Religion

Stephan Orth: Couchsurfing 4 – Couchsurfing in Saudi-Arabien

Inhalt:

Als Saudi-Arabien erstmals Touristen einreisen lässt, packt Bestsellerautor Stephan Orth sofort sden Rucksack. Von Couch zu Couch erkundet er das Königreich und erhält Einblicke in eine verschlossene Gesellschaft, wie sie bisher keinem westlichen besucher möglich waren. er wird Zeuge eines radikalen Wandels, sieht Frauen Auto fahren und tanzt mit Zehntausenden beim Wüsten-Rave. Doch jenseits der Glitzerwelt gelten drakonische Strafen, und an der Grenze zum Jemen sind die Bomben nicht zu überhören. Stephan Orth berichtet von seiner bisher aufregendsten Reise. (Klappentext)

Rezension:

Allgegenwärtig sind sie, die Fotos der Männer, die das Land beherrschen. Beim Betrachten kommen Stephan Orth, dem oft gereisten Journalisten, Zweifel. Ist Herrschern zu trauen, die ihrem Volk nicht direkt in die Augen schauen? Die Blicke des Königs und des Kronprinzen sind immer seitlich von der Kamera gerichtet.

Der Autor hat sich erneut aufgemacht, einen weiteren weißen Fleck von seiner Landkarte zu tilgen und bereist als einer der ersten Touristen überhaupt Saudi-Arabien, welches die Türen erstmals für Privatreisende öffnet und geht so gleich auf die Bewohner des Landes zu. Direkt in ihre Wohnzimmer. Der Kontakt zu den Menschen Saudi-Arabiens erstaunt, begeistert, macht nachdenklich und erweitert den Blick über den Tellerrand.

Wo sonst hat man noch dieses Gefühl, schon am Flughafen in eine völlig fremde Welt einzutauchen und doch beschleicht sie den übermüdenden Reisenden schon beim Betreten fremden Bodens. Saudi-Arabien war für reine touristische Reisen ein bisher weißer Fleck auf den Karten, die Nachrichten, die es aus diesem Land in die westlichen Medien schaffen, zumeist nicht positiv. Nur vorsichtig wird er versucht, dieser Spagat zwischen Mittelalter und Moderne. Die Herrscherfamilie lässt die Bevölkerung ein wenig atmen, um selbst um so fester auf dem Wüstenschiff, aus Öl und Religion gebaut, zu sitzen.

Ansteigende Nummern blinken auf, er hat eine Gebetsapp installiert, das digitale Äquivalent zu einer Gebetskette. Als er das gerät wegpackt, hat er 561 geschafft, als Gesamtzahl wird 29037 angezeigt. Da sage noch mal einer, der Islam sei nicht in der Lage sich zu modernisieren.

Stephan Orth: Couchsurfing in Saudi-Arabien

Stephan Orth begnügt sich nicht damit, vom entfernten Standpunkt des Hotelbuchenden, Kulissen zu betrachten. Als Couchsurfer sucht er den privaten Kontakt, übernachtet in Wohnzimmern und nimmt ein Stück Alltag seiner Gastgeber mit. Die zeigen die Orte und berichten von Änderungen, die sie mal freudig, mal kritisch betrachten. Die Nuancen der Vorsicht, sie entgehen dem Journalisten nicht. Das Land mag einen modernen Anstrich verpasst bekommen, die Herrscher sind absolut und allgegenwärtig.

Von Ort zu Ort nimmt uns der Autor mit auf seine Reise, berichtet vom Frust, wenn mal wieder ein Gastgeber abgesagt hat, was gegen Ende ob des auch Saudi-Arabien sich näherndem Virus‘ häufiger vorkommt, von saudischen Influencern und davon, welche Freiheiten im neuen Wüstenstaat genossen werden können. Vorsichtig, nicht allzu sehr.

„Wenn eine Frau mich respektiert, dann respektiere ich sie auh“, erklärt er mir, was ganz vernünftig klingt, bis ich um eine Präzisierung bitte: „Und wie zeigt eine Frau ihren Respekt?“ „Indem sie das tut, was ich sage.“

Stephan Orth: Couchsurfing in Saudi-Arabien

Kurzweilig lesen sich die einzelnen Kapitel, die nach den jeweiligen Reiseabschnitten. Augenfällig ist Stephan Orths Beobachtungsgabe und sein Blick für Details. Die Bevölkerung hat jahrzehntelang gelernt, Kritik wohldossiert zu formulieren und gut zu verpacken. Der Autor hat gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen und nimmt sie auf.

„Falken haben es gut bei uns. Besser als viele Menschen.“, sagt Fahad und lacht kurz über seine Worte. Dann blickt er nachdenklich auf die ordentlich aufgereihten, gepflegten Tiere, deren Augen mit Leder bedeckt sind, damit sie keinen Ärger machen.

Stephan Orth: Couchsurfing in Saudi-Arabien

Ergänzt wird das Werk, wie auch schon die vorangegangenen Reiseberichte, durch Kartenmaterial, einen eindrücklichen Fototeil und hier durch eine kleine bebilderte Vokabelliste. Touristisches Erleben einmal ganz anders, in einem Land, welches mit Touristen noch kaum Erfahrungen hat und die vom Autoren praktizierte Art des Reisens so nicht vorgesehen hat. Die Leserschaft ist eingeladen, dies aus sicherer Distanz zu erleben und, wenn Reisen wieder möglich werden, die Türen selbst einen Spalt zu öffnen.

Autor:

Stephan Orth wurde 1979 in Münster geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Zunächst studierte er Anglistik, Wirtschaftswissenschaften in Wuppertal, anschließend Journalismus in Brisbane, Australien. Von 2007-2008 absolvierte er ein Volontariat bei Spiegel Online und arbeitete anschließend als Redakteur. 2012 begab er sich auf eine Inlandeis-Expedition nach Grönland und veröffentlichte 2015 seinen Reisebericht „Couchsurfing im Iran“. Seit 2016 ist er freiberuflicher Autor. Stephan Orth lebt in Hamburg.

