Ukraine

Serhij Zhadan: Keiner wird um etwas bitten

Inhalt:
Erstmals seit Beginn des großen Krieges erzählt Serhij Zhadan vom Alltag seiner Leute in Charkiw, die sich in einer radikal neuen Realität zurechtfinden müssen. Lakonische, wortkarge Geschichten von untröstlicher Liebe, von Freundschaft und Tapferkeit, komisch, absurd und herzzerreißend. Eine unvergessliche Lektüre. (Klappentext)

Rezension:
Der Lehrer, der als Übriggebliebener regelmäßig im durch den Krieg beschädigten Schulgebäude nach dem rechten sieht, Schüler kommen längst keine mehr, eine Frau die aus einem Wohngebiet evakuiert werden muss, der Tanzpartner des Abiballs, der im Krankenhaus liegt … Sie alle sind Opfer, leben in der von der zerstörerischen Gewalt des Gegners gezeichneten Stadt, kämpfen mit Verletzungen, Depressionen und den Bombardierungen, die gewaltige Krater geschaffen haben.

Charkiw ist keine Stadt wie jede andere. Hier sind die Folgen des Angriffkrieges sichtbar und zu spüren. Wer noch nicht aus dem geflohen ist, was von der Stadt übrig ist, lebt mit den Folgen. Vom unwirklichen „Alltag“ der Bewohner seiner Heimat schreibt Serhij Zhadan. Kurzgeschichten, von denen jede einzelne unter die Haut geht.

Zwölf Geschichten, deren Protagonisten so unterschiedlich sind, wie die Stadt vielfältig selbst jetzt noch ist, die dem Ausmaß physischer und psychischer Gewalt trotzen, die sich kreuzen, begegnen, miteinander und doch mit sich selbst kämpfen müssen. Was macht das mit einem, wenn alles, was einst galt, in Trümmern liegt. Schon an der Oberfläche kratzen, erschüttert. Zhadans Schreibstil ist beinahe nüchtern. Er beobachtet. Manches Stück liest sich so, als müsse der Autor sich selbst vor dem Geschilderten schützen, zwingen, dies aufzuschreiben. Hinter all den Fiktionalen stecken, so ahnt man, echte Schicksale. Menschen.

In diesen kleinen Stücken, die Serhij Zhadan „Arabesken“ nennt, sind sie die Helden, alleine dadurch, dass es sie gibt, dass sie leben. In Charkiw. Ihnen, die sonst keine Beachtung finden, Nachrichtenbilder verflüchtigen sich schnell, setzt der Autor hier ein Denkmal. In knapp formulierten Schilderungen. Für einen kurzen Augenblick legt der Autor den Fokus auf eine bestimmte Szene, um dann zu der nächsten überzugehen. Ein Bürogebäude ist hier die Kulisse, im nächsten Kapitel wohnen wir einer Unterhaltung zweier im Auto bei. Der Krieg schwingt immer mit, offensichtlich, dann wieder nur als Hintergrundrauschen.

Serhij Zhadan ist selbst derzeit als Soldat in seiner Heimat tätig. Schon das ist bewundernswert. Die Geschichten dazwischen praktisch aufs Papier gebracht zu haben, die jede für sich stehen und doch unverkennbar zusammen gehören, ist mit diesem Hintergrund noch erstaunlicher. Und sicher auch ein Akt der Verarbeitung. Im Krieg ist jeder für sich allein, und doch hält man zusammen. Eine Wahl hat man nicht.

Die Protagonisten selbst sind vor ihren Hintergründen verschieden, gegensätzlich. Mit wenigen Worten gelingt es dem Autoren, Sympathien zu schaffen, sie nachvollziehbar zu machen. Mehr als die wenigen Sätze, jede Kurzgeschichte findet nur einige Seiten Platz, braucht es nicht. Die innerhalb der kleinen Versatzstücke verstreuten Skizzen, verdeutlichen das Grauen, den Schrecken, die Melancholie. Zhadan verliert sich nicht in Details, beschränkt sich auf das Wesentliche. Jeder einzelne Text scheint einem förmlich anzuspringen. Seht her, so ist es gerade für uns. So, nicht anders. Es braucht halt nicht viel, um diesen Zugang zu schaffen.

Man kann sich das alles gut vorstellen. Manches fast zu gut. Abstand halten möchte man, doch kommt man sich lesend zuweilen vor, wie ein Voyeur, ein Gaffer. Der Autor legt den Finger in die Wunde, die nicht verheilen kann. Der Krieg ist in jeder Szene allgegenwärtig. Schauplätze wie Protagonisten werden mit wenigen Worten sehr plastisch beschrieben. Manchmal muss man innehalten. Ein seltenes Schmunzeln, Lächeln bleibt sofort im Halse stecken, wenn es denn mal vorkommt.

Es mögen einige durch die Fernsehbilder abgestumpft sein, solche kleinen Alltagsbeschreibungen aber betrüben zu tiefst und lassen nicht los. Für Zhadan und all jene, die sich in den von Krieg gezeichneten Regionen und Städten aufhalten, gar an der Front kämpfen, wie muss es erst für die sein, fragt man sich während des Lesens und ahnt, dass noch viel mehr unerzählbar bleibt, da es dafür keine Worte gibt. Die wenigen, die wie diese hier gesehen werden können, sind es wert und wichtig.

Autor:
Serhij Zhadan wurde 1974 geboren und ist ein ukrainischer Schriftsteller, Dichter und Übersetzer. Nach der Schule studierte er zunächst Literaturwissenschaften, Ukrainistik und Germanistik. Er organisiert Literatur- und Musikfestivals und verfasst Rocksong-Texte. 2007 erschien sein erster Roman. 2006 wurde er mit dem Hubert Burda Preis für junge Lyrik ausgezeichnet, Zhadan war zudem Aktivist der Orangenen Revolution.

