Sachbuch

Karsten Krogmann/Marco Seng: Der Todespfleger

Inhalt:

Klinikum Delmenhorst im Juni 2005: Während seiner Spätschicht auf der Intensivstation spritzt Krankenpfleger Niels Högel einem Patienten ein nicht verschriebenes Medikament. Kurz darauf ist der Mann tot. Nur langsam kommt heraus, dass Högel bereits Dutzende Menschen ermordet hat, vielleicht Hunderte. Für 91 Taten wurde er inzwischen verurteilt, doch bis heute ist der Fall nicht abgeschlossen.

Die preisgekrönten Journalisten Karsten Krogmann und Marco Seng waren hautnah an den Ermittlungen gegen den Todespfleger beteiligt und verdichten die verschiedenen Handlungsstränge dieses Falls zu einem fesselnden Krimi. Sie recherchieren, wie Högel so lange unbemerkt töten konnte, berichten von bisher unbekannten Fakten und lassen die Angehörigen der Opfer zu Wort kommen. Nicht zuletzt gehen sie darauf ein, wie ein ganz normaler junger Mann aus Norddeutschland zum skrupellosesten Serientäter der deutschen Nachkriegsgeschichte werden konnte. (Klappentext)

Rezension:

Wer in die Obhut medizinischen Personals gerät, in Kliniken oder Pflegeheim, möchte sich in kompetenten Händen, Verletzungen und Krankheiten fachgerecht behandelt wissen. Allen Problemen und Schwächen unseres Gesundheitssystems zum Trotz funktioniert dies meist sehr gut. Nicht wenige in der Medizin und Pflege kümmern sich aufopferungsvoll um ihre ihnen anvertrauten Patienten. Um so mehr erschütterte in den 2000er Jahren eine Mordserie in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst die Öffentlichkeit.

Ein Pfleger hatte mehreren Patienten, wie schon zuvor in seiner ersten Anstellung Medikamente verabreicht, die in falscher Dosierung zu Herzstillständen führen können und somit Reanimationen provoziert, die nicht notwendig gewesen wären, damit den Tod Unzähliger in Kauf genommen. Zuvor nur als auf Station umherlaufendes Gerücht kursierend, stand nun eine Gewissheit. Doch, wie viele Menschen hatte Niels Högel noch auf den Gewissen? Ermittlungen begannen, die sich über Jahre zogen.

Die Journalisten Karsten Krogmann und Marco Seng begleiteten als Gerichtsreporter die Prozesse von Beginn an und legten über Jahre hinweg Puzzleteile eines Falls frei, der ganz Deutschland erschütterte. Wie ein Krimi liest sich nun diese hier vorliegende Zusammenfassung ohne zu sehr auf den Täter fixiert zu sein. die stärke dieses Berichts ist hier der Fokus auf die Opfer, deren Geschichte anhand einiger Beispiele erzählt wird, aber auch die Sichtweise der ermittelnden Personen, der Justiz und auch der Angehörigen und Kollegen dargestellt wird. Mit den Täter indes haben die Autoren nicht gesprochen. Zu groß die Gefahr, sonst eine Plattform für narzisstische Selbstdarstellung zu bieten. Das Unfassbare bleibt auch so unbegreiflich genug.

Dabei gelingt den beiden ein Rundumblick, der einem die Haare zu Berge stehen lässt. Zunächst steht da natürlich die Frage im raum, warum jemand zum Serienmörder wird und wie dieser seine Taten jahrelang unbemerkt begehen konnte? Warum erstreckten sich die Ermittlungen über einem solch langen Zeitraum? Was vermag Justiz zu leisten, was nicht?

Krogmann und Seng gelingt ein Einblick in die kaltblütige Psyche des Täters, ohne die Opfer aus den Blick zu verlieren. Behutsam tasten sie sich chronologisch bvoran, von der ersten Tätigkeit Högels als Krankenpfleger, bis zu seiner Verurteilung, die zwanzigeinhalb Jahre nach dem ersten Mord stattfinden sollte und noch immer offene Fragen lässt.

Die Faszination für das unfassbar Böse wird hier bedient, ohne diesem den roten Teppich auszurollen. Sehr sachlich berichten die Journalisten vond en Geschehnissen, ohne Unwissen mit leeren Behauptungen zu füllen oder die eingenommene Perspektive aus den Blick zu verlieren. Eine jahrelange Rechercheleistung liegt hier gebündelt vor, welche ein Lehrstück deutscher Ermittlungs- und ja, auch Rechtsgeschichte zeigt, sowohl als auch dass Täter auch Jahrzehnte später noch zur Rechenschaft gezogen werden können.

Eingerahmt wird die Darstellung durch einen einordnenden Prolog, sowie einer übersichtlichen Chronologie der Ereignisse, sowie der Konsequenzen von Politik und Medizin, aber auch eines Kurzumrisses von ähnlich gelagerten Fällen. Eher nüchtern, nicht wirklich reißerisch berichten Krogmann und Seng und geben Opfern und ihren Angehörigen eine Stimme.

Autoren:

Karsten Krogmann wurde 1968 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Als Chefreporter arbeitete er für die Nordwest-Zeitung in Oldenburg. Seit 2020 ist er Pressechef des Weissen Rings in Mainz.

Marco Seng wurde 1968 geboren und arbeitete als Reporter in Berlin, Essen, Hannover und Oldenburg. Seit 2018 ist er Redakteur für Landespolitik bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

Für ihre Recherchen um den Fall Niels Högel wurden beide Journalisten ausgezeichnet, u. a. mit dem Theodor-Wolff-Preis und dem Nannen-Preis.

