NS-Regime

Joachim Käppner: Soldaten im Widerstand

Inhalt:

Die “Strafdivision 999” (1942-1945) ist bis heute von Mythen und Legenden umgeben. Wenig bekannt ist immer noch, dass viele ihrer Soldaten Kommunisten, Sozialdemokraten und andere waren, die gegen das Naziregime Widerstand geleistet hatten und dafür in Gefängnisse und Konzentrationslager gesteckt worden waren.

Aber dann, als der Wehrmacht 1942 an allen Fronten Soldaten zu fehlen begannen, zog sie diese zuvor als “wehrunwürdig” abgestempelten Männer kurzerhand ein. Sie sollten nun für das Regime jenen Krieg führen, dem sie sich doch entgegengestellt hatten. Viele der Zwangssoldaten setzten ihren Kampf gegen die Schreckensherrschaft selbst in der verhassten Uniform fort. Dieses Buch erzählt ihre Geschichte. (Klappentext)

Rezension:

Es müssen Menschen übrig bleiben, die gegen das Furchtbare, das mit dem Namen Hitler über die Welt kam, kämpfen. Wenn auch mit der Hilflosigkeit von Zwergen, die vor einen rollenden Panzer Kieselsteine werfen, um ihn aufzuhalten. Die trotzdem nicht aufhören mit den Kieselsteinen.

Joachim Käppner: Soldaten im Widerstand

Es ist ein wenig beachtetes Kapitel der deutschen Geschichte, welches der Historiker und Journalist joachim Käppner in seinem neuen werk beleuchtet. Zeugenberichte sind rar, teilweise zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme wenig beachtet oder versucht und umgedeutet durch die neue vorherrschende Ideologie, je nachdem auf welcher Seite des nach dem Krieg hochgezogenen “Eisernen Vorhangs” man suchte.

Wenige betroffene haben damit ihren frieden machen können und doch gab es sie, vor 1945, Soldaten, die eigentlich keine sein wollten und die auch das damals herrschende NS-Regime nicht wollte, aber spätestens mit den sich abzeichnenden Niederlagen in Stalingrad und in Nordafrika brauchte. Sozialdemokraten, Kommunisten und andere, die für ihre Überzeugungen vorher Zuchthausstrafen absitzen oder gar in die Konzentrationslager gebracht wurden, mussten nun kämpfen, im ständigen Zwiespalt auch mit sich selbst.

Ein erschütterndes, weil noch zu wenig beleuchtetes Stück Historie wird hier im rahmen von Personengeschichte betrachtet. Dies kann zuweilen problematisch werden, da diese Art von Begutachtung nur selten objektiv ist und zu wenig Fascetten Beachtung finden.

Wenn jedoch ein bestimmter Aspekt schon in der zeithistorischen Bearbeitung sträflich vernachlässigt wird, ist das durchaus legitim und so eröffnet Joachim Käppner eine neue Perspektive. Die verschiedenen Blickwinkel werden durch eine Auswahl von verschiedenen Personenbiografien hineingebracht, denen wir folgen, um so nach und nach uns ein ganzes Bild machen zu können.

Der Stil ist dabei so nüchtern, wie es nur geht, was zur Folge hat, dass auch Längen entstehen. Gleichzeitig wird Geschichte, da sie eben in diesem Werk nicht unpersönlich daher kommt, fassbar und im Großen und Ganzen spannend erzählt. Gestützt auf Zeitzeugenberichte, die teilweise erst ideologisch entfärbt oder überhaupt erst wiedergefunden werden mussten, berichtet der Historiker und zeigt eine bisher wenig betrachtete Seite des Zweiten Weltkriegs auf.

Nicht fehlen dürfen dabei Vor- und Nachbetrachtung, die gleichermaßen fundiert recherchiert erscheinen. Unterfüttert ist dies mit einer, für diese wenig beleuchtete Thematik, doch guten Quellenlage.

Wie sind diese Männer damit umgegangen, für ein Regime kämpfen zu müssen, dessen Gegner sie eigentlich waren? Welchen Zwiespalt mussten sie aushalten, in Uniform und später im umgang mit der Thematik in den beiden deutschen Nacvhfolgestaaten und wie beeinflussten einerserseits die täglichen Schrecken und Notwendigkeit des Krieges das Handeln, wie auch die eigenen Überzeugungen im Umgang mit inneren und äußeren Faktoren? War es möglich, Widerstand zu leisten, mit der Waffe in der Hand?

Nicht zuletzt in unserer Zeit sehr aktuell und diskutierenswert.

Joachim Käppner, über Soldaten, die lieber keine sein wollten.

Autor:

Joachim Käppner wurde 1961 in Bonn geboren und ist ein deutscher Journalist und Historiker. Nach der Schule studierte er Geschichte und Politische Wissenschaften in Bonn und Jerusalem und arbeitete 1982 als fester freier Mitarbeiter beim General-Anzeiger. Nach einem Praktikum in Johannesburg, besuchte er die Deutsche Journalistenschule in Mänchen und war ab 1987 als freier Journalist tätig.

Er arbeitete für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, 1998 an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. 1999 begann er für die Süddeutsche Zeitung in München zu arbeiten und verfasste mehrere Sachbücher über militärische und politische Themen. 1999 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis, 2011 den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis.

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Jan Bazuin: Tagebuch eines Zwangsarbeiters

Inhalt:

Das kürzlich entdeckte, hier erstmals publizierte Tagebuch des Jan Bazuin ist das ergreifende Zeugnis eines Rotterdamer Jugendlichen, der während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurde. Die renommierte Zeichnerin Barbara Yelin hat die knappen, schnörkellosen Notizen einfühlsam illustriert und macht so das Geschehen auf unheimliche Weise präsent. Ein wichtiges, ein fesselndes Buch nicht nur für junge Leser. (Klappentext)

Rezension:

Im Nachhinein aufgeschriebene Erinnerungen sind nicht selten überlagert von durch das kollektive Gedächtnis aufoktroyierte Erinnerungen, die die Geschichtswissenschaft trennen muss, vom tatsächlichen Geschehen und den damaligen wirklichen Empfindungen. Nicht immer ist es einfach, das zeithistorische Fundament freizulegen, zumal, nur natürlich, auch den Zeitzeugen die Erlebnisse verschwimmen oder diese vor geschichtlichen Ereignissen einfach besser stehen möchten oder Geschehnisse so erschreckend waren, dass sie verdrängt waren und nur langsam wieder an die Oberfläche kehren.

Am Genauesten sind hier noch Tagebücher, die nicht im Nachhinein verändert wurden. Sie geben einen unverfälschten Eindruck wieder. Ein solches über ein noch zu selten beleuchtetes Kapitel der deutschen Geschichte wurde nun neu aufgelegt.

