Politik

Frank Engehausen/Michael Erbe (u. A.): Deutsche Geschichte – von der Antike bis heute

Inhalt:
Das große Werk zur deutschen Geschichte – von der Spätantike bis heute

Umfassend und fundiert werden hier 2000 Jahre deutsche Geschichte in acht Epochen dargestellt. Ein Zeitstrahl und eine Einführung zu jedem Kapitel bieten einen Überblick über die Meilensteine und die prägenden Entwicklungen der jeweiligen Zeit. Die über 500 Fotos, Karten, Tabellen, Kurzporträts und Schlüsselbegriffe machen Zusammenhänge deutlich und erwecken deutsche Geschichte zum Leben. (Klappentext)

Rezension:

Gerade die Darstellung historischen Überblickwissens hat des Öfteren den Knackpunkt, dass je mehr man sich der Gegenwart annähert, auf Ereignisse zur Sprache kommt, deren Ausgang man noch gar nicht kennen kann, so dass es einer ständigen Aktualisierung bedarf. Hier endet die Darstellung des Überblicks der deutschen Geschichte mit dem Beginn der Übernahme der Macht einer neuen Regierung nach der der ersten Bundeskanzlerin Angela Merkel, doch zuvor ist viel passiert. Zweitausend Jahre Geschichte hat ein Team von Historikern nun zu einem Lexikon der Historie ausgearbeitet, vom Anbeginn der Antike bis hinein in unsere Zeit. Dargestellt wird unsere Geschichte, welche zugleich auch ein wichtiger Teil europäischer Geschichte ist, in all ihren aufregenden und zuweilen auch grausamen Fascetten.

In acht Abschnitten werden ausführlich Antike und Völkerwanderung, das Mittelalter, das konfessionelle Zeitalter (1495-1648), das Ancien Regime, das bürgerliche Zeitalter, die Zeit der Weltkriege und die Geschichte der deutschen Teilung, sowie der Wiedervereinigung dargestellt. Den Abschluss findet die Betrachtung in den 1990er Jahren bis hin zu den ersten Monaten der Regierung Scholz.

Ausführlich werden Wege beleuchtet, Wendepunkte und Kontraste unserer Geschichte, ergänzt mit zahlreichen Bildmaterial, Karten und Kurzbiografien, sowie ebenfalls an den Seitenrändern herausgestellten Begriffsklärungen. Man kann dies hintereinanderweg lesen oder als Lexikon gebrauchen, wie es wahrscheinlich von vielen Lernenden und Interessierten gebraucht wird. Dabei wird der Fokus nicht nur auf die große Politik gelegt, sondern auch auf Entwicklungen in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur eingegangen, um ein umfassendes Bild zu erhalten.

Autorenkollektiv: Deutsche Geschichte – von der Antike bis heute, Seiten: 512, ISBN: 978-3-411-71020-1, Duden Verlag

Die einzelnen Texte sind von Stil und Machart her einheitlich gehalten, auf den neuesten Stand historischer Forschungen und ohne Vorwissen lesbar, wie dies bereits in vorangegangenen Wissensübersichten des Verlags der Fall ist. Wieder gelingt hier der Spagat zwischen ausführlicher und detaillierter Darstellung und kompakter Aufbereitung. Jedem Kapitel wird ein Zeitstrahl, sowie einer gesonderten Einführung vorangestellt.

Die Bewertung des Werks hierbei darf sich nicht auf den Inhalt als solchen beziehen. Unsere Geschichte ist verlaufen, wie sie es eben ist und die Bewertung derer erfolgt zwangsläufig immer durch ihr Ergebnis und der Betrachtung nachfolgender Generationen. Hier sei aber der sachliche Stil genannt, sowie die Aufbereitung, mit der man eine Bleiwüste verhindert hat. Ist man mit der Lektüre von einigen Abschnitten durch, hat man sich sicher nicht nur einen Gutteil Wissen für die Geschichts- oder auch Deutschprüfung (wenn es da um die historische Komponente geht) angeeignet. Einen modern aufbereiteten Rundumblick griffbereit zu haben, schadet ja nicht.

Insofern ist dies eine sinnvolle Ergänzung für das Regal.

Autorenkollektiv:
Frank Engehausen, Michael Erbe, Kay Peter Jankrift, Jörn Leonhard, Gabriele Metzler, Walter Mühlhausen, Dietmar Schiersner, Axel Schildt und Hans-Ulrich Thamer
(mehr über diese Personen: hier)

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Udo Lielischkies: Im Schatten des Kreml

Inhalt:

Seit Wladimir Putin 1999 an die Macht kam, berichtete Udo Lielischkies als ARD-Korrespondent aus dem riesigen Land. In dieser Zeit hat er nicht nur die russische Politik, sondern auch den Wandel des russischen Lebens unter Putin hautnah miterlebt. Udo Lielischkies erzählt von seinen Erlebnissen zwischen Kreml und russischer Provinz und vor allem von den stillen Helden in den Weiten Russlands. Ein einzigartiges Bild des facettenreichen wie widersprüchlichen Landes. (Klappentext)

Rezension:

Fast zeitgleich, als Putin 1999 an die Macht kam, wechselte der ARD-Reporter Udo Lielischkies das Berichtsgebiet und begann einzutauchen, in das Leben und die große Politik des größten Landes der Erde. In seinem Sachbuch berichtet er, in der Neuauflage vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine, vom Wandel der russischen Gesellschaft, einem Staat, dessen Gesicht nun ein vollkommen anderes ist, aber auch von den Herausforderungen des Korrespondenten-Daseins, wenn nichts ist, wie es zunächst scheint.

Eingerahmt von Eindrücken des jüngsten Ereignisses beginnt der Autor das Erlebte von Beginn an, aufzurollen und zeigt die Schwierigkeiten des Reporterlebens in einem zunächst ihm unbekannten Land auf, sowie die Schnelllebigkeit der Ereignisse, die von Beginn an seine Tätigkeit bestimmte.

