Rezension

Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben

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Ein wenig Leben Hanya Yanagihara Roman Hanser Verlag Hardcover Seiten: 960 ISBN: 978-3-446-25471-8

Inhalt:
“Ein wenig Leben” handelt von der lebenslangen Freundschaft zwischen vier Männern in New York, die sich am College kennengelernt haben. Jude St. Francis, brillant und enigmatisch, ist die charismatische Figur im Zentrum der Gruppe – ein aufopfernd liebender und zugleich innerlich zerbrochener Mensch.

Immer tiefer werden die Freunde in Judes dunkle, schmerzhafte Welt hineingesogen, deren Ungeheuer nach und nach hervortreten. “Ein wenig Leben” ist ein rauschhaftes, mit kaum fasslicher Dringlichkeit erzähltes Epos über Trauma, menschliche Güte und Freundschaft als wahre Liebe. Es begibt sich an die dunkelsten Orte, an die Literatur sich wagen kann, und bricht dabei immer wieder zum hellen Licht durch. (Verlagstext)

Rezension:
Kein anderer Roman schafft es, das Leben seiner Leser so durcheinander zu wirbeln, so in Frage zu stellen, wie “Ein wenig Leben” von Hanya Yanagihara. Der Werbesatz des Hanser-Verlages: “Sie werden darüber reden wollen.”, ist kein Gerede, sondern Programm.

Nach Beenden der Lektüre wird man sein Leben, seine Freundschaften, seine Beziehungen hinterfragen wollen und nicht nur die der Protagonisten. Dabei beginnt alles recht harmlos.

Wir begleiten vier Freunde, die sich auf den College kennengelernt haben über Jahrzehnte durch ihren Alltag. Erleben ihr privates Glück und ihre Fehlschläge, ihren beruflichen Werdegang und die kleinen Gemeinheiten des Alltags. so weit, so normal. Der Knall natürlich, erfolgt schnell und erwischt den Leser kalt.
Jude, ein charismatischer junger Anwalt, ist die Hauptfigur des Romans, Fixpunkt des Vierergespanns. Alle anderen umkreisen ihn. Niemand kommt nah an ihn heran. Denn, Jude ist es auch, der eine tragische Vergangenheit vor seinen Mitmenschen verbirgt.

Seite für Seite erfährt der Leser darüber mehr, viel mehr als er wissen möchte, und sieht sich einer Abwärtsspirale ausgesetzt aus der es kein Entkommen gibt.
Dicht ist die Abfolge der beschriebenen Ereignisse, erzählt aus den wechselnden Perspektiven der einzelnen Protagonisten. Feinfühlig geht Yanagihara mit ihren Figuren um, allesamt mit Ecken udn Kanten und einer tiefe, die man so manch anderen Roman wünschen würde.

Doch, es ist schwere Kost, welche die Autorin hier vorsetzt. Sensible Gemüter, die keine psychologischen Querelen aushalten können, sei die Geschichte nicht empfohlen. Wer sich aber auf sie einlässt, erlebt vielleicht mit eines der besten Werke der vergangenen Jahre.
“Ein wenig Leben” erzählt so viel, dass man alles das bekommt, was man erwartet und noch eine ganze Portion mehr. Natürlich ist man ab und an genervt von den Protagonisten.

Natürlich ist es unmöglich, dieses Buch in einem Rutsch zu lesen, ist man nicht gerade so gefühllos wie ein Teelöffel und natürlich wird dieser Roman nicht so schnell verdrängt werden können, zumal die erzählten fiktiven Ereignisse zu nahe gehen dürften aber diese Erfahrungen sind es schon wert, sich darauf einzulassen.
Das gesammelte Elend trifft hier einen einzigen Menschen, der sich sein Leben lang nicht freimachen kann und doch ist es ein Text für eben dieses. Alleine, wer lebt wird triumphieren. Manchmal aber, will man diesen Sieg nicht haben. Aus guten Gründen.

Hanya Yanagiharas Roman lässt uns unser Leben hinterfragen und sollte daher nur mit Beipackzettel verkauft werden. Entweder die Nebenwirkungen sind positiv und negativ. Persönlich gesehen finde ich, abgesehen von einigen Längen in den Kapiteln, ist der Autorin ein großartiges Meisterwerk gelungen.

Wieder andere werden den Roman aufgrund seiner Dichte, Abfolge der Ereignisse, geschilderten Grausamkeiten womöglich hassen. Eben wie in unser aller wenig Leben.

Autorin:
Hanya Yanagihara wurde 1974 in Los Angeles/Kalifornien geboren und ist eine US-amerikanische Journalistin und Autorin. Sie arbeitete als Redakteurin eines amerikanischen Reisemagazins, bevor sie stellvertretende Herausgeberin der Wochenbeilage T: The New York Times Stile Magazine wurde.

Davor lebte sie in Maryland und Texas. Yanigaharas erster Roman erschien 2013. Ihr Roman “A little life” erschien 2015. Das 2017 im Deutschen erschienene Werk stand auf der Shortlist verschiedener Literaturpreise und wochenlang auf den Bestsellerlisten.

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Michael Schulte-Markwort: Super-Kids

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Super-Kids Michael Schulte-Markwort Knaur Erschienen am: 01.03.2017 Seiten: 269 ISBN: 978-3-42678826-4

Inhalt:

Der Wunsch nach optimaler Erziehung belastet alle. Die Heranwachsenden sollen nach Zeitplan funktionieren. Und ihre Eltern vergessen vor lauter Sorge um die Zukunft, dass die Kids den Wirbel aushalten müssen, der um sie gemacht wird.

Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt der renommierte Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort anhand zahlreicher Beispiele. Und er lehrt uns, die Kids wieder mit offenen Augen zu sehen. (Klappentext)

Rezension:

Schon wieder ein Buch, welches uns zeigt, wie wir die Leistungen unserer Kinder fördern? Welches warnt, vor den Leistungsabfall durch den Kontakt mit Smartphones, digitalen Medien und den sozialen Netzwerken im Internet?

Ein Buch, welches Eislaufeltern kritisiert oder die jenigen, die ihr Kind immer noch nicht genug fordern? Nein, Michael Schulte-Markwort schreibt nichts dergleichen. Kein Erziehungsratgeber und auch kein Buch, in welchem er mit erhobenen Zeigefinger vor irgendwelchen Szenarien in unserer Gesellschaft warnt.

Der Kinder- und Jugendpsychiater, der selbst in einer Klinik mit seinen Schützlingen arbeitet und überdies eine eigene Praxis leitet zeigt anhand von Fällen, wie super unsere Kinder jetzt schon sind und lenkt den Blick auf die positiven Grundlagen, die sie immer mitbringen. Genau so, wie ihre Eltern.

