Politik

Kocku von Stuckrad: Nach der Ausbeutung

Inhalt:
Es ist heute kein Geheimnis mehr, dass sich die Erde in einem gewaltigen Transformationsprozess befindet. Die globale Klimakatastrophe hat einen Punkt erreicht, an dem die Lebensfähigkeit vieler Ökosysteme und Arten, auch das Überleben des Menschen, auf dem Spiel stehen. Zunehmen setzt sich die Erkenntnis durch, dass es eine radikale Veränderung im Verhältnis zwischen dem Menschen und der nichtmenschlichen Welt geben muss, wenn wir eine lebendige Zukunft des Planeten sicherstellen möchten.

Wie können wir unser Wissen über die Welt erweitern und so gestalten, dass es die Verletzlichkeit des Lebens respektiert und den Menschen als Teil einer planetarischen Lebensgemeinschaft begreift? Welche Konsequenzen hat ein solcher Ansatz für Wissenschaft, Gesellschaft und Politik? Das sind die Fragen, denen Kocku von Stuckrad in seinem neuen Buch nachgeht. (Klappentext)

Rezension:
Wissenschaft neu denken, in Bezug mit Kultur und Natur zu setzen und damit die Trennung von Geist und Materie aufzubrechen. Dies ist der Ansatz, den der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad verfolgt, um den Menschen in ein komplexes Beziehungsgeflecht mit der nichtmenschlichen Welt in Verbindung zu bringen und so den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Diese Wende,, die er „Mitweltethik“ nennt, soll konkrete Zukunftsperspektiven bieten und die Ausbeutungsregime von Patriarchat, Kapitalismus und Kolonialismus überwinden. Das übergreifende Denkmodell beschreibt er nun in seinem neuen Sachbuch „Nach der Ausbeutung“, welches den Spagat wagt, zwischen Philosophie, Religion und den traditionellen Naturwissenschaften.

Der Ansatz dabei, wie wir Menschen an den Punkt gekommen sind, die Erde kurz vor einem Kollaps und damit selbst einen Fuß bereits im Abgrund stehen zu haben, ist nachvollziehbar. Säulenartig werden die Zustände, die er als Ausbeutungsregime zu benennen weiß, erläutert und zueinander in Bezug gesetzt, bevor der Autor dazu übergeht, zu erklären, wie Wissenschaft abweichend von traditionellen Pfaden bereits in Ansätzen neu gedacht wird, um sie zu überwinden. Die Erkenntnis, interdisziplinär arbeiten zu müssen und dabei auch ungewöhnliche Wege zu verfolgen, ist nicht neu, auch Naturobjekten eine Stimme zu verleihen, mit Hilfe von Kunst und Kultur, ist etwas, was man bereits in einigen Regionen der Welt verfolgt, doch geht von Stuckrad noch viel weiter.

Hier beginnt jedoch eine Problematik, die der Autor sich zwar wünscht aufzubrechen, aber von der alle Lesenden wissen, wie unrealistisch das ist. Wirtschafts- und politische Systeme werden sich nicht so ohne Weiteres umwandeln lassen, auch sind wir Menschen heute um einiges rationaler gestrickt, als es notwendig wäre, um sich auf dieses von ihm verfolgte Denkmodell einzulassen. Eine spannende philosophische Überlegung gleitet damit so weit ins Spiritistische ab, dass es schwer fällt, die ernstzunehmenden Punkte noch von den esoterischen zu trennen. Das tut im Übrigen auch dem Lesefluss nicht gut.

Ein komplexes Modell, welches in Ansätzen sich zwar verfolgen, ganzheitlich aber nicht umsetzen lassen wird, derart zu vertiefen, ist kaum nachzuvollziehen, zudem heute der Komplexität geschuldet, immer mehr fachübergreifende wissenschaftliche Projekte gibt, die im Maße ihrer Möglichkeiten genau das machen, was der Autor sich vorstellt, soweit es nicht ins quasi Religiöse abgleitet. In diesem Sachbuch fehlt mir die rationale Komponente zu sehr, so dass sich einige Fragen und damit Lücken ergeben, die einfach bestehen bleiben. Das mag der Profession von Stuckrads entsprechen, verfehlt aber das Ziel, die Lesenden voll und ganz mitzunehmen.

Autor:
Kocku von Stuckrad wurde 1966 in Kpandu/Ghana geboren und ist ein deutscher Religionswissenschaftler. Er studierte zunächst vergleichende Religionswissenschaft, Philosophie und Judaistik in Bonn und Köln, und promovierte sowie habilitierte anschließend an der Universität Bremen. 2002 folgte eine Gastprofessur an der Universität Bayreuth, anschließend war er in Groningen tätig. Er ist Mitglied der Tierschutzpartei und Beisitzer in derer Berliner Landesverband.

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Carlo Masala: Wenn Russland gewinnt – Ein Szenario

Inhalt:

März 2028: Russische Truppen erobern die estnische Kleinstadt Narwa und die Insel Hiiumaa in der Ostsee. Der Angriff auf das Baltikum hat begonnen. Jetzt rächt sich, dass Europa nach dem Ende des Krieges in der Ukraine nicht aufgerüstet hat und wichtige Fähigkeiten fehlen. Gilt Artikel 5 der NATO? Wie wird sich die Allianz entscheiden? Riskiert sie den atomkrieg?

Wir haben uns daran gewöhnt, dass am Ende alles gut ausgeht. Aber was, wenn nicht? Was, wenn Russland gewinnt? Es ist nur ein hypothetisches Zukunftsszenario, das der renommierte Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala in seinem neuen Buch entwirft – aber es zeigt auf besonders drastische Weise, was heute auf dem Spiel steht. (Klappentext)

Rezension:

Als die Ukraine am Boden liegend einen Waffenstillstand schließen muss, der einer Kapitulation gleichkommt, gibt der russische Präsident Putin überraschend sein Amt ab und lässt eine neue jüngere Generation an die Schalthebel der Macht. Der Neue im Kreml ist im kriegsmüden Westen ein unbeschriebenes Blatt, doch in den Morgenstunden des März 2028 besetzen russische Truppen eine kleine Estland vorgelagerte Insel und eine Kleinstadt mit mehrheitlich russischsprachiger Bevölkerung, gleichzeitig mehren sich in Europa Sabotageakte.