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Johann Hinrich Claussen/Ulrich Lilie: Für sich sein

Inhalt:

Jeder scheint die Einsamkeit zu kennen, und doch ist sie wie ein unerforschter Kontinent. Johann Hinrich Claussen und Ulrich Lilie vermessen in ihrem kurzweiligen Atlas Zufluchtsorte, an denen man endlich “für sich” ist, die Weiten der Loneliness, die man melancholisch durchwandert, das Reich der Solitude, in das sich Mönche, Wissenschaftler und Künstler zurückziehen, und die eisigen Regionen der Isolation, in denen man zu erfrieren droht. Sie erklären, was die Forschung über Einsamkeit sagt, und weisen Wege der Befreiung. Ein hilfreicher Führer für alle, die den Kontinent der Einsamkeit näher erkunden und sicher wieder verlassen wollen. (Klappentext)

Rezension:

Familien werden immer kleiner, die Anzahl alleinlebender Menschen steigt stetig. Bestattungen ohne Trauernde nehmen zu. Unter den Lebenden entführen Stress und Depressionen zuweilen in das Reich der Einsamkeit. Doch, was ist das überhaupt? Welche Zustände der Einsamkeit gibt es? Gibt es neben der ungewollten auch gewollte Einsamkeit? Wie kehrt man Einsamkeit um? Wann ist sie erwünscht, wann zu gefährlich, um sie zu ignorieren?

Die Autoren Johann Hinrich Claussen und Ulrich Lilie haben sich nicht nur zurückgezogen, um für uns Lesende das Reich der Einsamkeit zu erkunden.

Der Begriff der Einsamkeit ist zunächst und vor allem psychologisch interessant, doch kann dieser auf vielen weiteren Ebenen betrachtet werden. Folgerichtig erklären die Autoren anhand verschiedener Beispiele die Arten der Einsamkeit, die sie meinen, festgestellt zu haben. Ein spannender Ansatz ist das, der spannend erzählt, zum Nachdenken über sich und Andere führt, hier jedoch nicht funktioniert. Der Einstieg ist so anstrengend wie ermüdend zu lesen. Schon für die ersten Seiten muss man volle Konzentrationj und, am besten, drei Tassen Kaffee aufbieten. Wer da ein ganzes Buch durchhält, verdient Hochachtung.

Fachlich schwebt dieses Sachbuch irgendwo zwischen Populärwissenschaft und Ratgeber. Positiv ist zu erwähnen, dass Angebote wie Seelsorgetelefonnummern hinten an erwähnt werden, auch einige historische Referenzen lesen sich interessant, doch so umfassend das vorliegende Werk ist, es funktioniert nur bedingt. Zu oft schweifen beim Lesen die Gedanken ab, zu viele Stellen muss man immer und immer wieder nachlesen, um ja nicht den Faden zu verlieren.

Ein sehr trockener Schreibstil negiert die an sich kurzen Kapitel. zu viel wiederholt sich einfach. Im Gedächtnis bleibt dann kaum etwas haften. Grundsätzlich ist das für ein Sachbuch eher schlecht, für einen Ratgeber sowie so. Gut gemeint ist eben nicht immer wirklich gut. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Autoren:

Johann Hinrich Claussen wurde 1964 in Hamburg geboren und ist ein deutscher Theologe und Autor. Zunächst studierte er Theologie in Tübingen, Hamburg und London, bevor er promovierte. Im selben Jahr wurde zum Pastor der Nordelbischen Kirche ordiniert und tratt eine erste Pfarrstelle an. Er habilitierte 2005 an der Universität Hamburg und lehrte später als Privatdozent. Von 2007 bis 2016 war er Hauptpastor in St. Nikolai in Hamburg, 2016 schließlich im Rat der EKD Leiter des Kulturbüros in Berlin. Claussen schreibt regelmäßig für deutsche Zeitungen und Zeitschriften sowie für verschiedene Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er gehört zum Herausgeberkreis der Predigtstudien.

Ulrich Lilie wurde 1957 in Rhumspringe geboren und ist ein deutscher Theologe. Seit 2014 ist er Präsident der Diakonie in Deutschland und 2020 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung.

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Hans Peter Schütz: Wolfgang Schäuble – Zwei Leben

Inhalt:

Wolfgang Schäuble prägt seit einem halben Jahrhundert die deutsche Politik: Bundestagsabgeordneter der CDU, später Innenminister, Finanzminister und jetzt Bundestagspräsident. Sein Intellekt, seine Disziplin und Loyalität sind auch beim politischen Gegner anerkannt. Hans Peter Schütz hat für seine umfassend aktualisierte und erweiterte Biografie mit Schäuble und dessen Familie gesprochen, Weggefährten und politische Gegner befragt. So schildert er nicht nur den Weg eines Ausnahmepolitikers, sonder auch die weniger bekannte Seite des Menschen schäuble. (Klappentext)

Rezension:

Als die Schüsse fielen, veränderte sich sein Leben von einem Moment auf den anderen komplett. Seit dem 12. Oktober 1990 ist der heute dienstälteste Politiker des deutschen Bundestags gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Seit dem gibt es für Wolfgang Schäuble ein Leben vor dem Attentat und eines danach. Wer ist der Mann aus dem baden-württembergischen Offenburg, der hart gegen sich selbst, beinahe ohne Rücksicht auf seine Gesundheit, Politik gemacht und dessen Genauigkeit, Durchhaltevermögen und Detailversessenheit bei politischen Gegnern und Freunden berühmt, zu weilen auch berüchtigt ist?

Warum scheiterte Schäuble daran, Bundeskanzler oder -präsident zu werden, gleichwohl er für seine politische Arbeit geachtet und manchmal auch gefürchtet wurde. Der Journalist Hans Peter Schütz hat über Jahre den Politiker begleitet, Freunde, Weggefährten, Familie und Gegner gesprochen. Herausgekommen dabei ist 2012 ein vielschichtiges Porträt. Nun liegt seine Aktualisierung vor.

Politische Biografen begehen häufig einen kaum zu gelingenden Balanceakt. Bindet man die zu porträtierende Person sehr stark mit ein, besteht die Gefahr, den objektiven Blick zu verlieren und wenig Kritik zu zulassen. Hält man sich dagegen nur an externe Quellen entfernt man sich von dem Menschen, dessen Vielschichtigkeit dann gar nicht gut genug herausgearbeitet werden kann.

Der Versuch Hans Peter Schütz’ gelingt zu großen Teilen, dies einmal vorab, da beide Seiten des vor allem politischen Leben Wolfgang Schäubles herausgearbeitet werden. Der Blick des Journalisten richtet sich dennoch an die Wegmarken des Ausnahmetalents, dessen Loyalität häufig missbraucht wurde, dennoch dieser einstweilen wie Sisyphos immerzu neue Herausforderungen in der Politik suchte. Oft genug fanden sie ihn.

