Jan Bazuin: Tagebuch eines Zwangsarbeiters

Inhalt:

Das kürzlich entdeckte, hier erstmals publizierte Tagebuch des Jan Bazuin ist das ergreifende Zeugnis eines Rotterdamer Jugendlichen, der während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurde. Die renommierte Zeichnerin Barbara Yelin hat die knappen, schnörkellosen Notizen einfühlsam illustriert und macht so das Geschehen auf unheimliche Weise präsent. Ein wichtiges, ein fesselndes Buch nicht nur für junge Leser. (Klappentext)

Rezension:

Im Nachhinein aufgeschriebene Erinnerungen sind nicht selten überlagert von durch das kollektive Gedächtnis aufoktroyierte Erinnerungen, die die Geschichtswissenschaft trennen muss, vom tatsächlichen Geschehen und den damaligen wirklichen Empfindungen. Nicht immer ist es einfach, das zeithistorische Fundament freizulegen, zumal, nur natürlich, auch den Zeitzeugen die Erlebnisse verschwimmen oder diese vor geschichtlichen Ereignissen einfach besser stehen möchten oder Geschehnisse so erschreckend waren, dass sie verdrängt waren und nur langsam wieder an die Oberfläche kehren.

Am Genauesten sind hier noch Tagebücher, die nicht im Nachhinein verändert wurden. Sie geben einen unverfälschten Eindruck wieder. Ein solches über ein noch zu selten beleuchtetes Kapitel der deutschen Geschichte wurde nun neu aufgelegt.

Es handelt sich um den schriftlichen Nachlass des Rotterdamer Jugendlichen Jan Bazuin, der aufgrund der familiären Enge und der Auswirkungen des NS-Besatzungsregimes sich gezwungen sah, sich für einen Arbeitseinsatz in Deutschland zu melden, um der häuslichen Situation zu entgehen. Das aus drei Heften bestehende, hier zusammengelegte Tagebuch, zeigt in nüchterner Sprache die Auswirkungen der NS-Zwangsarbeit auf die Biografie eines Jugendlichen, der sich mit seiner Deportation nach deutschland vom regen in die Traufe gehen sah, genau und nüchtern all das notierte, was er beobachtete und empfand.

Anfangs optimistisch verschärft sich bald der Ton. Jugendlicher Tatendrang wechselt mit Resignation und Verzweiflung. Der Wechsel längerer “Alltagsbeschreibungen” zu kurzen Notizen erfolgt oft abrupt. Gleichwohl wird schnell klar, und dies ist es auch dem Schreibenden selbst, dass es mehrere “Klassen” der Zwangsarbeit gegeben hat und Bazuin es vergleichsweise gut getroffen hat, dennoch schildert auch er Situationen der menschlichen Entgrenzung, die unter die Haut gehen. Unterstrichen wird dies durch die einfühlsamen Zeichnungen von Barbara Yelin, die die bedrückende Wirkung des Geschriebenen hervorheben.

Historisch eingeordnet wird dies durch ein ausführlich erläuterndes Nachwort, welches über die beschriebenen Orte der NS-Zwangsarbeit aufklärt, zudem durch ein Begriffe-Glossar, der dies auch für weniger fachlich versierte Lesende zugänglich macht. Das Werk ist zugleich eine Veröffentlichung des NS-Dokumentationszentrums München und damit ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen, ohne die Schwere eines allzu umfassenden Sachbuchs zu besitzen. Unbedingt lesenswert.

Autor:

Jan Bazuin wurde 1925 in Rotterdam geboren und arbeitete zunächst in der familieneigenen Druckerei. Aufgrund der familiären Situation und des von Hungersnot und Besetzung gebeutelten Lands meldete er sich Anfang 1945 zum “Arbeitseinsatz” im Deutschen Reich und schrieb währenddessen mehrere Tagebücher über Leben und Überlebenunter den Deutschen. Im Zuge der aufarbeitung zur NS-Zwangsarbeit im früher zum RAW Neuaubing gehörigen Barackenlager wurden diese wieder entdeckt und neu aufgearbeitet.

Ausarbeitung:

Barbara Yelin wurde 1977 in München geboren und ist eine deutsche Comiczeichnerin. Zunächst studierte sie Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und zeichnete mehrere in Deutschland und Frankreich erschienene Anthologien. Für mehrere Zeitungen erarbeitete sie Comic-Strips. 2016 wurde aus einem von ihnen ein Buch.- 2018 veröffentlichte sie in Carlsenverlag, zudem 2020 ein Kinderbuch in Zusammenarbeit mit Alex Rühle.

Sie unterrichtete an der Hochschule der Bildenden Künste Saar und als Dozentin im Comic-Seminar Erlangen, seit 2018 zudem an der Universität für Angewandte Kunst, Wien. Für ihre Arbeit erhielt sie den Bayrischen Kunstförderpreis für Literatur, 2015, sowie den Max-und-Moritz-Preis als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin, 2016.

Paul-Moritz-Rabe wurde 1984 in Erlangen geboren und ist ein deutscher Historiker. Er leitet die wissenschaftliche Abteilung des NS-Dokumentationszentrums Münschen sowie des Erinnerungsortes auf dem Gelände des ehemaligen NS-Zwangsarbeiterlagers Neuaubing. Sein Buch “Die Stadt und das Geld”, welches 2017 erschien, zur Haushalts- und Finanzpolitik Münchens während der NS-Zeit wurde mit mehreren Förderpreisen ausgezeichnet.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert