechs beeindruckender Frauen, die mit ihren Taten ihr Leben riskierten, um das anderer zu retten.

Beleuchtet wird die düstere Zeit der deutschen Besatzung des Elsass, zunächst mit den daraus resultierenden Auswirkungen und der Rolle der Kirche in dieser Region, im Gegensatz zum übrigen Frankreich. Der Autor folgt dem Zusammenfinden der Frauen, ebenso den Entschluss, viele Menschenleben durch persönlichen Einsatz zu retten und zeigt auf, wie diese Art des Widerstands auch im Zusammenspiel mit der damals dort lebenden Bevölkerung funktioniert hat.

An manchen Stellen liest sich das zuweilen wie ein Krimi, was die Thematik bedingt, doch verliert der Autor nie seinen fachlichen Blick. Einige Zeilen lassen doch sehr den theologischen Hintergrund von Thomas Seiterich durchscheinen, damit auch seinen Zugang zur Gedankenwelt der von ihm beleuchteten Frauen, doch driftet die Betrachtung nie ins allzu Religiöse ab. Die Gefahr hier eine theologische Abhandlung anhand eines positiven Beispiels sich hier zu Gemüte führen zu müssen, worauf man bei Klappentext und Kurzbiografie durchaus kommen könnte, ist nicht gegeben. Stattdessn ergänzt der Autor unser Geschichtsbild um einen weiteren wichtigen Aspekt gegen das Vergessen.

Nüchterne Absätze oder gar Kapitel erzeugen einige Längen, doch holt der Autor die Lesenden immer wieder zurück, mit einem dann doch sehr kompakten Stil, der wichtiges auf den Punkt bringt. Nur ein relativ überschaubarer Zeitraum wird in diesem Sachbuch besprochen und immer wieder das Handeln der Frauen im Kontext der Geschehnisse eingeordnet. Vorausgegangen sind dem zahlreiche Gespräche mit zum Zeitpunkt der Entstehung des Buches noch lebenden Zeiitzeugen und Zeitzeuginnen, sowie das durchforsten von Archivmaterial, soweit vorhanden.

Warum wurde bisher noch nicht mehr über diesen Aspekt der, ja auch französisch-deutschen Geschichte gesprochen? Thomas Seiterich würdigt sehr gelungen die Frauen, die so unzählige Menschenleben retteten und dabei am Ende selbst in die Fänge eines mörderischen Regimes gerieten. Man will sich das alles nicht vorstellen, die Beschreibungen lassen jedoch sehr genaue Bilder entstehen von Schauplätzen. Wie ist es, plötzlich vor Stacheldraht einer streng bewachten Grenze zu stehen, im Verhör oder in einer Zelle auf die Vollstreckung eines Todesurteils zu warten, wie das Erkunden neuer Fluchtwege? Diese Beschreibungen werden hier gut transportiert.

An der einen oder anderen Stelle hätte man formulierungstechnisch durchaus vor Veröffentlichung noch feilen dürfen und hoffentlich, vor weiteren Auflagen, noch den einen oder anderen Rechtschreib- und Grammatikfehler ausgebessert. Das hält sich in grenzen und stört nicht so sehr im Lesefluss, wie vielleicht die eine oder andere Länge. Über allem und positiv steht das Aufgreifen eines hier nur selten diskutierten Aspekts der Geschichte und natürlich dem nun gesetzten schriftlichen Denkmal dieser Frauen. Wer also seinen Blick über den sonst üblichen Tellerrand hinaus erweitern möchte, sei die Lektüre dennoch empfohlen.

Autor:

Thomas Seiterich studierte Geschichte, Soziologie und Theologie in Freiburg, Fribourg und Jerusalem, sowie Frankfurt. Er ist Herausgeber der “Frankfurter Hefter” und war von 1980 bis 2020 Redakteuer der kritisch-linkschristlichen Zeitschrift “Publik Forum”. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher. Seiterich lebt in Ulm.

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Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 3 – Dämonen im Vatikan

Inhalt:

Mitunter ist man im Vatikan der himmlischen Ruhe näher, als einem lieb ist. Diese Erfahrung macht auch das Ermittlerduo Commissario Bariello und Weihbischof Montebello in seinem dritten Fall: Als die Archäologie geheiligte Glaubensgrundsätze zu erschüttern droht, ruft sie Verteidiger auf den Plan, die vor nichts zurückschrecken. In einem Nebel aus Lügen, Intrigen und rätselhaften Todesfällen scheint ein unseliges Machtkartell auf dem Weg zum ewigen Heil sehr irdische Interessen zu verfolgen. Hinter den Mauern des Vatikans ist bald schon niemand mehr sicher. (Klappentext)

Einordnung in der Reihe:

Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 1 – Das Grab der Jungfrau
Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 2 – Hochamt in Neapel
Stefan von der Lahr: Bariello & Montebello 3 – Dämonen im Vatikan

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Rezension:

Selbst Rom kann sehr kalt sein. Dennoch ist Commissario Bariello überrascht, als er zu einem Toten gerufen wird, der offenbar erfroren ist. Wie das im Hochsommer möglich ist, ist zunächst völlig unklar, ebenso, was es mit den Dämonen auf sich hat, die das Opfer, ein Priester und Redakteur des Osservatore Romano zuvor zu sehen geglaubt hatte.

