Hugo Höllenreiner wächst in München auf; sein Vater betreibt ein kleines Fuhrunternehmen. 1943 wird Hugo mit seinen Eltern und fünf geschwistern deportiert. Er ist erst neun und weiß nicht, wohin die Reise geht, die im Zigeunerlager von Auschwitz-Birkenau endet. Im April 1945 befreien ihn englische Soldaten aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen. Dazwischen liegen zwei Jahre, über die er erst der sechzigjährige zu reden vermag. In diesem Buch erzählt Hugo Höllenreiner vieles zum ersten Mal. Er möchte davon berichten, damit junge Menschen erfahren, wie es wirklich gewesen ist. (Klappentext).
Rezension:
In politisch schwierigen Zeiten sich zu erinnern und das Erlebte in Schriftform zu veröffentlichen ist ein mutiger Schritt, den die letzten jahre viele Menschen gegangen sind. Grausamkeiten, Schrecken jahrzehntelang her, kaum mehr wandelnde Täter unter uns, aber eine Gesellschaft im Umbruch, zumal die Zeitzeugen rar werden, welchen besseren Zeitpunkt gäbe es, als jetzt?
Hugo Höllenreiner erzählt die Geschichte von sich und seiner Familie. Herausgekommen dabei ist eine eindrückliche und nachdenklich machende Kindheitsbiografie.
Der Klappentext verrät genug vom Inhalt, daher muss man dazu nicht viel mehr sagen. Es ist schon bedrückend genug, den Text zu lesen. Die Grausamkeiten, die Höllenreiner und seine Geschwister durchmachen mussten, sind eigentlich unmöglich zu beschreiben. Wortgewandt ist es ihm dennoch gelungen.
Immer wieder eingewoben, Gesprächsfetzen und Gedanken, hat Anja Tuckermann die Interviews zu einem biografischen Roman verarbeitet, der es in sich hat. Fast kommt ein Leser sich so vor, als schaue er ein Dokuspiel mit eingeblendeten Interviews und Kommentaren, nur ist all das Beschriebene wirklich erlebt.
Höllenreiner erzählt von Ausgrenzung und Unterdrückung, von Mut und Verzweiflung, Überlebenswillen und Durchhaltevermögen. Wie gelang es ihm die tollwütigen Aufseher Bergen-Belsens zu überstehen, die Experimente Mengeles in Auschwitz?
Wie hält man Tage durch, ohne jedes Zeitgefühl, bestimmt von Hunger und Krankheiten, ausgesetzt der Willkür anderer? Welche Last muss ein Mensch ertragen, bis er zerbricht? Wie findet man wieder ins Leben zurück, nachdem man jahrelang nur als leblose Hülle agiert?
Es ist schwer, nicht emotional zu werden. Einfühlsam wird die Geschichte Höllenreiners erzählt, dem seine Kindheit genommen wurde, und der später versuchte, das Beste daraus zu machen. Sofern möglich.
Eine literarische Dokumentation des Überlebenswillen eines kleinen Jungen, und ein Zeichen dafür, was Menschen anderen Menschen antun können, so einmal eine bestimmte Schwelle überschritten ist. „Denk nicht, wir bleiben hier!“, ist ein Lehrstück dessen, was die Zukunft bringt, wenn wir nicht aufpassen. Solch ein Leid, wie hier beschrieben, darf nicht noch einmal passieren. Dafür dieses Buch.
Autorin:
Anja Tuckermann wurde 1961 in Selb/Bayern geboren und ist eine deutsche Autorin von Romanen, theaterstücken und Journalistin. In Berlin aufgewachsen veröffentlichte sie zuerst Texte in einer von ihr gegründeten Zeitschrift und arbeitete für einen Jugendverband. Dort organisierte sie Reisen für Kinder und Jugendliche.
Von 1988-1992 arbeitete sie als Redakteurin, bis 1997 freiberuflich für die Kinderfunkredaktion des RIAS. Seit 1993 leitet sie Schreibwerkstätten zum Schreiben von Prosa und Theaterstücken. Mehrere Romane schrieb sie über das Schicksal von Sinti-Kindern im Dritten Reich. Tuckermann ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller.
Karl Marx in Paris
Jan Gerber
Rezensionsexemplar/Sachbuch
Piper
Erschienen am: 03.04.2018
Hardcover
Seiten: 239
ISBN: 978-3-492-05891-9
Inhalt:
Seitdem sich die Elendszonen des Weltmarkts erneut ausweiten und die westlichen Metropolen erreichen, wird auch dort wieder verstärkt von Arbeit und Kapital, der Klasse und ihrem Kampf gesprochen: Im 200. Jahr nach seiner Geburt hat Marx erneut Hochkonjunktur.
Jan Gerber legt auf der Grundlage neuester Forschungen eine auseinandersetzung mit dem Leben und dem Werk von karl Marx vor. Marx‘ erster Paris-Aufenthalt von Oktober 1843 bis Februar 1845 wird dabei zum Dreh- und Angelpunkt.
Denn in dieser Zeit entwickelte er die zentralen Begriffe seines Denkens: Marx traf als Radikaldemokrat in Paris ein und verließ die Stadt als überzeugter Klassenkämpfer und Kommunist. (Klappentext)
Rezension:
Die Geburt eines der größten und umstrittensten Denker der Neuzeit jährt sich dieses Jahr zum 200. Mal und so ist es nicht verwunderlich, dass auf den Büchertischen zahlreiche Publikationen vorliegen, die sich mit Karl Marx, seinen Weggefährten und Ideen beschäftigen.
Doch, wer war dieser Mensch, Fabrikantensohn, den alle Türen der damaligen Zeit offenstanden, wie entwickelte er seine Ideen, die Jahrzehnte nach seinem Tod missbraucht und falsch verstanden, umgesetzt werden und zur Unterdrückung eines Großteils des Erdballs führen sollten?
Jan Gerber analysoert schonungslos die Entwicklung eines tönernen Kollosses an Theorien, die schon zu Entstehungszeiten Widersprüche aufwiesen, und kaum zu halten waren. Zumindest nicht, bei genauen Hinschauen.
Der promovierte Historiker nimmt das Theoriengespinst auseinander, zeigt die Begrifflichkeiten von Klasse bis Proletariat auf, stellt einen Zusammenhang mit einem entscheidenden Teil des Lebensweges eines Menschen auf, der mit seiner Freundschaft zu Friedrich Engels ein Indenkonstrukt entwickeln sollte, welches nie so ganz stimmig werden sollte.
Schonungslos, dennoch wohlwollend ist diese Analyse, auf die sich der Leser einlassen muss. Ohne Konzentration geht es nicht. Zu dicht folgen die Schlüsselereignisse in Marx‘ Leben aufeinander, zu schwer wiegen die Begrifflichkeiten, die jeder für sich fragwürdig sind, zumal der große Philosoph und Autor zahlreicher Schriften am Anfang seines Lebens mit diesen etwas ganz anderes meinte, als in seinen letzten Lebensjahren.
Umgesetzt wurde vieles davon später nochmals anders, so dass die Frage nach Entstehung des Kommunismus diskussionswert ist und vom Autoren jan Gerber dies auch angestoßen wird.
Was bedeuteten damals Begrifflichkeiten, wie Klasse oder Proletariat, weshalb waren Teile dieser Theorie schon damals zu Marx‘ Lebzeiten schlicht und einfach falsch, und was ist davon heute noch übrig, kann möglich in anderer Form erneut als Ratgeber und richtungsweisend dienen?
In klarer Sprache ist dieses Essay geschrieben, man muss sich jedoch auf viele zu verfolgende Gedankengänge einlassen. Die Stationen der Biografie von Karl Marx sind da noch die einfachsten, jedoch wird man für den Rest des Inhalts seine gesamte Konzentration benötigen. Ohne die geht es schlicht und einfach nicht.
Zu komplex ist die Struktur des Marxchen Weltbildes, zu vielschichtig die prägenden Momente im Leben dieses Mannes. Der Autor stößt den Leser auf die Problemstellungen die sich aus den Theorien von Marx und Engels ergeben, stellt sie in einem historischen Zusammenhang dar, und stellt Fragen in den Raum, über die es sich zu nachdenken lohnt.
Haarscharf an der Form einer populärwissenschaftlichen Ausarbeitung vorbei, schadet Vorwissen nicht. Zumindest aber Interesse sollte man schon mitbringen. Ohne dieses wird man schnell aus der Lektüre aussteigen. Zum bloßen nebenher Informieren eigenet sich „Karl Marx in Paris“ nicht.
