Krieg

Vladimir Vertlib: Zebra im Krieg

Inhalt:

In der Geschichte von Paul Sarianidis verbindet Vladimir Vertlib meisterhaft Ironie, Ernst, Menschenfreundlichkeit und politischen Scharfblick zu einem beklemmend aktuellen Roman: Paul lebt mit seiner Familie in einer vom Bürgerkrieg heruntergewirtschafteten osteuropäischen Stadt am Meer. Als er arbeitslos wird, verstrickt er sich immer tiefer in die wüsten Debatten, die in den Sozialen Medien toben.

Doch eines Tages wird Paul von Boris Lupowitsch, einem Rebellenführer, den er im Internet bedroht hat, verhaftet. Lupowitsch rechnet mit ihm vor laufender Kamera ab. Paul wird verhöhnt und gedemütigt, das Video millionenfach gesehen. Wie kann er mit dieser Schande weiterleben? Wird seine Familie ihm verzeihen? Und wird es ihm gelingen, einmal das Richtige zu tun? (Inhaltsangabe lt. Verlag)

Rezension:

Überschaubar ist die Anzahl der Romane, die von den aktuellen realen Geschehnissen überrollt werden und dennoch nichts von ihrer Brisanz verloren, ja, dadurch viel mehr hinzu gewonnen haben. Die vorliegende Erzählung des österreichischen Autoren Vladimir Vertlib veranschaulicht das in beeindruckender Art und Weise.

Wer liest, taucht in die wirren Tage einer von Bürgerkrieg gebeutelten osteuropäischen Stadt ein, die nicht näer benannt wird, deren reales Vorbild sich jedoch direkt in der Beschreibung der ersten Zeilen aufdrängt. Dort begleiten wir Paul, der in seiner durch Jobverlust erzwungenen Taten- und Perspektivlosigkeit einen an den Unruhen beteiligten Rebellenführer beleidigt, dieser anschließend sich rächt und damit nicht nur dessen Leben komplett auf den Kopf stellt.

Hier setzt die Geschichte an, deren Protagonist gefährlich oft zwischen den Polen schwankt, einerseits Sympathieträger zu sein, andererseits sein Kontingent an Wohlwollen der Lesenden zu schnell zu vebrauchen. Gleichzeitig ist dies eines der handlungstreibenden Elemente, an denen wir uns entlang der doch etwas umfangreicheren Kapitel entlang hangeln,, wobei der Autor den Hang zum Abstrusen hat.

Einmal davon abgesehen, was im beschriebenen Setting als normal gelten kann, hat der Schreibende besonders gen Ende damit über das Ziel hinausgeschossen, wie die Bürgerkriegsparteien auch den städtischen Zoo in Mitleidenschaft ziehen und der Streichelzoo, nun ja, im Nebensatz alles andere als gestreichelt wird. Abgesehen davon, dass Vertlib ebenso eine gehlörige Portion Ironie und Sarkasmus eingebracht hat.

Zuweilen wirkt das komisch, doch das Lachen bleibt einem noch, bevor man dies zulässt, im Halse stecken. Vladimir Vertilb hat es hier verstanden, seine Finger in die Wunden zu legen und schafft es, sprachlich die Extreme eines Bürgerkriegs, seine Absurditäten und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Einzelnen auf den Punkt zu bringen.

Der Charakterwandel des Hauptprotagonisten wirkt dabei an manchen Stellen zu glatt, in der nächsten Zeile wieder folgerichtig. Von der Tonalität her ist “Zebra im Krieg” zwar auch erdrückend, jedoch nicht ganz so deprimierend wie etwa Serhij Zhadans Erzählung “Internat”, die etwas konsequenter wirkt.

Vertlib geht da etwas sanfter, aber ebenso bestimmt mit seinen Lesenden um, was sich in seiner Gesamtheit lohnt.

Autor:

Vladimir Vertlib wurde 1966 in Leningrad geboren und ist ein österreichischer Schriftsteller. Mit seiner Familie emigirerte er 1971 aus Russland und lebt seit 1981 in Österreich, wo er Volkswirtschaft studierte. Zunächst veröffentlichte er verschiedene Beiträge in Literaturzeitschriften. Sein erstes Buch erschien 1995. Vier Jahre später erhielt er den Österreichischen Förderungspreis für Literatur, sowie 2001 den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis.

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Christian Hardinghaus: Die verlorene Generation

Inhalt:

Hitlers letztes Aufgebot war minderjährig. Aufgepeitscht durch Kriegspropaganda glaubten viele Hitlerjungen, sie könnten den Endsieg noch herbeiführen und Deutschland vor dem Untergang bewahren. Als Luftwaffenhelfer, im Volkssturm und in Panzervernichtungstrupps kämpften zuletzt selbst 14-jährige als Lückenfüller und Kanonenfutter. Alleine in den letzten Kriegswochen fielen über 60.000 Kindersoldaten. Die Überlebendenden leiden bis heute an verdrängten Kriegstraumata und konnten oder wollten nie darüber sprechen. Am Ende ihres Lebens berichten dreizehn Zeitzeugen von ihren Kindheitserlebnissen während erbarmungsloser Kämpfe oder zermürbender Gefangenschaft. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

In den Trümmern des Dritten Reiches kämpften zuletzt nur noch die Jüngsten, zumeist ums nackte Überleben. Noch halbe Kinder, waren sie das letzte Aufgebot des NS-Regimes, chancenlos und auf verlorenen Posten. Die auf zerstörung getrimmte Kriegspropaganda gepaart mit der teilweise naiven Sicht Pubertierender, die sich für unverwundbar hielten, führte dazu, dass diese sowjetischen oder amerikanischen Soldaten mitunter schmerzliche Verluste zufügten.

Am Ende mussten diese entscheiden, was mit den Halbwüchsigen, die in Fantasieuniformen mit viel zu großen Stahlhelmen steckten, geschehen sollte. Nicht wenige kamen in Kriegsgefangenschaft, wo für viele sich das Grauen fortsetzte. Der Historiker Christian Hardinghaus hat sich, nach den Soldaten und Frauen im Zweiten Weltkrieg nun der dritten Gruppe, der als Kindersoldaten eingebundenen Minderjährigen angenommen. Die Geschichten dreizehn von ihnen, sind nun für die Nachwelt festgehalten.

