Kind

Jessica Lind: Kleine Monster

Inhalt:
Pia und Jakob sitzen im Klassenzimmer der 2B, ihnen gegenüber die Lehrerin ihres Sohnes. Es habe einen Vorfall gegeben, mit einem Mädchen. Pia kann zunächst nicht glauben, was ihrem siebenjährigen Kind vorgeworfen wird. Denn Luca ist ein guter Junge, klug und sensibel. Sein Vater hat daran kein Zweifel. Aber Pia kennt die Abgründe, die auch in Kindern schlummern, das Misstrauen der anderen erinnert sie an ihre eigene Kindheit.

Also lässt sie ihren Sohn nicht mehr aus den Augen und sieht einen Menschen, der ihr von Tag zu Tag fremder wird. Bis Pia bei dem Versuch, ihre Familie zu schützen, schließlich mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert wird. Ein fesselndes psychologisches Drama über die Illusion einer heilen Kindheit. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:
Die Abgründe in unser engsten Umgebung scheinen tiefe Gräben zu sein. Zugeschüttet, vernarbt sind sie, doch gibt es Ereignisse, die sie wieder schmerzlich aufbrechen lassen. In Jessica Linds Erzählung „Kleine Monster“ treten die Dämonen vergangener Tage hervor und scheinen sich in der Gegenwart zu spiegeln.

Doch hält eine Eltern-Kind-Beziehung dies aus, wenn dem eigenen Nachwuchs scheinbar nicht mehr zu trauen ist und noch weniger, sich selbst?

Feine Risse bekommt das Idyll in dem kompakt gehaltenen Roman, als die Hauptfiguren zu einem Gespräch in der Schule ihres Sohnes geladen werden. Ein Vorfall hätte es gegeben, genaues wisse man nicht. Der kindliche Protagonist schweigt sich darüber aus, währenddessen Fragen sich im Kopfe der Hauptfigur zu bilden beginnen und die Geschichte ins Rollen bringen.

Vieles spielt sich im Inneren von Pia ab, die durch ihre Gedankenwelt Konturen bekommt und zur Handlungstreibenden der Erzählung wird. Nach und nach bekommen sie und die anderen Figuren somit ihre Konturen. Eine ganz eigene Dynamik entfacht sich durch das Hinzuziehen weiterer Protagonisten und Pias Reaktionen darauf, die schon bald die Dämonen der eigenen Vergangenheit zu Tage treten lassen.

Zunächst hat sie damit alle Sympathien auf ihrer Seite, entwickelt sich jedoch nach und nach zu einer Protagonisten, die in ihrem Reagieren immer distanzierter wirkt und so auch handelt. Die Liebe von Eltern zu einem Kind hat bedingungslos zu sein. Doch was, wenn dieses Ideal in Frage gestellt wird. Dieses Gedankenkonstrukt wird sowohl anhand einer Vergangenheits- und auch einer Gegenwartsebene erzählt. Besonders die Hauptfigur ist damit doppelt belastet, aber auch ihre Umgebung ist davon nicht unbedingt unberührt.

Man leidet mit den Kind, den Eltern innerhalb dieser kompakten Erzählung, die über einen Zeitraum von wenigen Wochen spielt und durch zusätzlich beschriebene Ortswechsel noch kontrastreicher wirkt. Auch die Handlungsorte werden so zum Spiegelbild der Figuren, die allesamt ihr Gepäck zu tragen haben. Pias Perspektive bleibt jedoch die hauptsächliche, doch verursacht gerade diese Beibehaltung im Mittelteil für ein Absenken des Spannungsbogens, der nicht konsequent bis zum Ende durchgehalten wird.

Überraschende Wendungen sucht man in diesem Roman vergebens. Trotz teilweise fast filmischer Beschreibungen, den Hauptberuf der Autorin merkt man durchaus die gesamte Zeit über, liest man ein durchdachtes Konstrukt, was nur hin und wieder für einen gewissen Aha-Effekt sorgt. Dennoch ist eine gewisse Sogwirkung dem Text nicht abzustreiten, auch wird man sich manche Abschnitte atemlos zu Gemüte führen.

Je nach Erfahrungswerte und Stellung innerhalb eigener Familienkonstellationen kann dabei die Positionierung zu den einzelnen Figuren durchaus unterschiedlich sein. Die Handlungsorte dabei sind sehr plastisch geschildert, nachvollziehbar dargestellt, auch wenn sich ein gewisser Mehltau wie ein Schleier über die Erzählung legt.

Das Ende wirkt dabei nicht ganz rund. Halboffen ist hier der richtige Weg gewesen. Nicht alle offenen Fragen werden geklärt. Einiges findet im Kopf der Lesenden statt, doch irgendwie scheint das richtige Maß nicht getroffen worden zu sein. Zudem stößt man während des Lesens auch auf sprachliche Gegebenheiten, die eventuell regional verschieden gehandhabt werden. Kleinere Stolperfallen also, die aber nicht allzu sehr ins Gewicht fallen.

Die Schwächen einmal außer Acht gelassen, ergibt sich jedoch eine durchaus interessante Lektüre.

Autorin:
Jessica Lind wurde 1988 in St. Pölten geboren und ist eine österreichische Drehbuchautorin und Schriftstellerin. Zunächst studierte sie an der Filmakademie Wien Drehbuch und Dramaturgie, bevor sie mit einem Literaturstipendium zu Schreiben begann. 2010 erhielt sie einen Förderpreis der Stadt St. Pölten, sowie 2012 das BMUKK Startstipendium für Literatur. Nach einer Teilnahme in einer Schreibwerkstatt erschienen einige ihrer Texte in Anthologien und Literaturzeitschriften. 2021 erschien ihr Autorinnendebüt. Zudem ist sie Autorin des Films „Rubikon“.

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Colin Niel: Darwyne

Inhalt:
In einem Slum am Rande des Amazonasdschungels lebt der zehnjährige, körperlich leicht beeinträchtigte Darwyne mit seiner Mutter Yolanda, die er über alles liebt. Eine Meldung bei der Kinderschutzbehörde veranlasst die Sozialarbeiterin Mathurine, den Fall von Darwyne wiederaufzunehmen, obwohl Yolanda, die von vielen Männern in der Region begehrt wird, eine tadellose Mutter zu sein scheint … (Klappentext)

Rezension:
Nichts ist wie es scheint und alles ist anders, am Rande des städtischen Slums, der stets droht von der Flora des angrenzenden Dschungels vereinnahmt zu werden. Ein steter Kampf ist für die Bewohner, dagegen anzukommen. Alle versuchen sich irgendwie durchzuschlagen. In diese eigentümliche Welt entführt uns der Schriftsteller und Forstingenieur Colin Niel in seinem Werk „Darwyne“, und folgt den gleichnamigen Hauptprotagonisten, dessen Verbindung zur Natur bezeichnend ist. Ebenso wie die Einkategorisierung des Textes nach verlegerischen Maßstäben.