Der Autor und Journalist schildert, wie das Attentat das politische Leben und Arbeiten YSchäuble veränderten, welche Rolle dieser einnahm in der Neuregelung der Hauptstadtfrage und wie zu den Architekten der Einheit von bundesdeutscher Seite aus nicht nur Kohl oder Genscher, sondern auch Schäuble gezählt werden müssen und worin heute seine politischen Leitlinien bestehen.

Kritik wird da geäußert, wo der Politiker seinen selbstgestellten Anforderungen nicht gerecht wurde oder Schäubles Ungeduld und Härte in die falsche Richtung wirkte. Dabei spannt Schütz einen großen Bogen von den politischen Anfängen in den 1960er Jahren bis heute, erzählt detail- und kenntnisreich von den kleinen und großen Anekdoten Schäubles, ohne wichtiges aus den Augen zu verlieren. Unterstützt wird dies durch die zahlreichen Interviews und Befragungen von Wegbegleitern und politischen Gegnern.

Natürlich orientiert sich die Biografie kapitelmäßig an einer Art Zeitstrahl, dennoch hat man nicht unbedingt das Gefühl ein starres Konstrukt sich zu gemüte zu führen. So ist dieser Text, der weder Schmähschrift noch Huldigung ist, leicht zugänglich. Es stellt sich die Frage, wie die Politik aussehe, wenn es mehr Politiker vom Format Schäubles geben würde? Diese Frage muss man nach dem Leben sich selbst beantworten.

Autor:

Hans Peter Schütz wurde 1939 in Donaueschingen geboren und war ein deutscher Politikjournalist und Autor. Zunächst studierte er Soziologie an der Freien Universität Berlin und begann ein Volontariat beim Schwäbischen Tagblatt in Tübingen, bevor er als Politikredakteur der Ulmer Südwest Presse arbeitete.

Für diese und die Stuttgarter Nachrichten war er 1974 bis 1988 Korrespondent in Bonn. 1988 wurde er Leiter des Bonner Büros des Nachrichtenmagazins Stern, ab 1992 stellvertretender Chefredaktuer bei der Südwest presse. 1996 übernahm er die Ressortleitung Politik beim Stern. seit 2007 arbeitete er als freier Autor. 2012 veröffentlichte er eine Biografie zu Wolfgang Schäuble, die 2021 nochmals aktualisiert wurde. Schütz starb am 17. Mai 2021 bei Berlin.

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David Gutensohn: Pflege in der Krise – Applaus ist nicht genug

Inhalt:

Eines der größten Probleme der Gegenwart hat uns die Corona-Pandemie unerbittlich vor Augen geführt: Unser Gesundheits- und Pflegesystem ist in der Krise. David Gutensohn schreibt engagiert und fundiert über die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Mit konkreten Vorschlägen ruft er zum Wandel auf und zeichnet die Vision eines funktionierenden Gesundheitssektors. deutlich wird dabei: Der Pflegenotstand betrifft uns alle, und der Zeitpunkt zum Handeln ist jetzt! (Klappentext)

Rezension:

Wenn Ökosysteme sich nicht mehr aus eigener Kraft regenerieren, klimatische Veränderungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können, spricht die Wissenschaft von Kipppunkten. Das sind Momente, in denen unaufhaltsame Folgen in Gang gesetzt werden und nicht mehr umkehrbar gemacht werden können.

Auch unsere Sozialsysteme, unser Gesundheits- und Pflegesystem hat einen solchen, spätestens dann, wenn die geburtenstärksten Jahrgänge der Republik in den Ruhestand gehen und viele von ihnen im Alter gepflegt werden müssen. Schon heute jedoch, stößt die Versorgung Pflegebedürftiger an ihre Grenzen. Pflegekräfte haben weder Wertschätzung in unserer Gesellschaft, noch Zeit für die Patienten, die zu einem reinen Kostenfaktor für die Verwaltungen großer Krankenhauskonzerne geworden sind. Personalmangel, schlechte Bezahlung, wenig Aus- und Weiterbildungschancen tragen ihr übriges dazu bei.

Der Journalist David Gutensohn, der von klein auf mit Pflegenden und zu pflegenden in Kontakt gekommen ist, rechechiert seit längerem zu Thermen wie Gesundheits- und Pflegesystem und hat in der nun vorliegenden Denkschrift herausgearbeitet, wie einige der entscheidenden Mängel mit denen wir heute umgehen müssen, entstanden sind, und wie diese behoben werden können, auch und im Blick auf unsere Zukunft.

Sachlich stellt er zunächst dar, wie unser Gesundheitssystem kommerzialisiert wurde und was dies für die Arbeit in Krankenhäusern und in der Pflege bedeutet. Gutensohn erläutert am Beispiel der viel diskutierten Fallpauschale, wie diese funktioniert, was ursprünglich damit erreicht werden sollte und wie die negativen Auswirkungen sich heute auf medizinische Behandlungen auswirkt, wie sie die schere zwischen chronisch unterfinanzierten kommunalen Krankenhäusern und florierenden Krankenhauskonzernen weiter öffnet. Dem gegenüber stellt er zugleich Lösungsansätze, wie sie heute regional schon versucht werden und erläutert punktuell, was getan werden muss, um die kommunale medizinische Versorgung auch in Zukunft zu gewährleisten.

Diese Gliederung, zuerst die Entstehung eines Problems aufzuzeigen, deren Auswirkungen zu erläutern und dann anhand von Lösungswegen Strategien aufzuzeigen, wie man den Herausforderungen begegnen könnte, durchzieht die gesamte Denkschrift, die bewusst positiv gehalten ist. Zwar sieht der Autor die kritischen Punkte dieser Thematik und die Schwierigkeiten, die damit einher gehen, Gutensohn zeigt jedoch, wie es gelingen kann, dem zu begegnen. Zudem werden viele weitere Facetten erläutert, wie der gravierende Fachkräftemangel oder wie zukünftig unser Gesundheitssystem finanziert werden könnte.

