Rezension

Julia Gerlach: Der verpasste Frühling

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Der verpasste Frühling Julia Gerlach Rezensionsexemplar/Sachbuch Erschienen am: 01.05.2016 Seiten: 248 ISBN: 978-3-86153-868-4

Inhalt:

2011 schien in der arabischen Welt eine neue, demokratische Zeit anzubrechen. Der ägyptische Aufstand gegen Mubarak auf dem Kairoer Tahrir-Platz war dafür ein besonders starkes Signal.

Heute sitzen viele der damaligen Aktivisten im Gefängnis, alte und neue Diktatoren sind an der Macht, Millionen Menschen fliehen vor Bürgerkrieg, Hoffnungslosigkeit und den Mördern des sogenannten Islamischen Staates. Julia Gerlach hat Aktivisten der Revolution, Islamisten, Politiker und ganz normale Menschen in der Region über Jahre begleitet und befragt.

So gelingt ihr eine ebenso persönliche wie informative Beschreibung der Ereignisse, die zum Scheitern der hoffnungsvollen Anfänge führten. Ein spannender, differenzierter Einblick in die jüngste arabische Geschichte, die uns mehr denn je betrifft. (Klappentext)

Rezension:

Die arabische Welt ist für den Durchschnittsbürger Europas schwer zu fassen, zumal nach den Umwälzungen im Jahr 2011, die die Staaten Nordafrikas, den Jemen und Syrien und ihre Menschen vollkommen verändert haben.

Julia Gerlach gibt uns einen Einblick in diese, mittlerweile abschreckende, Welt aus Angst und Hoffnungslosigkeit, welche Freude und Tatendrang in Bezug auf die gestürzten Diktaturen Tunesiens, Ägyptens, Libyens, des Jemen und Syriens abgelöst haben.

Seit Jahren reist sie zwischen den in Chaos, Korruption und Machtkämpfen versinkenden Ländern hin und her, trifft Menschen aller politischer und beruflicher Coleur und Glaubensrichtungen, unterhält sich und hört zu.

Herausgekommen ist ein faszinierendes Portrait einer Region, ein festgehaltenes Stück Zeitgeschichte und vor allem das Festhalten von menschlichen Empfindungen.

Mittlerweile muss man suchen. Zwischen schwarzmalerischen Berichten und einseitigen Lektüren, die nicht einmal ansatzweise als ausgewogen zu bezeichnen sind, wirkt dieses Sachbuch sehr wohltuend.

Reflektiert und möglichst alle Seiten der Medaille “friedlicher Revolution in der arabischen Welt” beleuchtend, stellt die Journalistin eine schonungslos ehrliche, jedoch keineswegs nüchtern kalte Analyse der Ereignisse dar, die zu den Umbrüchen in einer Region führten, die man dort nicht erwartet hätte.

Quasi Alleinherrscher wie Mubarak oder Ben Ali wurden gestürzt, die Menschen kosteten für einen kurzen Moment den Geschmack der Freiheit, doch woran scheiterte, was so hoffnungsvoll began?

Weshalb ließen sich die Studenten, einfachen Menschen die Zügel des Umschwungs aus der Hand nehmen, weshalb gibt es heute mehr alt-neue Regierungen als wirklich bleibende Neuerungen und welche Errungenschaften des Volkswillens haben es geschafft, bis in die heutige Zeitz herüber gerettet zu werden?

Anhand von Personen sich durch die Chronik der Ereignisse zu hangeln, könnte man der Autorin zum Vorwurf machen. Sie bleibt nicht neutral, sondern bezieht standpunkte, in dem sie alle Seiten zu Wort kommen lässt und damit alte Machtstrukturen entlarvt, die mit blauen Auge als Sieger aus der Revolution in Arabien hervorgegangen sind. Vielleicht ein letztes Mal?

Julia Gerlach nimmt Position ein, öffnet sich aber auch für andere Meinungen und beobachtet ihren Freudneskreis, ihre Kontaktpersonen genau.

Herausgekommen ist ein Zeitdokument, welches es in sich hat und gerade heute gelesen werden sollte. Hier finden sich die Ursachen, warum so viele junge Araber ihre Länder verlassen und den Blick auf das Mittelmeer gen Norden richten.

Hier wird der Kampf und Selbstfindungsprozess von Nationen beschrieben, deren mehrheitliche Bevölkerungen sich wieder die alten vorrevolutionären Zustände zurücksehnt und eine junge Generation portraitiert, die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft innerhalb ihrer eigenen Länder noch nicht aufgegeben hat.

Flüssig zu lesen und aufgrund kurzer übersichtlicher Kapitel, vielen Erklärungen, keinesfalls schwere Sachbuchlektüre, die ungewöhnlich gut recherchiert und fassbar ist. Nicht zuletzt durch die schiere Zahl der interviewten Personen und der Beachtung verschiedener Positionen.

Keine absichtliche Schwarzmalerei, nur nüchterne Betrachtungen, kein erhobener Zeigefinger. So ausgewogen sollte Sachbuchliteratur, gerade zu sensiblen Themen sein und dies hat Julia Gerlach hervorragend hinbekommen.

Ein Spagat, der hätte schiefgehen können, hier hervorragend funktioniert. Pflichtlektüre für alle, die sich einen Überblick über die Gesamtsituation, insbesondere die in Ägypten, verschaffen und sich eine eigene Meinung bilden wollen. Unabhängig von der Hetze, die uns von vielen Bildschirmen und Zeitungen ins Gesicht springt.

Autorin:

Julia Gerlach wurde 1969 geboren und studierte Politik- und Islamwissenschaften, begann eine Ausbildung an der Berliner Journalisten-Schule und arbeitete für das ZDF-Studio in Kairo und beim heute journal. Sie hospitierte beim arabischen sender al-Dschasira und war von 2008-2015 als Korrespondentin für verschiedene deutsche Tages- und Wochenzeitungen tätig. 2006 erschien ihr erstes Buch.

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Rene Goscinny/Albert Uderzo: Asterix – Die Gesamtausgabe 6

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Asterix – Die Gesamtausgabe 6 Comic Egmont Ehapa Hardcover Seiten: 168 ISBN: 978-3-7704-3785-6

Inhalt:
In “Asterix bei den Schweizern” müssen der gallische Krieger Asterix und sein Freund, der Hinkelsteinlieferant Obelix in die römische Provinz Helvetien reisen, um eines der seltenen Eldeweiß-Blumen zu finden, die der Druide des Dorfes für einen Zaubertrank benötigt.