Insgesamt stellt dieses Buch eine gute Grundlage für eine, zugegeben eher intellektuelle, Diskussion dar. Zumindest die biografischen Züge sind jedoch interessant genug, um am Ball zu bleiben. Auf alles andere muss man sich jedoch einlassen können, sonst funktioniert diese Lektüre kaum, und man wird ihr auch sonst nicht gerecht.
Dies gilt es zu vermeiden. Die dichte Quellenlage unterfüttert und regt zur weiteren Lektüre an, zeigt die Rechercheleistungen auf, die zur gar nicht so einfachen Ausarbeitung des vorliegenden Werkes nötig gewesen waren. Im 200. Marx-Jahr und nicht nur dann, ein wichtiges Diskussionsmaterial.
Autor:
Jan Gerber ist ein promovierter Politikwissenschaftler und habilitierter Historiker. Er lehrt an der Universität Leipzig und ist leitender Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow (seit 2010). Seit 2004 lehrt er zudem an der Universität Halle.
Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich von geschichte und Wirkung des Holocausts, sowie zur Arbeiterbewegung und der politischen Linken. Er veröffentlichte zahlreiche wissenswchaftliche und populärwissenschaftliche Ausarbeitungen zu Themen dieser Bereiche.
„Sie können mir den Kopf abschlagen, aber nicht meine Würde nehmen“
Hala Kodmani
Rezensionsexemplar/Sachbuch
dtv
Erschienen am: 29.03.2018
Taschenbuch
Seiten: 144
ISBN: 978-3-423-26183-8
Übersetzerin: Elisabeth Liebl
Inhalt:
Tagsüber war sie Lehrerin für Philosophie an einer Mädchenschule, abends schrieb sie zornige Kommentare auf Facebook: Ruqia Hassan lebte in Rakka und postete unter Pseudonym gegen Assad und den IS. Bis sie verraten und vom IS ermordet wurde.
Hala Kodmani erzählt Ruqias Geschichte und lässt Ruqia mit ihren Original-Facebook-Einträgen zu Wort kommen. Kodmani hat das Lebensumfeld von Ruqia genau recherchiert. So gelingt es ihr, Ruqias Ängsten, ihren Hoffnungen, ihrer Liebe zu ihrem Land und ihrer wachsenden Wut Ausdruck zu verleihen. (Klappentext)
Rezension:
Inzwischen ist es ein undurchsichtiger Kampf an vielen Fronten geworden. Die Nachbarstaaten ringen um Einfluss im zerrüttelten Krisengebiet, Großmächte diesseits und fernab der Grenzen ergreifen mal Partei für die eine, mal für die andere Seite. Örtliche Machthaber tun ihr Übriges, um das Land im Zangengriff zu halten.
Leidtragende sind die Bewohner Syriens. Eine von ihnen ist Ruqia, die sich unter den Pseudonym Nissan Ibrahim bemerkbar macht, und auf Facebook den Beginn und Zerfall des Arabischen Frühlings kommentiert, schließlich die Schreckensereignisse unter Assad, schließlich den IS, kommentiert.
Die schlaue junge Frau beobachtet ihre Umgebung sehr genau, fällt schließlich den Ereignissen selbst zum Opfer. Zurückbleibt eine Facebookseite als Mahnmal gegen die Unmenschlichkeit.
Hala Kodmani beschäftigt sich seit Jahren bereits mit der Situation Syriens und nimmt diese Geschichte zum Anlass, wachzurütteln. Stellvertretend für das Leben Tausender nimmt sie sich das Schicksal Ruqias vor, zeigt, wie die Ereignisse aus dem Ruder liefen, und vollzieht nach, wie dieses junge Leben mit Füßen getreten wurde.
Dabei herausgekommen ist ein eindrücklich halbdokumentarisches Portrait einer Frau, die wusste, was sie wollte, jedoch sich ob der schrecklichen Ereignisse nicht verwirklichen und leben konnte, wie sie wollte. Sensibel wird das Leben Ruqias dargestellt, nichts geschönt, was zeigt, wie hart und grausam der Alltag zu den Menschen in Syrien geworden ist, wo jeder Tag ein neuer Kampf ums Überleben ist.
Mehr gibt es dann auch nicht zum Inhalt zu sagen. Zu bedrückend ist diese Geschichte, diese biografische Kurzstück. Klar, in eindeutiger Sprache beschreibt Kodmani den Weg Ruqias in den syrischen Widerstand gegen Assad und den Terror des IS, zumindest der verbale auf Facebook, welches zum wichtigsten Austauschobjekt der syrischen Opposition wurde.
Anhand ihrer dortigen Einträge lässt sich der Leidensweg der Menschen im Spannungsfeld des Krieges nachvollziehen. Mehr braucht es nicht, um Wut und Verzweiflung zu verdeutlichen, der Weg, der in die Katastrophe führt.
Ein Augenzeugenbericht, die Biografie einer Zeitzeugin, die man nicht vergessen darf, deren Geschichte viel mehr verbreitet und bekannter werden muss. Stellvertretend für alle Menschen in Syrien ein Hilfeschrei, den man erhören sollte. Unbedingt lesenswert.
Autorin:
Hala Kodmani ist Mitglied der Internationalen Organisation für Frankophonie und ehemals Mitarbeiterin der Arabischen Liga in Paris. Als Redakteurin schreibt sie für „Liberation“, und beteilt sich an dokumentarische Arbeiten zum Nahen Osten.
Sie ist die Schwester der Mitgründerin des Syrischen Nationalrats (der syrischen Opposition in Paris). Im Mai 2011 gründete sie den Verband Souria houria, der sich für den Sturz von Assad einsetzt. 2013 wurde sie für ihre Berichterstattung zu Syrien ausgezeichnet.
NH: Geschichte im Fernsehen. Die Präsentation von Themen ist abängig von verschiedenen Faktoren, etwa der Quote. Vielleicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht ganz so entscheidend, aber unterlag Ihre Arbeit jemals diesem Einfluss oder waren Sie frei und unabhängig zu entscheiden, welche Themen Sie wie bearbeiten?
GK: Zum einen war ich in meinen Entscheidungen wegen des Programmes wirklich völlig frei. Keiner hat mir reingeredet. Kein politischer Druck, kein Druck von Außen, dafür war ich sehr dankbar. Was nun die Rücksicht auf die Quoten betrifft, so ist es natürlich wenn man einen Programmzeitpunkt erhalten hat, der um 20:15 Uhr liegt, also die beste Zeit im Hauptprogramm, eigentlich selbstverständlich, dass man schaut, dass man möglichst viele Zuschauer bekommt.
Nicht nur die jenigen, die eh schon alles wissen oder zu wissen glauben, sondern auch die jenigen, die durch die Art der Filme für etwas interessieren kann. Und wenn diese Art so ist, dass sie nicht nur Insider abholt, sondern auch z.B. den Arbeiter, der abends müde von der Werkbank kommt und eigentlich Unterhaltung sehen will, aber von der Art des Gebotenen, die Spannung, die Emotion, so gefesselt wird, dass er dran bleibt, hat der Autor des Filmes die Chance Informationen zu liefern.
Guido Knopp über "Meine Geschichte".
NH: Sie haben das gemacht, in dem Sie teilweise neue Stilmittel für Dokumentationen verwendet haben, die es so vorher zumindest hierzulande nicht gab und wurden dafür des Öfteren auch kritisiert.
GK: Die Stilmittel, die ich verwendet habe, waren einerseits bekannte, die ich nur perfektioniert hatte. Historisches Material ist das Eine bei historischen Dokumentationen, Zeitzeugen sind das Andere. Ich habe sie nur anders dargeboten. Perfekter geschnitten, perfekter kommentiert. Was neu war, was wir als erste gemacht haben, dass wir Spielszenen in Dokumentationen integriert haben, sogenannte. Reenactments.
Da wurden wir am Anfang von den Althergebrachten, die gewohnt waren, dass Dokumentationen dies nicht machen dürfen, natürlich dann und wann kritisiert. Das hat sich aber durchgesetzt. Wir waren die Pioniere und haben das weltweit verbreitet. Unsere Filme wurden weltweit vertrieben und verkauft. Heute ist das ein Stilmittel, was überall angewandt wird und das auch anerkannt ist.
Wenn Sie Sachverhalte haben, zu denen Sie keine Bilder besitzen, die aber bekannt sind, dann ist es völlig legitim, wenn Sie das sehr gut inszenieren und die dokumentarischen mit den Spielsequenzen ergänzen. Das ist eine Fortführung der Dokumentation.
NH: Ein anderer Kritikpunkt waren die anzahlmäßig vielen Dokumentationen zum „Dritten Reich“, aber es gab ja auch andere Themen, wozu etwas gemacht wurde. Gab es irgendeinen Plan, ein Schema, welche Themen aufgearbeitet werden sollten?
