Richard Adams: Unten am Fluss – Graphic Novel

Version:
Rezensiert wird hier die Adaption des Romans als Graphic Novel.

Inhalt:

In einer apokalyptischen Vision sieht Hazels jüngerer Bruder Fiver die Zerstörung ihrer Heimat voraus. Sie wissen: Einzig die Flucht kann ihre Kolonie vor dem Untergang retten. Doch kaum jemand will auf sie hören. Und so macht sich nur eine kleine Schar Kaninchen auf, ein neues Zuhause zu finden. Unterwegs durchleben sie zahllose Abenteuer, Meuterei, Verrat und Heldentum, Schlachten mit hohem Blutzoll, bis sie schließlich ins Land der Freiheit und des Friedens einziehen. (Klappentext)

Rezension:

Wie viele Kinder durften sich eigentlich die Trickfilm-Adaption des Romans “Watership Down” ansehen, um danach nachhaltig wochenlang unter der Angst vor Alpträumen wach zu liegen? Es dürften so einige gewesen sein, schließlich gab es Zeiten, in der auch Eltern, vor allem hierzulande darauf vertraut haben, einen Zeichentrickfilm Kindern ohne Bedenken zeigen zu können.

Die Hauptfiguren sind schließlich flauschige Kaninchen, was also soll schon passieren? Alles, natürlich. So habe ich mich erst Jahrzehnte später an eine andere Adaption des Romans herangetraut, der hier nun vorliegenden Graphic Novel, während ich den Film mir wohl in meinem Leben kein zweites Mal mir ansehen werde und auch der eigentliche Roman noch eine ganze Weile warten darf.

Das Grundgerüst der 1972 erstmalig erschienen Erzählung ist schnell erklärt. Eine Gruppe von Wildkaninchen macht sich auf die Suche nach einer neuen Heimat, nachdem einem von ihnen einer Version vollkommener Zerstörung und Vernichtung anheimfällt. Diese fast epilepsieartigen Anfälle Fivers leiten die Gruppe, die sich von ihrer ursprünglichen Sippe entfernt und eine neue Heimat sucht. Während der Reise ins Ungewisse begegnet diese Gemeinschaft zahlreichen Gefahren und Herausforderungen, die sie nur gemeinsam meistern können. Von Beginn an klar, nicht alle werden es schaffen.

Viel Dramatik ist in dieser beinahe George Orwell anmutenden Geschichte enthalten, die sich zeichnerisch gut in Szene setzen lässt. Dabei wirken die einzelnen Panels beinahe wie in “Winnie the Pooh”, doch zugleich düster und bedrohlicher gehalten. Das gewählte Format und die Entscheidung, ausführlich zu erzählen, transportieren den Geist der Erzählung, so das trotz notwendiger Verdichtung nicht das Gefühl aufkommt, es würde etwas fehlen.

Der Adaption geschuldet, verschmelzen mehrere Nebenfiguren zu einer einzigen, bekommen andere mehr Raum als dies wahrscheinlich im Romantext der Fall ist, doch folgen auch Zeichner und Texter einem kontinuierlichen Spannungsverlauf, der sich fast bis zum Nervenkitzel steigert.

Auch die Graphic Novel ist nichts für Kinder, was hier jedoch auch nicht behauptet wird. Da ich nun zwei Varianten, diese und die Verfilmung kenne, bezweifle ich dies erst recht für den Roman selbst, gleichwohl der Autor diesen wohl selbst seinen eigenen Kindern vorgelesen haben soll.

Roman und Verfilmung haben jeweils mehrere Ebenen, was sich natürlich in zeichnerischer Form besonders gut umsetzen lässt. Fließende Übergänge sorgen für kurzes Innehalten. Die Figuren sind hier gut ausgearbeitet, eine klare Abgrenzung zwischen Gut und Böse liefert Identifikationspotenzial bzw. die Antagonisten. Und ja, Natur ist auch in dieser Version grausam. Warum auch nicht. Ein Verwischen würde die Graphic Novel zu weit vom Original entfernen.

Perspektivwechsel sind hier mit Vorsicht zu genießen. Man kann bei der Anzahl an Charakteren durchaus das eine oder andere Mal durcheinander geraten. Düstere Momente sind dabei in relativ dunklen Farben gehalten, während Erd- und Grüntöne die hauptsächlichen Panels beherrschen, beinahe pastellartig, was zum Versinken einlädt. Der Verlag präsentiert hier ein manchmal schwer verdauliches, in jedem Fall gewichtiges Coffee Table Book.

Da schon Richard Adams eine reale Landschaft zum Handlungsort gewählt hat, fiel es auch hier leicht, dies grafisch zu übertragen. Die Orte existieren, auch das Leben der Protagonisten ist so eindrücklich dargestellt, dass es glaubwürdig wirkt. Von der Übertragung her und vor allem zeichnerisch ist James Sturm und Joe Sutphin hier mit Richard Adams Geschichte etwas großes gelungen, was mich am Ende doch ein wenig mit meinem Kindheitserlebnis versöhnt.

Für Liebhaber der Erzählung ist es zugleich ein wertiges Sammelobjekt, welches hiermit vorliegt.

Autor:
Richard George Adams wurde 1920 in Newbury geboren und war ein britischer Schriftsteller. Nach seinem Einsatz im Zweiten Weltkrieg schloss er 1948 sein Studium der neueren Geschichte ab und arbeitetebis 1974 als Beamter für den Vorläufer des späteren britischen Umweltministeriums. 1972 veröffentlichte er seinen Roman “Unten am Fluss” und widmete sich fortan hauptsächlich der Schriftstellerei. Er engagierte sich für den Tierschutz und der Einstellung der Fuchsjagd. Später lebte er auf der Isle of Man und starb 2016 in Oxford.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Richard Adams: Unten am Fluss – Graphic Novel Read More »

Insa Thiele-Eich: Wirklich wichtiges Wissen von heiter bis wolkig

Inhalt:
In diesem Buch erfahren wir nicht nur, wie lange wir unser Frühstücksei auf der Zugspitze kochen müssen oder warum das Regenprasseln auf dem Zeltdach so entspannend ist, sondern auch, wo das Wasser auf unserem Planeten herkommt und wie lang der wirklich längste Dauerregen der Erdgeschichte gedauert hat – ganze 2 Millionen Jahre!

Denn die Meteorologin Insa Thiele-Eich weiß alles über das Wetter, und noch viel mehr. Klug und unterhaltsam erklärt sie, wie unser Wetter eigentlich entsteht, und zeigt, wie stark es unseren Alltag durchdringt – vor allem da, wo wir nie damit gerechnet hätten. Danach werden Gespräche über das Wetter garantiert nie wieder langweilig. (Klappentext)

Rezension:

Storm Hunter jagen Tornados hinterher und stellen spektakuläre Bilder ins Internet, während der eine oder andere fasziniert beim Anblick eines Regenbogens stehen bleibt oder ungewöhnliche Wolkenformen betrachtet. Unser Wetter sorgt nicht nur für steten Gesprächsstoff, sondern greift alltäglich in unser Leben ein. Kaum etwas anderes vermag so faszinieren.