Doch, was will Russland, welches sich zunächst nicht weiterbewegt wirklich und wie soll man darauf reagieren? Estland und die anderen baltischen Staaten fordern die Auslösung von Art. 5, den Bündnisfall des militärischen Beistandsvertrages. Nicht alle Mitglieder der NATO aber wollen das Risiko eines Krieges, möglicherweise mit Atomwaffen eingehen. Wie viel aber ist dann das Bündnis wert und was wären die Folgen?

Szenarien, Planspiele sind seit jeher Bestandteile militärischen Denkens. Einen Schritt voraus zu sein, sich auf alle Möglichkeiten und Eventualitäten vorzubereiten, um dann im Ernstfall folgerichtig reagieren zu können, ist notwendiger den je geworden. In Cyber-Kriegen werden Trollarmeen ins Feld geführt, um ganze Gesellschaften und Systeme zu destabilisieren.

Mit ihrem Auftreten stellen einige Staaten die gegenwärtige Weltordnung in Frage. Der Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala zeigt an einer dieser Gedankenspiralen, wie viel davon abhängt, wie wir auf etwaige Bedrohungslagen reagieren und wählt einen der nächsten realistischen Ausgangspunkte. Der Angriff auf das Territorium der baltischen Staaten ist so weit weg nicht. Schon heute wird an deren Grenzen massiv aufgerüstet, während auf der anderen Seite der Zäune Russland Militärübungen abhält und sich regelmäßig versucht, in innerpolitsche Belange der Länder einzumischen, die es zu seiner Einflussspähre zählt.

Der Autor zeigt dabei in sehr komprimierter Form die politische Schrittfolge und verdeutlicht die Klaviatur, auf der Russland mit den Ängsten der Europäer zu spielen vermag, aber auch, was es bedeutet, wenn Europa nicht geeint und geschlossen handelt und vor allem, weiter es versäumt, Lücken zu schließen, die entstehen, sollte Amerika sich entgültig aus dem gemeinsamen Militärbündnis verabschieden.

In einzelnen Kapiteln verfolgen wir an unterschiedlichen Schauplätzen, die im zeitlichen Verlauf in dichter Abfolge wechseln. Klare Sätze verdeutlichen die Brisanz der Thematik, ohne die verschiedenen Perspektiven nachzuvollziehen- Am Ende ist klar, es gibt viele Verlierer, einenen scheinbaren Gewinner und einen lachenden Dritten. Und das sind weder Russland, die USA noch Europa.

Ein strategisches Planspiel, in welchem alle Akteure mit den Muskeln spielen, um das Beste für sich herauszuholen ohne das Schlimmste eintreten zu lassen, liegt hier vor und liest sich beinahe wie ein Politthriller. Nur, dass alles tatsächlich so geschehen könnte, wenn wir nicht aufpassen, ist eben das, weshalb es so wichtig ist, solche und andere Szenarien zu durchdenken und entsprechend Lehren daraus zu ziehen. Carlo Masala versucht, hier vereinfacht aber deutlich aufzuzeigen, dass sich die NATO und ihre Partner nicht länger herausreden können, wenn es um das Verteidigen unserer Freiheiten geht, auch wenn es uns nicht immer direkt betrifft.

Man möge dieses Buch sämtlichen beschwichtigenden Politikern um die Ohren hauen.

Autor:

Carlo Masala wurde 1968 geboren und ist Professor für Internationale Politk an der Universität der Bundeswehr in München und Kommentator für deutsche und ausländische Medien. Er gilt als Experte für bewaffnete Konflikte.

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Emilie Aubry/Frank Tetart: Die Welt der Gegenwart

Inhalt:

Vom Ukrainekrieg über den Nahostkonflikt bis zur Krise in der Sahelzone, von der Grenzfrage und der gesellschaftlichen Spaltung in den USA bis zu Chinas Griff nach der Vorherrschaft im Indopazifik – die Macher der ARTE-Sendung „Mit offenen Karten“ Emilie Aubry und Frank Tetart führen uns in ihrem einzigartigen Atlas überall dorthin, wo im 21. Jahrhundert die entscheidenden Konflikte über Land, Ressourcen und die Zukunft der Demokratie stattfinden. Sie durchstreifen die Kontinente und berichten von den wichtigsten geopolitischen Umwälzungen der Gegenwart. (Klappentext)

Rezension:

Die Konfliktlinien unserer Zeit sind so vielfältig wie herausfordernd und vor allem allgegenwärtig. Überall auf unserem Planeten sehen sich wir Menschen damit konfrontiert, egal ob eine politisch heraufbeschworene Krise, bereits lang anhaltende Auseinadersetzung zwischen Interessensgruppen dem zu Grunde liegt oder der Klimawandel die Existenz ganzer Staaten in Frage stellt.

Die Macher der Informationssendung „Mit offenen Karten„, die regelmäßig auf Arte sich geopolitischen Fragen widmet, haben mit „Die Welt der Gegenwart“ eine Übersicht des Ist-Standes rund um den Globus geschaffen. Zwei Jahre später liegt dieser nun seit 2024 in der deutschen Übersetzung vor.

Gerade, wenn es um sehr dynamische Geschehnisse geht, wie sie gegenwärtige Konflikte nun einmal bieten, ist dies herausfordernd und problematisch zugleich, zudem wenn aus einer so komplex vernetzten Welt wie der unseren Beispiele zunächst herausgefildert werden müssen. Eines ist nämlich gleich zu Beginn der Lektüre klar, eine vollständige Übersicht ist nicht möglich, doch Emilie Aubry und Frank Tetart kommen mit ihrer Zusammenstellung einer nach, die umfangreichen Informations- und Erkenntniswert bietet.