GK: Ich hatte die Zuständigkeit in meinem Sender für das gesamte 20. Jahrhundert. Und wenn man das hat, darf man keinen Bogen um das sogenannte „Dritte Reich“ machen. Es war natürlich, vor allem in den Jahren zwischen 1995 und 2005 ein Schwerpunkt, nicht der einzige Schwerpunkt.
Und ich habe mir gesagt: Wenn ich das Thema behandle, will ich es systematisch angehen. Ich habe angefangen mit einer Serie über den Tyrannen an der Spitze „Hitler – Eine Bilanz“, wie in der Form einer Pyramide. Dann die zweite Stufe der Pyramide „Hitlers Helfer“, „Hitlers Generäle“ und am Ende die Basis der Pyramide, die Phänomene der Tyrannei.
Hitler – Eine Bilanz von Guido Knopp
Autor: Guido Knopp Titel: Hitler - Eine Bilanz Seiten: 320 ISBN: 978-3-442-15352-7 Verlag: Goldmann
Das sind zunächst die Hitlerjugend, die SS, der Holokaust, das sind Flucht und Vertreibung und der Bombenkrieg als Phänomene der Zeit. Das war die Phase zwischen 1995 und 2005. Danach war das für uns zwar noch nicht auserzählt, aber die Systematik war in diesem 10-Jahres-Rythmus schon ganz bewusst gewollt. All die anderen Themen kamen immer wieder dazu.
Bei den Monarchien war es so, dass ich gesagt habe: Wir brauchen für den Sommer in unserem Programm ein leichteres Thema und da bot sich das Thema -Monarchie- an, was ja nicht nur ein Bunte-Blätter-Thema ist.
Man hat dort auch eine historische Relevanz, denn all diese Königshäuser leben ja nur, weil sie ihre Untertanen, ihre Bevölkerung, mitnehmen und das Gefühl geben, dass die Geschichte diese royalen Themen und Traditionen in das Volk hineinträgt und das Volk dadurch Identität gewinnt.
NH: Sie haben dadurch natürlich viele Zeitzeugen befragt, nehmen wir z.B. Für die Reihe „100 Jahre – Der Countdown“, bei der ich mich immer noch ärger, dass sie nicht vollständig auf DVD vorliegt (so im Nebensatz gesprochen)…
GK: Darf ich erzählen, woran das liegt?
NH: Ja, bitte.
GK: Dass liegt daran, dass wir 75 Prozent der Sendung mit einer Produktionsfirma produziert haben. 25 Prozent sind Eigenproduktionen und der Produzent hatte das Recht, die Produktionen, die er gemacht hat, auf DVD zu vertreiben, aber die 25 Prozent, die wir selber hergestellt haben, eben nicht. Ich gebe Ihnen den Rat: Wenn diese Sendung demnächst wieder bei Phoenix läuft, die gesamten 20 Stunden aufzunehmen.
Inzwischen legendär.
Die 1000 minütige Dokumentation "100 Jahre - Der Countdown"
NH: Ich hatte einen Geschichtslehrer, der diese Dokumentation verwendet hat, um uns Schüler dafür zu begeistern. Woher kommt Ihre Begeisterung für Geschichte.
GK: Das höre ich vielfach. Das ist eine Sache, die schon lange in meiner Jugendzeit zurückliegt. Ich hatte eine Familie, die natürlich von der Geschichte berührt war, wie so viele deutsche Familien. Väterlicherseits kommt meine Familie aus Oberschlesien, von Flucht und Vertreibung betroffen. Das war ein Thema, wenn man als Kind die Großeltern besuchte.
Ich hatte aber auch einen exzellenten Geschichtslehrer, der schon in den 60er Jahren etwas getan hat, was andere auch hätten tun können, aber nicht getan haben. Er benutzte die Medien der damaligen Zeit, als da waren Tonbänder, Schallplatten und Filme, die man von den Landesfilmbildstellen ausleihen konnte. Das hat er alles im Unterricht eingesetzt.
Meine Geschichte von Guido Knopp
Autor: Guido Knopp Titel: Meine Geschichte Seiten: 320 ISBN: 978-3-570-10321-0 Verlag: C.Bertelsmann Rezension: hier klicken
Und das war natürlich eine spannende bildkräftige Geschichte. Wir haben uns auf diesen Unterricht immer extrem gefreut. Das hat meinen latenten Wunsch, dieses Fach später selber mal zu studieren, sehr beflügelt. Ich habe dann auch Geschichte und Politik studiert.
NH: Später haben Sie dann für die Dokumentationen Zeitzeugen befragt, normale Menschen aber auch prominente. Gab es da besonders beeindruckende Begegnungen?
GK: Das kann ich gar nicht sagen. Es waren oft ganz einfache Menschen, die von Wendepunkten ihres Lebens erzählten, die erzählt haben, wie Geschichte in sie eingegriffen hat, Erlebnisse im Holokaust, von Flucht und Vertreibung. Das waren sehr beeindruckende Begegnungen, gerade wenn es um Kinderschicksale ging.
Die Befragung von Zeitzeugen mündete u.a. in den Projekt "Gedächtnis der Nation". Im Zeitzeugen-Portal werden die Berichte von Zeitzeugen, berühmt oder nicht, gesammelt. Zeitzeugen-Portal.de - Gedächtnis der Nation.
Wenn ich jetzt an prominente Zeitzeugen denke, dann war es immer sehr eindrucksvoll etwa mit Simon Wiesenthal zu sprechen. Ich habe mit ihm acht Stunden aufgenommen. Ich habe mit Hans-Dietrich Genscher neun Stunden aufgenommen, über die Facetten seines Lebens. Davon wurde eine Stunde gesendet. Die gesamten neun Stunden lagern noch, sorgfältig archiviert, in unserem Filmarchiv. Und ich habe auch sehr oft mit Helmut Kohl gesprochen, über die Hintergründe der Wiedervereinigung.
Das war sehr interessant, weil er sehr offen über die Frage gesprochen hat, dass wir letzten Endes doch ziemliches Glück gehabt haben, denn dieser Prozess war zeitweise sehr gefährdet. Es gab schon im Sommer 1990 einen sehr ernsthaften Putschplan gegen Gorbatschow. Die selben Leute, die dann 1991 diesen tatsächlich durchgezogen haben, den Jelzin dann niedergeschlagen hat.
Die wollten Gorbatschow von der Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte in die DDR einladen, um ihn dort zu verhaften, um einen Marshall der Sowjetunion an seine Stelle zu setzen. Im letzten Augenblick ist der Marshall, der dafür vorgesehen war, Sergei Achromejew, abgesprungen, da er kalte Füße bekommen hat. Wenn der Putsch tatsächlich Erfolg gehabt hätte, hätten wir die Wiedervereinigung vergessen können und deshalb sagt Helmut Kohl, nicht zuletzt wegen solcher Dinge haben wir enorm viel Glück gehabt.
NH: Für Ihre Arbeit mussten sie teilweise sehr ungewöhnliche Wege gehen. In dem Buch ist eine Episode erwähnt, wo Sie Staubsauger in den Kreml transferieren mussten.
GK: Das war die Frage, ob wir im Kreml eine Diskussion aufzeichnen durften. Es war die Situation der späten 80er Jahre, als wir im ZDF mit dem sowjetischen Fernsehen sehr viel gemeinsam produziert haben. Das war eine besondere Zeit der deutsch-russischen Beziehungen, die später leider versandet ist. Eine dieser Diskussionen wollte ich im legendären Katharinensaal des Kreml aufzeichnen, wo der Vertrag Brandt-Breschnew 20 Jahre vorher unterzeichnet worden war.
Und das wollte man zuerst nicht, denn der Katharinensaal ist heilig, und wir haben lange verhandelt. Die Verhandlungen waren zäh, und irgendwann flog ein Engel durch den Raum. Wir haben eher durch Zufall die Russen gefragt, sagt mal Leute, können wir euch irgendwie behilflich sein? Braucht ihr irgendetwas? Dazu muss man wissen, dass es in der Sowjetunion damals eine regelrechte Wirtschaftskrise gab.
Sie überlegten einen Moment, schauten sich an, schauten uns an. Dann sagten sie, wenn Sie uns so fragen, wir bräuchten Staubsauger. Gesagt, getan. Wir haben eine Luftbrücke gebildet, von Frankfurt nach Moskau, und haben 20 nagelneue Staubsauger der Marke Kärcher, der Name sei genannt, in den Kreml transferiert. Die Diskussion fand statt. Man sieht, was Staubsauger positiv für die deutsch-russischen Beziehungen leisten können.
Guido Knopp: "Wir haben 20 Staubsauger in den Kreml transferiert."