Dabei setzt er den Fokus auf einzelne Ereignisse, sowie auf seinen Begegnungen mit Menschen aus ganz Russland und portraitiert das Leben in Moskau ebenso, wie die Unzulänglichkeiten der Provinz, aber auch die Unberechenbarkeiten des Tschetschenien-Kriegs, das erste Geschehnis, welchem er für den ersten deutschen Fernsehsender auf den Grund gehen musste. Im Fokus dabei, neben der Einordnung politischer Entscheidungen für die Zuschauenden, immer auch die Menschen, die davon direkt betroffen waren, dabei einen vollkommenen und gefährlichen Umbau der russischen Gesellschaft zu erleben.

Kompakt reiht er Ereignis um Geschenis aneinander, zeigt die Konsequenzen auf und konzentriert sich dabei immer wieder auf einzelne Themen, wie die Gleichschaltung des einheimischen Journalismus‘, sowie dem Ausschalten derer, die versuchen, so lange, wie möglich, noch ihre eigene Sicht der Dinge zu publizieren oder aber die Vereinnahmung von Ernten kleiner Bauern durch übermächtige Agrar-Konzerne mit Verbindungen, hinein in höchste politische Ebenen.

Warum sind trotz offensichtlicher Willkür und um sich greifender Korruption, spurlos verschwindender Gelder aus thematisch begrenzten Budgets, so viele Menschen immer noch für Putin? Was hält dieses Land zusammen, wo das Vertrauen nicht Weniger längst zerstört ist und Russland längst ausblutet?

Anhand von zahlreichen Beispielen gibt er Einblick in den schwierigen Alltag der Menschen, die oft das propagierte Bild im Einklang mit der Wahrheit bringen müssen, was immer schwieriger wird. Was nützt es, ständig von Erfolgen zu hören, wenn der eigene Kühlschrank leer bleibt, da Löhne und Renten nicht zum leben reichen, Dächer undicht sind und kein Zugang zu sauberen Trinkwasser vorhanden ist. Udo Lielischkies gibt jedoch auch Einblick in den schwierigen Reporter-Alltag, Recherchearbeit, Berichtsglück und der Entscheidungsfindung, was berichtet wird, wenn sich die Ereignisse mal wieder überschlagen.

Doch nicht die großen Eindrücke sind es, die diese Rückschau so interessant macht, sondern die zahlreichen dokumentierten Begegnungen, vor allem mit Menschen, die die Differenzen sehen, jedoch nicht gegen die Allmacht des Staates und seiner Anhängel ankommen. Einmal mehr gilt der Spruch, Russland schert sich nicht um das Lebensglück seiner Menschen. Fasslungslos nimmt man das Beschriebene auf, welches zudem durch umfangreiches Quellenmaterial unterfüttert wird, welches der Autor hintenan stellt.

Udo Lielischkies hat Wandel und Widerspruch portraitiert, authentisch zudem, da auch er inzwischen in Russland Familie hat und sozusagen den Alltag mitbekommt. Das Land, was er 2018 verließ, war da längst ein anderes, als das, von welchem er 1999 zu berichten begann, vier Jahre später sowie so.

Der Journalist schlägt sich auf keine Seite, beobachtet und ordnet ein und zeigt an zahlreichen Beispielen auf, wie Entscheidungen verschiedener staatlicher Ebenen, gewollt ein System der Willkür und Korruption geschaffen haben, welches längst ein Eigenleben führt. so gewollt von der obersten Führung.

Der Ton wechselt dabei von sachlicher zu emotionaler Ebene. Sowohl die Portraits der Ereignisse als auch der teilhabenden Menschen waren sehr spannend zu lesen, aber auch, wie Berichtsalltag in einem solch kaum fassbaren Land überhaupt funktioniert. Vom letzteren hätte es nicht geschadet, noch mehr Beispiele aufgeführt zu sehen, jedoch auch so ist ein sehr bezeichnender Bericht. Udo Lielischkies zeigt, was passiert, wenn sich Politik und Volk auseinander entwickeln und nur durch verschiedene Formen von Gewalt und Willkür zusammengehalten werden. „Im Schatten des Kreml“ zeigen sich die Widersprüche.

Autor:

Udo Lielischkies wurde 1953 in Köln geboren und ist ein deutscher Journalist und ehemaliger Leiter des ARD-Studios in Moskau. Er studierte in Köln Volkswirtschaft und Soziologie, sowie Journalistik. 1980 begann er als Wirtschaftsredakteur beim WDR, nachdem er zuvor als freier Mitarbeiter tätig war.

Nach Stationen in verschiedenen Redaktionen wurde er 1994 Europa- und NATO-Korrespondernt in Brüssel, bevor er 1999 nach Moskau wechselte und von dort u. a. aus Tschetschenien und der Ukraine berichtete. Für seine Reportagen wurde er u. a. mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Ab 2006 war er kurzzeitig in washington tätig, kehrte jedoch bald für die ARD nach Moskau zurück und blieb dort bis zu seinem Ruhestand, 2018.

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Nils Straatmann: Auf Jesu Spuren

Inhalt:

Der Theologiestudent Nils Straatmann reist mit einem alten Schulfreund in den Nahen Osten, um der Route des historischen Jesus zu folgen: vom vermeintlichen Geburtsort Bethlehem bis auf den Hermon an der syrisch-libanesischen Grenze. Voller Neugier erkundet er, was von den Ideen des einstigen Erlösers im Heiligen Land geblieben ist, und räumt mit weitverbreitetem Halbwissen auf. Und als er bei Beduinen auf Harry Potter trifft, am Lagerfeuer im Golan die Gefechte jenseits der Grenze hört und beim Barbier im Westjordanland für einen Spion gehalten wird, ist klar, dass dies keine Reise auf den Spuren der Vergangenheit bleiben wird. (Klappentext)

Rezension:

Bereits vor ein paar Jahren schon einmal veröffentlicht, hat jetzt der brisante Reisebericht von Nils Straatmann eine Neuauflage erfahren. Damals Theologiestudent begab sich der Autor mit einem Freund einmal kreuz und quer durch das Heilige Land. Israel und Palästina wollten beide erkunden, genauer gesagt, die Wirkungsstätten und Stationen des historischen Jesus‘ oder das, was man heute dafür hält. Was haben die Orte heute noch für eine Bedeutung? Wie viel ist von den ursprünglichen Ideen geblieben, zumal in einer konfliktbeladenen Region, deren Kontroversen heute kaum mehr zu entwirren sind? Nils Straatmann suchte den Kontakt und das Gespräch, um Antworten zu bekommen. Zurück kam er mit vielen Fragen.

