Ewald Frie: Ein Hof und elf Geschwister

Inhalt:

Die stolze bäuerliche Landwirtschaft mit Viehmärkten, Selbstversorgung und harter Knochenarbeit ist im Laufe der Sechzigerjahre im rasanten Tempo und doch ganz leise verschwunden. Der Historiker Ewald Frie erzählt am Beispiel seiner Familie von diesem stillen Abschied. Sein glänzend geschriebenes Buch verwebt meisterhaft die eigenen Erfahrungen mit zeitgeschichtlichen Zusammenhängen und lässt so den großen Umbruch auf dem Land lebendig werden. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte der Bundesrepublik wird zumeist von den Städten heraus beschrieben mit dem allseits bekannten Zeitstrahl, anhand dessen man sich orientieren kann, wogegen die Erzählung vom Höfesterben ein Narrativ bedient, welches lohnt, auseinandergenommen und neu erzählt, damit neu eingeordnet zu werden.

Ewald Frie und seine Geschwister haben den stillen Wandel einer Gesellschaftsform, die zunächst noch prägend den ländlichen Raum gestaltet hat und schließlich mit all den traditionellen Elementen verschwand, erlebt, gelebt und mitgestaltet. Am Beispiel seiner Familie zeigt der Historiker mit seinem Sachbuch Umbrüche als nahtlose Übergänge, in dem Verschwinden auch das sich Eröffnen von Chancen bedeutet hat, vor allem für die jüngeren unter den Geschwistern.

In „Ein Hof mit elf Geschwistern“ verbindet er Archivarbeit mit Interviews, die er in seiner Familie geführt hat, oral history, und zeigt dabei die Verschiebung von Wahrnehmung innerhalb einer Generation. Am Anfang wurde da die traditionelle Landwirtschaft noch als wirkliche Zukunftsperspektive wahrgenommen, schon alleine aufgrund der großen Anzahl von Geschwistern wegen, nur wenige Jahre später strebten die Kinder von Bernhard Frie anderen Lebenszielen nach. Der Hof von mittlerer Größe konnte perspektivisch nicht mehr zum Lebensunterhalt aller beitragen.

Ungeschönt, ohne Nostalgie, doch voller Empathie ist innerhalb der gewählten Erzählform ein bemerkenswerter Text entstanden, der nicht nur Wolke II zu Ehren gereicht, sondern eine wichtige Ergänzung zu all den Geschichten der Bundesrepublik darstellt. Auch eben das ist passiert.

Der Historiker beschreibt die Veränderungen der Sichtweisen von außen, jedoch vor allem von innen und damit noch viel mehr, geht es auch um die Rolle des Katholizismus im ländlichen Raum, Bildungschancen und Eroberungen von Spielräumen für sich selbst, immer auch unterstützt von den eigenen Eltern, die zunehmend die neuen Welten nicht mehr zur Gänze verstehen konnten, aber so weit wie möglich ihre Kinder bestärkten den ihren eigenen Platz darin zu finden.

Zumindest für die Frie-Geschwister, so geht es aus der Lektüre hervor, die zunächst die Perspektive des Vaters, dann der Mutter, eingerahmt von der Vor- und Nachgeschichte, beschreibt, kann der Wandel nicht nur als Abgesang, sondern auch als durchaus Erfolgsgeschichte gelten. Wie einst die Kuh des Vaters, die eine DLG-Ausstellung gewann.

Zurecht mit dem deutschen Sachbuchpreis 2023 ausgezeichnet, hat da Ewald Frie, diese Perspektive eingenommen, ein Unentschieden für sich herausgeholt.#

Ewald Fries Dankesrede zur Verleihung des Deutschen Sachbuchpreises 2023:

(Quelle: Deutscher Sachbuchpreis)

Autor:

Ewald Frie wurde 1962 in Nottuln geboren und ist ein deutscher Historiker. Als Sohn einer katholischen Bauernfamilie im Münsterland aufgewachsen, studierte er zunächst Katholische Theologie und Geschichte an der Universität Münster, bevor er von 1985 bis 1987 als Museumsführer arbeitete. Danach legte er 1988 seinen Magister ab und war 1989 bis 1991 Volontär am Institut für westfälische Regionalgeschichte Münster.

Er promovierte 1992 und habilitierte schließlich nach verschiedenen Stationen im Jahr 2001. In Tübingen ist er Professor für Neuere Geschichte und ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Frie ist Verfasser und Herausgeber verschiedener Werke. 2023 gewann er den Deutschen Sachbuchpreis.

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