NH: In Anbetracht der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen, in der Politik, stellt man sich die Frage, ob man wieder mehr Geschichte im Fernsehen braucht. Ist dem so?
GK: Wenn Sie einen Historiker fragen: Natürlich brauchen wir mehr Geschichte im Fernsehen. Alle sollten über Geschichte etwas wissen. Nicht nur über die Geschichte des sogenannte „Dritten Reiches“, aber vor allem auch, denn man wird ja doch außerhalb der Landesgrenzen immer wieder gelegentlich konfrontiert. Wie hältst du es denn damit? Wie stehst du denn dazu?
Das muss jeder eigentlich wissen. Ich sage: Es gab 1933 keine Einbahnstraße in den Nationalsozialismus. Vieles war so angelegt, dass es dazu kommen konnte, aber es hat nicht zwangsläufig dazu kommen müssen. Es hätte durchaus anders kommen können, wenn die Handelnden, die Verantwortungsträger von Weimar, anders gehandelt hätten. Die Möglichkeiten hätten sie gehabt. Wenn es aber dazu gekommen und die Tyrannei schon angelaufen ist, wenn man sich dann dazu bequemt und abnickt, einem Ermächtigungsgesetz zustimmt, dann ist es schon zu spät.
Die Lehre heißt: Wehret den Anfängen. In der Nachschau muss man sagen, und das hat mir Simon Wiesenthal gesagt, Schuld ist nie kollektiv, für nachfolgende Generationen nicht. Schuld ist immer individuell, aber Verantwortung ist es. Und daher haben wir als nachfolgende Generationen dafür zu sorgen, dass so etwas zumindest in unserem Lande nie wieder passiert.
NH: Die Dokumentationen wurden ja nicht nur hier gerne gesehen, auch im Ausland. Wie waren da die Reaktionen?
GK: Sehr positiv, und auch mit Genugtuung, dass endlich einmal Filme über das sogenannte „Dritte Reich“ aus Deutschland kamen. Als wir anfingen, hatte die BBC global betrachtet fast schon ein Alleinvertretungsrecht für dokumentarische Darstellung von Geschichte, nicht zuletzt deutscher. Wir fanden, dass das gar nicht geht.
Wir sind selbst verantwortlich für die Darstellung von Geschichte und müssen uns selbst kümmern. Man war wirklich froh, dass wir das getan und große Serien gemacht haben. Die Tatsache, dass diese Serien zum Teil in über 150 Ländern gelaufen sind, ist ein Indiz dafür, dass dieser deutsche Zugang für Darstellung von Geschichte international angekommen ist.
Es war am Anfang so, dass das Interesse sich auf die Thematik „Drittes Reich“ konzentrierte. Es hat ein wenig gedauert, bis ich unsere Partner dazu bewegen konnte, sich auch für andere Themen der deutschen Geschichte zu interessieren. Ich erinnere mich noch, wie ich meinen Freund Charlie (Nachname fehlt), den Chef des History Channel, dazu zu überreden versuchte.
Wir haben so gute Serien jenseits der Nazizeit, etwa über die Geschichte der Bundesrepublik, die Geschichte der Bundeskanzler. (Charlie) How boring, Guido! Wie langweilig. What’s your next Hitler-project? Das war so eine Phase. Gott sei Dank hat sich das gelegt und sie haben allmählich auch andere Serien genommen, unsere Reihe über die Geschichte der Deutschen, wo wir aus dem Ghetto des 20. Jahrhunderts ausgebrochen und bis ins 10. Jahrhundert vorgedrungen sind und die Geschichte von den Anfängen bis heute erzählt haben.
NH: Das war eine Reihe, mal komplett mit Spielszenen.
GK: Nicht komplett, es gab Historiker-Kommentare, aber wenn Sie außerhalb des 20. Jahrhunderts etwas machen möchten, müssen Sie Spielszenen verwenden. Es gibt ja nichts anderes. Die müssen auf einem sehr hohen Niveau sein, dass sie vom Publikum angenommen werden. Wir haben da ein wenig Geld in die Hand genommen und es so gemacht, dass das alles sehr Prime-Time-fähig ist. Es ist sehr gut angenommen worden. Man sah schon bei der ersten Folge, über „Otto und das Reich“, da hatten wir 6,5 Millionen in der Spitze und das war ein großer Erfolg.
NH: Zur Prime Time läuft ja oft ein Krimi oder ein Tatort und dergleichen. Da ist es doch an sich ein Wagnis, eine Dokumentation zu bringen. Wie war die Zuschauerstruktur?
GK: Einer meiner Chefredakteure, Nikolaus Brender, hat mal gesagt, das ZDF wird durch Geschichte jung. Er hat das deshalb gesagt, da unser Zuschauerschnitt jünger war als der des ZDF im Allgemeinen. Es ist ja ein Phänomen von ARD und ZDF, dass wir ein relativ altes Publikum haben. Alt im Sinne, so ab 65 Jahre.
Wir hatten teilweise einen Schnitt ab 59 Jahren und jünger, eine deutliche Verjüngung. Und wir hatten auch in der Gruppe der 14 bis 49-jährigen mehr Zuschauer als es das ZDF im Allgemeinen hatte. In sofern ist das ein Indiz, dass wir die Zuschauer von 8 bis 99 Jahren interessieren wollten, die Hundertjährigen natürlich auch, relativ nah herangekommen sind. Nicht nur, was die Altersstruktur betrifft, sondern auch die Bildungsstruktur.
NH: Für die Dokumentationen haben Sie mit Wissenschaftlern, Historikern zusammen gearbeitet. Sind Sie manchmal Gefahr gelaufen, es zu wissenschaftlich zu gestalten?
GK: Es war von Anfang an mein Ansatz, nicht in diese Falle zu tappen. Wissenschaftler als Berater haben bei einem Film nur zwei Mal eine wichtige Aufgabe. Wenn es am Anfang darum geht, ein Drehbuch anzuschauen und abzunehmen, und Fehler zu korrigieren. Und dann drehen die Teams und dann nehme ich später den Rohschnitt ab, und kläre den Kommentartext ab.
Wenn der abgenommen ist, geht der wieder an die wissenschaftlichen Berater, und die schauen, ob der Kommentar verifiziert ist, mit den wissenschaftlichen Kenntnissen übereinstimmt. Das hat wunderbar geklappt. Bei „Die Deutschen“ war es so, dass wir aufgrund mangels Zeitzeugen, Wissenschaftler auch im On (Einspieler mit Interview) integriert haben, für kurze Statements zu bestimmten Sachverhalten der Geschichte. Das war eine Ausnahme.
Spielszenen machen in Dokumentationen Geschichte begreiflich.
NH: Es bleiben zahlreiche Dokumentationen. Welche hätten Sie gerne noch gemacht?
GK: Wenn Sie mich so fragen, dann sage ich: Was ich nicht gemacht habe, und zwar aus verschiedenen Gründen, ist eine große Geschichte der Bundesrepublik ab 1945.
Ich habe eine Serie über Kanzler gemacht, und viele Einzeldokumentationen für das Spätabendprogramm „ZDF History“, aber eine groß angelegte Geschichte, 14-18 teilige Reihe, habe ich nicht gemacht, weil wir genau wussten, von den Vorhersagen, der Medienforschung, dass ist auf einem Prime Time Termin nicht präsentabel.
Das wird nicht genügend Zuschauer haben. Das kann man machen, bei einem Spätabendtermin oder bei unseren Tochtersendern, wie Phoenix, für die ich immer noch aktiv bin. Die haben aber nicht die Mittel, die es braucht, um das hochattraktiv und groß zu machen. Es ist ein zweischneidiges Schwert, weshalb ich das nicht realisiert habe.
NH: Eine letzte Frage. Eine Zeitreise. Wo würden Sie gerne hinreisen, mit der Option natürlich, wieder zurückreisen zu können?
Guido Knopp: "Goethe und Napoleon. Mit der Medizin von heute."
GK: Ich würde gerne in die Zeit, Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, die Napoleonische Ära aber auch die Goethe-Ära. Da ist wahnsinnig viel passiert, in Deutschland, in Europa. Eine Umbruch-Zeit. Man sieht es an der Mode, die damals angesagt war, an den Möbeln. Ich sammle antike Möbelstücke und mich interessiert diese Phase, spätes Rokoko und Empire. Diese Zeit des Aufbruchs und Umbruchs zu erleben wäre natürlich reizvoll. Am liebsten in Weimar. Aber, und das mit einem großen Aber, mit den medizinischen Möglichkeiten von heute.