Es handelt sich um den schriftlichen Nachlass des Rotterdamer Jugendlichen Jan Bazuin, der aufgrund der familiären Enge und der Auswirkungen des NS-Besatzungsregimes sich gezwungen sah, sich für einen Arbeitseinsatz in Deutschland zu melden, um der häuslichen Situation zu entgehen. Das aus drei Heften bestehende, hier zusammengelegte Tagebuch, zeigt in nüchterner Sprache die Auswirkungen der NS-Zwangsarbeit auf die Biografie eines Jugendlichen, der sich mit seiner Deportation nach deutschland vom regen in die Traufe gehen sah, genau und nüchtern all das notierte, was er beobachtete und empfand.

Anfangs optimistisch verschärft sich bald der Ton. Jugendlicher Tatendrang wechselt mit Resignation und Verzweiflung. Der Wechsel längerer “Alltagsbeschreibungen” zu kurzen Notizen erfolgt oft abrupt. Gleichwohl wird schnell klar, und dies ist es auch dem Schreibenden selbst, dass es mehrere “Klassen” der Zwangsarbeit gegeben hat und Bazuin es vergleichsweise gut getroffen hat, dennoch schildert auch er Situationen der menschlichen Entgrenzung, die unter die Haut gehen. Unterstrichen wird dies durch die einfühlsamen Zeichnungen von Barbara Yelin, die die bedrückende Wirkung des Geschriebenen hervorheben.

Historisch eingeordnet wird dies durch ein ausführlich erläuterndes Nachwort, welches über die beschriebenen Orte der NS-Zwangsarbeit aufklärt, zudem durch ein Begriffe-Glossar, der dies auch für weniger fachlich versierte Lesende zugänglich macht. Das Werk ist zugleich eine Veröffentlichung des NS-Dokumentationszentrums München und damit ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen, ohne die Schwere eines allzu umfassenden Sachbuchs zu besitzen. Unbedingt lesenswert.

Autor:

Jan Bazuin wurde 1925 in Rotterdam geboren und arbeitete zunächst in der familieneigenen Druckerei. Aufgrund der familiären Situation und des von Hungersnot und Besetzung gebeutelten Lands meldete er sich Anfang 1945 zum “Arbeitseinsatz” im Deutschen Reich und schrieb währenddessen mehrere Tagebücher über Leben und Überlebenunter den Deutschen. Im Zuge der aufarbeitung zur NS-Zwangsarbeit im früher zum RAW Neuaubing gehörigen Barackenlager wurden diese wieder entdeckt und neu aufgearbeitet.

Ausarbeitung:

Barbara Yelin wurde 1977 in München geboren und ist eine deutsche Comiczeichnerin. Zunächst studierte sie Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und zeichnete mehrere in Deutschland und Frankreich erschienene Anthologien. Für mehrere Zeitungen erarbeitete sie Comic-Strips. 2016 wurde aus einem von ihnen ein Buch.- 2018 veröffentlichte sie in Carlsenverlag, zudem 2020 ein Kinderbuch in Zusammenarbeit mit Alex Rühle.

Sie unterrichtete an der Hochschule der Bildenden Künste Saar und als Dozentin im Comic-Seminar Erlangen, seit 2018 zudem an der Universität für Angewandte Kunst, Wien. Für ihre Arbeit erhielt sie den Bayrischen Kunstförderpreis für Literatur, 2015, sowie den Max-und-Moritz-Preis als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin, 2016.

Paul-Moritz-Rabe wurde 1984 in Erlangen geboren und ist ein deutscher Historiker. Er leitet die wissenschaftliche Abteilung des NS-Dokumentationszentrums Münschen sowie des Erinnerungsortes auf dem Gelände des ehemaligen NS-Zwangsarbeiterlagers Neuaubing. Sein Buch “Die Stadt und das Geld”, welches 2017 erschien, zur Haushalts- und Finanzpolitik Münchens während der NS-Zeit wurde mit mehreren Förderpreisen ausgezeichnet.

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Pieter van Os: Versteckt vor aller Augen

Inhalt:

Wie es der polnischen Jüdin Mala Rivka Kizel mit Intelligenz, Charme und einer außergewöhnlichen Portion Wagemut gelang, nicht nur der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entkommen, sondern sogar die Liebe einer Nazifamilie zu gewinnen, das erzählt Pieter van Os in dieser verblüffenden und kraftvollen Geschichte, die niemanden unberührt lässt.

Dieses Buch ist eine atemberaubende Suche nach der Wahrheit und ihrer Moral und zugleich eine tiefschürfende Meditation darüber, was uns antreibt, den “anderen” zu fürchten, aber auch, was uns erlauben könnte, Mitgefühl zu empfinden. (Inhalt lt. Umschlagsseite)

Rezension:

Es ist die Geschichte einer immer kleinteiliger werdenden Suche nach den Spuren einer Biografie, deren Inhaberin sich so wandlungsfähig zeigen musste, wie die Zeit sich unstetig und voller Gefahren gab, in der sie lebte. Hinein in eine jüdisch-orthodoxe Familie geboren, erblickt 1926 Mala Rivka Kizel das Licht der Welt, noch nicht wissend, wie oft sie umdenken, sich verstellen werde müssen, um ihren Häschern zu entkommen.

Auf Grundlagen mehrerer Interviews mit ihr, begibt sich Jahrzehnte später der niederländische Journalist Pieter van Os auf Spurensuche quer durch Europa.. Herausgekommen dabei ist ein sehr detaillierter, dadurch um so erschütternder Bericht gegen das Vergessen.

Zunächst beginnt der Autor, der von der Geschichte Mala Rivka Kizels zum ersten Mal in einer Warschauer Bar hörte, mit der Beschreibung einer seiner vielen Suchen, die sich im Laufe seiner Recherchen stellten. Hier merkt man van Os seinem Beruf an, der gründliche Journalist, der jedes Puzzleteil aufdecken und zu bereits vorhandenen legen möchte, um sich so der Biografie zu nähern, die in Interviews aufgrund des zeitlichen Abstands nur umrissen werden kann, auch von der realen Protagonistin selbst.

Der Schreibende ist zugleich der Suchende, der es nicht lassen kann, jede noch so winzige Spur zu verfolgen, um Wahrheit von nachträglich hinzugefügten Bildern zu unterscheiden. In der polnischen Hauptstadt ist das bereits eine Herausforderung des Gedankenspiels, da es kaum noch historische Bausubstanz gibt.

Nur einen kleinen Rest der Ghettomauer etwa, findet man noch in einem unscheinbaren Hinterhof. In Dörfern und anderen Kleinstädten des heutigen Polens, der Ukraine oder in Ostdeutschland, welche ebenso mehrere Zeitenwenden durchgemacht haben, ist es mancherorts nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.