Ein Thriller ist dies nämlich nicht, gleichwohl dies der Untertitel behaupten möchte. Ein Roman liegt hier vor, mit leichten Spannungselementen, die im Verlauf der Handlung ebenso zart Mystische übergehen. Für einen komplett sich durchziehenden Spannungsbogen reicht es nicht und so plätschert die Handlung nur so dahin.

Hierbei wird viel Potenzial verschenkt, denn die Grundidee sticht heraus unter der Vielzahl, welche diverse Büchertische zu bieten haben. Da wären zunächst einmal die Handlungsorte, welche im wesentlichen die Behausung innerhalb des Slums und der angrenzende Dschungel darstellen, als auch die im Vergleich dazu cleane und triste Büro- und Lebenswelt der zweiten Hauptfigur Mathurine aus deren Sicht die Handlung, abwechselnd zu Darwynes eigenem Blickwinkel erzählt wird.

Dadurch schälen sich Kontraste gut heraus, doch tritt die Handlung einem Großteil des Verlaufs auf die Stelle. Wenn wie hier, nicht gerade ausschweifend erzählt wird, wirkt dies schnell ermüdend.

Dabei umfasst der Handlungszeitraum wenige Wochen, in denen wir die Figuren mit all ihren Ecken und Kanten kennenlernen. Vor allem die Hauptprotagonisten sind so ausgestaltet, dass man diesen ihre Wahrnehmung der Dinge abnimmt. Nebenfiguren dienen „Darwyne“ als Antagonisten und Handlungstreiber, könnten jedoch an der einen oder anderen Stelle noch stärker zu Tage treten. Mit fortschreitender Seitenzahl wird dabei die Beziehungsebene von Yolanda und Darwyne immer weniger nachvollziehbar, was sich wiederum auf die Spannungsebene erheblich auswirkt.

Lücken in der Erzählung werden dabei bis zu einem gewissen Grad zum Ende hin geschlossen. Überraschende Wendungen sind dagegen kaum vorhanden. Das liegt an den bereits beschriebenen Punkten, keinesfalls an die eingebrachte Sachkenntnis des Autoren über das Leben in Slums einerseits, andererseits über Flora und Fauna des Dschungels in Französisch-Guayana. An manchen Stellen fühlt es sich so an, als würde man eine Natur-Doku schauen.

Trotzdem vermag es die Geschichte nicht, einem lesend in diese Welt hinein zu ziehen. Auch wenn man sich Schauplätze und Figuren durchaus bildlich vorstellen kann, bleibt am Ende nichts Entscheidendes an Eindrücken zurück.

Und irgendwie geht es ja gerade beim Lesen immer darum.

Autor:
Colin Niel wurde 1976 in Clamart geboren und studierte zunächst Evolutionsbiologie und Ökologie, bevor er als Agrar- sowie Forstingenieur arbeitete. In Französisch-Guayana beschäftigte er sich u. a. im Bereich Biodiversität. Er veröffentlichte mehrere Werke, die u. a. aumit dem Prix Polar en series ausgezeichnet wurden. Für „Darwyne“ erhielt er den Prix L’usage du Monde 2023 und den Prix Joseph. Niel lebt in Marseille.

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David Lambert: Memo Wissen – Dinosaurier

Inhalt:

Wozu hatten Dinosaurier Stacheln, Platten und Segel? Wie groß wurden die Giganten unter ihnen?

Gab es auch Dinosaurier mit Federn? Erfahre alles über die spannende Welt der Urzeit.

Reihe:

Die Reihe „Memo Wissen“ umfasst mittlerweile zahlreiche weitere Bände zu vielen Themen, von der Titanic bis hin zum Klimawandel, Katzen oder Fußball und ist ab 8 Jahren empfohlen.

Rezension:

Einer der wenigen Verlage, die es schaffen, etwa im gleichen Stil, doch in jedem Fall von gleichbleibender Qualität Sachbücher für alle Altersgruppen anzubieten ist mit Sicherheit Dorling Kindersley, der mit seiner Reihe Memo Wissen hochwertig grafisch aufbereitete und interaktive Werke anbietet, die dazu einladen, zu blättern, zu schmökern und interessante Fakten wie ein Schwamm in sich aufzunehmen.

Quelle: Dorling Kindersley

Allgemein empfohlen ab acht Jahren, sicherlich bei Interesse noch viel eher, lädt der folgende Band ein, die Welt der „Schreckensechsen“ zu erkunden. Die Reise ins Zeitalter der Dinosaurier folgt den Spuren von Tyrannosaurus Rex und anderen, zeigt, wie sie lebten und wie Paläntologen und Forscher auf der ganzen Welt arbeiten, um sich ein Bild von ihnen zu machen. Wie verläuft eigentlich die Ausgrabung eines Dinosaurier-Skeletts, welches Werkzeug benötigt man dazu und woher wissen wir eigentlich, wie das Leben in Trias, Jura und der Kreidezeit ausgesehen hat?

In häppchengroße Texte unterteilt, ergänzt durch zahlreiche Grafiken und Fotos sind die Informationen so aufbereitet, dass sich dieses Buch leicht selbstständig lesen lässt. Ein Kapitel umfasst dabei nicht mehr als zwei Seiten, so dass auch hier dafür gesorgt wird, nicht mit allzu vielen Fakten von Monolopho- und Brontosaurus überrannt zu werden.

Berücksichtigt werden dabei neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, so dass schon die jüngste Leserschaft ernstgenommen wird und wie bereits mit den Büchern zum Alten Ägypten oder den Planeten, sowie anderer Themen, auch in diese Welt versinken kann. In Kooperation mit der Lernplattform kahoot! gibt es sogar ein interaktives Quiz in verschiedenen Schwierigkeitsstufen, erreichbar durch QR-Codes innerhalb des Buches. Dazu wird weder eine Anmeldung benötigt, noch enthält diese Werbung. Das Buch ist zudem bei Antolin verfügbar.

Hier geht es ebenso um Wissensvermittlung, nur auf spielerische Art. Die Lernplattform bildet so eine sinnvolle und kreative Ergänzung zu dieser tollen Reihe. So bekommen auch die Jüngsten interessebezogenes Überblickswissen und ja, auch als Erwachsener blättert man hier gerne durch. Jedoch für die Zielgruppe ist dieses liebe Buch eine klare Empfehlung wert.

Autor:

David Lambert ist Kinderbuchautor.

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Asmo Tear/Pjotr X: Tränenhaus

Inhalt:

Für den zwölfjährigen Dominik ist das Leben die Hölle. In der Schule wird er brutal gemobbt und seine Eltern benutzen ihn, um ihre Drogensucht zu finanzieren. Nur sein neuer Freund Piet hält zu ihm und gibt ihm neuen Lebensmut. Schließlich geraten die Dinge immer mehr außer Kontrolle und der Junge landet in einem Heim, wo er vom regen in die Traufe kommt.