2014 schilderte er in der FASZ seine Erfahrungen der Erstürmung der Gebietsverwaltung von Charkiw, wurde dafür von prorussischen Kräften krankenhausreif geschlagen. Seine Werke wurden mehrfach ins Deutsche übersetzt, und zahlreich ausgezeichnet. 2022 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er lebt in Charkiw und ist seit 2024 Soldat.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Serhij Zhadan: Keiner wird um etwas bitten Weiterlesen »

Limor Regev: Der Junge von Block 66

Inhalt:

1944 wird der 13-jährige Moshe Kessler mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert. An der Rampe in Birkenau von seiner Familie getrennt, ist er von nun an auf sich allein gestellt. Er entgeht den Tod in den Gaskammern, überlebt monatelange Zwangsarbeit und die Todesmärsche im eisigen Winter, bevor er im Konzentrationslager Buchenwald ankommt. Doch auch dort kann er nur dank der Kühnheit und Entschlossenheit der Untergrundorganisation, der es es gelang, vor Eintreffen der US-Truppen mit gestohlenen Waffen die Wachmannschaft des Lagers zu überwältigen und gefangenzunehmen, im Kinderblock 66 den sicheren Tod zu entkommen.

Dr. Limor Regev hat den anschaulichen Bericht Moshe Kesslers festgehalten und so der Nachwelt ein Zeugnis über den Triumph eines ungebrochenen Lebenswillens vermittelt. (Klappentext)

Rezension:

Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt. Fast 14 Jahre alt ist Moshe Kessler als er in Zeiten der Unmenschlichkeit und des Terrors zusammen mit anderen unter Aufsicht von Antonin Kalina kommt, der zusammen mit anderen KZ-Häftlingen mit den Mut zur Verzweiflung unzähligen Kindern und Jugendlichen das Leben rettete, ausgerechnet im Konzentrationslager Buchenwald, einer der letzten Stationen des Leidenwegs. Zuvor hatte der Junge bereits Todesmarsch und Auschwitz überlebt.

Dies ist die Geschichte eines ungarischen Jungen, dessen Erinnerungen im hohen Alter aufflackern, bei der Bar Mizwa seines jüngsten Enkels, der umgeben ist von seiner ihn lebenden Familie. Moshe Kesslers Bar Mizwa fand dagegen zu einem Zeitpunkt statt, als das Donnergrollen kaum noch zu überhören war und längst einige Familienleben gefordert hatte. Nach Jahrzehnten erinnert und beschreibt Kessler die Geschichte seiner Kindheit und Jugend, die man ihn und unzähligen anderen raubte. Dieses Stück biografischer Erinnerung liegt hier mit „Der Junge von Block 66“ übersetzt vor.

Solche Stücke Erinnerung bilden einen wichtigen Zweig innerhalb der Bücher gegen das Vergessen, als Mahnmal vor allem, wenn sie ohne erhobenen Zeigefinger, sondern nur durch ihre Schilderungen wirken. Diese sind eindrücklich. In klarer, eindeutigiger Sprache schildert die Autorin die Erlebnisse des Kindes, welcher ihr diese Geschichte sehr viel später anvertrauen wird. Dabei wird deutlich, wie sehr Sekunden der Entscheidung über Leben und Tod bestimmen konnten und dass es selbst in unmenschlichen Orten gerade so viel Menschlichkeit gegeben hat, die einigen wenigen geholfen hat, Schreckliches zu überstehen.

In kompakten Kapiteln fügen sich die einzelnen Stationen des Leidensweges zu einem Band zusammen, welches bis ins Mark erschüttert, ergänzt durch ein anschauliches Personenregister, ein Begriffsglossar, welches vor allem dann hilfreich ist, wenn man lesend nicht mit Begrifflich- und Gegebenheiten des jüdischen Glaubens im Einzelnen vertraut ist, sowie einen Fototeil. So eignet sich die Lektüre für Geschichtsinteressierte, aber auch für Jugendliche, zumindest wenn man einige Fußnoten überliest.

Diese wurden zum besseren Verständnis durch die Herausgeberin angefügt, wirken an manchen Stellen wertend und relativierend. Hannah Arendt wird da z. B. als „allgemein etwas überschätzt“ bezeichnet. Solche und andere Meinungen kann man ja durchaus haben, doch gehören sie nicht in den biografischen Bericht eines anderen hinein. Ob der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung über 90-jährige Moshe Kessler um diese Kommentare weiß, sie teilt, die von der Herausgeberin und Übersetzerin stammen, bleibt zwangsweise offen.

Wenn gleich andere Informationen, die in den Fußnoten erscheinen, akribisch recherchiert und behutsam ergänzt worden sind, und es erst einmal überhaupt bemerkenswert ist, einen solchen Bericht für die Nachwelt erhalten zu dürfen, können einen solche Schnitzer eines eigentlich lesenswerten Berichts verhageln. Es bleibt hier also die Empfehlung, den Bericht zu lesen und die Fußnoten einer Überprüfung zu unterziehen. Alles was Augenzeuge und Autorin jedoch zusammengetragen haben, ist es aber wert, gesehen zu werden.

Autorin:

Limor Regev wirkt an der Hebrew University of Jerusalem im Institut für Internationale Beziehungen und hat zuvor über die Auswirkungen des territorialen Rückzugs in Israel geforscht. Ihre weiteren Forschungsarbeiten befassen sich mit territorialen Austritten, Konfliktlösung, internationaler Mediation und israelischer Bedrohungswahrnehmung.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Limor Regev: Der Junge von Block 66 Weiterlesen »

Peter Arndt: Die Wetterseite der Bäume

Inhalt:

Kolja ist elf Jahre alt und wächst in der Vielvölkerwelt eines abgelegenen Landstrichs in der Ukraine auf. Als der Krieg ausbricht, geht es für ihn und seine Familie in einen überfüllten Umsiedler-Waggon in ein neues Leben, im Reichsgau Wartheland/Polen, was die Versprechungen der NS-Propaganda einzulösen scheint.