Immer wieder tauchen Berichte in den Tageszeitungen auf, die vor Eltern warnen, die ihre Kinder bis ins Klassenzimmer begleiten, mit Lehrern den Streit über Zensuren vor Gericht ausfechten und ihren Kindern kaum Zeit für sich lassen.

Die Jugend verhäuslicht, ohne Freizeit, dafür mit Schule, Arbeitsgemeinschaften, sportlichen Aktivitäten und vielleicht noch einem Instrumentenunterricht, total ausgelastet und immer unter Druck, noch besser zu werden, noch eine Millisekunde mehr herauszuarbeiten und noch eine Medaille bei Wettkämpfen zu erlangen.

Solche Eltern gibt es, doch sie sind die Minderheit. Die Mehrheit beobachtet ihre Kinder, registriert heute kleinere Auffälligkeiten und sorgt sich angemessen. Michael Schulte-Markworts Aufgabe ist es dann, herauszufinden, ob die Zweifel berechtigt sind, und wenn ja, welche Gründe dahinter stecken.

Ohne erhobenen Zeigegfinger zeigt der Autor anhand von Fallbeispielen, dass die Heraufbeschwörung von Katastrophenszenarien nichts bringt, ja jeder Grundlage entbehert. Die meisten Jugendlichen und selbst Kinder sind heute reflektiert und nutzen ihre Chancen.

Es braucht nicht immer noch eine Steigerung und doch ist der Erziehungsdruck, den Eltern unterliegen, heute größer denn je.

Michael Schulte-Markwort plädiert dafür, Eltern die eigene Intuition zu zugestehen, zu spüren, welches die richtige Balance von Fördern und Fordern ist, schreibt aber auch, von der Notwendigkeit eines professionellen Blicks, wenn Eltern nicht mehr weiterwissen.

Lieber einmal mehr zum Psychologen oder Kinderpsychiater als zu wenig. Ist alles in Ordnung, kann man die kleinen Superhelden immer noch getrost wieder nach Hause schicken, was Markwort in der Mehrzahl der Fälle auch gerne tut, wenn es nichts Behandlungsbedürftiges gibt.

Die Kindheit mit Bullerbü-Romantik gibt es nicht mehr. Von diesem Gedanken müssen wir uns verabschieden. Doch, Kindern und ihren Eltern stehen heute so viele Möglichkeiten offen, wie nie zuvor.

Diese sollten wir nutzen. In klarer und einfacher Sprache, anhand von Fallbeispielen zeigt Michael Schulte-Markwort einen Weg aus dem Optimierungswahn und plädiert für Intuition und Augenmaß, für das Vertrauen in uns selbst und unsere Kinder, die so wunderbar sind, dass die fahrt durch die Erziehung einem Wildwasser-Kanufahren gleicht, aber gelingen kann.

Ohne einen Eriehungsratgeber vorzulegen, beschreibt der Autor in klarer und verständlicher Sprache, flüssiger Schreibstil, wie wir in verschiedene Eriehungsfallen geraten und wie wir den individuellen Weg durch die Kindheit und dem Erwachsenwerden begleiten können, ohne den Druckkessel explodieren zu lassen.

Und, wenn das mal geschieht, wo die Stellschrauben anzusetzen sind, Korrekturen einzufügen.

Ein herrlich unaufgeregtes Buch ohne erhobenen Zeigefinger, welches neben seinem Erstling “BurnoutKids” zur Pflichtlektüre aller Eltern und Personen werden sollte, die mit Kindern zu tun haben. Danach braucht es keine Erzeihungsratgeber mehr. Jeder Mensch ist verschieden.

Warum sollte es bei Kindern anders sein? Kinder in eine Form zu pressen und keine Abweichungen zuzulassen, funktioniert nicht. Auch, aus einem “Super” ein “Super²” machen zu wollen, ist ebenso falsch.

Mit Vertrauen in uns selbst und unseren Kindern, einer Portion Intuition und Selbstbestimmung, sowie der Annahme von Hilfe, sollte sie tatsächlich einmal notwendig sein, kann es uns gelingen, das Wunderbare an unseren Kindern hervorzuheben, ohne sie kaputtzutrainieren oder unter zu viel Druck zu setzen.

Unsere Kinder sind super. Und das reicht doch schon, oder?

Autor:

Michael Schulte-Markwort wurde 1956 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Kinder- und Jugendpsychiator, sowie Universitätsprofessort. Er ist ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpychosomatik in Hamburg-Eppendorf, sowie leitender Arzt der entsprechenden Abteilung im Altonaer Kinderkrankenhaus.

Er gilt als Experte für Erschöpfungsdepressionen imk Kinder- und Jugendalter: Er studierte nach der Schule Humanmedizin und Philosopgie in Marburg und Kiel und erhielt 1987 seine Approbation zum Arzt, 1991 promovierte er und war 1992-1996 Oberarzt in der Klining für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universiät Lübeck.

Nach diversen Stationen erhielt er den Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychosomatik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er hat zahlreiche wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen veröffentlicht.

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Jürgen Petschull: Mit dem Wind nach Westen

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Mit dem Wind nach Westen Jürgen Petschull Goldmann (antiquarisch) Erschienen am: 01.01.1980 Seiten: 245 ISBN: 978-3-44211-5-013

Inhalt:

Eine kleine Stadt in Thüringen, in der Nähe der deutsch-deutschen Grenze. Zwei Männer glauben, das Herrschaftssystem der DDR nicht mehr länger ertragen zu können und verfallen auf eine phantastische Idee.

In einem selbstgebauten Heißluftballon wollen sie mit ihren Familien in den Westen fliehen, doch der erste Versuch misslingt. Zweihundetr Meter vor dem Todesstreifen im Sperrgebiet bleibt der Ballon in den Bäumen hängen.

Die Flüchtenden entkommen unerkannt, müssen den Ballon aber zurücklassen. Doch, bald starten sie einen neuen Fluchtversuch, denn den beiden Familien ist klar, die Staatssicherheit wird sie jagen. Mit einem zweiten Ballon starten sie schließlich einen neuen Versuch. Der Wind weht in westlicher Richtung. (eigener Text)

Rezension:
Für einen kurzen Moment der Geschichte rückte der kleine fränkische Ort Naila in den Blick der Weltgeschichte. Die westdeutsche, europäische, selbst die amerikanische Presse fand sich in den Ort ein, um über Unglaubliches zu berichten.

Zwei Familien hatten in der Nacht des 16. September 1979 mit einem selbst konstruierten Ballon die Flucht aus der DDR gewagt und waren sicher in der Nähe des Ortes gelandet, nachdem ein paar Monate zuvor der erste Versuch, die Grenze zu überqueren, gescheitert war.