Doch Dominik sinnt auf Rache und erhält eines Tages durch ein Geschenk, das nicht aus der realen Welt stammen kann, die Möglichkeit zurückzuschlagen. Menschen in Dominiks Umfeld sterben… (Klappentext)

Rezension:

Die im expliziten Horror mit übernatürlichen Elementen versehene vorliegende Erzählung ist nichts für schwache Nerven. Hart an der Grenze zum Trash sind es hier immer wieder explizite Beschreibungen, die ein Kopfkino in Gang setzen und somit „Tränenhaus“ nicht nur zu einer schweren, gar zu einer beinahe qualvollen Lektüre machen.

Dabei bewegen sich die Autoren, die hier unter Pseudonym veröffentlicht haben, zunächst in einer Genre-Mischung aus Krimi und Thriller, wenn sie uns Lesende die Hauptfigur kennenlernen lassen, die Erschreckendes zu erleiden hat. Die Eltern, mehr als kaputt, benutzen den zwölfjährigen Dominik zur Finanzierung ihrer Drogensucht, auch in der Schule findet der Junge keine Ruhe. Rasant ist das Erzähltempo von Beginn, sowie die Stimmung ernüchternd ist.

Man leidet sofort mit der Hauptfigur, die man eigentlich nur aus dieser doch recht kompakt gehaltenen Erzählung herausziehen und in Sicherheit wiegen möchte. Dabei wird der Gutteil an Unmenschlichen nur durch das Kopfkino im Inneren bestimmt, was aber vollkommen ausreichen kann, um körperliche Reaktionen in Gang zu setzen. Mehr als einmal muss man die innerhalb eines Zeitraums von wenigen Monaten spielende Geschichte beiseite legen, um sie durchzustehen.

Zumindest, wenn man selbst menschliche Seiten hat. Davor warnen auch indirekt die Content-Warnung zu Beginn und das dem Roman angefügte Nachwort, von dem ich mir nicht sicher bin, ob es nicht besser gewesen wäre, es als Vorwort abzudrucken.

Die in der deutschen Hansestadt Hamburg spielende Geschichte bringt wichtige Themen aufs Tableau und besticht durch ihre zwei Hauptprotagonisten, die man nur sympathisch finden kann. Ohne die, die ebenso wie alle anderen Figuren ihre Ecken und Kanten haben, würde man die Erzählung sonst nicht durchstehen, allem voran Dominik, der Unmenschliches erleiden muss, sich aber dank seines Freundes, auch in später seelischer Verbundenheit, lernt gegen seine Widerparts zur Wehr zu setzen.

Diese sind die verschiedenen Facetten des absolut menschlichen Bösen. Die Autoren bedienen hier ein klassisches Schwarz-Weiß-Schema, was aufgrund der Härte der Beschreibungen noch mal um so mehr seine Wirkung entfacht.

Beinahe allein aus Dominiks Perspektive erleben wir die Handlung. Zeitsprünge wie Rückblenden vervollständigen Hintergründe, auch teilweise sehr detaillierte Ortsbeschreibungen lassen Bilder vor dem inneren Auge entstehen, derer man sich nicht entziehen kann, obwohl man genau das die ganze Zeit möchte.

Ins Trashige kippt die Handlung, die ansonsten sehr viel daran setzt, schlimmste Kopfkino-Szenarien in Gang zu setzen, wenn übernatürliche Elemente vor allem gen Ende einen größeren Raum einnehmen. Das hätte es hier nicht gebraucht, außer man gesteht der Hauptfigur das Schlimmste was ihr angetan wurde, zu manifestieren und in kindlicher Phantasie umzukehren, was sprachlich und psychologisch eine tolle Umsetzung durch die Autoren wäre. Im schlechtesten Fall könnte es aber auch der einzige Ausweg aus einer Geschichte gewesen wäre, von der man nicht wusste, wie man sie sonst hätte beenden können.

Das Ende jedenfalls nimmt sehr viel von dem weg, was die Erzählung zu Dreiviertel ausmacht, was schade ist.

Wer die Content-Warnung zu Beginn und das Nachwort gelesen hat, weiß jedenfalls, worauf er sich einlässt, wenn man das ganze multipliziert. Für alle anderen wird die Erzählung kaum lesbar sein.

Autoren:

Asmodina Tear ist das Pseudonym einer Autorin., die 1985 in Helmstedt (Niedersachsen) geboren wurde. Nach einer Ausbildung im Verwaltungsdienst und dem Erlernen von drei asiatischen Sprachen, entschied sie sich endgültig für das Schreiben und verfasst sowohl Gedichte als auch Kurzgeschichten und Romane.

Pjotr X, ebenfalls ein Pseudonym, schreibt u. a. Horror mit Splatter-Elementen. Er wuchs zwischen Ruhrgebiet und Münsterland auf und studierte an der Universität Münster bevor er sich dem Schreiben widmete. Ein erstes Manuskript entstand in den 1990er Jahren, welches später veröffentlicht wurde. Weitere Geschichten folgten.

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Rüdiger D.C. Kinting: Mein Freund Ybor

Inhalt:

Der elfjährige Felix bekommt von seinem Vater einen Roboter geschenkt. Den möchte er für seine Klasse beim Robotik-Wettbewerb antreten lassen – obwohl er von seinem Mitschüler Angus eingeschüchtert und bedroht wird. Doch „Ybor“, wie Felix den echten Roboter vom Planeten Origan nennt, hilft ihm dabei, an sich selbst zu glauben. Und so hält Felix an seinem Plan fest. Als Ybor am Tag vor dem großen Wettbewerb spurlos verschwindet, ist Felix verzweifelt. Ist Ybor weggelaufen? Oder steckt Angus hinter der Entführung?
(Klappentext)

Rezension:

Eine Geschichte über Freundschaft und Mut präsentiert uns Rüdiger D. C. Kinting mit seinem neuen Kinderbuch „Mein Freund Ybor“, in welchem ein kleiner Roboter seinem menschlichen Freund Felix hilft, über sich hinauszuwachsen. Dabei sieht sich der Elfjährige gegenüber der großen Schwester benachteiligt und von seinem Klassenkameraden Angus drangsaliert, wieder einmal im Hintertreffen, als es um die Teilnahme seiner Klasse an einem Robotik-Wettbewerb geht.

Schließlich würden sie ohnehin den Roboter von Angus nehmen, der sich mit dem Geld seines Vaters stets das Beste und Neueste leisten kann. Als sein Vater jedoch einen Blechroboter von der Arbeit mit nach Hause bringt und dieser schließlich von den Klassenkameraden zur Teilnahme ausgewählt wird, ändert sich alles. Bis Ybor plötzlich verschwindet. Schon da muss Felix über sich hinauswachsen. Ohne zu ahnen, dass seine größte Herausforderung noch bevorsteht.