Wie ein Schlafwandler taumelt Kolja durch Jugendorganisation des NS-Regimes bis er sich als Kindersoldat in Berlin wiederfindet, währenddessen seine Familie im eisigen Winter 1945 versucht, vor der anrückenden Sowjetarmee zu fliehen. Gewissheiten brechen. Für alle zählt nur: am Leben bleiben. (gekürzter Klappentext)

Rezension:

Nicht zuletzt aufgrund der derzeitigen Geschehnisse in Europa erfährt der biografische Roman „Die Wetterseite der Bäume“ von Peter Arndt eine besondere Brisanz. Der Autor, der seiner Familiengeschichte, vor allem die seines Vaters, gekonnt erzählerisch nachspürt, hat damit ein eindrückliches Stück Erinnerungsliteratur innerhalb der Bücher gegen das Vergessen geschaffen, welche heute wichtiger denn je ist, zudem in einer sich immer mehr polarisierenden Welt.

Worum geht es? Wir folgen den Spuren Koljas und seiner Familie, die in einem kleinen Ort Wolhyniens zu Hause ist und dort innerhalb einer Vielvölker- und Sprachgemeinschaft eine kleine Mühle betreibt. Man hat nicht viel, aber mehr als man zum Leben braucht, kommt mit den Nachbarn gut aus, auch wenn sich im Miteinander die Zeichen des Krieges 1940 mehr und mehr bemerkbar machen. Da kommen die Umsiedlungspläne der Nationalsozialisten, die Polen zusammen mit der Sowjetunion besetzt und unter sich aufgeteilt haben, gerade recht. Eine Chance, die Koljas Vater nutzt. Nicht ahnend, welche Odyssee ihnen alle noch bevorstehen wird.

Auf Grundlage von Interviews, welches der Autor mit seinem Vater noch bis vor dessem Tod führen konnte, einigen Reisen und Archivmaterial entstand der beeindruckende Roman, der sehr kompakt gehalten mit hohem Erzähltempo die Wege verfolgt, die die Familie auf sich nehmen musste, zunächst um ein neues Leben zu beginnen, anschließend selbiges zu retten.

Dabei verfolgen wir zwei perspektivisch unterschiedliche Erzählstränge. Den Weg von Koljas Familie, zuletzt inmitten der großen Flüchtlingstrecks gen Westen, unter anderen Vorzeichen, denen heutiger Flüchtlinge psychologisch gar nicht mal so unähnlich, zum anderen Kolja, der vom nationalsozialistischen System nach und nach vereinnahmt wird und schließlich als Kindersoldat ums Überleben kämpfen muss.

Einige Jahre, zusammen mit Rückblenden, umfasst die Erzählspanne und wechselt, ohne dass man dabei den Überblick verlieren würde. Dies verleiht der Geschichte eine eindrückliche Dynamik, derer man sich nicht entziehen kann, zudem hilft auch eine stilisierte Landkarte am Anfang des Romans, die Übersicht zu behalten. Kurzweilig ohne Längen und, was noch viel wichtiger ist, ohne Verklärungen, weiß Peter Arndt von Hoffnung und Enttäuschung, Bangen und Grauen, aber auch den Momenten zu erzählen, die vielleicht mehr als einem Schutzengel zuzuschreiben sind.

In klarer Sprache wird eine Zeit wieder lebendig, die in abgewandelter Form auch heute noch für zu viele Menschen bittere Realität ist, zudem wieder Landstriche der Ukraine, zudem auch dieser heute gehört, umkämpft sind.

Hauptfigur dieses biografischen Romans ist Kolja, zu Beginn der Erzählung elf Jahre alt, weshalb „Die Wetterseite der Bäume“ sowohl als Jugendbuch funktionieren kann als auch, mit der Geschichte an sich als biografischer Roman, den man unabhängig davon lesen kann.

Der Protagonist ist dabei nicht unfehlbar, zeigt sich doch an ihm, wie leicht und systemisch die Vereinnahmung Jugendlicher damals vonstatten ging, auch dies hat sich unter umgekehrten Vorzeichen bis heute nicht geändert. Mit ihm und seiner Familie fühlt man jedoch gerne mit, kommt nicht umher die beschriebenen Personen um ihren Mut und Überlebenswillen zu bewundern.

Peter Arndts erzählerische Stärke liegt dabei nicht nur darin, den Figuren ihre Ecken und Kanten anzugedeihen. Auch Orts- und Situationsbeschreibungen verfehlen ihre Wirkung nicht. Fast ist es so, als stünde man neben den Jungen, der bald seinen geliebten Hund zurücklassen muss oder im Flüchtlingstreck mit knurrendem Magen, in klirrender Kälte. Immer wieder werden Atempausen zwischen den Extremen beschrieben, nur um dann im nächsten Moment ad absurdum geführt zu werden. Nichts ist normal in dieser Zeit.

Ohne die Aufnahmen zu kennen, Grundlage der Erzählungen sind Interviews, die der Autor mit seinem Vater geführt hat, könnte der Roman so in dieser Form auch als Hörbuch funktionieren. Die Tonalität ist vorhanden. Auch die Art des Erzählens macht es leicht, sich in die Protagonisten hinein zu versetzen. Auch dies macht „Die Wetterseite der Bäume“ zu einem wichtigen Buch im Rahmen derer gegen das Vergessenn. Was anders in Gefahr laufen würde, nur trocken daher zu kommen, wird hier in Romanform lebendig greifbar.

Von der Ausgestaltung der Protagonisten, sowie dem engen Entlanghangeln anhand der Familienbiografie ohne ins zu Trockene zu geraten, ist dieser biografische Roman sehr empfehlenswert.

Autor:

Peter Arndt wurde 1957 in Wiesentheid geboren und ist ein deutscher Soziologe, Organisationsprogrammierer und IT-Berater. Der Erlebnisfundus seiner väterlichen Vorfahren ist sein Lebensthema. 2024 veröffentlichte er seinen Roman „Die Wetterseite der Bäume“, die fiktionalisiert angelehnt die Geschichte seines Vaters verfolgt.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Peter Arndt: Die Wetterseite der Bäume Weiterlesen »

Literaturfestival Potsdam Brandenburg: Serhij Zhadan & Friends

Serhij Zhadan ist es, von dem ich schon längst mehr lesen wollte, seinen Roman „Internat“ großartig fand und der nun im Rahmen einer Veranstaltung des Literaturfestivals Potsdam Brandenburg lesen wird. Mit Sasha Marianna Salzmann, seiner Laudator:in bei der verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels wird er dort über die aktuelle Situation in der Ukraine sprechen – und was Kunst im Krieg bewirken kann. Anschließend stellen er, sowie Yuriy Gurzhy und Ulrike Almut Sandig die musikalische Performance FOKSTROTY vor, ursprünglich ein Diskoupdate ukrainischer Dichter:innen der 1920er Jahre, deren meiste Vertreter durch Gewalt zu Tode kamen.