Nach und nach schält Pieter van Os jedoch die beeindruckende Lebensgeschichte einer mutigen Frau heraus, die ihre Biografie mehrfach vor den Augen ihrer Mitmenschen verändern musste, um zu überleben. Durchsetzt ist der Bericht zusätzlich mit mehreren Querverweisen. Wer die Geschichte einer Person erzählt, kommt nicht umhin, auch das Drum-Herum zu durchleuchten. So kreuzt der Autor beispielsweise auch den Weg Salomon “Sally” Perels, des Hitlerjungen Salomon, als er den Weg Kizels versucht hat, zu konstruieren.

Die Überlebensgeschichte der jungen Frau liest sich so beeindruckend wie ein Spannungsroman, zeigt, warum und wie es Kizel gelang, ihren Häschern zu entkommen. Es läuft einem beim Lesen kalt den Rücken herunter, alleine sich vorzustellen, wie es ist, gezwungen zu sein, sich zu verstellen. Ein Tanz auf dem Vulkan. Einem Schritt zu viel folgt nur der Tod.

Pieter van Os hält sich an den geografischen Wegepunkten bei der Gliederung seiner Kapitel, nutzt Zeitsprünge, und stellt jedem dieser ausführliche Anmerkungen hinten an. ein Familienstammbaum, eine geografische Karte und ein umfangreiches Personenregister ergänzen das Werk, welches auf Grundlage jahrelanger Recherchen entstand.

Es ist eine dieser Geschichten, die unbedingt in Erinnerung bleiben müssen und nicht unbeeindruckt zurücklassen. Was macht es mit uns Menschen, wenn wir gezwungen sind, uns permanent zu verstellen? Wie viel Mut, Wille und auch Glück ist notwendig zum Überleben. Wie prägen uns die jenigen, denen wir uns anvertrauen müssen, um zu leben, aber nicht offenbaren können, da dies sonst der Tod bedeuten könnte?

Ein Buch und eine Geschichte gegen das Vergessen, welche unter die Haut geht.

Autor:

Pieter van Os, geb. 1971, ist ein niederländischer Autor und Journalist. Er schreibt für “NRC Handelsblad” und “De Groene Amsterdammer”. Unter anderem erschien von ihm das Buch “We Understand Each Other Perfectly” über seine Tätigkeit als parlamentarischer Berichterstatter.

Mit der Originalausgabe von “Versteckt vor aller Augen” gewann er im Jahr 2020 den Brusse-Preis für das beste journalistische Buch in niederländischer Sprache sowie den Libris-Geschiedenis-Preis. Nach einigen Jahren in Warschau lebte er in Tirana, Albanien, und derzeit wieder in den Niederlanden.

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Rudolph Herzog: Heil Hitler, das Schwein ist tot!

Inhalt:

Natürlich wurde auch im Dritten Reich gelacht – aber anders als heute. Vom diffamierenden Witz der Nazis über die eher harmlosen Flüsterwitze bis zum bitteren Spott der Verfolgten: Rudolph Herzog beleuchtet alle Bereiche des Lebens unter Hitler. dadurch kommt er ungewöhnlich nah an das, was die Menschen wirklich dachten, was sie ärgerte, was sie zum Lachen brachte; auch an das, was sie wussten und was sie geflissentlich ausblendeten.

Die Reaktion der Staatsgewalt wiederum, die die Witze sehr genau registrierte und sich dadurch herausgefordert fühlte, zeigte, was die Machthaber fürchteten. Die Analyse des Humors im Nationalsozialismus gibt einen tiefen Einblick in die wahren Befindlichkeiten der sogenannten Volksgemeinschaft. (Inhaltsangabe lt. Verlag)

Rezension:

Heil Hitler, das Schwein ist tot!, so lautet die Pointe eines politischen Witzes, der hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand erzählt wurde, als sich das Kriegsglück der Deutschen gewendet hatte und es abzusehen war, dass die Katastrophe unweigerlich gen Abrgund führen würde. Doch, bereits als die Nazis die Macht erlangten, kursierte der Spott über die neuen politischen Figuren, anfangs noch gestützt, etwa durch die veritable Kabarettszene, die noch aus den Zeiten der Weimarer Republik stammte, deren Vorstellungen und System. Da war die Zeit schon nicht mehr fern, in der das Lachen tödlich werden konnte.

War es das jedoch immer? Nein, sagt der Autor Rudolph Herzog und analysiert die Entwicklung des Humors im Dritten Reich, begonnen bei den politischen Witzen, die unter der Bevölkerung kursierten, bis hin zu Kleinkunstszene, die schon bald mit den Rücken zur Wand stand, nicht zu sprechen von Schauspielenden, an denen nicht selten Exempel statuiert wurden.

Zu Todesurteilen kam es erst in den letzten Kriegsjahren vermehrt. Beim einfachen Volk zumindest, drückten die Organe des NS-Apparats bis dahin oft mehrere Augen zu und ließ ihnen dieses Ventil. Doch zeigt sich hier auch, dass selbst Wohlwollende oft genug so viel wussten, um zu wissen, dass sie nicht mehr wissen wollten. Auch die Opfer der NS-Ideologie entwickelten ihren ganz eigenen Humor, um die Situation, Diskriminierung und Ausgrenzung mit all ihren tödlichen Folgen, derer sie ausgesetzt, irgendwie noch ertragen zu können. Der Autor skizziert anhand einiger ausgewählter Witze, wie genau sich der politische Humor zu allen Seiten hin entwickelte und wie das Willkür-System des NS-Regimes darauf reagierte.

Dabei entstanden ist keine Witze-Sammlung im engeren Sinne, sondern eine Analyse der Entwicklung eines Aspekts dieser Gesellschaft. Wie sah der Spott über einzelne Führungspersonen der obersten Machtriege aus, wie entwickelte sich Humor in Anbetracht alltäglicher Missstände und nicht zuletzt des Grauens, welches über allem schwebte.

Wie veränderte sich der humoristische Blick der Allierten, an wen wurden Exempel statuiert und warum erhielten für den gleichen Witz Erzählende “nur” Verwarnungen, andere die Todesstrafe? Was entgegneten die Machthaber dem Satire-Programm innerhalb der deutschen Rundfunksendungen der BBC? Wie wurde Humor, oder was man davon hielt, seitens des NS-Regimes eingesetzt, um eine menschenverachtende Ideologie durchzudrücken? Gab es Humor und Witz auch im KZ? Nicht zuletzt, darf man heute über Hitler lachen?

Charlie Chaplin hat, nachdem das ganze Ausmaß der Schrecken von Auschwitz bekannt geworden war, später in einem Interview gesagt, hätte er davon gewusst, hätte er seinen Film “Der große Diktator” nie gedreht. Heute gibt es eine Fülle von Werken, die sich der Thematik humoristisch annähern. Aus der Zeit einstweilen, bleiben nur die Witze, die hinter mehr oder weniger vorgehaltenen Händen erzählt wurden. Ihre Entwicklung stellt der Autor dar, fragt, wie entstand der politische Humor überhaupt? Worauf lag der Fokus während der einzelnen Phasen des NS-Regimes und welche Gruppen reagierten mit welcher Art von Witz? Wie wurde auf den politischen Witz reagiert?