Dabei ist Wetter nichts anderes als der Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, beschrieben durch Elemente wie Temperatur, Luftdruck oder Niederschlag, jedenfalls gar nicht immer trocken, wie die Meteorologin Insa Thiele-Eich zu berichten weiß. In ihrem amüsant gehaltenen Sachbuch verdeutlicht sie physikalische Zusammenhänge, ebenso einfach wie verständlich und zeigt, wer Klima und Klimawandel verstehen möchte, für jene lohnt es sich, sich zunächst mit den Wetter zu beschäftigen. Oder auf der Zugspitze ein Ei zu kochen.

In sehr kurzweilig gehaltenen Kapiteln geht es zunächst einmal rein um verschiedene Definitionen und Grundlagen, bevor einzelne Themenkomplexe erörtert werden. Vorwissen wird nicht verlangt, vermittelt die Autorin doch so anschaulich dieses Wissen, dass es Spaß macht, in die Materie einzutauchen.

Wir folgen dem Weg des Wassers, ebenso der Geschichte der Meteorologie, erfahren, welches Tier der bessere Vorhersager ist und welchen Einfluss das Wetter auf unseren Körper hat oder auch der Entwicklung von Sprache. Immer wieder geht die Autorin dabei auf gesellschaftshistorische Entwicklungen, sowie der Geografie des Wetters ein.

Beständig blitzt die Faszination Insa Thiele-Eichs für ihr Steckenpferd durch, aufgelockert werden Definitionen klar abgegrenzt von anschaulichen Erklärungen und Grafiken, was beinahe lehrbuchmäßig wirkt ohne im schlimmsten Sinne lehrbuchhaft zu sein. In diesem Bereich hat das eine hohe Qualität, zumal die ohne erhobenen Zeigefinger daherkommt.

Dazu tragen nicht nur Sachkenntnis und Humor bei, auch ein wahnsinniges lecker erscheinendes Cookie-Rezept hat es ins Buch geschafft. Natürlich mit der idealen dafür geeigneten Temperatur? So, und bei welcher kocht jetzt das Ei auf der Zugspitze? Nun, das müsst ihr selbst herausfinden.

Eine unbedingte Leseempfehlung.

Autorin:
Insa Thiele-Eich wurde 1983 in Heidelberg geboren und ist eine deutsche Meteorologin und Anwärterin zur Astronautin. Zunächst studierte sie Meteorologie in Bonn und war dort als wissenschaftliche Koordinatorin tätig. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Untersuchung von Austauschprozessen, parallel dazu untersuchte sie für ihre Doktorarbeit die Auswirkungen des Klimawandels in Bangladesch. 2017 wurde sie Teil einer privat finanzierten Initiative, die erstmals eine Deutsche zur Astronautin machen möchte.

Für den Kurzzeitaufenthalt, der durch Spenden finanziert werden soll, überstand sie ein Auswahlprogramm und absolvierte eine theoretische und praktische Raumfahrt-Grundausbildung, sowie Parabelflüge und erwarb einen Flugschein. Politisch engagiert sie sich in der Königswinterer Wählerinitiative, für die 2021 in den Stadtrat nachrückte.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Insa Thiele-Eich: Wirklich wichtiges Wissen von heiter bis wolkig Read More »

Thomas Hürlimann: Der Rote Diamant

Inhalt:

“Pass dich an, dann überlebst du”, bekommt der elfjährige Arthur Goldau zu hören, als ihn seine Mutter im Herbst 1963 im Klosterinternat hoch in den Schweizer Bergen abliefert. Hier, wo schon im September der Schnee fällt und einmal im Jahr die österreichische Exkaiserin Zita zu Besuch kommt, wird er zum “Zögling 230” und lernt, was schon Generationen vor ihm lernten.

Doch das riesige Gemäuer, in dem die Zeit nicht zu vergehen, sondern ewig zu kreisen scheint, birgt ein Geheimnis: Ein immens wertvoller Diamant aus der Krone der Habsburger soll seit dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie im Jahr 1918 hier versteckt sein. Während Arthur mit seinen Freunden der Spur des Diamanten folgt, die tief in die Katakomben des Klosters und der Geschichte reicht, bricht um ihn herum die alte Welt zusammen. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Zwischen den Klostermauern wirken Geschichte und Mythen stärker als die Gegenwart. Schnell verfällt ihnen der junge Protagonist als er elfjährig ins Internat abgeliefert wird, geleitet von gealterten Mönchen, die ihrerseits selbst aus der Zeit gefallen scheinen. So beginnt der sehr philosophisch gehaltene Roman “Der Rote Diamant”, des Schweizer Schriftstellers Thomas Hürlimann, dessen Figuren Leben bald von eben diesen Stein dominiert sein wird.

In einer Mischung aus Coming of Age, Kriminalgeschichte und philosophisch sehr aufgeladenen Erzählung wirkt diese Mischung zu Beginn sehr leichtgängig, wobei es lesend mit zunehmender Seitenzahl immer schwieriger wird, den Überblick zwischen Handlungssträngen und Ebenen auseinander zu halten. So wandelt sich der Hauptaspekt im Laufe des Voranschreitens der Geschichte. Der rote Diamant steht oft im Vordergrund, verschwindet jedoch des Öfteren. Ein Aspekt, der den Protagonisten noch zu schaffen machen wird, die wie vom Fieber ergriffen sich auf eine Suche begeben, die sie ein Leben lang nicht mehr los lassen wird.

In sehr gewählter, schöner Sprache ist diese dann doch vergleichsweise kompakte Erzählung gehalten, doch kommt dies nicht selten so klischeehaft kitschig daher, dass man den Mehltau beinahe mit den Händen zu greifen meint, wie auch der Protagonist das immer größere Zerrbild nicht umhinkommt, zu bemerken, welches sich ihm über die Jahre zeigt. Im Internat ist man immer noch den alten Zeiten verfallen, während sich da draußen die Welt längst gewandelt hat, doch nur selten dringt frischer Atem durch die dicken Klostermauern.

Thomas Hürlimann folgt den Protagonisten, ein halbes Leben lang und zeigt in seiner langförmigen Novelle, wie diese von einen Gegenstand vereinnahmt werden. Die Geschichte indes hat nicht die gleiche Wirkung. Bald ist man genervt, rollt mit den Augen. Was nützt die schönste Sprache, wenn sie die Lesenden nicht erreicht? Sicherer wäre es gewesen, sich auf ein paar weniger Ebenen zu stützen und sich einmal für ein Genre zu entscheiden, dieses jedoch konsequent durchzuhalten. So aber verliert “Der Rote Diamant” unglaublich viel.

Schon der Name der Hauptfigur ist bedeutungsvoll aufgeladen. Bis auf seinen realen Namen werden den gleichaltrigen Figuren allesamt Spitznamen verpasst, die diese ihr Leben lang behalten. Sehr schnell schälen sich Ecken und Kanten heraus, die viel später im Handlungsverlauf zu tragen kommen werden, auch Gegensätze werden vor allem zum Ende hin deutlich. Aber auch die Beweggründe der einzelnen Protagonisten berühren kaum. Zu angestrengt liest sich diese Geschichte. Zu gewollt wirkt das ganze Szenario.

Hauptsächlich erleben wir die Geschichte aus Sicht der Hauptfigur, unterbrochen durch Einsprengsel anderer Sichtweisen, die ergänzen und damit den Handlungsverlauf vorantreiben, wie ein Puzzlespiel. Jedes neu gesetzte Teil könnte zum Ziel führen, damit auch zum funkelnden Klunker, dessen Bann Nase, Viper und die anderen Figuren verfallen sind. Wenn man nicht gefühlt auf jeder Seite erst einmal den Staub herunterpusten müsste, wäre dies sogar sehr spannend. Auch einige Rückblenden von Nebenfiguren vermögen keine spannungsreichen Elemente hinzuzufügen. So gelingt es der Geschichte nicht gerade, einem in den Bann zu ziehen.