Doch, was trieb zwei Familien dazu, die Flucht zu wagen, worauf mindestens langjährige Gefängnisstrafen, an der Grenze mit Selbstschussanlagen, scharfen Hunden und Minen mindestens Verstümmelungen, wenn nicht sogar der Tod bei Scheitern gedroht hätten?

Weshalb wollten die Wetzels und die Strelzyks, denen es beiden im System der DDR gut ging, die es zu so etwas wie Wohlstand gebracht hatten, diesem entfliehen? Jürgen Petschull schrieb ihre Geschichte auf. Ein Jahr nach ihrer Flucht.

Den Film kann man inzwischen auf allen möglichen Plattformen auf DVD zu Phantasie-Preisen erwerben, das Buch ist dagegen antiquarisch für ein paar Cent zu haben. Und es lohnt sich heute noch, diese Momentaufnahme der Geschichte vorzunehmen.

Jürgen Petschull hat vor Ort, in Pößneck in der DDR recherchiert, sowie in Naila beide Familien nach ihrer Flucht besucht und rekonstruiert diese von der ersten Idee bishin zum Bau des ersten Ballons, erzähltt von Mut und Überlebenswillen, Überdruss über ein verkrustetes Staatssystem und den Willen zur Veränderung.

In einer Zeit, in der es noch viele Berichte ideologisch gefärbt gegeben haben mag, auf beiden Seiten der Grenze, ganz unaufgeregt und neutral.

Er beleuchtet die Ereignisse von allen Seiten, fühlt den beiden Familien nach, stellt die Arbeit der Staatssicherheit dar, die nach dem ersten Fluchtversuch sicher die Fährte aufnahm und den Abtrünnigen auf die Schliche kam. Doch, die waren da schon längst mit dem zweiten Ballon mit dem Wind in den westen getrieben.

Zum Zeitpunkt des Aufschreibens war noch nicht klar, dass die Mauer ein gutes Jahrzehnt später fallen und die Grenze sich öffnen würde. Auch, dass die Familien sich im Umgang miteinander beide entfremden würden, war nicht abzusehen.

Ein Jahr später stand nur eines fest, die beiden Familien hatten es einem System gezeigt, welches nur überleben konnte, da es seine Bürger einsperrte. Und das wollte man würdigen.

Der bayerische Grenzort wollte profitieren, die Familien sollten es und die Welt sollte erfahren, dass man nur Mittel und Wege, Ideen, haben musste und manchmal auch eine gewaltige Portion Glück, die Grenzanlagen zu überwinden.

Peter Strelzyk ist dieses Jahr im Alter von 74 Jahren gestorben. In sofern ist es Zeit, sich an diese Geschichte zu erinnern, die glücklich ausgang und sich an jene Fluchten zu erinnern, die mit Gefängnis oder gar den Tod endeten.

Und daran, dass sich eben der Mensch als freiheitsliebendes Wesen nicht einsperren lässt. Herrlich neutral und ohne Ideologie erzählt Jürgen Petschull klar dokumentarisch ein Stück zweier unvergesslicher Familienbiografien, in deren Mittelpunkt ein selbstgebauter Ballon stand.

Dieser ist heute im Heimatmuseum in Naila zu bewundern, während die Familien nach der Wende wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Als dieses Mal freie Menschen.

Autor:
Jürgen Petschull wurde 1942 in Berlin geboren und ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Er volontierte zunächst bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und arbeitete danach für die Neue Rhein/Ruhr Zeitung als Redakteur und Reporter, bevor er zum Magazin Stern wechselte.

Er schrieb vielfach beachtete deutsche und internationale Reportagen, arbeitete auch als Chefreporter für Geo. Er schreibt zeitgeschichtliche Sachbücher und Romane, die zumeist auf wahren Geschehnissen beruhen.1980 schrieb er über die Ballonflucht zweier Familien aus der DDR sein erstes Sachbuch. Mit seiner Familie lebt er in Bremen.

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Gisela von Radowitz: Tabaluga

Tabaluga Book Cover
Tabaluga Gisela von Radowitz Roman Knaus Hardcobver Seiten: 159 ASIN: B0021ZZWXC (antiquarisch)

Handlung:

Seit die feuerspeienden Drachen ausgestorben sind, gibt es niemanden mehr, der die Welt beschützen kann. Arktos, der Herr des eises, ein machtbesessener skrupelloser Tyrann, träumt davon, die Natur zu beherrschen und die gesamte Schöpfung tiefgefroren in einem Museum auszustellen. Nur die Bewohner einer kleinen, grünen oase im ewigen Eis leisten noch Widerstand. Als ein altes drachenei unter einer lawine entdeckt wird, keimt neue Hoffnung auf. Tabaluga, der kleine grüne Drache, wird geboren.

Er soll die Macht von Arktos brechen und seine herrschaft beenden. David gegen Goliath, der ewige kampf: Daa Gute gegen das Böse. Die Liebe gegen den Hass. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte um den kleinen grünen Drachen hat inzwischen mehrere Generationen geprägt und so dürften diejenigen, die dieses Buch, inzwiwschen nicht mehr verlegt, in ihre Kindheit zurück katapultiert werden.

Der Kultstatus um den Kampf zwischen David und Goliath, Feuer und Eis, Liebe und Hass in Form dieser Fabel haben unzählige Menschen geprägt. Allen voran Peter Maffay und unzählige Musiker, sowie Autoren wie Gisela von Radewitz. Von ihr hier die Grundlage der Geschichte, von der es zuvor bereits einige Musikalben aus den Händen Maffays gegeben hatte, aufgeschrieben.

Behutsam und gefühlvoll, liebevoll illustriert wird hier die Geschichte vom letzten Drachen auf Erden Tabaluga erzählt, der innerhalb einer kleinen grünen Oase aufwächst.

Diese ist jedoch bedroht von Arktos, Schneemann und im wahrsten Sinne des Wortes eiskalter Diktator über sein Riesenreich der Kälte, welches das kleine Grünland und ihre Bewohner bedroht. Diese ahnen voller Angst, Tabaluga ist ihre einzige Chance zu Überleben.

Doch, der Bewahrer des Feuers hat ausgerechnet mit diesem so seine Probleme. Das wahre Feuer nämlich muss er erst einmal finden und das ist nicht so leicht. Vor allem nicht, wenn man ständig auf widersprüchliche Aussagen der grünländischen Bewohner trifft, eine vorwitzige Häsin im Schlepptau hat und Arktos ihn längst als Bedrohung für sein Reich aus Schnee und Eis ausgemacht hat.