Dabei werden alle Klischees über die Schweizer, Ordnung und Sauberkeit, Kuckucksohren und Käse-Fondue und Bankwesen aufs Korn genommen. Auch der Rütli-Schwur kommt nicht zu kurz. In “Die Trabantenstadt” versuchen Julius Cäsar und sein Baumeister “Quadratus” den Galliern herr zu werden, in dem sie eine Planstadt rings um das gallische Dorf errichten. Die ersten Bewohner ziehen ein und schon beginnt ein Umschwung im Denken der Dorfbewohner.

Asterix und Miraculix sehen mit Schrecken, wie ihre Freunde Gewohnheiten, Sitten und Bräuche ablegen und kommen bald hinter Cäsars perfiden Plan. Können sie den Lauf der Zeit aufhalten? In “Die Lorbeeren des Cäsar” machen sich Majestetix und seine beiden gallischen Krieger auf nach Lutetia, um Gutemine bei einem Einkauf in die gallische Hauptstadt zu begleiten.

Dabei besuchen sie auch Gutemines Bruder und Majestetix verspricht ihm betrunken ein Ragout mit den Lorbeeren aus den Kranz Cäsars. Den müssen Asterix und Obelix nun besorgen und begeben sich nach Rom. Doch, an den Kranz heranzukommen, ist schwerer als gedacht, müssen sie doch dazu Sklaven und Gladiatoren werden.

Einordnung:
Die Gesamtausgabe Nr. 6 enthält die Geschichten “Asterix bei den Schweizern”, “Die Trabantenstadt” und “Die Lorbeeren des Cäsar”. Insgesant gibt es 14 Gesamtausgaben mit jeweils 3 Geschichten.

Rezension:
Über die Qualität der Hauptgeschichten um Asterix und Obelix gibt es nichts zu sagen. Wunderbar detailliert gezeichnet, locker erzählt und die Eigenheiten des jeweiligen Spielortes auf’s Korn genommen, haben Asterix und Obelix nicht nur erfolgreich gegen römische Legionen Widerstand geleistet, sondern auch die Herzen von tausenden großen und kleinen Comic-Fans im Sturm erobert.

Letzteres ganz ohne Zaubertrank. Auch in den drei vorliegenden Geschichten brechen der gallische Krieger und sein Freund (“Ich bin nicht dick!”) zu neuen Abenteuern auf, die es in sich haben. Vielmehr ist darüber nicht zu sagen, ohne die Pointen, derer es zahlreiche gibt, vorweg zu nehmen und noch ist nicht der Qualitätsabfall späterer Geschichten (u.a. “Asterix und Latraviata”) zu spüren.

Diese Geschichten kann der geneigte Gallien-Fan beruhigt zur Hand nehmen und in die antike Welt Julius Cäsars und seiner fast ganz eroberten Völker eintauchen. Besser ist es hier, sich mit der speziellen Ausgabe zu beschäftigen. Diese wurde, zusammen mit den anderen Abenteuern der gallischen Dorfbewohner in eine mehrbändige Reihe zum Jubiläum der Geschichten in eine mehrbändige Sonderausgabe verpackt, die pro Band jeweils drei Geschichten in sich vereint.

In bläulich gehaltenen Leder gebunden, gibt es zu jedem Comic eine mehrseitige Vorgeschichte über die Entstehung des selbigen. Die Aufmachung wirktt edel, die Papierqualität ist gut.

Das aufgedruckte Comic-Relief und die schrift zeigen auch nach Jahren keine Abnutzungserscheinungen (Erfahrung mit anderen Bänden der Reihe) und auch die seiten vergilben nicht. Für Fans der Reihe, deren Comic-Hefte auseinander zu fallen drohen, ein unbedingtes Muss und ein Hingucker im Regal allemal.
Für Neuleser eine interessante Erfahrung, zumal man auch etwas über die Geschichte hinter den Geschichten erfährt.

Es ist nur zu empfehlen, die Geschichten gerade in diesen Ausgaben zu lesen. Hier hat sich der Verlag Mühe, nicht nur in der Aufmachung, gegeben, die unbedingt belohnt gehört. Auf dass die gallischen Krieger noch ewig im Jahre 50 v. Chr. Widerstand gegen Rom, gleichsam David gegen Goliath leisten können und ihnen nie “der Himmel auf den Kopf fallen möge” (Majestätix).

Autoren:
Rene Goscinny wurde 1926 in Paris geboren und war ein französischer Comicautor. Er schuf zusammen mit dem Zeichner Alber Uderzo u.a. die Comics der unbeugsamen Gallier Asterix und Obelix (ab 1959), für die er internationale Bekanntheit erlangte. Ab 1955 textete er außerdem die von Morris gezeichneten Comics “Lucky Luke”. Als Autor wurde er für seine von Sempe illustrierten Geschichten über den “Kleinen Nick” bekannt.

Albert Uderzo wurde 1927 in Fismes bei Reims in Frankreich geboren und ist Zeichner und Mit-Autor der bekannten Comic-Serie “Asterix”. Er wuchs als Sohn italienischer Einwanderer auf, die 1934 die französische Staatsbürgerschaft erhielten. Inspiriert von Wat Disney eignete er sich teils autodidaktisch das Handwerkzeug des Comic-Zeichnens an. Er hat eine Rot-Grün-Sehschwäche und arbeitet teilweise mit nummerierten Farbtönen. Die Comic-Serie “Asterix erschien zunächst in der Zeitschrift “Pilote”, später dann in einem eigenen Verlag.
Seit dem Tode Goscinnys 1977 produzierte Uderzo die Asterix-Abenteuer alleine, unter Zuhilfenahme eines Teams von Zeichnern seines eigenen Unternehmens.

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Jonathan Safran Foer: Hier bin ich

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Hier bin ich Jonathan Safran Foer Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 10.11.2016 Seiten: 683 ISBN: 978-3-462-04877-3 Übersetzer: Henning Ahrens

Inhalt:

Julia und Jacob Bloch, die mit ihren drei heranwachsenden Söhnen in Washington, D.C. wohnen, haben ein Problem. Genauer gesagt, sie haben viele Probleme: Jacobs hochbetagter Großvater soll ins Altersheim, will aber nicht, ihr ältester Sohn droht von der Schule zu fliegen, dabei wollen sie in ein paar Wochen seine Bar Mizwa feiern.