Schon der Blick ins Inhaltsverzeichnis offenbart, dass sich die Autoren den herausfordernsten der Konflikte pro Erdteil vorgenommen haben, diese in sehr kompakter Form darzustellen. Nach Kontinenten gegliedert, wird in kompakter Form etwa auf die poltische Änderung an der brasilianischen Staatsspitze eingegangen, ebenso auf deren Auswirkungen im Zusammenhang mit den Abholzungen des dort befindlichen Regenwaldbestandes, das Machtstreben Chinas vor seiner Haustür, welches insbesondere das vorgelagerte Taiwan bedroht, veranschaulicht, ohne die historischen Hintergründe zu vernachlässigen.

Viele der im Buch beschriebenen Konflikte sind nur kurze Zeit auf den Titelseiten der großen Zeitungen und innerhalb der Hauptsendezeiten der Nachrichten zu finden gewesen, schwelen aber weiter, auch wenn das öffentliche Interesse seither abgenommen hat. Die Autoren rufen mit ihrer strukturierten Publikation eben diese wieder in Erinnerung, da die Gegenwart und unserer Umgang mit ihr erheblichen Einfluss darauf hat, was die Zukunft bringen mag.

Dabei werden Aubry und Tetart nicht, informieren nur mit ihrem sehr gut recherchierten Werk, welches zahlreiche geografische Karten beinhaltet, die die einzelnen Konfliktlinien visualisieren, wenn es etwa um die Verteilung von Bodenschätzen geht, Bevölkerungsmehrheiten oder der Sprengkraft des Arabischen Frühlings.

Jedem Abschnitt vorangestellt ist innerhalb der Kapitel die Erläuterung des Konfliktes meist anhand eines beispielgebenden Ortes. So wird etwa sehr kompakt dem Kapitel der politischen Umwälzungen in den USA, vorangestellt, an den 6. Januar 2021 erinnert, als eine Meute angestachelt durch Donald Trump, in der amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. das Kapitol stürmte.

Das ist alles, da ausgiebig recherchiert, sehr informativ und verständlich, doch haben an der einen oder anderen Stelle die Ereignisse die Erscheinung der ersten Ausgabe in Frankreich überrollt, so dass aktualisiert werden musste, um dann gleich wieder ins Hintertreffen zu geraten. Der 7. Oktober 2023, als Kämpfer der Hamas nach Israel eindrangen und zahlreiche Menschenleben forderten, ist Bestandteil der vorliegenden Ausgabe. Donald Trump als wiedergewählter Präsident noch nicht. Je nach dem sollte man also zusehen, möglichst die aktuelle Auflage zu erwischen, vorausgesetzt eine Aktualisierung wird fortgeführt.

„Die Welt der Gegenwart – Ein geopolitischer Atlas“, in der Übersetzung von Anna und Wolf Heinrich Leube ist aber auch so die Sammlung erstklassiker journalistischer Informationsvermittlung, die aus der großen Masse an Sensations- und Katastrophenjournalismusartikeln hervorsticht. Ohne das man den Blick auf alle beteiligten Akteure zu verlieren oder einen derer zu vernachlässigen droht.

Alleine um den Blick zu schärfen, lohnt sich die Lektüre, die einem mehr als nachdenklich zurücklassen wird.

Autoren:

Emilie Aubry wurde 1975 in Paris geboren und ist eine französische Journalistin und Moderatorin. Nach ihrem Studium begann sie 2001 beim Fernsehkanal des französischen Parlaments und präsentierte die Fernsehnachrichten. Danach leitete sie mehrere Debatten im Zusammenhang von Vorwahlen. Im Jahr 2007 interviewte sie die französischen Präsidentschaftskandidaten.

Seit 2009 moderierte sie auf Arte das Magazin Global Mag. Weitere Formate folgten, u. a. auch das Literaturmagazin La Cite du Livre. Seit 2017 ist sie Chefredakteurin des Magazins „Mit offenen Karten“, sowie Moderatorin einer Radiosendung auf France Culturel.

Frank Tetart studierte Internationale Beziehungen und promovierte anschließend in Geopolitik. Er war viele Jahre Berater der Sendung „Mit offenen Karten“ und unterichtet an Sekundarschulen, sowie an der Universität Paris 1. Er ist Autor mehrerer Atlanten.

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Edward Brooke-Hitching: The Most Interesting Book in the World

Inhalt:

Ein Werk voller erstaunlicher Entdeckungen, verblüffender Erzählungen und interessanter Illustrationen – ein einzigartiges Sammelsurium des Seltsamen und Wundervollen aus Geschichte, Wissenschaft, Literatur und vielem mehr.

Edward Brooke-Hitching beantwortet Fragen wie: Warum ist eine Katze zugleich Flüssigkeit und Feststoff? Wie versuchten Wissenschaftler im 18. Jh. mit Außerirdischen Kontakt aufzunehmen? Und warum aßen die Niederländer einst ihren Premierminister?

Entdecken Sie skurrile Geschichten wie die von einem religiösen Führer, der einen elektrischen Messias aus einem Esstisch bauen wollte, oder Menschen, die im Dunkeln leuchten. Ein Buch voller kurioser Fakten und unterhaltsamen Storytelling – ideal, um immer wieder etwas Neues zu entdecken! (Klappentext)

Rezension:

Von Eichhörnchen, die für 10 bis 20 Prozent aller Stromausfälle in den Vereinigten Staaten von Amerika verantwortlich sind, bis hin zu seekranken Fischen gibt es alleine in der Natur allerhand Kuriositäten, über die sich schmunzeln lässt. Nicht nur die hat Edward Brooke-Hitching, Hobby-Geograph und Sammler allerhand Erstaunlichen in seinem neuen Werk zusammengestellt. Dabei ist der Titel bewusst zu hoch gegriffen, doch lädt dieses kunterbunte Sammelsurium zum Schmökern und Entdecken ein, halten doch Wissenschaft, Natur, Kultur und Geschichte abseits des Mainstreams vielfach Interessantes bereit, auf das man erst mit dem zweiten, dritten Blick stoßen wird.