Trotzdem es eine Kindergeschichte ist, funktioniert sie sehr gut. Auch später noch gelesen. Zumal, wenn man die Erinnerungen an die Musicalaufführung von 1994 im Kopf hat oder auch nur die später folgende Trickfilmserie.

In kleinen Schritten, leicht verständlich wird ohne erhobenen Zeigefinger erklärt, wie viel Liebe bewirken kann, wie viel aber auch Hass zerstört. Wie lebt es sich in einer Diktatur und was ist Mitläufertum? Alles Begriffe und Themen, die später im Geschichtsunterricht einmal aufgegriffen werden, im vorgesehenen Lesealter noch keine Rolle spielen.

Doch, Kinder wollen ernstgenommen werden. Gisela von Radowitz tut dies, ebenso wie Peter Maffay mit seiner Musik. Alleine, der Drache tut bis heute viel Gutes.

Eine gleichnamige Stiftung setzt sich für Kinder und ihre Rechte ein, für verschiedene Projekte wurde mit Tabaluga Aufmerksamkeit entfacht und vielleicht lassen sich heute wie damals ein paar Kinder von der Faszination für den Feurigsten aller Grünländer begeistern und sich später, wenn sie sich einmal entscheiden müssen, zwischen dem was richtig und dem, was bequem ist, daran erinnern.

Die veständliche Art und Weise, diese Geschichte zu erzählen, die ernste Thematik und die behandelten Themen machen dieses Buch zu einem Juwel der deutschen Kinderbuchliteratur. Möge Tabalugas Feuer noch lange nicht erlöschen.

Neuauflage:

Die Neuauflage erschien bei Gulliver/Beltz & Gelberg unter den Titel: “Tabaluga – Die Suche nach dem Feuer”.

Autorin:

Gisela von Radowitz wurde 1941 in Hamburg geboren und studierte Sprachen und Kunstgeschichte in Groß-Britannien, Frankreich und in Spanien. Danach wanderte sie nach Südafrika aus und begründete ein deutschsprachiges Theater in Johannesburg, arbeitete als Schauspielerin und führte Regie.

1971 kehrte sie nach Deutschland zurück und gab 1979 ihren ersten Roman heraus, ein jahr später wurde sie erstmalig selbst als Romanautorin aktiv. Zudem schrieb sie Drehbücher für Film und Fernsehen. Ihr Mann Helme Heine arbeitet als Illustrator und wirkte auch an ihren Büchern mit. Zusammen leben sie heute in Neuseeland.

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Matteo Corradini: Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge

Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge Book Cover
Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge Matteo Corradini cbj Verlag Erschienen am: 10.04.2017 Seiten: 288 ISBN: 978-3-570-40355-6 Übersetzerin: Ingrid Ickler

Inhalt:

Theresienstadt 1942: Die Nazis haben ein Lager für Juden errichtet, das zeitweise als Vorzeigelager dient. Doch es ist nur eine Station auf dem Weg in die Vernichtungslager. Inmitten dieser Hoffnungslosigkeit gründen Kinder eine Zeitschrift, um gegen das Grauen anzuschreiben.

Sie treffen sich heimlich und verfassen Berichte über das Lager. Aber sie zeichnen auch Bilder, führen Interviews oder schreiben Gedichte. Matteo Corradini bringt dem Leser auf berührende Weise das Schicksal dieser Kinder nahe. (Klappentext)

Rezension:

Nur mit Bleistift und Papier, ein wenig Tinte, ihren Worten, Zeichnungen und dem Talent zur Beobachtungsgabe haben sich die Kinder von Theresienstadt zur Wehr gesetzt. Gegen die Tyrannei und dem Vernichtungswillen der Nazis, denen sie am Ende nicht entkommen konnten, doch für ein paar Augenblicke schien die Geschichte still zu stehen.

Das Schicksal abwendbar. Die Mädchen taten dies vornehmlich mit der Inszenierung des Theaterstückes “Brundibar”, die Jungen aus dem Haus 1 Terezins schrieben gegen ihre Angst an. Sie gründeten die Zeitschrift Vedem und sammelten dort ihre Eindrücke von den Geschehnissen um sie herum.

Corradini hat sie aufgeschrieben. In Romanform Hanus Hachenburg, Petr Ginz, Jiri Volk, Zdenek Ornest, Josef Taussig (hier Josif) und anderen ein literarisches Denkmal gesetzt. Es ist ein eindrückliches Stück Literatur, zumal, wenn man sich mit Terezin und seinen Kindern beschäftigt. Der Leser weiß, dass nur wenige Kinder dem Tod der Gaskammern der Vernichtungslager entkamen.

Die mutigen Jungen, die gegen jedwedes Verbot anschrieben und kreativ Zeugnis von den Ungeheuerlichkeiten ablegten, die sie umgaben, wussten es nicht. Ahnten es nur. Und zwischendrin das kleine Glück.

Eine Kartoffelschale extra, ein geklauter Apfel, die erste Liebe, die in den Mauern der ehemaligen Garnisonsstadt keine Chance hat. Corradini beschreibt aus der Sicht eines der Jungen (Pavel Friedmann) das Treiben der Jungen. Gefühlvoll, doch der Spirale des Todes, die sich immer schneller dreht, entkommen sie nicht.

Petr Ginz ist der Mittelpunkt der Geschehnisse. Das tschechoslowakische Gegenstück zu Anne Frank. Er führte Tagebuch, welches seine Schwester Jahrzehnte nach seinem Tode in Auschwitz veröffentlichte, von den anderen Jungen blieben ebenso nur ihre Gedichte, Berichte und Zeichnungen, die sie in “Vedem” veröffentlichten.

Immer mit der Angst, von den Nazis entdeckt und dafür bestraft zu werden. Matteo Corradini tut ihnen den Gefallen und schreibt ihre Geschichte auf, so wie sie sich alltagsmäßig abgespielt haben könnte.

Es ist kein historisches Sachbuch aber an der Wahrheit, so viel wie wir aus Berichten von Überlebenden dieser Gruppe von Jungen wissen, nah dran. So nah, dass man sie, allesamt zehn bis fünfzehn Jahre alt, festhalten und retten möchte, mit dem Wissen, dass das nicht mehr geht.

Die Welt hat durch die Ermordung dieser Kinder großartige Talente verloren. Wer einmal sich die Sammlungen in Terezin anschaut, weiß, welch kreatives Schaffen selbst die Kleinsten der Nachwelt hinterlassen haben. Ohne es zu wollen, natürlich.

Für die meisten war es ein Ventil gegen die Angst, die Stimmen kindlicher Unschuld, die kein anderes Verbrechen begangen haben als jüdischen Glaubens zu sein und in dieser Zeit aufzuwachsen. Gegen Ende nimmt Corradinis ruhiger Schreibstil an Fahrt auf.