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Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Die seltsamsten Orte der Religionen Book Cover
Die seltsamsten Orte der Religionen Johann Hinrich Claussen C.H. Beck Verlag Erschienen am: 27.08.2020 Seiten: 239 ISBN: 978-3-406-75598-9 Illustrationen: Lukas Wossagk

Inhalt:

Niemand hat die Absicht, einen seltsamen Ort zu schaffen. Es passier einfach. Der älteste Steingarten Japans wird von Moos überwuchert, Bäume erweisen sich plötzlich als heilkräftig, Kirchen müssen vor Verfolgern versteckt werden. Das Buch führt seine Leserinnen und Leser zu 39 christlichen und nichtchristlichen Orten auf der ganzen Welt, die wie von einem anderen Stern sind. (Klappentext)

Rezension:

Die Welt ist voller Religion, ob es einem gefällt oder nicht.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Was und woran glaubst du? An der Frage scheiden sich, sprichwörtlich, die Geister und so kommt es nicht von Ungefähr, dass sich die unterschiedlichen Spielarten in den verschiedensten Plätzen und Orten, Gebäuden, manifestieren. Kirchen, Moscheen und Synagogen, Tempel sind zwar die Norm, doch Religion zeigt sich eben nicht nur in offiziellen Bauten.

Vielerorts gibt es Abweichungen von der Norm, die hervorstechen und dadurch zu etwas Besonderen werden. Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen nimmt uns Lesende mit auf eine Reise zu den spirituellen Orten der Welt.

Der sonderbare Trip erfordert einen besonderen Reiseführer, der nun in der Art eines kurzweiligen Sachbuches bei C.H. Beck vorliegt. In handlichen Kapiteln und kurzweiligen Abschnitten werden hier Pilgerziele für Millionen ebenso vorgestellt, wie Orte religiöser Prägung, die nur einer kleinen ausgewählten Gruppe von Menschen vorbehalten sind.

Spannend die Geschichten dahinter, weshalb in Frankreich etwa ein Postbote sein Mausoleum errichtet hat oder der Gottesdienst seinen Weg ins Internet gefunden hat. Hat wer vielleicht Angst vor dem Tod, gibt es inzwischen die Möglichkeit sich einfrieren zu lassen. Nachhaltigkeit gibt es jedoch auch ganz und gar, zum Beispiel in Spanien. Dort wird eine Kathedrale aus Müll errichtet.

Aus der Ferne sieht es aus wie ein überdimensionierter Schrotthaufen – ein wildes Gewirr von Metallstäben, die spitz in die Höhe ragen. Dabei ist es das Nationalheiligtum Litauens.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Vornehmlich christliche Orte werden hier aufgelistet, was dann auch einer der wenigen Kritikpunkte ist, immer mit Ortsangabe und kurzem, überhaupt nicht trögen geschichtlichen Abriss. Manifestifikationen anderer Religionen sind Einsprengsel und werden in wenigen Beiträgen erörtert. Schade, dabei gibt es gerade auf diesem Gebiet sicher so viel zu entdecken, wenn es auch nicht für jeden ein Besuch im indischen Rattentempel sein muss.

Sachlich und wohlwollend sind die Schilderungen. Kritik schimmert kaum durch, doch zeigt Claussen durchaus Wege auf, die Menschen konsequent gegangen sind, wenn diese sich verstoßen oder ausgegrenzt, wahlweise auch erleuchtet gefühlt haben, um ihrem Glaube Ausdruck zu verleihen.

Das funktioniert im Großen und Ganzen, wenn auch einige Längen beim Lesen entstehen, die jedoch den Blick über den Tellerrand schärfen. Und, wer weiß? Vielleicht begibt sich ja der eine oder andere Leser selbst einmal auf Entdeckungsreise. Der Autor zeigt zumindest, dass sich ein Trip da und dorthin durchaus lohnen kann.

Autor:

Johann Hinrich Claussen wurde 1964 in Hamburg geboren und ist ein deutscher evangelisch-lutherischer Theologe und Autor. Er studierte evangelische Theologie in Tübingen, Hamburg und London, promvierte dort im Jahr 1996.

Im selben Jahr wurde er zum Pastort ordiniert, habilitierte sich 2005 an der Universität Hamburg und lehrte dort als Privatdozent. Claussen ist Beauftragter im Rat der EKD für Kultur und leiter des dort dafür zuständigen Büros. Für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge. Eines seiner ersten Werke erschien im Jahr 2004.

Illustrator:

Lukas Wossagk ist seit 2012 als freiberuflicher Illustrator und Grafiker tätig, unter anderem für Projekte der Stadt München. Zudem wirkte er bereits mehrfach für im C.H. Beck Verlag erschienene Werke.

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James Baldwin: Nach der Flut das Feuer

Nach der Flut das Feuer Book Cover
Nach der Flut das Feuer James Baldwin dtv Erschienen: 19.06.2020 (Neuauflage) Seiten: 128 ISBN: 978-3-423-14736-1 Übersetzerin: Miriam Mandelkow

Inhalt:

James Baldwin ist 10 Jahre alt, als er zum ersten Mal Opfer weißer Polizeigewalt wurde. 30 Jahre später, 1963, brach „Nach der Flut das Feuer“ – „The Fire Next Time“ – wie ein Inferno über die amerikanische Gesellschaft herein und wurde sofort zum Bestseller.

Baldwin rief dazu auf, dem rassistischen Albtraum, der die Weißen ebenso plage wie die Schwarzen, gemeinsam ein Ende zu machen. Ein Ruf, der heute wieder sein ganzes provokatives Potenzial entlädt. (Inhaltsangabe des Verlags)

Rezension:

Überall wird sie inzwischen wieder geführt, diese Debatte um die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Religion oder Sexualität, nachdem vielerorts geglaubt wurde, dass rassistische Auswüchse der Vergangenheit angehören. Dem ist nicht so. Bilder, rund um den Globus, beweisen es. Gewalt gegen Minderheiten allerorts greift zuweilen um sich und wird immer aggressiver und brutaler offensichtlich.

Doch, auch heute gibt es die jenigen, die sich dem entgegenstellen und auch die Texte von vor Jahrzehnten, die wieder aktuell werden und zur Diskussion stehen. Ganz vorne dabei, James Baldwins Essays und Romane, in denen sich der in New York geborene Schriftsteller für die Gleichheit aller einsetzte und damit zu einem Sprachrohr der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde.

Seine erste Veröffentlichung „The Fire Next Time“, der weitere folgten, besaß innerhalb Amerikas schon damals genug Sprengkraft, um die Massen aufhorchen zu lassen. heute ist dies wieder der Fall.

Was ist eigentlich Rassismus, wo beginnt solcher und welche Auswirkungen hat dies eigentlich, auf die jenigen, die unter ihn leiden, aber auch auf jene, die ihn entfesseln und tragen? Baldwin legt Zeile um Zeile eine komplexe Problematik frei, die man kaum erfassen kann, der auch keine Rezension eines solchen Textes nur annähernd gerecht wird.

Ich glaube, dass die Menschen besser sein können als angenommen, und ich glaube, dass Menschen besser sein können, als sie sind.

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer.

