Zweiter Weltkrieg

Christian Hardinghaus: Die Spionin der Charite

Die Spionin der Charite Book Cover
Die Spionin der Charite Christian Hardinghaus Europaverlag Erschienen am: 08.02.2019 Seiten: 240 ISBN: 978-3-95890-237-4

Inhalt:

Lily Kolbe, ehemalige Sekretärin des weltbekannten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch zerreißt wütend die Zeitung, als erneut an das Hitler-Attentat und den Widerstand um Stauffenberg erinnert wird, die Welt aber nichts vom Widerstand einer kleinen Gruppe bekannt ist, die sich innerhalb der Berliner Charite zu Kriegszeiten gebildet hatte.

Die acht Mitglieder hatten sich geschworen, ihre Aktionen geheim zu halten, doch jetzt will Lily ihr Schweigen brechen. Sie wendet sich an Eddie Bauer, einem Journalisten, erzählt ihre Geschichte, und bringt damit einen Stein ins rollen, der die Geister der Vergangenheit weckt. Plötzlich wird Lily von längst vergessenen Feinden bedroht, auch der Journalist verhält sich merkwürdig. Wen kann sie noch trauen? (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Es liegt in der Natur der Sache, dass ich mich schwer tue, wenn historischer Stoff ins Fiktionale übersetzt wird und aus wahren Begebenheiten eine Geschichte gestrickt wird. Tatsächlich bin ich jetzt kein Fan von historischen Romanen, zumal, wenn ich die Hintergründe der wahren Begebenheit kenne.

In sofern war es ein Fehler, das Sachbuch zur Thematik zuerst gelesen zu haben und erst dann den Roman, dennoch liegt mit „Der Spionin der Charite“ von Christian Hardinghaus im Europaverlag nun ein würdiges Äquivalent zum Sachbuch vor, welches der gleiche Autor über den Chirurgen der Charite, Ferdinand Sauerbruch, geschrieben hat.

Der Handlungsort des Romans ist dann auch im Wesentlichen die berühmte Klinik selbst, doch zunächst geht es etwas weniger weit zurück in die Vergangenheit. Der Leser erlebt Lily Kolbe, als wiederholt über das Attentat des 20. Juli 1994 berichtet wird. Es ist Jahrestag des selben und die ehemalige Sekretärin des oben erwähnten Chirurgen ärgert sich darüber, dass niemand vom ebenso mutigen Widerstand der Mitarbeiter der Klinik weiß.

Natürlich selbst schuld, da sich die Mitglieder des kleinen „Donnerstagclub“ geschworen hatten, niemanden etwas von ihren Aktionen zu sagen, doch in Lily brodelt es. Sie beschließt, den Journalisten Eddie Bauer zu kontaktieren und ihm ihre Geschichte zu erzählen. Doch, die Vergangenheit holt sie schneller ein als ihr lieb ist. Bald weiß sie nicht mehr, wen sie noch trauen kann. Auch Bauer verhält sich zunehmend merkwürdig.

Dies ist das Grundgerüst der Geschichte, die in größeren Abständen zwischen den Zeiträumen und damit auch der Handlungsebene wechselt. Mehr sei zum Inhalt jedoch auch nicht verraten. In kurzweilig einschlägigen Kapiteln schreitet die Handlung voran. Erst langsam, dann mit zunehmenden Tempo. Die Hauptprotagonistin gewinnt mit zunehmender Seitenzahl an Tiefe. Wahrheit und fiktion wurden hier, Zeile für Zeile, gekonnt miteinander verwoben.

Die Wendung zum Ende hin ist logisch, erfolgt aber gefühlt etwas zu abrupt. Das funktioniert, wenn man das Sachbuch „Ferdinand Sauerbruch und die Charite – Operationen gegen Hitler“ noch nicht gelesen und sich allgemein mit der Geschichte zu wenig beschäftigt hat. Anderenfalls verliert sich ein wenig die Wirkung, die der Autor erzielen wollte.

Hier hätten der Geschichte noch zwanzig bis fünfzig Seiten mehr gut getan, um die Lücke zu füllen, was aber durchaus anders sein kann, wenn man zuerst dieses Werk und dann das Sachbuch liest. Diesen kleinen Abstrich muss ich hier machen, kann jedoch ansonsten eine Empfehlung aussprechen für die, die gerne neuzeithistorische Romane lesen und etwas über ein wenig bekannteres Kapitel der deutschen Geschichte erfahren bzw. sich erst einmal da herantasten möchten. Es funktioniert.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

Christian Hardinghaus: Die Spionin der Charite Weiterlesen »

Christian Hardinghaus: Ferdinand Sauerbruch und die Charite

Ferdinand Sauerbruch und die Charite Book Cover
Ferdinand Sauerbruch und die Charite Christian Hardinghaus Europaverlag Erschienen am: 08.02.2019 Seiten: 234 ISBN: 978-3-95890-236-7

Inhalt:

Ungeachtet seiner medizinischen Verdienste zählt Ferdinand Sauerbruch zu den umstrittensten Ärzten des letzten Jahrhunderts. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte ein fast heroisches Bild des Menschen und Mediziners, der ab 1928 als Professor für Chirugie an der Berliner Charite arbeitete. Dafür gesorgt hat er teilwesie selbst, doch seit Beginn unseres Jahrhunderts wird der Blick zunehmend kritischer.

Sympathie, ja sogar Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten, wirft man dem Chirugen vor. Christian Hardinghaus begab sich auf Spurensuche und recherchierte. Herausgekommen dabei ist die erste umfassende Biografie dieses Arztes. Quellen belegen seinen Einsatz für Juden und andere politisch Verfolgte und Sauerbruchs Unterstützung des Widerstands gegen Hitler. Der Mediziner Ferdinand Sauerbruch muss neu bewertet werden. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Das berühmteste und bekannteste Krankenhaus Deutschlands, die Charite, hat eine lange und wechselhafte Geschichte vorzuweisen, die immer wieder auch medizinische Standards setzte und bedeutende Ärzte und Forscher hervorbrachte. Zu den Bekannteren unter ihnen gehört nicht zuletzt Ferdinand Sauerbruch, der in den 1930er Jahren dort als Chirug arbeitete und dessen Ruf ihn vorauseilte.

Doch, war er wirklich der „Halbgott in Weiß“, als der er in einer mit Hilfe eines Ghostwriters geschriebenen Biografie dargestellt wurde oder eher ein Kollaborateur der Nazis, wie ihn spätere Berichte nannten? Der Journalist und Autor Christian Sauerbruch begab sich auf Spurensuche. Herausgekommen dabei ist eine umfassende, alle Aspekte beleuchtende, Biografie.