Ein wichtiger Bestandteil der Erforschung von Zeitgeschichte ist das Festhalten von Erlebnisberichten, das Recherchieren von Tagebüchern und das Führen von Interviews. Lange war dies bei den Kindersoldaten des Zweiten Weltkriegs nicht möglich, zum Einen, da Aufarbeitungsprozesse zu weilen einseitig verlaufen, zum anderen da Verarbeitungsprozesse mitunter langwierig verlaufen. erst in jüngster Zeit wird aufgearbeitet und zugehört.

Viele Veröffentlichungen, etwa von Tagebüchern aus Kriegskindertagen, gab es in den letzten Jahren und doch wird der Gruppe, die das NS-Regime für seine Zwecke ganz zuletzt noch missbrauchte, kaum Beachtung geschenkt. Die Kinder und Jugendlichen nämlich, die im Rahmen willkürlich zusammengewürfelter Volkssturm-Einheiten gegen die Übermacht alliierter Soldaten ankämpfen musste, während um ihnen herum der Staat in seine Bestandteile zerfiel. Die Wahrnehmung der Zeitzeugen darüber, unterscheidet sich dabei zuweilen deutlich von der nachfolgender Generationen.

Christian Hardinghaus hat daher vor allem eines, Gespräche geführt, zugehört und nachgefragt. Wie in seinen anderen Werken zuvor hinterfragt er zunächst die Erinnerungskultur und wie eine Annäherung, hier an die ehemaligen deutschen Jugendlichen im Zweiten Weltkrieg gelingen kann, welche Bandbreite vor allem jahrgangsmäßig dies umfassen muss und welche Nachfragen nicht außen vor gelassen werden können.

Diese stellt er jeweils am Ende dieser so entstandenen Kurzbiografien, die vor allem die Jugendzeit der Befragten ausführlich behandeln. Eingeführt werden ihre Geschichten durch die Darstellung der jetzigen Lebenssituation, um so Zugang dazu zu finden.

Der Autor wertet dabei nicht oder hält sich zumindest großteils damit zurück, zeigt die Dynamik des NS-Terrors in Form ihrer Propaganda und jahrelanger Indoktrination, aber auch, was die Haltung der sie umgebenden Erwachsenen, ob nun Eltern, Lehrer oder Soldaten ausmachen konnte, wie zuweilen ein Schritt zur Seite Leben oder Tod bedeutete. Hardinghaus lässt die Zeitzeugen erzählen, ungeschönt nehmen diese kein Blatt vor den Mund und sprechen auch dabei die weniger bekannten Kapitel an, etwa von den Zuständen im Rheinwiesenlager für Kriegsgefangene der Alliierten.

Sachlich und konzentriert wirken die mit Fotos durchsetzten Berichte, zuweilen erstaunlich nüchtern, dann wieder ins Emotionale kippend, was vielleicht dem zeitlichen Verarbeitungsprozess geschuldet ist. Auch dieser wird immer kurz dargestellt. Die Wertung, wenn eine solche denn möglich ist, erfolgt dann durch die Lesenden, die mit Informationsgewinn aus der Lektüre gehen werden. Mit diesem Band, der aus dem Pool ausgewählter Zeitzeugenberichte entstanden ist, denen sich Hardinghaus bedienen konnte, ist das Bild abgerundet und sollte auch gelesen werden.

Ein wichtiger und zur weiteren Diskussion anregender Beitrag zur Aufarbeitung ist das, der herausgestellt werden kann, jedoch nicht für sich alleine stehen sollte. Für mein Interesse an der Thematik hätten es jedoch ruhig noch mehr Berichte sein können. Vielleicht wird ja das Bild noch durch kommende Lektüre ergänzt werden?

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung. Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

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Frank Vorpahl: Schliemann und das Gold von Troja

Inhalt:

Kaufmannsgehilfe, Goldsucher, Schiffbrüchiger, Kriegsgewinnler, Raubgräber und “Entdecker von Troja” auf den Spuren Homers – Heinrich Schliemanns unglaubliches Leben und die bis heute anhaltenden diplomatischen Verwicklungen um seine Funde. (Klappentext)

Rezension:

Bis heute ist er ein Faszinosum, seine Funde sind erstaunlich, sein Erbe hochumstritten. Die BiografieHeinrich Schliemann, 1822 geboren, liest sich wie die klassische Tellerwäschergeschichte, der zunächst im Krimkrieg das große Geld machte, später über sein Interesse an Homers “Illias” im Osmanischen Reich nach den wahren Kern von Troja suchte und spektakuläre Funde machte.

Alleine, seine Grabungsmethoden und die nicht stetig wissenschaftliche Herangehensweise waren bei Schliemanns Zeitgenossen umstritten, in wichtigen Punkten irrte der Altertumsbegeisterte zudem. Doch, wer war der Mann wirklich, der dennoch die Grundlagen für die moderne Archäologie legte, der mit seinen Publikationen viel für die Popularität dieses Wissenschaftszweiges tat, um dessen Funde bis heute gerungen wird? Der Journalist und Autor Frank Vorpahl begab sich auf Spurensuche.

Das vorliegende Sachbuch ist gleichsam Personenbiografie wie auch Diagram nach der Jagd dessen, was damalige Zeitgenossen Schliemanns zuweilen als Hirngespinst abtaten, galt doch die Archäologie bis dato eher als kostspieliges Hobby, denn als ernstzunehmende Wissenschaft und waren die Methoden des zunächst amateurhaften Suchers schlicht als unkonventionell. Heute ist klar, durch Unachtsamkeit zerstörte Schliemann anfangs vieler seiner Funde und grub zwar bedeutende Schätze aus, die jedoch schlicht etwas anderes sind als die Namen, die man ihnen gab.

Der Autor schlüsselt die zuweilen fieberhafte Suche Schliemanns auf und lässt den Pionier der Archäologie vor den Augen Interessierter wieder auferstehen. Vorpahl hangelt sich entlang der wichtigen Stationen eines Mannes, zeigt, wie dieser gegen die Fachwelt an seinem ehrgezigen Plan festhielt, es jedoch schaffte, aus der anfänglichen Quantität seiner Grabungen eine gewisse Qualität herauszuarbeiten. Das liest sich leicht und zuweilen wie ein Krimi, nicht nur wenn Vorpahl den Ringen mit Konkurrenten nachspürt, sondern auch Schliemanns Kampf um Grabungsgenehmigungen mit Behörden oder später, lange nach dessen Tod, um die Herausgabe der Schätze, die als Kriegsbeute in die Hallen des russischen Puschkin-Museums verschwanden.