NH: Herr Knopp, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview ist redaktionell geschützt und darf ohne Genehmigung nicht vervielfältigt oder andersweitig verwendet werden. Die Rechte liegen bei C. Bertelsmann, Guido Knopp und findosbuecher.com
Der virtuelle Spendenhut
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Meine Geschichte
Guido Knopp
Biografie
C. Bertelsmann
Erschienen am: 13.11.2017
Hardocver
Seiten: 320
ISBN: 978-3-570-10321-0
Inhalt:
Mister History blickt zurück: Guido Knopp, der das neue Geschichtsfernsehen prägte und damit für Millionen Zuschauer zum wichtigsten Geschichtslehrer wurde, verknüpft pointiert und anekdotenreich zentrale gesellschaftliche und politische Entwicklungen der vergangenen sechs Jahrzehnte mit prägenden autobiografischen Stationen und persönlichen Erlebnissen.
Immer vor dem Hintergrund seines Lebensthemas, der deutschen Geschichte. Ein Buch nicht nur für seine Zuschauer und Leser, die ihm über Jahrzehnte treu geblieben sind. (Klappentext)
Rezension: Geschichte muss nicht trocken sein, nicht langweilig oder gar oberlehrerhaft rübergebracht werden, um ihrer gerecht zu werden. Im Gegenteil, ist sie doch in all ihren Facetten spannend und durchaus erkenntnisreich. Im Guten, wie auch im Schlechten.
Wenn es ein Fazit bedarf, welches man aus Guido Knopps Arbeit ziehen darf. Lehrer setzen seine Dokumentationen im Unterricht ein, Wiederholungen einzelner Senderreihen bringen den Schwestersendern des ZDF immer noch gute Quoten, DVD-Verkäufe inmmer noch ordentliche Ergebnisse.
Doch, wer war der Mann, der als Initiator hinter all den Dokumentationen steckte, dem oft vorgworfen wurde, zweifelhafte Personen der Geschichte zu verherrlichen, der neue Dokumentationstechniken anwendete, die heute zum Standard gehören und das Geschichtsverständnis nun schon mehrerer Generationen zumindest mitprägte? Wer war Mr. History?
Erzählt wird seine Geschichte nun von ihm selbst. In seiner Biografie „Meine Geschichte“ zeichnet Guido Knopp, gespickt immer wieder mit amüsanten Anekdoten, sein Leben nach und immer wieder auch ein Stück Fernsehgeschichte des ZDF.
Er berichtet von dem Aufbau seiner Redaktion bis zur Gestaltung der ersten Sendungen, gibt Einblick in den Aufwand, der hinter all den zahlreichen Dokumentationen steckt und wirft einen humorvollen Blick auf seine Kritiker, die ihm seine Erfolge mitunter neideten.
Er beschreibt das Wie und Warum, erklärt, wie Neuerungen in der fernsehtechnischen Gestaltung zunächst das Feuilleton althergebrachter Zeitungen verärgerte, und es zum Ruf der „Verknoppung“ der Geschichte kam.
Kurzweilig und spannend, wie auch seine Beiträge, seine Dokumentationen zur deutschen Geschichte ist auch seine eigene. Wer „Fan“ seiner Arbeiten ist, empfiehlt sich die Lektüre ohnehin, wer Kritiker ist, dem sei „Meine Geschichte aus dem C.Bertelsmann-Verlag ebenfalls ans Herz gelegt.
Wie entstanden bestimmte Sendungen, welcher Aufwand, der für den Zuschauer so nicht sichtbar ist, musste betrieben werden, um Sendereihen zu komplizierten Themen zu füllen, gerade wenn die Türen sich nur per Staubsauger öffnen ließen (sinnbildlich gesprochen)?
Wo waren die Grenzen der ZDF Redaktion Zeitgeschichte und wie die Resonanz in Deutschland, Europa und der Welt? Welche Historiker arbeiteten im Hintergrund mit, welche historischen Persönlichkeiten, von Berühmt bis zum zufällig gewesenen Zeitzeugen gaben Einblicke in die Geschehnisse?
Guido Knopp erinnert sich und kann sich damit getrost einreihen, in die Aufzeichnungen der Gespräche, die er und sein Team mit den verschiedensten Interviewpartnern geführt haben.
Das Kind des Wirtschaftswunders, welches die brotlose Kunst der Geschichte studierte, und diese selbst so spannend zu erzählen wusste, wie einst sein Lehrer auf seinem Gymnasium und sich damit um seiner Lieblingsthematik verdient machte.
Interessenten, die nicht zuletzt ein Stück Fernsehgeschichte nachempfinden und einen Blick hinter die Kulissen werfen möchten, und auch sonst, eine unbedingte Leseempfehlung. Geschichte ist spannend wie ein Krimi und es unbedingt wert, sie zu erzählen.
Was ist eigentlich "Verknoppung"?
Guido Knopp setzte als einer der ersten Spielszenen ein, wo historisches Filmmaterial nicht ausreichte, bestimmte Ereignisse der Geschichte darzustellen. Heute ein gängiges Mittel in den Fernsehtechniken unserer Zeit, war dies damals noch eine neue ungewohnte Technik.
„Nicht authentisch“, lautete das Urteil einiger großer Zeitungen. Zudem wurde Geschichte erstmals nicht nur chronologsich erzählt, sondern anhand von bestimmten Ebenen (z.B. anhand von Personenhierarchien), um eine bessere Nachvollziehbarkeit zu gewähren. Auch dies damals ein Novum.
Zudem wurde historisches Filmmaterial mit Kommentaren unterlegt, Personen nicht vor wertenden, sondern neutralen Hintergründen interviewt.
Auch dies, und die Präsentation geschichtlicher Themen, nicht „oberlehrerhaft“, zur Primetime, um für Aufklärung Reichweite zu bringen, brachten Guido Knopp und seiner Redaktion bestimmte Kritiken ein. Andere, wie Johannes Rau oder Simon Wiesenthal lobten Knopp für seinen Beitrag zum Geschichtsverständnis seiner Zuschauer.
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Autor: Guido Knopp wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Journalist, Historiker, Publizist und Moderator. Nach der Schule studierte er Geschichte, Politik und Publizistik und arbeitete zunächst als Redakteur verschiedener Zeitungen.
So war er u.a. für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und der „Welt am Sonntag“ tätig. 1978 wechselte er zum ZDF und leidete ab 1984 die von ihm initiierte Redaktion „Zeitgeschichte“. Neben der Podiumsdiskussionsreihe „Aschaffenburger Gespräche“ verantwortete er zahlreiche Dokumentationsreihen zur deutschen Geschichte.
Seit 2010 ist er Vorsitzender des Vereins „Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation.“ Guido Knopp erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. die „Goldene Kamera“ oder den „Emmy“. Er lebt mit seiner Familie in Mainz.
Lenin – Ein Leben
Victor Sebestyen
Rezensionsexemplar/Sachbuch
Rowohlt
Erschienen am: 18.08.2017
Hardcover
Seiten: 702
ISBN: 978-3-87134-165-0
Übersetzer: (u.a.) Norbert Juraschitz, Karin Schuler
Inhalt:
Wladimir Uljanow wurde Lenin. Doch, wer war der Mensch, der als junger Erwachsener begann, den Zaren zu hassen und schließlich half, eine Jahrhunderte alte Dynastie zu stürzen, ihre Vertreter zu ermorden? Wer war der Machtmensch, der skrupellos all jene beseitigte, die sich ihn und seinen höeren Zielen in den Weg stellten, gleichzeitig aber auch Hypnotiseur der Massen und vor allem, der ihn umgebenden Frauen?
Wer war der Revolutionsführer, dessen Ideen und Gedanken auch heute noch eine Rolle im Wirken der Politiker des größten Landes der Erde spielen, dessen Leichnam aufgebahrt eine Nachricht aus einer anderen Epoche ist.
Der Mann, der in Zeiten des Exils viele Namen hatte und schließlich mit Arbeitermütze bekannt, geliebt und gefürchtet wurde. Ein beeindruckendes Portrait, geschrieben von Victor Sebestyen. (eigene Inhaltsbeschreibung)
Rezension:
Nur wenigen ist es vergönnt, die politische Landschaft nachhaltig zu gestalten. Zum Glück, möchte man meinen. Für einige Protagonisten des vergangenen Jahrhunderts gilt dies ganz besonders. Lenin, was ursprünglich nur der Deckname von Wladimir Uljanow gewesen ist, gehört ganz sicher dazu. Doch, wer war er eigentlich?
Ein besonderer Mensch, nur für besondere Zeiten oder schon vohrer, bevor er eine entscheidende Rolle in der russischen und der Weltpolitik spielte, ein großer, genialer aber auch brutaler Kopf?
Victor Sebestyen hat sich auf Spurensuche begeben. In der Schweiz, in Frankreich, den USA und Russland, hat er den Menschen zu ergründen versucht, dem es gelungen ist, die Welt poltiisch für lange Zeit zu prägen. Bis über seinen Tod hinaus.