Als ich mich auf diese Reise vorbereitete, dachte ich, ich würde mich mit Jesus und seiner Geschichte als etwas Vergangenem beschäftigen. Ich hätte nicht gedacht, wie gegenwärtig das alles ist, wie politisch. Nach unseren Erfahrungen […] ist eine naive, leichte Sicht auf die Region nicht mehr möglich. Wir haben so viele Ungerechtigkeiten gesehen und es ist zu ahnen, dass diesen Ungerechtigkeiten andere Ungerechtigkeiten vorausgingen, die wiederum aus anderen Ungerechtigkeiten hervorgingen, deren Wurzeln wir nicht kennen. Wir dürfen nicht versuchen, sofort alles zu verstehen. Wir müssen sehen, erleben, verarbeiten. Und deshalb wird diese Reise ein ständiger Prozess sein. Vielleicht ist das bereits eine unserer größten Erkenntnisse.

Nils Straatmann: Auf Jesu Spuren

Wie beschreibt man das Erleben einer Region, die nach normalen Maßstäben kaum zu fassen ist, taucht der Nahe Osten doch oft genug nur in unserer Wahrnehmung auf, wenn einmal mehr ein Anschlag, egal auf welcher Seite des Konflikts, seine Opfer fordert? Zumal, wenn man sich eigentlich auf eine historische Dimension davor konzentrieren möchte?

Das versucht der Autor zu Beginn seiner Reise und so öffnet sich zunächst Straatmann und seinem Begleiter eine Region voller Geheimnisse und Widersprüche, die aufgeteilt nach Reiseetappen beschreibt. Immer mit den Blick auf die historischen Vorgaben versucht er das Erlebte mit dem Gelernten aus dem Theologiestudium in Einklang zu bringen, um nach und nach festzustellen, dass zum Einen einige Wirkungsstätten, ob historisch begründet oder vermeintlich, in quasi kirchliche Freizeitparks mit Eventcharakter und angeschlossenen Souvenirshops verwandelt wurden, zum anderen der politische und religiöse Konflikt zwischen Israel und Palästina alle anderen Fragen des Lebens dort überlagert.

Die Menschen von Nablus scheinen gut und gütig zu sein, doch eine unterschwellige Spannung liegt in der Luft. Misstrauen und Frist. Die Stadt drängt nach Leben und scheitert an ihren Grenzen. Zu viele Leute auf zu wenig Platz mit zu wenig Möglichkeiten. Ein Sinnbild des Landes.

Nils Straatmann: Auf Jesu Spuren

So überlagern auch die Fragen des Heute schnell die des eigentlichen Reisegrundes. Wer hier also eine hauptsächlich historisch-religiöse Spurensuche vermutet, wird enttäuscht werden, auch wenn sich Straatmann das sicherlich auch zu Beginn seines Trips anders vorgestellt hat. Stattdessen bekommt man einen messerscharfen Blick, wie Religion heute ist bzw. sein könnte und was der Konflikt mit den Menschen gerade dort macht, die oft im Kleinen sehr pragmatisch vorgehen, selbst jedoch an den Hürden der großen Politik verzweifeln.

Dieser Kontrast schält sich besonders heraus, wenn Straatmann in seinen tagebuchartigen Einträgen seine Erlebnisse wie Momentaufnahmen festhält und dem gegenüber das Denken und die Aussagen seiner Gesprächspartner stellt. Immer dann wirkt der Resebericht besonders stark, auch wenn der Autor sich zurücknimmt, um dann doch etwas über die jüngere Geschichte zu erläutern. Dabei gelang es Straatmann während der Reise vor allem, zuzuhören und in seinem Buch, sich nicht dafür oder dagegen zu positionieren, was eine Leistung ist, wo einem dieser Konflikt quasi ständig dazu zwingt.

Wie soll ein Land Frieden finden, in dem man schon mit 15 Jahren lernen muss, wie man eine Waffe zu gebrauchen hat?

Nils Straatmann: Auf Jesu Spuren

So ist „Auf Jesu Spuren“ kein klassischer Reisebericht, aber auch keine Reportage in Reinform oder aber ein Sachbuch zur Historie, eher aus letzterer heraus eine Momentaufnahme des Heute. Zudem tut hier die Entscheidung gut, sich zurückzunehmen, keine Lösungsvorschläge bieten zu wollen, aber einige Konfliktursachen zu benennen und sie dem Gegenüber zu stellen, was sich mit den Orten Jesus‘ in Verbindung und mit dessen Zielen im Einklang bringen lässt. Wer dies so liest, wird einiges für sich aus der Lektüre ziehen können. Alle anderen sollten eher zur Sekundärliteratur greifen.

Neben den Taufhemden werden abgefülltes Jordanwasser und Erde aus dem Heiligen Land angeboten. Oder Frühstücksbrettchen mit der Aufschrift: „God is my pilot. I am only the co-pilot.“

Nils Straatmann: Auf Jesu Spuren

Ergänzt wird der Bericht durch einen Fototeil und zwei Karten, einmal der Route auf einer modernen Landkarte und einmal so, wie sie ausgesehen hat, zu Lebzeiten Jesus‘. Alleine für diese Gegenüberstellung lohnt sich das schon.

Autor:

Nils Straatmann wurde 1989 in Geesthacht geboren und ist ein deutscher Autor und Poetry-Slamer. Er studierte in Leipzig Theologie und schreibt Beiträge für verschiedene Zeitungen und Magazine. 2008 gewann er die deutschsprachigen U20 Poetry Slam Meisterschaften in Zürich, 2013 die deutschsprachigen Meisterschaften in Zürich.