In Baldwins Text wird der Wille, etwas zum Positiven zu bewegen, deutlich. Zeile für Zeile deutet er auf das Negative, macht jedoch auch klar, an das Positive, den Willen des Menschen zur Veränderung zu glauben. In klaren Worten drückt er aus, was damals war, was heute unter anderen Vorzeichen immer noch ist und welche Wurzeln der Rassismus der Weißen in Amerika hat.

Seine eigenen Erinnerung an erlebte Ungerechtigkeit hat er ebenso eingearbeitet, wie die Großen der jüngeren amerikanischen Geschichte, die Baldwin erlebte. Welche Rolle spielt Religion, welche Hautfarbe und warum ist das so? Wie können wir dies überwinden? Baldwin stellt Fragen, die immer neue aufwerfen.

Den Lesenden muss klar werden, dass es einfache Antworten nicht geben kann, nicht geben wird, sondern an diesen Stellschrauben immer wieder gedreht und die Debatte lebendig gehalten werden muss.

Doch solange wir im Westen der Hautfarbe eine solche Bedeutung beimessen, machen wir es der Masse unmöglich, sich nach irgendwelchen anderen Kriterien zusammenzuschließen. Hauptfarbe ist keine menschliche oder persönliche Realität; sie ist eine politische Realität.

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer.

Der Autor appelliert daran, nachzudenken, hinzuschauen, sich der eigenen Vorurteile bewusst zu werden und zu hinterfragen. Wie schaffen wir es, eine andere Gesellschaft zu werden, in der Determinanten wie Hautfarbe und Religion keine Rolle spielen, wenn auch aus letzterer vor allem Baldwin seine Kraft zieht, etwas ungewohnt für europäische Lesende. Was kann ein jeder tun?

Fragen, die bis heute brandaktuell bleiben. James Baldwin reiht seine Gedanken wie Perlen einer Kette aneinander und zwingt die Leser sich der rauen Wirklichkeit zu stellen. Zugleich verdeutlicht er, dass Hass nicht die Lösung sein kann, egal von welcher Seite man diese Debatte führt, sondern Liebe und Verständnis für einander.

Baldwin ist voller Wut, jedoch auch voller Zuversicht, beschreibt Geschichtsverläufe und legte frei, was lange verborgen blieb, nach seinem Tod zu lange in Vergessenheit geriet und heute wieder hervorgeholt wird.

Was Weiße über Schwarze nicht wissen, offenbart also genau und unerbittlich ihr Unwissen über sich selbst.

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer.

Fast jede Seite ist gekennzeichnet vom Willen zur Veränderung, nicht nur für die Benachteiligten, Ausgegrenzten, sondern für alle Menschen, vor allem in Amerika, natürlich mit den Blick über den Tellerrand weltweit. Baldwin beschreibt die Schwierigkeiten einer Gesellschaft, von der wir lange geglaubt haben, sie überwunden zu haben.

Jüngste Vorfälle von rassistischer Gewalt diesseits und jenseits des großen Teiches zeigen das Gegenteil. Und so gilt weiterhin ein Zitat Baldwins, nicht Bestandteil dieses Textes, welcher sich lohnt zu lesen:

Wie ich euch nenne, sagt nichts über euch aus oder nur ganz selten; wie ich euch nenne, sagt aber alles über mich.

James Baldwin, 1963, Rede vor Schülern einer amerikanische High School.

Es ist ein beeindruckender Text. Selten war das Gefühl so groß, einem Werk in der Rezension nicht gerecht werden zu können, obwohl ich mir so viele wichtige Stellen markiert habe. Oder, gerade deswegen?

Autor:

James Arthur Baldwin wurde 1924 in Harlem, New York City geboren und war ein US-amerikanischer Schriftsteller. Nach seinem Schulabschluss machte sich Baldwin als Essayist und Rezesent einen Namen und setzte sich mit seinen Texten für Gleichberechtigung, unabhängig von Hautfarbe, Sexualität und Religion ein. 1953 veröffentlichte er in Paris seinen ersten Roman. Immer wieder engagierte sich Baldwin zudem in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, schrieb zahlreiche Gedichte und Theaterstücke. Baldwin starb 1987 in Südfrankreich.

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Joannis Stefanidis: Holy Freaks

Holy Freaks Book Cover
Holy Freaks Joannis Stefanidis Knaur Taschenbuch Erschienen am: 01.04.2020 Taschenbuch Seiten: 224 ISBN: 978-3-426-79081-6

Inhalt:

Joannis Stefanidis hat ein Dauerklingeln in den Ohren, das ihn in den Wahnsinn treibt. Und so beschließt er eines Tages, den grauen Berliner Alltag hinter sich zu lassen und sich auf die Suche nach der spirituellen Super-Droge zu machen, die ihm Glück und Heilung verheißt. Seine Reisen führen von Indien über ein Meditationszentrum in Sri Lanka in den peruanischen Dschungel.

Er meditiert, bis sein Kopf endlich zur Ruhe kommt, lacht sich in einen Glücksrausch, trifft Schmerzfresser, Erleuchtete, Endorphin-Junkies und kiffende Super-Yogis. In seinem Buch erzählt er von seinen irrwitzigen Begegnungen und berauschenden Erfahrungen. (Klappentext)

Rezension:

Was soll man schon groß drüber schreiben, sind doch Erfahrungen anderer nur schwer zu werten, wenn man sie nicht selbst nachvollzogen hat? Macht man aber genau das nicht mit einer Rezension? Ordnet und benotet man das Erlebte nicht, wenn man sich darüber den Kopf zerbricht, wenn man die Leseeindrücke wiedergibt?

Andererseits, laden uns die Autoren nicht dazu ein, zu werten, sich ein eigenes Bild zu machen, den Blick von Außen auf das Geschehene zu werfen, wenn sie dies veröffentlichen? Unter diesen Gesichtspunkt kann man vielleicht eine Rezension verfassen.

Joannis Stefanidis ist einer derer, deren Namen in Rezensionen sträflich vernachlässigt werden, wobei sie doch so wichtig sind. Als Übersetzer hat er bereits zahlreiche Fantasyromane, Thriller und Jugendbücher dem deutschen Lesepublikum zugänglich gemacht und wird wohl auch zukünftig dafür sorgen, dass die Bücherregale mit allerhand Novitäten gefüllt werden können.

Das ist eine arbeit im stillen Kämmerlein, nichts desto trotz erfordert sie Konzentration, doch was geschieht, wenn diese auf einmal massiv gestört wird und nicht mehr aufrecht erhalten werden kann?

So geschehen, dem Autoren, den ein intensiver Tinnitus zu schaffen machte und der sich darauf hin auf eine Entdeckungsreise begab. Nach Indien, Südostasien und Peru verschlug es ihn zu Wunderheilern, selbst ernannten Gurus und in Meditationszentren. Stefanadis berichtet darüber und vor allem von den Begegnungen mit gewöhnlichen und erstaunlichen Menschen.