Hier versucht jemand, der den Bereich Pflege und Gesundheit aus eigenem erleben, unzähligen Recherchen und Interviews mit Fachkräften kennt, aufzuzeigen, wie kritisch der momentane Ist-Zustand sich zeigt und wie dem begegnet werden kann. Für und Wider der angesprochenen Punkte werden dabei für Laien verständlich erläutert. Schwierigkeiten dem zu folgen, hat man hier beim Lesen nicht. Bewusst werden fachspezifische Begriffe vermieden. Die Denkschrift selbst entstand aus der Recherche von Gutensohn und anderen geschriebenen Artikeln, aus denen vor allem praktische Beispiele und Szenarien gezogen werden.

David Gutensohn gibt hier Denkanstöße, die sich die Parteien allesamt zu Eigen machen könnten, wenn sie den anstehenden Problemen wirklich begegnen wollten. Zeit dafür wäre jetzt noch, gerade so. er zeigt aber auch, wie sich das gesellschaftliche Klima gegenüber den Pflegenden, etwa in Krankenhäusern und Heimen, ändern müsste, sowie, um nicht ganz den positiven Blick zu verlieren, was sich bereits heute schon tut. Applaus ist nicht genug. War es nie.

Autor:

David Gutensohn hat in Berlin Sozailwissenschaft studiert und besuchte danach die Deutsche Journalistenschule in München. Für Zeit Online schreibt er seit 2019 als Redakteuer über Gesundheits- und Sozialpolitik und Arbeitsmärkte. Er wuchs als Sohn zweier Pflegekräfte in einem Seniorenheim auf und beschäftigt sich heute sehr intensiv mit unserem Pflegesystem.

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Timo Peters: Couchsailing

Inhalt:

Timo Peters hat kein Boot, so gut wie keine Segelerfahrung und kaum Geld – aber den Traum, auf einem Segelboot den Atlantik zu überqueren: Mit leichtem Gepäck macht er sich auf die Suche nach einem Kapitän, bei dem er anheuern kann. In mehreren Etappen und auf verschiedenen Schiffen geht es über den Ozean – unterwegs erwarten ihn überraschende Herausforderungen, Grenzerfahrungen und wunderliche Begegnungen. Eine unvergessliche Reise, ein unglaubliches Abenteuer! (Klappentext)

Rezension:

Spätestens seit Stephan Orth dürfte vielen der Begriff Couchsourfing geläufig sein, doch funktioniert diese Form des Reisens auch auf hoher See? Ein Platz in einer Koje gegen eine helfende Hand an Bord? Mit nur wenig Segelerfahrung, wenn man diese überhaupt so bezeichnen mag, macht sich Timo Peters auf die Suche, dies herauszufinden. Am Ende steht ein neues Leben, ein großes Abenteuer und ein Bericht über die eigentümliche Welt der Segler.

Kennzeichnend für Reiseberichte sind vor allem ausführliche Schilderungen von Begegnungen und die Beschreibung von Landschaften. Letztere beschränken sich hier zwangsläufig fast nur auf die Hafenanlagen für Segelschiffe und die Boote selbst, stellen diese doch für Wochen die ganze Welt dar. Ansonsten ist man der Natur ausgeliefert, der Willkür von Wind, Wasser und Wetter. Anfangs noch fasziniert davon, schenkt dem der Autor nach einer gewissen Zeit kaum mehr Aufmerksamkeit als er muss.

Gerade nur so viel wird zur Kenntnis genommen, wie es für den Trip über den Atlantik von Nöten ist, um so mehr fokussiert sich Peters auf die Schilderungen der Menschen um ihn herum. Schließlich stelklen diese für Wochen seine einzigen Kontakte dar. Im Notfall ist man aufeinander angewiesen. Aus dem Weg gehen kann man sich nach dem Ablegen ohnehin nicht.

Kurzweilig schreibt Timo Peters von seiner Reise, die ihm unbekannte Sichtweisen auf eine teilweise sehr eigentümliche Welt zeigt. Was macht das mit Einem, wenn man der Natur ausgeliefert ist und Menschen, denen man nie zu vor begegnet ist? Welche Schicksale kreuzen sich in den Anlagen der Marinas? Was treibt die Glücksritter, Abenteuerlustigen, Sportsegler und Sinnsuchende an, für Wochen den schwankenden Boden unter den Füßen zu suchen?

Der Autor erzählt von den kleinen Momenten des Glücks, mehr Augenblicken des Zweifels und auch jenen, in denen man nur noch funktionieren und in Bruchteilen von Sekunden die richtigen Entscheidungen treffen muss. Zu Beginn vielleicht noch etwas blauäugig, an manchen Stellen färbt zudem die rosarote Brille im Nachhinein, findet Peters dann doch immer wieder den Ausgleich, so dass auch Konflikte und Gefahren zur Sprache kommen, auf die er reagieren musste.

Für all jene, die jetzt überlegen, eine solche Reise anzutreten, es ist kein Ratgeber, aber der Autor zeigt, was ein solcher Trip mit einem macht. Wenn man daraus etwas für sich ziehen kann, ist es gut. Für alle anderen bleibt die Erkenntnis, das große Abenteuer auch heute noch möglich sind.

Autor:

Timo Peters lebt und arbeitet als freiberuflicher Journalist für diverse Zeitungen und Magazine in Norwegen. Nebenbei betreibt er den Abenteuerblog »bruderleichtfuss.com« und das Onlinemagazin “Fjordwelten“.

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Matthias Glaubrecht: Eskapaden der Evolution

Inhalt:

Rasant verändert der Mensch die Bedingungen der Evolution, und während viele Arten noch gar nicht entdeckt sind, nimmt das Artensterben immer dramatischere Ausmaße an. Dem drohenden “Ende der Evolution”, von dem der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht in seinem gleichnamigen Bestseller schreibt, stellt er in diesem Buch die Schönheit, Vielfalt und auch die Launen der Natur gegenüber.