Ein Jahr später veröffentlichte er sein erstes Reisetagebuch. Er moderiert verschiedene Shows und Rundfunksendungen und spielt als Teil der Autoren-Nationalmannschaft des DFB. 2017 veröffentlichte er seinen Reisebericht „Auf Jesu Spuren“, der nun neu aufgelegt wurde. 2019 als Co-Autor, zusammen mit Robby Clemens „Bis ans Ende der Welt und zu mir selbst“.

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Empfehlung: Jose Eduardo Aqualusa – Barroco Tropical

Vorab: Außerhalb der ausführlich rezensierten Werke gibt es natürlich noch andere empfehlenswerte Literatur, die sicher in dem einen oder anderen Bücherschrank gehört und seine Fans sucht. Für diese gibt es die Kategorie -Empfehlungen- auf diesem Blog.

Dem Schriftsteller und Filmemacher Bartolomeu Falcato fällt eine Frau buchstäblich vor die Füße. Nicht aus heiterem Himmel, schon gar nicht freiwillig, sie ist tot. Eine rasante Odysee beginnt, die durch die Abgründe der angolanischen Hauptstadt Luanda führt. Bartolomeu geräöt in einen Strudel aus skrupelloser Gewalt, Liebe, Leidenschaft und Eifersucht. (abgewandelte Inhaltsangabe)

Der zwischen den Ländern Angola, Portugal und Brasilienpendelnde Schriftsteller Agualusa setzt damit die Wegmarken eines spannenden Settings, welches die Abgründe eines hierzulande nur stiefmütterlich behandelten Bündels aus Themen behandelt, die in der westlichen Welt kaum jemand auf den Schirm hat. Politische Korruption und Machtspiele mag der Eine oder andere noch mit gewissen Ländern in Verbindung bringen. Wie sieht es jedoch aus mit der Verfolgung von insb. Kindern und Jugendlichen als Hexen? Eine Praxis, geschürt durch einen alten Volksglauben, dem in den letzten Jahren zu viele Menschen zum Opfer gefallen sind.

In seinem Roman „Barroco Tropical“ beschreibt der Autor einen chaotischen Trip, diesen Dschungel zu durchdringen, für den nicht nur der Hauptprotagonist all seine Sinne beisammen halten muss. Durchhaltevermögen und Konzentration sind auch bei den Lesenden notwendig.

Autor: Jose Eduardo Agualusa
Titel: Barroco Tropical
Seiten: 316
ISBN: 978-3-293-20913-8
Verlag: Unionsverlag
Übersetzer: Michael Kegler

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Marietta Slomka: Nachts im Kanzleramt

Inhalt:

Politik zu erklären ist Marietta Slomkas Beruf: Die bekannte Journalistin moderiert im ZDF das heute journal und weiß, wie es hinter den Kulissen zugeht. In Nachts im Kanzleramt erklärt sie locker und verständlich, mit Anekdoten und praktischen Beispielen, wie Politik tatsächlich funktioniert und welche Insiderbegriffe man kennen sollte.

Wer dieses Buch gelesen hat, hat nicht nur den Durchblick, sondern ist auch fit für jede politische Debatte. Ein junges Buch für die Themen von heute! (Klappentext)

Rezension:

Die politische Debatte verliert sich in Details zu verlieren und am Ende erscheint das Ergebnis nur als fauler Kompromiss, der zudem bei vielen Menschen auf Unverständnis stößt. Doch, warum mahlen die Mühlen der Politik so langsam? Wie funktioniert das überhaupt, die Politik in der Hauptstadt und das staatliche Gefüge der Bundesrepublik? Wie entstehen Nachrichten und regiert Geld tatsächlich die Welt? Wenn ja, bei viel Grad wäscht man es?

Diese und andere Fragen hat die Nachrichten-Moderatorin Marietta Slomka zusammengestellt. Entstanden ist eine Sammlung von Grundlagenmaterial, welche Schule machen müsste.

Aufgelockert durch Karikaturen von Mario Lars und eigenen Anekdoten beschreibt die Autorin zunächst das politische System der Bundesrepublik, wie Wahlen und Mherheitsverhältnisse zustande kommt und danach, wie das Zusammenspiel in der Politik eigentlich funktioniert. Wie arbeiten die staatlichen Organe? Wie kommen Gesetze und Beschlüsse zustande und warum kommt es in der Praxis manchmal anders als in der Theorie?

Darauf folgen ein Schnellkurs Medien, sowie Wirtschaft und Europa, zuletzt das Wirken der internationalen Staatengemeinschaft. Auch hier geht die Autorin nicht vom Vorwissen aus, sondern bleibt bei den Grundlagen, von denen man vielleicht bereits viel kennen mag, jedoch nicht in allen Aspekten oder Übergänge und Unterschiede danach noch genauer umreißen können dürfte.

Betont sachlich zeigt sie Schwach- und Reibungspunkte des Systems Bundesrepublik auf, jedoch auch, wie und warum dieses gefüge funktioniert. Zusammenhänge werden so verständlich dargestellt.

Politisches Wissen frischt die Moderatorin auf oder beginnt es zu schaffen, je nachdem, von welchem Standpunkt aus das Werk gelesen wird. Mit diesem Werk Schulbibliotheken zu bestücken oder es im Unterricht zu verwenden, ist vielleicht gar keine so schlechte Idee.

Bei diesem Publikum dürften beim Lesen auch keine Längen entstehen, was bei politisch Versierten durchaus der Fall an der einen oder anderen Stelle ist. Mancher wird sich sagen, das weiß man doch. Aber wirklich alles?

Autorin:

Marietta Slomka wurde 1969 in Köln geboren und ist eine deutsche Journalistin und Fernsehmoderatorin. Zunächst studierte sie Volkswirtschaftslehre und Internationale Politik in Köln und der University of Kent in Canterbury/England, bevor sie 1995 dieses als Diplom-Volkswirtin in Köln abschloss.

Von 1991-1996 war sie freie Mitarbeiterin des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, ab 1994 für die Kölnische Rundschau tätig.