Da wird auch schon mal ein Treffen in einem indischen Bahnhof zum Dreh- und Angelpunkt.

Immer wieder öffnet sich Stefanidis dem Neuen, den Unbekannten. Die Suche nach Erlösung von Schmerzen tritt irgendwann in den Hintergrund, wird unwichtig.

Um so intensiver macht der Autor vor allem Erfahrungen mit verschiedenenen Arten der Meditation und entdeckt dann ganz am Ende, dass es vielleicht doch nicht nur das in sich Hineinatmen ist oder Lach-Yoga, welches Glück und Heilung verspricht, sondern etwas anderes Banaleres.

Joannis Stefanidis auf einer Sinnsuche, die er selbst ohne werten zu wollen betreibt, ist eine Mischung aus Reisebericht, spirituellen Buch, Erfahrungsbericht und vielleicht vor allem für ihn selbst eine Art Erinnerung an das, was selbst in unserer hektischen Welt möglich ist, an Ruhe und Glück zu gewinnen, wenn man denn will.

In wie fern das als Anregung für die Leser dienen kann, ist schwierig zu sagen. Wie die Lektüre hilft, auch. Ruhe und Gelassenheit muss man vielleicht lernen. Erleuchtung und Heilung, zu groß um das genauer zu definieren, kann man nicht einfach so erlangen, wenn das denn möglich ist. Der Autor scheint seinen Weg gefunden zu haben.

Ob es den Lesern gelingen wird?

Autor:

Joannis Stefanidis wurde 1964 geboren und wuchs in Westberlin auf. Er ist Musiker, Autor und Reisender. Hauptberuflich arbeit er als Übersetzer und ist den Lesern in dieser Tätigkeit hauptsächlich durch die Bücher der „Eragon“-Reihe bekannt. Zahlreiche Thriller und Jugendbücher wurden ebenfalls von ihm ins Deutsche übersetzt. er lebt in Berlin und Mumbai.

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Simon Schwartz: IKON

IKON Book Cover
IKON Simon Schwartz Avant Verlag Erschienen am: 01.03.2018 Seiten: 216 ISBN: 978-3-945034-79-8

Inhalt:

IKON folgt dem Russen Gleb Botkin, der als Sohn des Leibarztes des russischen Zaren die Oktoberrevolution miterlebt und dabei seine engste Vertraute verliert – die Zarentochter Anastasia.

Jahre später, im amerikanischen Exil, trifft der spirituell entwurzelte Ikonenmaler Botkin eine psychisch kranke Frau, die vorgibt, seine verlorene Anastasia zu sein und Anspruch auf den russischen Thron erhebt. Botkin, der sein ganzes Seelenheil auf diese tragische Gestalt projiziert, verliert erneut den Halt und verschreibt sich mit Leib und Seele seiner wiedergefundenen Ikone.

IKON ist eine – auf wahren Begebenheiten basierende – Erzählung über Verlust, Projektion und die Liebe zweier verlorener Seelen, die von der Brutalität des 20. Jahrhunderts gezeichnet wurden. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte der Anna Anderson, die unter mysteriösen Umständen in einer Berliner Heilanstalt in den 1920er Jahren auftauchte und Anspruch darauf erhob, eine der Töchter des letzten Zaren von Russland zu sein, ist bekannt und bereits Stoff für zahlreiche filmische und nicht zuletzt literarische Umsetzungen gewesen.

Zu schön um wahr zu sein ist es doch, einem grausamen Massaker, wie durch ein Wunder, entkommen zu sein und damit um Stellung und nicht zuletzt einem unvergleichlichen Vermögen, wenn auch kaum greifbar, zu kämpfen.

Doch, lässt sich eine Geschichte, die sich über einen Zeitraum von Jahrzehnten abspielte und mindestens die Wucht eines Krimis auf vielerlei Ebenen hatte, wirklich in Form einer Graphic Novel erzählen?

Die Umsetzung einer komplexen Thematik in Comic.Form ist bereits mehreren Zeichnern gut gelungen. Die Graphic Novel um Anne Frank etwa gehört wohl dazu und auch die mehrteilige Kindheits- und Jugendbiografie des Charlie-Hebdo-Zeichners Riad Sattouf „Der Araber von morgen“ kann man da nennen. Wie steht es also um „IKON“, in der Simon Schwartz die Geschichte des Russen Gleb Botkin und des Mythos Anastasia erzählt?

Zunächst ist auffällig der grobe Zeichenstil, der in Schwarz-Weiss diese atemraubende Geschichte versucht, zu verbildlichen. Bewusst ist hier vom Versuch die Rede, denn nur schwer gewöhnt man sich an die unruhigen Zeichnungen, die im zusammenhang mit der sprunghaften Erzählweise eine Konzentration abverlangen, die man wohl kaum bei einer Graphic Novel voraussetzen darf.

Zudem wechseln sich hier Zeitebenen nach nur wenigen Seiten ab, Handlungsstränge, die sich nur schwer zusammenführen lassen, zumal für ungeübte Leser. Vorkenntnisse um die Ereignisse des Lebens der letzten Zarenfamilie, der Mordnacht in Jekaterinburg 1918 und nicht zuletzt um Anastasia/Anna Anderson selbst, sind unbedingt von Nöten, möchte man sich auf die Graphic Novel auch nur halbwegs einlassen.

Wer will, erfährt so einiges über die russisch-orthodoxe Religion, die Bedeutung und Werdung von Ikonen, versteht die Anspielungen, die Simon Schwarz hier durchaus gelungen eingebracht hat. Das funktioniert jedoch nur bei denen, die nicht gerade Einsteiger in diese Thematik sind.

In der Graphic Novel nachempfunden. Gleb Botkin zeichnet für die Zarenkinder.
Quelle: Simon Schwartz, IKON, Avant Verlag.

Die Zeichnungen Gleb Botkins für die Zarenkinder gab es wirklich, sahen auch so ähnlich aus, wie sie der Protagonist in mehreren Szenen zu Papier bringt, auch hält sich der Autor strickt an die Historie und erliegt nicht der Versuchung, dem schon aufgeklärten aber immer noch an manchen Stellen gepflegten Mythos um Anastasia neue Nahrung zu verschaffen.

Wenn man jedoch dieses Vorwissen nicht hat, fällt es trotz der nachstehenden Erläuterungen schwer, in die Geschichte einzutauchen und sich auch darauf einzulassen.

Prägnant ist der erdrückend wuchtig wirkende Zeichenstil.
Quelle: Simon Schwartz, IKON, Avant Verlag.