Vor einem ganz anderen Rätsel steht indes Montebello, der Weihbischof von Neapel, der in einer einzigartigen Ausgabe der Legenda Aurea, einst das meistgelesene Buch des Mittelalters, Zeichnungen entdeckt, die die Grundfeste der katholischen Kirche erschüttern könnten. Beide Nachforschungen stören schnell offenbar gleichermaßen die Interessen von Wirtschaftspotentaten und Kirchenfürsten. Sehr schnell häufen sich die Todesfälle. Innerhalb der Mauern des Vatikans ist bald niemand mehr sicher.

Dass das Machtzentrum der katholischen Welt sich für packende Geschichten förmlich anbietet, dürfte spätestens mit den Veröffentlichungen von dan Brown oder etwa Robert Harris jedem bewusst sein. Auch im Verlag C. H. Beck, der jetzt nicht gerade für packende Krimis bekannt ist, die gehören normalerweise nicht zum Verlagsprogramm, ist eine derart und doch sehr besonders angelegte Reihe zu finden, die es in sich hat. Vorausgeschickt, die vorangestellten Bände sind mir noch unbekannt, und so habe ich den dritten sozusagen als Stand Alone ohne Vorwissen mir zu Gemüte geführt. Das funktioniert mit Kriminalromane recht gut und auch hier wurde ich nicht enttäuscht, konnte ohne Probleme in die Geschichte eintauchen.

Stefan von der Lahr hat hier nur wenige Seiten benötigt, um die Vorgeschichte aufzubauen, die für einen Kriminalroman zunächst relativ unscheinbar beginnt, gleichwohl man ahnt, dass mit wenigen Sätzen eine Dynamik angelegt wird, derer man sich lesend kaum entziehen wird können. Schnell gewinnt die Geschichte an Tempo. Vielleicht muss man, wer jetzt nicht häufig mit südländischen Namen in Berührung und von kirchlichen Hierarchien keine Ahnung hat, das eine oder andere Mal innehalten, aber das gibt sich schnell. Genau so wie die Perspektivwechsel der sehr kompakt angelegten Kapitel, die ihren Anteil zur Dynamik beitragen.

Interessant ist, das wird mit den vorangegangenen Bänden nicht anders sein, die Figurenkonstellation, durch die zunächst getrennte Ansätze in der Ermittlung durchgeführt, jedoch sehr schnell zusammengeführt werden müssen. Diese unterschiedlichen Sichtweisen des Ermittler-Duos, diese Perspektiven werden spannend dargestellt, was jedoch dem Autoren nicht genügt. So hat von der Lahr auch die Sichtweisen der Gegenspieler eingewoben, ohne sich in der Vielzahl der Handlungsstränge zu verlieren. Der Autor behält den Überblick bis zuletzt, den sich die Lesenden zusammen mit den beiden sympathischen Protagonisten Bariello und Montebello erst schaffen müssen.

Beide Charaktere sind gut ausgestaltet, wozu man jetzt keine Vorkenntnisse aus den vorherigen Bänden haben muss, wenn auch Anspielungen natürlich vorhanden sind. Die sind dann durch Fußnoten gekennzeichnet. Nicht nur daran erkennt man übrigens, die Nähe des Autoren zum Verlagshaus. Das dem Roman zugrunde liegende Recherchematerial, welches zur Konstruktion des Szenarios verwendet wurde, wird ebenso aufgelistet, wie verschiedene Begriffe innerhalb eines Glossars und richtig gut, ein Personenverzeichnis. Könnte dies bitte jeder Roman oder Krimi bekommen? Es erleichtert wirklich das Behalten des Überblicks ungemein.

Mit diesen Aspekten versehen liegt hier eine sehr spannende und schlüssige Erzählung vor, in der penibel darauf geachtet wurde, keine sichtbaren Logikfehler aufkommen zu lassen. Um dies so auszugestalten braucht es die für das Genre doch im Vergleich zu anderen Werken relativ hohe Seitenzahl. Keine Zeile ist überflüssig, jedes Wort ist notwendig und keines zu viel. Auch das trägt zur Spannung bei, wie auch zahlreiche Wendungen, die vor allem in der Zahl der den Handlungssträngen zu Opfer fallenden begründet liegen. Gefühlt zumindest stirbt ständig jemand. Ob das wirklich so ist, ist es wert, das selbst herauszufinden.

Stefan von der Lahr schafft es damit, die Lesenden in diese sehr eigentümliche Welt, in der nicht nur religiöse Interessen verfolgt werden, hinein zu ziehen. Fast meint man, die Abläufe hinter den Mauern des Vatikans sich genau so vorstellen zu können. Das ist dann auch irgendwie bezeichnend für die reale Instution. Den Weg der Auflösung des Falls und die Zusammenhänge zu ergründen, ist ungeheuer spannend, nicht nur für Fans der an solch besonderen Orten spielenden Geschichten, die natürlich für eine sehr eigene Atmosphäre sorgen.