Dieses feine Kinderbuch kommt zunächst in ruhigen Tönen daher und schafft gleich zu Beginn einen sympathischen Zugang zu den beiden Hauptprotagonisten, die einander kennenlernen und dem menschlichen Part nach und nach aufzeigen, dass nichts in Stein gemeißelt ist, auch und schon gar keine Rangordnung in Klassenzimmer, dass es sich lohnen kann, mutig zu sein. Ohne erhobenen Zeigefinger, in klarer Sprache, baut der Autor dabei nach und nach seine Figuren auf und versieht sie mit Ecken und Kanten. Die junge Leserschaft darf hinter die Kulissen schauen. Auch scheinbare Antagonisten haben nachvollziehbare Gründe für ihr Handeln. Auch innerhalb dieser überschaubaren Seitenzahl der leicht zugänglichen Kapitel handelt niemand einfach so.

Der Autor nimmt seine junge Leserschaft, von der man sich nur wünschen kann, dass sie zahlreich werden möge, ernst und erzählt eine Geschichte von wenigen Tagen, in denen sein Protagonist nicht nur Ängste überwinden muss. Dabei wechseln stets ruhige mit spannungsreichen Momenten ohne unlogische Brüche oder Längen entstehen zu lassen. Das führt wiederum dazu, dass man auch als Erwachsener nicht gelangweilt wird. Ein kleiner Kinderroman, der sich gut zum Vorlesen eignet, ist „Mein Freund Ybor“ auch.

Der psychische Wandlungsprozess der Hauptfigur ist schön gestaltet, ebenso wie die Zeichnungen, die die Erzählung illustrieren und ebenso Kintings Feder zuzuschreiben sind. Für Kinder nachvollziehbar ist die Geschichte durch die aufgebauten Szenarien. Viele werden wohl den Klassenbully kennen, schulische Wettbewerbssituationen oder, wenn sonst nichts schief geht, große nervige Geschwister. Mehr braucht es nicht für ein Abenteuer, oft genügen diese Faktoren jedoch für Herausforderungen, die für Erwachsene vielleicht nicht gerade groß, für Kinder manchmal um so mehr unüberwindbar scheinen.

Dies in kindgerechter Sprache zu verpacken, ohne moralische oder andere Holzhammer auszupacken, ist in „Mein Freund Ybor“ gelungen. Manche Elemente mögen bekannt vorkommen, aber das macht nichts, wenn das Gesamtpaket stimmt. Wen das nicht reicht, der kann sich dann selbst einen kleinen Roboter basteln. Die Anleitung für Ybor wäre auf der Autoren-Seite zu finden.

„Mein Freund Ybor“ ist ein liebevolles Kinderbuch, welches nicht nur seinen Protagonisten über sich hinauswachsen lässt. Nebst Sterne auch ein großes Herz dafür.

Autor:
Rüdiger wurde in Offenburg geboren und studierte Deutsche Philologie, Musik- und Erziehungswissenschaften in Heidelberg. Schon seit seiner Schulzeit schreibt und komponiert er und war zweifacher Preisträger des »Landeswettbewerbes Deutsche Sprache und Literatur Baden-Württemberg«. Seit 2015 veröffentlicht er Kurzgeschichten, Märchen und Bücher im Selfpublishing (http://www.ruedigerkinting.de). Seine Geschichten enthalten meist phantastische Elemente. Hauptberuflich arbeitet Rüdiger in einer Digitalagentur in Mannheim.

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Helmut Schmidt, Sanna Stroth: Autismus

Inhalt:

Autismus – das Sichabsondern von der Außenwelt und Verschlossenbleiben in der Welt der eigenen Gedanken und Phantasien – zählt zu den besonders rätselhaften seelischen Störungen. In diesem Buch werden die verschiedenen autistischen Störungen und ihre Diagnostik beschrieben, die wichtigsten Behandlungsformen erläutert sowie die neuesten Ergebnisse der Autismusforschung vorgestellt. (Klappentext)

Rezension:
Immer noch ist Autismus eine schwer zu verstehende und zu untersuchende Störung, da Betroffene sich innerhalb eines großen Spektrums unterschiedlicher Ausprägungen bewegen, man den einzelnen Menschen betrachten muss und dabei Überschneidungen mit anderen Störungen oder Determinanten beachten, diese mitunter gesondert betrachten oder zunächst ausschließen muss, bevor man sich mit dem eigentlichen Autismus beschäftigen kann.

Dies stellt nicht nur das Fachpersonal, Psychologen und Psychotherapeuten im Rahmen des sog. frühkindlichen Autismus vor Herausforderungen, immer öfter müssen diese auch bei Erwachsenen beachtet werden. Der Psychiater Helmut Remschmidt und die Psychologische Psychotherapeutin Sanna Stroth haben einerseits die Geschichte, andererseits den aktuellen Wissenstand in Erkennung, Diagnostik und Behandlungsformen zusammengefasst. Dabei ist dieses kompakte Werk entstanden.

Mit besonderen Interesse habe ich dieses Buch aus der informativen Reihe aus dem Hause C. H. Beck gelesen, da als Betroffener ich verstehen und mit meinen eigenen Kenntnisstand dieses Wissen abgleichen möchte. Dies gelingt mit diesen Werk wunderbar, komprimiert es die aktuellen Kenntnisse so, dass keine wichtigen Informationen verloren gehen, zudem das Zusammengetragene verständlich dargebracht wird, was ein ohnehin großes Plus dieser Reihe ist.

In zugänglicher Sprache geht es zunächst um den Begriff an sich und dessen Geschichte, sowie um die Einordnung als Störung mit einem gewissen Spektrum, bevor dann eine Aufgliederung notwendig wird, der beide Fachleute Rechnung tragen. Ausführlich wird zunächst auf die Autismus-Spektrum-Störung selbst eingegangen, wobei Merkmale besprochen, die Diagnostik erläutert wird, bevor dann die Wichtigkeit der Abgrenzung von anderen Störungen aufgezeigt wird. Immer wieder werden dabei leicht verständliche Grafiken eingeführt, die zugleich Zusammenfassung sind als auch das Gelesene verständlich machen. Ursachen und Konsequenzen für die Therapie, deren Verlauf und Prognose kommen zuletzt zur Sprache, bevor beide Wissenschaftler dann auf den sog. atypischen Autismus eingehen.

Genau so kompakt gehalten, die einzelnen Kapitel sind so kurz wie möglich, geht es anschließend um Behandlungsmethoden und ihre Wirkungsweisen. Hierbei wird deutlich, dass gerade dort noch große Lücken im Wissen um Wirksamkeit und Erfolge bestehen, wobei auch dort durchaus Fortschritte auszumachen sind. Dem minimalen Raum, den der Autismus im Erwachsenenalter in diesem Werk einnimmt, kann man schon beim Überfliegen des Inhaltsverzeichnis entnehmen, dass dies eine relativ neuer Abschnitt innerhalb der Medizin ist, dem zuvor relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Folglich ist der Kenntnisstand darüber einfach noch nicht groß.