Auffällig hierbei ist die Begeisterungsfähigkeit Vorpahls, die sich in jeder einzelnen Zeile niederschlägt, ohne die Kritik an Heinrich Schliemann aus den Augen zu verlieren. Zudem muss dem Sachbuch eine unbändige Rechercheleistung zu Grunde liegen, die von Ortsbegehungen über Tagebuchaufzeichnungen reicht und ergänz wird durch ein umfangreiches Anmerkungs- und bibliografisches Verzeichnis. Ein Fototeil visualisiert dies. Die Geschichte der Suche nach Troja liest sich wie ein Krimi. Wenn man überhaupt etwas zu bemängeln hat, ist es, dass eine Kurzbiografie am Anhang schlicht und ergreifend fehlt, sowie Kartenmaterial in der Ausgabe nicht vorhanden ist. Das gibt zwar Potenzial für eigene Recherchen, ist jedoch erforderlich um das Werk als solches abzurunden.

Der wissenschaftliche Disput zu Lebzeiten Schliemanns und darüber hinaus wird anschaulich dargestellt. Das Sachbuch richtet sich dabei vor allem an Laieninteressierte, die fasziniert vor den Vitrinen Schliemannscher Funde stehen und auch sonst sich für Troja oder die Antike allgemein interessieren. Zuweilen fühlt man den Staub der Grabungen selbst auf der Haut, die körperlichen Strapazen, denen sich Schliemann aussetzte und wenn das dieses Werk schafft, hat der Autor vieles richtig gemacht. Heute wird übrigens immer noch unter deutscher Beteiligung gegraben. Schliemanns “Erben” schreiben die Geschichte fort.

Planet-Wissen.de I Wikipedia I ZDF Info – Das Gold von Troja: Schliemann und der Schatz des Priamos I Universität Tübingen – Troia: Ausgrabungen und Plan

Autor:

Frank Vorpahl wurde 1963 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. 1996 begleitete er als Redakteur für das Magazin “Aspekte” die Enthüllung des Schliemann-Schatzes durch die Chefin des Puschkin-Museums. Seit dem verfolgt er die wissenschaftliche Debatte um Troja und den neueren Grabungen in Hissarlik, sowie die Restitutionsfragen rund um Schliemanns Funde. 2018 veröffentlichte er eine Biografie zu Georg Forster, der die Weltumsegelung James Cooks begleitete.

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Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Inhalt:
Ein Roman aus der Perspektive Adolf Eichmanns über seine Zeit in Argentinien.

Mit beißendem Spot nimmt uns Ariel Magnus mit ins Innere des unbelehrbaren Nazis, dessen antisemitischer Irrglauben auch im argentinischen Versteck ungebrochen war und der dort bar jeder reue und völlig unbehelligt von einer Rückkehr nach Deutschland träumen konnte – bis zu seiner Verhaftung 1960.
(Klappentext)

Rezension:

Buenos Aires, 11. Mai. Ein Mann, seit fünfzehn Jahren auf der Flucht. Dann geht alles sehr schnell. Die Überwältigung und Entführung Adolf Eichmanns durch Agenten des israelischen Geheimdiensts Mossad im Jahr 1960 sorgte weltweit für Aufsehen.

Einem der größten Schreibtischtäter und Organisatoren des Holocausts sollte der Prozess gemacht und einem gerechten Urteil zugeführt werden. Seit 1950 versteckte sich der Bürograt des Todes, der einst die Deportationszüge in die Konzentrationslager organisierte und bei der berüchtigten Wannsee-Konferenz Protokoll führte, in Argentinien, unter falschen Namen, von den Geheimdiensten mehrerer Staaten schon länger beobachtet.

In Tel Aviv vor Gericht gestellt, plädiert der Mann, der sich als bloßer Befehlsempfänger sieht, auf „Nicht schuldig!“. Eichmann zeigt keine Reue und wird wegen seiner Taten zum Tode verurteilt. So viel zu den tatsächlichen Geschehnissen, doch wie kam es zu der Entdeckung des Mannes, der sich so lange einer gerechten Strafe entziehen konnte?

Wie lebte, was dachte der Mann, der Millionen von Menschen auf dem Gewissen hatte? Der Journalist und Schriftsteller Ariel Magnus hat einen Blick hinter der Fassade versucht. Dabei ist ein Roman entstanden, den man sich kaum entziehen kann.

Es ist eine Qual, in die Geschichte einzufinden, da gleich von Beginn an aus der Perspektive Eichmanns erzählt wird. Die Sicht eines Mannes, der verdrängt, wird eingenommen, nichts schlechtes an seinen Taten und Entscheidungen sehen will und sich dennoch ständig vor Familie und anderen Untergetauchten, nicht zuletzt vor sich selbst rechtfertigt. Dabei wirken die Sätze so spröde und starr, wie man sie nur einem Bürokraten angedeihen lassen kann, nicht leicht zu lesen.

Ariel Magnus hat es geschafft, dass immer eine gewisse Distanz zum Hauptprotagonisten gehalten wird, zugleich jedoch unwillentlich fasziniert ist von dieser Figur. Dabei bleibt der Autor sehr dicht an verbürgten Geschehnissen, Ergebnis intensiver Rechercheleistung. Ein paar Dialoge mögen der schriftstellerischen Phantasie entsprungen sein, der Rest lässt sich anhand von Protokollen etwa, Beobachtungen oder Tonbandaufnahmen aus dieser Zeit verifizieren.

“Erstens muss ich Ihnen sagen, mich reut gar nichts”, sagte er, auch wenn er vorgehabt hatte, das am Ende zu sagen. “Es wäre sehr leicht für mich, mich reuig zu zeigen, so zu tun, als wäre aus einem Saulus ein Paulus geworden.”

Ariel Magnus: Das zweite Leben des Adolf Eichmann

Auch wenn man die Geschichte und ihren Ausgang kennt, hat man einen ungeheuer dicht erzählten und spannenden Roman vorliegen, in dem der Protagonist verklärt auf seine Taten blickt, versucht, seine neue Rolle zu finden, in ständiger Angst, doch noch entdeckt zu werden. Die ständige Anspannung ist zwischen den Zeilen zu spüren, wird mit fortschreitender Handlung größer. Der Schriftsteller indes ist fortwährend bei einem eher ruhigen Erzählstil geblieben und hat es dabei auch noch geschafft, einen Teil seiner eigenen Familiengeschichte mit einzuweben.