Geplant ist ein großes Familienfest, zu dem auch die Verwandtschaft aus Israel anreist, was die angespannte Stimmung im Hause Bloch weiter anheizt. Und dann macht Julia eine Entdeckung, die alles infrage stellt, ihre Ehe, ihre gemeinsamen Werte, die Zukunft der Familie…

Während sich die häusliche Krise zuspitzt, dräut am Horizont ein globales Desaster: Ein katastrophales Erdbeben im Nahen Osten führt zu einem gewaltigeninternationalen politischen Konflikt, der auch die Familie Bloch im Kern trifft. (Verlagstext)

Rezension:

Wie groß ist die Kluft zwischen zwei Leben? Dem, das wir führen wollen und dem, welches wir tatsächlich leben? Dieser existentielle Frage stellt sich der Schriftsteller Jonathan Safran Foer und verarbeitet sie zu einer großartigen Familiengeschichte, wie man es von ihm, spätestens seit “Extrem laut und unglaublich nah” kennt.

Auch hier geht es wieder um eine Familie, deren Leben durch ein erschütterndes Ereignis aus den Fugen gerät, deren Figuren sich voneinander fortbewegen aber doch nicht ohne einander können und wieder einmal um grundphilosophische Fragen, die nur Foer so poetisch vermag zu verarbeiten.

Und dergleichen hat der Autor viel zu erzählen.

Foer liebt das verschachtelte, in einander verwobene Gedankengänge, die seine Leser beschäftigen werden und doch sind seine Zeilen nicht schwer verdaulich. Im Gegenteil, Foer gibt genug Momente zum ausruhen, zum “sich fallenlassen”, erzählt dabei jedoch ungeheuer viel.

Eben so, wie auch in einer unscheinbaren Familie sich ungeheuer viele Ereignisse miteinader verweben, gerade, wenn sie auseinander triftet.

Als Leser verliebt man sich in die Protagonisten, nimmt die an sich zweifelnden und zerbrechenden Eltern Julia und Jakob gedanklich an die Hand, verfolgt mit Spannung das Werden der drei Söhne mit all ihren Marotten, Fehltritten und Glücksmomenten.

Verfolgt, wie innerhalb des Clans der Blochs/Blumenbergs ein graben auftut als der Staat Israel an den Rand einer katastrophe schlittert und wie der Tod des Großvaters Nähe und Distanz zugleich bringt.

Der Autor hat sich Zeit gelassen für diesen Roman und hat gut daran getan. Ein Meisterwerk auf Augenhöhe mit seinem vorherigen Romanen.

Ein Werk als Plädoyer an die Familie, selbst, wenn sie zerbricht, sich die guten Momente und Erinnerungen zu erhalten und ständig Grenzen und Ängste zu überwinden.

Ein Roman, der die Frage aufwirft, ob, wenn man nicht das Ideale erreichen kann, das größtmögliche Gute ebenfalls ausreicht? Ein Roman, der zeigt, dass jede Familie Empfindungen hervorbringt, die es auch in schweren Zeiten zu erhalten gilt und selbst, wenn alles zusammenbricht, immer auch positive Dinge übrig bleiben.

Ein Roman, der zeigt, dass wir Kindern glauben und auch nicht glauben, Erwachsene jedoch genau so hinterfragen sollten. Ein Roman, vielleicht gerade in diesen Zeiten als Erinnerung an ein gutes Amerika, bevor es die neue Regierung auf eine Reise ins Ungewisse schickt.

Ein vielschichtiges großes Familienepos, welches es zu entdecken gilt.

Autor:

Jonathan Safran Foer wurde am 21. Februar 1977 in Washington D.C. geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Er studierte Literatur und Philosphie und arbeitete als Rezeptionist und Ghostwriter, bevor er sich als Herausgeber einer Sammelzeitschrift zu Ehren des 1972 verstorbenen New Yorker Künstlers Joseph Cornell betätigte.

2002 erschien sein erster Roman, 2005 “Extrem laut und unglaublich nah”, welches bis zu seiner Verfilmung von Stephen Daldry als unverfilmbar galt. bekanntheit erlangte Foer auch als Sachbuchautor mit seinem Buch “Tiere essen”, in dem er sich mit der industriellen Tierproduktion und Massentierhaltung auseinandersetzte.

Er lebt in New York, mit seiner Familie. “Hier bin ich” ist sein viertes Werk und dritter Roman.

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S. K. Tremayne: Stiefkind

9120s951kxlAutor: S.K. Tremanye
Titel: Stiefkind
Seiten: 387
ISBN: 978-3-426-51662-1
Verlag: Knaur

Inhalt:
Ein traumhaftes Leben malt Rachel sich aus, als sie mit ihrem neuen Mann und dessen Sohn in deren Herrenhaus in Cornwall zieht. Doch der 9-jährige Jamie ist nicht wie andere Kinder: Er scheint zu sehen, was die nahe Zukunft bringt… und das ist Rachels Tod. (Klappentext)

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Simon Sebag Montefoire: Die Romanows – Glanz und Untergang der Zaren-Dynastie 1613-1918

Die Romanows - Glanz und Untergang der Zaren-Dynastie 1613-1918 Book Cover
Die Romanows – Glanz und Untergang der Zaren-Dynastie 1613-1918 Simon Sebag Montefoire Verlag: S. Fischer Erschienen am: 27.10.2016 Seiten: 1038 ISBN: 978-3-10-050610-8 Übersetzer: (u.a.) Gabriele Gockel

Inhalt:

Wie kein anderes Adelsgeschlecht sind die Romanows der Inbegriff von schillerndem Prunk, Macht, Dekadenz und Grausamkeit. Über 300 Jahre dominierten sie das russische Reich, mehr als 20 Zaren und Zarinnen gingen aus dem Geschlecht hervor, allesamt getrieben von unbändigem Machthunger und rücksichtslosem Willen zu herrschen – einige dem Wahnsinn näher als dem Genie.

Simon Sebag Montefiore erzählt die Saga dieser unglaublichen Familie, in der Rivalität, Giftmorde und sexuelle Exzesse regelrecht auf der Tagesordnung standen.

Basierend auf neuester Forschung und unbekanntem Archivmaterial zeichnet er die Schicksale und politischen Verwicklungen nach. Weder zuvor noch danach gab es ein so gewaltiges Reich, in dem sich Glanz und Grausamkeit auf so unheilvolle Weise verbündeten. (Verlagstext)

Rezension:

Die Öffentlichkeit kennt die Geschichte der Familie des letzten Zaren ebenso gut wie die von Katharina II. (Die Große), Peter dem Großen oder Iwan dem Schrecklichen.