An manchen Stellen wirkt die Analyse mitunter sehr trocken. Im Kontext mit den Beschreibungen des Alltags ergibt sich jedoch ein gut fassbares Gesamtbild, welches sich lohnt, zu durchdenken. Rudolph Herzog stellt gekonnt Ursache und Wirkung zueinander dar, zeigt, dass die Mächtigen die politischen Witze und die Reaktionen darauf genau registrierten, eigener Humor entweder für Grausames missbraucht wurde oder komplett sein Ziel verfehlte. Wer mal ab von den üblichen Sammlungen auch den politischen Witz im Dritten Reich, in einen Kontext gestellt sehen möchte, macht mit diesem Werk nichts falsch.

Autor:

Rudolph Herzog wurde 1973 geboren und is ein deutscher Autor und Reggisseur. Bekannt wurde er international durch die Serie “The Heist”, die 2004 ausgestrahlt wurde, zudem drehte er mehrere Dokumentarfilme für verschiedene Fernsehsender. Er ist Verfasser mehrerer Werke, wie dem Erzählband “Truggestalten”, welcher 2017 erschien.

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Christian Hardinghaus: Die verlorene Generation

Inhalt:

Hitlers letztes Aufgebot war minderjährig. Aufgepeitscht durch Kriegspropaganda glaubten viele Hitlerjungen, sie könnten den Endsieg noch herbeiführen und Deutschland vor dem Untergang bewahren. Als Luftwaffenhelfer, im Volkssturm und in Panzervernichtungstrupps kämpften zuletzt selbst 14-jährige als Lückenfüller und Kanonenfutter. Alleine in den letzten Kriegswochen fielen über 60.000 Kindersoldaten. Die Überlebendenden leiden bis heute an verdrängten Kriegstraumata und konnten oder wollten nie darüber sprechen. Am Ende ihres Lebens berichten dreizehn Zeitzeugen von ihren Kindheitserlebnissen während erbarmungsloser Kämpfe oder zermürbender Gefangenschaft. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

In den Trümmern des Dritten Reiches kämpften zuletzt nur noch die Jüngsten, zumeist ums nackte Überleben. Noch halbe Kinder, waren sie das letzte Aufgebot des NS-Regimes, chancenlos und auf verlorenen Posten. Die auf zerstörung getrimmte Kriegspropaganda gepaart mit der teilweise naiven Sicht Pubertierender, die sich für unverwundbar hielten, führte dazu, dass diese sowjetischen oder amerikanischen Soldaten mitunter schmerzliche Verluste zufügten.

Am Ende mussten diese entscheiden, was mit den Halbwüchsigen, die in Fantasieuniformen mit viel zu großen Stahlhelmen steckten, geschehen sollte. Nicht wenige kamen in Kriegsgefangenschaft, wo für viele sich das Grauen fortsetzte. Der Historiker Christian Hardinghaus hat sich, nach den Soldaten und Frauen im Zweiten Weltkrieg nun der dritten Gruppe, der als Kindersoldaten eingebundenen Minderjährigen angenommen. Die Geschichten dreizehn von ihnen, sind nun für die Nachwelt festgehalten.

Ein wichtiger Bestandteil der Erforschung von Zeitgeschichte ist das Festhalten von Erlebnisberichten, das Recherchieren von Tagebüchern und das Führen von Interviews. Lange war dies bei den Kindersoldaten des Zweiten Weltkriegs nicht möglich, zum Einen, da Aufarbeitungsprozesse zu weilen einseitig verlaufen, zum anderen da Verarbeitungsprozesse mitunter langwierig verlaufen. erst in jüngster Zeit wird aufgearbeitet und zugehört.

Viele Veröffentlichungen, etwa von Tagebüchern aus Kriegskindertagen, gab es in den letzten Jahren und doch wird der Gruppe, die das NS-Regime für seine Zwecke ganz zuletzt noch missbrauchte, kaum Beachtung geschenkt. Die Kinder und Jugendlichen nämlich, die im Rahmen willkürlich zusammengewürfelter Volkssturm-Einheiten gegen die Übermacht alliierter Soldaten ankämpfen musste, während um ihnen herum der Staat in seine Bestandteile zerfiel. Die Wahrnehmung der Zeitzeugen darüber, unterscheidet sich dabei zuweilen deutlich von der nachfolgender Generationen.

Christian Hardinghaus hat daher vor allem eines, Gespräche geführt, zugehört und nachgefragt. Wie in seinen anderen Werken zuvor hinterfragt er zunächst die Erinnerungskultur und wie eine Annäherung, hier an die ehemaligen deutschen Jugendlichen im Zweiten Weltkrieg gelingen kann, welche Bandbreite vor allem jahrgangsmäßig dies umfassen muss und welche Nachfragen nicht außen vor gelassen werden können.

Diese stellt er jeweils am Ende dieser so entstandenen Kurzbiografien, die vor allem die Jugendzeit der Befragten ausführlich behandeln. Eingeführt werden ihre Geschichten durch die Darstellung der jetzigen Lebenssituation, um so Zugang dazu zu finden.

Der Autor wertet dabei nicht oder hält sich zumindest großteils damit zurück, zeigt die Dynamik des NS-Terrors in Form ihrer Propaganda und jahrelanger Indoktrination, aber auch, was die Haltung der sie umgebenden Erwachsenen, ob nun Eltern, Lehrer oder Soldaten ausmachen konnte, wie zuweilen ein Schritt zur Seite Leben oder Tod bedeutete. Hardinghaus lässt die Zeitzeugen erzählen, ungeschönt nehmen diese kein Blatt vor den Mund und sprechen auch dabei die weniger bekannten Kapitel an, etwa von den Zuständen im Rheinwiesenlager für Kriegsgefangene der Alliierten.

Sachlich und konzentriert wirken die mit Fotos durchsetzten Berichte, zuweilen erstaunlich nüchtern, dann wieder ins Emotionale kippend, was vielleicht dem zeitlichen Verarbeitungsprozess geschuldet ist. Auch dieser wird immer kurz dargestellt. Die Wertung, wenn eine solche denn möglich ist, erfolgt dann durch die Lesenden, die mit Informationsgewinn aus der Lektüre gehen werden. Mit diesem Band, der aus dem Pool ausgewählter Zeitzeugenberichte entstanden ist, denen sich Hardinghaus bedienen konnte, ist das Bild abgerundet und sollte auch gelesen werden.