Bleibt die Frage, darf man das? Einem der größten und schrecklichsten Schreibtischtäter des Holocausts in gewisser Weise wieder lebendig werden lassen? Ariel Magnus schafft es, Eichmann zu entlarven, als das was er war. Mittelmäßiger Trottel, Rachsüchtiger mit Komplexen. Ein Kackhaufen, dem es lange genug gelungen war, seinen Geruch zu verschleiern. So beschreibt ihn der Autor. Vielleicht ist es das, was aus der Erzählung mitgenommen werden kann? Irgendwann fällt jeder Geruch auf.

Die wahre Geschichte:

Wikipedia I Biografie I Operation Adolf Eichmann

Autor:

Ariel Magnus wurde 1975 in Buenos Aires geboren und ist ein argentinischer Schriftsteller und Übersetzer. Er besuchte die deutsche Schule und studierte von 1999 an Romanistik und Philosophie in Heidelberg und Berlin. An der Humboldt-Universität arbeitete er zudem am Lehrstuhl für Spanische Literatur. Für verschiedene argentinische zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge und veröffentlichte 2007 einen Roman, für den er mit dem Literaturpreis La otra Oriella ausgezeichnet wurde. Seine Werke wurden in zahlreichen Sprachen übersetzt. Bekannt wurde er einer breiteren Öffentlichkeit mit seinem 2006 veröffentlichten Buch , in welchem er seiner deutsch-jüdischen Großmutter ein Denkmal setzte, welches 2012 ins Deutsche übersetzt wurde und unter dem Titel “Zwei lange Unterhosen der Marke Hering” erschien.

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Michael Wolffsohn: Wir waren Glückskinder – trotz allem

Inhalt:

Thea Saalheimer ist siebzehn, als sie mit ihrer Familie vor dem Naziterror nach Tel Aviv flieht. Dort verliebt sie sich in Max Wolffsohn und baut mit ihm ein neues Leben auf. Fünfzehn Jahre später kehren die beiden mit ihrem Sohn Michael ins Nachkriegsdeutschland zurück. Wie erlebten Thea und ihre Familie den Nationalsozialismus und die Emigration in ein Land, das ihnen in jeder Hinsicht fremd war? Wie kam es, dass sie ins Land der Täter zurückzogen? (Klappentext)

Rezension:

Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen, realisierte kaum jemand die von ihnen ausgehenden Gefahren. Geheimnisse daraus indes, hatten sie gemacht. Von Anfang an waren deren Ziele klar. Von Beginn an, wirkten sie darauf hin. Warum jedoch, realisierten allzu viele die Zeichen erst, als es längst zu spät war?

Warum erkannten nur wenige die Zeichen der Zeit und schafften es, rechtzeitig zu fliehen? Der Autor Michael Wolffsohn versucht eine Erklärung zu finden und nimmt dabei die Geschichte seiner Familie auf.

Wem das bekannt vorkommt, der hat Recht. Schon einmal hat sich der Historiker damit beschäftigt. In “Deutschjüdische Glückskinder – Eine Weltgeschichte meiner Familie” hat er diese bereits vor einigen Jahren aufgearbeitet. Ausführlicher und detaillierter, jedoch gefühlt neutraler. Diese Variante hier ist kompakter, liest sich schneller und von der Tonalität gleicht es einem Buch für ältere Kinder oder einem für jüngere Jugendliche, um diese an diese Thematik heranzuführen und mit entsprechenden Fragestellungen zu konfrontieren, ist auch so entsprechend angedacht.

Der Autor gleichsam Erzähler und Beobachter führt die Lesenden entlang der wechselhaften Geschichte seiner Familie. Wie erlebten seine Großeltern den Umbruch, der alles veränderte, die beginnende und immer deutlich zu Tage tretende Ausgrenzung? Wie schwer fiel es der Familie den Entschluss zu fassen, alles Bekannte zurückzulassen, trotz der Gefahren, die immer sichtbarer wurden?

Weshalb entschlossen sich die Wolffsohns zu den, nur wenige Jahre nach dem Krieg, für viele Juden unbegreiflichen Schritt, wieder nach Deutschland zurückzukehren? Fragen, die sich wie die Perlen einer Kette aneinanderreihen und komplexer Antworten bedürfen. Fragen, mit denen der Schreibende die jungen Lesenden dazu bringen möchte, selbst Fragen zu stellen, die Dilemma zu erkennen, vor denen seine Familie stand, auf dass der heute wieder deutlich werdende Hass keine Chance bekommt, ein neues 1933 zu weden.

Das Werk selbst, kann als Einführung in die Geschichte genutzt werden, ist so aufbereitet auch durchaus als Unterrichtslektüre denkbar. Für ältere Leser empfiehlt sich die komplexere Variante für Erwachsene. Für sie könnte alleine der Erzählstil etwas angestrengt wirken, zumal das Jugendbuch nicht ganz so detailreich wird. In der entsprechenden Altersgruppe gelesen, ist es dennoch gut vorstellbar.

Autor:

Michael Wolffsohn wurde 1947 geboren und ist ein deutscher Historiker und Publizist. In Tel Aviv geboren, kehrte er mit seiner Familie 1954 nach Deutschland zurück, aus dem diese einst im Zuge des Holocausts fliehen musste. Nach der Schule studierte er Politikwissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte in Berlin, Tel Aviv und den USA, nahm später Stellen an verschiedenen Universitäten an. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet Internationaler Beziehungen, der deutschen und jüdischen Geschichte, sowie der historischen Demoskopie. In der Bundeswehruniversität Münschen begründete er 1991 die Forschungsstelle Deutsch-Jüdische Zeitgeschichte. Er wurde mehrfach ausgezeichnet. Wolffsohn ist Ehrenmitglied im Verein Deutsche Sprache.

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Daniel Lee: Der Sessel

Inhalt:

Ein unglaublicher Fund: In einem Sesselpolster werden Jahrzehnte nach Kriegsende persönliche Papiere des SS-Offiziers Robert Griesinger entdeckt. Wie kamen sie dorthin? Wer wollte sie verstecken? Der Historiker Daniel Lee nimmt den Faden auf und begibt sich auf eine abenteuerliche Recherchereise. Nach und nach setzt er aus einzelnen Puzzleteilen ein ganzes Leben zusammen und schildert, wie aus einem pflichtbewussten Beamten und Familienvater ein ganz normaler Täter werden konnte. Eine fesselnde Erzählung über Schuld und Verantwortung, Erinnern und Vergessen. (Klappentext)

Rezension:

Was die oberen Hierarchie-Ebenen der für den Zweiten Weltkrieg und des Holocausts verantwortlichen Akteure betrifft, ist die Verarbeitung der Geschehnisse und ihrer Folgen weit vorangeschritten, wenn auch dieser fortlaufende Prozess nie ganz abgeschlossen sein wird. Anders sieht es mit der Betrachtung derer aus, auf die sich das NS-Regime stützen konnte.