Ein Aspekt der Geschichte, Coming of Age in Verbindung mit der Kriminalerzählung, sagt dann aber doch zu, jedoch ist die Verbindung dazwischen zu aufgeladen, als das man dies genießen könnte. Zwar kann man sich die Figuren und Schauplätze allesamt vorstellen, doch wirkt es teilweise wie ein französischer Film von Deutschen gedreht. Funktioniert nicht? Funktioniert nicht, jawohl.

So bleiben nur gute Grundideen in schöner Sprache verpackt, die aber alleine nicht reichen, um ihre Wirkung zu entfalten. Mit diesem Roman hat sich der Schweizer Autor Thomas Hürlimann keinen Gefallen getan. Vielleicht sollte man die Erzählung auch nicht als erstes seiner Werke lesen? Nun denn, danach jedenfalls fällt der Versuch schwer, das nochmals zu versuchen. Bleiben danach die anderen Werke des Autoren verschüttet oder leuchten sie um so heller, wie der rote Diamant in dieser Geschichte?

Autor:

Thomas Hürlimann wurde 1950 geboren und ist ein Schweizer Schriftsteller. Er selbst Internatsschüler studierte er nach der Schule Philosophie in Zürich und Berlin, arbeitete danach 1978 bis 1980 als Regieassistent und Produktionsdramaturg am Berliner Schillertheater. Seit 1980 ist er freier Schriftsteller und kehrte fünf Jahre später in die Schweiz zurück.

1996 war er Visiting Professor am Dartmouth College in New Hampshire, zudem verbrachte er später mehrere Semester am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Er ist Urheber mehrerer Romane, Essays und Theaterstücke. Hürlimann wurde mehrfach ausgezeichnet.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Thomas Hürlimann: Der Rote Diamant Read More »

C. Bernd Sucher: Unsichere Heimat

Inhalt:

Ungefähr 95000 Menschen in Deutschland gehören heute einer jüdischen Gemeinde an. Bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen ist das eine verschwindend geringe Zahl. Und doch steht diese Gruppe immer wieder im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Wegen der Shoah, antisemitischer Ausschreitungen, der israelischen Politik. In diesem Buch untersucht C. Bernd Sucher, wie es um die deutschen Jüdinnen und Juden steht. Dafür beleuchtet er sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart und sucht in zahlreichen Gesprächen eine Antwort auf die Frage: haben Juden in diesem Staat eine Zukunft – oder nicht? (Klappentext)

Rezension:
Während der Bundespräsident in seinen Reden, wie viele seiner Kollegen und Kolleginnen in der Politik, jene, die es hören wollen, beschwört, dass jüdisches Leben zu Deutschland gehöre und für dieses unermessliches Glück bedeute, werden antisemitische Ausschreitungen vom lauten Aufschrei der Medien ebenso regelmäßig begleitet, wie die Mehrheit der Bevölkerung dazu schweigt, wenn sie auch nicht offensichtlich aggressiv Synagogenmauern beschmieren oder Juden und Jüdinnen auf offener Straße beschimpfen. Antisemitische Gedanken, so bescheinigen es Untersuchungen und Umfragen, sind in Deutschland tief verwurzelt und bilden das Grundrauschen dieser unsicheren Heimat.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang Erinnerungskultur? Wie sieht diese aus und wie wird sie von den Juden und Jüdinnen hierzulande wahrgenommen? Und wo zeigt sich Judentum in Deutschland heute? Wie funktioniert das Erinnern heute und was müsste an dessen Stelle treten, wenn man es anders haben möchte? Was müsste sich ändern, damit Menschen in Deutschland nicht mehr auf gepackten Koffern sitzen, wie es noch lange nach Kriegsende der Fall wahr und heute teilweise wieder ist? Der Autor C. Bernd Sucher hat diese und andere Fragen gestellt und sich auf Spurensuche begeben.

Jede optimistische Formulierung verbietet sich, taucht man ein in die Materie und so verwundert der Titel dieses reportagehaften Sachbuchs nicht, welches sich mit der Perspektive jüdischen Lebens seit Kriegsende beschäftigt und an diesem Punkt anzusetzen beginnt. Was waren dies für Menschen, die sich zum Unverständnis anderer jüdischen Glaubens dazu entschieden, in Deutschland zu bleiben, im “Land der Mörder”, im Gegensatz zu jenen, die auswanderten? Wie setzte sich diese Gruppe zusammen, welches Spektrum an Meinungen und auch Varianten jüdischen Glaubens gab es zu Anfang, welche Auswirkungen hat dies auf das Empfinden von Leben in Deutschland heute?

Der Autor fragt nach bei Charlotte Knoblauch, der Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ebenso wie bei der Autorin Deborah Feldman und anderen, mit den unterschiedlichsten Hintergründen, um ein Gesamtbild aufzuzeigen, der inneren Empfindungen und ihrer Zerrissenheit? Das zeigt sich im Draufblick auf Varianten des Erinnerns, ebenso wie im Alltagsleben und dessen Strukturen. Der Gegenwart wird hier viel Raum eingeräumt, wo wir uns sonst fast nur auf die Vergangenheit konzentrieren. Dies ist die große Stärke des vorliegenden Sachbuchs, diese Perspektive, die zu selten in Betracht gezogen wird. Das Fundament des Werks, die Interviews stehen am Ende der Lektüre dann noch einmal separat für sich.

Die Änderung des Blickwinkels macht die Lektüre sehr besonders, auch wenn sie teilweise etwas trocken daherkommt. Wichtig ist sie dennoch, gerade heute. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Autor:

C. Bernd Sucher wurde 1949 geboren und ist ein deutscher Theaterkritiker, Autor und Hochschullehrer. Zunächst studierte er Germanistik, Theaterwissenschaft und Romanistik und war anschließend von 1978 bis 1980 Kulturredakteur der Schwäbischen Zeitung, bevor er dann zur Süddeutschen Zeitung wechselte, wo er der erste Theaterkritiker wurde. Danach arbeitete er als freier Autor und Kritiker für verschiedene Zeitungen und Magazine.

Seit 1989 unterrichtete er an der Deutschen Journalistenschule in München und am Institut für Theaterwissenschaft der dortigen Universität. Danach folgten verschiedenen Stationen in In- und Ausland. Er ist Mitglied verschiedener Jurys, sowie des PEN-Clubs seit 1999, sowie seit 2018 Mitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste. Er hat mehrere Schriften und Romane veröffentlicht.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

C. Bernd Sucher: Unsichere Heimat Read More »

Osama Okamura: Die Stadt für alle

Inhalt:

Warum leben immer mehr Menschen auf der Welt in Städten? Und warum gibt es gleichzeitig Städte, die schrumpfen? Und was sagen abgesenkte Bordsteine über das Verhältnis von Autos und Fußgängern? Fragen, die uns alle etwas angehen. In diesem Handbuch für angehende Stadtplanerinnen und Stadtplaner erfahren wir, wie Städte funktionieren, was gutes Leben in ihnen ausmacht und welche Probleme dem entgegenstehen. Die Stadt ist ein globales Phänomen. Sie ist Begegnungsort und hat seit jeher für Innovationen und Veränderung gesorgt, Menschen zusammengebracht und Potenziale freigesetzt.