Der Autor beginnt bewusst nicht mit der Geschichte Sauerbruchs selbst, sondern stellt zunächst in Kurzform die des Krankenhauses vor, was erklärt, warum die Charite später die Bedeutung erlangen konnte, die sie noch heute inne hat. Erst dann widmet sich Hardinghaus den Privat- und Berufsmenschen Sauerbruch und beschreibt, gestützt auf Tagebücher, niedergeschriebene Augenzeugenberichte und Archivmaterial, minutiös den Aufstieg und Werdegang eines Schülers zum Studenten, bis hin zum später bedeutenden Arzt.

Seine Genialität, die ihm half, medizinische Unterdruckkammern zu entwickeln, mit denen erstmals Operationen am offenen Brustkorb möglich wurden, wird ebenso beleuchtet, wie die eigene Entwicklung von protesen für Geschädigte des Ersten Weltkrieges, aber auch außergewöhnliche medizinische maßnahmen, die landesweit Aufsehen erregten.

Der Autor geht dabei sehr tief ins Detail und beleuchtet diese, wie auch die persönliche, etwas schwierigere Seite eines Mannes, den später vor allem in drei Punkten seines Lebens Anschuldigungen treffen sollten, die den Ruf des Mediziners auseinander nahmen.

Doch, was ist an den Kritikpunkten dran, auch dies verliert der Autor nicht aus den Blick. Jeder einzelne wird beleuchtet, Hintergründe erklärt und im Spiegel des Zeitgeschehens und dem, was wir heute wissen, beleuchtet.

Herausgekommen ist eine lesenswerte und vor allem kurzweilige Biografie, die ein differenziertes Bild auf einen Mediziner ermöglicht, dessen Wirken auch in Kriegszeiten weit über die Grenzen Deutschlands Beachtung fand, ihn und die direkt mit ihn in Kontakt Gestandenen schützten und vor allem ein Stück Berliner Personengeschichte, die nicht vergessen werden sollte.

Anhand von Augenzeugenberichten, Tagebucheinträgen und Archivmaterial, aufgelockert durch Fotografien und Skizzen, etwa medizinischer Apparaturen, ist ein bedeutendes Stück Medizingeschichte zu lesen. Selbst für medizinische Laien.

Der Schreibstil von Hardinghaus packt wie in einem Roman, nur dass mit „Ferdinand Sauerbruch und die Charite“ fast ein literarisches Sachbuch vorliegt. Wobei das Sachbuch eindeutig überwiegt. Die Recherchearbeit merkt man dabei auf jeder einzelnen Seite, das wirkliche Interesse, die Person zu ergründen, ebenso.

Der Autor zeigt einen Mann zwischen Berufsethos, Anpassung und Widerstandsgeist, Genie und Wahnsinn und einen besonderen Menschen in besonderer Zeit, der sich für nicht besonders hielt, seiner Wirkung aber bewusst war. Skalpell bitte.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

Christian Hardinghaus: Ferdinand Sauerbruch und die Charite Weiterlesen »

Andre Francois-Poncet: Botschafter in Berlin 1931-1938 (1)

Botschafter in Berlin 1931-1938 Book Cover
Botschafter in Berlin 1931-1938 Andre Francois-Poncet
Buchserie: Teil 1
Europaverlag Erschienen am: 21.09.2018 (Neuauflage) Hardcover ISBN: 978-3-95890-224-4

Inhalt:

Andre Francois-Poncet war seinerzeit der dienstälteste und erfahrenste Diplomat und Botschafter im Deutschen Reich, der den Aufstieg der Nazis in Berlin beobachtete und für sein Land analysierte.

Von 1931 an schrieb er regelmäßig Telegramme und schickte Berichte an das französische Außenministerium, konferierte mit Nazi-Größen und stellt im ersten Teil seiner Erinnerungen dar, wie Rechtstaatlichkeit und Demokratie unterwandert und ausgehölt wurden, wie der politische Quereinsteiger Hitler zum mächtigsten Mann werden sollte, der Europa und die Welt in den Abgrund stürzte.

Von der Machtergreifung bis zum letzten Aufbäumen des Friedens, der Konferenz von München, skizziert Francois-Poncet die deutsche Politik der 1930er Jahre. ihre Wirkung im Inneren und auf das Ausland. (eigene Inhaltsangabe)

Bücher der Reihe:

Andre Francois-Poncet: Botschafter in Berlin 1931-1938 (1)

Andre Francois-Poncet: Von Versailles bis Potsdam (2)

Andre Francois-Poncet: Tagebuch eines Gefangenen (3)

[Einklappen]

Rezension:
Von vielen Seiten ist sie bereits beschrieben worden und wird auch immer noch beleuchtet werden, die deutsche Geschichte in wundersamen aber grausamen Zeiten.

Grausam, weil nur wenige Zeitgenossen ernstnahmen, was ihre Schlächter laut verkündeten, einige hießen die Vorhaben sogar gut, wundersam, weil sich nicht wenige die Augen rieben ob der neuen Töne, die im Regierungsviertel Berlins der 1930er Jahre herrschten. Dies nun sind die neu aufgelegten Erinnerungen des wohl erfahrensten Diplomaten jener Zeit, des französischen Botschafters Andre Fracois-Poncet 1931-1938.

Neu verlegt im Europaverlag öffnen sich dem Leser die Türen des diplomatischen Parketts und er erfährt, welche Hürden die Politik des Auslands im Umgang mit den neuen Machthabern des Deutschen Reiches zu nehmen hatten, woran sie schließlich scheitern sollten.

Zwei Jahre nach Kriegsende in Frankreich erstmals erschienen, ein wenig später auch dort, was von Deutschland übrig geblieben war, erzählt Francois-Poncet, wie er erstaunt die Erosion der Rechtstaatlichkeit und demokratie zur Kenntnis nehmen musste und welche Schwierigkeiten sich ergaben, erkannten die neuen Machthaber gültige Verträge nur scheinbar an, nutzten Hintertürchen und spielten mit falschen Karten, um In- und Ausland immer wieder vor vollendete Tatsachen zu stellen, die in den Abgrund führen sollten.

Detailliert schildert der ehemalige Botschafter Begegnungen mit Nazi-größen von Göring bis Hitler, beschreibt die brodelnde Stimmung auf den Straßen Berlins und die Vorgänge des Notenaustausches zwischen den Alliierten des Ersten Weltkrieges, die nicht an einem Strang zogen und somit die Tore öffneten, für das politsche Va banque Spiel, welches die Nazis auszureizen wussten.

Pointiert beschreibt der Autor die Entmachtung der Weimarer Demokratie, die Vorgänge zur Machtsicherung um den Röhm-Putsch und schildert, welch politische Hektik dem Austritt deutschlands aus den Völkerbund oder dem Ende von Locarno voraus gingen.