In 36 kurzen Kapiteln präsentiert der Zoologe Tierisches, Allzutierisches aus dem Kuriositätenkabinett der Evolution, leicht verständlich und mit einer gehörigen Prise Humor – von Sauriern mit vier Flügeln über die jährlich neuen Minnelied-Schlager der Buckelwale bis hin zu Frauenkommunen bei den Bonobos, die mit Sex das soziale Miteinander fördern. (Klappentext)

Rezension:

Noch immer stellt unsere Welt Wissenschaft und Forschung vor diversen Rätseln. Ein Großteil der Tiefsee ist noch nicht erforscht, die Menschwerdung nicht restlos aufgeklärt und auch in der Entwicklungsgeschichte, bis hin zum Aussterben der Dinosaurier existieren noch zahlreiche Fragen. Auch sind Naturwissenschaftler sich heute sicher, ein Großteil der existierenden Arten auf unserem Planeten ist noch gar nicht entdeckt.

Das ist ein Problem. Ausgerechnet das erfolgreichste Lebewesen auf der Erde entzieht immer mehr von ihnen die Existenzgrundlagen und damit bald auch sich selbst. Welche Wunder gibt es also zu bewahren? Welche Fragen zu klären? Warum ist es notwendig, das Leben, die Flora und Fauna der Erde, zu schützen und welche Sonderbarkeiten gilt es zu entdecken? Der Wissenschaftler Matthias Glaubrecht nimmt uns mit auf eine wundersame Reise.

In übersichtlich, nur lose zusammenhängenden Kapiteln präsentiert der Autor uns Wunder und Kuriositäten der Evolutionsgeschichte, klärt, warum einige heute lebende Vögel den ehemals über den Planeten herrschenden “Schreckensechsen” ähnlich sind und das Klonen von Mammuts (vorerst) ein Wunschdenken bleiben wird, was dies für die bedrohten Tierarten von heute und damit auch für die Biodiversität der Erde bedeutet. Er zeigt auf, warum eine Mähne Löwenmännchen in eine Zwickmühle bringt, warum Frauen länger leben als sie Kinder bekommen können und was es mit dem Krieg der Schnecken auf sich hat.

Diese und viele andere Anekdoten lassen sich über das Leben auf der Erde erzählen. Matthias Glaubrecht tut dies zuweilen mit einer Prise Humor, jedoch immer mit dem Zeigefinger, dass ausgerechnet der Mensch dabei ist, dies zu beenden und dabei evolutionäre Prozesse in einer Geschwindigkeit zu überholen, die die Natur nicht vorgesehen hat. Angesichts der Wunder, die wir zerstören, geht man aus der Lektüre einigermaßen benommen heraus.

Der Autor indes konnte sich nicht entscheiden, in welchem Grundton dieses für das Laienpublikum gehaltene Werk gehalten werden sollte. So wirkt dies, wenn hochkomplex zu lesende Passagen sich mit humorvollen Kapiteln abwechseln, nur um dann wieder Kapitel mit erhobenen Zeigefinger zu lesen. Hier hätte eine gewisse Einheitlichkeit in der Vermittlung der Thematik eine bessere Wirkung erzielt, zumal bestimmte Inhalte ruhig etwas ausführlicher behandelt hätten werden können.

Vielleicht ergibt sich ein anderer Eindruck, legt man den zuvor erschienen Band “Das Ende der Evolution” daneben, so aber bleibt ein Gefühl der Unvollständigkeit. Daher, ohne dieses zu kennen, die Empfehlung, es zuerst zu lesen. Andernfalls fehlt ein Puzzleteil. Und dies ist ja in der Evolutionsforschung oft genug der Fall. Die Erkenntnis kommt jedoch rüber.

Autor:

Joachim Matthias Glaubrecht wurde 1962 geboren und ist ein deutscher Zoologe, Wissenschaftsjournalist und Autor. Zunächst studierte er in Hamburg Biologie, wo er 1990 sein Diplom erlangte und vier Jahre später promovierte. 1996 war er Gast am Australian Museum in Sidney, später dann Mitarbeiter und Kurator beim Naturkundemuseum Berlin.

2011 habilitierte er an der Humboldt-Universität Berlin. Im Jahr 2014 wurde er zum Direktor des Centrums für Naturkunde ernannt. Er forscht über evolutionäre Systematik, historische Biogeografie und Morphologie, sowie Wissenschaftsgeschichte der Biologie. Zudem ist er für Zeitungen und Zeitschriften als Wissenschaftsjournalist tätig und Autor mehrerer populärwissenschaftlicher Werke.

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Natasha A. Kelly: Rassismus – Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!

Inhalt:

Es ist an der Zeit, die Antirassismusdebatte endlich voranzubringen! Rassismus ist eine Ideologie, die seit Langem unsere gesamte Gesellschaft durchzieht und ihre Strukturen prägt – in der öffentlichen Debatte wird jedoch meist allein auf der individuellen Ebene nach Lösungen gesucht. Wir müssen aber die strukturelle Dimension des Rassismus verstehen, um erfolgsversprechende Maßnahmen dagegen entwickeln zu können. Natasha A. Kelly setzt mit ihrem grundlegenden Buch nun elementare Impulse für eine längst überfällige Diskussion. (Klappentext)

Rezension:

Nur die spektakulärsten und grausamsten Fälle rassistisch motivierter Gewalttaten schaffen es in unserer Nachrichtenlage. Von allem anderen bleiben nur mehr Zahlen für die Statistiken. Doch, Rassismus ist in unserer Gesellschaft seit Jahrhunderten fest verankert und beginnt im Kleinen, oft unterbewusst, im Alltag.

Erst dann, wenn wir also verstanden haben, dass Rassismus strukturell ist, das Rassedenken ungebrochen fortwirkt, Kolonialismus noch andauert […], können wir diese Debatten zusammenführen und nicht nur soziale Gerechtigkeit, sondern intersektionale Gerichtigkeit einfordern. Wenn wir aber die politischen Themen und gesellschaftlichen Teilbereiche voeneinander isolieren, kommen wir nicht an die verwobenen Strukturen des Rassismus heran und können auch keine nachhaltigen Lösungen finden.

Natasha A. Kelly: Rassismus – Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!

Zu oft konzentrieren wir uns auf die einzelnen Geschehnisse, die Behörden sowie so, zu wenig werden die Strukturen betrachtet, die in unserem Denken, unseren Institutionen fest verankert sind und Grundlage der Problematik sind. Die Kommunikationssoziologin Natasha A. Kelly stellt dies zur Diskussion.