Auch Lesende klassischer Krimis mit einem einnehmenden Ermittler-Duo im Vordergrund kommen auf ihre Kosten. Wer dazu noch schon Gelegenheit hatte, einmal die italienische Hauptstadt und den Vatikan selbst zu besuchen, für dem ist das entstehende Kopfkino perfekt. Ob man wohl mit diesem Krimi in der Tasche eingelassen werden würde?

Nochmal zu den Vorkenntnissen, weder religiöse noch zu den vorangegangenen Bänden muss man welche haben. Unklarheiten werden durch die Figuren selbst beseitigt. Die Lust, Buch 1 und 2 zu lesen, ergibt sich ohnehin durch die Lektüre. Und das muss ein dritter Band auch erst mal schaffen. Es lohnt sich sicherlich und es bleibt zu hoffen, dass mögliche Nachfolge-Bände genau so packend sein werden. Der Spurensuche Bariellos und Montebellos folgt man nämlich gern.

Autor:

Stefan von der Lahr ist promovierter Altertumswissenschaftler und arbeitet seit dreißig Jahren bei C. H. Beck.

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Jens Mühling: Mein russisches Abenteuer

Inhalt:

Fast ein Jahr lang reist Jens Mühling durch Russland und porträtiert aus ganz persönlicher Perspektive eine Gesellschaft, deren Lebensgewohnheiten, Widersprüche, Absurditäten und Reize hierzulande nach wie vor wenigen vertraut sind. Auf seiner Reise erlebt er unglaubliche Begegnungen: Eine Einsiedlerin in der Taiga, die erst als Erwachsene erfahren hat, dass es jenseits der Wälder eine Welt gibt. Ein Mathematiker, der tausend Jahre der russischen Geschichte für erfunden hält. Ein Priester, der in der atomar verseuchten Sperrzone von Tschernobyl predigt. Ihre Lebensgeschichten fügen sich zu einem faszinierenden Porträt der russischen Seele. (Klappentext)

Rezension:

Land der Verheißung. Land der Verbannung. Sibirien. Faszinierend und erschreckend ist dieser Landstrich, der für sich allein genommen immer noch der größte Staat der Erde wäre und doch ist Russland so viel mehr als nur diese Region. Der Journalist Jens Mühling begab sich erstmals im Jahre 2010, der Konflikt mit der Ukraine noch in weiter Ferne, dorthin, um die russische Seele zu erkunden.

Dieses Russland – es ist eigentlich überhaupt kein Land!

Jens Mühling: Mein russisches Abenteuer, erschienen bei mairdumont/Dumont Reise.

Die erste Station Kiew, wo die historischen Ursprünge dieses fascettenreichen Landes liegen, Tschernobyl, Moskau, St. Petersburg und dann hinaus in die unergründliche Weite. Jens Mühling spürt den Geschichten nach, die sich in seiner Schreibtischschublade in Berlin, in Form von Zeitungsausschnitten und ausgedruckten Artikeln sammelten. Auf eine Antwort folgen tausend Fragen.

Dieser vielschichtige und sehr persönliche Reisebericht wurde geschrieben und erstmals veröffentlicht, als die heutigen Konflikte mit Russland noch weit weg waren und so beschreibt der Journalist und Autor mit Blick für’s Detail seinen Versuch, die russische Seele zu ergründen. Unglaubliche Geschichten tun sich ihm auf. Hätte diese jemand erfunden, so wären sie kaum glaubwürdig, doch in diesem riesigen Land gibt es viele Realitäten. Einfühlsam näherte sich Mühling den Menschen, die aus ihrem Leben erzählen und so einen anderen Blickwinkel bieten.

Die rätselhafte russische Seele gibt es nicht.

Die russische Seele ist nicht rätselhafter

als der morgendliche Kopfschmerz

nach einem Besäufnis.

Jens Mühling: Mein russisches Abentuer, erschienen bei mairdumont/Domont Reise.

Es gibt sie noch, die unendlichen Weiten, aber auch die Dramen, die wie aus einem Buch Tolstois zu stammen scheinen. Da können auch schon einmal Jahrhunderte Geschichtsschreibung erfunden sein oder andere längst vergangenen Zeiten nachtrauern. In kurzweiligen episodenhaften Kapiteln erzählt der Autor von seinen Begegnungen, seiner Suche nach den letzten Altgläubigen etwa und dem Spagat zwischen Tradition und Moderne.

In einem, der Neuauflage angefügten Nachwort, ein nachdenkliches Fazit. Vieles hat sich verändert. Vieles, auch solche Reisereportagen, nicht zuletzt der Zugang zu den Menschen, sind schwerer geworden. So bleibt dieses Porträt eine Momentaufnahme, eines Landes, welches starr in sich ruht und sich dennoch rasant bewegt. Unbedingt lesenswert.

Autor:

Jens Mühling wurde 1976 in Siegen geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Zunächst studierte er Literatur in Norwich, England, und Berlin, bevor er für die Moskauer Deutsche Zeitung arbeitete. Als Redakteur des Berliner Tagesspiegels schreibt er seit 2005 regelmäßig über Russland und Osteuropa. 2012 erschien sein erstes Werk, welches für den Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis und in England für den Dolman Travel Book of the Year Award nominiert wurde. Es folgten mehrere Reisereportagen. 2020 erschien sein Bericht “Schwere See – Eine Reise rund ums Schwarze Meer”.