Herausgekommen dabei ist ein eindrucksvolles Portraits eines konsequenten Menschens, ebenso genial wie erschreckend brutal in seinem Denken und seinen Entscheidungen.
Beginnend von der Kindheit an, verfolgt der Leser das Werden des Revolutionsführers und Diktators, dem ein noch schlimmerer folgen sollte, der Zehntausende auf den Gewissen hatte, der dennoch geistig hoch gebildet und Sinn für das Schöne hatte. Von Literatur, über Frauen bis hin zu Katzen.
Dicht recherchiert, bassierend auf unzähligen Tagebucheinträgen, Berichten von Zeitzeugen, die ihre Erinnerungen festgehalten hatten, Brief- und Schriftwechsel ist mit „Lenin – Ein Leben“ ein sehr gutes ausgewogenes Sachbuch erschienen, welches das Zeug hat, zur Standardliteratur im Bereich der Leninschen Personengeschichte zu werden.
Wenn schon nicht in Russland, dann zumindest in Europa.
Historische Zusammenhänge werden so einfach wie nötig, so detailreich wie möglich geschildert, so dass auch noch nicht Informierte damit beginnen können, sich mit diesem Teil der Geschichte zu beschäftigen.
Vorwissen oder zumindest Interesse sei aber empfohlen, anderenfalls erfordert die Lektüre sonst eine zu hohe Konzentration. Wobei davon abzuraten ist, weitere (auch verschiedene) Literatur parallel zu lesen. Doch, der Autor lädt dazu ein, sein Wissen zu erweitern.
Den Laptop oder das Handy sollte man vielleicht griffbereit haben, um verschiedenen Ereignissen näher auf die Spur zu kommen, Personengeschichte dort zu sichten, wo das dennoch sehr ausführliche Personenregister mit den hilfreichen Kurzbiografien nicht weiterhelfen kann.
Klar strukturiert, sind die Kapitel sehr faktenreich, dennoch kurzwelig, so dies in einem ernstzunehmenden Sachbuch möglich ist, und sehr dicht geschrieben. Vom Informationsgehalt und der Schrift her (besonders auf die Zitate, Übersetzungshinweise und Fußnoten bezogen).
Wer Probleme damit hat, sollte zum E-Book greifen. Alle anderen werden sich eine ansehnliche und lesenswerte Biografie ins Regal stellen können, die in jeder Hinsicht beeindruckt. Die Recherchearbeit des Autoren merkt man in jedem Satz.
Am Ende jedenfalls ist man schlauer als vorher, geht mit einer sehr viel kritischeren aber auch differenzierteren Sichtweise aus der Lektüre und mag spätere geschichtliche Abläufe in Russland bzw. das noch immer vorhandene Denken mancher Moskauer Politiker und auch sonst, besser nachvollziehen. Victor Sebestyen schafft dies bravourös.
Autor:
Victor Sebestyen wurde 1956 in Budapest geboren und ist ein britischer Journalist und Historiker. Seine Eltern emigrierten nach der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstandes nach England.
Sebestyen arbeitete als poltischer Journalist für verschiedene britische und amerikanische Zeitungen, bevor er 2006 sein erstes Buch veröffentlichte. Der Autor ist Mitglied des Think Tank Wilton Park. Er lebt in London.
Ein Sack voll Murmeln
Joseph Joffo
Übersetzer: L. van Versen/Ingola Lammers
Erfahrungsbericht
Verlag ullstein
Erschienen am: 11.08.2017
Taschenbuch
Seiten: 335
ISBN: 978-3-548-29026-3
Inhalt: Zwei Jungen fliehen durch das kriegsversehrte Frankreich: Die beiden Brüder Joseph und Maurice sind zehn und dreizehn Jahre alt, als sie sich 1942 auf die Flucht aus Paris begeben.
Mit fünfzig Francs in der Tasche schlagen sie sich durch in die noch freie Zone, entkommen der Gestapo, verlieren ihre Familie – und nehmen sich in den trübsten Stunden Zeit für ein kleines Fußballmatch, zum Murmelspielen oder für trickreiche Schwarzmarktgeschäfte. Die einzigartige Geschichte zweier Jungen, die sich – um eine unbeschwerte Kindheit gebracht – immer ihren Galgenhumor bewahren. (Klappentext)
Rezension: Ein Sack voll Murmeln wird eingetauscht gegen einen gelben Stern, den Joseph sich von seinem Hemd reißt. So verabschiedet sich der Zehnjährige von seinem besten Freund, ohne es zu wissen. Es ist einer seiner letzten Tage in Paris, einer der letzten seiner Kindheit. Die Vorzeichen richtig deutend, schickt der Vater seine Söhne alleine los, in die freie Zone, wo die Nazis noch keine volle Kontrolle haben. Mit fünfzig Francs in der Tasche machen sich die beiden Brüder auf eine Reise ins Ungewisse.
Im Nacken die Angst vor Enttarnung, Entdeckung und den Häschern der Nazis und Kollaborateuren. Die Flucht gelingt. Doch, auch die Tage der freien Zone sind gezählt. Bald finden sich Joseph und Maurice wieder, direkt in der Hölle. In den Fängen der Gestapo.
Erlebte Geschichte zählt zu den spannendsten Stücken, die es zu erzählen gibt, auch wenn man hier dem Autor wünschen würde, er hätte dies nicht am eigenen Leib erfahren müssen. Doch, es ist seine und die seines Bruder Flucht vor den Nazis, von denen Joseph Joffo erzählt. Standartlektüre in französischen Schulen, die jetzt erneut für’s Kino adaptiert und neu übersetzt wurde.
Der Autor berichtet von den Ereignissen, die zu seiner Flucht von der besetzten Hauptstadt an der Seine führten, bishin zum sicher geglaubten Ziel, welches sich beinahe als tödliche Falle erweißen sollte. Mit nachdenklichen Ton berichtet er, aus Kindessicht, von menschlicher Grausamkeit, tiefer Angst und dem kleinen Glück inmitten von Terror und Zerstörung von Leben.
Menschen, die ihn Böses wollten, Menschen, die ihn aus unerfindlichen Gründen halfen, werden messerscharf und überlegt portraitiert.Der Leser nimmt beinahe die Stellung Joffos ein. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn der SS-Offizier den Zehnjährigen zum ersten, zweiten, dritten und vierten Verhör schleift, wenn der Zug für eine Razzia angehalten wird und es nicht die Jungs trifft, sondern eine bemitleidenswerte Frau, wenn mühsam aufgebautes Glück im nächsten Moment wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.
Den Tränen wird der Leser an manchen Stellen nah sein, an anderen sich das Lachen kaum verkneifen können. In dichter Abfolge sind die Ereignisse beschrieben, eben so wie diese in der Wahrnehmung des Kindes Joseph passierten.
Der einfühlsame Schreibstil, der sich an Erwachsene und jugendliche Leser gleichermaßen richtet, bringt diese besondere Kindheitsbiografie nahe, die sich einreiht in die schriftlichen Hinterlassenschaften etwa Anne Franks oder Petr Ginz‘. Diesmal in Romanform verpackt bleiben der Nachwelt erneut Erinnerungen an dunkle Zeiten erhalten, denen man sich nicht entziehen kann. Man lebt und leidet mit den Kindern Joseph und Maurice, möchte sie schützen und ihnen all das Leid und die Angst ersparen, die ihnen widerfährt.
Eine Kindheitsbiografie, welch Wort, gegen das Vergessen. Sie sticht heraus, da es sich hier um eine der wenigen französischen Erinnerungsaufzeichnungen handelt, die für den deutschsprachigen Markt übersetzt wurden. Wie in den Niederlanden und Deutschland Anne Frank hat Joseph Joffo für sein Land eine ähnliche Bedeutung. Diese sollten wir ihm auch hier messen.
Autor: Joseph Joffo wurde 1932 in Paris geboren und floh als Kind vor den Häschern der Nazis in die freie Zone Frankreich, wo er nur knapp der Gestapo entkam. Er schrieb 1971 seine Kindheitserinnerungen auf, die ein wenig später verfilmt wurden und auf den Bestsellerlisten Frankreichs zu finden waren. Für das Kino wurde das Buch erneut verfilmt, 2017, und ins Deutsche übersetzt. Seiner Familie gehören mehrere Friseursalons in Paris.
Verfilmung 2017: Die Neuverfilmung ist dem Autoren, so schreibt er in einem Nachwort zur Neuauflage, lieber als die erste aus den 70er Jahren. Der Vater wird korrekter dargestellt, die Ereignisse sind ehrlicher, was heißt, härter dargestellt als im ersten Film.