Bishin zum letzten Aufbäumen, der Münchener Konferenz, gelingt so ein Blick hinter die Kulissen und abseits des Geschichtsunterricht bekommt der Leser ein Gefühl dafür, wie aufwendig und fragil es war, mit den Nazis Politik zu machen, die dann doch nicht halten sollte.

Im Gegensatz zu seinen privaten Erinnerungen „Tagebuch eines Gefangenen“, die später veröffentlicht wurden, ist hier der Ton lt. des Herausgebers Thomas Gayda sehr diplomatisch gehalten, eben so, wie Francois-Poncet die Mehrheit der Deutschen, deren Kultur er schätzte, verstand.

Um so größer wirkt die Erschütterung, die der Autor durchblicken lässt, resultierend aus unerhörten Ereignissen in unerhörten Tagen. Dem kann man sich als Leser kaum entziehen. Die Sogwirkung solcher Zeitzeugenberichte ist einfach zu groß und gerade darin liegt der Wert des Berichts, zumal hier eben mal eine ganz andere Draufsicht, die französische, als die bekanntere Sicht deutscher Zeitzeugen oder die amerikanischer und britischer Historiker, zum Tragen kommt.

Das funktioniert auch heute noch. Ja, vielleicht sogar besonders gut, wo sich wieder eine Partei in Deutschland anschickt, demokratische und rechtstaatliche Werte auszuhöhlen.

Francois-Poncet hätte die Parallelen mit Sicherheit gesehen und davor gewarnt und so ist „Botschafter in Berlin 1931-1938“ ein hoch politisches und aktuelles Dokument, welches ernstgenommen werden muss. Zu viel steht auf den Spiel.

Ein gut lesbarer und erschütternder Bericht, über das, was damals niemand wahrhaben wollte, auch im benachbarten Ausland nicht und eine Analyse dessen, wie schnell die demokratischen Fundamente von Weimar unter den willfährigen Händen der Nazis und ihrer Gönner zerbröselten, die später die Deutschen mitsamt ihrer neuen Führungsriege in den Abgrund stürzen sollten.

Der Diplomat Andre Francois-Poncet, der später wieder an die Deutschen glauben und einer der ersten befürworter einer Verständigung nach dem Krieg gewesen ist, beschreibt klar die internen und von außen sichtbaren Vorgänge und setzte sich ein Denk- und den Deutschen ein Mahnmal.

Es bleibt diesen überlassen, es heute wieder anzunehmen. Europas und Deutschlands Frieden wäre es zu wünschen.

Autor:
Andre Francois-Poncet wurde 1887 in Frankreich geboren und war Germanist, Politiker und Diplomat, französischer Botschafter in Berlin und später in Rom. Nach dem Krieg begleitete er den Posten des französischen Hohen Kommissars in Deutschland von 1949-1955.

Er wurde 1943 von den Deutschen verhaftet. Nach der Befreiung begleitete er verschiedene diplomatische Posten und fungierte als Präsident des Französischen Roten Kreuzes 1955-1967, ab 1960 als Präsident des Rats der Europäischen Bewegung. Er starb 1978 in Paris.

Andre Francois-Poncet: Botschafter in Berlin 1931-1938 (1) Weiterlesen »

Zoni Weisz: Der vergessene Holocaust

Der vergessene Holocaust Book Cover
Der vergessene Holocaust Rezensionsexemplar/Sachbuch dtv Verlag Hardcover Seiten: 218 ISBN: 978-3-423-28164-5

Inhalt:

Im Nationalsozialismus wurde eine halbe Million Sinti und Roma von den Deutschen umgebracht. Zoni Weisz war sieben Jahre alt, als auch seine Familie deportiert und in Konzentrationslagern ermordet wurde. Er selbst konnte durch die Hilfe eines niederländischen Polizisten auf einen anderen Zug springen. Nach dem Krieg erhielt er einen Ausbildungsplatz als Florist – Beginn einer erstaunlichen Karriere. (Klappentext)

Rezension:

Über die Geschichte der judenverfolgung im Dritten Reich, sowie in den besetzten Gebieten, ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben und berichtet wurden. Viele Archive wurden durchforstet. Erschreckende Erkenntnisse folgten daraus.

Wie sieht es aber mit der Aufarbeitung der Verbrechen an anderen Opfergruppen aus? In Bezug auf die Sinti und Roma etwa, ist noch nicht allzu viel geschehen. um so wichtiger und bedeutender dieser Erfahrungsbericht von Zoni Weisz, der nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Zoni Weisz ist Angehöriger der Sinto, eine Volksgruppe, die man landläufig mit den „fahrenden Volk“ in Verbindung bringt. Böse Zungen nennen sie Zigeuner. Doch, die Kultur dieser Menschen, die vor allem auf mündlichen Überlieferungen beruht, ist Grundlage einer geschlossenen Gemeinschaft. Jeder ist für jeden da, man hilft sich und doch stehen die Sinto in der ersten Hälfte des 20. jahrhunderts vor einer Zeitenwende.

Unheil braut sich in Europa zusammen, der Vater von Zoni beschließt die traditionelle Lebensweise, im Wohnwagen umherzuziehen, aufzugeben und einen festen Wohnsitz anzunehmen. Er möchte dadurch weniger auffallen, außerdem erkennt seine Frau den wert schulischer Bildung, um ihren Kindern eine sichere Zukunft zu gewähren.

Dies funktioniert, zumindest für eine kurze Zeit. Doch, bald verfolgen die deutschen Besatzer auch in den Niederlanden ihr erbarmungsloses Werk und deportieren Hunderttausende, darunter auch die Eltern und Geschwister Zonis, in die Vernichtungslager des Reiches. Doch, der Siebenjährige hat Glück und schlägt sich mit Hilfe entfernter Verwandter durch.

Es ist der Überlebensbericht eines Autors, dem von jetzt auf gleich seine Kindheit geraubt wurde, aber auch ein Zeugnis, wozu einem der Wille zu Überleben und es allen zu beweisen, fähig machen kann. Im positiven Sinne. Zoni Weisz erzählt seine Geschichte, die nach all den Schrecken und Unwägbarkeiten, Grausamkeiten, hätte nicht erfolgreicher verlaufen können.

„Der vergessene Holocaust“ ist in jeder Zeile eine beeindruckende Biografie, die zeigt, dass die Schergen des NS-Regimes und seiner niederländischen Helfer ihn zwar zugesetzt und viel Leid angetan, ihn jedoch nicht kleinkriegen konnten. Ein Bericht, der Mut macht und nicht zuletzt eine niederländische Erfolgsgeschichte.

Aufgelockert und nahbar durch zahlreiche Fotografien aus dem Privatarchiv von Weisz beschreibt dieser seinen Weg gegen alle Widerstände, ob das nun Barrieren seines eigenen Volkes, psychische Schäden durch die Erlebnisse des Holocaust oder vom kleinen Auslieferungsboten bishin zum führenden und bekanntesten Floristen der Niederlande, nicht zuletzt Botschafter und Unterstützer der Sinti und Roma.