Dieses Buch wurde gelesen im Rahmen des Sachbuchmonats Januar 2021. #SachJan21 #sachjan2021

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Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Die seltsamsten Orte der Religionen Book Cover
Die seltsamsten Orte der Religionen Johann Hinrich Claussen C.H. Beck Verlag Erschienen am: 27.08.2020 Seiten: 239 ISBN: 978-3-406-75598-9 Illustrationen: Lukas Wossagk

Inhalt:

Niemand hat die Absicht, einen seltsamen Ort zu schaffen. Es passier einfach. Der älteste Steingarten Japans wird von Moos überwuchert, Bäume erweisen sich plötzlich als heilkräftig, Kirchen müssen vor Verfolgern versteckt werden. Das Buch führt seine Leserinnen und Leser zu 39 christlichen und nichtchristlichen Orten auf der ganzen Welt, die wie von einem anderen Stern sind. (Klappentext)

Rezension:

Die Welt ist voller Religion, ob es einem gefällt oder nicht.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Was und woran glaubst du? An der Frage scheiden sich, sprichwörtlich, die Geister und so kommt es nicht von Ungefähr, dass sich die unterschiedlichen Spielarten in den verschiedensten Plätzen und Orten, Gebäuden, manifestieren. Kirchen, Moscheen und Synagogen, Tempel sind zwar die Norm, doch Religion zeigt sich eben nicht nur in offiziellen Bauten.

Vielerorts gibt es Abweichungen von der Norm, die hervorstechen und dadurch zu etwas Besonderen werden. Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen nimmt uns Lesende mit auf eine Reise zu den spirituellen Orten der Welt.

Der sonderbare Trip erfordert einen besonderen Reiseführer, der nun in der Art eines kurzweiligen Sachbuches bei C.H. Beck vorliegt. In handlichen Kapiteln und kurzweiligen Abschnitten werden hier Pilgerziele für Millionen ebenso vorgestellt, wie Orte religiöser Prägung, die nur einer kleinen ausgewählten Gruppe von Menschen vorbehalten sind.

Spannend die Geschichten dahinter, weshalb in Frankreich etwa ein Postbote sein Mausoleum errichtet hat oder der Gottesdienst seinen Weg ins Internet gefunden hat. Hat wer vielleicht Angst vor dem Tod, gibt es inzwischen die Möglichkeit sich einfrieren zu lassen. Nachhaltigkeit gibt es jedoch auch ganz und gar, zum Beispiel in Spanien. Dort wird eine Kathedrale aus Müll errichtet.

Aus der Ferne sieht es aus wie ein überdimensionierter Schrotthaufen – ein wildes Gewirr von Metallstäben, die spitz in die Höhe ragen. Dabei ist es das Nationalheiligtum Litauens.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Vornehmlich christliche Orte werden hier aufgelistet, was dann auch einer der wenigen Kritikpunkte ist, immer mit Ortsangabe und kurzem, überhaupt nicht trögen geschichtlichen Abriss. Manifestifikationen anderer Religionen sind Einsprengsel und werden in wenigen Beiträgen erörtert. Schade, dabei gibt es gerade auf diesem Gebiet sicher so viel zu entdecken, wenn es auch nicht für jeden ein Besuch im indischen Rattentempel sein muss.

Sachlich und wohlwollend sind die Schilderungen. Kritik schimmert kaum durch, doch zeigt Claussen durchaus Wege auf, die Menschen konsequent gegangen sind, wenn diese sich verstoßen oder ausgegrenzt, wahlweise auch erleuchtet gefühlt haben, um ihrem Glaube Ausdruck zu verleihen.

Das funktioniert im Großen und Ganzen, wenn auch einige Längen beim Lesen entstehen, die jedoch den Blick über den Tellerrand schärfen. Und, wer weiß? Vielleicht begibt sich ja der eine oder andere Leser selbst einmal auf Entdeckungsreise. Der Autor zeigt zumindest, dass sich ein Trip da und dorthin durchaus lohnen kann.

Autor:

Johann Hinrich Claussen wurde 1964 in Hamburg geboren und ist ein deutscher evangelisch-lutherischer Theologe und Autor. Er studierte evangelische Theologie in Tübingen, Hamburg und London, promvierte dort im Jahr 1996.

Im selben Jahr wurde er zum Pastort ordiniert, habilitierte sich 2005 an der Universität Hamburg und lehrte dort als Privatdozent. Claussen ist Beauftragter im Rat der EKD für Kultur und leiter des dort dafür zuständigen Büros. Für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge. Eines seiner ersten Werke erschien im Jahr 2004.

Illustrator:

Lukas Wossagk ist seit 2012 als freiberuflicher Illustrator und Grafiker tätig, unter anderem für Projekte der Stadt München. Zudem wirkte er bereits mehrfach für im C.H. Beck Verlag erschienene Werke.

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Matthias Drobinski/Thomas Urban: Johannes Paul II.