Serhij Zhadan & Friends
Lesung und Gespräch mit Sasha Marianna Salzmann

anschließend:

Fokstroty
Konzert mit Serhij Zhadan, Yuriy Gurzhy, Ulrike Almut Sandig

Wann: Samstag, 1. Juli, 18 Uhr
Wo: Waschhaus, Schiffbauergasse 6, 14467 Potsdam

Tickets 30 / ermäßigt 25 Euro

Für Gäste aus der Ukraine ist der Eintritt frei.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Literaturfestival Potsdam Brandenburg: Serhij Zhadan & Friends Weiterlesen »

Valeria Shashenok: 24. Februar und der Himmel war nicht mehr blau

Inhalt:

„Als Russland mein Land, die Ukraine, überfiel, flüchteten meine Eltern, mein Hund und ich in einen mir mehr als skurril erscheinenen Bombenschutzkeller. Und weil es dort WLAN gab und die Tage verdammt lange und auch langweilig waren, postete ich Videos, die mein neues Zuhause vorstellen sollten – manche davon gingen dann sogar um die Welt.

Aber meine Geschichte ist eigentlich eine ganz andere: Es ist die eines jungen Mädchens voll mit großen Träumen, das die Welt entdecken wollte und den Krieg für einen schlechten Scherz hielt- Bis zu dem Tag, an dem ich erkennen musste, dass ich mittendrin bin im größten Alptraum meines Lebens.“

Valeria Shashenok

Valeria beschließt, der Welt ihre Heimatstadt Tschernihiw zu zeigen und die wahren Geschichten zu erzählen. Es sind Bilder und Geschichten, die wir uns alle im 21. Jahrhundert mitten in Europa nicht vorstellen konnten und wollten.

Und das Grauen endet nicht einmal mit ihrer Flucht nach Mailand, denn dort angekommen, holen Putins Bomben sie ein und treffen sie mitten ins Herz. (Klappentext)

Rezension:

Wie macht man Außenstehenden begreiflich, was man selbst kaum zu verstehen vermag? Lange Zeit hielt sie es ja selbst kaum für möglich. Gesprochen wurde immer wieder darüber, gedacht haben es viele. Doch irgendwo war da immer die Hoffnung, dass sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheiten sollten. Dennoch, sie taten es. Am 24. Februar 2022 beginnt für die in der Ukraine lebenden Menschen ein wahrer Alptraum. Bomben fallen. Schüsse sind zu hören. Russland versucht sich des Landes zu bemächtigen. Und Valeria, Tochter, junge Frau, dokumentiert das Grauen, was ihren Geburtsort und ihre Heimatstadt Kiew überkommt. Bis sie schließlich sich selbst entschließt, zu fliehen. Doch auch in der Ferne lässt sie das Grauen nicht los.

Gerade in unseren Zeiten ist es wichtig, dass solche Berichte eine große Öffentlichkeit finden, gerade wenn in Zeiten von Fake News aus einem zweifelhaften Weltbild heraus, bestimmte Gruppen auf Propaganda-Züge aufspringen und gar nicht so schnell schauen können, wie sie für sehr krude Zwecke eingespannt und nicht zuletzt gelenkt werden. Am Eindrücklichsten gelingt das, wenn man vom Unmittelbaren erzählt, die Auswirkungen auf einem selbst versucht zu verdeutlichen. Genau dies versucht Valeria Shashenok mit Videos und Bildern, die sie von Beginn des Kriegs gegen die Ukraine in den sozialen Netzwerken postet. Diese Schnipsel hat sie nun versucht, zusammenzusetzen. Entstanden ist dieser nahegehende Bericht.

Es ist eine Art Tagebuch, welches hier vorgelegt wird. Nicht in großen Worten wird hier beschrieben, die Autorin, so hat man beim Lesen das Gefühl, hat noch während des Schreibens versucht, ihre Gedanken zu ordnen. Voller Emotionen, erschüttert natürlich über das Erlebte, schildert sie von der Zeit des Krieges und ihrer Flucht, aber auch von den Tragödien, die sie einholen werden, als sie sich bereits im sicheren Italien befindet. Wir können hier die Zeilen einer jungen Frau voller Träume lesen, die gerade noch zu Beginn eher irritiert beobachtet, versucht einzuordnen und eigentlich immer noch nicht fassen kann, was da gerade passiert. Mit ihr, ihrer Umgebung, den Menschen, die sie liebt. Allein auf dieser Ebene ist es gut, dass Shashenok dies dokumentiert, was man auch als Versuch einer Verarbeitung und Einordnung lesen kann.

Sprachlich wirkt das leider wie ein besserer Schulaufsatz, mehr nicht, wie ich an anderer Stelle in einer Rezension lesen musste. Dem kann ich nicht widersprechen. Das ist zuweilen recht anstrengend, an anderer Stelle liest sich das fast belanglos, was schade ist. Schließlich hat der Text seine Berechtigung und natürlich auch Relevanz, da ist dann dieser Abstrich, den man an der Stelle hinnehmen muss, unschön. Hier funktioniert es nicht Erwartungsmanagement und Relevanz in Übereinklang zu bringen. Vielleicht wirkt der Text noch mehr, wenn man die Instagram-Posts und Tiktoks dazu beachtet. Fotos zumindest gibt es ein paar. Doch reicht das leider nicht, um den Bericht, der hier in einer Art Tagebuchform vorliegt, vollständig abzurunden.

Eventuell liest sich das jedoch in ein paar Jahren anders. Das vermag ich nicht auszuschließen.