Ohne eine schematische Gliederung, wie es sonst den Werken Brooke-Hitchings eigen ist, werden wir Lesenden quer durch bunt zusammen gewürfeltes Wissen geworfen, welches ohne große Unterteilungen von Themenbereich zu Themenbereich springt. Nahtlos gehen da etwa die Fakten von den Naturwissenschaften zur Technik, in die Menschheitsgeschichte über. Für diese Art von Kompendien ist das eine ungewohnte Herangehensweise, an die man sich erst herantasten muss, andererseits funktioniert doch so das Entdecken und Erforschen vom Unbekannten.

Die einzelnen Fakten werden in mit Absätzen getrennten Textblöcken präsentiert, die man einzeln oder hintereinanderweg lesen kann, durchbrochen von kuriosen Listen, aus denen so interessante Dinge zu erfahren sind, wie etwa wo vor z. B. Alfred Hitchcock eigentlich Angst hatte oder welche ungewöhnlichen Sachen eigentlich schon vom Himmel gefallen sind, und damit ist dann nicht der selbige auf den Köpfen gewisser Gallier gemeint.

In jeder Zeile merkt man die Recherchelust des Autoren, der zwischen kuriosen Erfindungen allerhand Fragen beantwortet, wie etwa die, nach dem Geruch des Universums oder warum man barfußlaufend am Strand von Hawaii ziemlich sicher Ausscheidungen einer bestimmten Tierart zwischen den Zehen hat. Aufgelockert wird das Werk mit einigen Abbildungen, die Recherche untermauert dort zahlreiche Fußnoten, die „The Most Interesting Book in the World“ hervorragend ergänzen.

Halb ernst, aber dann doch immer wieder mit einem zwinkernden Auge geht man in jedem Fall schlauer aus der Lektüre hervor und hat dann allerhand anekdotisches Wissen parat, sicherlich genug Gesprächsstoff. Wer schon immer wissen wollte, wie sich die Kadaver toter Wolfsspinnen zu Händen umfunktionieren lassen oder welche zwei Päpste Ehrenmitglieder der Harlem Globetrotters waren oder welche italienische Bank Käse als Sicherheitseinlage akzeptiert, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Bevor es einem auf den Kopf zu fallen droht. Auch dazu gab es, weiß der Autor zu berichten, im Laufe der Geschichte bereits kuriose und zu weilen schmerzvolle Ereignisse.

Dann lieber doch hiermit in die Regale oder auf den Nachttisch.

Autor:

Edward Brooke-Hitching ist Sohn eines Antiquars und arbeitete bei mehreren Zeitungen und am Theater, bevor er einen Abschluss in Filmwissenschaft an der University of Exeter machte. Als Dokumentarfilmer gewann er mehrere Preise. Im Jahr 2016 wurde seine „Enzyklopädie der vergessenen Sportarten“ veröffentlicht. Ausgangspunkt zu seiner Recherche geografischer Phänomene war eine alte Landkarte im Familienbesitz. Brooke-Hitching sammelt Werke über englische Forscher und Entdecker und lebt in London.

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Hans Martin Krämer: Geschichte Japans

Reihe:

Sachbuchreihe für kompaktes Wissen, z. B. zu Kunst- und Kulturgeschichte, Biografien oder Ländergeschichte. Die Einzelbände können unabhängig von einander gelesen werden.

Inhalt:

Japanische Populärkultur in gestalt von Manga, Anime, J-Pop, Fernsehserien und Computerspielen erfreut sich in der westlichen Welt großer Beliebtheit, und japanische Marken sind in der globalen Konsumkultur fest etabliert. Der vorliegende Band sucht das heutige Japan historisch zu erhellen.

Nach einem knappen Durchgang durch die vormoderne Geschichte wird der Neuzeit deutlich mehr Platz eingeräumt, weil sie für die Erklärung der gesellschaftlichen und kulturellen Gegenwart Japans ungleich wichtiger ist. Eine kurze Einführung in die geografischen und klimatischen Grundlagen der japanischen Geschichte bildet den Auftakt des Bandes. (Klappentext)

Rezension:

Um den Schicksal vieler seiner Nachbarn zu umgehen, kolonisiert zu werden, führten Reformen von oben zu einem Umbau des Landes, welches schließlich selbst einen Großteil des asiatischen Raums kolonialisieren wollte und diese Rolle auf brutale Weise ausfüllte, bis zwei Atombomben auch dort den Zweiten Weltkrieg beenden sollten. Auch danach kam es, wie schon oft zuvor, zu einem politischen und gesellschaftlichen Wandel. Wie gelang es Japan, sich immer wieder an neue Gegebenheiten, vergleichsweise still, anzupassen und wo steht das Land heute? Der Japanologe Hans Martin Krämer hat sich auf Spurensuche begeben.

Titel zur Ländergeschichte komplettieren die umfangreiche Reihe aus dem Hause C. H. Beck, die kompakt und auf den Punkt gebracht, Überblickswissen präsentiert und über die man, einmal einen beliebigen Band sich vorgenommen, eigentlich immer das Gleiche sagen kann. Informationen, auf den neuesten wissenschaftlichen stand, werden hier niederschwellig, ohne zu sehr sich in Details zu verlieren, präsentiert, ohne eine gewisse Oberflächlichkeit aufkommen zu lassen oder entscheidende Punkte gar zu unterschlagen.

Das gilt auch für diesen Band, der sich nun mit der Historie Japans beschäftigt und zunächst einen Überblick über die Geografie und mit Hilfe von zwei Karten auf den Innenseiten des Einbandes auch über die politische Gliederung des Landes gibt. In kurzweiligen Kapiteln werden wir durch die einzelnen geschichtlichen Epochen, von den Anfängen bis zur Gegenwart gelotst und mit all den Fragestellungen und Herausforderungen der verschiedenen Zeitabschnitte konfrontiert.

Wir erleben erste Landwirtschaft und das Bilden einer Gemeinschaft bis hin zum Kaisertum, auch erläutert der Autor wirtschaftliche Gegebenheiten und ihren Einfluss auf das politische Geschehen. Je näher wir der Gegenwart kommen, desto kleiner werden die beschriebenen Zeitabschnitte unterteilt, um ein größeres Verständnis für den heutigen Stand zu schaffen. Dies gelingt, ohne die Konzentration als ein „Rasen“ vor allem zu Beginn des Lesens zu empfinden oder das Gefühl, bestimmte Abschnitte nur sprunghaft und mit Abstrichen aufgespürt zu haben und das, bei einer durchaus ausführlichen Quellenlage, aus der heraus recherchiert wurde.