Jede Zeile geht einem beim Lesen nahe. oft möchte man schlucken, innehalten. Eine Biografie, die man nicht so leicht übergehen und vergessen kann und darf.

Zoni Weisz hat seinen Frieden mit der eigenen Geschichte gemacht, doch setzt er sich unermüdlich für sein Volk ein, welches in vielen Teilen Europas immer noch ausgegrenzt und chancenlos ist. Es gibt noch viel zu tun. Der Autor macht dies deutlich und spart nicht mit Kritik an dieser Situation, kämpft für Rechte, die eigentlich überall gang und gäbe sein sollten.

Er blickt zurück, wie so viele in seinem Alter, hat etwas besonderes Eindrückliches zu erzählen. Auf das sich diese Vorgänge nicht wiederholen. Dafür und gegen das Vergessen kämpft Zoni Weisz. Und dafür sei auch jedem dieses Buch ans Herz gelegt.

Autor:

Zoni Weisz wurde 1937 geboren und ist ein niederländischer Sinto, Überlebender des Holocaust und Florist. 1944 entging er durch die Hilfe eines niederländischen Polizisten der Deportation, aufgrund derer fast seine gesamte Familie umkam.

Er versteckte sich und überlebte, begann nach den Krieg eine Ausbildung zum Mechaniker, leistete dann seinen Militärdienst in Surinam, nachdem er eine Gartenbau-Schule besuchte. Er studierte Ausstellungsarchitektur und Kunstgeschichte.

Mit seinen Ausstellungen international bekannt, wurde er als einer der führenden Floristen der Niederlande für das größte Blumenarrangement ins Guinness Buch der Rekorde eingetragen, zudem arbeitete für mehrere Aufträge der niederländischen Königsfamilie.

Als Überlebender engagiert sich Weisz für die Sinti und Roma, und hielt eine vielbeachtete Rede im Deutschen Bundestag 2011. Für sein Engagement erhielt er mehrere niederländische Auszeichnungen und das Bundesverdienstkreuz.

Zoni Weisz: Der vergessene Holocaust Weiterlesen »

Robert Harris: Vaterland

Vaterland Book Cover
Vaterland Robert Harris Heyne Erschienen am: 13.03.2017 Seiten: 383 ISBN: 978-3-453-42171-4 Übersetzer: Hanswilhelm Haefs

Inhalt:

Hitler hat den Krieg gewonnen. Großdeutschland, das vom Rhein bis zum Ural reicht, dominiert Europa. Ständige Partisanenkämpfe und der Kalte Krieg mit den USA zermürben das Reich.

In Berlin geschieht der brutale Mord an einem hohen Parteibonzen – und Kripo-Sturmbannführer März gerät im zuge seiner Ermittlungen gefährlich nah an die Wahrheit. (Klappentext)

Rezension:

Historische Schreckensszenarien vermögen zu faszinieren, besonders, wenn sich der Leser bewusst wird, wie leicht Ungeheuerlichkeiten hätten wahr werden können. Robert harris hat mit seinem ersten Roman ein solches Bild erschaffen und versetzt uns in die Zeit der 60er Jahre.

Auch hier stehen sich zwei Blöcke gegenübe. Auch hier gibt es einen US-Präsidenten, der Zeichen setzen möchte. Auch hier ist der Schauplatz die Stadt an der Spree. Alleine, die ausgangssituation ist eine andere als es die tatsächlich gewesenen Geschehnisse waren.

Das Dritte Reich hat den Krieg gewonnen und dominiert Europa bis hin zum Ural.

Riesige Autobahnen durchziehen das Land, Bahnen mit einer Spurbreite von 4 Metern bringen die Herrenmenschen in die entfernten Winkel des Reiches. Doch, an den Grenzen im Osten gärt es.

Immer wieder kommt es zu Anschlägen durch Partisanen, wogegen die Bevölkerung sich längst im gleichmachenden Alltag eingerichtet hat. Nur ab und zu scheren einzelne Personen aus der Masse aus. Diese jedoch, überleben in dem Staat der totalen Kontrolle nicht lange.

Eingebunden in einem, gleichsam nach Ian Kershaw klingenden Szenario, erlebt der Leser die geschichte aus der Sicht des nicht ganz so linientreuen Kripo-Sturmbannführers März, der zunächst in einem, wie es scheint, einfachen Mordfall ermittelt.

März, angezählt durch die Weigerung, der Partei beizutreten und allzu unbequem zu agieren, wird der Fall entzogen, als sich herausstellt, dass das Opfer ein einst hohes Parteimitglied der ersten Stunde gewesen ist, doch der Polizist ist neugierig. Warum sind gewisse Stellen so sehr daran interessiert, den Mordfall zu vertuschen?

Warum wird der einzige Zeuge wenig später ebenfalls ermordet? Warum gerade jetzt, kurz vor dem geburtstag des Führers und den Besuch des amerikanischen Präsidenten? Jede neue Frage wirft weitere Fragen auf. Und bald geht es nicht nur um die Beweggründe des Opfers oder seiner Täter. Bald ist auch März in allerhöchster Gefahr.

Problematisch sind historische Romane immer dann, wenn sie geschichtliche Wahrheiten so sehr mit Fiktion vermischen, dass man Lüge und Dichtung nicht mehr von einander unterscheiden kann.

Dies wird hier umgangen, denn natürlich und zum Glück ist der hier geschilderte Fall eines Sieges der Nazis über die Welt nicht eingetreten, zudem hat der autor über die Grundlage der fakten gut recherchiert. Wie hätte ien Leben im Führerstaat ausgesehen?

Wie Berlin nach einer Umgestaltung im Sinne Albert Speers? Welche realen Personen führten welche Korrespondenzen und wie hätte dies ausgesehn, im von Harris beschriebenen Falle?

Fragen, die dicht aufeinanderfolgend, ein gruseliges Szenario ergeben, welches einem beim genaueren Durchdenken kalt den Rücken herunter läuft. Der Spannungsbogen, langsam auf den ersten Seiten aufgebaut, hält und steigert sich zunehmend.

Der Leser kommt indes in der moralischen zwickmühle einen Nazi (auch wenn sich der Protagonist, wie oben erwähnt, nicht gerade als linientreu erweist) als sympathisch zu empfinden, doch auch hier sind die Hauptfiguren zumindest so wandlungsfähig, dass es gerade noch erträglich ist.

Die Nebenfiguren sind zwar teilweise brutal, bleiben aber ansonsten blaß.

Der Ausgang der Geschichte selbst ist zwar offen, jedoch durchdenk- und leider auch zum Schluss recht vorhersehbar. Trotzdem ist Harris ein sehr lesenswerter und lebendiger Roman gelungen, der gerade heute gelesen werden sollte.