Zu wuchtig, zu eigenwillig wirken sämtliche Protagonisten, was am Zeichenstil einerseits liegt, von den ständigen Zeitsprüngen mal gar nicht zu reden, andererseits auch und besonders an einer Überbetonung von Charakterzügen. Das funktioniert vielleicht auf einer Theaterbühne, damit’s dann auch der Zuschauer in der hintersten Reihe mitbekommt, hier aber allzu aufdringlich und abstoßend wirkt.

Wer sich wirklich mit der Tragik der Familie des letzten Zaren beschäftigen wollte, noch keine Berührungspunkte mit der Thematik hat, sollte besser zu Simon Sebag-Montefoire oder Elisabeth Heresch („Alexej, der Sohn des letzten Zaren“) greifen, die beiderseits hervorragende und verständlich zu lesende Sachbücher darüber verfasst haben. Damit ist Interessierten und Kennern eher gedient.

Mittels eines DNA-Tests konnte Jahrzehnte später zweifelsfrei festgestellt werden, dass es sich bei Anna Anderson nicht um die Zarentochter Anastasia handelte.

Simon Schwartz über richtige und falsche Ikonen.

Nebenbei erfährt der Leser etwas über russische Orthodoxie und die Entstehung von Ikonen.
Quelle: Simon Schwartz, IKON, Avant Verlag.

Zeichner:

Simon Schwartz wurde 1982 geboren und ist ein deutscher Comiczeichner, Autor und Illustrator. Nach dem Abitur arbeitete er im Mosaik Verlag und studierte von 2004-2009 Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.

Für verschiedene Tageszeitungen verfasst er reegelmäßig Comic-Strips und veröffentlichte 2009 seinen ersten comic-Roman. Für Wände mehrerer Gedenkstätten zeichnete er die Vorlagen. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet.

Weiterführende Links und Literatur:

Ein anderer Blog: MonerlS bunte Welt

Simon Sebag-Montefoire: Die Romanows

Douglas Smith: Rasputin – Und die Erde wird zittern

Wikipedia: Die Ermordung der Zarenfamilie

Das Ipatjew-Haus / 10 Fakten / Wikipedia: Anna Anderson

Wikipedia: Anastasia Nikolajewna Romanowa

Helen Rappaport: The Romanov Royal Matyrs (Book Trailer)

Empfehlenswerte Verfilmung:

„Nikolaus & Alexandra“, Spielfilm von 1971, bassierend auf Robert K. Massies gleichnamigen Buch. Sehr nah am Biografischen. Länge: 181 Minuten.

Vielleicht schreibe ich doch mal ein Special zu verschiedenen Verfilmungen und anderen Büchern? Da gibt’s mehrere sehr interessante Umsetzungen.

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Lone Theils: Hexenjunge

Hexenjunge Book Cover
Hexenjunge Reihe: Nora Sand (3) Rezensionsexemplar/Krimi Rowohlt Taschenbuch Seiten: 302 ISBN: 978-3-499-00002-7

Inhalt:
Auf einem Londoner Friedhof wird die Leiche eines nigerianischen Terrorismusexperten entdeckt, er wurde brutal ermordet. Kurz zuvor hatte der Professor dort ein geheimes Treffen mit Nora Sand, Korrespondentin der dänischen Zeitung Globalt.

Mit seinem Tod fehlt ihre wichtigste Informationsquelle, daher wird Nora auf etwas anderes angesetzt: die spektaktuläre Scheidung eines russischen oligarchen von einem dänischen Reality-Sternchen. Das Paar streitet öffentlich um das Sorgerecht für seinen Sohn. Als er entführt wird, stößt Nora darauf, dass beide Fälle zusammenhängen könnten. Die Suche nach der Wahrheit führt sie in die dunkelsten Winkel der Stadt. (Klappentext)

Rezension:
Schon, wenn man die Buchdeckel aufklappt, kann man bei den meisten skandinavischen Krimis den bleischweren Mehltau der Melancholie förmlich mit den Händen greifen und so habe ich mich, dementsprechend skeptisch, an die Lektüre von „Hexenjunge“ gewagt.

Lone Theils konstruiert hier die Parallele zweier verlaufender Handlungen, die zunächst im ruhigen Fahrwasser der geschichte nichts miteinander zu tun haben scheinen, dann jedoch immer enger miteinander verflochten werden, bis es schließlich zum großen Knall kommt.

In der losen Aneinanderreihung begleiten die Leser die Journalistin Nora Sand im Spagat zwischen der schillendern Londoner Welt eines Londoner Oligarchen und seiner Beziehung zu einem dänischen Reality-Sternchen; hier bin ich so frei, die Formulierung aus dem Klappentext einfach zu übernehmen; und nigerianischen Terrorismus‘, dessen Wirkung noch Kreise ziehen wird.

Behutsdam verwebt die Autorin beide Bestandteile dieses dritten Bandes um die Hauptprotagonistin, den man übrigens auch losgelöst von der Reihe lesen kann, und schafft damit ein spannendes Szenario, dessen Wirkung man praktisch schon mit den ersten Seiten greifen kann.

Die Handlung wird dabei behutsam aufgebaut, vom Groben ins Kleinteilige, immer aus der Sicht der hauptprotagonistin, deren Bild wie das eines Puzzels immer vollständiger wird, je mehr Teile sie miteinander in Verbindung setzen kann.

Dabei gelingt der Autorin das Kunststück, nicht zu sehr abzuschweifen, oder sich etwa in der Nebenhandlung des Privatlebens von Nora Sand zu verzetteln, so dass der Leser ganz konzentriert der Handlung folgen kann. Geschickt zeigt Lone Theils dabei die gesellschaftlichen Verquickungen auf, die beide Fälle mit sich bringen und schafft so zunächst unterschwellige spannung, die nach und nach immer klarer wird, um dann mit voller Gewalt den Leser in ihrem Bann zu ziehen.

Die Hauptprotagonisten bleibt dabei als einzige scharf gezeichnet. Alle anderen Charaktere werden nur in sofern beschrieben, wie es der Geschichte nützt. Nichts überflüssiges wird hier erzählt, dennoch gibt es genug Wendepunkte und Kontraste, um die Leserschaft in die Irre zu führen.

So nebelig wie das Cover bleibt auch zunächst die Auflösung, gleichwohl amn vom Anfang an spürt, dass Nora Sand im gegensatz zu ihrer Umgebung die richtigen Schlüsse ziehen kann, die dann übrigens nach einer Fortsetzung schreien. Die Reihe wird weitergeführt, vielleicht sogar mit Verknüpfungen zu diesem Band, gleichwohl dieser losgelöst gelesen werden kann.