Auch jetzt verändert sich unsere Stadt rasant, und wir stehen vor Herausforderungen, von denen viele nicht einmal etwas mitbekommen haben. Höchste Zeit, sich mit der Stadt zu beschäftigen! (Klappentext)

Rezension:

Noch gar nicht lange ist es her, da kippte die Waage endgültig zu Gunsten der Städte. Immer mehr Menschen leben in diesen Orten, deren Wesen darin besteht, auf Vernetzung ausgelegt zu sein, bestimmt vom steten Austausch von Waren oder Dienstleistungen, ein Wechsel, der die Innovationskraft fördert und zugleich Segen und Fluch bedeutet.

Diese Strahlkraft ist kein modernes Phänomen, wie ein Blick in die Geschichte der Urbanisierung, Verstädterungsprozesse, zeigt und hat jene, die mit ihr leben, seit jeher vor Herausforderungen gestellt, derer sich Städte ständig stellen müssen.

So vielseitig wie die Stadt selbst, so vorausschauend muss gerade heute Stadtplanung sein. Der Architekt Osamu Okamura erklärt in seinem hier vorliegenden Sachbuch niederschwellig, wie dies funktionieren kann und mit welchen Herausforderungen verbunden ist.

In Zusammenarbeit mit den Künstlern David Böhm und Jiri Franta ist dabei ein großformatiges Coffee Table Book entstanden, welches wie eine Stadt selbst auf den ersten Blick chaotisch wirkt, jedoch die Lesenden in seinem Bann zieht. Fotos von in Pappe auferstandenen städtischen Szenarien veranschaulichen die einzelnen Themen, auch ein Spiel von Schrift und Karikatur zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Themen, die gleichsam einzelner Gebäude zusammen ein großes Ganzes, eben die Stadt ergeben.

So wird mit viel Liebe für Details nahegebracht, was anderenfalls nur graue Theorie, schwer verdaulich bleiben würde, ohne den Ernst der Thematik zur Karikatur verkommen oder wichtige Punkte außen vor zu lassen. Durchaus für alle Altersgruppen geeignet, werden hier Denkanstöße geliefert. Welche Aspekte machen eine Stadt lebenswert? Wie nutzen wir künftig historische Bausubstanz? Wie priorisieren wir Verkehr? Wie machen wir den Lebensraum Stadt für alle zugängig und durchlässig?

Dies sind nur einige Fragen, die der Autor beinahe in Was-ist-was-Manier klärt und zueinander in Zusammenhang stellt, dazu einlädt, sich einzubringen und einen anderen Blickwinkel auf die eigene Stadt einzunehmen? Hinterher ist aber auch das Verstehen möglich, warum Städte vor gewissen Herausforderungen stehen, auf die es keine einfachen oder eindeutigen Antworten gibt, auch dies ist eine Stärke des vorliegenden sehr besonderen Sachbuchs.

Kritik nur, dass eine durchaus sehr westliche Perspektive eingenommen wird, andere außenvor bleiben. Die aufbereitete Theorie im Großen und Ganzen ist allgemeingültig. Trotzdem, gerade in diesem Themenbereich hat man diese Art von aufbereiteten Sachbuch eher selten, welches wie ein gewachsener Organismus wirkt, so wie es die Stadt auch ist. Nicht nur deshalb wünscht man diesem Werk viele Lesenden. Auch weil es eben grafisch sich von anderen abhebt.

Auch das ist ja durchaus, im übertragenen Sinne, eine Gemeinsamkeit mit so einigen Städten.

Autor:

Osama Okamura wurde 1973 geboren und ist Architekt und Dekan an der Fakultät für Kunst und Architektur der Universität Libreck. Von 2015 an arbeitete er im Ausschuss für die Entwicklung von Urbanismus, Architektur und öffentlichen Räumen der Stadt Prag, bevor er Kurator des Projekts “Shared Cities: Creative Momentum” wurde, welches sich mit dem Teilen innerhalb der Städte beschäftigte.

Danach arbeitete er als Programmdirektor eines Festivals über lebenswertere Städte und war zudem Chefredakteur einer Architekturzeitschrift. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Selbst ist er Nominator für den Mies van der Rohe Award, dem Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Osama Okamura: Die Stadt für alle Read More »

Gail Jones: Ein Samstag in Sydney

Inhalt:

An einem strahlenden Sommertag kreuzen sich die Wege von vier Menschen am Hafen von Sydney, in der Nähe der berühmten Oper. Scharen von Touristen vermischen sich hier mit den Einwohnern der Stadt. Alle vier tragen an ihrer Geschichte: Ellie erinnert sich an ihre Liebe zu James als Vierzehnjährige in der kleinen Provinzstadt, in der sie aufwuchsen. James ist besessen von einer Tragödie, für die er sich verantwortlich glaubt. Catherine trauert um ihren Bruder Brendan, der vor einigen Jahren in Dublin starb. Und Pei Xing fährt jeden Samstag nach Sydney, um einer einstigen Lageraufseherin aus Pasternaks “Doktor Shiwago” vorzulesen.

Gail Jones folgt diesen Figuren durch Sydney, auf ihren eigenen und doch verbundenen Wegen, eingehüllt in Erinnerungen, Schuld und Bedauern, während die Stadt um sie herumwirbelt. “Ein Samstag in Sydney” ist ein tief berührender Roman über Liebe, Verlust und die Last der Vergangenheit. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Um so mehr sie den Blick versuchen, nach vorne zu richten, um so mehr holt die Figuren ihre Vergangenheit wieder ein. Im Hier und Jetzt der Vergangenheit verhaftet sind die Protagonisten in Gail Jones’ Erzählung “Ein Samstag in Sydney”, in derer die Schicksale, Lebensgeschichten einander streifen, immer einen Schritt voran. Das Ziel im übertragenen Sinne indes, ist für alle nur schwer zu erreichen.

Im flirrenden Sydney, am Hotspot der Touristen entspinnt sich die Geschichte, erzählt abwechselnd aus der Sicht der Figuren, die unterschiedliche Schicksale zu tragen haben, unter derer Last sie in verschiedener Form in ihren Nachwirkungen zusammenbrechen drohen. Was hält uns aufrecht? Was lässt uns weitergehen, suchen? Gail Jones widmet sich diesen und anderen philosophischen Fragen und verwebt sie in ruhiger Tonalität in ihrer Erzählung.

Der Geschichte gibt dies zunächst ihren roten Faden, die Figuren bekommen so schnell Konturen. Alle haben sie Ecken und Kanten. Gail Jones spielt mit Ecken und Kanten, die nach und nach zum Vorschein treten. Spannend sind die Sichtweisen der einzelnen Figuren, die jede für sich einen Roman in diesem Umfang verdient hätten, so jedoch neigt man zum Springen, manchmal gar querlesen. Der Spannungsbogen wird über die gesamten Handlungsstränge flach gehalten. Die Tonalität trägt ihr übriges dazu bei.