Für mich damit ein weiterer Band, der sich nahtlos in die Reihe der zuvor erschienen einfügt und sie damit gut ergänzt. Vor allem, wer ohne Vorkenntnisse an die Thematik herangeht, aber auch sonst, ist mit „Geschichte Japans“ gut bedient.

Autor:

Hans Martin Krämer wurde 1972 in Wuppertal geboren und ist ein deutscher Japanologe. Er studierte zunächst in Düsseldorf und Bochum Geschichte, Japanologie und Philosophie, nevor er nach Forschungsaufenthalten in Tokyo, Harvard und Kyoto im Jahr 2008 eine Juniorproffesor für Japanologie in Bochum antrat. Seit 2012 lehrt er als Professort für Japanologie an der Universität Heidelberg.

Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Geschichte, Bildungs- und Religionsgeschichte, Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, sowie der Frühen Neuzeit. Seit 2019 ist er Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung, für eine Amtszeit von 4 Jahren ist er seit 2023 Dekan der Philosophischen Fakultät Heidelberg.

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Wolfgang Kraushaar: Israel

Inhalt:

Als die Hamas am 7. Oktober 2023 über 1.100 Israelis ermordete, schien auf einen Schlag der von den Nazis verübte eliminatorische Antisemitismus zurückgekehrt zu sein. Premierminister Netanyahus Versuch, den Aggressor umgehend auszuschalten, führte jedoch im Gaza-Streifen zu einer humanitären Katastrophe. Die Bilder, die seitdem um die Welt gehen, haben zu einem Aufflammen des Antisemitismus und zu Debatten geführt, die von einer Begriffsverwirrung erheblichen Ausmaßes gekennzeichnet sind.

Wolfgang Kraushaar ordnet die unterschiedlichen Diskurse, trennt die antisemitschen Stereotype von triftigen Argumenten und stellt die unverzichtbaren zivilisatorischen Minimalforderungen heraus, nicht ohne den Umgang mit den Problem- und Grenzfällen zu präzisieren. (Klappentext)

Rezension:

Einen Tag nach Beginn des Jom-Kippur-Krieges fünfzig Jahre zuvor, am jüdischen Feiertag Simchat Tora brachen zunächst Unmengen von Raketen über die Mitte und den Süden Israels herein. Damit wurde der seit 2014 zwar fragile, aber bestehende Waffenstillstand gebrochen, doch war dieser Angriff nur Ablenkung für das, was folgen sollte. Kämpfer der Hamas durchbrachen die Grenzanlagen und forderten über 1.100 Todesopfer, 3.000 Verletzte. Unzählige Menschen wurden in den Gaza-Streifen verschleppt. An keinem Tag seit dem Holocaust zuvor sind so viele Jüdinnen und Juden getötet worden, wie am 7. Oktober 2023.

Das ganze Ausmaß der Bestialität wurde erst nach und nach deutlich. Je detaillierter die Informationen ausfielten, desto massiver wurden die Schockwellen. Zugleich suchte man nach Worten, einen Begriff für diese Barbarei. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar ordnet darauf Begrifflichkeiten ein, beleuchtet die Phrasen und Narrative einer kaum zu durchdringenden Diskussion und zeigt die Meta-Diskurse auf.

Zunächst beginnt der Autor beim jüngsten aller Konflikte und zeigt auf, was eigentlich am 7. Oktober geschehen ist und wie es überhaupt zu den dann stattfindenden Ereignissen kam. Er erläutert die Vorbereitungen der Hamas, aber auch die Reaktionen Israels in sehr kompakter Form, bevor er zunächst geografische Begrifflichkeiten einordnet, beginnend mit von der deutschen Politik beschworenen Solidarität mit dem jüdischen Staat. Was heißt dies überhaupt und können diese Worte überhaupt mit einer sinnvollen Bedeutung gefüllt werden oder ist dies letztendlich eine hohle Phrase ohne Wert, nur aus Pflichtbewusstsein?

Danach wird die politische Geografie aufgedröselt und zugleich auf die Geschichte der Region eingegangen. Was sind Israel und der Zionismus überhaupt? Wie sind Politiker, wie etwa ein Netnyahu einzuordnen, um dann widerum den Bogen zu Deutschland als Partner des Landes zu spannen. Auch wird die Gemengenlage im Gaza-Streifen erläutert, sowie im Westjordanland, ohne zu vergessen, dass wenn wir Israel betrachten, auch geklärt werden muss, was eigentlich Palästina in den unterschiedlichen Ansichten als geografischer Raum bedeutet und wie der Stelllenwert der Hamas ist. Auch wieder im Gegenlicht zu den Akteuren der Politik Israels.

So geht es weiter in der Lektüre, die zu weilen sehr theoretisch daherkommt, aber gerade bei dieser sensiblen Thematik sehr viel Wert darauf legt, Begrifflichkeiten korrekt einzuordnen. Dabei erklärt Kraushaar die verschiedenen Interpretationen und stellt sie einander gegenüber. Nur so entsteht ein klares Bild, für welches man jedoch durchgehend Konzentration benötigt, dieses in sich aufzunehmen. Einerseits politiktheoretisch, andererseits fast philosophisch wirkt diese Einordnung, die versucht, einem Konflikt sprachlich Herr zu werden. Zuweilen sehr distanziert scheint das, nicht jedoch vollends ohne Emotion zu sein.

Der Autor zeigt die Wendepunkte der Geschichte der Region als Verkettung. Unweigerlich kommt die Frage auf, was als nächstes passieren muss, was als nächstes passieren wird. Lehrreich ist das Sachbuch vor allem mit den letzten Kapiteln, in dem Parolen erläutert werden, die zu weilen auf Demonstrationen zu hören sind und wenn Meta-Diskurse kurz zusammenfassend dargestellt werden.