Warum unterstützten tausende Menschen ein System der willkür, Unterdrückung und des Unrechts? Wie viel wussten die Schreibtischtäter, die vielleicht nicht selbst mordeten, jedoch Befehle bekanntmachten, Verordnungen umsetzten? Was konnte der Einzelne bestimmen und wo entzog sich den Beamten, behördlichen Angestellten die Kontrolle? Wie nutzten die Nationalsozialisten die Menschen für sich?

Ein loser Stapel Dokumente, eingenäht im Stoffpolster eines Sessels, machte den britischen Historiker Daniel Lee neugierig? Zu wen gehörten die Papiere? Wer war der Mensch hinter den Schriftstücken? Warum wurden diese versteckt? Welche Geschichte können diese noch erzählen und wie viel Recherche ist notwendig, um die einzelnen rätselhaften Teile zusammen zu setzen? Herausgekommen ist ein zweiteiliges Porträt, eines über die Person Robert Griesinger, dessen Leben der Autor nachspürt, zum anderen eines über die Arbeitsweise des Historikers selbst.

Verwoben erzählt Lee in diesem Sachbuch mit sehr unscheinbaren Titel, wie ein diffuses Bild immer klarer an Kontur gewinnt und beantwortet dabei nach und nach die zu Eingang gestellten Fragen, nach den unteren Ebenen, auf die sich die Nationalsozialisten stützen konnten, aber auch, welche Rechercheleistung notwendig ist, um den Fragestellungen zu ihren komplexen antworten zu verhelfen und wo die Grenzen für einen Historiker liegen, selbst wenn der Gegenstand verhältnismäßig jüngere Geschichte darstellt.

Sehr kleinteilig beschreibt der Autor seine Suche, die der Leserschaft Konzentration abverlangt, dieser zu folgen, jedoch nicht langatmig daherkommt. Lee weiß spannend zu erzählen, jedoch sachlich zu argumentiere und Fragen, nicht nur der Nachfahren der Person Robert Griesinger, zu beantworten. Auf diesen Ebenen ein wichtiger Beitrag zur weiteren Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs und Holocausts, aber auch wichtig, um Laien zu verdeutlichen, wie wichtig die Arbeit von Historikern ist, v. a. wie sie funktioniert.

Autor:

Daniel Lee ist ein britischer Historiker, dessen Forschungsschwerpunkte der Zweite Weltkrieg, der Holocaust, die Geschichte der Juden in Frankreich und Nordafrika darstellen. Nach seiner Promotion lehrte er u.a. in Yad Vashem und am United States Holocaust Memorial Museum. Derzeit unterrichtet er in London und verfasst regelmäßig Beiträge für die BBC.

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Alan Gratz: Vor uns das Meer

Vor uns das Meer Book Cover
Vor uns das Meer Alan Gratz Erschienen am: 17.02.2020 Hanser Seiten: 301 ISBN: 978-3-446-26613-1 Übersetzerin: Meritxell Janina Piel

Inhalt:

Wenn das eigene Zuhause zu einem Ort der Angst und Unmenschlichkeit wird, ist es kein Zuhause mehr.

Josef ist 11, als er 1939 mit seiner Familie aus Deutschland vor den Nazis fliehen muss. Isabel lebt im Jahr 1994 in Kuba und leidet Hunger – auch sie begibt sich auf eine gefährliche Reise in das verheißungsvolle Amerika. Und der 12-jährige Mahmoud verlässt im Jahr 2015 seine zerstörte Heimatstadt Aleppo, um in Deutschland neu anzufangen.

Alan Gratz verwebt geschickt und ungemein spannend die Geschichten und Schicksale dreier Kinder aus unterschiedlichen Zeiten. Ein zeitloses Buch über Vertreibung und Hoffnung, über die Sehnsucht nach Heimat und Ankommen. (Klappentext)

Rezension:

Unerwartet taucht zwischen den Büchern in den Regalen manchmal ein Juwel auf, was nachhaltig beeindruckt. Rar und kostbar, wenn die Protagonisten berühren und der Schreibende es schafft, seine Leser zu fesseln und nachdenklich zu stimmen. Ein solches Kunststück ist Alan Gratz gelungen. Der amerikanische Autor bringt wie kaum jemand anderes drei Geschichten, drei Zeitebenen, drei Handlungsstränge zusammen und versucht so, kaum zu Erklärendes begreifbar zu machen.

Kapitelweise wechselt die Perspektive zwischen den Zeiten. Die drei Hauptprotagonisten erzählen aus der Ich-Perspektive vom Grauen, welches sie erleben, ihren Sehnsüchten, Träumen. Wir Leser erleben, wenn Hoffnung in Verzweiflung umschlägt und Entscheidungen über Leben und Tod getroffen werden müssen, von jenen, die eigentlich noch Kinder sind, aber viel zu schnell erwachsen werden müssen. 1933 übernehmen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht. Die jüdische Bevölkerung wird an den Rand gedrängt.

Auch Josefs Familie sucht einen Ausweg und ergattert Tickets für das Schiff St. Louis nach Kuba. Jahrzehnte später sucht auch Isabels Familie, die in Kuba hungert und politisch bedrängt wird, nach einem Ausweg und schließlich muss 2015 auch Mahmouds Familie den Kriegswirren in Syrien entfliehen. Verbindendes Element sind Sehnsüchte und Hoffnungen, eine böse Ahnung von Gefahr, falls die Flucht schiefgehen sollte. Werden die drei Jugendlichen ihr Ziel erreichen?

Spannend und einfühlsam beschreibt Alan Gratz den Weg der drei, der anhand von gezeichneten Karten im Anhang des Romans nachvollzogen werdne, nicht zuletzt durch eine historische Einordnung des Autoren im Nachwort. Der Lesende wird mitfiebern, mitleiden.

Unerträglich die Spannung, nur ganz karg blitzen sie auf, die kleinen Momente des Glücks, das Hervorscheinen einer viel zu schnell beendeten Kindheit, nur damit das Schicksal im nächsten Moment wieder mit aller Härte zurückschlagen kann. Ja, so könnte die Geschichte von drei Kindern tatsächlich verlaufen sein. Nachvollziehbar ehrlich geht Gratz mit der Zielgruppe um, wenn auch ein paar Momente ganz klar over the top sind und nicht so recht passen mögen.