Ein wichtiger und zur weiteren Diskussion anregender Beitrag zur Aufarbeitung ist das, der herausgestellt werden kann, jedoch nicht für sich alleine stehen sollte. Für mein Interesse an der Thematik hätten es jedoch ruhig noch mehr Berichte sein können. Vielleicht wird ja das Bild noch durch kommende Lektüre ergänzt werden?

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung. Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

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Uwe Wittstock: Februar 33 – Der Winter der Literatur

Inhalt:

Es ging rasend schnell. Der Februar 1933 war der Monat, in dem sich auch fir Schriftsteller in Deutschland alles entschied. Uwe Wittstock erzählt die Chronik eines angekündigten und doch nicht für möglich gehaltenen Todes. Von Tag zu Tag verfolgt er, wie das glanzvolle literarische Leben der Weimarer Zeit in wenigen Wochen einem langen Winter wich und sich das Netz für Thomas Mann und Bertolt Brecht, für Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin und viele andere immer fester zuzog. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte der letzen Tage, sie beginnt mit einem Tanz auf den Vulkan. Der Schriftsteller Carl Zuckmayer, der mit den Drama “der Hauptmann von Köpenick” ein paar Jahre zuvor seinen größten Erfolg feierte, begibt sich zum Presseball, einer Berliner Institution. Alles, was Rang und Namen hat, gibt sich dort die Ehre. Die künstlerische Elite versammelt sich. Doch, die Atmosphäre ist getrübt. Nicht wenige Anwesende ahnen, dass sich die Zeiten gerade ändern. Welche Folgen dies langfristig haben wird, ist kaum jemanden klar. Am nächsten Tag, den 30. Januar 1933, wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.

Es ist die Geschichte einer flirrenden Zeit. Einen Monat, in etwa so lang, wie ein ausgedehnter Sommerurlaub, brauchte es, um die Demokratie auszuhölen und durch ein System der Willkür und Tyrannei zu ersetzen, doch zunächst war nicht sicher, ob nicht die Nazis genau so schnell verschwinden würden, wie andere Regierungen zuvor. Der Krieg noch nicht in sicht, begann die Konsolidierung der Macht jedoch bereits vom ersten Tag an. Schriftstellende, Journalisten und Künstler mussten sich entscheiden. Bleiben, wie der Autor Erich Kästner etwa oder die Flucht ins Exil, wie sie Thomas und Heinrich Mann ergriffen.

Der Autor und Literaturredakteur Uwe Wittstock erzählt von einem beispiellosen kulturellen Exodus, nachdem nichts mehr so sein sollte, wie zuvor.

Anhand ausgewählter Biografien beschreibt der Autor Tage der Entscheidung. Rettet man mit der Flucht ins Exil sein eigenes Leben oder wartet man nicht lieber ab, bis der Spuk vorbei ist? Muss man überhaupt fliehen? Ist man von den Ausfällen der Machthaber selbst betroffen oder kann sich gar mit der neuen Situation arrangieren?

Was nimmt man mit, was versteckt man? Wo taucht man unter? Wie und wovon lebt man dann dort? Uwe Wittstock erzählt aus der Sicht der Manns, Döblins oder etwa Ricarda Huch und Gottfried Benn, welchen Fragen und Entscheidungen die ausgesetzt waren, die sich schon längst mit ihrem künstlerischen Schaffen positioniert hatten. Er berichtet von der Vernetzung einer Schicht, die die Nazis innerhalb weniger Tage zerschlugen.

Mit der Form eines literarischen Sachbuchs macht Uwe Wittstock eine Zeit lebendig, deren Folgen die Protagonisten damals nur ahnen konnten, die später einen ganzen Kontinent und noch mehr ins Unglück stürzte. Fakten verpackt er in erzählerischer Form. An manchen Stellen muss man durchatmen und sich vergewissen, was man mit “Februar 33 – Der Winter der Literatur” eigentlich vor sich hat. Nicht doch einen Roman?

Aus Tagebuchaufzeichnungen, Notizen und Briefen, teilweise autobiografischen Schriften, hat Wittstock ein lebendiges Bild ausgewählter Männer und Frauen gewoben, die alle auf unterschiedliche Art und Weise sich entscheiden mussten, manchmal von einer Minute auf die andere. Dabei handelt es sich um Ausschnitte.

Ein Ding der Unmöglichkeit ist es, die Wege der gesamten künstlerischen Elite jener Zeit darzustellen, doch die Auswahl der Lebensläufe zeigt ein breites Spektrum auf. Der Autor ruft so jene Zeit ins Gedächtnis, in der noch niemand sicher sagen konnte, ob dieser oder jene Weg der richtige sein sollte. Viele Akteure indes, konnten später nicht mehr an ihre Erfolge vor Februar 1933 anknüpfen. Anderen wurde die Kooperation mit den Nazis zum Verhängnis. Wenige nur konnten auch in der Nachkriegswelt künstlerisch Fuß fassen.

Wittstock erzählt chronologisch. Die Kapitel sind in Form von Tagesdaten untergliedert, was die Brisanz und die Schnelligkeit verdeutlicht, mit der sich alles änderte. In wechselnder Perspektive werden die Schwierigkeiten und Fragestellungen klar, denen sich die Akteure ausgesetzt sahen. Auch, was danach geschah, bleibt nicht unerwähnt. Zur Abrundung werden im Anschluss Kurzbiografien aufgeführt. Das Sachthema erzählerisch in dieser Form lebendig werden zu lassen, funktioniert hier sehr gut.

An manchen stellen wirkt das so, als würde man selbst etwa an einer Straßenkreuzung stehen und müsste sich entscheiden, ob man zur Wohnung geht, in der Gefahr, den eigenen Häschern in die Arme zu laufen, oder doch zum Bahnhof, um in den nächsten Zug zu steigen und Richtung Grenze zu fahren, so lange dies noch möglich ist. Manche Biografien sind bekannt, trotzdem schwitzt man beim Lesen teilweise Tropf und Wasser. Eine nüchterne Abhandlung ist etwas anderes.

Autor:

Uwe Wittstock wurde 1955 in Leipzig geboren und ist ein deutscher Literaturkritiker, Lektor und Autor. Zunächst arbeitete er als Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1980 bis 1989 der Literaturrerdaktion angehörte, danach wirkte er als lektor beim S. Fischer Verlag.

Zur gleichen Zeit war er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Neue Rundschau. Im Jahr 2000 wurde er stellvertrender Feuilletonchef der Tageszeitung Die Welt, zwei Jahre später Kulturkorrespondent in Frankfurt/Main. Bis 2017 arbeitete er als Literaturchef des Magazins Focus. Zu seinen Werken zählen mehrere Sachbücher. 1989 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis für Journalismus.

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Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Inhalt:
Ein Roman aus der Perspektive Adolf Eichmanns über seine Zeit in Argentinien.