Doch, was ist mit den anderen, fast zwanzig Zaren, die aus dem einst allmächtigen Herrschergeschlecht hervorgingen? Was, mit Michael I., der als Kind den Thron bestieg und damit den Auftakt bildete für eine Dynastie, die Europa, Asien und zeitweise Alaska in Amerika kontrollieren sollte? Weshalb war die Familie so erfolgreich, wie keine andere zuvor?

Weshalb brauchte es zu deren Sturz nur einen “Wanderprediger” und eine neurotische Zarin? Diesen und vielen anderen spannenden Fragen geht Simon Sebag Montefiore mit erstaunlicher Akrebie nach, befragt Verwandte, die von Zeitzeugen abstammen, stöbert in Archiven und holt bisher ungeöffnete Briefe und Korrespodenzen ans Tageslicht. Herausgekommen dabei ist ein historisches Standardwerk, was eine einzigartige Familiengeschichte beleuchtet.

Die Geschichte der Romanows beginnt und endet quasi mit zwei Jungen. Der Eine wollte keinesfalls Zar werden, legte jedoch den Grundstein für eine sehr erfolgreiche Herrschaft, der andere wurde brutal ermordert, womit sich für alle Zukunft die Aussicht auf eine Fortführung der Romanowschen Geschichte zerschlugen, die einige wenige während des Zerfalls der Sowjetunion zur Sprache brachten.

Dabei zeigt sich die Geschichte als eine Art Kreislauf, deren wichtigstes Element, die Autokratie, im größten Land der Welt auch heute noch in abgewandelter Form eine bedeutende Rolle spielt.

Warum dies so ist, erklärt Sebag Montefiore anhand der Portraitierung der Epochen und zeigt, wie die Zaren Privates und Politisches miteinander verbunden. Keinesfalls schwerfällig aber fakten- und erkenntnisreich untermauert der Autor seine schonungslose Analyse, die auch das romantisierte Bild Katharina der Großen oder Nikolaus II. ins Wanken bringt und die Wirklichkeit voranstellt.

Eine Stammbaum-Übersicht, Landkarte, zahlreiche Fotos und am Anfang eines jeden Kapitels geschrieben Auflistung der Personen des jeweiligen Zeitabschnitts machen es leicht, den Anschluss zu behalten, auch wenn man als Leser förmlich in den Strudel dieser faszierenden Geschichte, die packender ist als jeder historische Roman, hineingesogen wird.

Der Verlag bewirbt die umfangreiche Ausarbeitung mit dem Satz: “Dagegen ist ‘Games of Thrones’ das reinste Kaffeekränzchen.”, und zitiert damit Anthony Beevor, einem anderen großen Historiker.

Wer dieser Rezension nicht glauben mag, sollte zumindest ihm folgen und sich auf eine Geschichte der Familie einlassen, die mehrere Kontinente und unzählige Völker beeinflusst hat, Menschen schon zu Lebzeiten fasziniert und verhasst zugleich war.

Es bleibt die Frage ob Russlands heutige “Zaren” von den Romanows gelernt haben? Für alle anderen lohnt sich eine genaue Betrachtung derer.

Autor:

Simon Jonathan Sebag Montefiore wurde am 27. Juni 1965 in London geboren und ist ein britischer Historiker, Moderator und Gewinner mehrmaliger Auszeichnungen für die Veröffentlichung geschichtlicher Sachbücher und Romane.

Er stammt aus einer jüdischen Familie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Russischen Zarenreich vor antijüdischen Progromen floh. Er studierte Geschichte am Gonville & Caius College in Cambridge und machte dort seinen Doktor in Philosophie.

Zugleich gewann er am College eine Ausstellung. Bevor er als Schriftsteller wirkte, arbeitete er als Bankangestellter, Jounalist und Korrespondent und tat sich durch seine Berichterstattung während des Zerfalls der Sowjetunion hervor.

2004 gewann er mit seiner Biografie “Stalin: Der rote Zar” die British Book Awards. neben zahlreichen Sachbüchern veröffentlichte er einige Romane. Er ist Mitglied der Royal Academy of Literature und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in London.

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Patrick Ness: Sieben Minuten nach Mitternacht

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Sieben Minuten nach Mitternacht Roman cbj Verlag Hardcover Seiten: 216 ISBN: 978-3-570-15374-1

Inhalt:
Das Monster tauchte kurz nach Mitternacht auf. Wie das bei Monstern eben üblich ist. Conor war wach, als es kam. Er hatte einen Albtraum gehabt. Na gut, nicht irgendeinen. Den Albtraum. Den einen, den er in letzter Zeit ziemlich oft hatte. Den mit der Finsternis und dem Wind und dem Schrei. Den mit den Händen, die er irgendwann nicht mehr festhalten konnte, egal, wie sehr er sich bemühte. Den, der immer damit endete, dass… (Klappentext)

Rezension:
Wenn man die Spreu vom Weizen trennt, bleibt von der ursprünglichen Menge nur ein kleiner Teil zurück. So ist es auch mit den zahlreichen Veröffentlichungen, die Jahr für Jahr den Büchermarkt erobern und gerade Patrick Ness ist hier mit einem wahrhaft faszinierenden und wunderschönen Juwel zu finden. “Sieben Minuten nach Mitternacht” ist eigentlich ein Kinder- oder frühes Jugendbuch, sprengt aber alle Altersgrenzen und kann ebenso gut von Erwachsenen gelesen werden. Zu Grunde liegt eine erschütternde und berührende Geschichte.

Die eines Jungen, der Angst vor der Angst hat, sich dieser zu stellen und daran zu zerbrechen. Die eines Monsters, welches Conor, so der Name des dreizehnjährigen Protagonisten, fordert und zugleich auf ihn achtet. Die, einer Familie, die schon längst am Boden liegt und die letzten Züge der Verzweiflung erlebt. Patrick Ness hat sich als Autor die undankbarste Aufgabe vorgenommen, das Werk eines anderen zu beenden.

Siobhan Dowd konnte ihre Geschichte, die schon in Entwürfen existierte, nicht mehr schreiben, da sie vorher von ihrer Krankheit besiegt wurde und so hat der Verlag Ness die Verantwortung übertragen, eine Geschichte zu schreiben, die Dowd gefallen hätte. Eine unmögliche Aufgabe, die in den falschen Händen gelegt, nur schiefgehen kann. Ness aber ist der Kunstgriff gelungen, seinen Respekt vor der Autorin mit seinen eigenen Ideen und schriftstellerischen Talent zu verbinden. das merkt man in jeder Zeile.