Nach einem Volontariat bei der Deutschen Welle arbeitete sie zunächst für das ZDF als Parlamentskorrespondentin in Bonn, bevor sie 2000 die Moderation des Nachrichtenmagazins heute nacht übernahm, ein Jahr später dann das heute journal.

2013 erhielt sie den Deutschen Fernsehpreis für die beste Informationssendung, 2015 den Janns-Joachim-Friedrichs-Preis. Neben dem heute journal moderierte und produzierte sie bis dato weitere Sendungen und Formate für das ZDF.

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Christian Bommarius: Im Rausch des Aufruhrs – Deutschland 1923

Inhalt:

Franzosen und Belgier besetzen das Ruhrgebiet. Tucholsky wirft hin und geht zur Bank. Hemingway wird nicht bedient. Das Rheinland will sich vom Reich abspalten. Anita Berber hat sie alle in der Hand, Joseph Roth steht vor dem Durchbruch. In Hamburg proben Kommunisten den Aufstand und Hitlers Bierkellerputsch scheitert in München blutig. Ein Brot kostet 399 Milliarden Mark.
(Klappentext)

Rezension:

Die neue Demokratie steht auf wackligen Beinen, akzeptiert wird sie nur von wenigen. Die Niederlage des Ersten Weltkriegs ist noch nicht zu lange her. Einen Weg zur Stabilisierung hat man noch nicht gefunden, gefundenes Fressen für radikale Kräfte. Das Geld verliert immer mehr an Wert. Bald schon wird der Lohn in Schubkarren ausgegeben werden müssen.

Für Banken arbeitende Druckereien suchen händeringend Angestellte. Auch ein späterer Propagandaminister, sowie ein kranker Schriftsteller finden sich hinter Bankschalter wieder. Es ist das Jahr 1923, kurz bevor der deutsche Staat sich zu stabilisieren beginnt und zugleich auch Risse bekommt, die ihn später mit zu Fall bringen sollten. Der Journalist Christian Bommarius hat sich mit der rührigen Zeitspanne von zwölf ereignisreichen Monaten beschäftigt.

Ein Sachbuch als historischer Kalender, dies ist die Aufmachung, in der jedem Monatskapitel zunächst eine Übersicht der zu den Zeitpunkt stattfindenden Ereignisse vorangestellt wird, eingeführt durch jeweils mehrere bezeichnende Fotos. Fast literarisch wird die Zusammenfassung danach aufgefächert. Wir begleiten Politiker und solche, die es einmal werden, Putschisten, Künstler und Literaten durch dieses flirrende Jahr und einen geschassten Monarchen, der von seiner Rückkehr träumt.

Die Fakten sind bekannt. Beiderseits der Grenze des Ruhrgebiets, welches von den Franzosen besetzt wird, nichts Neues. Trotzdem wirken die Texte zuweilen hölzern. Leichtgängig ist etwas anderes. Ein Lesefluss entsteht alleine nicht durch den vielseitigen Wechsel der beschriebenen Ereignisse, die zwar ausgiebig recherchiert wurden, aber für Sprunghaftigkeit wirken. Es gilt, Überblickswissen zu erlangen. Wer dieses bereits hat, sollte sich spezialisierter Lektüre zuwenden. Hier wird Grundlagenwissen aufgefrischt.

Eine gute Ergänzung ist das Personenverzeichnis hintenan, welches einen Ausblick auf den weiteren Verlauf der im Text aufgeführten Biografien gibt, deren Weichen auch und besonders im Jahr 1923 gestellt wurden.

Was sehr interessant dargestellt wird, sind die Auswirkungen der Inflation auf die einzelnen Wege der jeweiligen Personen, doch immer dort, wo es spannend wird, erfolgt der Wechsel zum nächsten Momentum. Dabei hat der Autor ein umfangreiches Detailwissen vorzuweisen. Vielleicht wäre hier die Konzentration auf einen Bereich, etwa Kunst und Kultur, nur Wirtschaft oder nur Politiker, vorteilhafter gewesen? Eine Einführung und Übersicht ist es jedoch allemal.

Autor:

Christian Bommarius wurde 1958 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach der Schule studierte er Rechtswissenschaften und Germanistik, bevor er als Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht arbeitete. Er war von 1998 bis 2017 Redakteur bei der „Berliner Zeitung“, anschließend Kolumnist der „Süddeutschen Zeitung“. Er arbeitet zudem als freier Autor und wurde bereits mit dem otto-Brenner-Preis (2018) und den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste, Berlin, ausgezeichnet.

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Florian Schwiecker/Michael Tsokos: Eberhardt & Jarmer 2 – Der 13. Mann

Inhalt:

Ein Mann. Eine Leiche. Ein Abgrund.
Rocco Eberhardt kann kaum glauben, was den unscheinbaren Timo Krampe in seine Anwaltskanzlei führt: Timo wollte mit seinem Freund Jörg einen Skandal von enormer Sprengkraft aufdecken, doch nun ist Jörg verschwunden. Emordet, wie Rechtsmediziner Justus Jarmer angesichts der Wasserleiche auf seinem Tisch vermutet.

Und auch Timos Leben scheint in Gefahr, denn seine Enthüllung ist wahrlich brisant: Im Rahmen des Granther-Experiments hatten Berliner Jugendämter noch bis 2003 Pflegekinder bewusst an pädophile Männer vermittelt – auch Timo und Jörg. Und die Verantwortlichen sitzen inzwischen an den Schalthebeln der Macht… (Klappentext)

Bücher der Reihe:

Rezension:

Ein rechtsmedizinisch, nur angehauchter, Justiz-Krimi ist das, was diesmal die Autoren Florian Schwiecker und Michael Tsokos vorgelegt haben, der jedoch um so spannender daherkommt, wie auch die Anlehnung an reale Geschehnisse hoch brisant ist.