Die Geschehnisse überschlagen sich und die Jungen beginnen zu begreifen. Im original Tagebuch von Petr Ginz wird dessen Schrift immer zittriger, am Ende geht er wie viele andere in die Gaskammer Auschwitzes. Dem Autor ist es gelungen, sein Schicksal und das seiner Freunde würdig in Erinnerung zu halten und zu bewahren. Es bleibt daher zu hoffen, dass dieser Roman viele Leser finden wird.

Autor:

Matteo Corradini wurde 1975 in Italien geboren und ist ein Schriftsteller und Hebraist. Er beschäftigt sich mit der Didaktik der Shoah und arbeitet an verschiedenen Kunstprojekten. Zudem ist er Autor von Kinder- und Jugendbüchern.

Er ist Kurator für das Literatur-Festival Scrittorincitta in Cuneo/Italien und hält Kurse an verschiendenen Privatuniversitäten. Zudem organisiert er als Theaterdirektor verschiedene Musical-Inszenierungen. Er beschäftigt sich mit der Geschichte Terezins (Theresienstadt) und von Auschwitz.

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Wladimir Kaminer: Goodbye, Moskau – Betrachtungen über Russland

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Godbye, Moskau Wladimir Kaminer Erschienen am: 20.02.2017 Goldmann Hardcover ISBN: 978-3-442-15916-1

Inhalt:

“Ach, mein Russland, was ist aus dir geworden?” Betrachtungen über ein Land auf der Suche nach seinem Platz in der Welt.

Wladimir Kaminer schaut in diesem Buch zurück in die Vergangenheit, aber er betrachtet auch die gegenwärtige Situation in Russland anhand von Geschichten und eigenen Erlebnissen.

Und er fragt sich, wie es weitergehen kann mit jenem Land, das er als junger Mann verließ und dass ihm mittlerweile so fremd erscheint. (Klappentext)

Rezension:

Über Russland wird inflationär berichtet. Waren es Ende der 90er/Anfang der 2000er Jahre sehnsuchtsvolle Reiseberichte, dominiert heute die Berichterstattung über die Demokratur Putins, die Besetzung der Krim und darauf folgende Saktionen das Bild des russischen Bären in der deutschen Öffentlichkeit, der aber eigentlich nur ein Bärkaninchen ist, wenn man der Argumentation Wladimir Kaminers folgt.

Doch, wohin strebt dieses Land, in dessen Geschichte Kühlschränke gebaut wurden, in denen Gurken wie bei uns Socken in der Waschmaschine verschwinden?

Wie konnten sich die altersschwachen Führer der Sowjetunion auf den Bühnen des Roten Platzes stundenlang halten und Paraden abnehmen, obwohl sie kaum selbst stehen konnten und den Kreml nur in Liegeposition mit den Füßen voran verließen?

Weshalb gibt es ein Gesetz gegen trampelnde Katzen und wie schafft man es, ein Leben lang kostenfrei ins flugzeug zu steigen?

Diese und viele weitere Fragen nimmt Wladimir Kaminer mit lachenden Auge auf und berichtet humorvoll über die Gegebenheiten in Russlands Vergangenheit, Gegenwart und wundert sich selbst darüber, wohin dieses Land momentan treibt.

Ohne zu viel Wodka, trotzdem immer wieder die russischen Gewohnheiten vornehmend, wie z.B. die sowjetische Art des Lottospielens und warum sterben eigentlich dem Präsidenten ständig seine Tiere weg? Was hat das zu bedeuten? Nicht viel aber eben auch nicht wenig.

So springt Kaminer mit den Leser durch die kurzweiligen Kapitel und läd zum Mitlachen und Augenreiben ein, über ein Land, dessen Faszination sich erst auf den zweiten Blick erschließen lässt.

Die Politik ausgeklammert, schließt man spätestens nach der Lektüre des Autoren die Russen als liebenswertes, manchmal größenwahnsinniges, geist- und lebenskünstlerisches Volk in sein Herz.

Kurzweilig beschriebene Begebenheiten, die sich im flüssigen Schreibstil so schnell lesen lassen, dass man nur einen Wimpernschlag benötigt, um mit Kaminer auf die Reise nach Tschnernobyl, der Krim und natürlich Moskau zu gehen, machen diesen Zustandsbericht zur unterhaltsamen Lektüre.

Berlinerisch-russischer Humor in jeder Zeile, dem man folgen kann und der einem mindestens zum Schmunzeln bringt. Die Türme des Kremls und diverser Kirchen mögen in Russland golden, die Metro in stalinistischem Prunk ein Kunstwerk für sich sein, Kaminer kratzt an der Oberfläche und schaut, was sich dahinter versteckt.

Dem Überlebenskünstler Russland auf den Puls gefühlt, läd der Autor ein, hinter die Fassaden zu schauen und abseits der großen Politik den Menschen zu begegnen. Ob nun an den Stränden des schwarzen Märchens oder gedanklich mit Kaminer auf Reisen, ganz egal. Es lohnt sich.

Autor:

Wladimir Wiktorowitsch Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Kolumnist russisch-jüdischer Herkunft. Von 19851987 leistete er seinen Wehrdienst bei der sowjetischen Flugabwehr ab und arbeitete danach in einer Ausbildung zum Toningenieur für Theater und Rundfunk.

Kaminer studierte Dramaturgie am Moskauer Theaterinstitut und bekam 1990 humanitäres Asyl in der DDR, deren Staatsbürgerschaft er noch vor der Wiedervereinigung erhielt. Zuvor verdiente er sich seinen Lebensunterhalt beim Veranstalten von Partys und Untergrundkonzerten in Moskau.

Er veröffentlicht regelmäßig Texte in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften und organisierte die Veranstaltung “Russendisko”. Im Jahr 2000 erschien das gleichnamige Buch, seine Geschichte wurde auch verfilmt.

Bis dato hat Kaminer weitere Bücher und Kolumnen veröffentlicht, in denen er regelmäßig die russische Gesellschaft und Begegnungen seiner Familie auf’s Korn nimmt. Kaminer lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Susann Pasztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster Book Cover
Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster Susann Pasztor Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 16.02.2017 Seiten: 286 ISBN: 978-3-462-04870-4

Inhalt:

Fred, alleinerziehender Vater, Angestellter, seit Neuestem Sterbebegleiter, möchte bei seinem ersten Einsatz alles richtig machen. Karla, reserviert und eigensinnig, hat nur noch wenige Monate zu leben. Phil ist Freds 13-jähriger Sohn und bekommt eine besondere Aufgabe von Karla.