In diesem Sinne kann man über kleinere Schwächen, und dies ist Meckern auf hohen Niveau, großzügig hinwegsehen. Dann bekommt man einen spannenden Historien-, Politthriller, Kriminalroman und, wenn man auch die Anmerkungen, die auf die tatsächlichen Geschehnisse hinweisen, beachtet, eine geschichtliche Lehrstunde in ihrer einprägsamsten Form.

Autor:

Robert Dennis Harris wurde 1957 in Nottingham, Engalnd, geboren und ist ein britischer Journalist, Sachbuchautor und Schriftsteller. Nach der Schule studierte er in Cambridge Englische Literatur und arbeitete zunächst als Reporter für die BBC und als politischer Redakteur für verschiedene Zeitungen.

Seinen ersten Roamn veröffentlichte er 1992 in seiner Heimat, in Deutschland fand sich ob der Thematik zunächst kein Verlag. erst 1996 wurde „Vaterland“ ins Deutsche übersetzt. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt, und mehrfach ausgezeichnet.

Die Handlungen seiner Romane sind meist geprägt durch historische Szenarien, die leicht abgewandelt werden. Harris ist verwandt mit Nick Hornby, ebenfalls Schriftsteller, und lebt derzeit in Berkshire.

Robert Harris: Vaterland Weiterlesen »

John Boyne: Der Junge auf dem Berg

Der Junge auf dem Berg Book Cover
Der Junge auf dem Berg John Boyne S. Fischer Verlag Erschienen am: 24.08.2017 Seiten: 302 ISBN: 978-3-7373-4062-5 Übersetzung: Ilse Layer

Inhalt:

Als Pierrot seine Eltern verliert, nimmt ihn seine Tante zu sich in den deutschen Haushalt, in dem sie Dienst tut. Aber dies ist keine gewöhnliche Zeit: Der Zweite Weltkrieg steht unmittelbar bevor. Und es ist kein gewöhnliches Haus: Es ist der Berghof – Adolf Hitlers Sommerresidenz.

Schnell gerät der Junge unter den direkten Einfluss des charismatischen Führers. Um ihm seine Treue zu beweisen, ist er zu allem bereit – auch zum Verrat. (Klappentext)

Rezension:

Der Junge, noch Kind, welches die Ereignisse um sich herum nicht einzuordnen weiß, gerät unter den Einfluss des größten Despoten und Diktatoren aller Zeiten, nimmt dessen Denken an und stürzt sich und seine Umgebung in einem Strudel aus Katastrophen.

Dieses Gerüst ist die Grundlage für John Boynes neuen Roman, der sechs Jahre nach „Der Junge im gestreiften Pyjama“ nun in Deutschland erschienen ist. Erschienen, wieder im S. Fischer Verlag nimmt der Leser erneut die Position eines Jungen ein, der mit dem Grauen des NS Regimes in seiner ganzen Härte konfrontiert werden wird, und der sich bald bereit dazu ist, alle Grenzen menschlicher Moral beiseite zu fegen.

Einfühlsam beschrieben, entwickelt der Leser schnell Sympathie für den Hauptprotagonisten, der jedoch schnell abschreckend wirkt. Nicht zuletzt dem rasanten Schreibstil geschuldet, erleben wir ein Gefühlschaos und die Macht der Vereinnahmung durch grausamste Ideologie.

Zu was sind wir fähig, wenn wir ständig bestimmten Einflüssen ausgesetzt sind? Welche Entscheidungen fallen wir, wenn wir ständig von deren Richtigkeit überzeugt werden, obwohl wir es eigentlich besser wissen müssten? In wie weit sind wir bereit, moralische Grenzen zu verschieben, um anderen zu gefallen? Wann genau hört unser menschliches Gewissen auf zu existieren?

John Boyne stellt seinen Lesern diese Fragen, die sich sowohl mit der größten menschlichen Bestie aller Zeiten konfrontiert sehen, als auch mit einem Jungen, der über die Zeit hinaus verdorben werden wird. Es ist ein kleiner Roman, der beschäftigen und aufwühlen, zum Nachdenken anregen wird. Anschaulich beschrieben, rasantes Tempo rennt der Leser samt Protagonist dem Abgrund entgegen.

Eine Geschichte gegen das Vergessen und über das Fällen von Entscheidungen, entweder den leichten falschen oder den schweren richtigen Weg zu gehen. Am Ende steht die Hauptfigur vor eben dieser Frage. Der Leser wird nach der letzten Seite noch lange über die Antwort nachdenken.

Autor:

John Boyne wurde 1971 in Dublin geboren und ist ein irischer Schriftsteller. Seine Romane wurden in über 50 Sprachen versetzt, sein Buch „Der Junge im gestreiften Pyjama“ (2006/2007) mehr als neun Million Mal verkauft. Bevor er als Autor arbeitete, studierte er Englische Literatur und Kreatives Schreiben. Boynes Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, in Deutschland u.a. mit dem Jugendliteraturpreis 2008.

John Boyne: Der Junge auf dem Berg Weiterlesen »

Joseph Joffo: Ein Sack voll Murmeln

Ein Sack voll Murmeln Book Cover
Ein Sack voll Murmeln Joseph Joffo Erfahrungsbericht Verlag ullstein Taschenbuch Seiten: 335 ISBN: 978-3-548-29026-3

Inhalt:
Zwei Jungen fliehen durch das kriegsversehrte Frankreich: Die beiden Brüder Joseph und Maurice sind zehn und dreizehn Jahre alt, als sie sich 1942 auf die Flucht aus Paris begeben.

Mit fünfzig Francs in der Tasche schlagen sie sich durch in die noch freie Zone, entkommen der Gestapo, verlieren ihre Familie – und nehmen sich in den trübsten Stunden Zeit für ein kleines Fußballmatch, zum Murmelspielen oder für trickreiche Schwarzmarktgeschäfte. Die einzigartige Geschichte zweier Jungen, die sich – um eine unbeschwerte Kindheit gebracht – immer ihren Galgenhumor bewahren. (Klappentext)

Rezension:
Ein Sack voll Murmeln wird eingetauscht gegen einen gelben Stern, den Joseph sich von seinem Hemd reißt. So verabschiedet sich der Zehnjährige von seinem besten Freund, ohne es zu wissen. Es ist einer seiner letzten Tage in Paris, einer der letzten seiner Kindheit. Die Vorzeichen richtig deutend, schickt der Vater seine Söhne alleine los, in die freie Zone, wo die Nazis noch keine volle Kontrolle haben. Mit fünfzig Francs in der Tasche machen sich die beiden Brüder auf eine Reise ins Ungewisse.