Jede Zeile, die uns den Protagonisten näher bringt und begleiten lässt auf den Weg zu seiner Wahrheit. Diese ist emotional und geht unglaublich nahe. Der Leser leidet mit Conor, dessen Charakter und Beklemmung. Schüchternheit und Angst wunderbar herausgearbeitet wurde. Ein Sympathie-Träger, mit den man weinen möchte, den man halten möchte. Man selbst stürzt jedoch mit ihm in die Abgründe der Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren. Vielleicht die größte persönliche Katastrophe, die man erleiden kann.

Der Autor zwingt mit seiner Geschichte, sich mit einer schwierigen Thematik auseinander zu setzen. Für Kinder, die dies lesen, gibt er Berührungspunkte, Erwachsene werden daran erinnert, dass man nie zu alt ist, sich vor diesen Moment zu fürchten. Eine Meisterleistung, ein unglaublicher Spagat.
Vollkommen aber machen die Zeichnungen Nesss’ bzw. Dowds Roman, den man, dank flüssiger Schreibweise und kurzer Kapitel sowie faszinierender Geschichte, nur so wegliest.

Schwarz-Weiß-Bilder, die mal wie Kohlezeichnungen wirken, mal wie Aquarelle mit modernen grafischen Elementen und alleine für sich besonders sind, die Seiten aber zu einem wahrlichen Eye-Catcher machen. Dieses Kleinod der Literatur sollte man schon besitzen, alleine um es im Regal zu haben. Wer aber eintaucht in die Geschichte, sich von den Zeichnungen vereinnahmen lässt, erlebt einen wunderbaren Roman, der es verdient hat, in Ehren gehalten zu werden.

Eine ernste Thematik so anspruchsvoll und dennoch nicht hochtrabend mit erhobenen Zeigefinger zu verarbeiten, ist hier gelungen. Zu viele andere Bücher aus diesem Bereich sind einfach nur schlechter. Eine Wohltat für den, der diesen Roman liest. Vielleicht sogar um sieben Minuten nach Mitternacht?

Autoren/Zeichner:
Siobhan Dowd wurde 1960 in London geboren und ging nach dem Abitur an die Universität Oxford, wo sie studierte. Danach arbeitete sie als Redakteurin für PEN International und als freischaffende Autorin. 2006 veröffentlichte sie ihren Debütroman, der mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Nach drei Jahren Krankheit verstarb Dowd 2007 an Brustkrebs.

Patrick Ness wurde 1971 in Alexandria, Virginia, geboren und ist ein amerikanisch-britischer Journalist und Schriftsteller.Er studierte Englische Literatur an der Universität von Südkalifornien und erstellte nach seinem Abschluss Gebrauchsanweisungen und Formschreiben für eine Kabelfirma. Seit 1999 lebt er in London und arbeitete seit dem an seinem ersten Roman. Er unterrichtete Kreatives Schreiben, arbeitete für eine Tageszeitung als Rezensent. 2014 hielt Ness eine vielbeachtete Rede zu den gesellschaftlichen Anforderungen für Autoren von Kinder- und Jugendliteratur, selbst veröffentlichte er Kurzgeschichten seit 1997.

Im Jahr 2011 vollendete er die Geschichte “Sieben Minuten nach Mitternacht” von Siobhan Dowd, die 2007 an Brustkrebs verstarb. Beide Autoren hatten sich nie getroffen, jedoch für den selben Herausgeber gearbeitet. Zum gleichnamigen Film, der 2017 erscheint, schrieb er das Drehbuch. Für seine Werke erhielt er zahlreiche Auszeichnungen.

Jim Kay illustriert seit 2015 die Bücher der Harry-Potter-Reihe und arbeitet darüber hinaus für Film, Verlage und Fernsehen.

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Federico Axat: Die Verwandlung des Schmetterlings

Die Verwandlung des Schmetterlings Book Cover
Die Verwandlung des Schmetterlings Federico Axat Rezensionsexemplar/Roman Verlag LangenMüller Hardcover Seiten: 480 ISBN: 978-3-7844-3399-8

Handlung:
Sam und Billy freune sich auf den langen Sommer: Der Bau ihres Baumhauses und ausgedehnte Fahrradtouren stehen auf den Plan. Doch plötzlich zieht ein neues Mädchen in die Nachbarschaft und mischt ihre Freundschaft gehörig auf – aus dem Duo wird ein Trio.

Gemeinsam wollen sie nicht nur die Ferien genießen, sondern auch Abenteuer erleben und ein großes Geheimnis aufdecken: Was geschah vor über zehn Jahren, als Sams Mutter nach einem Autounfall spurlos verschwand? Für Sam, Miranda und Billy ist es der Sommer ihres Lebens und das Ende ihrer Kindheit. (Klappentext)

Rezension:
Geschichten über die Sommer einer Kindheit funktionieren, da sie immer nachvollzieh- und greifbar sind. Jeder erinnert sich an bestimmte Zeiten gern oder zumindest klar und deutlich zurück, besonders wenn diese voller scheinbarer Abenteuer und interessanten Entdeckungen, spannenden Ereignissen verbunden sind.

Und gerade Sam ist es, der jedes Jahr in das Dorf zurückkehrt, in dem er aufgewachsen ist uind gedanklich diese Zeit durchlebt. Gedanklich geht der Leser mit dem zwölfjährigen Ich des Protagonisten auf diese Reise und erlebt dieses Spannende, Unerklärliche, Faszinierende und Gefährliche. Danach ist für Sam nichts mehr wie zuvor.

Federico Axat zeichnet eine zu Beginn sehr spannende Geschichte mit bekannten Elementen, die auch schon bei Filmen wie “Stand by me” zum Erfolg führten. Alleine, es passiert nicht viel, muss es auch nicht. Der Stein der Handlung kommt trotzdem schnell ins Rollen.

Auch an die Zeitsprünge gewöhnt man sich nach einigen Hin und Her, vorausgesetzt natürlich einer gewissen Konzentration. Die benötigt der Leser auch.

Zu sprunghaft agieren die Protagonisten, die sich charakterlich klar in Schwarz und Weiss einteilen lassen, soweit man das von Kindern schon behaupten kann und damit auch klar als Sympathieträger wirken oder eben auch nicht.
Doch, der Leser stolpert immer wieder und kann sich nur schwer daran festhalten. Zu stark die Schnitte, die Wechsel zwischen den Abschnitten und Kapiteln, von Logikfehlern einmal ganz abgesehen.