Eine spannungsreiche und spannende Beziehungsdynamik entsteht, als sich diese drei ganz unterschiedlichen Menschen auf einen gemeinsamen Weg machen. Eine berührende Geschichte über die Schönheit des Lebens und die erstaunliche Entwicklung einer Vater-Sohn-Beziehung. (Klappentext)

Rezension:

Erzählungen können Fußabdrücke hinterlassen und manche dieser Eindrücke bleiben dann auch. Für den Rest des Lebens. Susann Pasztors Geschichte “Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster” gehört in jedem Fall dazu.

Die Autorin erzählt die Geschichte von Fred, der den Sinn des Lebens im Begleiten sterbender Menschen sucht, von Karla, die nur noch wenige Monate zu leben hat und ihr bevorstehendes Ende stoisch akzeptiert hat und von Phil, der an der Schwelle zur Pubertät sein ganzes Leben noch vor sich hat.

An sich eine explosive Mischung, doch der Erzählstil der Autorin ist ruhig. Der Tod kommt auf leisen Sohlen, Karla wird immer weniger, wobei sie ein Geheimnis mit sich trägt, während Fred und sein Sohn immer mehr werden, daran wachsen.

Allein, es ist ein Roman, in dem eigentlich nicht viel passiert. Nur die Figuren machen große Sprünge in ihrer Entwicklung, merken dies selbst nicht und wachsen einem als Leser so ans Herz, dass man sie gar nicht loslassen möchte. Natürlich, die unheilbar an Krebs erkrankte Karla soll nicht leiden und sanft einschlafen, doch ihr Doppel-Gegenpart geht einem nahe. Ihre Gedanken und Gefühle, sanft und ehrlich, wie Karlas, unberechenbar und ebenso ehrlich. Dabei, bis auf eine Szene, niemals laut.

Der Fokus auf die Hauptpersonen verändert sich im Laufe der Geschichte. Stehen zunächst die Erwachsenen im Vordergrund ist es später die Dynamik zwischen Karla und Phil, dem 13-jährigen, die Tempo hineinbringt. Das tut der Geschichte gut und gibt neue Perspektiven, die sich lohnen.

Kurze klare Kapitel wechseln sich ab, sind flüssig zu lesen und tragen ebenso zum Gelingen der Geschichte bei, von der man weiß, von Anfang an, wie sie ausgeht, und doch überrascht wird. Das Ende lässt einem friedlich gestimmt zurück.

Gewöhnungsbedürftig war gegen Ende nur ein Kapitel, welches ich aber als künstlerische und gedankliche Freiheit akzeptiere und sich dennoch in die Gesamtheit des Romans passend eingefügt hat. Sei’s drum. Pasztor hat gut geschrieben. Eine schöne Sprache, die hier auch mal, in gegensatz zu vielen anderen schönsprachlichen Geschichten, zu einer gut lesbaren Erzählung geführt hat.

Der Respekt vor der oft ehrenamtlich geführten Hospizarbeit und Sterbebegleitung ist nach dem Lesen von “Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster” auf jeden Fall gewachsen, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Autorin ihre eigenen Erfahrungen in diesem Bereich eingebracht hat.

Susann Pasztor mit einem großartigen Roman, den man nicht aus den Augen verlieren sollte.

Autorin:

Susann Pasztor wurde 1957 in Soltau geboren und lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin. Ihr Debütroman erschien 2010 bei Kiepenheuer & Witsch und wurde in mehreren Sprachen übersetzt.

Für den Verlag ist sie inzwischen eine der “Hausautorinnen” und veröffentlichte 2013 einen weiteren Roman. Sie hat die Ausbildung zur Sterbebegleiterin abgeschlossen und ist seit mehreren Jahren ehrenamtlich tätig.

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Erika Fatland: Sowjetistan

Sowjetistan Book Cover
Sowjetistan Erika Fatland Suhrkamp Erschienen am: 06.03.2017 Seiten: 511 ISBN: 978-3-518-46752-6 Übersetzer: Ulrich Sonneberg

Inhalt:

Erika Fatland über Sowjetistan – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan.

Mit ihrer fulminanten Reisereportage über die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens öffnet Erika Fatland uns die Tür zu einem fernab gelegenen Teil der Welt voller beeindruckender geschichten, skurriler Begebenheiten und überraschender Einblicke.

Sie erzählt von Samarkand und Dschingis Khan, von Brautraub und der Kunst der Adlerjagd, von korrupten Despoten, marmornen Städten und riesigen Goldstatuen, die sich mit der Sonne drehen. (Klappentext).

Rezension:

Es sind Länder zwischen den Stühlen. Genau so wie das Heimatland der Autorin, eher noch weniger, wird auch über die Länder Zentralasiens kaum berichtet. Abgeschottet zwischen Russland, Pakistan, Afghanistan und China liegend, die jede Aufmerksamkeit auf sich ziehen, bilden die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken einen weißen Fleck auf vielen Landkarten.

Früher abgeschottet, viele Städte aufgrund geheimer Militärprogramme der Sowjets auf den Karten nicht verzeichnet, regieren heute quasi Diktatoren die Länder, deren Landstrich auch heute allenfalls für das Verschwinden des Aralsees bekannt ist.

Der größten menschengemachten Naturkatastrophe in dieser Region, abgesehen von den Atomtests im Kalten Krieg.

Erika Fatland hat sich aufgemacht und versucht hinter die Fassade despotischer Diktaturen zu blicken und die Menschen kennenzulernen, deren Geschichte vom blühenden Handel auf der Seidenstraße erzählen kann aber auch von mongolischen Heerführern a la Dschingis Khan.

Wie lebt es sich heute in einer Region, die immer noch mit dem Erbe ihrer jüngeren Geschichte zu kämpfen hat, deren Berwohner am Rande des wirtschaftlichen Existenzminimums ums Überleben kämpfen, unterdrückt von Machthabern, deren Karrieren noch in den letzten Tagen der Sowjetunion begann?

Gibt es sie noch, die sagenumwobene Gastfreundschaft der Steppen- und Bergvölker, die längst großteils sesshaft geworden sind?

Wie sieht sie aus, die Gegenwart zwischen Orient und Okzident und welche Zukunft hält das Leben für das bunte Völkergemisch bereit, die sich heute an ihren Grenzen das Leben schwer machen, früher mit der eisernen Hand Moskaus unter Kontrolle gehalten worden?

Erika Fatland lässt sich darauf ein und nimmt ihre Leser mit auf eine reise ins Unbekannte. Sie blickt hinter schroffen und falschen Fassaden, stellt fest, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, auch wenn die Diktatoren als ebenso vergoldete Statuen auf sie herabblicken und der Wettkampf um den höchsten Fahnenmast mit Eifer betrieben wird und der einzige Gewinner dabei eine westliche Herstellerfirma ist.