Natürlich, der Handlungsort ist aus unserer Perspektive heraus wieder interessant. Australien vermag auf der anderen Seite der Erdkugel zu faszinieren, sowohl das futuristisch anmutende Opernhaus, welches die Skyline Sydneys bestimmt, als auch die Ursprünglichkeit der Provinz, des Herz von Australien. Die Autorin schafft es, hier Vorstellungswelten vor dem inneren Auge entstehen zu lassen, nur fügt sich beides nicht harmonisch zusammen.

Immer wieder wartet man auf Wendungen, einem anziehenden Tempo, doch plätschert der Roman förmlich unter der gleißenden Sonne Australiens dahin, dass es nicht einmal hilft, den hier zu lesen. Das Schicksal der Figuren berührt da leider viel zu wenig und verfängt nicht.

Hier hätte mehr Ausführlichkeit jedem Handlungsstrang, jeder Figur gut getan, die wir so nur streifen als würden wir selbst an ihnen vorbeigehen, vielleicht bemerken, dann jedoch im nächsten Moment schon vergessen. Da hilft es nicht mal, dass im realen Leben auch jeder von uns eine eigene Geschichte mit entsprechenden Höhen und Tiefen hat, vielleicht mit etwas hadert. Nur in den seltensten Fällen machen wir dies uns bewusst. Im Roman, wo dies an sich hätte gelingen sollen, denn das Grundprinzip ist durchaus interessant, funktioniert das hier jedoch auch nicht wirklich. Schade.

Autorin:
Gail Jones wurde 1955 geboren und ist eine australische Schriftstellerin. Zunächst studierte sie an der University of Western Australia in Perth, bevor sie 1992 begann, Romane und Erzählungen zu veröffentlichen. Diese wurden in zahlreichen Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. 2014 wurde sie durch das Berliner Künstlerprogramm des DAAD als Gast nach Deutschland eingeladen. In Australien lehrt sie Kreatives Schreiben.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Gail Jones: Ein Samstag in Sydney Read More »

Hubert C. Kueter: Mein verdorbenes Blut

Inhalt:
Als Horst im Jahr 1936 sechs Jahre alt ist, verstirbt sein deutscher Vater, und er bleibt mit seiner jüdischen Mutter in Breslau. Dort überleben sie die Kriegsjahre. Nach dem Krieg fliehen sie wie viele Deutsche nach Westen. Im Nachkriegsdeutschland erleben sie wieder Antisemitismus. Horst entwickelt einen starken Überlebensinstinkt, der ihm in vielen Situationen hilft, seine Familie und Freunde vor Hunger und Not zu bewahren. Sein Leben wird von seiner angeborenen Faszination für Kochkunst, Musik und Sport geprägt.

Der Roman ist mit Witz und Eleganz geschrieben, macht aber auch die tief sitzende Traurigkeit spürbar, die mit der Geschichte der deutschen Juden verbunden ist. (Klappentext)

Rezension:

Ihre “Fahrkarte nach Amerika” im Gepäck, begeben sich Mutter und Sohn nach Kriegsende, zusammen mit einem russischen Offizier auf die Flucht gen Westen, möchten sie dort ein neues Leben, unbehelligt von Anfeindungen und Ausgrenzung beginnen. Krieg und Holocaust haben sie mehr schlecht als recht überstanden, nicht zuletzt auch durch Horsts Einfallsreichtum und Wagemut. Den werden sie auch im Westen Europas benötigen. Vor allem Horst aber ahnt nicht, wie weit der Schatten der Vergangenheit reichen wird.

Doch selbst bis dahin gibt es viel zu erzählen. Der Autor Hubert C. Kueter taucht tief ein in seine Familiengeschichte und hat damit eine Erzählung geschaffen, die zwischen Biografie, Historienschau und Kriegsroman pendelt, zudem für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen lesenswert ist. Dabei ist dies ein sich sehr rasant lesender Text, in dem der Schreibende viele Ereignisse in enger Taktung aufeinander folgen lässt. Krieg verzeiht nichts, sondern wirbelt die Menschen umher. Das begreift man sehr schnell. Immer wieder jedoch gibt es ruhige Momente, die einem durchatmen und hungrig werden lassen.

Ja, auch das ist “Mein verdorbenes Blut”, welches nicht nur vom Leben in der Schwebe erzählt, sondern auch ein großer kulinarischer Roman, den man nicht mit leeren Magen lesen sollte. Der Autor schon als Kind Liebhaber guten Essens lässt hier die ganze Fülle der schlesischen Küche aufleben. Nebst der im Roman ausgestalteten Protagonisten sind zahlreiche Speisen hier die Hauptfigur, worauf dann auch der Untertitel verweist.

Das macht großen Spaß, wie auch dem Kind und Jugendlichen Horst auf seinen Hamstertouren zu folgen und Zeile für Zeile ihn und anderen Figuren Konturen angedeihen zu lassen. Durchbrochen werden die Erzählungen durch Tagebucheinträge der Mutter, die auf ihre Art versucht, sich und ihren Sohn das Überleben zu ermöglichen, in einer von Wirren und zahlreichen Unsicherheiten geprägten Zeit. Auch ihre Person nimmt sehr schnell Gestalt an, während andere Protagonisten über die Länge des Textes Nebenfiguren bleiben müssen, gleichwohl der Autor um deren Rolle weiß. Die Konzentration indes auf das Wesentliche tut dem Lesen der Erinnerungen gut.

Wichtig sind solche Zeitzeugenberichte gerade heute und lange war es nicht möglich, diesen Text in deutscher Sprache zu lesen. Der Autor Hubert C. Kueter hat seine Lebensgeschichte, die da zwischen den Genres schwankt, bereits 2008 im Englischen veröffentlicht. Erst durch eine Crowdfunding-Kampagne konnten Übersetzung und Druck im Yalden-Verlag realisiert werden. Nicht nur deshalb wünscht man diesem Werk möglichst viele Lesende.

Kueter beschreibt sehr eindrücklich Geschehnisse und kann Orte vor dem inneren Auge entstehen, nicht zuletzt einem das Wasser im Munde laufen lassen, wenn es um Rezepte und der Formulierung von schlesischen und anderen Gerichten geht. Man müsste das Werk geradezu zusammen mit einem Stück Streuselkuchen erwerben können. Das wäre toll. Die Erzählung umfasst die Kindheits- und Jugendjahre des Autoren, wirkt dabei recht kurzweilig, auch da ständig etwas passiert. Ereignislos war die damalige Zeit ja nicht.

Traurigkeit über Verlorenes wechselt mit kindlicher Neugier und jugendlichen (Über-)Mut, der einem den Atem anhalten und im nächsten Moment herzhaft lachen lässt. Der Autor schaut zurück, doch wirkt es insgesamt als stünde man direkt neben ihn in seinen jungen Jahren und erlebe all jene Geschehnisse mit. Nicht nur ausführliche und detaillierte Beschreibungen derer tun ihr übriges dazu. Man kann sich das alles bildlich vorstellen. Gleichzeitig ahnt man nur, wie viel auch Düsteres die Mutter von ihrem Sohn fernhalten konnte. Auch diesen Anstrengungen setzt Kueter hier ein Denkmal, welches berührt.

Dieses Werk ist zum einem Lebensgeschichte und Autobiografie, Erinnerung und Kriegsroman, sowie ein Buch, welches von Jugendlichen wie von Erwachsenen gleichermaßen gelesen werden kann. Bedauerlich ist einzig, dass nicht weiter erzählt wird, wie es dem Autor danach ergangen ist.