Dennoch fällt dieses Buch keineswegs in die Abgründe der nicht lesenswerten Bücher, da es der Autor immer wieder schafft, spannungsgeladene Elemente aus der Sicht sams immer dann einzusetzen, wenn beim Leser die Stimmung zu kippen droht.

Besonders im letzten Drittel klappt das ganz gut, wobei man sich unwillkürlich fragt, wie sich der Roman wohl im Original lesen lässt? Wie viel Schuld trägt die Übersetzung an die Mittelmäßigkeit des Buches oder kaschiert sie vielleicht auch noch schlimmeres?

Fragen, die einem Sprachunkundigen bleiben werden

Trotzdem hat die Geschichte es geschafft, mich bei Stange zu halten und Sams Abenteuer bis zum Ende zu verfolgen. Kein großer literarischer Wurf, wie schon geschrieben aber als Kindheitserinnerungsgverarbeitungsgeschichte (Was für ein Wort? Wie viele Punkte gibt das bei Scrabble?) taugt es allemal, was aber am Aufbau und der Thematik allgemein liegt. Wem das aber nicht ausreichend ist, wird wohl enttäuscht werden.

Autor:
Federico Axat wurde 1975 in Buenos Aires geboren. Seine Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. “Die Verwandlung des Schmetterlings” ist sein erstes Werk, das in Deutschland erscheint. Seine Romane spielen vor allem in den USA, die für einige Jahre seine Wahlheimat waren. Heute lebt er wieder in Argentinien.

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Raquel J. Palacio: Wunder

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Wunder Raquel J. Palacio Hanser Erschienen am: 28.01.2013 Seiten: 447 ISBN: 978-3-423-62589-0 Übersetzer: Andre Mumot

Inhalt:

August ist zehn Jahre alt und lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester Via in New York. August ist schlagfertig, witzig und sensibel. Eigentlich könnte also alles ganz normal sein in seinem Leben. Doch eines trennt August von seinen Altersgenossen: Sein Gesicht ist entstellt, und unzählige Operationen hat er schon über sich ergehen lassen müssen.

Das ist auch der Grund, warum er noch nie auf einer öffentlichen Schule war und bisher zu Hause unterrichtet wurde. Das neue Jahr aber soll alles ändern. August wird in die fünfte Klasse der Bezirksschule gehen, und natürlich hat er Angst.

Angst davor, angestarrt und ausgegrenzt zu werden. Doch August wäre nicht August, würde er nicht auch diese Herausforderung mit Bravour meistern! (Verlagstext)

Rezension:

In der heutigen Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, in der Äußerlichkeiten an Bedeutung gewinnen und innere Werte ebenso verlieren, haben es Außenseiter schwer. Egal, ob ihrer Charakterzüge oder eben ihres Aussehns geschuldet, wer von der Norm abweicht wird ausgegrenzt und gemieden.

Um so wohltuender ist es, wenn dieses Thema aufgegriffen und behutsam aufgegriffen wird und den Lesern der Spiegel vorgehalten wird. Raquel J. Palacio hat dies getan und lässt uns Auggie, einen intelligenten, witzigen und gutmütigen Zehnjährigen begleiten, der nur einen Fehler hat.

Ein entstelltes Gesicht. Gendefekt und Geburtsfehler. Unzählige Operationen und Krankenhausaufenthaltehinter sich, muss er nun sich seiner psychologisch größten Herausforderung stellen.

Auggie soll die reguläre Schule besuchen und muss so Menschen gegenüber treten, die ihn aufgrund seines Äußeren im Allgemeinen meiden. Ein Spießrutenlauf beginnt, doch für seine Mitschüler wird der Sonderling bald seinen Schrecken verlieren und immer mehr findet Auggie Zugang zu seiner Klasse.

Der Hauptprotagonist, ein Sonderling, läd uns ein, seine Sicht auf die Welt zu erleben. Und die Freunde, und Familie, ihre Sicht auf ihn. Flüssig geschrieben sorgen die Perspektivwechsel der unterschiedlichen Protagonisten für eine abwechslungsreiche, berührende und einfach schöne Geschichte. Allein, es passiert nicht viel.

Einer der Romane, in denen weniger mehr ist Die üblichen Klassenkämpfe, Mobbing, Familienzwists und überholten gesellschaftlichen Standesdünkel kommen hier zur Sprache. Ganz normaler Alltag halt im Leben eines Zehnjährigen, wie es tatsächlich ablaufen könnte.

Mit solch einem Gesicht, mit solch einem Schicksal und dem Mut, allen Ansichten und Hindernissen entgegenzutreten.

Wer einmal in die Geschichte versinkt, wird so schnell nicht wieder auftauchen und sich in die einzelnen Protagonisten verlieben. Dabei stellt sich die Frage, wie vorurteilsfrei wir eigentlich sind? Welche Berührungsängste haben wir im Umgang mit körperlich (trifft auf Auggie zu) oder geistig (trifft hier nicht zu) Behinderten?

Und sollten wir diese nicht versuchen, über Bord zu werfen? Raquel J. Palacio stößt diesen Denkprozess an und fordert auf, nicht nur hinzusehen, sondern aufeinanderzu zu gehen, wenn auch ihr Ende ein wenig zu glatt wirkt.

Damit die Auggies in unserer Gesellschaft auf Augenhöhe gleichwertig gestellt sind. Geben wir ihnen diese Möglichkeit.

Autorin:

Raquel J. Palacio ist eine US-amerikanische Verlegerin, Schriftstellerin und Gestalterin für Buchcover. Der Name dabei ist ein Pseudonym ihres eigentlichen Namens Raquel Jaramillo, mit dem sie bis 2012 veröffentlichte.. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und arbeitet in New York.

2012 erschien ihr Buch “Wonder”, welches ein Jahr später ins Deutsche übersetzt wurde. Seit 2006 arbeitet sie in verschiedenen Positionen für den Verlag Workman und war 2013 Jurymitglied beim Internationalen Literaturfestival in Berlin für die Auszeichnung des außergwöhnlichsten Buches des Kinder- und Jugendprogramms. Das Jugendbuch “Wunder” wurde verfilmt.

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Francois Durpaire: Die Präsidentin

Die Präsidentin Book Cover
Die Präsidentin Francois Durpaire (Autor) Graphic Novel Verlag: Jacoby Stuart Hardcover Seiten: 160 ISBN: 978-3-946593-12-6

Handlung:

Niemand soll sagen können, er habe davon nichts gewusst.