Man geht mit einer Fülle an Informationen und Wissen aus der Lektüre heraus, muss sich jedoch bis dahin sehr konzentrieren und zuweilen wiederholend lesen. Leicht zugänglich ist etwas anderes. Positiv anzumerken ist jedoch, dass Kraushaar nicht vergisst, anhand zusammengestellter Punkte zu erläutern, was im Endeffekt für die Auflösung eines Konflikts in der Region seines Erachtens erfolgen müsste. Ob das dann so funktioniert, steht jedoch in den Sternen.

Autor:

Wolfgang Kraushaar wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Von 1987 bis 2014 arbeitete er am Hamburger Institut für Sozialforschung, seit dem bis zum 2023 für die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Seine Forschungsschwerpunkte sind Protestbewegungen und der linke Terrorismus. Er ist Autor verschiedener Werke zu diesen Thematiken.

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Yande Seck: Weiße Wolken

Inhalt:

Zwei Schwestern: Die eine arbeitet sich an sämtlichem Unrecht unserer Gegenwart ab, die andere am bürgerlichen Familienideal. Für die eine ist ihr Schwarzsein eine politische Kategorie, für die andere ihr Muttersein.

Dieo lebt mit ihrem Mann Simon und drei Söhnen in einem schönen Altbau im Frankfurter Nordend. Mit ihrem Therapeuten bespricht sie die Eskapaden ihrer exzentrischen Mutter und die ungerechte Verteilung von Mental Load in ihrer Beziehung. Derweil verzweifelt ihre jüngere Schwester zazie zunehmend an der rassistischen und sexistischen Gesellschaft. Ihre Wut trifft auch ihren Schwager Simon, der als mittelalter weißer Mann in der Techbranche für alles steht, was sie verachtet.

Als der Vater der Schwestern, ein eigensinniger Nietzsche-Fan, der vor über vierzig Jahren aus dem Senegal nach Deutschland kam, unerwartet stirbt, gerät das fragile Familiengefüge aus dem Gleichgewicht. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Im Spannungsfeld zahlreicher Themenbereiche bewegt sich der von der Autorin Yande Seck vorgelegte Debütroman „Weiße Wolken“, der beachtenswert versucht, verschiedenste Handlungsstränge miteinander zu verbinden. Doch, ist dies gelungen, zumal in einer solch kompakt gehaltenen Form?

Der Schreibstil ist zumindest schon mal eingängig und auch die Tonalität vor allem an den beiden, in der Erzählung, Raum einnehmenden Hauptfiguren eingepasst, die in ihrer ihnen eigenen Dynamik die Handlung vorantreiben und zugleich als Gegenparts zueinander dienen, die doch mehr miteinander verbindet.

In wechselnder Perspektive begleiten wir die Hauptprotagonisten, die sich in verschiedener Form an den Vorstellungen und Gedankengrenzen, zum einen der Gesellschaft, aber auch persönlicher Determinanten stoßen und dabei mehr und mehr unter Druck stehen.

Das beginnt bei der eigenen Familie, zieht sich weiter in verschiedener Ausprägung im beruflichen als auch öffentlichen Kontext, wobei auch das Geschwisterpaar selbst sehr verschieden zueinander ist. Die Nebenfiguren, von denen im Verlauf der Erzählung immer mehr auf das Tableau gebracht werden, bringen dabei eine ganz eigene Dynamik mit, die wiederum den Hauptfiguren ihre Ecken und Kanten geben.

Die Autorin scheut dabei nicht, mehrere Handlungsstränge und vielerlei gesellschaftliche Fragen im Spiegel ihrer Figuren zur Diskussion zu stellen, zudem in einer zugänglichen Tonalität, die dazu führt, dass man vielleicht nicht gleichwertig Sympathin für die Protagonistinnen entwickelt, jedoch ein gewisses Verständnis für Denken und Handeln, ohne dass dies auf Kosten des Leseflusses gehen würde.

Jedoch werden die einzelnen Stränge über die gesamte Strecke der Erzählungen nicht konsequent durchgehalten oder gar am Ende zusammengeführt. Bei Letzterem stellt sich das Gefühl ein, hierfür fehlte die Zeit, Dinge auszuformulieren. Vielleicht hätten es jedoch vorher auch ein paar hundert Seiten mehr sein können, um die Geschichte in all ihren Facetten abzurunden. Trotzdem natürlich sind die einzelnen Figuren greifbar und kann man sich die Schauplätze vorstellen, neben der Sprache eine der großen Stärken Yande Secks.

Die Schwächen der Erzählung sind dennoch sichtbar und kaum zu ignorieren. Ein paar Ausführungen mehr, auch die Ausgestaltung der einen oder anderen Nebenfigur hätte der Geschichte gut getan. Positiv daran, eine solche bietet sich an, fortgesetzt zu werden. Hier wäre ein Weiterschreiben wünschenswert, um genau dies auszugleichen. Wenn nicht, so darf man gespannt sein, wie sich das Schreiben der Autorin mit potenziell weiteren Roman entwickelt.

Der Roman ist eine Großstadterzählung, zugleich Familiengeschichte, die in der einen oder anderen Form mit all ihren Fragen zwischen den Figuren, durchaus vielen bekannt sein dürfte, zudem sehr viel Diskussionspotenzial bietet.

Yande Seck leistet damit gerade heute einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte und lässt überdies keinen Zweifel, welche Gedanken auch sie beschäftigen. In sofern darf man auf weitere Veröffentlichungen gespannt sein. Und vielleicht gelingt es dann, einerseits die Waage zwischen den Themen zu halten und auch Handlungsstränge nicht aus den Blick zu verlieren. Zu wünschen wäre es.

Autorin:

Yande Seck wurde 1986 in Heidelberg geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin, Erziehungswissenschaftlerin und Kinderpsychotherapeutin. In Frankfurt promovierte sie zu Mutterschaft, Migration und Psychoanalyse und schoss dem 2015 eine Ausbildung zur Psychotherapeutin an, die sie 2019 abschloss. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Offenbach. Seit 2019 ist sie zudem als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sonderpädagogik der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt tätig. Ihr erster Roman erschien 2024.