Mit beißendem Spot nimmt uns Ariel Magnus mit ins Innere des unbelehrbaren Nazis, dessen antisemitischer Irrglauben auch im argentinischen Versteck ungebrochen war und der dort bar jeder reue und völlig unbehelligt von einer Rückkehr nach Deutschland träumen konnte – bis zu seiner Verhaftung 1960.
(Klappentext)

Rezension:

Buenos Aires, 11. Mai. Ein Mann, seit fünfzehn Jahren auf der Flucht. Dann geht alles sehr schnell. Die Überwältigung und Entführung Adolf Eichmanns durch Agenten des israelischen Geheimdiensts Mossad im Jahr 1960 sorgte weltweit für Aufsehen.

Einem der größten Schreibtischtäter und Organisatoren des Holocausts sollte der Prozess gemacht und einem gerechten Urteil zugeführt werden. Seit 1950 versteckte sich der Bürograt des Todes, der einst die Deportationszüge in die Konzentrationslager organisierte und bei der berüchtigten Wannsee-Konferenz Protokoll führte, in Argentinien, unter falschen Namen, von den Geheimdiensten mehrerer Staaten schon länger beobachtet.

In Tel Aviv vor Gericht gestellt, plädiert der Mann, der sich als bloßer Befehlsempfänger sieht, auf „Nicht schuldig!“. Eichmann zeigt keine Reue und wird wegen seiner Taten zum Tode verurteilt. So viel zu den tatsächlichen Geschehnissen, doch wie kam es zu der Entdeckung des Mannes, der sich so lange einer gerechten Strafe entziehen konnte?

Wie lebte, was dachte der Mann, der Millionen von Menschen auf dem Gewissen hatte? Der Journalist und Schriftsteller Ariel Magnus hat einen Blick hinter der Fassade versucht. Dabei ist ein Roman entstanden, den man sich kaum entziehen kann.

Es ist eine Qual, in die Geschichte einzufinden, da gleich von Beginn an aus der Perspektive Eichmanns erzählt wird. Die Sicht eines Mannes, der verdrängt, wird eingenommen, nichts schlechtes an seinen Taten und Entscheidungen sehen will und sich dennoch ständig vor Familie und anderen Untergetauchten, nicht zuletzt vor sich selbst rechtfertigt. Dabei wirken die Sätze so spröde und starr, wie man sie nur einem Bürokraten angedeihen lassen kann, nicht leicht zu lesen.

Ariel Magnus hat es geschafft, dass immer eine gewisse Distanz zum Hauptprotagonisten gehalten wird, zugleich jedoch unwillentlich fasziniert ist von dieser Figur. Dabei bleibt der Autor sehr dicht an verbürgten Geschehnissen, Ergebnis intensiver Rechercheleistung. Ein paar Dialoge mögen der schriftstellerischen Phantasie entsprungen sein, der Rest lässt sich anhand von Protokollen etwa, Beobachtungen oder Tonbandaufnahmen aus dieser Zeit verifizieren.

“Erstens muss ich Ihnen sagen, mich reut gar nichts”, sagte er, auch wenn er vorgehabt hatte, das am Ende zu sagen. “Es wäre sehr leicht für mich, mich reuig zu zeigen, so zu tun, als wäre aus einem Saulus ein Paulus geworden.”

Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Auch wenn man die Geschichte und ihren Ausgang kennt, hat man einen ungeheuer dicht erzählten und spannenden Roman vorliegen, in dem der Protagonist verklärt auf seine Taten blickt, versucht, seine neue Rolle zu finden, in ständiger Angst, doch noch entdeckt zu werden. Die ständige Anspannung ist zwischen den Zeilen zu spüren, wird mit fortschreitender Handlung größer. Der Schriftsteller indes ist fortwährend bei einem eher ruhigen Erzählstil geblieben und hat es dabei auch noch geschafft, einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte mit einzuweben.

Bleibt die Frage, darf man das? Einem der größten und schrecklichsten Schreibtischtäter des Holocausts in gewisser Weise wieder lebendig werden lassen? Ariel Magnus schafft es, Eichmann zu entlarven, als das was er war. Mittelmäßiger Trottel, Rachsüchtiger mit Komplexen. Ein Kackhaufen, dem es lange genug gelungen war, seinen Geruch zu verschleiern. So beschreibt ihn der Autor. Vielleicht ist es das, was aus der Erzählung mitgenommen werden kann? Irgendwann fällt jeder Geruch auf.

Die wahre Geschichte:

Wikipedia I Biografie I Operation Adolf Eichmann

Autor:

Ariel Magnus wurde 1975 in Buenos Aires geboren und ist ein argentinischer Schriftsteller und Übersetzer. Er besuchte die deutsche Schule und studierte von 1999 an Romanistik und Philosophie in Heidelberg und Berlin. An der Humboldt-Universität arbeitete er zudem am Lehrstuhl für Spanische Literatur. Für verschiedene argentinische zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge und veröffentlichte 2007 einen Roman, für den er mit dem Literaturpreis La otra Oriella ausgezeichnet wurde. Seine Werke wurden in zahlreichen Sprachen übersetzt. Bekannt wurde er einer breiteren Öffentlichkeit mit seinem 2006 veröffentlichten Buch , in welchem er seiner deutsch-jüdischen Großmutter ein Denkmal setzte, welches 2012 ins Deutsche übersetzt wurde und unter dem Titel “Zwei lange Unterhosen der Marke Hering” erschien.

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Michael A. Meyer: Leo Baeck – Rabbiner in bedrängter Zeit

Inhalt:

Rabbiner, Intellektueller, Liberaler und sprecher der jüdischen Gemeinde in dunkelsten Zeiten der Verfolgung: Leo Baeck gehört zu den faszinierendsten Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte. Michael A. Meyer lässt in seiner anschaulichen Biografie einen engagierten Denker lebendig werden, der hinter seiner Rolle als Ikone der deusch-jüdischen Geschichte zu verschwinden drohte. (Klappentext)

Rezension:

Oft genug kommen bei vielen namhaften Persönlichkeiten öffentliche Wirksamkeit und Privatleben nicht zur Deckung, Bei viel zu wenigen ist die Übereinstimmung zwischen Gesagten und letztendlichen Taten so groß, wie bei Leo Baeck.

Doch, wer war dieser Mann, der als oberster Repräsentant der organisierten deutsch-jüdischen Gemeinschaft nicht nur ein beeindruckendes Pensum an wissenschaftlichen Ausarbeitungen vorweisen konnte, auch Menschen jüdischen Glaubens half, unterzutauchen, zu emigireren oder wenigstens die Moral derer zu stärken und Nöte zu lesen, von denen, die keine andere Wahl hatten als in Deutschland zu bleiben?