In seiner Graphic Novel schildert François Durpaire die ersten 200 Tage von Marine Le Pen im Elysée-Palast, nachdem sie am 7. Mai 2017 in der Stichwahl gewonnen hat. Sie geht sofort ans Werk: 1. Rückkehr zum Franc; 2. NATO-Ausstieg; 3. Schließung der Grenzen; 4. sofortige Ausweisung aller »illegalen« Ausländer; 5. Arbeitsplätze nur noch für Franzosen; 6. Finanzielle Austrocknung der öffentlich-rechtlichen Sender.

Die Folgen sechs Monate nach Le Pens Amtsantritt: Ausländische Investoren meiden das Land, die Kaufkraft ist eingebrochen, die Arbeitslosigkeit in die Höhe geschnellt, und alle Bürger werden vom Geheimdienst bespitzelt … François Durpaire betont: »Ich als Historiker weiß, dass autoritäre Parteien eher dazu neigen, ihre Radikalität im Wahlkampf zu verbergen.

Um ihr dann, einmal im Amt, freien Lauf zu lassen.« Im Europa von heute bliebe eine derartige Entwicklung eines Landes nicht ohne Folgen für die anderen Nationen. Und als wäre das nicht genug, ist dieses Schreckensszenario nicht nur in Frankreich denkbar – ein hochaktuelles Buch für ganz Europa. (Verlagstext)

Das deutsche Vorwort stammt von Ulrich Wickert.

Zeichnungen:

Bis auf das farbige Cover sind alle Zeichnungen in Schwarz-Weiß-Ton gehalten. Dabei wechselt das Format der einzelnen Zeichnungen und die Menge der abgebildeten Szenen je nach Brisanz, Schärfe und gezeigter Situation. Die Schrift ist teils sehr klein gehalten. Viel Text ergänzt die Schärfe der Thematik,

Einordnung:

Dies ist der erste Teil einer Reihe. Der zweite wurde bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Rezension:

Der Front National galt lange Zeit als abschreckendes Beispiel, doch rechte und populistische Parteien sind überall in Europa auf den Vormarsch. Während Michel Houllebecq mit seinem Roman “Unterwerfung” das Szenario der Machtübernahme eines muslimischen Präsidenten vorweg nimmt, zeigen Francois Durpaire und Farid Boudjellal die für Frankreich realere Gefahr.

Die Wahl Marine Le Pens zur Präsidentin der Republik. Komplett düster gehalten, in Schwarz-Weiss-Grau, beobachtet der Leser eine Familie von Immigranten, die fassungslos die Verkündung der Ergebnisse der Wahlen vor dem Fernseher verfolgt und darauf beschließt, politisch aktiv zu werden.

Nicht, wie einst die Großmutter in der Bewegung der Resistence mit dem Gewehr, sondern mit der Macht des Wortes. Sie schreiben einen Blog, wissend um die drohende Gefahr, denn Marine Le Pen lässt ihrem Wahlkampf Taten folgen. Taten, die nicht nur für Frankreich, sondern auch für Tariq, Stephane und ihre Freunde Folgen haben werden.

Das Parteiprogramm des Front National analysierend, haben der Historiker und der Zeichner ein faszinierend erschreckendes Portrait dessen geschaffen, was mit Frankreich passiert, wenn es Le Pen und ihrer Partei gelingt, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen den Sieg zu erringen.

Der Austritt aus EU; Euro und NATO sind da noch die geringsten Punkte, viel schlimmer werden die Auswirkungen für die Wirtschaft und die Freiheit der Franzosen sein. Der Dreiklang Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit wird umgekehrt in ein totalitäres System, dessen Grausamkeiten sich wie ein Damokles-Schwert über die Republik erheben und bald nicht nur Immigranten in den Abgrund reißen.

So realitätsnah, wie möglich, beschrieben, zeigt dieses Comic noch viel besser, was nicht nur mit Frankreich, sondern auch in jedem anderen Land Europas passiert, wenn nicht nur Euro-Skeptiker sondern gleich die Rechten die Macht erlangen.

So könnte Marine Le Pen durchaus ersetzt werden, durch eine nicht näher genannte AfD-Politikerin und Frankreich durch Deutschland. Der Effekt wäre gleich. Eine Graphic Novel als letztes Mahnmal, zumindest seine Leser, nachdenklich zu stimmen und über die nächsten anstehenden politischen Wahlen nachzudenken.

Denn, wenn sich dieses Szenario bewahrheitet, könnten es die letzten sein, die einigermaßen geordnet und demokratisch im Mutterland der modernen Demokratie ablaufen werden. Doch, FN-Wähler werden die beiden wohl nicht erreichen, hoffentlich jedoch ein paar Nichtwähler, deren Nichtstimmen sonst den Rechten in die Hände spielen würden.

Denn am Ende gilt es, nicht nur mit Federstrich und Texten einen Wahlsieg der Populisten zu verhindern, sondern ihre Vorstellungen zu verhindern Wirklichkeit werden zu lassen. Am Ende der Geschichte, auf deren Fortsetzung wir in Deutschland, noch warten müssen, steht nicht nur Frankreich vor einem Scherbenhaufen, sondern auch Le Pen selbst. Das Szenario weiter gesponnen, so darf man erwarten, wird in der Fortsetzung jedoch nicht besser.

Ein erschreckendes gut gezeichnetes Szenario, im doppelten Sinne, welches auf- und wachrütteln kann und dies auch soll. Grundlage alleine, eine Analyse der Auswirkungen des Parteiprogrammes der franzöischen Rechten, wenn diese es umsetzen.

Das kann und darf niemand wollen, weshalb es nahezu Pflicht ist, sich mit den Alternativen zu beschäftigen, die allesamt besser sind als das, was uns erwartet. Nicht nur in Frankreich, sondern eben überall. Für Leser mit Brille mag es auf Dauer anstrengend sein, die Winzschrift von Text zu verfolgen (es ist derer viel), die detaillierten harten Zeichnungen entbehren jeder Freundlichkeit eines normalen Comics.

Doch lohnt es sich in die Handlung einzutauchen um eine solche zu verhindern.

Autor:

Francois Durpaire wurde am 14. August 1971 in Wien geboren und ist promovierter Historiker. Sein Spezialgebiet ist Bildung und kulturelle Vielfalt der Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich. Zu diesen Themen berät er regelmäßig Rundfunk- und Fernsehsender.