Wieder enstpannt sich ein zunächst relativ harmloser, dennoch düster erscheinender Fall um das ungleiche Ermittler-Duo, den Rechtsmediziner Justus Jarmer, der eine aus einem Berliner Kanal geborgene Leiche obduzieren muss, und Strafverteidiger Rocco Eberhardt, der diesmal in die Verlegenheit kommt, ein Opfer mit einer unglaublichen Geschichte vertreten zu müssen. Beide Fälle sind schnell einer und der wirbelt genug Staub auf, dass nicht nur die beiden Hauptprotagonisten sich bald einem gewaltigen Sturm gegenüber sehen.

Dabei ist der Erzählstil, wie auch schon mit Auftakt der Reihe, weiterhin sehr ruhig, wenn auch zahlreiche Thriller-Elemente, wie Kapitel, erzählt aus den verschiedenen Sichtweisen der handlungsgebenden Figuren, vorhanden sind und genug Wendungen, um Lesende zu verwirren und aufs Glatteis zu führen.

Dabei gelingt den Schreibenden die Protagonisten mit einer genügenden Prise Realität auszustatten und sich entlang von Geschehnissen zu hangeln, die dennoch genügend verfremdet und abgewandelt wurden, wie man anhand des Nachworts erfährt. Schließlich ist nichts grausamer als die Realität.

Spannend ist hier die psychologische Komponente der Figur Timo Krampe herausgearbeitet, genau so, wie die des zuerst unscheinbar bleibenden Gegenspielenden. Dessen Identität und Rolle wird schnell klar, nur beinahe zu schnell. Mit wenigen Kapiteln rückt das Taktieren der Protagonisten in den Vordergrund, woraus eine interessante Dynamik entsteht.

Nicht ganz so detailliert sind gerichtsmedizinische Elemente, weshalb dieser Krimi durchaus, wenn auch mit Vorsicht, jene sich zu Gemüte führen können, die es nicht ganz so blutig mögen. Insgesamt kann man den beiden Autoren zuschreiben, einen Band geschrieben zu haben, der nicht schwächer ist als der erste, an Erzähltempo zulegt und Lust macht, auf weitere Fälle (die ansonsten unabhängig voneinander gelesen werden können).

Autoren:

Michael Tsokos wurde 1967 in Kiel geboren und ist ein deutscher Rechtsmediziner und Professor an der Charite Berlin. Seit 2007 leitet er dort das Institut für Rechtsmedizin und das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin-Moabit. Zudem ist er als Autor von Sachbüchern und Thrillern, oft in Kombination mit anderen Autoren tätig.Seit 2014 engagiert er sich als Botschafter des Deutschen Kindervereins.

Florian Schwiecker wurde 1972 in Kiel geboren und ist vom Beruf Strafverteidiger. 2017 erschien sein erster Thriller. Für eine Zeitung schreibt er regelmäßig eine Thriller-Kolumne.

Der Autor lebt in Berlin.

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Caroline Draeger (Hrsg.): Angela Merkel – Die großen Reden

Inhalt:
„Deutschland, das sind wir alle.“, „Es ist sehr ernst.“ oder „Wir schaffen das.“ – diese Zitate aus wichtigen Reden von Bundeskanzlerin Angela Merkel machen Schlüsselmomente deutscher Politik lebendig. Sie zeigen, welch entscheidende Rolle die Reden der Kanzlerin spielten: während der Bankenkrise 2008, in der Flüchtligsdebatte 2015 und in besonderen Maße in der Corona-Pandemie 2020/21.

Angela Merkels Reden verdeutlichen, für welche Werte die erste Kanzlerin der Republik stand – jenseits aller politischen Interessen. Und warum uns ihre Worte weit über den Ort und den Anlass hinaus heute noch bewegen. (Klappentext)

Rezension:
Die Auswertung einer 16-jährigen Kanzlerschaft hatte bereits vor ihrem Ende begonnen. Bücher erschienen im Laufe ihrer letzten Legislaturperiode zu Hauf. Bildbände waren darunter, Biografien und Abrechnungen. Welchen Platz sich die erste Frau an der Spitze des politischen Geschehens der Bundesrepublik gesichert hat, wird die Zeit zeigen. Ihre Drei-Wort-Sätze, auf die man Angela Merkel gerne reduzierte, entwickelten ein Eigenleben, welches polarisierte, mindestens aber bezeichnend war, für die Zeit, in der sie fielen.

Jenseits von „Sie kennen mich.“ waren es jedoch immer auch große Reden, die Wegmarken markierten und Zeichen setzten, wenn sie auch unprätentiös vorgetragen wurden. Angela Merkel sprach nicht nur als erste deutsche Regierungschefin vor dem israelischen Parlament, der Knesset, auch vor dem amerikanischen Kongress, nicht zuletzt im Bundestag oder in zahlreichen Fernsehansprachen im Zuge der Corona-Pandemie. Da kam die frühere Wissenschaftlerin zum Vorschein, die mit der Wende ihren Einstieg in die Politik fand und beide Ebenen versuchte, miteinander in Einklang zu bringen.

„Es war weniger das Vorbereitete als das Spontane, nicht der Vortrag, sondern ihre Schlagfertigkeit, mit der Merkel einen Saal durchaus in wenigen Worten für sich einnehmen konnte, weil sie für kurze Zeit aus dem Amt ins Authentische wechselte.“

Nico Fried im Vorwort zu „Angela Merkel – Die großen Reden“.

Die Verlagslektorin Caroline Dreager und der Journalist Nico Fried haben zusammengetragen, was an Reden für die Zeitgeschichte bedeutsam werden dürfte. Sie werten dabei nicht, lediglich das Vorwort ordnet ein wenig ein, ansonsten ist man lesend frei, dies für sich selbst zu sortieren. Kennzeichnend, manches liest sich leichter, als es sich zum Zeitpunkt des Vortragens anhörte. Doch bekommen wir hier einen Einblick in minutiös ausgearbeitete Reden, die natürlich auf eine bestimmte Wirkung abzielten. Interessant auch, was sich vor allem an formulierten politischen Zielen umsetzen ließ und was nicht oder nur mit Abstrichen.

Das gesprochene Wort ist eines der wichtigsten Werkzeuge im Politikbetrieb, zumal der Regierungschefin. Etwas anderes als eine Sammlung von Reden braucht es daher nicht unbedingt. Unabhängig vom politischen Standpunkt der Lesenden ist dieses Werk ein gelungenes zeithistorisches Dokument.