In ihrem Essay definiert die Autorin zunächst, was genau Rassismus bedeutet, wie sich dieser äußert und wie sich dieses Denken in unserer Gesellschaft verankern konnte. Ausführlich wird dabei auf die Geschichte eingegangen, den Beitrag etwa, den das Streben nach Kolonien geleistet haben oder auch ansonsten gefragte Philosophen, darauf aufbauend der Bogen vom biologischen zum soziologischen Rassebegriff.

Natasha A. Kelly verdeutlicht schon hier komplexe Zusammenhänge, immer wieder mit Beispielen aus ihrer Forschung und Arbeit, die das Grundproblem verdeutlichen, um dann die Rolle von Wissenschaft und Bildung hervorzuheben, die bei der Bekämpfung von Rassismus eine wesentliche Rolle spielen müssen.

Das kommt alles unaufgeregt daher, dennoch eindrücklich, wobei sich die Autorin natürlich nicht scheut, auch unsere Sprache zu beleuchten, nicht zuletzt die unsere Gesellschaft tragenden und sichernden Institutionen. Das kann man alles sehr hochtrabend und ausführlich gestalten, oder kompakt und klar, wie es Kelly tut, die mit ihrem Essay einen wertvollen Debattenbeitrag liefert.

Ihre Argumentation ist in sich geschlossen, baut logisch aufeinander auf und ist nachvollziehbar, zeigt die Schwächen in der aktuell laufenden Diskussion, aber auch, zu wenige, gut funktionierende Ansätze, die von den staatlichen Institutionen zu wenig mitgetragen werden oder in die falsche Richtung zeigen, was z. B. Die Debatte um die Streichung des Begriffs „Rasse“ im Grundgesetz verdeutlicht.

Zu diesem Zeitpunkt muss es darum gehen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die tradierten rassistischen Vorstellungen, die mit “Rasse” einhergehen, aufzulösen. Dazu muss der begonnene Protzess gesamtgesellschaftlich sichtbar gemacht und weitergetragen werden, was meines Erachtens nur durch Wissenschaft, Forschung und Bildung erzielt werden kann. Eine “rassistische Wende” kann nur dann gelingen, wenn Black Studies institutionalisiert werden.

Natasha A. Kelly: Rassismus – Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!

Es ist ein wichtiger Text, der hier vorgelegt wird und spätestens jetzt Anstoß für ein größeres Umdenken und Aufbrechen der Strukturen sein sollte, die Rassismus in unserer Gesellschaft befördern. Der darauf basierende Prozess wird schwieriger sein und länger dauern.

Weiterführende Links:

“Andere Hautfarbe, anderer Name – Sind in Deutschland alle gleich?” – phoenix runde vom 09.06.20

Natasha A. Kelly über Kolonialismus, Rassismus & Afrodeutsche – Jung & Naiv: Folge 494

Natasha A. Kelly Twitter / Instagram / Homepage

Autorin:

Natasha A. Kelly wurde 1973 in London geboren und ist eine promovierte Kommunikations-soziologin mit den Forschungsschwerpunkten Kolonialismus und Feminismus, zudem wirkt sie auch als Kuratorin und Dozentin. Von 2010 an arbeitete sie mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin.

2018 feierte sie ihr Filmdebüt mit der Dokumentation “Millis Erwachen”. Kelly ist u. a. Gründungsmitglied des Black European Academic Network (BEAN), einer Plattform zur Förderung der Vernetzung und Verbreitung Schwarzer Europäischer Geschichte für Wissenschaftler. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin.

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Till Hein: Crazy Horse

Inhalt:

Anmutige Tänzer, Meister der Tarnung und romantische Liebende, doch auch schwerhörige Vielfraße, launische Griesgrame und langsame Faulpelze: All das und noch viel mehr sind Seepferdchen. Man findet die kleinen Fische nicht nur in Seegraswiesen und Mangrovenwäldern, sondern ebenso im Schachspiel und in griechischen Sagen – und wie gelangen sie eigentlich auf Kinderbadeanzüge, Geldmünzen und Toilettenschüsseln aus dem alten Rom? Was macht sie trotz ihrer Trägheit zu erstklassigen Jägern, warum ist ein Hirnareal nach ihnen benannt, wie können sie und helfen, besser zu schlafen, und sogar die Robotik inspirieren?

Crazy Horse beleuchtet die schillernde Welt der Seepferdchen auf ebenso sachkundige wie unterhaltsame Weise, berichtet von kuriosen Erkenntnissen der aktuellen Forschung, geht zahlreichen Mythen auf den Grund und erklärt, was die Tiere zu liebenswerten Antihelden macht. (Inhaltsangabe lt. Verlag)

Rezension:

Unter der Oberfläche der Ozeane offenbart sich den Beobachtenden eine faszinierende Welt voller Kuriositäten. Faszinierende und bizarre Lebewesen finden sich dort, ein Großteil davon noch kaum erforscht und doch bereits stark vom Aussterben bedroht. Eine Sonderstellung nehmen dabei die Rosse der Meere ein, die eigentlich Fische sind und abgesehen von ihrer Form auch sonst zahlreiche Besonderheiten des Tierreiches in sich versammeln, nicht nur dass hier die Männchen schwanger werden.

Diese und andere kuriose Fakten vermittelt der Wissenschaftsjournalist Till Hein in seinem Buch und nimmt uns mit auf eine faszinierende Reise in die Welt der Seepferdchen.

Der Hochzeitstanz der Seepferdchen dauert bis zu neun Stunden.

Till Hein: Crazy Horse

Wer schon einmal diese wundersamen Gerschöpfe, etwa im Zoo beobachten konnte oder gar das Glück hatte, sie in der freien Wildbahn beobachten zu können, ist sofort von ihnen eingenommen. Schon seit der Antike wissen wir von ihrer Existenz und doch über sie selbst nur sehr wenig. Auch heute noch stellen Seepferdchen uns vor unzähligen Rätseln.

Till Hein versammelt den aktuellen Wissenstand rund um diese Fische, die nur auf den ersten Blick eine Fehlkonstruktion der Natur sind. Er beschreibt in kurzweiligen und kompakten Kapiteln die Besonderheiten ihrer Biologie und warum uns Seepferdchen in mancher Hinsicht gar ähnlich sind, was Ringelnatz mit den Rossen der Meere zu tun hatte und wie wir unsere Kenntnisse über diese Tierart etwa in Technik und Industrie einsetzen können.