Zudem habe ich gerade keinen Streuselkuchen. 

Autor:
Hubert C. Kueter wurde 1930 in Breslau geboren und wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika aus. Dort studierte er Germanistik und war von 1965 an bis 1997 als Professor am Colby College in Waterville, Maine, tätig, wo er Deutsch und Literatur unterrichtete. Zudem betrieb er zwischen 1975 bis 2003 ein Restaurant. Nach dem Ruhestand verfasste er seinen Memoiren-Roman, den er 2007 veröffentlichte.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Hubert C. Kueter: Mein verdorbenes Blut Read More »

Jochen Oppermann: Unglückliche Thronfolger

Inhalt:

Sie sind die Söhne von Alexander dem Großen, Julius Ceasar und Napoleon. Als Haupterben gewaltiger Reiche und ungeheurer Macht scheint ihnen die Welt zu Füßen zu liegen. Dennoch gelang es ihnen aber nie, auf die Sonnenseite der Geschichte zu treten. Doch woran lag das? Warum hatten sie keine Chance, zu den ganz Großen der Geschichte zu werden?

Anhand bisher weitestgehend unbeachteter Quellen beschäftigt sich das Buch erstmals mit diesen Fragen. Hinter den bloßen geschichtlichen Fakten ihrer Epoche werden auf diese Weise junge Menschen mit all ihren Hoffnungen, Träumen und Fehlern sichtbar. Sie erlebten Zeiten relativer Unbeschwertheit des Glücks, die von einem zum anderen Moment in ihr Gegenteil umschlagen konnten. Je nachdem, wie es das Schicksal “wollte”. (Klappentext)

Rezension:

Von Anfang an ein Spielball der Interessen wurde der Sohn Alexander des Großen etwa 13 Jahre alt, bevor er sterben musste. Auch einem Namensvetter, Alexej, der Sohn des letzten Zaren, erwartete viele Jahrhunderte später, ein grausamer Tod. Einer von vielen, völlig sinnlose Opfer von Zeitenwenden, der Taten ihrer Väter und daraus resultierender Folgen, manchmal auch ihres eigenen Charakters, wie etwa im Fall des Sohns von Napoleon. Nie war es ihnen, wenn überhaupt nur pro forma, symbolisch und für zu kurze Zeit, vergönnt, die ihnen zugedachte Rolle anzunehmen und auszufüllen.

Der Lehrer und Autor Jochen Oppermann hat sich mit einigen der Thronerben beschäftigt, deren Leben unglücklich verlaufen und eng mit den Umbrüchen von Epochen verbunden sein sollte. Herausgekommen ist dabei eine vielschichtige Sammlung von Kurzporträts, die uns durch die vergangenen Jahrtausende führen, ein jedes symptomatisch für seine Zeit.

In chronologischer Reinfolge arbeiten wir uns durch die Epochen, beginnend in der Welt der frühen Antike, bis hinein ins 20. Jahrhundert. Die Zeitspanne ist groß, die Auswahl an näher zu betrachteten Biografien muss begrenzt bleiben, um den Überblick zu waren, zudem zunächst ziemlich wage gehalten.

Gerade über die frühzeitlichen Figuren ist viel zu wenig bekannt, doch dank der kompakt gehaltenen Schreibweise muss sich der Autor nicht in Spekulationen ergehen, sondern hat gut lesbare und kurzweilig spannende Übersichten gehalten, die uns in die jeweiligen Epochen einführen und den Umständen, denen sich die einzelnen Thronfolger, bedingt der Historie zumeist männlich, ausgesetzt sahen und deren Zwängen sie nicht entgehen konnten.

Für ein gut recherchiertes historisches Sachbuch recht ungewohnt, beschreibt der Autor gefühlvoll die Lage und den Zerfall von Dynastien, denen die oftmals noch Kinder oder Jugendliche ausgesetzt waren, nicht aufhalten oder gar begreifen konnten. Tragisch sind die einzelnen Geschichten, etwa die des Sohnes Ludwig XVI., der seine Eltern nur um ein paar Jahre überleben sollte, um schließlich gerade einmal mit zehn Jahren doch noch zu sterben. Oppermann beschreibt nicht nur hier vor der Geschichte im Rückblick vollkommen sinnlos erscheinende Tode, den meisten Portraitierten traf zudem keine Schuld.

“Unglückliche Thronfolger” kann jedoch nur ein Abriss des Wesentlichen sein, eine Art Einführung. Bedingt des Platzes dient dieses Sachbuch eher als Anstoß dazu, sich weiter tiefgehend mit den einzelnen Figuren zu beschäftigen. Etwa mit der Biografie Napoleons und seiner Familie lassen sich ganze Bücher füllen oder etwa auch mit dem Untergang der Stauffer-Dynastie, die nicht nur eine Tragödie vorzuweisen hat.

Nach zehnjähriger Recherche und Erarbeitung zahlreicher Quellen ist diese Sammlung trauriger Schicksale entstanden, deren einziger Fehler es ist, dass noch viel mehr Personen, es muss hier bei Beispielen bleiben, beschrieben werden könnten und die vorhandenen noch einer tiefergehenden Analyse lohnen, zudem ist die Nachbetrachtung mit ihren Vergleichen nicht in jedem Satz schlüssig, auch der eine oder andere Exkurs mehr, zwei sind zur Auflockerung der Thematik im Buch vorhanden, hätte die ohnehin interessante Lektüre noch gut ergänzen können. Trotzdem, wer einen Anknüpfungspunkt finden möchte, sich mit diesen sehr besonderen Figuren der Geschichte zu beschäftigen, macht mit Jochen Oppermanns Sachbuch nichts falsch.

Autor:

Jochen Oppermann wurde 1980 in Kaiserslautern geboren und ist ein deutscher Autor und Lehrer für Geschichte an einer Realschule. Im Jahr 2018 erschien sein Debüt “Im Rausch der Jahrhunderte – Alkohol macht Geschichte”, welches im In- und Ausland viel beachtetet wurde, zudem schreibt er für geschichtliche Magazine. In der Reihe “matrixwissen” erschien sein Werk über den Deutsch-Französischen Krieg. Seine Bücher wurden bereits mehrfach übersetzt.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Jochen Oppermann: Unglückliche Thronfolger Read More »

Monica Subietas: Waldinneres

Inhalt:

Ein jüdischer Kunstsammler rettet sich mit Fluchthelfern vor den Nazis in die Schweiz, doch seine Spur verliert sich im Dickicht eines Waldes. Zurück bleibt nur sein Gehstock, darin eingerollt ein kleines Gemälde.

70 Jahre später betritt Gottfried Messmer das Foyer einer Bank in Zürich. Im Schließfach seines Vaters findet er einen echten Klimt. Wie kam sein Vater an dieses Bild? Und wo ist sein wahrer Besitzer? Gottfried muss sich einem Familiengeheimnis stellen, das weit in die Geschichte seines Landes zurückreicht. (Klappentext)

Rezension:

Als der Sohn den Nachlass seines Vaters inspiziert, den er zuvor einem jahrzehntelang unberührten Bankschließfach entnahm, stockt ihm der Atem. Eingerollt im Hohlraum eines Gehstocks findet sich ein bemaltes Stück Leinwand, kaum größer als eine Postkarte. Ein Original so scheint es, von Gustav Klimt.