Autoren:

Dr. Caroline Draeger wurde 1967 geboren und ist promovierte Sinologin. Sie arbeitet als Verlagslektorin.

Nico Fried wurde 1966 in Ulm geboren und ist ein deutscher Journalist. Er studierte in München und Hamburg Politikwissenschaften. Seit 2007 leitet er die Parlamentsredaktion der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Vorher arbeitete er für die Berliner Zeitung, nachdem er im Jahr 2000 zur Süddeutschen Zeitung wechselte. 2004 übernahm er die journalistische Beobachtung der SPD.

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Sasha Filipenko: Die Jagd

Inhalt:

Ein Journalist, der zu viel weiß. Ein Sohn, der seinen Vater verrät. Ein Oligarch, der keine Gnade kennt. Ein korrupter Schreiberling ohne jeden Skrupel. Medien, die auf Bestellung einen Ruf ruinieren. Sasha Filipenko erzählt die Geschichte des idealistischen Journalisten Anton Quint, der sich mit einem Oligarchen anlegt. Worauf dieser den Befehl gibt, Quint fertigzumachen. Die Hetzjagd ist eröffnet. (Klappentext)

Rezension:

Wer Belarus und Russland verstehen möchte, sollte sich einmal aufmerksam die Biografie Sasha Filipenkos anschauen. Zunächst nach St. Petersburg ausgewandert, um über sein Geburtsland unbehelligt schreiben, damit gleichzeitig aber auch unangreifbar das russische politische und gesellschaftliche System auf’s Korn zu nehmen, lebt der Autor inzwischen in Deutschland, um ohne Einschränkungen leben und schreiben zu können.

Er tut dies auf Russisch und nahm in seinem Roman „Rote Kreuze“ die Umdeutung der Geschichte vor, im Nachfolgeband dann das belarussische Gesellschaftssystem. In „Die Jagd“ beschreibt er, brandaktuell, den Einfluss der Oligarchen, Russlands Superreiche und das Dilemma derer, die versuchen, ehrlich zu bleiben.

Sperriger als die anderen, bereits auf Deutsch erschienenen Romane, gelingt der Einstieg in zwei parallel verlaufende Geschichten, die sich erst mit zunehmender Seitenzahl in einander verketten und auf die unvermeidbare Katastrophe zusteuern. Der Erzählstil ist gewöhnungsbedürftig, doch zunächst schaffen wechselnde Perspektiven eine Übersicht über die handelnden Protagonisten, die unterschiedlich zum gesellschaftlichen System stehen. Parallelen zu realen Personen sind hier nicht unbeabsichtigt.

„[…] Anton, für eure Zeitung kann man einen eigenen Friedhof aufmachen!“

Sasha Filipenko: Die Jagd

Tatsächlich lassen sich existierende Pendants im russischen Raum ausmachen, was der Erzählung eine ungeheure Brisanz verleiht, zumal jetzt in diesen Zeiten. Filipenko beschreibt familiäre Machtstrukturen nahe der großen Politik, nebst käuflichen und ideellen Medienjournalismus und die Unterschiedlichkeit des Umgangs der Menschen, die damit gelernt haben, zu leben. Ob sie das so akzeptieren oder eben nicht.

Im Gegensatz zu „Der ehemalige Sohn“ ist die Tonalität nicht gleich und überwiegend deprimierend, sondern steuert von einer, vielleicht nicht optimistischen Haltung, so doch Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen, zumindest von Seiten der Hauptfigur Anton Quints, erst langsam, dann immer schneller gen Abgrund zu.

„Es ist mein Beruf, an die anderen zu denken!“ „Aber denk doch auch einmal an uns. Oder sollen sich doch deine Opfer, die du andauernd rettest, wenigstens ein einziges Mal für dich einsetzen. Sollen sie mal dir helfen. […]“

Sasha Filipenko: Die Jagd

Filipenko zeigt, wenn auch nicht ganz so stimmig, dass es durchaus auch innerhalb der mächtigen Familien verschiedene Sichtweisen geben mag, zumindest auf einige Themenbereiche bezogen. Der Autor vergisst nicht die Zwischentöne, die vielen Wahrheiten, in denen man in einem System, wie dem russischen, leben kann und das ist großartig, zumal quasi aus dem Exil heraus geschrieben. Hier machen die Protagonisten beider Seiten eine nachvollziehbare Entwicklung durch.

Natürlich ist auch klar, bei welcher Figur die Sympathien liegen müssen, doch zeigt der Schreibende auch, welche Konsequenzen Idealisten in einem solchen Gesellschaftssystem zu tragen bereit sind. Es muss die Frage gestellt werden, ob dies notwendig ist, zumal wenn es darum geht, nicht nur aufzuzeigen, wo die kritischen Punkte liegen, sondern irgendwann auch darum, den eigenen Kopf aus der sich selbst angelegte Schlinge zu ziehen.

„[…] Die ganze Geschichte dieses Landes läuft darauf hinaus, dasss das Geschmeiß Menschen wie dich hinausekelt, und du erwartest, dass sich das plötzlich ändert.“

Sasha Filipenko: Die Jagd

Gegen Ende hat man dem Autoren den zu Beginn etwas hölzernen und unnahbaren Erzählstil verziehen und schaut gebannt auf das dargestellte Szenario, welches reale Vorbilder hat. Vielleicht hilft das zu verstehen, wie Russland funktioniert. Gerade aktuell ist dies bezeichnend. Das System ist hart im Umgang mit dem Lebensglück der Menschen. Filipenkos Roman zeigt, dass das durchaus für beide Seiten der russischen Gesellschaft gilt.

Autor:

Sasha Filipenko wurde 1984 in Minsk geboren und ist ein weißrussischer Schriftsteller der auf Russisch schreibt. In seiner Wahlheimat St. Petersburg studierte er nach einer abgebrochenen Musikausbildung Literatur und widmete sich der journalistischen Arbeit, war Drehbuch-Autor, Gag-Schreiber für eine Satire-Show und Fernsehmoderator. Aktuell lebt Filipenko in Deutschland.

