Taschenbuch

Osama Okamura: Die Stadt für alle

Inhalt:

Warum leben immer mehr Menschen auf der Welt in Städten? Und warum gibt es gleichzeitig Städte, die schrumpfen? Und was sagen abgesenkte Bordsteine über das Verhältnis von Autos und Fußgängern? Fragen, die uns alle etwas angehen. In diesem Handbuch für angehende Stadtplanerinnen und Stadtplaner erfahren wir, wie Städte funktionieren, was gutes Leben in ihnen ausmacht und welche Probleme dem entgegenstehen. Die Stadt ist ein globales Phänomen. Sie ist Begegnungsort und hat seit jeher für Innovationen und Veränderung gesorgt, Menschen zusammengebracht und Potenziale freigesetzt.

Auch jetzt verändert sich unsere Stadt rasant, und wir stehen vor Herausforderungen, von denen viele nicht einmal etwas mitbekommen haben. Höchste Zeit, sich mit der Stadt zu beschäftigen! (Klappentext)

Rezension:

Noch gar nicht lange ist es her, da kippte die Waage endgültig zu Gunsten der Städte. Immer mehr Menschen leben in diesen Orten, deren Wesen darin besteht, auf Vernetzung ausgelegt zu sein, bestimmt vom steten Austausch von Waren oder Dienstleistungen, ein Wechsel, der die Innovationskraft fördert und zugleich Segen und Fluch bedeutet.

Diese Strahlkraft ist kein modernes Phänomen, wie ein Blick in die Geschichte der Urbanisierung, Verstädterungsprozesse, zeigt und hat jene, die mit ihr leben, seit jeher vor Herausforderungen gestellt, derer sich Städte ständig stellen müssen.

So vielseitig wie die Stadt selbst, so vorausschauend muss gerade heute Stadtplanung sein. Der Architekt Osamu Okamura erklärt in seinem hier vorliegenden Sachbuch niederschwellig, wie dies funktionieren kann und mit welchen Herausforderungen verbunden ist.

In Zusammenarbeit mit den Künstlern David Böhm und Jiri Franta ist dabei ein großformatiges Coffee Table Book entstanden, welches wie eine Stadt selbst auf den ersten Blick chaotisch wirkt, jedoch die Lesenden in seinem Bann zieht. Fotos von in Pappe auferstandenen städtischen Szenarien veranschaulichen die einzelnen Themen, auch ein Spiel von Schrift und Karikatur zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Themen, die gleichsam einzelner Gebäude zusammen ein großes Ganzes, eben die Stadt ergeben.

So wird mit viel Liebe für Details nahegebracht, was anderenfalls nur graue Theorie, schwer verdaulich bleiben würde, ohne den Ernst der Thematik zur Karikatur verkommen oder wichtige Punkte außen vor zu lassen. Durchaus für alle Altersgruppen geeignet, werden hier Denkanstöße geliefert. Welche Aspekte machen eine Stadt lebenswert? Wie nutzen wir künftig historische Bausubstanz? Wie priorisieren wir Verkehr? Wie machen wir den Lebensraum Stadt für alle zugängig und durchlässig?

Dies sind nur einige Fragen, die der Autor beinahe in Was-ist-was-Manier klärt und zueinander in Zusammenhang stellt, dazu einlädt, sich einzubringen und einen anderen Blickwinkel auf die eigene Stadt einzunehmen? Hinterher ist aber auch das Verstehen möglich, warum Städte vor gewissen Herausforderungen stehen, auf die es keine einfachen oder eindeutigen Antworten gibt, auch dies ist eine Stärke des vorliegenden sehr besonderen Sachbuchs.

Kritik nur, dass eine durchaus sehr westliche Perspektive eingenommen wird, andere außenvor bleiben. Die aufbereitete Theorie im Großen und Ganzen ist allgemeingültig. Trotzdem, gerade in diesem Themenbereich hat man diese Art von aufbereiteten Sachbuch eher selten, welches wie ein gewachsener Organismus wirkt, so wie es die Stadt auch ist. Nicht nur deshalb wünscht man diesem Werk viele Lesenden. Auch weil es eben grafisch sich von anderen abhebt.

Auch das ist ja durchaus, im übertragenen Sinne, eine Gemeinsamkeit mit so einigen Städten.