Trotzdem zeigen Remschmidt und Stroth hier, was Autismus für Betroffene und derer Umgebung, insbesondere elterliche Bezugspersonen und Betreuer bedeutet und schaffen damit ein neues Verständnis, dem man dann noch Berichten von Betroffenen anfügen möchte, auch dafür gibt es inzwischen einige gute Beispiele. Allein, hier ist aktuelles Überblickswissen versammelt, welches in den nächsten Jahren noch vervollständigt und ergänzt werden dürfte. Empfehlenswerte Lektüre für alle Interessierten.

Autoren:

Helmut Remschmidt wurde 1938 im damaligen Rumänien geboren und ist ein deutscher Kinder- und Jugendpsychiater und Psychologe. Nach dem Krieg flüchtete die Familie nach Oberfranken, wo er nach dem Abitur Medizin, Psychologie und Philosophie studierte. 1964 promovierte er mit seiner Dissertation und wurde nach verschiedenen Stationen, etwa als Wissenschaftlicher Assistent habilitiert. Danach wirkte er an der Freien Universität Berlin, wechselte anschließend nach Marburg und Mannheim. Er war 14 Jahre lang Vorsitzender des Vereins „Hilfe für das autistische Kind“ und ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Er wurde 1999 mit dem renommierten Max-Planck-Forschungspreis ausgezeichnet.

Sanna Stroth ist Psychologische Psychotherapeutin und Projektleiterin am Marburger Institut für Autismusforschung und Therapie an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Philipps-Universität Marburg. Sie forscht zu den biologischen und sozialen Grundlagen der Autismus-Spektrum-Störung.

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Laura Baldini: Aspergers Schüler

Inhalt:
Wien, 1932: Erich ist noch ein Junge, als er zu Dr. Hans Asperger an die Uniklinik Wien kommt. Er sieht die Welt nicht wie andere Kinder. Er kann hochkomplexe mathematische Probleme lösen, aber es fällt ihm schwer, seine Gefühle zu zeigen. Nach schrecklichen Jahren in einer Pflegefamilie erlebt er hier zum ersten Mal Zuneigung und Verständnis.

Die Krankenschwester Viktorine schließt Aspergers Schüler ganz besonders ins Herz. Für sie bricht eine Welt zusammen, als die bahnbrechende Arbeit ihrer Abteilung vom NS-Regime vereinnahmt wird. Während Asperger sich mit den neuen Machthabern arrangiert, ist Viktorine entsetzt, als sie erfährt, was an der Klinik am Spiegelgrund vor sich geht. Für Erich wird es lebensgefährlich. (Klappentext)

Rezension:

Wenn gut ausgearbeitet und die wirklichen Begebenheiten nicht allzu sehr zu Gunsten der Fiktionalisierung zurechtgebogen, darf sich auch ein historischer Roman zu den Büchern gegen das Vergessen zählen. Ist dies Laura Baldini mit ihrer hier vorliegenden Erzählung „Aspergers Schüler“ gelungen oder gleitet ihr Text allzu sehr ins Kitschige ab, wie dies auf einige Texte dieses Genres zutrifft?

Auf zwei Zeitebenen erzählt der historische Gesellschaftsroman vom dunklen Kapitel Euthanasie, der österreichischen Geschichte unter deutscher Vereinnahmung im Zweiten Weltkrieg und vom Kinderarzt und Heilpädagogen Hans Asperger, der als Erstbeschreiber des später nach ihm benannten Asperger-Syndroms, einer Form des Autismus, zumindest in Europa gilt.

In vergleichsweise einfacher Sprache, überraschend leichtgängig, fast zu sehr möchte man meinen, taucht man in gut geordneten Kapitel in die jeweiligen Handlungsstränge ein, springt zwischen die Jahre des Zweiten Weltkriegs und dem Wien 1986, in dem sich noch allzu viele nicht der Vergangenheit ihres Landes stellen wollen.

Hauptprotagonistin des einen Handlungsstranges ist Viktorine, die als Krankenschwester Zeitenwende und Vereinnahmung der Klinik, das Verdrängen von Kollegen und Kolleginnen erleben muss, sowie nach und nach den Schrecken der neuen Ideologie einziehen sieht, deren Auswirkungen sie zunächst nicht sehen möchte und die Augen davor verschließt, was um sie herum passiert. Erst als es beinahe zu spät ist, begreift sie das Grauen. Ansonsten macht diese Protagonistin kaum eine nennenswerte Entwicklung durch.

Ebenso naiv gibt sich ihr Gegenstück im zweiten Handlungsstrang, der Jahrzehnte später spielt, so dass man beide schütteln möchte, was mit dem Wissen und zeitlichen Abstand von heute ziemlich leicht, damals vermutlich um so schwerer gewesen wäre. Andere Figuren bleiben in diesem sonst gar nicht ausufernden Roman erstaunlich blass, wenn sich auch die Autorin an der Beschreibung des Bösen sehr akkurat an die historischen Fakten gehalten hat.

Hier merkt man die Recherchearbeit und Sachkenntnis Baldinis. Die Autorin arbeitet neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin mit Kindern, die das Asperger-Syndrom haben. Empfehlenswert ist hier das Nachwort zur Einordnung.

Am besten funktioniert der Text, wenn sie mit ihren Beschreibungen nah dran an historisch verbürgten Personen ist, weniger gut, leider, bei ihren eigenen fiktionalen Figuren, die erstaunlich wenige Ecken und Kanten verzeichnen, wobei ob der geschichtlichen Gegebenheiten natürlich offen gegensätzliche Charaktere gut ausgearbeitet sind.

Den Sadismus und die tödliche Kälte eines Jekelius so zu transportieren, muss man erst einmal schaffen. Auch Ortsbeschreibungen gelingen Baldini in ihrem Roman gut, das historische Wien lebt, man kann sich das alles mit Schaudern vorstellen. Das passt mal mehr, mal weniger in beiden Handlungssträngen, doch wechseln diese in so dichter Abfolge, das das Erzähltempo gleichmäßig hoch bleibt. Der stete Perspektivwechsel zwischen den Figuren tut sein übriges dazu, ebenso ergänzende Einblicke in damalige „Untersuchungsprotokolle“, die zumindest entfernt den wirklichen nachempfunden sein dürften. Der Massenmord war auch in Österreich bürokratisiert bis in die kleinste Ebene hinein.

Verständlich und in sich schlüssig greifen beide Ebenen ineinander. Wirkliche Überraschungen bleiben jedoch aus, zumal, wenn man sich ansatzweise mit der tatsächlichen Historie auskennt. In Zusammenhang mit dem Schreibstil wirkt dies beinahe zu leichtgängig, wobei das Grauen, die Autorin ist da feinfühlig zurückhaltend, eher im Kopf des Lesenden stattfindet als auf dem Papier. Dafür reihen sich Andeutungen aneinander, die sich gewaschen haben.