Die Parallelen zur eigentlichen Arbeit der Autorin, die die Protagonisten aufweist, sind nicht von der Hand zu weisen. Tatsächlich ist auch Lone Theils als Journalistin tätig gewesen und teilt ihr Hobby ebenso mit dieser. Im nächsten Band ist daher durchaus der große „Schlag“ zu erwarten.

Autorin:
Lone Theils arbeite jahrelang als London-Korrespondentin für die dänische Zeitung Politiken, sowie für diverse Fernsehsender. In 16 Ländern erschienen bisher ihre Bücher, die u.a. für das Fernsehen adaptiert werden. Zwischen Dänemark und England teilt die Autorin mit ihrer Protagonistin Nora Sand die Leidenschaft für’s Kickboxen.

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Stefanie de Velasco: Kein Teil der Welt

Titel: Kein Teil der Welt Book Cover
Titel: Kein Teil der Welt Stefanie de Velasco Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 10.10.2019 Seiten: 432 ISBN: 978-3-462-05043-1

Inhalt:
Vom Aufwachsen in der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas.

Mit unwiderstehlicher Kraft führt uns Stefanie de Velascos aufrüttelnder Roman in eine Welt, die mitten in der unsrigen existiert und dennoch kein Teil von ihr ist. Klug, rasant und herzzerreißend erzählt er vom Emanzipationsprozess einer jungen Frau, der sämtliche Fundamente zum Einstürzen bringt. (Klappentext)

Rezension:
Unser Grundgesetz legt fest, dass ein Jeder glauben darf, woran er oder sie möchte, so lange man seinem Gegenüber nicht schadet. Dies ist ein Privileg, zumal es noch genug Orte auf der Welt gibt oder es in der Geschichte gab, an denen die jenigen verfolgt wurden, die von den Meinungen der Mehrheitsgesellschaft abweichen oder ganz und gar ihre eigenen Wege gehen.

Doch, was ist, wenn sich die Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft zu sehr abschotten und sich selbst schaden? Stefanie de Velasco erzählt die fiktive Geschichte zweier Mädchen innerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas.

Die Autorin, die selbst lange Zeit Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen ist, erzählt nicht ihre oder eine andere klassische Aussteigergeschichte, sondern stellt dem Leser zwei klassische identifikationsfiguren an die Seite, deren Schicksal man von Zeile zu Zeile atemlos verfolgt.

Zum einen ist da das Mädchen, welches den Glauben mit einer Ernsthaftigkeit praktiziert, dass man als Leser nur den Kopf schütteln kann, dioe jedoch später nach ersten Zweifeln beginnt, zu hinterfragen. Die Erzählerin indes ist die andere Protagonistin, die einfach ihre Ruhe haben, keinen Wandel möchte, doch vom Zweifel ihrer Freundin mitgerissen wird.

Im Wechsel der Zeitebenen wird die Geschichte erzählt. Rückblenden und Gegenwartseindrücke gehen nahtlos ineinander über.

Das ist die Stärke des Romans und zugleich seine Schwäche. Zu Beginn weiß man nicht, wo diese Geschichte einem hinführen wird, welches Ziel die Protagonisten verfolgen. Auch das Lesetempo, welches die Autorin einfordert ist nicht gerade einladend.

Am Anfang fließt der Erzählstrom langsam, doch schon nach dem ersten Drittel wird klar, dass die Figuren sich in immer rasanteren Tempo dem Abgrund nähern. Dies widerum tut der Handlung gut, wenn auch im Mittelteil die Wendung zu abrupt kommt. Hier hätten fünfzig Seiten mehr der Geschichte gut getan.

Stefanie de Velasco erzählt eine nur in Ansätzen autobiografische Geschichte und doch eine, wie sie passieren könnte. Sie zeigt, wie wichtig es ist, auch auf die jenigen zu achten, die außerhalb unserer Gemeinschaft stehen, ohne erhobenen Zeigefinger natürlich, aber dennoch Hilfe anzubieten, wenn stille Zeichen dazu Anlass geben.

Die Autorin erzählt, dass es wichtig ist, auf diese Menschen einzugehen, gleich dem wie fremd die einstige Denkweise sein mag, aber auch wie wichtig es ist, größere Katastrophen zu verhindern, sind doch die Einschnitte ohnehin brutal genug.

Mit der Kraft des Erzählens zeigt „Kein Teil der Welt“ jedoch auch, wie nah Freud und Leid beieinander liegen und das Freundschaft auch dann noch eine Wirkung hat, wenn diese längst vergangen ist. Und da sind dann die Protagonisten dann doch nicht so anders als die Welt um sie herum.

Einige Längen und ein allzu abrupter Wechsel im handlungsverlauf zum Trotz, zieht einem der Roman in seinem Bann, lässt einige Fragen offen und im Leser arbeiten. Das halboffene Ende passt dazu, insgesamt hätten der Erzählung ein paar Seiten mehr Ausführungen gut getan. Im Großen und Ganzen jedoch, lesenswert.

Autorin:
Stefanie de Velasco wurde 1978 geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Aufgewachsen bei den Zeugen jehovas verließ sie die Religionsgemeinschaft im Alter von 15 Jahren. Nach der Schule studierte sie Europäische Ethnologie und Politikwissenschaft in Bonn, Berlin und Warschau.

Für das Berliner Stadtmagazin Zitty, die FAS und Zeit Online schreibt sie regelmäßig Beiträge. Im Jahr 2013 erschien ihr Debütroman „Tigermilch“, der verfilmt und zahlreich übersetzt wurde. Ein Jahr später wurde sie dafür für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. „Kein Teil der Welt“, ist ihr zweiter Roman.

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Sophie von Maltzahn: Liebe in Lourdes

Liebe in Lourdes Book Cover
Liebe in Lourdes Rezensionsexemplar/Roman Kiepenheuer & Witsch Hardcover Seiten: 218 ISBN: 978-3-462-05205-3

Inhalt:

Jahr für Jahr pilgert der adel in Ordensformation nach Lourdes. Diese spirituelle Reise im Dienste der Bedürftigen ist ein wichtiger Teil der aristokratischen Erziehung – und gleichzeitig ein idealer Heiratsmarkt. Neu dabei ist Kassandra: Großstädterin, Ende dreißig und nur bedingt erlösungswillig. Doch die Tage im „Heiligen Bezirk“ werden sie dennoch alles andere als unberührt lassen. (Klappentext)

Rezension:

Wie bewertet und rezensiert man einen Roman, zu den man bis zuletzt kaum Zugang gefunden hat? Zunächst, vielleicht bin ich auch nicht der richtige Leser. total wissenschaftsgläubig, habe ich überhaupt nichts mit Religion am Hut. Grotten interessieren mich höchstens aus naturwissenschaftlicher und Kirchen aus der geschichtlichen und architektonischen Perspektive.