Autor:

Osama Okamura wurde 1973 geboren und ist Architekt und Dekan an der Fakultät für Kunst und Architektur der Universität Libreck. Von 2015 an arbeitete er im Ausschuss für die Entwicklung von Urbanismus, Architektur und öffentlichen Räumen der Stadt Prag, bevor er Kurator des Projekts „Shared Cities: Creative Momentum“ wurde, welches sich mit dem Teilen innerhalb der Städte beschäftigte.

Danach arbeitete er als Programmdirektor eines Festivals über lebenswertere Städte und war zudem Chefredakteur einer Architekturzeitschrift. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Selbst ist er Nominator für den Mies van der Rohe Award, dem Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Osama Okamura: Die Stadt für alle Weiterlesen »

Michele K. Troy: Die Albatross Connection

Inhalt:

Die aufregende Geschichte des Albatross-Verlags – gegründet Ende 1931 in Hamburg – beschreibt in bester John-le-Carre-Manier, wie drei Glücksritter die Nazis austricksten, und ganz nebenbei die dramatischen Anfänge des modernen Taschenbuchs. (Klappentext)

Rezension:

Praktisch über Nacht überflügelte der Albatross seine Konkurrenten und blieb lange sichtbar das Wappentier eines der erfolgreichsten Verlage, die mitten im Europa des Zweiten Weltkriegs, tätig waren. Als Grenzen nahezu unüberwindbar waren, schufen die Gründer des Albatross-Verlags ein dichtes wirtschaftliches Netz und waren zuweilen so erfolgreich, dass sie selbst die strenge Zensur argwöhnischer NS-Behörden umgehen konnten, die dem Unternehmen misstrauten, es andererseits jedoch auch für ihre Ziele einzuspannen versuchten.

Ein Unternehmen, welches so nur in besonderen Zeiten existieren konnte und heutzutage fast dem Vergessen anheim gefallen ist, nachzuspüren, dieser Aufgabe hat sich sich die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Michele K. Troy gewidmet und so das entwirrt, was schon vor Augen der damaligen deutschen Obrigkeit schier undurchdringlich schien. In „Die Albatross Connection“ beschreibt sie detailliert die Entstehungsgeschichte eines Verlagsunternehmens und damit auch der Menschen, die einst englische Literatur auf den Kontinent heimisch machen und verbreiten wollten.

Und vorzüglich verpackt waren sie allerdings. Wenn Kleider Leute machtem, wie übrigens auch der schnittige persönliche Auftritt der Albatross-Chefs zu sagen schien, so machten die farbenfrohen Einbände und Schutzumschläge ihre Taschenbücher zu einer Klasse für sich.

Michele K. Troy: Die Albatross Connection

Aus Puzzleteilen zahlreicher privater und staatlicher Archive entstand in jahrelanger Recherche ein so spannendes Stück Literaturgeschichte, dass man diese zugleich als Krimi, Spionageroman oder Biografie der drei Albatross-Gründer lesen kann. Aber eben auch, dass (sich) am Schicksal dieses Unternehmens viele Köpfe zerbrachen.

Jahrelang verbarg sich Albatross, sichtbar für alle Welt. Nebelwerfen bewährte sich nicht nur als die beste Verteidigung gegen die Bürokratie des Nazistaates, sondern gewährte deutschen Lesern auch Zugang zu englischer und amerikanischer Literatur, als in Hitlerdeutschland die Reinigung des Volkstums von fremden Einflüssen längst im Gange war.

Michele K. Troy: Die Albatross Connection

Im Bann gezogen ist man dann, wenn die autorin etwa beschreibt, wie der Gründer John Holroy-Reece mithilfe von britisch-jüdischen Intellektuellen Finanzmittel auftreiben konnte, selbst jedoch für seine Mitstreiter kaum zu fassen war, gleichwohl diese in den gegnerisch zueinander stehenden Ländern Deutschland und Frankreich ihrerseits den Verlag am Leben erhielten.

Albatross hatte die duetschen Behörden glauben lassen, was sie glauben wollten […].

Michele K. Troy: Die Albatross Connection

Ohne den Faden bei ihren Recherchen verloren zu haben, taucht die Autorin in wundersame und erschreckende Zeiten ein, führt Lesenden die Fallstricke und Herausforderungen vor Augen, denen sich die Albatross-Connection, bestehend aus Holroyd-Reece, Kurt Enoch und Max Christian Wegner ausgesetzt sah, stellt jedoch auch dar, wie Wagemut und fast zu oft eine ungehörige Portion Glück ein Unternehmen unter den Augen eines Regimes überleben lassen haben, welches dessen Ideologie diametral entgegen stand.