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Richard Powers: Erstaunen

Inhalt:
Wie kann eine Familie in einer unberechenbaren Welt überleben?

Vater und Sohn allein: Der hochbegabte Robbie mit Asperger-Zügen kann den Tod der Mutter nicht verwinden. In der Schule unverstanden, will er die Mission seiner Mutter vollenden: Er malt Plakate und demonstriert auf den Stufen des Kapitols, um die Natur zu retten.

Der verzweifelte junge Vater will ihm mit ungestümer Liebe alles geben. Als Astrobiologe sind ihm die Sterne nah, und auf Wanderungen entdecken sie, dass die Wunder vor ihren Füßen liegen und sie einander brauchen. Doch was geschieht, wenn die Welt schneller endet, als unsere Zukunft beginnt? (Klappentext)

Rezension:

Gleich zu Beginn ist die Verzweiflung zu spüren, die dem Protagonisten zu schaffen macht, beschäftigt sich der Wissenschaftler Theo mit nichts weniger als der Frage nach der Entstehung des Lebens in den unendlichen Weiten des Alls. Mit seinem Team entwickelt er Modelle um sich dem Unbegreiflichen zu nähern und scheitert doch schon im Kleinen, in seinen eigenen vier Wänden.

Dort, zu Hause, bringt ihn sein neunjähriger Sohn an Grenzen. Robbie ist anders als Kinder seines Alters, begreift schneller, hoch intelligent, unverstanden von einem System, in das er sich nicht einordnen lässt, traumatisiert vom frühen Tod seiner Mutter.

Das Leben der beiden nun auf sich Gestellten ist in eine Sackgasse geraten. Nur Wanderungen in der Natur und gedankliche Reisen auf die Planetenmodelle Theos helfen, dem Alltag zu bewältigen, während sie dem Abgrund auf Erden immer näher kommen.

Richard Powers stellt die großen Fragen. Wie auch sein Kollege Jonathan Safran Foer legt er die Finger in die offenen Wunden Amerikas und zeigt die Spaltung Amerikas anhand der Themen auf, denen wir uns alle stellen müssen.

Welche Welt wollen wir unseren Kindern und Kindeskindern hinterlassen? Gibt es eine Zukunft oder müssen wir uns dem Unvermeidlichen fügen? Sollten wir nicht einmal den vermeintlich Schwächsten unsere Aufmerksamkeit schenken, denen zuhören, die sich nicht in einem System einfügen können oder es wollen?

„Dad. Ich enwickle mich zurück. Das spüre ich.“

Richard Powers: Erstaunen

Verpackt wird dies in einem dicht geschriebenen Roman, der nur oberflächlich eine durch Gedankenspiele aufgelockerte Erzählung ist, eine Coming-of-Age-Geschichte, zugleich eine, in der der Vater bereit ist, alles für seinen unverstandenen Sohn zu geben, ohne ihn selbst wirklich begreifen zu können.

Es ist auch zugleich ein Zustandsbericht Amerikas, dessen Gräben schier unüberwindbar scheinen, zwischen Ideologie und Vernunft, Kurzsichtigkeit und langfristigen Denken.

Der Autor lehnt seine Protagonisten an reale Personen an, ohne sie konkret zu benennen, doch weiß jeder mit dem Lesen der ersten Zeilen, wer wann gemeint ist, wer die Vorbilder für den tönenden Politiker darstellt oder der Jugendlichen, die zum Gesicht des Kampfes um die Zukunft für ihre Generation wird.

Kapitelweise reiht Powers die großen Fragen unserer Zeit aneinander, lässt die klare Sicht des Kindes mit der der Erwachsenen aneinander prallen, bringt jeden Hoffnungsschimmer zum Verglühen, gleichsam den sterbenden Sternen im Weltall.

„Dad, ich vermassle dir dein ganzes Leben.“

Richard Powers: Erstaunen

Kunstvoll verwebt er Gesellschaftskritik mit Darstellungen der Wissenschaft und politischem Zeitgeschehen, positioniert sich dabei so klar, dass sofort ersichtlich ist, wer die Leserschaft in seinem Heimatland sein wird, wen er, wenn überhaupt nur oberflächlich erreichen wird.

Hierzulande ist „Erstaunen“ eine vielschichtige Geschichte voller Hoffnung, viel mehr Verzweiflung, Tragik und der Bitte, wenigstens es zu versuchen, zu verstehen, was schier unbegreiflich scheint.

Glaubwürdig erscheinen dabei die handelnden Protagonisten, der Wissenschaftler, der um den Erhalt seines Projektes kämpfen muss, gleichzeitig den Spagat zwischen beruflichem Erfolg und privaten Leben versucht, der Sohn, der begreift, dass er anders ist als der Schnitt seiner Altersgenossen und zugleich erste vorpubertäre Konflikte austrägt und eine Gesellschaft, die an die Grenzen dessen gerät, was den Kitt zusammenhält, wobei auch der Autor nicht umhin kann, eine zu sehr amerikanische Sichtweise durchscheinen zu lassen.

Sprachlich ist das nicht immer der große Wurf, doch Powers schafft es, seine Leserschaft versinken zu lassen, gleichwohl dazu anzuraten ist, dies sich nicht unbedingt zu Gemüte zu führen, wenn man sich selbst in einem tieferen Loch befindet.

Autor:

Richard Powers wurde 1957 geboren und ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Zunächst studierte er Physik, wechselte dann zu Literaturwissenschaften, um anschließend als Programmierer zu arbeiten. Im Jahr 1985 veröffentlichte er seinen ersten Roman, nahm später eine Lehrtätigkeit an der University of Illinois at Urbana-Champaign an und schrieb an weiteren Werken, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde.

2019 wurde „Die Wurzeln des Lebens“ zum Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet. Zehn Jahre zuvor hatte er eine Gastprofessur an der Freien Universität zu Berlin inne. Kennzeichen seiner Werke sind die Verarbeitung naturwissenschaftlicher und philosophischer Themen. Powers lebt in den USA.

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