Eben so, wie sie von Joseph Joffo wahrgenommen wurde. Es sei zudem gesagt, dass Christian Duguay für seinen Film einen großartigen Cast organisierte. Allen voran Dorian Le Clerch als Joseoph Joffo spielt mühelos auf Augenhöhe mit den Erwachsenen, die nicht nur im französischen Kino bekannt sind.
Wir sind die Adler
Michael Gruenbaum/Todd Hasak-Lowy
Roman/Jugendbuch
Rowohlt Kindler
Erschienen am: 22.04.2017
Hardcover
Seiten: 346
ISBN: 978-3-463-40679-4
Übersetzer: Jan Möller
Inhalt:
Michael -Mischa- erlebt eine behütete Kindheit in Prag. Er spielt gern Fußball, der Vater ist ein erfolgreicher Anwalt. Doch als Mischa gerade acht Jahre alt ist, marschieren die Deutschen ein. Die Repressionen nehmen zu, bis zur Gründung des Prager Ghettos, in dem Mischa mit seiner Familie landet.
Aber das ist nicht die Endstation: 1942 wird er mit Mutter und Schwester ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Dort lebt er mit vierzig anderen Jungen in einem Schlafsaal unter der Leitung von Franta, der die Jungen heimlich unterrichtet – vaterfigur, Beschützer und Mentor zugleich.
Die Kinder bilden eine verschworene Gemeinschaft, viele wachsen Mischa ans Herz wie Brüder. Doch über allen schwebt stehts die Angst, in einem der Züge gesetzt zu werden, die an einen Ort namens Auschwitz fahren… (Klappentext)
Rezension:
Genreübergreifende Werke haben das Zeug dazu, etwas weiter oben auf den Bücherstapeln der Läden zu landen, gerade wenn sie eine beeindruckende Geschichte zur Grundlage haben. Und so liegt mit „Wir sind die Adler“, ein beeindruckendes Werk aus dem Kindler-Verlag vor, welches sowohl eine Kindheitsbiografie, Zeitgeschichte, Kriegsroman und Jugendbuch darstellt.
Eines, dass es in sich hat. In Romanform erzählt wird die Geschichte von Michael Gruenbaum, der als Junge in Prag aufwächst, seine Eltern gehören zu den angesehenen Familien der tschechoslowakischen Hauptstadt, als die Nazis einmarschieren.
Sofort gibt es überall Einschränkungen, Verordnungen, Verbote, die der anfangs achtjährige Junge nicht begreifen kann. Er ist Jude und damit plötzlich am Rande der Gesellschaft. Die Ausgrenzungen fangen beim Vebrot des betretens bestimmter Straßenzüge an, bishin zur Jagd über die selben durch Gleichaltrige.
Das Geld wird knapper, die Eltern verlieren ihre Arbeiten, schließlich wird der Vater mitgenommen. Mischa sieht später nur noch den Sarg auf der Beerdigung. Dann kommen Deportationsbescheide. Terezin, die große Unbekannte und auch dort wird das Leben ständig bedroht.
Der Junge findet sich schnell ein, zwangsläufig, doch spürt er, wie er immer mehr an den Rand des Todes rückt. Wahre Geschichte ist immer noch die eindrücklichste, besonders wenn sie in einem Zeitraum spielt, den wir nicht vergessen sollten.
Und, wenn sie gut erzählt ist. Michael Gruenbaums Kindheit aus den Erinnerungen aufgeschrieben, ausformuliert von einem der besten Jugendbuchautoren Amerikas, fesselt, fasziniert und stößt den Leser in die Abgründe menschlicher Grausamkeiten, die für die besetzten Völker Europas und besonders für die jüdischen Bürger der betroffenen Länder, Realität wurden.
Am Anfang nur Gerüchte, die kaum zu glauben waren, wurde bald den meisten Menschen klar, welches die Ziele der „Herrenmenschen“ waren. Hasak-Lowy und Gruenbaum beschreiben dessen Erlebnisse aus Kindessicht auf.
Der Junge muss in einem viel zu kleinen Körper zu schnell erwachsen werden und handeln, um zu überleben. Mehr als einmal kommt er nur um Haaresbreite mit dem Schrecken davon.
Der Leser spürt all die Ängste, die Unsicherheiten, die Verzweiflungen, wenn wieder einmal Freunde verschwinden, schlechte Nachrichten aus anderen lagern eintreffen oder der Hunger übermäßig wird.
Hasak-Lowy merkt man die gute Schreibarbeit, selbst in der Übersetzung, an. Auch die Rechercheleistungen sind großartig. Wer einmal die Schauplätze in Prag und Terezin besichtigt hat, kann sich sofort hineinversetzen, wer diese Orte noch nicht betreten hat, wird den Wunsch verspüren, den Jungen aus dieser Hölle herauszuholen.
Michael Gruenbaum erinnert sich und Hasak-Lowy hat ergänzt, hat ereignisse rekonstruiert und so findet der Leser, der sich schon länger mit den Kindern von Theresienstadt beschäftigt, Jungen wie Petr Ginz oder Zdenek Taussig wieder, durchleidet deren Schicksale.
Kinder sagen immer die Wahrheit, nehmen die Welt mit ihren Augen neugierig auf, haben Hoffnungen und Träume, finden das kleine Glück auch in schwersten Zeiten. Dies gelingt den Autoren zu zeigen und zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Werk, welches für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen gut lesbar und beeindruckend ist.
Wieder ein Stück Personengeschichte, welches für die Nachwelt unbedingt bewahrt werden muss. Mit der Veröffentlichung im englisch- und deutschsprachigen Raum ist schon mal ein erster Schritt getan.
Michael Gruenbaum und den vielen anderen Kindern in Theresienstadt, besonders denen, die es nicht geschafft haben, ist es zu wünschen, dass dieses Buch viele Leser findet.
Autoren:
Michael Gruenbaum wurde 1930 in Prag geboren, wo er bis zu seiner Deportation nach Thersienstadt (Terezin) mit seiner Familie lebte. Nach der Befreiung des Ghettos wanderte er 1950 in die USA aus, wo er studierte und zwei Jahre in der US-Army diente.
Er arbeitete im öffentlichen Dienst, gründete eine Beratungsfirma und engagierte sich im Bereich Stadtplanung. Noch bis in die 2000er Jahre gab es Wiedersehenstreffen der überlebenden Jungen aus Theresienstadt.
Todd Hasak-Lowy ist Kinder- und Jugendbuchautor. Er promovierte in Vergleichende Literaturwissenschaft auf der University of California, Berkeley, war zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann außerordentlicher Professor für Hebräisch und Literatur an der University of Florida.
Er gab diese Position auf und schrieb Romane, wie „Dass ich ich bin, ist genau so verrückt wie die Tatsache, dass du du bist“. Für die Kindheitsgeschichte von Michael Gruenbaum fungierte er als Co-Autor. Er übersetzt hebräische Werke ins Englische und gibt Kurse in Kreatives Schreiben an der School of Arts Institute in Chicago.
Mugabe – Ein afrikanischer Tyrann
Christoph Marx
Rezensionsexemplar/Biografie
C.H. Beck
Erschienen am: 29.08.2017
Taschenbuch
Seiten: 333
ISBN: 978-3-406-71346-0
Inhalt:
Robert Mugabe ist der ewige Diktator. Seit 1980 regiert er Simbabwe, das sich unter seiner Herrschaft von der Schweiz Afrikas in ein Armenhaus verwandelte. Die Korruption blüht, die Opposition wird unterdrückt. Sehr viel Blut klebt an seinen Händen.
Ungeschönt und anschaulich erzählt Christoph Marx das Leben dieses ebenso intelligenten wie skrupellosen Diktators, dem vom Anfang an jedes Mittel recht war, um seine alles überschattende Machtgier zu stillen. (Klappentext)
Rezension:
Ein unbekannter Fleck auf der Landkarte, zumindest für Nichtafrikaner, bildet sicherlich der direkte Nachbar Südafrikas. Während das Land am Kap nach dem Ende des Apartheidregimes sich zum wirtschaftlichen Tiger des Kontinents entwickelte, mit allen Stärken und Schwächen natürlich, macht Simbabwe anhaltend mit Negativschlagzeilen von sich reden.
Die Korruption blüht bis in die höchsten Ebenen, die Bevölkerung wird massiv unterdrückt, Folter und Gewalt sind an der Tagesordnung, Hunger und Krankheiten und eine am Boden liegende Infrastruktur (so überhaupt vorhanden) tun ihr Übriges. Wie konnte es dazu kommen?
Wie konnte ein Land mit allen Chancen und Möglichkeiten, nach der Übergabe der Macht durch die britischen Kolonialherren, sich zum Brennpunkt des südlichen Afrikas verwandeln und zum Symbolbild menschlichen Versagens werden?