Mit diesen Werk lässt Troy ein beeindruckendes Stück europäischer und nicht zuletzt deutscher Literaturgeschichte wieder lebendig werden, welches sicher seinen Eingang in die Bibliotheken entsprechender Hochschulen und Universitäten finden wird, so dass man dort eine detaillierte Überblicksschrift in den Händen halten kann. Doch nicht nur dort wird man beeindruckt zurückbleiben, ob dessen der Autorin es gelungen ist, die Puzzleteile aufzustöbern und zusammen zu fügen.

Der Albatross bildete die Grundlage des modernen Taschenbuchs, wie wir es heute kennen. Nicht nur für Literaturbegeisterte ist das Werk jedoch auch eine besondere Schrift gegen das Vergessen.

Autorin:

Michele K. Troy ist Professorin für Englische Literatur an der University of Hartford. Sie forscht zur angloamerikanischen Kultur in Europa zwischen und während der Weltkriege, sowie zur Entwicklung des modernen Taschenbuch und des Buchhandels während der NS-Zeit.

Michele K. Troy: Die Albatross Connection Weiterlesen »

Bücher gegen das Vergessen #02

Bücher gegen das Vergessen sollen uns geschichtliche Ereignisse vor Augen führen, für die wir nicht unbedingt die Verantwortung tragen, aber dennoch verantwortlich sind, sie nicht zu vergessen. Abseits von Rezensionen soll hier eine Auswahl vorgestellt werden.

Bisher in dieser Rubrik erschienen:

#01: Die Tagebücher des Petr Ginz

[Einklappen]

Kressmann Taylor „Adressat unbekannt“

Es sind nur ein paar Briefe, auf denen diese kleine Novelle beruht und doch traf die Autorin einen Nerv bei ihrem Lesepublikum, als ihre Geschichte als Fortsetzungsreihe 1938 veröffentlichte. Unter Pseudonym in der Zeitschrift „Story“ publiziert, erzählt Kathrine Taylor in Form eines Briefwechsels vom Zerbrechen einer Freundschaft aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933.

Wenige Seiten sind es, nicht einmal 60, auf denen ein Strudel von Ereignissen sich abspielt. Zunächst ist da die Freundschaft zweier, die zusammen eine kleine Kunstgalerie in San Francisco gründeten und nun getrennt voneinander leben. Der Eine, seiner Familie zu Liebe in Deutschland, macht nun in der Stadtverwaltung von München Karriere. Martins Freund dagegen, Max, leitet nun alleine die Galerie.

Meine Ausgabe ist eine bei Rowohlt erschienene Taschenbuchausgabe.

Verlinkt ist die aktuell verfügbare.

Sprengstoff tut sich auf. Max ist jüdischer Abstammung und nimmt die aus Deutschland kommenden Berichte mit Sorge auf. Er hakt bei seinem Freund nach, der zunächst beschwichtigt, jedoch immer mehr der grausamen Ideologie der Nazis verfällt. Natürlich muss die Freundschaft zuerbrechen, natürlich macht die Politik auch nicht vor Max‘ Familie in Deutschland halt. Natürlich macht sich Martin schuldig.

Die kleine Novelle besteht nur aus diesen Briefen, die man in sich aufnimmt und immer hilfloser Zeile für Zeile liest. Kressmann Taylor reißt ihre Leser, gleichsam wie ihre beiden Protagonisten, in den Abgrund. Der wahre Hintergrund ist es, der diese Geschichte so grausam werden lässt. Die Nazis hatten das Büchlein in Deutschland wohlweißlich verboten.

Im Jahr 1995, anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung der Vernichtungslager wurde die Novelle, von der nicht viel mehr verraten werden kann, nicht verraten werden darf, wieder aufgelegt. Diesmal in mehr als fünfzehn Sprachen. Es ist eines dieser Bücher, die so ganz unscheinbar sind, von denen man sich angesichts ihrer Dichte nicht viel erhofft, die einem dann jedoch umhauen und nicht mehr loslassen.

Wie viele Freundschaften mögen auf ähnliche Art und Weise zerstört worden sein? Wie erging es den Menschen, die hinter den Briefen steckten, die die Vorlage für diesen erschütternden Roman bildeten? Zumindest von einem der Protagonisten kann man das Schicksal erahnen. Dessen Brief kam mit dem Stempel „Adressat unbekannt“ zurück.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Bücher gegen das Vergessen #02 Weiterlesen »