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Werner Sonne: Israel und wir

Inhalt:

Werner Sonne war am 7. Oktober 2023 in Israel. Schon 50 Jahre zuvor hatte er als junger Reporter über den Jom-Kippur-Krieg berichtet – und nun wiederholte sich die Geschichte. In diesem Buch blickt der bekannte ARD-Journalist auf die hitzigen deutschen Debatten mit Israel. Zugleich erzählt er die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen – von den schwierigen Anfängen unter Adenauer und Ben-Gurion bis zum Kauf des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3 und der Frage, was die Formel von der Sicherheit Israels als „Staatsräson“ Deutschlands konkret bedeutet. So bietet dieses anschaulich geschriebene Buch Hintergründe, macht Argumente verständlich und liefert „food for thought“ für eine der drängendsten und umstrittensten Debatten der Gegenwart. (Klappentext)

Rezension:

Nicht erst seit dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und den sich daran anschließenden neuen Gaza-Krieg wird in Deutschland intensiv über das Verhältnis zu Israel diskutiert. Während sich antisemitische Verfälle häufen, der Ton sich nicht nur in den sozialen Netzwerken verschärft, stellt sich die Politik dagegen mehrheitlich klar an die Seite Israels. Die Sicherheit des Landes sei Staatsräson, heißt es immer wieder, doch was bedeutet dies überhaupt? Wie weit geht Solidarität?

Sollte sie bedingungslos sein und kann sie das überhaupt, angesichts einer Regierung, der rechtsextreme Minister angehören, überdies in Anbetracht eines Konflikts der auch in Zukunft kaum aufzulösen sein wird? Der Journalist Werner Sonne, der bereits als junger Reporter aus Israel berichtete, untersucht unser Verhältnis zu Israel und stellt die Frage, was ist legitime Kritik und wo beginnt als Israelkritik verbrämter Antisemitismus.

Soweit das Grundgerüst dieses kompakt gehaltenen Sachbuchs, welches vom Ausgangspunkt der neuesten Entwicklungen einen Blick in die Geschichte wirft. Hier beginnend, nach dem Zweiten Weltkrieg, zeigt Werner Sonne, wie bereits die Gründer der Staaten, im Hintergrund an einer Zusammenarbeit werkelten, die bis in unsere heutige Zeit hinein wirkt.

Zunächst im Hintergrund geheim gehalten, ist die Kooperation beider Länder auf geheimdienstlichen und militärischen Gebiet heute sehr dicht und intensiv. Widerstände dagegen gab es anfangs auf beiden Seiten. In Israel protestierten zu Beginn nicht wenige auf politischer Seite und in der Bevölkerung gegen eine Zusammenarbeit mit den Deutschen, die unmenschliches Leid über fast alle Familien gebracht hatten. Wie konnte man da etwa verlangen, Uniformen für die im Aufbau befindliche neue deutsche Armee zu nähen, wo doch manche in den KZs einige Jahre zuvor gezwungen waren, für die SS dergleichen zu tun? Verbat es sich anderseits, im Anbetracht beider Geschichte, Rüstungsgüter wie U-Boote von den Deutschen zu beziehen?

Der Autor schaut nicht nur auf die militärische wie geheimdienstliche Zusammenarbeit. Werner Sonne zeigt, was die Sicherheitskooperation Israels mit Deutschland und umgekehrt in den ersten Jahren ausmachte und worin sie heute besteht, beleuchtet ein Verhältnis, welches von Beginn an besonderer Natur gewesen ist und weshalb dies wichtig ist, zu durchdenken, wenn wir über die heutige politische Lage zwischen beiden Ländern und in der Region selbst diskutieren. Hält so der Ausspruch von der Staatsräson Deutschlands gegenüber Israel noch stand?

Mit diesem sehr sachlich gehaltenen Werk zeigt Werner Sonne die historische Entwicklung einer besonderen Beziehung auf und gibt Denkanstöße und Material für Diskussionen. Er stellt sich dabei nicht auf eine Seite oder präsentiert vermeintliche Lösungen. Beim Lesen wird man nicht umhin kommen, an der einen oder anderen Stelle vielleicht einen anderen Standpunkt einzunehmen, doch wird man vielleicht einzelne Entscheidungen der Politik besser nachvollziehen können, warum sie so gefallen sind.

Wenn das erreicht ist und gewisse Denkanstöße damit gegeben sind, ist mit diesem Werk schon viel gewonnen und das ist mehr als man von einem historischen Beziehungsabriss als Diskussionsbeitrag erwarten darf.

Autor:

Werner Sonne wurde 1947 geboren und ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Seine journalistische Ausbildung begann er beim Kölner Stadt-Anzeiger, wo er sein Volontariat abschloss, anschließend arbeitete er bei der Nachrichtenagentur UPI und wechselte dann zum Hörfunk des Westdeutschen Rundfunks. Dort berichtete er als Korrespondent aus Bonn und Washington, bevor er 1981 zum Fernsehen wechselte. Nach verschiedenen Stationen arbeitete er als Auslandskorrespondent und Studioleiter, u. a. in Bonn, Washington und Warschau. 2004 wurde er Korrespondent beim ARD-Morgenmagazin. 2012 verabschiedete sich Sonne in den Ruhestand.

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Verlagsgeschichte: 60 Jahre Wagenbach

Wie überlebt man gute Bücher? Besser als schlechte jedenfalls! Der unabhängige Verlag für wildes Lesen feierte im letzten Jahr sein sechzigjähriges Bestehen und das, obwohl er sich anfangs gegenüber politischen Widerständen durchsetzen musste und heute ebenso wie andere mit steigenden Produktionskosten und den Schwund von Leserinnen und Lesern zu kämpfen hat. Nicht einfach, wenn man weder dem Mainstream folgen möchte, Nischen entgegen wirtschaftlicher Erwägungen besetzt hält und sich ganz und gar dem Genuss schön gemachter Bücher hingeben möchte. Wie in den Anfangsjahren eben auch.