Man liest dies in einer gewissen Sogwirkung gefangen, um am Ende auf eine sich die gesamten Seiten anbahnende Liebesgeschichte zu stoßen, die es nicht gebraucht hätte. In diesem Text fügt sie sich jedenfalls nicht wirklich gut ein, wirkt unpassend. Laura Baldini hätte diese seichte Komponente nicht gebraucht. Vielleicht ist das nötig, um ein gewisses Lesepublikum (Klischee!) zu bedienen, alle anderen rollen die Augen und werden zurückgelassen. Das hätte wirklich nicht sein müssen.

Autorin:
Laura Baldini ist das Pseudonym der österreichischen Autorin Beate Maly, die 1970 in Wien geboren wurde. Zunächst absolvierte sie eine Ausbildung zur Kindergartenpädagogin und veröffentlichte Kinder- und pädagogische Fachbücher. 2007 erhielt sie das Wiener Autorenstipendium und beendete neben ihren Roman eine Zusatzbildung zur mobilen Frühförderin. Ihr erster Roman erschien dann 2008, dem weitere folgten. Sie wurde für den Leo-Perutz-Preis 2019 nominiert und erhielt 2021 den Silbernen Homer, weitere Nominierungen und Auszeichnungen folgten.

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Eloy Moreno: Unsichtbar

Inhalt:

Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, unsichtbar zu sein? Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, es nicht mehr zu sein?

Das Problem ist, dass ich diese Kraft nie richtig im Griff hatte: Ausgerechnet dann, wenn ich schrecklich gern unsichtbar sein wollte, haben mich manchmal jede Menge Leute gesehen. Wenn ich dagegen von allen gesehen werden wollte, war meinem Körper nach Verschwinden zumute.

Emotional, berührend, anders … Der spanische Bestsellerautor Eloy Moreno erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven die Geschichte eines Jungen, die jedem von uns auch hätte passieren können. (Klappentext)

Rezension:

Nicht nur ein Jugendbuch liegt mit „Unsichtbar“ vor, der Text des spanischen Schriftstellers Eloy Moreno, tatsächlich ist es eine Geschichte, wie sie uns allen passieren könnte, in der einen oder anderen Form, unabhängig von Alter oder Ausgangspunkt. Der Autor erzählt vom Endpunkt an und schaut in mehreren Perspektiven zurück auf die Anfänge eines durchschnittlichen Jungen, der zunächst nicht ahnt, schon bald Zielscheibe des Klassenmobbers zu sein.

Angriffsfläche bietet der namenlose Erzähler nur wenig, ein einfaches Wort reicht, um eine Spirale der Gewalt in Gang zu setzen, die sich zunächst in kaum bemerkenswerten Nadelstichen äußert, bis es irgendwann in die große Katastrophe mündet, an deren Endpunkt der Protagonist und seine Umgebung zurückschauen.

„Warum lässt du es dir wegnehmen?“, […] fragten mich manche meiner Mitschüler.
Warum helft ihr mir nicht?, dachte ich.

Eloy Moreno: Unsichtbar

Diese Perspektivwechsel, schon die Umkehrung des Erzählstranges machen die Lektüre zu etwas besonders Eindrücklichen und schaffen eine Atmosphäre, derer man sich nicht entziehen kann, sorgen jedoch auch dafür, dass man sich für einen kurzen Moment zunächst einfinden muss, um die einzelnen Figuren klar auseinanderhalten zu können. Dabei hilft, die Hauptfigur wird im Gegensatz zu den anderen Protagonisten nie namentlich benannt, selbst als alle ihn, sein Leid sehen, oder dessen Finalität, bleibt er in gewisser Weise unsichtbar, während er selbst um so klarer sieht.

Eloy Moreno schafft es durch eine die Taktung kompakter Kapitel eine Dynamik und ein schnelles Erzähltempo zu erreichen, welches unterstreicht, wie schnell man sich in eine Position hineingezogen sieht, aus derer man ohne Hilfe nicht mehr herausfinden vermag.

„Was für eine Geschichte erzählst du mir heute?“, fragt ihn seine Schwester, während sie sich an seine Brust kuschelt. „Die von einem Jungen, den niemand lieb hatte“, antwortet er mit flackernden Augen. Er denkt, wenn das Licht aus ist, wird sie seine Tränen nicht bemerken. „Niemand hatte ihn lieb?“ „Nein, Luna, niemand hatte ihn lieb …“

Eloy Moreno: Unsichtbar

Die Ungeheuerlichkeit wird dadurch verstärkt, dass auch die Dilemma der Umgebung beleuchtet wird, die nicht sehen möchte aber genug begreift, um selbst einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, dabei das Opfer den Mobbenden jedoch zum Fraß vorzuwerfen. Aber auch dieser Perspektive schafft es der Autor eine Form zu geben, wie es zuletzt nur Raquel J. Palacio in den Zusatzbüchern zu „Wunder“ gelungen ist, einen ebenfalls in diese Kerbe hineinschlagenden Roman.

Der erzählte Zeitraum ist unbestimmt, jedoch kann es sich um kaum mehr als ein paar Monate handeln. So viel wird zumindest deutlich. Die auf den Punkt gehaltene Tonalität gibt den Figuren Konturen und viele Grautöne, die aufzeigen, dass eben nicht nur der Mobbende allein sich schuldig macht und das Opfer selbst nie schuldig ist.

Der Spiegel ist der einzige Zeuge der Ereignisse; der Einzige, der nicht lügt, der sich nicht verstellt, der ihm die Wirklichkeit zeigt, auch wenn sie weh tut […]

Eloy Moreno: Unsichtbar

Das macht es so leicht, sich in den Protagonisten und seine Umgebung hineinzuversetzen, egal ob wir selbst einmal Opfer, in welcher Form auch immer, waren oder beteiligt gewesen sind, als Mobbende oder Mitlaufende, die eine Eskalation nicht verhindert haben. Das, unterstreicht Moreno, ohne erhobenen Zeigefinger, ist mindestens genau so schlimm und macht etwas mit der Gefühlswelt eines Lesenden, wenn man der Sogwirkung dieser Erzählung erlegen ist.

Die Umkehrung der Erzählung und die Perspektivwechsel, vor allem die der Hauptfigur, die sich in eine Traumwelt flüchten muss, um irgendwie zu überleben, ist zwar in ihrer Art und Weise selten, gerade im Jugendbuchbereich, doch in sich schlüssig. Logikfehler und fehl wirkende Brüche gibt es da nicht. Zu viel kennt man an solchen Geschichten, die man nicht müde werden darf zu erzählen.

„Aber ich tauge doch zu nichts“, flüstert er ihr zu, „ich bin doch nur im Weg, alle lachen über mich, ich verstehe nicht, wozu ich überhaupt auf der Welt bin …“

Eloy Moreno: Unsichtbar

Jeder Prozentpunkt, schon gemobbter Kinder und Jugendlicher, die zum Äußersten greifen, da sie unsichtbar ob ihrer Situation bleiben, ist einfach zu hoch. Wir, so die Botschaft von Moreno, sehen viel zu häufig weg, wo ein Hinsehen und Handeln erforderlich wäre, selbst wenn wir eindeutige Zeichen bemerken. Dieser Rahmen wird in Form von Tipps nach Ende der Geschichte nochmals aufgegriffen. Eine Pflichtlektüre für alle sollte „Unsichtbar“ sein.