Autorin:

Valeria Shashenok wurde 2002 im Norden der Ukraine geboren und arbeitet als freiberufliche Fotografin. Den Angriff und ihre Flucht aus der Ukraine dokumentierte sie in den sozialen Netzwerken, worauf weltweit Medien auf sie aufmerksam wurden. Sie gab mehrere Interviews und damit den Menschen aus der Ukraine eine Stimme und ein Gesicht.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Valeria Shashenok: 24. Februar und der Himmel war nicht mehr blau Weiterlesen »

KATAPULT – Ukraine

Seit den 24. Februar greifen russische Truppen die Ukraine an. Seit dem ist viel passiert und wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige, der die ersten Tage wie paralysiert vor den Bildschirmen stand und nicht realisiert hat, was er da eigentlich sieht. Vom Verarbeiten ganz zu schweigen. Mittlerweile habe ich den Nachrichtenkonsum, so gut es eben geht, reduziert. Im Vordergrund ist nun die Frage getreten, was kann man selbst tun, um der Hilflosigkeit nicht ganz so viel Raum zu geben?

Mittlerweile spende ich, habe auch schon am hießigen Hauptbahnhof mit geholfen, einzelne Tropfen auf den heißen Stein, die aber zusammen mit vielen anderen doch etwas bewirken können. Jeder Einzelne kann etwas tun. Der KATAPULT Verlag hat ebenso eine Antwort für sich gefunden, sammelt Informationen und unterstützt ukrainische Journalisten, und hat überdies eine Liste an Organisationen zusammengestellt, die Spenden sammeln und unterstützenswert sind.

Und da das so ist, muss dies unbedingt bekannter werden.

Was kannst Du tun?

(c) 2022 KATAPULT – Übersicht „Was kannst du tun?“

Was passiert gerade? Der KATAPULT Live-Blog.

Hier findet ihr eine Liste von Spenden- und Hilfsorganisationen, die ständig ergänzt, erweitert und aktualisiert wird.

(c) 2022 KATAPULT – über den Link mehr zur Spendenaktion.

Informationen und Grafiken sind Inhalte und Eigentum des KATAPULT-Verlags. Der Blog-Inhaber hat sich die Erlaubnis eingeholt, diese ebenfalls auf den Blog veröffentlichen und verbreiten zu dürfen. Grafiken wurden unverändert übernommen, für die Inhalte der verlinkten Seiten wird keine Haftung übernommen, diese wurden soweit möglich, überprüft. Stand der Veröffentlichung: 23.03.2022, 08:51 Uhr.

KATAPULT – Ukraine Weiterlesen »

Esther Safran Foer: Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind

Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Book Cover
Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Esther Safran Foer Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 05.11.2020 Seiten: 288 ISBN: 978-3-462-05222-0 Übersetzer: Tobias Schnettler

Inhalt:

Esther Safran Foer, die Mutter des Bestsellerautors Jonathan Safran Foer, begibt sich auf die Suche nach der Geschichte ihrer Familie, die in der schrecklichen Dunkelheit des Nationalsozialismus begraben wurde.

Nur mit einem Schwarz-Weiß-Foto und einer handgezeichneten Karte reist sie zusammen mit ihrem Sohn in die heutige Ukraine, um das Schtetl zu finden, in dem sich ihr Vater während des Krieges versteckt hatte. Ein Buch gegen das Vergessen und ein kleiner Triumph über den Faschismus.

Rezension:

Kaum eine Familie lebt ohne sie, diesen Anekdoten, denen man sich kaum entziehen kann. Diesen Ereignissen, die immer wieder zur Sprache kommen und so zur Wahrheit eines jeden einzelnen Familienmitgliedes werden, auch wenn dieses das Erzählte selbst nicht erlebt hat.

Es gibt aber auch die andere Form, die unausgesprochenen Ereignisse, Weichenstellungen, Schicksalsschläge, die kaum erzählt werden, nur beiläufig erwähnt oder in ganz besonderen Momenten in Worte gefasst werden.

Etwas, worüber nur selten in Ausnahmefällen gesprochen wird. Einem solchen Moment wohnt Esther Safran Foer bei, als ihre Mutter von der Vergangenheit ihres Mannes beiläufig erzählt. Darauf beginnt eine jahrelange Suche und das Aufbrechen der finstersten Jahre ihrer Familiengeschichte.

Es ist die Geschichte einer Familie, die man vielleicht nicht lesen würde, wenn nicht die Schreibende selbst Mutter eines erfolgreichen Autoren wäre, doch Esther Safran Foer nimmt sich beim Beschreiben dieser, ihres Vaters und ihrer Mutter, bewusst zurück. Die Autorin hält sich an Fakten, lässt die Emotionen dieser Bewältigungsarbeit behutsam einfließen und herausgekommen ist ein liebevolles erschütterndes Porträt.

Wie viel Leid, wie viel Ruhelosigkeit vermag eine junge Familie zu ertragen? Welchen unbewussten Einfluss hat die Geschichte auf das Schreiben ihrer Söhne und ist Verarbeitung ein generationsübergreifender Prozess, der nie beendet werden kann? Diese und andere Fragen stellt man sich unwillkürlich beim Lesen der Zeilen.

Sehr dicht, sehr schnell, fast gedrängt beschreibt die Autorin das Zusammenführen der Puzzleteile, die sie schließlich in das Land ihrer Vorfahren führt, um diesen nahe zu sein und einen, wie auch immer gearteten Abschluss zu finden.

Es ist ein Streifzug durch die Geschichte der Foers, der fiktionalisiert im Roman „Alles ist erleuchtet“ des einen Sohnes begann, sich über die Jahre immer wieder durch das Leben von Esther Safran Foer zieht. Wie ein Detektiv, der lose Fäden findet und zusammenfügen muss, beschreibt sie, wie eine Antwort zu unzähligen neuen Fragen führt, wie ihre Mutter eigentlich mit der Vergangenheit abschließen wollte, doch diese für die Tochter fast zur Obsession wurde.