Johannes Paul II. - Der Papst, der aus dem Osten kam  Book Cover
Johannes Paul II. – Der Papst, der aus dem Osten kam Matthias Drobinski/Thomas Urban C.H. Beck Erschienen am: 17.02.2020 Seiten: 336 ISBN: 978-3-406-74936-0

Inhalt:

Johannes Paul II. (1920-2005) war ein Jahrhundertpapst. Er begeisterte die Massen, und seine Besuche in Polen zeigten den Menschen im Ostblock: Es gibt eine Kraft, die stärker ist als der kommunistische Staatsapparat.

Doch so sehr Karol Wojtyla in seiner Heimat stets die Reformer in der Kirche unterstützt hatte – als Papst regierte er selbst autoritär, beschnitt die Unabhängigkeit der Ortskirchen und maßregelte Theologen. Matthias Drobinski und Thomas Urban erzählen keine Heiligengeschichte, sondern porträtieren eine faszinierende Persönlichkeit, die Revolutionär und Reaktionär in Einem war. (Klappentext)

Rezension:

Im Jahr 1978 begann eines der längsten Pontifikate der Geschichte. Karol Wojtyla, der sich fortan Johannes Paul II. nannte, wurde zum Papst gewählt und ließ die kommunistische Welt aufhorchen. Krisensitzungen im Moskauer Kreml und in Warschau folgten, hatte der Pole doch schon seit seiner Priesterweihe nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder für Aufmerksamkeit und Schwierigkeiten bei den Machthabern gesorgt.

Auch als Papst blieb er Hoffnungsträger für Hunderttausende. Doch, der Mann, der aus dem Osten kam, blieb sich treu und für viele auch hoch umstritten. Die kirchliche Ökomene förderte er, doch gegen Missbrauch in der Kirche unternahm er nichts, auch seine Einstellung gegenüber Frauen, Verhütung und Sexualität waren konservativ. Zu konservativ für eine sich im Umbruch befindliche Welt. Doch, wer war Karol Wojtyla eigentlich? Der Mann, der die katholische Kirche ins neue Jahrtausend führen sollte.

Beitrag aus der Dokumentation “100 Jahre – Der Countdown”, 1981 – Schüsse auf den Papst.

Die Journalisten und Autoren Thomas Urban und Matthias Drobinski zeichnen das vielschichtige Porträt eines Menschen, der zuweilen so widersprüchlich ist, wie die Institution, der er sein Leben verschrieb. Auf relativ wenigen Seiten wird das längste Pontifikat seit mehreren Jahrhunderten dargestellt, aber auch der Weg dorthin minutiös aufgezeichnet.

Welche Wegsteine markierten die Biografie eines Mannes, der Geschichte schreiben und selbst eine solche werden sollte? Wie entwickelte Wojtyla, später als Papst Johannes Paul II., seine Ansichten und woran lag es, dass der einst so progressive Pfarrer, Bischof und Kardinal mit dem Alter immer konservativer wurde?

Beschrieben wird nicht nur der Lebensweg und die Schwierigkeiten der kirchlichen und politischen Auseinandersetzungen, denen sich der “Reisepapst” ausgesetzt war, sondern immer wieder auch Momente, die Geschichte schrieben. Das Attentat auf den Papst gehört ebenso dazu, wie auch die Unterstützungen der Streikenden auf der Lenin-Werft in Danzig, um Lech Walensa, Beginn des schleichenden Zusammenbruchs der kommunistischen Regime im Osten.

Ungeschönt wird das Bild wiedergegeben, welches sich schon zu Lebzeiten formte, auch die Debatte um die Stellung der Frau in der Kirche, die neuen Schwung aufnahm und in derer der Papst auch viele Gläubige enttäuschte, wird dargestellt.

Intensive Recherchearbeit in Archiven, die Sichtung von Interviews und Berichten gingen der Arbeit voran, in derer die Autoren darstellen, welchen Einfluss Papst Johannes II., der sich der Ökomene verschrieben sah und für den Frieden in der welt kämpfte, doch so voller Widersprüche war, auf die Kirche nahm. Sie zeigen, wie der Mann, der über ein Vierteljahrhundert lang, das Schicksal der Katholiken bestimmte, die Kirche über sein pontifikat hinaus bestimmte und welches Erbe er seinen Nachfolgern hinterlies.

Abgesehen von manchen Längen, die wohl alle Biographien aufweisen, ist diese hier leicht zu lesen, ist doch die Zeit, in der Karol Wojtyla voller hochspannender Ereignisse und Wendungen. Die Autoren zeichnen ungeschönt ein facettenreiches Bild mit all seinen Widersprüchen in handlichen Kapiteln.

Nachvollziehbar auch für die jenigen, die das Weltbild des Johannes Paul II. jetzt nicht vertretetn. Urban und Drobinski zeigen, welche Zeichen das Oberhaupt der Katholiken in die Welt sendete und was davon bleibt. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Der erste Medienpapst der Geschichte, der den Vatikan in kleinen Schritten veränderte und doch manche, vielleicht zu hoch an die Institution gestellten, Erwartungen enttäuschte, im Spiegel der Zeitgeschichte und an dessen Leben nicht nur die Katholiken bis zuletzt Anteil nahmen. Wie bewerten wir heute den Polen Karol Wojtyla und sein Pontifikat als Papst Joannes Paul II.?