Wie ist sein Wirken im Berlin der Nazi-Zeit, im Ghetto Theresienstadt und nach Kriegsende zwischen Amerika und London zu beurteilen und was bleibt von der Person Baecks in der heutigen Zeit? Der Historiker Michael A. Meyer begab sich auf Spurensuche. Dabei ist die vorliegende, sehr eindrucksvolle Biografie entstanden. Unter den zahlreichen Persönlichkeiten, deren Wirken heute teilweise fast vergessen ist, nimmt Leo Baeck eine Sonderstellung ein. An einzelne Abschnitte wird heute erinnert, doch wie ist der Rabbiner, der Wissenschaftler, der Denker und die Person in ihrer Gesamtheit zu beurteilen.

Was bleibt, wo heute das Leben und die Arbeit anderer intellektueller Größen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und an was sollte erinnert werden, gerade bei Baeck, der es von Beginn an geschafft hatte, den unterschiedlichen Strömungen des jüdischen Glaubens eine Stimme zu geben und gerade in Zeiten akuter Bedrohung, zumal für das eigene Leben, zwischen den Stühlen auch seinen Gegnern die Stirn zu bieten.

Welche Diskussionen stieß er in seiner Glaubensgemeinschaft an. Was bedeutete die Person Baecks für die jüdische Gemeinden in Oppeln, Berlin und später in seiner Funktion im Ältestenrat im Ghetto Theresienstadt?

Die Tür öffnete sich und ein SS-Offizier trat ein. Es war Eichmann. Er war sichtlich betroffen, mich zu sehen. “Herr Baeck, Sie leben noch?” Er sah mich sorgfältig an, als wenn er seinen Augen nicht traute, und fügte kalt hinzu: “Ich dachte, Sie wären tot.” “Herr Eichmann, Sie scheinen ein zukünftiges Ereignis vorauszusagen.” “Jetzt verstehe ich. Totgesagte leben länger, nicht wahr?”

Michael A. Meyer: Leo Baeck – Rabbiner in bedrängter Zeit

Michael A. Meyer ist ein Kenner der Schriften Leo Baecks, hat diese ausgewertet und nun in einer eindrucksvollen Biografie zusammengefasst. Erstmals werden Denken, wissenschaftliches und religiöses Arbeiten, sowie der Mensch Baeck gemeinsam bedrachtet und einer Wertung unterzogen, die nur respektvoll und voller Hochachtung vor dieser Person sein kann.

Dabei hält sich der Historiker strikt an die biografischen Stationen und stellt kompakt das Wirken Baecks anhand seiner Schriften dar, zeigt, wo dem rabbiner Grenzen gesetzt waren und welche zweifelhaften Entscheidungen er mitunter auch fällen musste.

Wie Leo Baeck selbst, ist der Historiker Meyer ein Mensch der leisen Töne, was der Biografie mehr als gut tut. Die einzelnen Ausschnitte aus Baecks Arbeiten sind nicht immer leicht zu lesen. Seicht ist etwas anderes. Hierauf muss man sich einlassen. Vorkenntnisse, insb. im Bereich der Strömungen innerhalb der jüdischen Religion, schaden nicht, aber auch sonst vermittelt dieses Werk, welches zu einer Standardlektüre avancieren könnte, viel Information und Wissen über den Menschen, den Gelehrten und Rabbiner Baeck und dessen Zeit.

Immer wieder im Wechsel werden wissenschaftliches Arbeiten, religiöses und gesellschaftliches Wirken beleuchtet und dem Wenigen gegenüber gestellt, was vom Privatmenschen Leo Baeck bekannt ist. Diese Schablonen, entstanden nach intensiver Rechercheleistung, so übereinander gelegt, ergeben ein beeindruckendes Bild, welches noch nach dem Lesen wirkt.

Autor:

Michael Albert Meyer wurde 1937 in Berlin geboren und ist ein US-amerikanischer Historiker der neuzeitlichen jüdischen Geschichte. Nachdem seine familie über spanien in die USA emigrierte wuchs er in Los Angeles auf und studierte an der University of California Geschichte. Am Hebrew Union College Cincinnaty (HUC) promoviererte er und lehrte ab 1964, wurde drei Jahre später Mitglied des HUC.

Zwischen 2000 und 2008 nahm er zudem regelmäßig Lehraufträge der Hebräischen Universität Jerusalem an. Meyer widmetee sich der Erforschung des Reformjudentums und der Herausgabe verschiedener Schriftebn u.a. Leo Baecks und von Joachim Prinz. Zudem ist er Mitherausgeber einer vierbändigen Deutsch-Jüdischen Geschichte. Von 1991 bis 2013 war er Präsident des Leo-Baeck-Instituts. Im Jahr 2001 erhielt er die Ehrendoktorwürde des Jewish Theological Seminary of America.

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Edgar Rai: Ascona

Inhalt:
Zu Beginn der Dreißiger Jahre steht Erich Maria Remarque im Zenit seines Erfolgs. Doch als der von allen gefeierte Schriftsteller vor den Nationalsozialisten ins Exil am Lago Maggiore fliehen muss, stürzen ihn die politischen Ereignisse in tiefe Ratlosigkeit. Auch mit seinem neuen Roman gerät er in eine Sackgasse. Auf einer Odyssee durch Europa sucht er nach Auswegen – und wählt den riskantesten. (Klappentext)

Rezension:
Ein verschlafenes Nest an der Grenze zu Italien wird für eine lose Gruppe von Künstlern zum Zufluchtsort vor den Häschern in ihrer eigentlichen Heimat. Ernst Toller flüchtete sich an den Lago Maggiore, ebenso die Dichterin Else Lasker-Schüler und viele andere.

Der Berühmteste unter ihnen, der dort Schutz vor den Nationalsozialisten suchte, war der Schriftsteller Erich Maria Remarque, dessen Roman „Im Westen nichts Neues“, ihm 1929 berühmt machte und von den neuen Machthabern bald darauf verbrannt wurde. Er ist der Hauptprotagonist von Edgar Rais’ historischen Roman „Ascona“, der die flirrende Atmosphäre zwischen den ins Exil getriebenen spüren lässt und die Spuren Remarques in seiner Lebens- und Schaffenskrise verfolgt.

Bildgewaltig beginnt der Roman mit einem Knall und einem Erzähltempo, welches einen schnellen Ortswechsel für den Hauptprotagonisten zu folge hat. Dies behält Rai die gesamte Erzählung über durch und zeigt einen Künstler, der es, im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern vergleichsweise gut getroffen hat.

Abgesehen von seiner Heimat verkauften sich seine Bücher weiter im Ausland, auch hatte er dort ein Anwesen zur Verfügung und Verbindungen, die ihm halt gaben. So liegt der Fokus des Autoren hier auf den Schaffensprozess zu einem Roman, den der gefeierte Schriftsteller von den Ereignissen der Zeit überholt sah. Dieses Ringen um den Erzählstoff und auf einer anderen Ebene Remarques mit sich selbst, setzt Rai sprachlich wunderbar in Szene.