Wie viel kann eine Familie ertragen? Wie groß müssen Abstände zum Unaussprechlichen sein, um weiterleben zu können? geht das überhaupt? wie groß ist der Einfluss, auf das, was nachfolgt, aquf das Leben weiterer Generationen?

Die Biografie einer Suche nach Antworten, fast so literarisch wie die Schreibarbeit von Jonathan Safran Foer selbst, erschütternd jedoch, wie so vieles, was in den Wirren der Zeit des Zweiten Weltkrieges geschehen ist, als die Nazis weite Teile Europas in Schutt und Asche legten, Millionen Menschen ermordeten, nicht zuletzt derer jüdischen Glaubens, wie Teile der Familie Safran, denen mit „Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind“ ein Denkmal gesetzt wurde.

Vielleicht kann diese Familienbiografie, die sich eine Episode herausgreift, zum Anlass genommen werden, einmal selbst in der Vergangenheit der eigenen Familie nachzuforschen? Um Klarheit zu schaffen, aber auch offene Fragen zu beantworten und andere aufzuwerfen.

Autorin:

Esther Safran Foer wurde 1946 in Lodz geboren und ist eine US-amerikanische Autorin und ehemalige Geschäftsführerin eines jüdischen Kulturzentrums. Nach dem Holocaust und einige Jahre in einem DP-Lager in Deutschland wanderte die Familie nach Amerika aus.

Sie studierte Politikwissenschaften und arbeitete 1972 für den Präsidentschaftskandidaten George McGovern und gründete 2002 eine PR-Agentur. Von 2007 bis 2016 leitete sie das jüdische Kulturzentrum „Sixth & I Historic Synagogue“.

2020 schrieb Foer ihre Suche nach der ersten Frau ihres Vaters und dessen Tochter nieder, die beide im Holocaust umkamen. Ihre Söhne sind der Schriftsteller Jonathan Safran Foer und die Journalisten Franklin und Joshua Foer.

Esther Safran Foer: Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind Weiterlesen »

John Bolton: Der Raum, in dem alles geschah

Der Raum, in dem alles geschah Book Cover
Der Raum, in dem alles geschah John Bolton Verlag Das Neue Berlin Erschienen am: 14.08.2020 Seiten: 638 ISBN: 978-3-360-01371-2 Übersetzer: Shaya Zarrin, Patrick Baumgärtel (u.a.)

Inhalt:

John Bolton verbrachte viele seiner 519 Tage unter Donald Trump in dem „Raum, in dem alles geschah“. Als einer der engsten Vertrauten des US-Präsidenten musste er dort erfahren, dass es diesem gar nicht um das Wohl der Nation geht, sondern um Selbstinszenierung und Wiederwahl.

Bolton berichtet über Anmaßungen, politische Inkompetenz und rechtswidrige Handlungen Trumps. Das Weiße Haus versuchte die Veröffentlichung mit allem Mitteln zu verhindern, denn diese Dokumentation alleine rechtfertigt ein Amtsenthebungsverfahren gegen dem mächtigsten Mann der Welt. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

Das Amt des US-Präsidenten und die Personen, die es inne hatten, polarisierten schon immer, doch seit Donald Trump im Jahr 2016 die Wahlen um diese Position gewann, regieren nur noch mehr Chaos und Willkür das Weiße Haus.

Entscheidungen werden sprunghaft getroffen, ohne politische Kenntnis oder diplomatischen Fingerspitzengefühl, persönliche Beweggründe in den Vordergrund gerückt. Die politische Landschaft radikalisiert sich zunehmend. Dies hat System, ist jedoch so willkürlich von außen zu beobachten, dass die Weltgemeinschaft, nicht einmal mehr die US-Bevölkerung selbst den Atem anhalten kann, schon gibt es den nächsten Punkt Ungeheuerlichkeit zu berichten.

Einer, der dies praktisch von Beginn an für über 500 Tage aus nächster Nähe erleben musste, ist der umstrittene konservative Diplomat und Politiker John Bolton.

Die Veröffentlichung selbst, versuchte das Weiße Haus unter Donald Trump zu verhindern, enthalt „Der Raum, in dem alles geschah“, doch allerhand Sprengmaterial, welches der Autor sachlich nüchtern aneinanderreiht. Bezeichnend, dass Bolton schon in den ersten Tagen Anzeichen dafür entdeckte, die in Summe für ihn später Rücktrittsgrund genug waren.

Er selbst, wegen seiner Positionen zu verschiedenen politischen Themen, schon umstritten genug, arbeitete anderthalb Jahre für die Sprungahftigkeit und Willkür schlecht hin, zeigt, wie das System Trump funktioniert.

Dabei gibt er sachliche Einblicke, wie eigentlich Regierungsarbeit in Washington funktioniert, in seinen Augen oft fehlgeleitet, stellt jedoch die Unterschiede der Politik des 45. Präsidenten der USA dar, die keine Spuren von Verlässlichkeit und Orientierung bietet.

Die Positionen des Autoren selbst, sind wohl für nur sehr wenige politisch Interessierte außerhalb der USA nachvollziehbar. Tatsächlich richtet sich das Werk vor allem an das amerikanische Publikum, was man beim Lesen beachten sollte. John Bolton bestätigt viele konservative Positionen und Ziele, die Trump verfolgt, zeichnet sich jedoch gegenüber diesem als zuverlässig aus, nicht sprunghaft, zumindest wenn man seinen eigenen Darstellungen hier folgen möchte.

Poltik in dieser Position zu betreiben, ist ein Knochenjob, vor allem, wenn man mit und oft genug gegen einen sehr sprunghaften US-Präsidenten arbeiten muss, dabei in manchen Teilen sehr trocken. So entstanden auch hier Längen, die es mitunter erschweren, zu folgen.

Interessant hierbei wiederum die Darstellung, wie ein Amtsenthebungsverfahren seiner Meinung nach hätte Erfolg haben können, was zum Ende der Schilderungen wieder in den Lesefluss führt, den man für diese Art der Lektüre benötigt, um voran zu kommen.