Auch ohne eigene ähnlich geartete Geschichte entfaltet der Text bei Lesenden seine Wirkung, doch ist die Ebene nochmals eine andere, hat man selbst ähnliches erlebt, wie der Protagonist, der für andere bis zur Eskalation unsichtbar bleibt.

Die Wucht der Erzählung ist dann um so stärker. Bis zu einem gewissen Punkt war auch der Schreiber dieser Rezension (und ich schreibe von mir in der dritten Person, da es mir hier so leichter fällt) dieser Junge, der ähnlich drangsaliert wurde, dessen Weg jedoch eine andere Abzweigung genommen hat. Der zeitliche Abstand zur eigenen Situation hat jedoch auch dazu beigetragen, dass die Lektüre nicht gänzlich aus der Bahn werfend wirkt.

Es verging noch ein Tag, an dem sie mir nichts taten, und noch einer … aber ab dem dritten ging alles wieder los. Beim Reinkommen ins Klassenzimmer bekam ich ein Bein gestellt und fiel hin, zum Gelächter oder Schweigen der anderen – beides tat gleich weh.

Eloy Moreno: Unsichtbar

Aber auch sonst kann man sich das alles bildlich vorstellen. Viele Worte benötigt der Autor nicht, um dies zu schaffen. Moreno weiß, wo Beschreibungen der Geschichte zu Gute kommen, wo Auslassungen ein Kopfkino und nachdenkliche Momente schaffen. Man möchte die Umgebung des Protagonisten anschreien, aufrütteln.

Der Roman wird sowohl in Spanien als auch sonst als Jugendbuch gelabelt, ist es jedoch wert, unabhängig davon, alleine der Thematik wegen, von allen gelesen zu werden. Moreno hat mit „Unsichtbar“ nicht nur eine Erzählung geschaffen, die zur Pflichtlektüre in Klassenzimmern werden sollte, sondern eine All-Time-Geschichte, die unter die Haut geht. Und dort bleibt.

Das ist so, weil jeder solch eine Situation kennt, eben da zu allen Zeiten jeder irgendwo wunde Punkte hat oder Angriffsflächen bietet, die zur Zielscheibe werden können. Moreno macht ebenso deutlich, dass, wo keine sind, eben welche herbei erfunden werden und auch dadurch Mobbing-Situationen hervorgerufen werden können.

Da wird ihr klar, dass man nichts Besonderes tun muss, um ein Monster zu sein, dass es manchmal schon reicht, überhaupt nichts zu tun.

Eloy Moreno: Unsichtbar

Eine große Stärke, dieses Textes, der nicht alleine Lese-Highlight ist, sondern ein Aufruf, zu handeln. Der Protagonist ist ungefähr 13 oder vielleicht 14 Jahre alt, eine Lektüreempfehlung kann man, so denke ich bereits schon ab 12 Jahren oder noch eher geben. Dazu ist die Thematik einfach viel zu wichtig und immer noch zu selten im Fokus der Öffentlichkeit.

Eloy Moreno hat mit „Unsichtbar“ ein Jugendbuch geschaffen, welches über diese Genregrenze hinaus funktioniert, auch über Landesgrenze. Mobbing ist ja leider universell. Diese Erzählung mit etwas anderem als der Höchstwertung zu versehen, grenzt an Blasphemie. Es wäre zudem wünschenswert, wenn noch weitere Werke dieses Autoren ins Deutsche übersetzt werden würden. Gleichwohl ist es natürlich schwer, dies noch zu toppen.

Autor:

Eloy Moreno wurde 1976 geboren und arbeitete zunächst als Informatiker, bevor er begann Bücher zu schreiben. Sein erstes Werk erschien im Selbstverlag, danach veröffentlichte er weitere Bücher, die in Spanien allesamt zum Bestseller avancierten. Er wurde mehrfach ausgezeichnet. „Unsichtbar“ ist sein erster ins Deutsche übersetzte Roman.

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Entengrütze und der Geruch von Erdbeeren

Mit den Fingern streiche ich vorsichtig über das Papier, erfahre Glätte und Unebenheiten, an einer Stelle ist das Papier rauh. Ich reibe vorsichtig zwei Finger aneinander, und verbinde fortan einen neuen Geruch mit Büchern, der so zuvor noch nicht mit ihnen in Verbindung stand. Der Duft von frischen Erdbeeren steigt mir in die Nase, ein Gefühl von Sommer kommt auf, doch schaue ich durch das Fenster sehe ich das Wetter unschlüssig, öffne ich das Fenster kommen mir die Gerüche (und der Lärm) der Straße entgegen. Ich wohne inmitten der Stadt.

Der Sommer existiert plötzlich nur noch auf den Papier.

Ein Kinderbuch aus Lettland ist es, was dieses Hin und Her auslöst. Geschrieben hat es die Autorin Lote Vilma Vitina, auch die liebevollen Illustrationen stammen von ihr. Erschienen ist „Der kleine Dichter und der Duft“, in der deutschen Übersetzung von Lil Reif bei Mirabilis. Der Dichter folgt einer Wolke nach draußen, Gerüche inspirieren ihn. Die mich in den Sommer versetzende Erdbeere duftet tatsächlich. Im Vorsatzpapier ist sie zu finden.

Im Frankfurter Ostpark geht es nicht ganz so idyllisch zu. Enten und Nilgänse sind sich nicht grün, da kann noch so viel Entengrütze für alle vorhanden sein. Missgunst bestimmt den Tag. Schnell geraten die schöne Gans Nilgül und der schlaue Enterich Hausen zwischen die Fronten ihrer Vogelscharen. Es wäre doch einfacher für alle, an einem Strang zu ziehen. Nur, wie zusammenfinden, wenn vermeintliche Unterschiede als kaum zu überwindende Barrieren erscheinen? Doch Freundschaft und Zusammenhalt können viel bewirken.

Liebevoll illustriert von Viktoria Wagner erleben „Nilgül und Hausen“ in der Geschichte aus der Feder von Riccarda Gleichauf dieses große Abenteuer. Und alle kleinen Leser und Leserinnen (oder allen, denen diese wunderschöne Geschichte vorgelesen wird) können sich nicht nur an den Ententeich träumen, die beiden Hauptfiguren laden auch zum Singen ein. Drei Lieder, abrufbar bei Youtube oder per QR-Code runden Text und Bild ab. Dieses Kinderbuch ist interaktiv, im besten Sinne.

Geschichten für die Kleinsten, interaktiv oder haptisch erlebbar, so lieb, dass ich keine Sterne-Bewertung, sondern einfach nur beide Bücher allen ans Herz legen möchte, die gerne ihre oder andere Kinderbuchregale sinnvoll auffüllen möchten. Wer kann schon etwas gegen dönerfutternde Enten sagen oder Erdbeeren?