Doch, der Autor sieht nicht nur das Schöne, auch die bedrohliche Lage wird beschrieben, derer die Tiere heute ausgesetzt sind und wie diverse Schutzprojekte versuchen, die Seepferdchen rund um den Globus zu schützen. Ein ungeschönter Bericht ist das, der zeigt, was wir verlieren, wenn wir diese faszinierenden Geschöpfe ausrotten, welche vielseitige Welt wir für immer verlieren würden.

Wie ein Kleinkind am Kuscheltier kann auch ein Seepferdchen emotional an einem Gegenstand hängen.

Till Hein: Crazy Horse

Forschende und Experten rund um den Globus hat Till Hein besucht und fragen können, Berichte gewälzt und eine Informationssammlung verfasst, nicht ganz so rührseelig, wie dies etwa Sy Montgomery mit ihrer Passion, den Oktopussen gemacht hat, aber mit der gleichen Liebe für das Besondere. Viel Wissenswertes erfährt man hier und bekommt zugleich eine Ahnung von der Komplexität der Fragen, die sich in Bezug auf die Tierart noch stellen, ohne hier in allzu trockene Ausführungen zu geraten.

Der Autor verliert sich nicht, vermittelt echtes Interesse und hat es dennoch geschafft, auf so wenigen Seiten von Biologie, über Evolutionsgeschichte, Leben und Erforschung der Welt der Seepferdchen die Faszination beim Lesenden zu wecken. Der nächste Blick unter Wasser oder durch die Scheiben eines Meerwasseraquariums mit den Rossen der Meere wird ein anderer sein.

Autor:

Till Hein wurde 1969 in Salzburg geboren und studierte zunächst Geschichte, Germanistik und Russistik in Basel und Wien, bevor er 1996 einen Redaktionslehrgang beim Österreichischen Nachrichtenmagazin “Profil” in Wien besuchte. Bis 2001 war er redaktioneller Mitarbeiter beim Magazin der Süddeutschen Zeitung in München. Seit dem arbeitet er für das Journalistenbüro textetage in Berlin. Für Magazine, Zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Reportagen, u. a. für Geo, Spiegel Wissen oder mare.

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Barbara Demick: Buddhas vergessene Kinder

Inhalt:

Ngaba, Osttibet: Als sich ein junger Mönch mitten auf der Hauptstraße mit Kerosin übergießt und anzündet, deutet noch nichts darauf hin, dass dies eine ganze Bewegung auslösen wird. Bald darauf wird die kleine tibetische Stadt in der chinesischen Provinz Sichuan zur Welthauptstadt der Selbstverbrennungen – aus Protest gegen die Unterdrückung durch die chinesische Regierung. (Klappentext)

Rezension:

In der westlichen Welt beinahe unbeobachtet, wird dieser Konflikt an die Oberfläche gespült, wenn das geistliche Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, zu sehen ist, zumal, wenn dieser von Staatsoberhäuptern hofiert und bei hoch offiziellen Anlässen gezeigt wird. Dann bleiben sich empörende, protestierende Kommentare der chinesischen Staatsführung nicht aus und der Staatengemeinschaft wird eine Auseinandersetzung in Erinnerung gerufen, die Ende der 1950er Jahre ihren Anfang nahm.

Die renommierte amerikanische Journalistin Barbara Demick und ehemalige Asienkorrespondentin der Los Angeles Times seziert dieses tragische Stück Geschichte eines Volkes, welche zuletzt eine erschreckende Form des Protests annahm und legt nach intensiver und nicht ganz ungefährlicher Recherche, dieses Portrait der jüngeren Geschichte Tibets vor.

Im Zentrum steht die Geschichte verschiedener Personen, die die Autorin anhand von Archivmaterial und Interviews, ob heimlich in Tibet selbst, bishin nach Indien oder Amerika, über Jahrzehnte verfolgt. Überschneidungen inklusive. Der Fokus wird dabei auf bestimmte Schlüsselmomente gelegt, Auslöser für Handlungen der Menschen dieses Ortes, der zum Dreh- und Angelpunkt eines leidvollen Protests wurde.

Nach allem, was Tapey geschehen war – der Mönch, der seine Selbstverbrennung zwei Jahre zuvor überlebt hatte und nun als verstümmelter Invalide in einem chinesischen Gefängniskrankenhaus dahinvegitierte und gelegentlich zu Propagandazwecken im chinesischen Staatsfernsehen vorgezeigt wurde -, hatte er eine solche Tat nicht mehr erwartet. Wer war so dumm, es noch einmal zu versuchen? Oder – wer hatte solchen Mut?

Barbara Demick “Buddhas vergessene Kinder”, 383 Seiten, ISBN: 978-3-426-28186-4, erschienen bei Droemer.

Mit Sympathie erzählt sie vom Leben der Menschen, ihren Beweggründen, Träumen und Zielen, kleinen Siegen, größeren Niederlagen, ihren Hoffnungen, aber auch von der Macht des chinesischen Staates, politischer Diskriminierung und Unterdrückung, füllt Lücken mit intensiver Eigenrecherche und zeigt anhand eines reichen Quellenverzeichnisses, wie Journalismus zu dieser Thematik auch in China selbst funktioniert, ohne zu einseitig zu berichten.

Die wechselnde Perspektive von Menschen unterschiedlicher Schichten vervollständigt dieses Werk, wobei rote Fäden immer wieder aufgegriffen werden. Das kann verwirrend sein, doch hilft es, eine klare Sicht der Ereignisse zu bewaren und Beweggründe der Menschen, sowohl der Tibeter als auch die politischen Zusammenhänge zu verstehen, die sich teilweise sehr gut von der chinesischen Staatsführung, vor der Weltöffentlichkeit, verstecken lassen.

Barabara Demick wertet nicht selbst, lässt die Personen sprechen, deren Geschichte sie erzählt und hält sich damit wohltuend zurück. Einmal etwas anderes, als man es sonst von jenseits des großen Teiches gewohnt ist und eine gute Ergänzung für all jene, die sich mit der jüngeren Geschichte Tibets beschäftigen möchte.