Das schmälert die Lektüre nicht und so ist dieses Werk auf einer Linie mit z.B. “Damals war es Friedrich”, von Hans Peter Richter zu nennen, wenn auch Gratz gleich mehrere Zeitebenen zu fassen bekommt. Der kontinuierliche Spannungsbogen aller drei Geschichten lässt bis zum Ende nicht locker, wird unscheinbar miteinander verwoben. Die Auflösung selbst vermag zu überraschen, wirkt wie ein Schrei und schüttelt die Leser förmlich.

Wir haben es in der Hand, nicht mehr zu zu lassen, dass sich solche Geschichte wiederholt. Alleine, uns gelingt dies nicht, wie die jüngste der drei Zeitebenen zeigt.

Wie ist das, die Heimat, die gewohnte Umgebung, Spielkameraden, eine Perspektive aufzugeben und dann ständig auf der Hut zu sein? Immer die Gefahr vor Augen, beim nächsten falschen Wort, mit der nächsten falschen Bewegung umzukommen? Beieindruckend in der Lektüre, nachhallend wie kaum anderes.

Eine unbedingte Leseempfehlung.

Autor:

Alan Gratz wurde 1972 in Knoxville, Tennessee, und ist ein amerikanischer Schriftsteller. Er studierte Kreatives Schreiben und veröffentlichte 2006 sein erstes Jugendbuch. Weitere folgten. 2017 gewann er den National Jewish Book Award. Der Autor lebt in Asheville, North Carolina.

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Morten Traavik: Liebesgrüße aus Nordkorea

Liebesgrüße aus Nordkorea Book Cover
Liebesgrüße aus Nordkorea Morten Traavik Suhrkamp Erschienen am: 18.05.2020 Seiten: 292 ISBN: 978-3-518-47053-4 Übersetzer: Stefan Pluschkat

Inhalt:

In den letzten zehn Jahren ist Morten Traavik mehr als zwanzig Mal nach Nordkorea gereist, dem abgeschottesten Land der Welt, als offizieller Kulturattache Norwegens. In Zusammenarbeit mit den notorisch verschlossenen Behörden gelangen ihm bahnbrechende Projekte – wie das erste Rockkonzert auf nordkoreanischen Boden – bis zum Herbst 2017, als er alle Beziehungen zum Land kappen musste.

Jetzt erzählt er, was er erlebt hat: Durch die unerwartete Freundschaft mit einem nordkoreanischen Staatsdiener dringt Traavik immer tiefer in die Irrungen und wirrungen dieses Landes ein, bis der regierung seine kontroversen und subversiven Ideen zu weit gehen… (Klappentext)

Rezension:

Man kann sich wahrlich leichtere Herausforderungen suchen, als in einem der undurchsichtigsten Ländern der Welt kulturelle Projekte anstoßen zu wollen, und doch hat der Norweger morten Traavik genau das getan. Damit gewann er einen Einblick in das Funktionieren dieses Staates, wie es wohl kaum jemanden bisher gelungen ist. Nun ist sein erstes Buch, ausgerechnet dazu, in deutscher Übersetzung erschienen. Doch, wer ist Morten Traavik eigentlich genau?

Künstler, Musiker, Regisseur, Kommentator, irgendwie treffen all diese und noch mehr Bezeichnungen auf den Skandinavier zu, der sich in jedem Fall den Verdienst gemacht hat, das abgeschottete Land, sein Regime und die Menschen, die dort leben, verstehen zu wollen. Das ist ihm in gewisser Weise gelungen.

Er erzählt von seiner Arbeit und der Tuchfühlung mit einem unberechenbaren Gegenüber, verliert dabei nicht den Blick für das Wesentliche. Wie setzt man, behutsam, Ideen um, wenn der Partner willkürlich und wechselhaft handelt, wenn dein Kontakt genau so oder noch mehr Angst hat vor den Konsequenzen, und seien diese auch nur rein hypothetisch?

So kann es schon einmal in teils slapstickhaften Situationen ausarten, sich mit einer Disco-Kugel bei einem Propagandaevent fotografieren zu lassen oder einem Ausflug in den Versuch eines Spagat Nordkoreas auf Tauchfühlung mit den sonst verhassten Kapitalismus. Mit detaillierten Kenntnissen stellt Traavik die Geschichte Koreas dar, die letztendlich in der teilung der halbinsel mündete, zeigt die Bedeutung der Kim-Dynastie auf, und das, was das Regime bis heute daraus macht. Sachlich erklärt er das Funktionieren des Unverständlichen.

Auflockert wird die Aneinanderreihung von teils unverdaulichen Eindrücken durch genau so ungewöhnliche Rezepte. Würde man mit einem Hund nach Nordkorea einreisen, wäre dies an sich eine Einführung von Lebensmitteln?

Davon abgesehen bezieht er Stellung zum Fall Otto Warmbier, versucht Lügen, Propaganda und tatsächliches Geschehen so gut, wie möglich auseinander zu halten, erklärt, warum diese Episode der Geschichte so abgelaufen ist, warum dies aus Sicht Nordkoreas kaum anders hätte funktionieren können, zumal mit Blick auf den eigenen Machterhalt.

Nicht dabei, aber an einigen anderen Stellen geht er etwas zu freundlich mit dem totalitären Staat um, worüber zu diskutieren wäre. Dazu müsste man sich jedoch selbst ein ebenso detailliertes Bild machen, wie dies der Autor getan hat.

Komödie ist Tragödie plus Zeit.

Morten Traavik: “Liebesgrüße aus Nordkorea”, Suhrkamp.

Nach diesem Motto berichtet, durchsetzt mit einem Fototeil, von einem Land, welches zwar nicht zu unterschätzen ist, aber in teilen gnadenlos überschätzt wird. Interessant, sein Einblick in die Zusammenarbeit mit den nordkoreanischen Behörden, aber auch den örtlichen Gegebenheiten , zugleich die Linkliste als ergänzende Quellen.

So gehört “Liebesgrüße aus Nordkorea” zu der wenig vorhandenen kritisch hoffnungsvollen Literatur, die es in diesem Bereich zu finden gibt, kann man lesen, sollte sich jedoch auch ergänzend mit weiterführenden Berichten, etwa Geflohener und anderer Kenner des Landes beschäftigen, um ein abgerundetes Bild zu bekommen. Alleine dieses Sachbuch mit den kurzweiligen episodenhaften und flüssig zu lesenden Abschnitten, tut dies nicht.