Im Nacken die Angst vor Enttarnung, Entdeckung und den Häschern der Nazis und Kollaborateuren. Die Flucht gelingt. Doch, auch die Tage der freien Zone sind gezählt. Bald finden sich Joseph und Maurice wieder, direkt in der Hölle. In den Fängen der Gestapo.

Erlebte Geschichte zählt zu den spannendsten Stücken, die es zu erzählen gibt, auch wenn man hier dem Autor wünschen würde, er hätte dies nicht am eigenen Leib erfahren müssen. Doch, es ist seine und die seines Bruder Flucht vor den Nazis, von denen Joseph Joffo erzählt. Standartlektüre in französischen Schulen, die jetzt erneut für’s Kino adaptiert und neu übersetzt wurde.

Der Autor berichtet von den Ereignissen, die zu seiner Flucht von der besetzten Hauptstadt an der Seine führten, bishin zum sicher geglaubten Ziel, welches sich beinahe als tödliche Falle erweißen sollte. Mit nachdenklichen Ton berichtet er, aus Kindessicht, von menschlicher Grausamkeit, tiefer Angst und dem kleinen Glück inmitten von Terror und Zerstörung von Leben.

Menschen, die ihn Böses wollten, Menschen, die ihn aus unerfindlichen Gründen halfen, werden messerscharf und überlegt portraitiert.Der Leser nimmt beinahe die Stellung Joffos ein. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn der SS-Offizier den Zehnjährigen zum ersten, zweiten, dritten und vierten Verhör schleift, wenn der Zug für eine Razzia angehalten wird und es nicht die Jungs trifft, sondern eine bemitleidenswerte Frau, wenn mühsam aufgebautes Glück im nächsten Moment wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.

Den Tränen wird der Leser an manchen Stellen nah sein, an anderen sich das Lachen kaum verkneifen können. In dichter Abfolge sind die Ereignisse beschrieben, eben so wie diese in der Wahrnehmung des Kindes Joseph passierten.

Der einfühlsame Schreibstil, der sich an Erwachsene und jugendliche Leser gleichermaßen richtet, bringt diese besondere Kindheitsbiografie nahe, die sich einreiht in die schriftlichen Hinterlassenschaften etwa Anne Franks oder Petr Ginz‘.
Diesmal in Romanform verpackt bleiben der Nachwelt erneut Erinnerungen an dunkle Zeiten erhalten, denen man sich nicht entziehen kann. Man lebt und leidet mit den Kindern Joseph und Maurice, möchte sie schützen und ihnen all das Leid und die Angst ersparen, die ihnen widerfährt.

Eine Kindheitsbiografie, welch Wort, gegen das Vergessen. Sie sticht heraus, da es sich hier um eine der wenigen französischen Erinnerungsaufzeichnungen handelt, die für den deutschsprachigen Markt übersetzt wurden. Wie in den Niederlanden und Deutschland Anne Frank hat Joseph Joffo für sein Land eine ähnliche Bedeutung. Diese sollten wir ihm auch hier messen.

Autor:
Joseph Joffo wurde 1932 in Paris geboren und floh als Kind vor den Häschern der Nazis in die freie Zone Frankreich, wo er nur knapp der Gestapo entkam.
Er schrieb 1971 seine Kindheitserinnerungen auf, die ein wenig später verfilmt wurden und auf den Bestsellerlisten Frankreichs zu finden waren. Für das Kino wurde das Buch erneut verfilmt, 2017, und ins Deutsche übersetzt. Seiner Familie gehören mehrere Friseursalons in Paris.

Verfilmung 2017:
Die Neuverfilmung ist dem Autoren, so schreibt er in einem Nachwort zur Neuauflage, lieber als die erste aus den 70er Jahren. Der Vater wird korrekter dargestellt, die Ereignisse sind ehrlicher, was heißt, härter dargestellt als im ersten Film.

Eben so, wie sie von Joseph Joffo wahrgenommen wurde. Es sei zudem gesagt, dass Christian Duguay für seinen Film einen großartigen Cast organisierte.
Allen voran Dorian Le Clerch als Joseoph Joffo spielt mühelos auf Augenhöhe mit den Erwachsenen, die nicht nur im französischen Kino bekannt sind.

Trailer zur Verfilmung „Ein Sack voll Murmeln“.

Joseph Joffo: Ein Sack voll Murmeln Weiterlesen »

Hermann Schulz: Warum wir Günter umbringen wollten

Warum wir Günter umbringen wollten Book Cover
Warum wir Günter umbringen wollten Hermann Schulz Aladin Erschienen am: 23.08.2013 Seiten: 156 ISBN: 978-3-8489-2017-4 Illustrationen: Maria Luisa Witte

Inhalt:

März 1947, in einer Zeit zwischen Krieg ud Frieden. Freddy und seine Freunde stromern an den Nachmittagen durch die Wiesen, rüber zum Moor, Günter immer im Schlepptau. Aber Günter ist irgendwie anders, der tickt nicht richtig, sagen sie. Sie machen sich über ihn lustig, quälen ihn.

Dann bekommen sie Angst, Günter könnte sie bei den Erwachsenen verpfeifen – und fassen einen ungeheuren Plan. (Klappentext)

Rezension:

Irgendwo im ländlichen Osten des kriegszerstörten Deutschlands stromert eine Bande von Jungen durch das Unterholz. Gebeutelt vom vergangenen Krieg, durchleben sie in ihrem Dorf und den Feldern und Wäldern der Umgebung ihre Abenteuer, wenn sie nicht bei der Ernte oder dem Versorgen der noch übrig gebliebenen Tiere mithelfen müssen.

Keiner kümmert sich um sie. Die Tage fließen zäh dahin. Freddy, etwa 10 Jahre alt, ist einer von ihnen. Es wird sein letzter Sommer werden, bevor er wieder zu seinen Eltern in die Stadt zurück muss. Die Zeit vergeht schneller als ihm lieb ist. Doch, bis dahin bahnt sich eine ungeheure Katastrophe an.

Die Jungen haben Günter im Schlepptau, ein Gleichaltriger aus der Nachbarschaft. Durch schlimme Erlebnisse kriegsgeschädigt und zurückgeblieben, ist er in der Rangordnung der Jungen-Bande ganz unten. Sie quälen und demütigen ihn.

Günter sagt den Erwachsenen nichts, die nur die Auswirkungen der Schikanen bemerken. Doch, den Jungen ist klar, Günter muss verschwinden, spurlos, bevor er zu reden beginnt. Alle Jungs, einschließlich Freddy, stehen vor einer schwierigen Entscheidung.

Bis auf den gleich ins Auge springenden Titel hat dieser Roman nicht nur eine spannende Geschichte, sndern auch wunderbare Illustratioen, auf die es sich lohnt, zuerst einzugehen.