Mit Marienerscheinungen oder religiösen Erfahrungen kann ich nur in sofern etwas anfangen, als dass ich mich frage, was man im Kaffee oder Tee am Morgen gehabt haben muss, um diverse „Wunder“ zu erleben. Den Stoff will ich auch. Zwar soll jeder glauben, was er oder sie will, aber mich damit bitte dann auch in Frieden lassen. Und vielleicht war das dann genau die falsche Perspektive, mit der ich an diesen Roman herangegangen bin.

Worum geht es? Jahr für Jahr organisieren kirchliche und Bihinterenverbände Zugfahrten nach Lourdes, einer christlichen Pilgerstätte, deren Grotte, Kirche und Quelle ganz besondere Kräfte zugeschrieben werden. Marienerscheinungen soll es dort gegeben haben, um die siebzig Wunderheilungen hat die katholische Kirche anerkannt und auf diese Begegnungsstätte zurückgeführt. Der Leser dieses Romans begleitet solch einen Pilgerzug und eine Protagonistin, die ähnlich gestrickt ist wie der Rezensent, jedoch ihr ganz eigenes Wunder sucht.

Kritisch beobachtet Kassandra die menschlichen Verwerfungen, die es auch auf einer solch organisierten Fahrt gibt. Konkurrierende Pflegekräfte, Gläubige auf Sinnsuche und behinderte Kinder, denen man etwas gutes tun möchte, es aber eher für das eigene Seelenheil auf sich nimmt, Teil der Gruppe zu sein. Schon hier fragt man sich, was diese Erzählung eigentlich sein soll. Religiöser Erweckungsroman, eher nicht.

Liebeserklärung an Lourdes, bestimmt. Die Autorin Sophie von Maltzahn war bereits mehrmals dort. Erfahrungsroman, auch. Liebesroman, na ja. Fassbarer als auf den ersten Seiten wird’s jedoch nicht.

Tatsächlich ist hier zwar eine Art Handlungsrahmen vorhanden, der Spannungsbogen fehlt jedoch, so dass die gesamte Erzählung erstaunlich farblos bleibt. Die Protagonisten haben alle Ecken und Kanten und sicherlich viel zu erzählen. Mehr Sinnsuche hätte dem Roman gut getan. Der Autorin ist es jedoch nicht gelungen, das auch umzusetzen. An der sprachlichen Ausarbeitung liegt es nicht. Die ist sehr schön gestaltet.

Ein Leser kann sich durchaus in einzelne Szenen verlieben und in Sätzen verlieren, wenn die Sprache und die Figuren jedoch die einzigen Pluspunkte sind, die DDraufsicht nicht funktioniert und die Handlung an jedem Ort der Welt spielen könnte, fehlt das Besondere und macht alle Bemühungen zu nichte, dem Leser einen Zugang zu schaffen.

Nein, die Autorin hat es nicht geschafft, mich zu erreichen. Eine gute Idee und eine schöne Sprache machen noch lange keine gute Erzählung. Vielleicht findet die jedoch jemand von euch? Gebt mir dann Bescheid.

Autorin:

Sophie von Maltzahn wurde 1984 geboren und studierte Betriebswirtschaft, Kunsgeschichte, sowie Ägyptologie. Danach arbeitete sie als freie Mitarbeiterin für verscgiedene Zeitungen und als Redakteurin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie schrieb an ihren eigenen Blog „Ding und Dinglichkeit“, fuhr mit 24 Jahren zum ersten Mal nach Lourdes. Die Autorin lebt in Berlin.

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Tara Westover: Befreit

Befreit Book Cover
Befreit Rezensionsexemplar/Sachbuch Kiepenheuer & Witsch Hardcover Seiten: 444 ISBN: 978-3-462-05012-7

Inhalt:

Tara Westover ist 17 Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine Schulklasse betritt. Zehn Jahre später kann sie eine beeindruckende akademische Laufbahn vorweisen. Aufgewachsen im ländlichen Amerika, befreit sie sich aus einer ärmlichen, archaischen und von Paranoia und Gewalt geprägten Welt – durch Bildung, durch Aneignung von Wissen, das ihr so lange vorenthalten worden war. (Klappentext)

Rezension:

Für diese Rezension habe ich mir zum ersten Mal des Effektes Willen überlegt, die Kurzbiografie einer Autorin wegzulassen. Vorab sich nämlich nicht über Tara Westover informieren zu können, macht die von ihr erzählte Geschichte noch brisanter, noch mächtiger und noch unglaublicher.

Tara Westover wächst als Kind in einer, von ihrem vater bestimmten Familie auf, die sich komplett von der Außenwelt abgrenzt. Hier geht es nicht nur um die Gegenüberstellung zweier parteipolitischer Ansichten, die heutzutage das medienbild der USA prägen, hier geht es um alles oder nichts.

Eine rechtschaffende, gläubige, Gott zugewandte Familie gegen den Rest der Welt. So sieht das zumindest Taras Vater, der sogar die strengen Vorschriften der Mormonen noch wörtlicher als die meisten Gläubigen nimmt und damit seinen Kindern alle Chancen nimmt.

Diese werden von den staatlichen Schulen genommen, müssen im Familienbetrieb arbeiten, selbst schwerste Verletzungen werden nicht im Krankenhaus behandelt, sondern auf dem heimischen Sofa, unter Zuhilfenahme pseudoätherischer Öle und natürlich Gebeten. Unter diesen Bedingungen wächst die immer größer werdende Kinderschar auf.

Je älter sie werden, um so mehr sehen Tara und, leider nicht alle, ihre Geschwister eine Zukunft, die ihnen verwehrt werden wird, wenn sie nicht ausbrechen. Zwei ihrer älteren Geschwister und sie selbst nehmen diesen Kampf jedoch auf und stellen sich damit gegen Glaube, Familie und vor allem ihrem Vater.

Wie weit muss man gehen, um den Kampf um Selbstbestimmung, Entwicklung und frieheit zu gewinnen? Manche offenbar sehr weit, wenn man Tara Westovers beeindruckende Bildungsbiografie liest.

Als Leser wird man kaum aus den Erstaunen herauskommen, welches Leid die Autorin unter der Tyrannei ihres Vaters zu erdulden hatte, dessen bipolare Störung zur Zerreißprobe für den gesamten Clan geworden ist, dessen beim Streit aufgeplatzte Wunden bis heute nicht verheilt sind.