Autor:

Morten Traavik wurde 1971 geboren und ist ein norwegischer Reggisseur und Künstler. Er arbeitete in Russland und Schweden an kulturellen projekten und stellte in Zusammenarbeit mit dem nordkoreanischen Regime mehrere Projekte auf die Beine, die kurz vor der vollendung gestoppt wurden. Er engagiert sich gegen Landminen in Angola und Kambodscha und arbeitet über kunst- und Genregrenzen hinweg.

Ergänzungen nach der Rezension:

In seiner Jugend war der Autor Mitglied einer Gruppe von Leuten, die den Austausch mit Nordkorea wollten und wohl auch die Ideologie nicht ganz schlecht fanden, um das einmal so zu formulieren. So ist der Gedanke für die weitere Arbeit des späteren Künstlers entstanden. Nordkorea galt vor den Hungersnöten zum Teil in Skandinavien als durchaus solventer Staat.

Die Projekte später waren aber 2017 schon dem Regime zu heikel, im Blick auf die vewobenenen und sich überschneidenden Kompetenzen der einzelnen Behörden und die politische Tonlage wurde schärfer, so dass man da schon die Arbeit beendete. Wohlgemerkt, Nordkorea mit ihm. Das Buch entstand später.

Zudem, dass er sich zu Warmbier in diesem Werk ausführlich äußert und durchaus die Inszenierungen des Schauprozesses zu deuten weiß, das erzwungene falsche Geständnis, aber auch, welche Fehler der Amerikaner wohl gemacht haben könnte, dürfte den nordkoreanischen Behörden ebenso sauer aufstoßen. Traavik trennt hier ganz gut das Geschehen auf.

Wo ich Zweifel habe, ist, dass er einen doch in manchen Teilen etwas zu sehr optimistischen Blick auf die Sicht der Dinge hat.

Das müsstet ihr aber wirklich selbst lesen.

Sachliteratur, die man vielleicht zuerst gelesen haben sollte:

Rüdiger Frank: Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates

Rüdiger Frank: Unterwegs in Nordkorea – eine Gratwanderung

Morten Traavik: Liebesgrüße aus Nordkorea Read More »

Andre Francois-Poncet: Von Versailles bis Potsdam (2)

Von Versailles bis Potsdam Book Cover
Von Versailles bis Potsdam Andre Francois-Poncet Rezensionsexemplar/Sachbuch Europaverlag Hardcover Seiten: 400 ISBN: 978-3-95890-286-2

Inhalt:

Andre Francois-Poncet ist nicht nur ein Freund der deutschen Kultur, kritischer Beobachter und Kommentator der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen. Er gestaltete sie zu einem Gutteil mit.

Als Diplomat, französischer Botschafter oder Hochkommissar wirkte er im Deutschen Reich und war Beteiligter bei der Vertragsunterzeichnung von Versailles, beobachtete den Aufstieg der Nazis bis zum Kriegsausbruch und setzte sich für die Beziehungen beider Länder als Hochkommissar und später wieder als Botschafter ein.

Zwei Jahre nach der Stunde Null skizzierte er den Weg Frankreichs und Deutschlands von Versailles bis hin zu den Potsdamer Konferenzen nach. Nun wurde dieses Werk neu aufgelegt. (eigene Inhaltsangabe)

Bücher der Reihe:

Andre Francois-Poncet: Botschafter in Berlin 1931-1983 (1)

Andre Francois-Poncet: Von Versailles bis Potsdam (2)

Andre Francois-Poncet: Tagebuch eines Gefangenen (3)

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Rezension:

In der Mitte Europa herrscht Frieden, was nicht zuletzt an den Beziehungen der großen Zwei liegt, die wirtschaftlich und politisch auf vielen Gebieten zusammenarbeiten. Ohne den deutsch-französischen Motor läuft nichts in der Staatengemeinschaft, doch bis zum heutigen Zustand war es ein weiter Weg.

Die kritischen Jahre der Konflikte, die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hat dabei kein Geringerer als Andre Francois-Poncet bereits zwei Jahre nach Kriegsende nachgezeichnet. Dieses Werk wurde nun neu aufgelegt.

Andre Francois-Poncet war Freund der deutschen Kultur und Frankreichs Verbindung zum unberechenbaren Nachbarn. Als Diplomat, Botschafter und späterer Hochkommissar war er an beinahe allen Wendepunkten der Geschichte diplomatischer Beziehungen beider Länder beteiligt und stellte dar, warum sich ein näherer Blick darauf lohnt.

Von Versailles bis hin zu den Potsdamer Konferenzen zeigt er auf, wie sich die beiden gegensätzlichen Pole immer wieder einander berührten und abstießen, schließlich, wie es zum Bruch und später dazu kam, ein neues Kapitel in der Historie aufzuschlagen.

Das Werk indes richtet sich vor allem an seine Landsleute, doch Francois-Poncet verlor zu Lebzeiten nie den Blick auf die deutschen Nachbarn. Vor Schulklassen hielt der Lieblingsdiplomat Hitlers (So genannt, weil er als einer der wenigen Botschafter mit Hitler auf Deutsch kommunizieren konnte.) nach Kriegsende Vorträge und war auch sonst um Verständigung bemüht.

Detailliert beschreibt er die Vorgänge von der Vertragsunterzeichnung in Versailles an, wirft einen kritischen Blick auf Sichtweisen der Politiker beider Länder zu jener zeit, spart dabei auch nicht Fehler aus, die auf beiden Seiten gemacht wurden und zum zweiten Weltenbrand führten, der Millionen Menschen das Leben kostete.

Ohne Gram und Bitterkeit berichtet der Franzose von den Wendepunkte, skizziert diese in logisch aufeinander handlichen Kapiteln so, dass diese Ereignisse und ihre Folgen Laien verständlich werden. Und das ist auch heute noch gut lesbar. Der Autor nimmt sich dort zurück, wo er nicht selbst beteiligt war.

Dies bleibt Anderen vorbehalten, entsprechend zu bewerten. Durchdrungen von der Liebe zur Sprache und Kultur des Nachbarlandes zeigt Francois-Poncet die komplexe Geschichte auf, die erst spät überwunden werden sollte. Nicht zuletzt seine Bemühungen halfen dazu, den Beginn eben dieses Kapitels aufzuschlagen.

In neutraler Tonlage berichtet Francois-Poncet von den Vorgängen im Hintergrund großer Ereignisse und zeigt, dass der Verlauf der Geschichte auch hätte anders sein können. Der Wunsch nach einer Zusammenarbeit und einem friedliebenden Europa schimmert dabei immer durch. Seine Anfänge sollte der Autor noch erleben.