Sie lockern ein schwer im Magen liegendes Thema auf, welches wahrscheinlich der Zielgruppe sonst nur schwer vermittelbar gewesen wäre.

Tatsächlich kann man sich durch die Aquarellzeichnungen förmlich in diese Welt der Jungen, deren ganzer Kosmos aus dem Dorfleben und die Natur, um sie herum, besteht, hineindenken und erlebt zugleich eine spannende Geschichte, wie sie sich tatsächlich zugetragen haben könnte.

Hermann Schulz beschreibt die Leiden der Dorfbevölkerung nach dem Krieg, die sowohl mit Versorgungsmabngel, mehr noch mit dem Flüchtlingsstrom zurechtkommen mussten, der nach dem Krieg die Bilder bestimmte, auch Kriegsheimkehrer und Gefangenschaft sind Thematiken, die hier in dem Kinderbuch sanft eingeführt werden. Das macht der Autor praktisch in Nebensätzen.

Im Vordergrund aber steht ein spannender Krimi, für Jungen und auch sonst geschrieben. Die Protagonisten bleiben dabei nicht farblos, sondern werden, für ein Kinderbuch unglaublich gut, detailreich herausgearbeitet.

Insbesondere Freddy und Günter, anfangs die zwei Gegenpole, gewinnen dadurch an Sympathie und nähern sich im Laufe der Geschichte einander an.

Starke, nicht einseitige Kinder- oder besser gesagt frühe Jugendliteratur, mit einer Ernstnahme der Protagonisten ohne erhobenen Zeigefinger, hat man selten. Hier kann man sie finden, und das gerade mit einem so sensiblen Thema als Hintergrund.

Der Autor beschäftigt sich mit den Nachwirkungen des Krieges in allen Facetten, mit Vorurteilen und ihren Konsequenten, die heute, natürlich in anderer Form, auch noch eine Rolle spielen.

Vielleicht die große Stärke der Geschichte, dass sie in ihren Fragen immer noch brandaktuell ist. Wie sehen wir andere Menschen, vor allem, wenn sie nicht der Norm entsrpechen? Wie gehen wir miteinander um?

Welche Entscheidungen wollen wir treffen? Bequeme oder schwierige, die sich jedoch auf lange Sicht als richtig darstellen? Welche Konsequenzen sind wir bereit, für unsere Taten in Kauf zu nehmen? Können wir schlechte Beschlüsse, einmal gefasst, trotzdem aufhalten oder ändern?

Diese Fragen, ohne erhobenen Zeigefinger zu stellen, ist die große Stärke von Hermann Schulz‘ Roman. Eine Geschichte, die sich unbedingt zu lesen lohnt.

Autor:

Hermann Schulz wurde 1938 in Nkalinzi, Tansania geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und ehemaliger Verleger. Als Sohn eines deutschen Missionars in Ostafrika, wuchs er in Deutschland auf und machte nach der Schule eine Lehre im Buchhandel.

Zudem arebietete er im Bergbau, übernahm jedoch als Nachfolger des späteren Bundespräsidenten Johannes Rau den Peter Hammer Verlag in Wuppertal, dem er von 1967 bis 2001 angehörte. Ab 1998 erschienen seine ersten Romane, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde.

Er ist Mitarbeiter der Zeitschrift AMOS und engagiert sich im Bereich Literatur und Internationaler Verständigung. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.

Hermann Schulz: Warum wir Günter umbringen wollten Weiterlesen »

Konrad Heiden: Adolf Hitler

Adolf Hitler Book Cover
Adolf Hitler Konrad Heiden Europaverlag Erschienen am: 23.11.2016 Hardcover ISBN: 978-3-95890-117-9

Inhalt:

Konrad Heiden hat den Aufstieg Adolf Hitlers von Anfang an begleitet. Aus nächster Nähe beobachtet er die Auftritte des Demagogen, arbeitet das Gewöhnliche und Spießbürgerliche, vor allem aber das Diabolische und Krankhafte an Hitlers Wesen heraus und schildert Geschichte, während sie passiert.

Bavor das ganze Ausmaß des Schreckens bekannt war, das Hitler und die Nationalsozialisten über Europa bringen sollten, warnt er bereits auf eindringliche Weise vor den Absichten dieses Mannes und der bevorstehenden Katastrophe.

Seine schonungslose psychologische Durchleuchtung des „Führers“ liefert den Schlüssel, um Hitlers Ideen und politische Ziele zu durchschauen und um zu verstehen, was für die Welt von Anfang an auf den Spiel stand. (Klappentext)

Rezension:

Künftige Forscher werden vieles sehen, was uns heute noch entzogen ist; manches werden sie aus ihrer Ferne kaum glauben, was die Gegenwart breit erlebt, aber selten lang bewahrt.

Konrad Heiden „Adolf Hitler – Die Biografie“, Europa Verlag.

Als das Grauen noch nicht in seiner Gänze abzusehen war, als das friedliche Europa erste Risse bekam, beobachtete ein Journalist die Ursache dessen, welche ein paar Jahre später zur größten Katastrophe der (unsrigen) jüngeren Geschichte führen sollte, sehr genau.

Messerscharf analysierte Konrad Heiden die Reden Adolf Hitlers, der von der Rolle des „Trommlers“ zu Deutschlands Diktator aufstieg, und seiner Gehilfen.

Beobachtete, wie Röhms SA die Gegner der Nationalsozialisten einschüchterte, wie Ehrenwort um Ehrenwort gegeben und gebrochen wurde und wie sich eine Reihe vorab gescheiterter Existenzen nahm, was ihnen die Demokratie ohne Demokraten so bereitwillig und ahnungslos überließ.

Konrad Heiden schrieb darüber und entstanden ist dabei eine Schrift, die Hitlers Werdegang scharfsinnig analysiert und demaskiert.

Er, der er wegen seiner Tätigkeit selbst ins Exil flüchten muss, sitzt anfangs noch in den Kellern, wo die Nazis ihre ersten Versammlungserfolge feierten, spricht mit Parteimitgliedern und Weggefährten des Österreichers, der bald Deutschland beherrschen wird und ahnt die drohende Katastrophe.

Der Journalist arbeitet akribisch die Ziele Hitlers, die dieser in „Mein Kampf“ formuliert heraus, stellt sie dessen Reden gegenüber und beobachtet sich anbahnende Bündnisse und das Entstehen neuer Konfliktherde. Ein Dampfkochtopf Deutschland, der explodieren wird. Die Frage ist nur, wann?

Mit der Neuauflage der ersten Biografie über Adolf Hitler holt der Europa Verlag ein Stück seiner Geschichte wieder in das Programm und dieses hat es in sich.

Neutral aber neugierig analysierend, beobachtend und abwartend hat es Konrad heiden fertig gebracht, Zeitgeschichte ohne Scheuklappen festzuhalten oder die Leser in eine bestimmte Richtung zu treiben.