Zwischen staatlichen Aufpassern und Wettkämpfen, resignierenden Archäolgen und vom Pferd fallenden Despoten versucht sie das Geheimnis von Samarkand und Taschkent zu ergründen, den Schein Astanas aufzudecken, reist zwischen Aschgabat und Duschanbe.

Der Blick der Autorin gilt dabei immer den Menschen der Region. Ungeschönt berichtet sie über das harte Leben der Menschen, deren Zukunft ungewiss ist und abhängig von den großen Nachbarstaaten, die sie umgeben. In ihren Heimatländern ist diese jedenfalls nicht zu finden.

Die Jungen wandern aus, richten ihren Blick nach Moskau oder in den Westen Europas, die Alten arrangieren sich mit den Verhältnissen und träumen von vergangenen Zeiten als man noch zu einer Großmacht gehörte.

Erika Fatland versucht die Hintergründe unverstellt darzulegen, die dazu führen, dass es immer noch Brautraub gibt und die Länder isoliert vom Weltgeschehen beinahe vor sich hin vegetieren. Herausgekommen dabei ist ein Blick auf das Besondere, auf den Alltag einer Region, die es noch zu entdecken gilt.

Einfühlsam ohne Verklärung berichtet Erika Fatland von einer Region, in der die Zukunft alles andere als sicher ist und doch, je nach Staat unterschiedlich verlaufen kann.

Dort kann alles passieren, ist sie sich sicher und beschreibt episodenhaft die Geschichte dieser Landstriche, durchsetzt von gesellschaftlichen Exkursen und immer wieder auch der Beschreibung von kuriosen Ereignissen, vor allem aber von Menschen.

Unverstellt wünscht man sich mehr solcher unaufgeregter und neugieriger Reisereportagen, wie die von Fatland, der dies mit “Sowjetistan” mehr als gelungen ist. Diese Momentaufnahme, aufgelockert durch mehrere Karten und Fotoaufnahmen, hilft uns zu verstehen.

Doch, wer wirklich begreifen möchte, muss sich mit Sack und Pack selbst aufmachen, die Region zu erkunden. Wer keine Gelegenheit dazu hat, hat mit “Sowjetistan” einen wunderbaren Einblick in das Leben in einer faszinierenden Landstrich gewonnen.

Autorin:

Erika fatland wurde 1983 in Hausgesund/Norwegen geboren und ist eine norwegische Schriftstellerin und Ethnologin. Nach der Schule studierte sie in Kopenhagen und Oslo Anthropologie und schrieb ihre Abschlussarbeit über die Nachwirkungen des Geiseldranas von Beslan in Nordossetien.

Danach arbeitete sie 2008-2009 am Norwegischen Institut für Internationale Angelegenheiten. 2009 schrieb sie ein Kinderbuch und kehrte im Jahr darauf nach Beslan zurück um ihre Arbeit über Beslan fortzusetzen. Ihr Buch darüber erschien in Norwegen 2011.

Im Herbst 2012 veröffentlichte sie ein Buch über die Terroranschläge in Norwegen und machte sich zwei Jahre später auf, die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens zu besuchen. Für die Reisereportage wurde Erika Fatland mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt in Oslo.

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Marianne Zückler: Osteuropa Express

Osteuropaexpress Book Cover
Osteuropaexpress Rezensionsexemplar/Roman Europaverlag Taschenbuch Seiten: 240 ISBN: 978-3-95890-079-0

Inhalt:
Die Lebensfäden von acht Protagonisten verweben sich zu einem großen Teppich, in dem Einschüchterung und Ausgrenzung, aber auch Liebe und Freiheit ineinander gehen.

Sie gewähren uns Einblicke in eine Welt, in der viele Menschen wegen ihrer sexuellen Identität verfolgt werden und gegen Anfeindungen und Diskriminierung ankämpfen müssen. (Verlagstext)

Rezension:
Ein Junge stand einmal beim Bäcker vor mir und zeigt auf einen rosafarbenen Donut. Er wolle den, hieß es und die Verkäuferin fragte ihn noch einmal. Schließlich gäbe es ja auch blaue Donuts.

Der Junge erwiderte nur, er wolle den essen und nicht damit spielen und bekam schließlich das Gebäck in der gewünschten Farbe.
Diese von mir gemachte Alltagsbeobachtung ist noch relativ harmlos, zeigt aber dennoch wie selbst hier in den Köpfen der Menschen noch das traditionelle Bild von Jungen und Mädchen, Männern und Frauen vorherrscht, wenn auch die Toleranzgrenze der Mehrheit der Bevölkerung hierzulande sich in den letzten Jahren zu Gunsten Andersfühlender und -denkender verschoben hat.

In unseren östlichen Nachbarländern sieht dies teilweise noch anders aus. althergebrachte Werte dominieren das Selbstbildnis der Familien, quer über alle Altersgrenzen und die Kirche dominiert immer noch das Privatleben der Menschen mit ihren mittelalterlichen Vorstellungen.
Für Schwule, Lesben, Transsexuelle eine schwere Last, kaum zu ertragen. Zwar hat auch in Polen, in den baltischen Staaten oder in der Ukraine langsam ein Wandel eingesetzt, doch auch heute wird die Andersartigkeit kritisch beäugt, teilweise als Krankheit betrachtet.

In Familien kommt es zu Auseinandersetzungen, im beruflichen Alltag verbaut ein Outing jedes Fortkommen.
Marianne Zücker hat Gespräche, vermittelt über osteuropäische LGTB-Organisationen, mit den von Ausgrenzung und Alltags-Diskriminierungen Betroffenen geführt und deren Schilderungen in einer einfühlsamen Erzählung verarbeitet.

Verpackt in Romanform kommen die Menschen zu Wort, deren Orientierung zur Zerreißprobe für die Gesellschaft wurde. Zumal nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, nachdem die Bevölkerungen der Länder mit mehreren Problemen wie etwa steigender Arbeitslosigkeit und wachseneder Armut zu kämpfen hatten.
Die Autorin portraitiert die unterschiedlichen Menschen unter der Regenbogenflagge und wirbt mit ihrer Erzählung für Akzeptanz und Anerkennung.

Dass “anders sein” eine Bereicherung für unsere Gesellschaft sein kann, die sich daran messen lassen musste und immer noch muss, wie weit Gleichberechtigung umgesetzt werden kann ohne den Zusammenhalt in der Bevölkerung zu verlieren.
In kleinen Schritten, auf unterschiedlichsten Wegen. Den einen LGBT gibt es nicht, sondern viele verschiedene Spielarten. Sie alle sind menschlich.