Das komplexe, aber nicht ermüdende Sachbuch ist nun in neuer Auflage erschienen und für alle, die ein tieferes Verständnis für die Beziehungen und die Geschichte beider Länder erlangen möchten, die nicht getrennt voneinander betrachtet werden kann.

Als Abschluss seiner Reihe politischer Erinnerungen, die mit seinen Aufzeichnungen der Botschaftertätigkeit in Weimar und dem Dritten Reich begann, danach über seine Inhaftierung durch das NS-Regime wirft Andre Francois-Poncet einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft, die ohne ihre Vergangenheit nicht so gekommen wäre.

Der Autor ist zu Unrecht beinahe vergessen. Hoffentlich wird die Neuauflage einen gegenteiligen Effekt bewirken.

Autor:

Andre Francois-Poncet wurde 1887 in Frankreich geboren und war Germanist, Politiker und Diplomat, französischer Botschafter in Berlin und später in Rom. Nach dem Krieg begleitete er den Posten des französischen Hohen Kommissars in Deutschland von 1949-1955. Er wurde 1943 von den Deutschen verhaftet.

Nach der Befreiung begleitete er verschiedene diplomatische Posten und fungierte als Präsident des Französischen Roten Kreuzes 1955-1967, ab 1960 als Präsident des Rats der Europäischen Bewegung. Er starb 1978 in Paris.

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Christian Hardinghaus: Die verdammte Generation

Die verdammte Generation Book Cover
Die verdammte Generation Christian Hardinghaus Europa Verlag Erschienen am: 21.02.2020 Seiten: 328 ISBN: 978-3-95890-297-8

Inhalt:

Holocaust und Judenverfolgung haben seit Jahrzehnten ihren berechtigten Platz im kollektiven Gedächtnis, doch wie sieht es aus, die Soldaten zu befragen, die auf deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben.

Ein Versäumnis, welches begann, als man in Deutschland bereit war, ein Stück Geschichte aufzuarbeiten. Bisherige Versuche einer differenzierten Betrachtung scheiterten. Der Historiker Christian Hardinghaus befragte dreizehn Zeitzeugen, die schonungslos ehrlich über das Kämpfen und Töten im Zweiten Weltkrieg berichten.

Damals und retroperspektivisch. Es sind die <berichte einfacher Soldaten und somit ein wichtiger Beitrag unserer Erinnerungskultur. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

In den letzten Jahren füllten sich zunehmend die Archivsammlungen mit Zeitzeugenberichten und Interviews, die uns zur Aufgabe machen, diese Erinnerungen zu bewahren und nicht zu vergessen.

Als nachfolgende Generation sind wir für damalige Taten und Ereignisse nicht verantwortlich, doch tragen wir Verantwortung dafür, mit den Erkenntnissen daraus verantwortungsvoll umzugehen und diesen gerecht zu werden.

In verschiedenen Bereichen gelingt dies mehrheitlich. Doch, immer noch gibt es Themen, die weitgehend unbesprochen sind, so zum Beispiel die Rolle des einfachen Soldaten an den Fronten des Zweiten Weltkrieges, der ein kleines Rädchen im großen Getriebe war, auf die Entscheidungen der Politiker und obersten Führungsriege jedoch keinen Einfluss hatte.

Wie gehen wir damit um? Zurzeit zeichnen sich zwei Wege ab. Einmal, die totale Verklärung, was falsch ist. Zum anderen, die totale Negierung von bestimmten Ereignissen im Zweiten Weltkrieg, was ebenso nicht richtig erscheint.

Eine differenzierte Betrachtung, eben nicht nur der Extreme, sondern auch der Graustufen dazwischen, ist kaum vorhanden. Dies versucht der Historiker und Autor Christian Hardinghaus nun in seinem neuesten Werk und befragte dazu mehrere Zeitzeugen, unterschiedlicher Jahrgänge, die an verschiedenen Fronten des grausamsten aller Kriege auf deutscher Seite kämpfen mussten.

Als einfache Soldaten. Und stößt damit ein Stück Erinnerungskultur an, die in anderen Ländern selbstverständlich ist, hierzulande jedoch stiefmütterlich behandelt wird.

Die ehemaligen Soldaten berichteten dem Autoren nun in Abstand der vergangenen Jahrzehnte von ihren Erlebnissen mit einer differenzierten Selbstreflektion über das Leben als einfacher Soldat, das Töten und Sterben an der Front und den Grausamkeiten des Krieges an forderster Linie, ohne Holocaust und Verfolgung, hinter den Frontlinien zu negieren oder zu beschönigen.

Stärke ist hier die Sicht des persönlichen Erlebens, welche den Lesern zugänglich gemacht wird, ohne dass dies Christian Hardinghaus wertet. Vielmehr dürfen und können die Leser sich eine eigene Meinung bilden. Fazit vielleicht, Krieg bringt nichts, er zerstört nur.

Eben auch die Leben derer, die als Soldaten kämpfen müssen. Egal, ob freiwillig oder dazu gezwungen.

So ist diese Gesprächssammlung, nichts weniger ist das vorliegende Werk, eine Ergänzung, die dazu anregen sollte, sich mit allen Perspektiven des Zweiten Weltkrieges zu beschäftigen und sich eben nicht nur auf bestimmte zu konzentrieren.

Die bisherige Aufarbeitung ist richtig und wichtig, jedoch noch nicht vollständig. Gerade hierzu leistet der Historiker Hardinghaus einen wichtigen Beitrag, der durchaus, auch, kontrovers zu diskutieren ist.

Diese Diskussion jedoch erst einmal anzustoßen, ist in unseren turbulenten Zeiten der Meinungsfrontenbildung wichtig, um ein differenziertes und ausgewogenes Bild zu bekommen.

In kurzen übersichtlichen Kapiteln ist diese Sammlung der Gespräche gegliedert, abschließend mit jeweils drei ergänzenden Fragen an die Interviewpartner gestellt, die die Gespräche einordnen. Eine ausführliche Einführung in die Texte ist ebenso gegeben, wodurch das Ganze abgerundet wird.

Ein wichtiges Dokument, welches den geschichtlichen Diskurs ergänzen sollte, wenn mir auch die Anzahl der geführten Gespräche als fast zu wenig erscheint, was jedoch dem zeitlichen Kontext geschuldet sein dürfte.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

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