Die Autoren mit dem Versuch einer sehr vielschichtigen Darstellung.

Autoren:

Matthias Drobinsi wurde 1964 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach dem Abitur studierte er Geschichte, katholische Theologie und Germanistik in Gießen und Mainz, begann danach eine journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. 1993 begann er als redakteur für die Zeitung Publik-Forum, später für Die Woche zu arbeiten, auch recherchierte er für mehrere öffentliche Rundfunk- und Fernsehsender.

Seit 1997 arbeitet er für die Süddeutsche Zeitung als innenpolitischer Redakteur und ist dort für Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständig-

Thomas Urban wurde 1954 geboren, ist ebenfalls Journalist und Autor, studierte Romanistik, Slavistik und osteuropäische Geschichte. Nach mehreren Stationen arbeitete er zunächst beim Bundessprachenamt.

Nach einem besuch der Henri-Nannen-Schule war er für verschiedene Presseagenturen tätig, später wechselte er zur Süddeutschen Zeitung, wo er als Osteuropa-Korrespondent tätig wurde, sowohl aus Warschau und Moskau berichtete, als auch vom Abchasien- oder dem ersten Tschetchenienkrieg. 2012 übernahm er das Korrespondentenbüro in Madrid.

Beide sind Verfasser mehrerer Sachbücher.

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Josef Haslinger: Mein Fall

Autor: Josef Haslinger

Titel: Mein Fall

Seiten: 139

Genre: Biografie

Hardcover

Verlag: S. Fischer

ISBN: 978-3-10-030058-4

Inhalt:
Als Zehnjähriger wurde Josef Haslinger Schüler des Sängerknabenkonvikts Stift Zwettl. Er war religiös und wollte Priester werden, er liebte die Kirche. Seine Liebe wurde von den Patres erwidert. Erst von einem, dann von anderen.

Ende Februar 2019 tritt Haslinger vor die Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer von Gewalt und sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Dreimal muss er seine Geschichte vor unterschiedlich besetzten Gremien erzählen. Bis der Protokollant ihn schließlich auffordert, sie doch bitte selbst aufzuschreiben. (Inhaltsangabe des Verlags)

Rezension:

Meine Eltern hatten mich der Gemeinschaft der Patres anvertraut, weil mich dort das Beste, das selbst sie mir nicht geben konnten, erwarten würde. Ich habe sie heimlich oft verflucht, weil sie mich nicht darauf vorbereitet hatten, was dieses Beste sei…

Josef Haslinger: “Mein Fall”.

Wie viel Leid muss ein Mensch eigentlich ertragen, bevor ihm geglaubt, bevor er angehört und ihm Gerechtigkeit wiederfahren wird?

Zumindest benötigen sie zumeist einen langen Atem und Durchhaltevermögen, im Falle Josef Haslingers wohl auch eine gewaltige Portion Glück, der sich 2019 der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft und der Unabhängigen Opferschutzkommission anvertraute, die in Österreich die Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche untersuchen soll.

Er selbst wurde als Kind in einem kirchlichen Internat sexuell missbraucht und musste erst lernen, darüber zu sprechen, vertraute sich den miteinander verzahnten und von der Kirche selbst gestützten Organisationen erst an, als seine Peiniger von Einst nicht mehr lebten.

Dieser Zustandsbericht, gleichermaßen Kindheitsbiografie und Verarbeitungsversuch dessen, was kaum zu verarbeiten ist, ist nun das Resultat. Nach und nach erfährt der Leser, wie das Kind in die Hände der Patres kam und missbraucht wurde.

Ein schleichender Prozess, den der zunächst Zehnjährige nicht erkennt als das, was es ist. Eben Missbrauch und Gewalt. Parallel erzählt der Autor auch vom erschwerten Verarbeitungsprozess einer Kirche, deren Taktik zu verschleiern, zu verzögern, zu zermürben schon in den allerersten Zeilen deutlich wird.

Wie kann da eine Aufarbeitung gelingen. Die Schilderungen Haslingers, wie dieser von einer zur anderen Stelle geschickt und schließlich selbst aufschreiben sollte, wofür es keine Worte gibt, lassen beim Leser das Blut kochen. Vor Wut auf eine mittelalterliche und rückständige Organisation, die weder Willens noch fähig zu Veränderungen ist.

Auch, wenn man sich nach außen einen reumütigen Anschein gibt.

Aber auch Haslinger selbst, der diesen Bericht zugleich als Verarbeitung des Gewesenen verstanden lassen möchte, muss sich fragen lassen, was er mit “Mein Fall” eigentlich erreichen möchte.

Vorwürfe, die er macht, werden von ihm selbst gleich wieder relativiert, erste Annäherungs- und Sexualisierungsversuche der Patres als nicht so schlimm im Nachhinein gesehen. Zugleich will er ganz klar den Pädophilen vom Lehrenden trennen, gleichwohl diese in Gestalt bestimmter Padres die gleichen Personen sind.

An den Lehrer erinnert sich Haslinger durchaus mit Wohlwollen, an den Täter natürlich nicht. Die Denkweise Haslingers, erst nach dem Tod der Täter damit an die Kontaktstelle der Missbrauchsaufklärung zu treten, um den Lebenden keinen Rufschaden hinzuzufügen, finde ich ebenfalls schwierig, als Außenstehender kaum nachzuvollziehen.