Die Ausarbeitung der Protagonisten ist hier sehr feinfühlig. Jede Person kommt abwechselnd in den recht kurzen Kapiteln zu Wort. Die Ich-Erzählerstimme bringt die Nähe zu dem Leser. Das Thema durchweg interessant, die Protagonisten glaubwürdig.

Hier merkt man die Vorabrecherche der Autorin sehr schön, sie hat Ahnung von den Dingen, über die sie schreibt. Es ist ein stiller Roman, der aufrüttelt und den Horizont erweitert, dem aber zum Ende hin ein wenig Tempo fehlt, welches in den ersten zwei Dritteln der Geschichte noch zu finden ist. Alles in allem aber ein gelungener Beitrag für die Debatte, die nicht nur in Osteuropa geführt wird sondern auch hier noch kein Ende gefunden hat.

Autorin:
Marianne Zückler wurde 1960 in Berlin geboren und studierte nach der Schule Germanistik, Erziehungswissenschaft und Theaterpädagogik. Seit 1994 arbeitet sie als freie Autorin und Dozentin für dokumentarisch-biografische Theaterarbeit. Für ihre Arbeit an verschiedenen Hörspielen wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
Ihr erster Roman erschien 2015. Zückler beschäftigt sich vor allem mit der Verschränkung von Erfahrungs- und Erinnerungsräumen sowie für die transgenerationelle Weitergabe von Gewalttraumatisierungen. Ihr neuestes Werk “Osteuropa Express” wurde gefördert durch die Robert Bosch Stiftung “Grenzgänger” und der akademie Schloss Solitude.

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Raquel J. Palacio: Wunder – Julian, Christopher & Charlotte erzählen

Wunder - Julian, Christopher & Charlotte erzählen Book Cover
Wunder – Julian, Christopher & Charlotte erzählen Raquel J. Palacio Hanser Erschienen am: 13.03.2017 Seiten: 350 ISBN: 978-3-446-25528-9 Übersetzer: Andre Mumot

Inhalt:

Der Welterfolg „Wunder“ erzählt von Auggie, dem Außenseiter mit dem entstellten Gesicht. Nun kommen Julian, Christopher und Charlotte zu Wort. Julian, der Mobber: Eigentlich hat er keinen Grund, so gemein zu sein. Doch durch Auggies Ankunft kehren seine überwunden geglaubten Albträume zurück.

Christopher, der beste Freund: Nach seinem Umzug vermisst er Auggie, ist zugleich aber auch froh, Abstand zu haben. Und Charlotte, die empathische Willkommensfreundin: Weil sie sich für Gerechtigkeit einsetzt, soll sie sich um Auggie kümmern – und beginnt zum ersten Mal an sich zu zweifeln.

Dieses berührende Kinderbuch erzählt von echter Freundschaft und davon, wie die Begegnung mit Auggie jeden verändert. (Verlagstext)

Rezension:

Der Wunsch nach einer Fortsetzung ist die Bestätigung für Autoren, zeigt er doch, wie sehr eine Geschichte und ihre Protagonisten geliebt werden, doch ist der Wunsch zugleich auch Fluch.

Die Fortsetzung muss zwangsläufig besser werden oder wenigstens genau so gut wie der Vorgänger, anderenfalls ist die Enttäuschung groß. Raquel J. Palacio weiß, vor allem um die Einzigkeit ihres Erstlings “Wunder”, das und legt mit ihrem neuen Buch bewusst keine zweite Geschichte um August auf. Den Jungen mit dem entstellten Gesicht.

Natürlich dürsten die Fans nach weiteren Informationen über den kämpferischen Jungen, der sich Anerkennung und Akzeptanz erst erstreiten musste, doch “Julian, Christopher & Charlotte erzählen” ist eine ebenso wertvolle Parallelerzählung. Die Autorin schafft das Kunststück, obwohl die vormalige Hauptfigur hier nur Statist ist, eine facettenreiche Ergänzung vorzulegen, die Augusts Geschichte aus drei Blickwinkeln beleuchtet.

Und da wird sogar der Mobber sympathisch, der in “Wunder” den hass sämtlicher Fans auf sich gezogen hat. Nicht umsonst geistert seit dem im Internet ein Plakat mit dem Spruch herum: “Keep calm and don’t be a Julian” (“Bleib ruhig und sei kein Julian”).

Julian hat eine eigene Geschichte zu erzählen, genau so wie zwei seiner besten Freunde, die ebenfalls zu Wort kommen und so hält Palacio ihren jungen Lesern den Spiegel vor. Ohne den sonst üblich erhobenen Zeigefinger.

Auch die anderen zwei Geschichten, deren Figuren sich zwischen dem was richtig ist und dem was der leichte Weg wäre entscheiden müssen, sind einfühlsam zu lesen. Ein Buch, was einem nachdenklich, aber mit einem Lächeln zurücklässt.

Die Menschen unterteilen sich nicht in Gut und Böse. Dazwischen liegen viele Grauzonen und oft ist es hilfreich, hinter die Fassaden zu schauen. Viele sind auf dem zweiten Blick oft ganz anders, auf den ersten Eindruck sollte man sich nicht verlassen.

In kurzen einprägsamen Kapiteln, die ursprünglich als zusätzliches E-Book entstanden und nun hiermit in gebundener Form vorliegen, lässt es sich leicht in die Geschichte eintauchen und erneut stellt sich die Frage, dieses Mal aus der Sicht der damit Konfrontierten, wie weit Inklusion schon ist oder ob sie überhaupt gelingt?

Was ist eine Behinderung, was ein bloßer Makel und was eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Kinder und Jugendliche einfühlsam an ein schwieriges Thema heranzuführen, gelingt Palacio hier ein zweites Mal überragend.

Es bleibt zu hoffen, dass diese drei Erzählungen genau so erfolgreich werden und die Autorin weitere solche Werke schreiben wird.

Autorin:

Raquel J. Palacio ist eine US-amerikanische Verlegerin, Schriftstellerin und Gestalterin für Buchcover. Der Name dabei ist ein Pseudonym ihres eigentlichen Namens Raquel Jaramillo, mit dem sie bis 2012 veröffentlichte.

Die Autorin lebt mit ihrer Familie und arbeitet in New York. 2012 erschien ihr Buch “Wonder”, welches ein Jahr später ins Deutsche übersetzt wurde.

Seit 2006 arbeitet sie in verschiedenen Positionen für den Verlag Workman und war 2013 Jurymitglied beim Internationalen Literaturfestival in Berlin für die Auszeichnung des außergwöhnlichsten Buches des Kinder- und Jugendprogramms. Ihr Jugendbuch “Wunder” wurde verfilmt.

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