Der Roman lag vor ihm wie ein ausgenommener Hecht, die Eingeweide über den Tisch verteilt. Jetzt galt es festzustellen, welche von ihnen noch brauchbar und welche bereits verdorben waren, die Filets von den Flossen zu trennen, den Schwanz wegzuwerfen, den Kopf auszukochen und sorgsam die Gräten zu entfernen.“

Edgar Rai: Ascona

Gleichnisse, wie diese, durchziehen die Handlung und verdeutlichen die Perspektive des Protagonisten, sowie seine genaue Beobachtungsgabe. Beim Lesen fühlt man sich indes als danebenstehend, als würde man bei Remarque persönlich zu Gast sein und eingenommen von den Figuren, die Rai einen versuchten Alltag leben lässt. Wie ist das möglich, wird man unweigerlich fragen, wenn von einem auf den anderen Tag alle Gewissheiten gekippt werden?

Dies schafft der Autor zu verdeutlichen, ebenso wie die Protagonisten mit Ecken und Kanten versehen sind. Selbst der Hauptprotagonist hat Schattenseiten, die diesen ehrlicher wirken lassen und greifbar machen.

Man muss kein Kenner der Materie sein, sich zuvor weder mit Remarque noch seinen Werken oder die Biografien der anderen Exilanten beschäftigt haben, um der Erzählung folgen zu können. Wer liest, taucht ein und verfolgt diese tragischen Schicksale, die jede ihren eigenen Weg suchen, um mit den Ereignissen fertig zu werden. Das funktioniert, da auch hinter diesem Roman eine Rechercheleistung steckt, die man jeder Zeile ansieht.

Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Die letzten Kapitel zeigen den Beginn eines neuen Lebens, wobei der eigentliche Roman beendet ist. Gefühlt ist dies Stoff für ein eigenständiges Werk und fügt sich nicht ganz so organisch an, wie die vorherigen Abschnitte. Das soll jedoch nicht schwer ins Gewicht fallen und ist überdies eigenes Empfinden. Was bleibt ist ein in Romanform geschriebenes zeithistorisches Porträt, mit dem Rai einer weiteren fast vergessenen Episode ein kleines Denkmal geschaffen hat. Und das ist doch auch ganz schön, oder?

Autor:
Edgar Rai wurde 1967 geboren und ist ein deutscher Übersetzer und Schriftsteller. Zunächst studierte er Musikwissenschaften und Anglistik, bevor er seit 2012 Mitarbeiter einer literarischen Buchhandlung in Berlin wurde. Unter Pseudonym und unter eigenem namen schrieb er verschiedene Romane, lehrte von 2003-2008 an der FU Berlin Kreatives Schreiben. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Eddie Jaku: Der glücklichste Mensch der Welt

Inhalt:

“Mein lieber neuer Freund, meine liebe neue Freundin,

ich lebe jetzt schon ein Jahrhundert lang und weiß, was es heißt, dem Bösen ins Antlitz zu blicken. Ich habe die größten Übel der Menschheit gesehen, das Grauen der Todeslager, den Versuch der Nazis, mein Leben und mein ganzes Volk auszulöschen. Doch heute betrachte ich mich als den glücklichsten Menschen der Welt. In all meinen Jahren habe ich gelernt: Das Leben kann schön sein, wenn wir es schön machen. Ich will dir meine Geschichte erzählen.”

Eddie Jaku

(Klappentext)

Rezension:

Was macht es mit einem Menschen, wenn man ihn mehrmals durch die Hölle auf Erden schickt? Wenn dieser nicht weiß, ob er vor Schmerz, Hunger, Kälte, Grausamkeit und abgrundtiefer Gewalt den nächsten Tagen, den nächsten Abend erleben wird? Der Holocaust-Überlebende Eddie Yaku erzählt es uns.

Eddie Yaku wurde 1920 als Abraham Salomon Jakubowicz in Leipzig geboren und begann erst im hohen Alter seine bewegende geschichte zu erzählen. Hundert Jahre nach seiner Geburt hat er sie zu Papier gebracht und nun liegt sie in übersetzter Form vor, in dem Land, welches ihn einst jedwedes Recht zum Leben absprach.

Doch Jaku hegt keinen Groll, sondern blickt positiv auf das Leben. Bemerkenswert bei all dem, was er durchmachen und erleiden musste. Er erzählt von der Machtergreifung der Nazis in Deutschland ebenso, vom Verstecktwerden und Verstecktsein, von Lüge und Verrat, dem Ausgeliefertsein in der Hölle auf Erden, aber auch vom kleinen Glück, welches half, den Willen zum Überleben zu bewahren.

Wenn du heute die Gelegenheit dazu hast, bitte, geh nach Hause und sag deiner Mutter, wie sehr du sie liebst. Tu es für deine Mutter. Und tu es für deinen neuen Freund Eddie, der es seiner Mutter nicht mehr sagen kann.

Eddie Jaku: Der glücklichste Mensch der Welt

Holocaust-Biografien gibt es inzwischen viele zu lesen. Wichtige Zeitzeugen-Berichte sind dies, die, so sie noch nicht geschrieben sind, festgehalten werden müssen. In ein paar Jahren schon, sind die Erzählenden nicht mehr, doch wird man diese Dokumente in Zukunft benötigen, um zu erinnern und nicht zu vergessen.

Eddie Yakus Bericht ist dabei eines der positiveren, die man sich erlesen kann. So viel Einfühlsamkeit, auch Fragen erwartet man kaum beim Lesen. Unterteilt ist die Biografie in Maximen, die ihm im jeweiligen Lebensabschnitt geholfen haben, sich zu orientieren und zu überleben.

Alleine dies ist schon sehr besonders, zudem die direkte Ansprache. Fast wirkt es so, als säße man dem Autoren gegenüber und würde einem Vortrag über dessen Leben lauschen. Alles wird plastisch, die kleinen und großen Momente des Grauens, aber auch des Glücks. Es ist die Biografie eines besonderen Menschen, der sich nie besonders nahm, ein Dokument, welches mahnt, ohne mahnend zu wirken.

Ein beeindruckender Mensch. Auch dessen Geschichte sollte nicht vergessen werden.

Den Anfang macht dieser Bericht.

Autor:

Eddie Yaku wurde 1920 in Leipzig als Abraham Salomon Jakubowicz geboren und machte eine Ausbildung zum Feinmechaniker, bevor er 1938 von den Nazis in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurde. Nach Flucht und Versteck in den Niederlanden und Belgien wurden er und seine Familie nach Auschwitz deportiert, seine Familie ermordet. 1950 wanderte er nach Australien aus, wo er seit dem lebte. Er gründete zusammen mit anderen Überlebenden das Sidney Jewish Museum.

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