Nach der Lektüre wird man den Faktor Bildung einen größeren Wert als bisher bemessen, innerlich die Autorin an manch beschriebenen Ereignissen in den Arm nehmen, dann wieder mit den Kopf gegen die Wand des Naheliegenden stoßen wollen.

Eindrucksvoll beschreibt Westover die ihr gestellten Hürden, die sie ohne Hilfe liebenswerter Menschen nicht hätte überwinden können. Tränen, Traurigkeit, Glücksgefühle, Wut. All das wechselt so schnell nacheinander, dass man innehalten muss, um zu Atem zu kommen.

Tara Westover beschreibt ihren Weg in Eigenständigkeit und Selbstwertgefühl, welcher steiniger nicht hätte sein können. Was muss es nur für eine Überwindung und Kraft gekostet haben, diese Zeilen zu Papier zu bringen?

Der Lehrer rief mich auf, und ich las den Satz vor. Als ich an das Wort kam, hielt ich inne. „Dieses Wort kenne ich nicht“, sagte ich. „Was bedeutet es?“

Tara Westover: „Befreit“

An manchen Stellen möchte man brechen. Für mich gehören Eltern, die krank oder nicht, so die Sicherheit ihrer Kinder gefährden wie Westovers dies getan haben, die ihre Kinder jede reelle Chance auf Bildung und damit Freiheit genommen haben, in Gewahrsam.

Um so größer die Bewunderung für Tara Westover, die dennoch einen Funken Liebe noch in sich bewahrt hat, für die zeit, in der ihre Eltwern und sie vielleicht eines Tages aufeinander zugehen können. Diese Biografie ist ein Mahnmal für das, was Zwänge anrichten und was Bildung bewirken kann. Grenzen zu überschreiten, benötigt Zeit.

Manchen macht die Geschichte Tara Westovers hoffentlich Mut genug, ihren eigenen Weg zu gehen. Wenn das dieses Buch schafft, wäre viel gewonnen.

Autorin:

Tara Westover wurde 1986 in Idaho, USA, geboren und lebt heute in Großbritannien. 2008 erwarb sie den Bachelor of Arts an der Bringham Young University, am Trinity College in Cambridge erhielt sie 2009 ihren Abschluss als Master of Philosophy und promovierte 2014, nach einem Abstecher in Havard in Geschichte. „Befreit“ ist ihr erstes Buch.

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Michel Houellebecq: Unterwerfung

Unterwerfung Book Cover
Unterwerfung Michel Houllebecq Dumont Seiten: 272 Taschenbuch Seiten: 978-3-8321-6359-4

Handlung:

Unterwerfung beschwört ein Frankreich herauf, in dem eine autoritäre muslimische Partei schleichend die Macht übernimmt – auf demokratischen Weg und mit Hilfe der intellektuellen Elite.

Schonungslos und mit großer erzählerischer Kraft zeigt Michel Houellebecq in seinem bislang wohl kontroversesten Roman, wie sich die Menschen freiwillig in ein System fügen, das alle Grundwerte der westlichen Welt verneint. (Klappentext)

Rezension:

Schreckensszenario, Schwarz-Weiß-Denken, populistische Denke, Provokation. Als Michel Houellebecqs Roman zunächst in Frankreich erschien, überschlugen sich die Kommentatoren der Feuilletons im Kulturbetrieb.

Beschrieben wird eine nicht allzu ferne Zukunft, in der ein Muslim Präsident eines laizistischen Frankreichs wird und innerhalb von Monaten das Land nach seinen Glaubensvorstellungen ausrichtet.

Plötzlich sieht man in der Stadt der Liebe Frauen nur noch verhüllt, Schulen und Universitäten ohne islamischer Ausrichtung werden zu Einrichtungen zweiter Klasse, in den Zügen gibt es ein muslimisches Menü und mehrmals täglich ruft, nicht mehr vereinzelt, der Muezin zum Gebet.

Zudem ist es auch in Frankreich nun erlaubt, mehrere Ehefrauen zu haben. Während dieser Umwälzungen begleiten wir den Literaturprofessor Francois, der nicht konvertieren will und daher seine universitäre Laufbahn beenden muss, durch die sich wandelnde Welt, die anhand der Gegensätze zu zerbrechen droht. Auch ihm stellt sich bald die Frage, ob es nicht besser ist, den islamischen Glauben anzunehmen. Wie wird er sich entscheiden?

Die Geschichte kommt nur langsam ins Rollen und tritt dann auf der Stelle. Ein Vorankommen ist nicht erkennbar, wenn auch einige Abschnitte durchaus an erzählerischen Tempo zulegen. Houellebecq hält dies aber nicht durch, zum Leidwesen des Lesers.

Dabei bürgen Handlung und darin befindliche Protagonisten durchaus Potential. Wie gerne hätte man noch mehr über die gesellschaftlichen Umwälzungen erfahren?

Wie viel Spannung hätte die Reduzierung der privaten Befindlichkeiten, insbesondere der Hauptfigur, gebracht? So aber bekommt der Leser eine noch nicht ganz reife Geschichte, die zwar viel über literarische Klassiker der Franzosen philosophieren, dem gemeinen Leser aber unbefriedigt zurücklässt.

Das Szenario wiederum ist strittig und unrealistisch, könnte jedoch von den Populisten der Welt missbraucht werden.

In einer Zeit wohlgemerkt, in der der Front National in die französische Nationalversammlung eingezogen und Le Pen dem höchsten Staatsamt so nahe wie noch nie ist, überall in Europa Rechtsverdreher (Sic!) in die Parlamente finden oder teilweise Regierungsbeteiligung erlangen.

Fünfzig Seiten mehr Beschreibungen des gesellschaftlichen Wandels hätten gereicht, um die Mängel dieses Romans auszugleichen. So aber bleibt „Unterwerfung“ nicht nur ein mittelmäßig interessantes Gedankenspiel, sondern auch der Eindruck einer nicht vollständigen und zu Ende erzählten Geschichte.

Autor:

Michel Houellebecq wurde 1958 geboren. Nach der Schule arbeitete er u.a. als Informatiker bei einem Beratungsunternehmen, wechselte später ins Landwirtschaftsministerium und schrieb zu dieser zeit schon an seinem ersten Roman, diverse Gedichte und Kurzgeschichten.

2015 erschien sein Roman „Unterwerfung“ an dem Tag, an dem ein terroristischer Anschlag auf das satiremagazin „Charlie Hebdo“ stattfand, unter dessen Zeichnern er einen Freund hatte, der dabei ums Leben kam.

Darauf hin brach Houllebecq die Bewerbung seines Romans ab und zog sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Einige Monate später nahm er jedoch wieder einige Auftritte wahr.

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