Zwischendurchlektüre ist das alles nicht, da man sich hier mitunter auf sehr absolute Positionen einlassen muss, um den Ablauf zumindest etwas nachzuvollziehen.

Wer das nicht kann, wird das Lesen dieses Buches schwerfallen. Für alle anderen bietet sich ein sachlich nüchterner Einblick da hinein, was Politik aus Menschen macht oder anders, was die falschen Personen in bestimmten Postionen mit Politik machen, welche Ziele sie verfolgen und wie dieses System der Machtausübung funktioniert. Feststehen tut eines. Egal, wie die nächsten Wahlen ausgehen und was danach kommen mag, von den Folgen schon der ersten Amtszeit werden die USA und die Welt noch lange etwas haben. In diesem Sinne, eine wichtige und bezeichnende Lektüre.

Autor:

John Robert Bolton wurde 1948 in Baltimore, Maryland, geboren und ist ein US-amerikanischer Politiker und Diplomat. Vom 9. April 2018 bis 10. September 2019 war er Nationaler Sicherheitsberater für US-Präsient Donald Trump, zuvor diente er als Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen und in verschiedenen Positionen für republikanische Regierungen seit Ronald Reagan.

Der Autor gilt als Neokonservativer, wobei er selbst diese Charakterisierung ablehnt. 2020 hätte Bolton ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump unterstützt, wenn der Senat ihn unter Strafandrohung zu einer Aussage aufgefordert hätte. Er gilt als Kritiker des UN-Menschenrechtsrates, der Vereinten Nationen und setzt sich für das Recht ein, dass Privatpersonen weltweit Schusswaffen tragen dürfen.

John Bolton: Der Raum, in dem alles geschah Weiterlesen »

Tom Chesshyre: Slow Train

Slow Train - Eine Liebeserklärung an Europa heute in 25 Stationen Book Cover
Slow Train – Eine Liebeserklärung an Europa heute in 25 Stationen Tom Chesshyre Dumont Reise/mairdumont Erschienen am: 14.04.2020 Seiten: 334 ISBN: 978-3-7701-6696-1 Übersetzerin: Astrid Gravert

Inhalt:

Die Freiheit auf Schienen genießen – dafür begibt sich Tom Chesshyre auf eine abenteuerliche Zugreise quer durch Europa, von London über die Ukraine bis nach Venedig. Das eigenetliche Reiseziel, Europa und seine Bewohner kennenlernen.

Tom Chesshyre reist ohne genauen Plan, eben dorthin, wohin die Schienen führen, und freundet sich unterwegs mit seinen Mitreisenden an – und natürlich mit dem ein oder anderen Schaffner. Ein persönlicher Reisebericht, der zeigt, was Europa zusammenhält. Und eine leidenschaftliche Einladung, sich mit dem nächsten Zug selbst auf den Weg zu machen. (Klappentext)

Rezension:

Als Groß-Britannien sich dafür entscheidet, die Europäische Union zu verlassen, besteigt der Reiseschriftsteller Tom Chesshyre einen Zug und begibt sich auf die Suche nach eben dem, wovon sich so viele seiner Landsleute entfernt zu haben scheinen. Was ist das, dieses Europa? Welche Bedeutung hat der Begriff, der für die Einen Hoffungsschimmer und Sehnsuchtsort, für die anderen Projektionsfläche allen Übels darstellt?

Was können wir heute noch von diesem Zusammenhalt für uns mitnehmen, der zunehmend zu bröckeln beginnt. Mit einem Interrailticket durchquert der Autor den Kontinent, von West nach Ost, Endstation Venedig.

Reiseberichte sind Momentaufnahmen bestimmter Zustände und zumeist sehr subjektiv. Da nimmt sich dieser von Tom Chesdshyre nicht aus, dessen Liebe zu Zügen bereits auf den ersten Seiten auffällt. Der Leser begleitet den Autor von Station zu Station, die Kapiteleinteilung folgt der Reiseroute. Eindrücklich sind die Schilderungen von Begegnungen im Zug, kurzen Momenten der Beobachtung an den Bahnsteigen. Passieren tut nicht viel.

Tom Chesshyre lässt sich treiben und überraschen, ob von belgischen Schaffnern oder im Museum der zerbrochenen Beziehungen, irgendwo im ehemaligen Jugoslawien. Das macht nichts. Interessant sind ohnehin die Gedanken des Briten, die mit zunehmender Entfernung von zu Hause immer mehr zum dortigen politischen Geschehen schweifen. Werden in einem Europa, in dem sich die Staaten immer mehr von einander entfernen, Reisen wie diese noch möglich sein?

Am Rande der Bahnsteige, Bahnhöfe, zeigen sich für Autor und LeserInnen, wie Europa heute noch wirkt und was das für die Menschen bedeuten kann, etwa im gebeutelten Kosovo oder in der von den jüngsten Auseinandersetzungen mit Russland geplagten Ukraine.

Sachlich, doch immer auch mit viel Emotionen verbunden, beschreibt Chesshyre was er sieht ohne ins Kitschige abzugleiten. Nur manchmal ist das Technische, die Eisenbahnliebhaberei dann doch etwas zu viel des Guten. Fans des Rollwerks auf Schienen kommen jedoch auf ihre Kosten. Liebhaber von Reiseberichten, ohnehin.

Ein Plädoyer für Europa, ob nun innerhalb eines politischen Gebildes, so doch als Gemeinschaft, in der ein jeder sein eigenes Leben lebt und doch auf den jeweils Anderen einwirkt. Die Eisenbahn verbindet heute noch ganze Länder und Regionen, funktioniert auch dort zuweilen, wo Politik gerade auseinander triftet.

Auf persönlicher Ebene scheint noch zu klappen, was offiziell immer schwieriger wird. Tom Chesshyre beobachtet, saugt auf und spricht mit den Menschen, hört zu. Das Reisen auf Schienen macht neugierig, verbindet, verändert Blickwinkel. Einen hauch davon kann man aus diesem Bericht mitnehmen. Damit ist dann schon ein Anfang gemacht.