Der Ansatz Täterschaft und Neigung voneinander zu trennen, ist zwar durchaus modern, doch sollten Taten klar benannt und als solche bezeichnet werden.

Der Autor steht noch ganz am Anfang dieses Verarbeitungsprozesses. So viel ist nach der Lektüre klar, jedoch kann man aus der Lektüre selbst nichts ziehen. Josef Haslinger will sich nicht an staatliche Stellen wenden, da er sich nun einmal an die von der Kirche gehandhabten Organisation zur Bearbeitung seines Falls gewendet hat.

Als Leser bleibt man ratlos zurück. Vielleicht nur mit der Frage, warum rennt der Autor so offen gegen eine vor sich auftauchende Wand? Warum, um bei dieser fragwürdigen Organisation zu bleiben, in die Hand derer, die die Kindheit Haslingers einst verrieten?

Zumindest indirekt. Dabei wird nichts herauskommen. Dieser Bericht ist eher für die private Schublade gedacht oder für den Psychotherapeuten. Nicht jedoch für die Leser mit Gewinn zu lesen.

Andere, wie etwa Bodo Kirchhoff (“Dämmer und Aufruhr”), sind da weiter.

Autor:

Josef Haslinger wurde 1955 geboren und ist ein österreichischer Schriftsteller. Er lebt in Wien und Leipzig, lehrt seit 1996 als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.

Der Autor, der in seinen Werken u.a. die Tsunami-Katastrophe 2004 verarbeitete, die seine Familie und er erlebten, erhielt bereits zahlreiche Preise, zuletzt den Preis der Stadt Wien und den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels.

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Sophie von Maltzahn: Liebe in Lourdes

Liebe in Lourdes Book Cover
Liebe in Lourdes Rezensionsexemplar/Roman Kiepenheuer & Witsch Hardcover Seiten: 218 ISBN: 978-3-462-05205-3

Inhalt:

Jahr für Jahr pilgert der adel in Ordensformation nach Lourdes. Diese spirituelle Reise im Dienste der Bedürftigen ist ein wichtiger Teil der aristokratischen Erziehung – und gleichzeitig ein idealer Heiratsmarkt. Neu dabei ist Kassandra: Großstädterin, Ende dreißig und nur bedingt erlösungswillig. Doch die Tage im “Heiligen Bezirk” werden sie dennoch alles andere als unberührt lassen. (Klappentext)

Rezension:

Wie bewertet und rezensiert man einen Roman, zu den man bis zuletzt kaum Zugang gefunden hat? Zunächst, vielleicht bin ich auch nicht der richtige Leser. total wissenschaftsgläubig, habe ich überhaupt nichts mit Religion am Hut. Grotten interessieren mich höchstens aus naturwissenschaftlicher und Kirchen aus der geschichtlichen und architektonischen Perspektive.

Mit Marienerscheinungen oder religiösen Erfahrungen kann ich nur in sofern etwas anfangen, als dass ich mich frage, was man im Kaffee oder Tee am Morgen gehabt haben muss, um diverse “Wunder” zu erleben. Den Stoff will ich auch. Zwar soll jeder glauben, was er oder sie will, aber mich damit bitte dann auch in Frieden lassen. Und vielleicht war das dann genau die falsche Perspektive, mit der ich an diesen Roman herangegangen bin.

Worum geht es? Jahr für Jahr organisieren kirchliche und Bihinterenverbände Zugfahrten nach Lourdes, einer christlichen Pilgerstätte, deren Grotte, Kirche und Quelle ganz besondere Kräfte zugeschrieben werden. Marienerscheinungen soll es dort gegeben haben, um die siebzig Wunderheilungen hat die katholische Kirche anerkannt und auf diese Begegnungsstätte zurückgeführt. Der Leser dieses Romans begleitet solch einen Pilgerzug und eine Protagonistin, die ähnlich gestrickt ist wie der Rezensent, jedoch ihr ganz eigenes Wunder sucht.

Kritisch beobachtet Kassandra die menschlichen Verwerfungen, die es auch auf einer solch organisierten Fahrt gibt. Konkurrierende Pflegekräfte, Gläubige auf Sinnsuche und behinderte Kinder, denen man etwas gutes tun möchte, es aber eher für das eigene Seelenheil auf sich nimmt, Teil der Gruppe zu sein. Schon hier fragt man sich, was diese Erzählung eigentlich sein soll. Religiöser Erweckungsroman, eher nicht.

Liebeserklärung an Lourdes, bestimmt. Die Autorin Sophie von Maltzahn war bereits mehrmals dort. Erfahrungsroman, auch. Liebesroman, na ja. Fassbarer als auf den ersten Seiten wird’s jedoch nicht.

Tatsächlich ist hier zwar eine Art Handlungsrahmen vorhanden, der Spannungsbogen fehlt jedoch, so dass die gesamte Erzählung erstaunlich farblos bleibt. Die Protagonisten haben alle Ecken und Kanten und sicherlich viel zu erzählen. Mehr Sinnsuche hätte dem Roman gut getan. Der Autorin ist es jedoch nicht gelungen, das auch umzusetzen. An der sprachlichen Ausarbeitung liegt es nicht. Die ist sehr schön gestaltet.