Wie kam Hermann einst in Besitz dieses Gemäldes? War Gottfrieds Vater Profiteur von NS-Raubkunst? Und wie soll er den letzten Willen von Hermann erfüllen, den wahren Besitzer von “Waldinneres” zu finden? Eine Suche auf den Spuren der eigenen Familiengeschichte und in den düsteren Kapiteln seines Heimatlandes entpuppt sich als schwierig. Und als wahrer Krimi.

So viel zur Handlung der vorliegenden kompakt gehaltenen Novelle, in der sich die spanische Kulturjournalistin Monica Subietas mit den Themen Judenverfolgung und NS-Raubkunst auseinandersetzt. Zunächst, das titelgebende Gemälde gibt es tatsächlich.

Der Maler Gustav Klimt schuf es 1881 und war mit seinen Werken einer der Künstler, deren Objekte sich später die Nationalsozialisten auf ihren Raubzügen quer durch Europa aneigneten, welche in Folge entweder in Privatarchive oder Sammlungen wiederfanden, deren Spuren sich über das Kriegsende hinaus verlor und bis dato teilweise noch immer nicht restituiert sind. Dieses Szenario gestreift hat die Autorin einen sogreichen Roman verfasst, der durchaus ein Erzähltempo erzeugt, dessen Sog man sich nicht entziehen kann.

Eingerahmt durch Zeitsprünge erleben wir die Haupthandlung in unserer Gegenwart, die zunächst unscheinbar daherkommt und mit deren Hilfe alle Figuren, auch die aus der Vergangenheit nach und nach ihre Konturen bekommen. Nicht alle gleichermaßen, vieles bleibt im Waagen. Nur langsam lüftet sich der Schleier für den Hauptprotagonisten, der sich schnell innerhalb eines Spiels findet, welches er kaum noch kontrollieren kann.

Verschiedene kurz gehaltene Perspektivwechsel tun ihr übriges dazu, der Handlung eine gewisse Dynamik zu verleihen, die jedoch an mancher Stelle nicht ganz stimmig in ruhige Fahrwasser gerät. Subietas hat hier Potential nicht zur Gänze genutzt, um so erstaunlicher ist es, dass dennoch keine unlogischen Brüche oder Wendungen existieren.

Viel mehr Ausschmückung an Details hätten einzelnen Figuren und Szenen gut getan, wobei Auslassungen an vielen Stellen dann doch funktionieren. Die Tonalität indes bleibt zumeist ruhig. Die Thematik indes ist fast ein Alleinstellungsmerkmal oder zumindest selten für eine Romanhandlung, weshalb “Waldinneres” dennoch lesenswert ist.

Subietas’ Stärke liegt in der Ausgestaltung ihres Hauptprotagonisten, dessen innere Zerrissenheit sich in allen Facetten der Handlung widerspiegelt, wogegen die Antagonisten nicht gänzlich der einen oder anderen Seite zuzuordnen sind. Die Autorin scheint die Zwischentöne zu lieben, was durchaus Wirkung zeigt. Auch atmosphärische Ortsbeschreibungen lassen Bilder vor dem inneren Auge entstehen und geben so der Erzählung zusätzlich Konturen. Logikfehler sind, wenn vorhanden, zu überlesen.

Das gesamte Konstrukt wirkt im Zusammenspiel mit einer überraschenden wende beinahe am Ende des Textes, der in kompakt gehaltene Kapitel aufgegliedert ist, zudem helfen die oben beschriebenen Punkte, sich dies alles vorzustellen. Auch das Grundthema trägt seinen Teil zur Spannung bei. Hier wäre dennoch etwas mehr Tiefe wünschenswert gewesen.

Der Roman “Waldinneres” ist lesenswert und kann durchaus als Ansatz genommen werden, sich einmal mit dem Wirken Klimts sowie der verschlungenen Thematik NS-Raubkunst zu beschäftigen, die bis in unsere Zeit hineinwirkt und noch immer nicht aufgelöst wird, dank des verborgenen Teils der Kunstwelt, der Verschwiegenheit von Banken und auch dem Unwillen staatlicher Institutionen, sich mit den dunklen Flecken der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Mit ihrem Debüt stößt Monica Subietas durchaus gekonnt einen Keil hinein und damit eine Diskussion an, die viel beharrlicher geführt werden muss.

Trotz seiner Schwächen ist alleine deshalb “Waldinneres” daher sehr lesenswert.

Autorin:

Monica Subietas wurde 1971 in Barcelona geboren und ist eine Kulturjournalistin und Autorin. Die in Zürich als Editorial Designerin tätige arbeitet in der Leseförderung und spricht mehrere Sprachen fließend. “Waldinneres” ist ihr erster Roman.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Monica Subietas: Waldinneres Read More »

Eloy Moreno: Unsichtbar

Inhalt:

Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, unsichtbar zu sein? Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, es nicht mehr zu sein?

Das Problem ist, dass ich diese Kraft nie richtig im Griff hatte: Ausgerechnet dann, wenn ich schrecklich gern unsichtbar sein wollte, haben mich manchmal jede Menge Leute gesehen. Wenn ich dagegen von allen gesehen werden wollte, war meinem Körper nach Verschwinden zumute.

Emotional, berührend, anders … Der spanische Bestsellerautor Eloy Moreno erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven die Geschichte eines Jungen, die jedem von uns auch hätte passieren können. (Klappentext)

Rezension:

Nicht nur ein Jugendbuch liegt mit “Unsichtbar” vor, der Text des spanischen Schriftstellers Eloy Moreno, tatsächlich ist es eine Geschichte, wie sie uns allen passieren könnte, in der einen oder anderen Form, unabhängig von Alter oder Ausgangspunkt. Der Autor erzählt vom Endpunkt an und schaut in mehreren Perspektiven zurück auf die Anfänge eines durchschnittlichen Jungen, der zunächst nicht ahnt, schon bald Zielscheibe des Klassenmobbers zu sein.

Angriffsfläche bietet der namenlose Erzähler nur wenig, ein einfaches Wort reicht, um eine Spirale der Gewalt in Gang zu setzen, die sich zunächst in kaum bemerkenswerten Nadelstichen äußert, bis es irgendwann in die große Katastrophe mündet, an deren Endpunkt der Protagonist und seine Umgebung zurückschauen.

“Warum lässt du es dir wegnehmen?”, […] fragten mich manche meiner Mitschüler.
Warum helft ihr mir nicht?, dachte ich.

Eloy Moreno: Unsichtbar

Diese Perspektivwechsel, schon die Umkehrung des Erzählstranges machen die Lektüre zu etwas besonders Eindrücklichen und schaffen eine Atmosphäre, derer man sich nicht entziehen kann, sorgen jedoch auch dafür, dass man sich für einen kurzen Moment zunächst einfinden muss, um die einzelnen Figuren klar auseinanderhalten zu können. Dabei hilft, die Hauptfigur wird im Gegensatz zu den anderen Protagonisten nie namentlich benannt, selbst als alle ihn, sein Leid sehen, oder dessen Finalität, bleibt er in gewisser Weise unsichtbar, während er selbst um so klarer sieht.

Eloy Moreno schafft es durch eine die Taktung kompakter Kapitel eine Dynamik und ein schnelles Erzähltempo zu erreichen, welches unterstreicht, wie schnell man sich in eine Position hineingezogen sieht, aus derer man ohne Hilfe nicht mehr herausfinden vermag.