Dabei sollte man sich jedoch voll und ganz auf die Lektüre konzentrieren und auch kleinere Längen verschmerzen. Die Vielzahl der Lebenswege, denen die Autorin nachspürt, und nicht zuletzt die für westliche Ohren ungewohnt klingenden Namen, erfordern die gesamte Aufmerksamkeit der Leserschaft.

Autorin:

Barbara Demick ist eine amerikanische Journalistin, die zunächst 1993-1997 für den Philadelphia Inquirer arbeitete. Für ihre Reportage über einen Straßenzug in Sarajevo gewann sie mehrere Preise und war im Finale für den Pulitzer. 1996 erschien ihr erstes Buch “Die Rosen von Sarajevo. 2001 wechselte sie zur Los Angeles Times, war dort 2007-2016 Leiterin des pekinger Büros und veröffentlichte 2010 ein Werk über Nordkorea. Mit dem Human Rights Book Award wurde sie für ihre engagierten Bücher ausgezeichnet.

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Volker Reinhardt: Die Macht der Seuche

Inhalt:

Die Große Pest der Jahre um 1348 war eines der einschneidendsten Ereignisse der europäischen Geschichte. Der Historiker Volker Reinhardt rekonstruiert den Verlauf der Epidemie von den Anfängen in Asien bis zu ihrem vorläufigen Erlöschen in Europa, beleuchtet die unterschiedlichen Verhältnisse in ausgewählten Städten und fragt, wie die Überlebenden politisch und wirtschaftlich, religiös und künstlerisch das große Sterben bewältigten.

Sein spannend geschriebenes Panorama führt eindringlich vor Augen, was wir dem medizinischen Fortschriftt verdanken – und wie verblüffend ähnlich wir heute trotzdem auf eine Pandemie reagieren. (Klappentext)

Rezension:

Den Umgang mit heute verlaufenden Pandemien betrachtend, lohnt sich mitunter ein Blick zurück in die Geschichte und eine vergleichende Betrachtung von Ereignissen mit ähnlich einschneidender Bedeutung. Für eine Fokussierung etwa, nur auf Corona ist es noch zu früh.

Allenfalls in den nächsten Jahren wird man das gesamte Ausmaß überblicken können, doch wie gingen unsere Vorfahren mit global sich verbreitenden Viren und ihren Folgen um, welche Schlüsse und Maßnahmen zogen sie, den damaligen Wissestand und medizinischen Kenntnisse natürlich berücksichtigt, daraus?

Welche Auswirkungen hatte etwa die um sich greifende Pest im sozialen und gesellschaftlichen, poltischen Gefüge, während diese um sich griff und vor allem, welche Nachwirkungen waren zu verzeichnen. Der Historiker Volker Reinhardt begab sich auf Spurensuche.

Anhand zahlreichen Kartenmaterials, welches der historischen Betrachtung voransteht, erläutert er die einzelnen Phasen der Pest, ihre Verbreitung im damaligen Europa und ihre Auswirkungen auf die einzelnen Regionen. bemüht, um vergleichende und vielschichtige Betrachtung, fokussiert der Autor sich dabei nicht auf einzelne Regionen, wenngleich etwa Italien und Frankreich einen großflächigen Anteil an seiner Betrachtung ausmachen.

Warum dies so ist, erläutert Reinhardt ebenso, wie er auch immer wieder anhand der Quellenlage verdeutlicht, wo beträchtliche Lücken eine ausführliche Auswertung beinahe unmöglich bzw. schwierig machen.

Detailliert geht er zunächst auf die Seuche als solches ein, und erläutert dann, was diese mit den damaligen Menschen machte und welche Auswirkungen in den Jahren danach Folge waren. Einzelne Abschnitte der Betrachtung lohnen einem Vergleich zur heutigen Situation. Schon damals erkannte etwa die obere Führung von Mailand die Bedeutung der Isolation. Auch die Quarantäne, wie wir sie heute kennen, nahm in der damaligen Zeit ihren Anfang. Reinhardt geht jedoch auch auf die Unterschiede ein, erläutert, weshalb die Pest wo welche Auswirkungen hatte, wie viele Menschen nach Quellenlage tatsächlich betroffen waren und dass sich auch damals schon die Hoffnungen nach einer besseren, anderen Gesellschaft nach der Seuche schnell zerschlugen.

Das alles ist in kompakter Form keine ausschweifende, jedoch leider um so mehr trockene Literatur, die zwar versucht anhand von Personengeschichte Interesse zu wecken, dies jedoch nicht vermag. Tatsächlich ist diese Sammlung an Wissen eine schnöde Aneinanderreihung von Fakten, die trocken daherkommt. Es wirkt in etwa so, als würde man heutige Nachrichten mit einem tiefen Seufzer kommentieren. mit zunehmender Seitenzahl muss man sich förmlich zwingen, die Fakten aufzunehmen und zu behalten. Da nützt dann auch eine sehr intensiv bewältigte Quellenlage und gute Recherchearbeit wenig.

Schade, aus diesem Stoff Geschichte hätte man viel mehr herausholen können. Genug Interessenten gäbe es bestimmt.

Autor:

Volker Reinhardt wurde 1954 in Rendsburg geboren und ist ein deutscher Historiker. Seit 1992 lehrt er als Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg. Zunächst jedoch studierte er Geschichte und Romanische Philologie in Kiel, Freiburg im Breisgau und in Roman, danach absolvierte er seine Staatsexamen in Geschichte 1975, und Romanistik 1976.

Nach einem Forschungsaufenthalt in Rom promovierte er über die Finanzen des Kardinals Borghese, war 1985-1991 Hochschulassistent in Freiburg im Breisgau, habilitierte dort 1989.

Als Hochschuldozent lehrt er an der Universität Freiburg in der Schweiz, ist zudem Vertrauensdozent der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er beschäftigte sich mehrfach mit der Geschichte der italienischen Renaissance, u.a. mit der Familie Medici, Borgia und verfasste eine Biografie Leonardo da Vincis. Reinhardt ist Mitherausgeber der WBG-Reihe “Geschichte kompakt”.

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