Ein Leser kann sich durchaus in einzelne Szenen verlieben und in Sätzen verlieren, wenn die Sprache und die Figuren jedoch die einzigen Pluspunkte sind, die DDraufsicht nicht funktioniert und die Handlung an jedem Ort der Welt spielen könnte, fehlt das Besondere und macht alle Bemühungen zu nichte, dem Leser einen Zugang zu schaffen.

Nein, die Autorin hat es nicht geschafft, mich zu erreichen. Eine gute Idee und eine schöne Sprache machen noch lange keine gute Erzählung. Vielleicht findet die jedoch jemand von euch? Gebt mir dann Bescheid.

Autorin:

Sophie von Maltzahn wurde 1984 geboren und studierte Betriebswirtschaft, Kunsgeschichte, sowie Ägyptologie. Danach arbeitete sie als freie Mitarbeiterin für verscgiedene Zeitungen und als Redakteurin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie schrieb an ihren eigenen Blog “Ding und Dinglichkeit”, fuhr mit 24 Jahren zum ersten Mal nach Lourdes. Die Autorin lebt in Berlin.

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Antonio Scurati: Das Kind, das vom Ende der Welt träumte

Das Kind, das vom Ende der Welt träumte Book Cover
Das Kind, das vom Ende der Welt träumte Antonio Scurati Rowohlt Taschenbuch Erschienen am: 16.07.2010 Seiten: 352 ISBN: 978-3-644-00731-4 Suse Vetterlein

Inhalt:

Ein Kind träumt vom Ende der Welt. Es wandelt im Schlaf, spielt mit Feuer – und niemand hat eine Erklärung dafür. Dreißig Jahre später ist das Kind zum Mann geworden und erlebt einen neuen Albtraum: In seiner Heimatstadt bricht Panik aus, als mehrere Erzieher, Lehrer und Priester des Kindesmissbrauchs verdächtigt werden.

Die heile Welt vieler Familien zerbricht, denn immer mehr Eltern entdecken an ihren Kindern verstörende Symptome. Doch dann bringt die Aussage einer Mutter im Gerichtssaal die Wendung. (Klappentext)

Rezension:

Verstörend ist das Schlafwandeln des Sohnes für die Eltern, genau so wie Gerüchte, die Jahre später die Runde machen, eine ganze Stadt verschrecken.

Der Protagonist, wie der Autor selbst, inzwischen erfolgreicher Professor an einer angesehenen italienischen Universität, sieht wie Gerüchte und Unterstellungen plötzlich zu Aussagen werden und eine ganze Stadt überrollen.

Danach ist nichts mehr, wie es war. Jede Familie ist von Missbrauchsvorwürfen in irgendeiner art und Weise betroffen, jedes Kind zeigt die Symptome eines Opfers. Zumindest deuten Eltern, Medien und Medien dies so. Jeder Erwachsene ist gleichzeitig verdächtig genug, Täter zu sein.

Der Autor, anfangs nur als Journalist inbolviert, versinkt immer Tiefer im Strudel der Ereignisse, kommt auch immer näher dem Geheimnis seiner Kindheit. Und ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er selbst Opfer war und schon Täter ist.

Antonio Scurati zeigt in seinem Roman, wie erdrückend ein Gerücht oder Anfangsverdacht zum Selbstläufer werden kann und wie schnell die Klimaveränderung von Aussagen das Leben der Menschen beeinflussen kann.

Er stellt die Rolle der Medien ebenso eindrucksvoll dar, wie die Rolle von wahren und gefühlten Tätern, ebenso wie die der Opfer, die oft genug aus dem Blickfeld geraten, wenn sich alles auf die Suche und Identifikation der Täter konzentriert.

Dies gelingt dem Autor in einem Wechsel kurzer Kapitel. Einerseits aus der Perspektive des verstörten schlafwandelnden Kindes, andererseits eines Mannes, der die Ereignisse auf sich zukommen sieht, aber nicht verhindern kann, von ihnen verschluckt zu werden.

Der Leser selbst wird von Zeile zu Zeile hineingesogen, gleichsam im erwähnten Strudel und kann sich kaum mehr darauß befreien. Scurati ist ein beeindruckendes, unbedingt lesenswertes Werk gelungen, zumal in Zeiten, wo Missbrauchsskandäle in Kirche und Heimen die Runde machten.

Das Buch erschien erstmals 2010 in Deutschland, ein Jahr zuvor im Mutterland der katholischen Kirche. Eine besondere Form der Verarbeitung der Ereignisse, die nichts verschönt oder negiert, sondern zeigt, was eine Nachricht bei den Menschen hervorbringt.

Autor:

Antonio Scurati wurde 1969 in Neapel gebohren und lehrt an der IULM-Universität Mailand. Er koordiniert dort das Forschungszentrum für Kriegs- und Gewaltsprachen. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt und ausgezeichnet. Unter anderem bekam er den Premio Mondello und den Premio Campiello für seine Werke.

Antonio Scurati: Das Kind, das vom Ende der Welt träumte Read More »