Diesen Fragen geht Christoph Marx nach. Der anerkannte Historiker entwirft die Biografie dieses eigentlich faszinierenden Landes und analysiert den Werdegang eines Mannes, der vom Hoffnungsträger zum Totengräber wurde.
Robert Mugabe, einst Lehrer, nutzt Zufälle und Chancen und erlangt schließlich die volle Macht im Staate, setzt seine Vorstellungen von Politik um, die nur darauf abzielten, die absolute Kontrolle zu erlangen und erhalten, und steigt damit in eine Riege von Tyrannen auf, die ihres Gleichen suchen.
Wie konnte ein unerfahrener, anfangs unpolitischer und sehr intellignter Mensch, sich zum Despoten und Fanal eines ganzen Volkes entwickeln? Welche Mechanismen und Eigenheiten Simabwes nutzte Mugabe, um politische Gegner unter Kontrolle zu halten oder auszuschalten?
Warum waren oder sind die Regierungen der Weltgemeinschaft lange blind vor den Brutalitäten eines über die Jahre aufgebauten Terrorregimes und was kommt eigentlich nach Mugabe? Gibt es eine Zukunft für Simbabwe?
Christoph Marx‘ Analyse und Biografie spart nicht an Kritik und ist dabei sehr detailliert. Auf zahlreichen Quellen aufbauend und mit einer genauen Kenntnis der Situation in der Vergangenheit und Gegenwart zeichnet er den Weg Mugabes nach, der bezeichnend ist und stellt die Folgen in allen Facetten dar.
Da davon ausgegangen werden muss, dass dem gemeinen Leser die Ausgangssituation für Simbabwe und Mugabe selbst, nahezu unbekannt ist, wird diese kleinteilig, nie langweilig beschrieben.
Personengeschichte in ihrer spannensten Form, die zeigt, wie persönliche Ereignisse das Schlechteste im Menschen hervorbringen und sogar eine ganze Nation ins Unglück stürzen können.
Mugabes Bilanz, zeigt der Historiker, ist niederschmetternd. Die Biografie zeigt ihn, der Jahre lang als Hoffnungsträger gehandelt wurde, in einem kritischen und realistischeren Licht, welches man sich unbedingt vor Augen führen muss.
Der Diktator wird bald, mindestens biologisch bedingt, abtreten müssen. Kämpfe um seine Nachfolge sind längst entbrannt. Christoph Marx räumt schon jetzt mit so einigen geschönten Bildern auf und zeigt Mugabe, wie er zu dem wurde, was er ist. Ein afrikanischer Tyrann, nichts anderes.
Autor:
Christoph Marx wurde 1957 in Landau in der Pfalz geboren und ist ein deutscher Historiker. Er studierte Geschichte und Musikwissenschaft in Freiburg, sowie in Südafrika und promovierte im Jahr 1987. 1996 folgte die Habilitation, seit 2002 ist er Professort für Außereuropäische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen.
Schwerpunkte seiner Arbeit bildet die Geschichte der Apartheid in Südafrika, sowie die Kolonialgeschhichte Afrikas und die Geschichte Simbabwes. Er ist Mitglied der Vereinigung der Afrikawissenschaften in Deutschland, sowie Autor und Mitherausgeber für mehrere Fachpublikationen im Bereich seiner Forschungsgebiete.
Der letzte Zar
György Dalos
Rezensionsexemplar/Sachbuch
C.H. Beck Verlag
Erschienen am:
Seiten: 231
Hardcover
ISBN: 978-3-406-71367-5
Inhalt:
„Was? Wie?“, fragte der Zar – und instinktiv schützte er mit einer Hand die Zarin, mit der anderen den Zarewitsch. Dann wurde das Feuer eröffnet. Jekaterinburg, 17. Juli 1918, zwei Uhr morgens.
In der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 1918 wurde Zar Nikolaus II. mit seiner Frau und der gesamten Familie von einem Kommando der Tscheka in Jekaterinenburg ermordet. Der Alptraum aller Monarchien, der sich in Aufständen, Verschwörungen und Attentaten schon angedeutet hatte, war Wirklichkeit geworden. In dieser historisch fundierten, lebendigen Darstellung wird deutlich, wie das beständige politische Versagen der Romanow-Dynastie den revolutionären Prozess befeuert hat, den der letzte Zar nicht mehr aufhalten konnte. […] (Verlagstext)
Rezension:
Mit Schüssen endete die über dreihundert Jahre alte Dynastie der Romanows und die Herrschaft von Nikolaus II., der sein Amt einst ebenso glücklos angetreten hatte, wie es endete. An der Macht durch seinen Vater nie herangeführt, eignete er sich nicht dazu, dass höchste Amt des Russischen Reiches auszufüllen, zögerte in politischen und familiären Entscheidungen, was zu damaliger Zeit auf Gleiches hinaus lief und führte die letzte absolute Monarchie Europas in ihren Untergang.
Die Tragik eines Menschen, zu dem die Rolle eines Gutbesitzers mehr gepasst hätte, als die des letzten Zaren, skizziert in einer Kurzbiografie. György Dalos hat sich diesem Projekt angenommen. Der ungarische Historiker und Publizist György Dalos hat hier den Versuch gestartet, kurz und präzise etwas zu beschreiben, was an sich langen und ausführlichen Erklärungen bedarf.
Informationen, wie eines zum anderen führte, wie das Herrschaftssystem der Romanows bröckelte und welche Einflussfaktoren sonst noch zum Zusammenbruch und scheitern führten, werden gnadenlos zusammengefasst. Wichtige Inhalte oder alleine die Tragweite des Laufs dieser Tage gehen verlorenoder kommen zu kurz. Gut und verständlich geschrieben ist diese Biografie eines besonderen Zeitabschnitts zwar, dies hilft jedoch wenig.
Mehr als einen kleinen, unvollständigen Überblick, bekommt man nicht. Der Ausschnitt aus der Biografie Nikolaus II., hätte winziger nicht gewählt werden können.
Als weiteres Ergänzungswerk braucht man dalos nicht zu lesen. Wer aber noch nie etwas von den Romanows gehört hat, sich noch nie damit beschäftigt hat, dem genügt „Der letzte Zar – Der Untergang des Hauses Romanow“, um sich einen Überblick zu verschaffen, der in die Thematik einführt.
Für diese Leser ist es verständlich und sehr kurzweilig beschrieben, für andere, die schon etwas mehr Hintergrundwissen besitzen, lohnt sich diese Kurzbiografie jedoch nicht. Zu wenig neue Informationen, zu wenig neue Schlussfolgerungen, zu knappe Analysen.
Da gibt es andere Werke, die lohnender scheinen.
Das ist zwar nicht unbedingt Dalos‘ Problem, alleine daran krankt die Fokussierung auf Personen in der geschichtlichen Betrachtung. Schade aber, dass der Historiker immer knapp und nicht ausführlicher wird. Dabei gäbe es so viel zu erzählen. das historische Quellenmaterial ist üppig, angefangen von den Tagebüchern der Mitglieder der Zarenfamilie selbst, bis hin zum Protokoll der Ermordung eben dieser.
Für einen ersten Überblick ist dieses Werk jedoch gut genug gelesen zu werden, jedoch nicht zu vergleichen mit den Werken eines Sebag Montefoire oder einer Historikerin wie Elisabeth Heresch, die sich schon asuführlicher mit der Zarenfamilie auseinander gesetzt hat. Beim Titel jedenfalls, erwartet man viel mehr als das, was man bekommt. Mehr Seiten hätten dem Genüge getan.
Autor:
György Dalos wurde 1943 in Budapest geboren und ist ein ungarischer Schriftsteller und Historiker, Dalos wuchs bei seinen großeltern auf, da sein Vater 1945 an den Folgen des Arbeitslagers starb, in dass man ihn wegen der jüdischen Herkunft der Familie verbracht hatte.
Von 1962 an studierte er Geschichte in Moskau unf arbeitete anschließend als Museologe in Budapest. 1964 erschien sein erster Gedichtband. Nach Verhängung eines Berufs- und teilweisen Publikationsverbotes war er dann als Übersetzer tätig. 1977 gehörte er zu den Gründern der demokratischen Oppositionsbewegung in Ungarn und 1988/89 war er Teil der östdeutschen Untergrundzeitschrift „Ostkreuz“.
2004 wurde sein Buch „Ungarn in einer Nussschale“ veröffentlicht. Seit 1987 lebt er als freier Publizist in Wien und Berlin, schreibt für Zeitungen und Rundfunksendern. Seine Bücher erscheinen weltweit übersetzt, in mehreren Sprachen.