Die sollen sich selbst ein Bild machen, Heiden zeigte nur den Weg auf, den Hitler und seine Kumpanen bereit waren, zu gehen. Und damit auch die Ziele und die wahren Absichten einer menschenverachtenden Diktatur, ihre Irrwege. Schonungslos, diese Weitsicht des Einen, erschreckend das Wissen, dass sich dennoch so viele haben blenden lassen (wollen).

Aneinandergereiht, kurze Kapitel, beschäftigt sich Heiden zuerst mit der Kindheit und Jugend Hitlers, seinen Werdegang über Linz, Wien und München, sowie seinen entgültigen Griff zur Macht und der Beseitigung aller Konkurrenz 1934.

Immer wieder beruft er sich auf Quellen, die er um deren Selbstschutz Willen nicht nennen kann. Nicht im Jahr seines Schreibens, 1936. Es ist das erste umfassende Werk, welches neutral berichtet und gerade heute noch gut zu lesen ist, wo der Friedensgarant Europa, der einst als Absicherung gegen Kriege auf den Kontingent in seiner Einheit wieder zerbröselt.

Diese Einheit hat Konrad Heiden, wie er so vieles andere vorausgesehen hat, als Lösung gegen Hitler betrachtet. Europa sollte auf ihn hören. Denn heute gibt es wieder einige der Vorzeichen, vor denen Konrad Heiden seine Generation einst warnen wollte.

Autor:
Konrad Heiden wurde 1901 in München geboren und studierte dort Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Für die Frankfuirter Zeitung arbeitete er anfangs als Hilfsredaktuer und begleitete seit 1921 die Aktionen und Auftritte Adolf Hitlers.

Nach mehreren Wechseln verschiedener Redakteursstellen arbeitete er als freier Journalist und Schriftsteller und flüchtete 1933 ins Exil, in die Schweiz.

1936/1937 erschien seine Biografie über Adolf Hitler im Zürcher Europa Verlag, die später Grundlage für zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten über den Diktator und den Nationalsozialismus wurde. 1940 emigrierte er in die USA und erhielt Ende der 50er Jahre deren Staatsbürgerschaft. 1966 starb Heiden in New York City.

Konrad Heiden: Adolf Hitler Weiterlesen »

Günter Lucks: Der rote Hitlerjunge

Der rote Hitlerjunge Book Cover
Der rote Hitlerjunge Günter Lucks Rowohlt Taschenbuch Erschienen am: 31.07.2015 Seiten: 234 ISBN: 978-3-499-62923-5

Handlung:

Ein Familienbild aus den Arbeiterbezirken des Hamburger Ostens in den 30er Jahren: Der Stiefvater ist Kommunist, der Vater gar im Rotfrontkämpferbund. Der eine Großvater ist Monarchist, der andere ein kommunistischer Schneider, der Onkel wiederum Sozialdemokrat. Die Stiefmutter aber schwärmt für Hitler.

Und plötzlich will der kleine Günter zum Schrecken seines Vaters in die Hitlerjugend. Günter Lucks erzählt die Geschichte seiner abenteuerlichen Kindheit, einer Kindheit zwischen den Extremen. Sie spielt in einem untergegangenen Großstadtmilieu, von dem aus erster Hand heute kaum noch ein Zeitzeuge berichten kann. (Klappentext)

Einordnung Genre:

Dieses Buch ist autobiographisch, weshalb ich es hier eingeordnet habe. Es könnte aber genau so gut bei Kinder- und Jugendbüchern stehen, da es das Erleben einer Zeitepoche aus Kindersicht erzählt.

Wenn man es als solche Literatur betrachtet, empfehle ich das Buch für 13- bis 14-jährige, die schon mit einigen Begriffen Kontakt hatten und damit umgehen können. Aufgrund der anderen Bücher des Autors, habe ich mich trotzdem für „Biographie“ entschieden.

Rezension:

Es ist eine sonderbare Welt in der der kleine Günter aufwächst. Die Wirtschaft kriselt, im armen Hamburger Arbeiterbezirk sowie so und seine Eltern verehren die KPD-Größen Etkar Andre oder Fiete Schulz. Seine Eltern streiten sich über den Sinn eines Weihnachtsfestes, was der Vater als entschieden zu bürgerlich ablehnt und die Regierungen wechseln schnell.

Doch, dann kommt Hitler an die Macht. Günter darf nicht mehr sagen, was er will, zumindest in der Öffentlichkeit nicht, überall werden jetzt Menschen „abgeholt“, die den neuen Machthabern nicht genehm sind.

Und der Junge beginnt sich zunehmend für die Hitlerjugend zu interessieren. Er bewundert die Uniform, die jetzt „alle“ in seinem Alter tragen, doch wird er bald erkennen, wie ernst der Spagat zwischen Privatheit und Öffentlichkeit ist. und so wird er schließlich Hitlerjunge, aber ein roter.

Ein kleines faszinierendes Büchlein über eine Kinder-Biografie, wie sie für Hamburg in dieser Zeit vielleicht nicht einmal so selten gewesen sein dürfte. Den Leser nimmt der Autor mit auf eine Reise durch eine heute nicht mehr existierende Welt, beschreibt einfühlend die Sorgen, den Zwiespalt, die Ängste und später auch den Hunger und die Katastrophe, unter die die Menschen litten.

Mit all den damit verbundenen Problemen und den Spagat, den die Menschen zu leisten hatten. Aus Kinder- und Jugendsicht einer Generation, die viel zu schnell erwachsen werden musste. Der Schreibstil klar und deutlich, kann das Buch auch von jüngeren Lesern gelesen werden, die an das Thema herangeführt werden wollen oder einfach nur erfahren möchte, wie Kinder ihres Alters diese Zeit erlebt haben.

Gleichwohl richtet sich Lucks nicht an eine bestimmte Zielgruppe und erzählt einfach nur aus seiner Sicht. Ohne irgendetwas zu beschönigen oder wegzureden. Es gibt da keine Längen. Mit „Der rote Hitlerjunge“ ist ein interessanter Zeitzeugenbericht entstanden, der es in sich hat und das Dilemma einer Kindheit beschreibt, die viel zu schnell beendet wurde.

Autor:

Günter Lucks wurde 1928 in Hamburg geboren und besuchte die Volksschule. Nach einer Ausbildung bei der Post arbeitete er bis zur Rente in der Druckerei und bei der Poststelle des Axel Springer Verlags.

In den Hamburger Bombennächten wehrend des „Feuersturms“ verlor er mehrere Familienmitglieder u.a. seinen Bruder. er veröffentlichte mehrere Bücher über seine Zeit als Kriegskind oder als Kindersoldat unter Hitler.

Günter Lucks: Der rote Hitlerjunge Weiterlesen »