Autor:

Tom Chesshyre wurde 1971 geboren und ist ein britischer Reiseschriftsteller. Für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte er mehrere Reportagen, u.a. bei The Times. Auch für National Geographic war er bereits tätig. Über das Zugreisen schrieb er bereits mehrere Reiseberichte. Chesshyre lebt in London.

Tom Chesshyre: Slow Train Weiterlesen »

Navid Kermani: Entlang der Gräben

Entlang den Gräben Book Cover
Entlang den Gräben Navid Kermani C.H. Beck Erschienen am: 26.01.2018 Seiten: 442 ISBN: 978-3-406-71402-3

Inhalt:

Ein immer noch fremd anmutendes, von Kriegen und Katastrophen zerklüftetes Gebiet beginnt östlich von Deutschland und erstreckt sich über Russland bis zum Orient. Navid Kermani ist entlang den Gräben gereist, die sich gegenwertig in Europa auftun: von seiner Heimatstadt Köln nach Osten bis ins Baltikum und von dort südlich über den Kaukasus bis nach Isfahan, die Heimat seiner Eltern.

Mit untrüglichem Gespür für sprechende Details erzählt er in seinem Reisetagebuch von vergessenen Regionen, in denen auch heute Geschichte gemacht wird. (Klappentext)

Rezension:

Europa ist ein politisches geschaffenes Gebilde, welches den Frieden auf den gleichnamigen Kontinent sichert. So scheint es. Doch im Inneren und an den Rändern gährt es.

Egal ob wir von den Parallelgesellschaften reden, die sich längst innerhalb der deutschen Städte aus Religions- und Volksgruppen gebildetet haben, ob man sich in Polen mit der Aufarbeitung der eigenen und fremden Geschichte schwer tut oder in der Ukraine im Spannungsfeld des Konfliktes im Donbass versucht, zu überleben, die Gräben in Europa scheinen tief.

Navid Kermani hat sich im Auftrag des Magazins Der Spiegel aufgemacht, diese Regionen aufzusuchen und zu erfahren.

Vom heimischen Köln bis hinein nach Isfahan, der ursprünglichen Heimat seiner Eltern. Er trifft die jenigen, die am Rande vergessener Konflikte leben müssen, mit den politischen und wirtschaftlichen Begebenheiten zurechtkommen müssen. Einfache Bewohner in der Region im Sperrgebiet von Tschernobyl, geschasste Schriftsteller in Aserbaidschan, Weissrussen und Iraner, die auf die Zukunft nach den jetzt dort herrschenden Mächten hoffen.

In mehreren Etappen durchquert er den Kontinent, stöbert interessante und nachdenklich stimmende Lebensläufe und Geschichten auf. Mit feiner Beobachtungsgabe seziert er den Zustand Europas, erkennt, dass es Konflikte auch hier gibt, die unlösbar scheinen, Menschen jedoch überall mit den gleichen Sehnsüchten nach Frieden zu Hause sind.

Obwohl Kermani für mehrmalige Reisen in die verschiedensten Winkel Europas aufgebrochen ist, ergibt sich eine zusammenhängende Route, die der Leser anhand von zwei Karten innerhalb der Buchdeckel verfolgen kann. Genau so übersichtlich sind auch die Berichte, geschrieben als Tagebucheinträge des Reiseberichts.

Detailliert beschreibt der Autor, was er sieht, welche Gespräche sich ergeben, manchmal mit Nennung der Namens seiner Kontakte, oft genug musste er jedoch Namen ändern, um die Personen in ihren Heimatländern keiner Gefahr auszusetzen.

Entstanden ist ein intimes Portrait einer Kette von Ländern, die uns oberflächlich gesehen, nicht ferner liegen könnten und doch so nah sind. Und immer wieder stößt er auf Neues, was den Autor selbst überrascht, wenn etwa das Brot in der selben Tradition hergestellt wird, wie bei uns, nur hunderte Kilometer von Deutschland entfernt und Literaturmuseen dort auftauchen, wo man es am wenigsten erwartet.

Besonders eindrücklich schildert er den Umgang der machthabenden Behörden mit den Menschen in den jeweiligen Ländern, aber auch die verschiedenen Sichtweisen, die etwa den Konflikt in der Ukraine und auf der Krim wachhalten, sowie das Zerwürfnis zwischen Aserbaidschan und Armenien.

Mit wohlwollenden und zuweilen traurigen Blick beobachtet er Vorgänge, die der Sichtweise eines friedlichen kulturellen Europas zumindest an seinen Rändern Lügen strafen. Detailliert schreibt er auf, ohne seine poetische Sprache zu verlieren, was er sieht.

Das Besondere sind die Bilder, die er wie ein Schwamm aufsaugt, Bilder von örtlichen Begebenheiten und von Menschen, deren Mut und Zuversicht, manchmal auch nur bloßer Wille zu überleben in jeder einzelnen Zeile sichtbar wird. Wer etwas über Europa lernen möchte, der sollte zu diesem Buch greifen.

Als Kind iranischer Eltern kommt er im Osten mit AfD-Wählern ins Gespräch, überall sonst berichtet er jeweils von beiden Seiten des zu benennenden Konflikts. Immer ausgewogen zu sein, Markenzeichen seiner Reportagereise, die packender und einprägsamer nicht erzählt werden könnte.

Kermani auf der Suche nach der Idee von Europa, und wie sie an den Rändern des Kontinents in Frage gestellt wird, zuletzt auch eine Suche nach sich selbst, die es sich zu begleiten lohnt. Eine sehr eindrückliche Leseempfehlung im Sachbuch-Bereich.

Autor:

Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Publizist und habilitierter Orientalist. Er arbeitere nach der Schule als freier Mitarbeiter und Redakteuer für verschiedene Zeitungen, studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaften. Seit 2007 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Von 2006-2009 war er Mitglied der deutschen Islamkonferenz. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und beschäftigen sich mit Grenzerfahrungen im Alltag, der Auseinandersetzung mit Tod und der islamischen Mystik. Für den Spiegel berichtete er aus mehreren Krisengebieten der Welt. Kermani lebt mit seiner Familie in Köln.

Navid Kermani: Entlang der Gräben Weiterlesen »