Seit 2013 ist er Dozent für Erziehungswissenschaften an der Universität Cergy-Pontoise, vorher veröffentlichte er zusammen mit Olivier Richomme eine der ersten nicht-englischsprachigen Biografien über US-Präsident Obama, dessen Sieg er in Frankreich als eine der ersten Kommentatoren voraussagte.

Von 2009 bis 2016 war er Mitglied des Nationalen Komitees Frankreichs zur Erinnerung an die Geschichte der Sklaverei. 2013 unterstützte er zudem eine Initiative von Immigranten für das Erlangen von Wahlrechten in Frankreich, ein Jahr zuvor die Präsidentschaftskampagne von Aurelien Tricot.

Zeichner:

Farid Boudjellal wurde 1953 in Toulon geboren und ist ein französischer Comicautor und Zeichner. Er stammt aus einer algerischstämmigen Familie, wuchs aber in Südfrankreich auf. Mit acht Jahren erkrankte er an Kinderlähmung.

Nach Schule und Universität veröffentlichte er 1978 erstmals Comicstrips in verschiedenen Magazinen, worauf bald sein erstes Album erschien. Seine hauptthemen sind Migration, Behinderungen und der Nahostkonflikt. In Deutschland verwendete Henryk M. Broder eines seiner Zeichnungen als Cover für “Die Irren von Zion”.

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Simon Lelic: Das Kind, das tötet

Das Kind, das tötet Book Cover
Das Kind, das tötet Simon Lelic Droemer Erschienen am: 01.08.2013 Seiten: 350 ISBN: 978-3-426-19943-5

Inhalt:

Leo Curtice scheint das große Los gezogen zu haben. Der bisher wenig erfolgreiche Anwalt wird Pflichtverteidiger in einem spektakulären Fall: Ein erst zwölfjähriger Junge hat auf brutale Weise eine Elfjährige ermordet.

Wider Erwarten packt Leo der Ehrgeiz, dem Jungen wirklich helfen zu wollen. Doch er rechnet nicht mit der Hexenjagd, die nun beginnt. Und dann kommt es zur Katastrophe, die sein Leben auf immer verändern wird. (Klappentext)

Rezension:

Daniel Blake ist zwölf Jahre alt, unnahbar und Störenfried par excellence. Von mehreren Schulen geflogen, aus einer schwierigen Familie kommend, steht er nun vor den Scherbenhaufen seiner größten und widerwärtigsten Tat. Der Junge hat Blut an seinen Händen, ein ein Jahr jüngeres Mädchen ermordet.

Und Leo wird sein Pflichtverteidiger. Ein Fall, bei dem es für seinen Mandanten nichts zu gewinnen, für seine Karriere schon (oder alles zu Verlieren) gibt. Er nimmt die Herausforderung an, ihn packt der Ehrgeiz. Doch der Weg zu den Jungen führt geradewegs in die Katastrophe.

Es ist eine der großen Fragen der Gesellschaft, die immer wieder auftaucht, wenn einmal mehr ein schrecklicher Fall von Jugendgewalt an die Oberfläche dringt. Für welche Taten ist welche Strafe angemessen? Verdienen Täter, so jung sie auch sind, eine gute Verteidigung?

Wie sieht es mit ihrer Behandlung im Strafvollzug und Einrichtungen für jugendliche Kriminelle aus? Wie soll man mit ihnen umgehen, vor Gericht und auch danach? Wo liegt die Altersgrenze, sollte man diese herabsetzen, um junge Täter zu verurteilen? Und, sind nicht mindestens zwei Leben zerstört, durch eine begangene Tat? Das Leben vom Opfer und Täter?

Der Brite Simon Lelic wirft diese Fragen in den Raum und stellt sie im Rahmen eines interessant geschriebenen Romanes zur Diskussion. Ohne dabei allzu sehr sich in die Hintergründe des Täters oder dem Verhandlungsszenario, ja selbst in die Gedankengänge des Täters zu stürzen.

Hauptfigur ist der einzige wirkliche Sympathieträger Leo Curtice, Rechtsanwalt. Er, der anfangs nur seinen Job machen möchte, ordentlich und gründlich, später von der Brisanz des Falles jedoch überollt wird. Wobei nicht nur er zu Schaden kommt.

Man bekommt Mitleid mit ihm, kommt ins Zweifeln ob der gesetzlichen Regelungen, die derzeit gelten.

Wobei natürlich der Unterschied zum festlandeuropäischen Rechtsverständnis auszumachen ist. Im anglikanischen Raum stellt man den Täter an den Pranger, versucht nicht Ursachen zu finden um diese zu beseitigen, zu resozialisieren.

Der Leser wird am Ende des Romans alleine gelassen. Die Fragen sind nicht vollständig geklärt, das muss man selbstständig tun. Eine perfekte vollständige Lösung gibt es nicht. Nicht für Daniel, Leo, dem Opfer oder irgendjemanden.

Doch, die Gesellschaft muss immer wieder gezwungen werden, darüber nachzudenken. Wenn Simon Lelic dies mit seinem Roman erreicht, ist schon ein gewaltiger Schritt getan. Packend, unblutig und zum Nachdenken anregend, eine gesellschaftliche Frage anstoßend, das sind Simon Lelics Bücher, die unter die Haut gehen.

Hin- und hergerissen wird man die Geschichte verfolgen, empfindet mal für die eine, dann wieder für die andere Seite Sympathie. In wenigen Zeilen eine Grundsatzdiskussion anregend, die es zu führen gilt. Großartig.

Nur hat die Geschichten einige Längen dort, wo man sie nicht braucht. Anderswo fehlen Ausführungen, wo man sie sich wünschen würde.

Hundert bis zweihundert Seiten mehr, auch mehr Perspektivwechsel, hätten dem Roman gut getan, doch Lelic steht fast noch am Anfang seiner schriftstellerischen Karriere, von der sich der Leser nur wünschen kann, dass der Brite sie ausbaut.

Nach “Ein toter Lehrer” und “Das Kind das tötet” darf man gespannt sein, welches brisante Thema der Autor als nächstes anpackt. Wahrscheinlich wird es sich wieder lohnen.

Autor:

Simon Lelic wurde 1976 in Brighton geboren und lebt dort mit seiner Familie. Er studierte nach der Schule Geschichte und arbeitete als Journalist.

Der Brite leitet eine exportfirma und schreibt nebenher Romane. In seinem Heimatland wurde das Debüt “Ein toter Lehrer” 2010 veröffentlicht und bekam zahlreiche Preise und Nominierungen. 2013 wurde sein Roman “Das Kind das tötet” in Deutschland veröffentlicht.

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