“Was für eine Geschichte erzählst du mir heute?”, fragt ihn seine Schwester, während sie sich an seine Brust kuschelt. “Die von einem Jungen, den niemand lieb hatte”, antwortet er mit flackernden Augen. Er denkt, wenn das Licht aus ist, wird sie seine Tränen nicht bemerken. “Niemand hatte ihn lieb?” “Nein, Luna, niemand hatte ihn lieb …”

Eloy Moreno: Unsichtbar

Die Ungeheuerlichkeit wird dadurch verstärkt, dass auch die Dilemma der Umgebung beleuchtet wird, die nicht sehen möchte aber genug begreift, um selbst einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, dabei das Opfer den Mobbenden jedoch zum Fraß vorzuwerfen. Aber auch dieser Perspektive schafft es der Autor eine Form zu geben, wie es zuletzt nur Raquel J. Palacio in den Zusatzbüchern zu “Wunder” gelungen ist, einen ebenfalls in diese Kerbe hineinschlagenden Roman.

Der erzählte Zeitraum ist unbestimmt, jedoch kann es sich um kaum mehr als ein paar Monate handeln. So viel wird zumindest deutlich. Die auf den Punkt gehaltene Tonalität gibt den Figuren Konturen und viele Grautöne, die aufzeigen, dass eben nicht nur der Mobbende allein sich schuldig macht und das Opfer selbst nie schuldig ist.

Der Spiegel ist der einzige Zeuge der Ereignisse; der Einzige, der nicht lügt, der sich nicht verstellt, der ihm die Wirklichkeit zeigt, auch wenn sie weh tut […]

Eloy Moreno: Unsichtbar

Das macht es so leicht, sich in den Protagonisten und seine Umgebung hineinzuversetzen, egal ob wir selbst einmal Opfer, in welcher Form auch immer, waren oder beteiligt gewesen sind, als Mobbende oder Mitlaufende, die eine Eskalation nicht verhindert haben. Das, unterstreicht Moreno, ohne erhobenen Zeigefinger, ist mindestens genau so schlimm und macht etwas mit der Gefühlswelt eines Lesenden, wenn man der Sogwirkung dieser Erzählung erlegen ist.

Die Umkehrung der Erzählung und die Perspektivwechsel, vor allem die der Hauptfigur, die sich in eine Traumwelt flüchten muss, um irgendwie zu überleben, ist zwar in ihrer Art und Weise selten, gerade im Jugendbuchbereich, doch in sich schlüssig. Logikfehler und fehl wirkende Brüche gibt es da nicht. Zu viel kennt man an solchen Geschichten, die man nicht müde werden darf zu erzählen.

“Aber ich tauge doch zu nichts”, flüstert er ihr zu, “ich bin doch nur im Weg, alle lachen über mich, ich verstehe nicht, wozu ich überhaupt auf der Welt bin …”

Eloy Moreno: Unsichtbar

Jeder Prozentpunkt, schon gemobbter Kinder und Jugendlicher, die zum Äußersten greifen, da sie unsichtbar ob ihrer Situation bleiben, ist einfach zu hoch. Wir, so die Botschaft von Moreno, sehen viel zu häufig weg, wo ein Hinsehen und Handeln erforderlich wäre, selbst wenn wir eindeutige Zeichen bemerken. Dieser Rahmen wird in Form von Tipps nach Ende der Geschichte nochmals aufgegriffen. Eine Pflichtlektüre für alle sollte “Unsichtbar” sein.

Auch ohne eigene ähnlich geartete Geschichte entfaltet der Text bei Lesenden seine Wirkung, doch ist die Ebene nochmals eine andere, hat man selbst ähnliches erlebt, wie der Protagonist, der für andere bis zur Eskalation unsichtbar bleibt.

Die Wucht der Erzählung ist dann um so stärker. Bis zu einem gewissen Punkt war auch der Schreiber dieser Rezension (und ich schreibe von mir in der dritten Person, da es mir hier so leichter fällt) dieser Junge, der ähnlich drangsaliert wurde, dessen Weg jedoch eine andere Abzweigung genommen hat. Der zeitliche Abstand zur eigenen Situation hat jedoch auch dazu beigetragen, dass die Lektüre nicht gänzlich aus der Bahn werfend wirkt.

Es verging noch ein Tag, an dem sie mir nichts taten, und noch einer … aber ab dem dritten ging alles wieder los. Beim Reinkommen ins Klassenzimmer bekam ich ein Bein gestellt und fiel hin, zum Gelächter oder Schweigen der anderen – beides tat gleich weh.

Eloy Moreno: Unsichtbar

Aber auch sonst kann man sich das alles bildlich vorstellen. Viele Worte benötigt der Autor nicht, um dies zu schaffen. Moreno weiß, wo Beschreibungen der Geschichte zu Gute kommen, wo Auslassungen ein Kopfkino und nachdenkliche Momente schaffen. Man möchte die Umgebung des Protagonisten anschreien, aufrütteln.

Der Roman wird sowohl in Spanien als auch sonst als Jugendbuch gelabelt, ist es jedoch wert, unabhängig davon, alleine der Thematik wegen, von allen gelesen zu werden. Moreno hat mit “Unsichtbar” nicht nur eine Erzählung geschaffen, die zur Pflichtlektüre in Klassenzimmern werden sollte, sondern eine All-Time-Geschichte, die unter die Haut geht. Und dort bleibt.

Das ist so, weil jeder solch eine Situation kennt, eben da zu allen Zeiten jeder irgendwo wunde Punkte hat oder Angriffsflächen bietet, die zur Zielscheibe werden können. Moreno macht ebenso deutlich, dass, wo keine sind, eben welche herbei erfunden werden und auch dadurch Mobbing-Situationen hervorgerufen werden können.

Da wird ihr klar, dass man nichts Besonderes tun muss, um ein Monster zu sein, dass es manchmal schon reicht, überhaupt nichts zu tun.

Eloy Moreno: Unsichtbar

Eine große Stärke, dieses Textes, der nicht alleine Lese-Highlight ist, sondern ein Aufruf, zu handeln. Der Protagonist ist ungefähr 13 oder vielleicht 14 Jahre alt, eine Lektüreempfehlung kann man, so denke ich bereits schon ab 12 Jahren oder noch eher geben. Dazu ist die Thematik einfach viel zu wichtig und immer noch zu selten im Fokus der Öffentlichkeit.

Eloy Moreno hat mit “Unsichtbar” ein Jugendbuch geschaffen, welches über diese Genregrenze hinaus funktioniert, auch über Landesgrenze. Mobbing ist ja leider universell. Diese Erzählung mit etwas anderem als der Höchstwertung zu versehen, grenzt an Blasphemie. Es wäre zudem wünschenswert, wenn noch weitere Werke dieses Autoren ins Deutsche übersetzt werden würden. Gleichwohl ist es natürlich schwer, dies noch zu toppen.

Autor:

Eloy Moreno wurde 1976 geboren und arbeitete zunächst als Informatiker, bevor er begann Bücher zu schreiben. Sein erstes Werk erschien im Selbstverlag, danach veröffentlichte er weitere Bücher, die in Spanien allesamt zum Bestseller avancierten. Er wurde mehrfach ausgezeichnet. “Unsichtbar” ist sein erster ins Deutsche übersetzte Roman.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Eloy Moreno: Unsichtbar Read More »