Dabei hat der Verlag viel zu bieten, anfangs kontrovers diskutierte Themen, anspruchsvolle Essays und Lesestücke, sehr schnell viel Literatur aus Italien, Lateinamerika, Spanien und innerhalb seiner „roten Reihe“ Alan Bennetts „Die souveräne Leserin“, die lesende britische Monarchin und nicht nur sie als bemerkenswerten und überraschenden Bestseller innerhalb der Verlagsgeschichte. Auf die kann man zurückblicken und dabei überraschend vielseitige Texte, nach Erscheinungsjahr im Verlag geordnet, lesen. In diesem wunderbaren Almanach zum Jubiläum und dabei auch Einblick in Verlagsgeschehen nehmen. Wie ging das damals eigentlich, das schöne Buch? Und wie geht das heute?

Zettel und Stift daneben legen, zum Notieren, ist jedenfalls zu empfehlen. Sei es, um Namen für das spätere Recherchieren herauszuschreiben oder die Wunschliste zu verlängern. Letzteres wird in jedem Fall passieren.

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Sabine Böhne-Di Leo: Die Erfindung der Bundesrepublik

Inhalt:

Im Sommer 1948 beauftragen US-Amerikaner, Briten und Franzosen die westdeutschen Politiker, eine Verfassung zu schreiben. Monate leidenschaftlicher Diskussionen beginnen. Während die Abgeordneten in Bonn um das Grundgesetz ringen, wollen die Sowjets mit der Berlin-Blockade die Gründung des westdeutschen Staates verhindern. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. (Klappentext)

Rezension:

1948. In London ringen die westlichen Siegermächte und die Benelux-Staaten darum, Grundlagen für die Beteiligung eines demokratischen Deutschlands an die Völkergemeinschaft zu schaffen, woraus nach zähen Diskussionen die sogenannten Frankfurter Dokumente hervorgehen. Eine Verfassung sollen die Deutschen schaffen, für einen zu gründenden Weststaat. Jenen, die die Grundlagen erarbeiten sollen, steckt das Nazi-Regime noch in den Knochen, zudem ziehen dunkle Wolken vom Osten her auf. Die Sowjets riegeln Westberlin ab. Die Überreste der in Trümmern liegenden Stadt können sich nur mit Hilfe der Amerikaner am Leben erhalten, die eine Luftbrücke errichten, um die Berliner Bevölkerung zu versorgen.

Politikern wie Adenauer ist klar, das Gegengewicht in Form eines westdeutschen Staates muss schnell geschaffen werden, zudem, ein zweites Weimar muss um jeden Preis vermieden werden. So ringen bald in Bonn, der Stadt am Rhein, 61 Väter und vier Mütter um eine Verfassung, die nicht so heißen soll. Noch gibt es Hoffnung. Den Weg zu einem einheitlichen Deutschland befürchten sich manche damit zu verbauen. Leidenschaftliche Diskussionen um die Zukunft Deutschlands beginnen. Die Journalistin Sabine Böhne-Di Leo erzählt von diesen Tagen.

„Die Erfindung der Bundesrepublik“ erzählt als hoch informatives Sachbuch sehr kompakt über ein Lehrstück von Demokratiegeschichte, die erstmals auf deutschen Boden einigermaßen beständig und von Dauer sein sollte. Dabei folgt die Autorin den Geschehnissen verschiedener Schauplätze, zum einem das Ringen zwischen den Großmächten, die einst im Krieg als Verbündete, sich langsam mit ihren weltanschaulichen Systemen diametral gegenüberstehen sahen, zum anderen, in Bonn, jene Landespolitiker, die nun die Grundlagen für das künftige Zusammenleben in Deutschland erarbeiten sollten.

Ereignisse, die gegenseitig Sand im Getriebe bilden und doch zu Reaktionen auffordern, zeigt die Autorin um welche Fragen gestritten wurden, schon damals ersichtlich, sich für die Zukunft herausschälende politische Konkurrenten. Aber auch die Strukturen des künftigen Deutschlands stehen zur Diskussion, von der Frage, ob die Todesstrafe beibehalten soll und ob die Gleichberechtigung der Frauen ins künftige Verfassungsdokument gehört oder doch separat geregelt werden muss. Kurzweilig schildert die Autorin die Lust am Meinungsstreit, das Zuspielen von Bällen, aber auch, wie kurz vor knapp gelang, was ein Jahr später in die Gründung der Bundesrepublik münden würde.

Was in heutiger Zeit wieder bedroht ist, gelang damals unter Vorlage verschiedener schon in der Welt vorhandenen Verfassungen mit ganz eigenen Komponenten. Immer wieder wird bei der Lektüre deutlich, wo damals, noch unwissend ob der künftigen Geschehnisse, Stellschrauben geschaffen wurden, um derer wir in vielen Ländern beneidet werden. Sabine Böhne-Di Leo macht deutlich, die Geschichte unseres Landes hätte auch anderes beginnen und damit auch verlaufen können, wenn die Vorzeichen nur ein wenig anders gesetzt worden wären. Ein Glücksfall, dass es so gekommen ist. Die Lektüre zeigt, die Geschichte seiner Entstehung ist so spannend, wie das Grundgesetz selbst.

Autorin:

Sabine Böhne-Die Leo wurde 1959 in Bochum geboren und ist eine deutsche Journalistin und Hochschulprofessorin. Sie studierte zunächst Politikwissenschaften, Soziologie und Geschichte an den Universitäten Münster und Perugia und schloss das Studium 1985 ab. Nebenher arbeitete sie als staatlich geprüfte Italienisch-Übersetzerin für Polizei und Justiz. Nach journalistischen Anfängen bei der Münsterschen Zeitung, arbeitete sie im Journalistenbüro Kontur, sowie in Hamburg als freie Autorin für Zeitschriften und Magazine. 2009 wurde sie mit dem Deutschen Preis für Naturjournalismus ausgezeichnet, zudem wurde sie Professorin für den Studiengang Ressortjournalismus in Ansbach. Daneben baute sie eine Lehrredaktion auf und leitete diese zwölf Jahre lang.

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