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Linda Segtnan: Das achte Haus

Inhalt:

An einem Maiabend im Jahr 1948 verschwindet die neunjährige Birgitta Sivander zwischen den Bäumen eines schwedischen waldes und kehrt nicht mehr zurück. Kurz vor Sonnenaufgang wird sie tot in einem graben gefunden. Siebzig Jahre später liest Linda Segtnan zufällig einen Zeitungsartikel über den ungeklärten Mord. Etwas veranlasst sie, Birgittas Schicksal näher zu erforschen. Sie beginnt, in Archiven zu recherchieren, doch auch vor dem Unergründlichen dieses Falls schreckt sie nicht zurück. Ihre Besessenheit wird immer größer – während gleichzeitig in ihrem Bauch Leben heranwächst. Ein Mädchen. Wie hält man es aus, ein Kind in eine Welt zu setzen, die so bodenlos grausam sein kann? Wie erträgt man die Gefahren, die eine Tochter bedrohen? (Klappentext) 

Rezension:

Es ist das wohl schrecklichste aller Szenarien, wenn dem eigenen Kind etwas angetan wird, wenn dieses plötzlich verschwindet und später tot aufgefunden wird. Welten brechen damit zusammen und nicht nur für die Eltern ist danach nichts mehr, wie zuvor. Am Ende bleiben Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ermittlungsakten und Zeitungsartikel. Auf letzteren stößt zufällig Linda Segtnan bei der Vorbereitung einer ihrer Stadtführungen, nicht ahnend, dass bald die Recherche nach den Hintergründen sie in Abgründe stößt, denen sie sich nur schwer entziehen wird können.

Der Kriminalfall an sich gilt aus damaliger Sicht als schnell gelöst. Die schuldige Person ist schnell ausgemacht. Lücken und Differenzen, die aus heutiger Sicht kaum zu übersehen sind, werden als nichtig abgetan, doch stößt man sich unweigerlich daran, wenn man sich heute damit beschäftigt. Wurden bestimmte Aspekte zu Gunsten einer einfachen Lösung damals außer Acht gelassen, da entweder untersuchungstechnische Mittel nicht zur Verfügung oder gesellschaftliche zwänge im Wege standen? 

Mit diesem Spagat hat sich die Autorin beschäftigt und damit eine Besonderheit im Bereich des True Crime geschaffen, eben nicht nur nüchtern einen Fall nacherzählt. Segtnan wollte erfahren, warum handelnde Personen wie ermittelnde Beamte  bestimmte Entscheidungen trafen und was dies mit den Familien des Opfers, des Verdächtigen und mit ihrer Umgebung machte, zugleich schildert sie, was die Erkenntnisse mit ihr selbst machten, was dieser Fall auch Jahrzehnte später noch auszulösen vermag.

Im Wechsel zwischen den Zeiten, einmal die Nachstellung damaliger Szenen, wie sie sich abgespielt haben müssen, dann wieder wie die Recherche nach Fakten und weiterführenden Informationen in das eigene Leben hineingreifen, schildert sie diesen Kriminalfall, versucht nach und nach ein Puzzle zusammen zu setzen. Je klarer sich Konturen, Ecken und Kanten ergeben, um so unerträglicher wird es, zumal Familie und Privatleben, was sich daraus ergibt. Zunächst besteht die Recherche da nur aus dem Zusammensuchen von Zeitungsartikeln, später Archivmaterial bis hin zur Kontaktaufnahme mit Zeitzeugen und Ortsbegehungen. Nicht nur diese Schilderungen sind es, die eine Dynamik beim Lesen erzeugen, der man sich ebenso wie die Autorin kaum entziehen mag.

Linda Segtnan legt sich dabei nicht fest, stellt mehrere Perspektiven dar, um ein vielschichtiges Bild aufzuzeigen. Wie war das gesellschaftliche Gefüge der örtlichen Gemeinschaft, in deren Nähe dieses Verbrechen geschah, wie der stand der einzelnen Familien und Personen, sowohl des Opfers als auch des Verdächtigen und wie der Umgang mit beiden, der so in alle Richtungen heute nicht mehr vorkommen würde? Welche Auswirkungen hatte dies auf die Ermittlungen und wie wirkt das in der Nachbetrachtung heute?

Gegensätze werden dabei sehr detailliert herausgearbeitet. Es ist aber eben auch spannend zu erfahren, wie die Autorin mit dem Wissen umgegangen ist, und dieses verarbeitet hat, wenn auch die spiritistischen Einsprengsel manchmal ein Zu viel des Guten gewesen sind, sollte man sich doch eigentlich über die Vorgehensweise der ermittelnden Beamten aufregen, die den Fall von Beginn an in eine bestimmte Richtung gelenkt haben, ohne andere Facetten überhaupt in Betracht zu ziehen, anstatt über die Autorin selbst. 

Manchmal fragt man sich beim Lesen schon, wie ernst man die Autorin noch nehmen kann, wenn wiederholt die App erwähnt wird, die auf ihrem Smartphone aufgespielt, angeblich die Anwesenheit von Geisterwesen anzeigt. Diese Erwähnungen einmal bitte ausklammern und nach dem Lesen schnell vergessen, um den Fokus auf andere Aspekte, nämlich die Beschäftigung und Vereinnahmung des Falls, legen, dann ist „Das achte Haus“ allemal eine spannende Lektüre wert.

Trotzdem mögen alle für sich bestimmte Anknüpfungspunkte finden. Fans von True Crime kommen hier auf ihre Kosten, ebenso wie an Psychologie interessierte Menschen, aber auch jene, die sich gerne mit Historie und gesellschaftliche Zusammenhänge vergangener Zeiten beschäftigen möchten. 

Es fehlt, glücklicherweise, der zu sehr melancholisch alles übertünchende Mehltau, der zumindest in der romanhaften skandinavischen Kriminalliteratur immer noch häufig anzutreffen ist. Im True Crime Bereich gleicht „Das achte Haus“ in etwa Michelle McNamaras „Ich ging in die Dunkelheit“, welches die Autorin sowohl als Vorbild nennt, jedoch auch in den Folgen für McNamara als abschreckendes Beispiel. Dieser Gefahr des sich in etwas Hineinsteigern hat Segtnan förmlich versucht zu vermeiden. Ob dies ihr gelungen ist, bitte einmal selbst herausfinden.

Auf der einen Seite die Schilderung des Falls, auf der anderen die des Verarbeitungsprozesses als Kontrapunkt zeichnen sich verantwortlich für die Dynamik und das Erzähltempo, den man sich kaum entziehen kann. Als gelernte Stadtführerin kann die Autorin zudem detailreich Orte bildlich vor dem inneren Auge entstehen lassen, was dann beinahe eine gewisse literarische Qualität besitzt, ohne jedoch diesen Anspruch haben zu wollen. Zuweilen wirkt das so, als würde man den Besprechungen, Begehungen beiwohnen. So schafft die Autorin Nähe zu sich selbst und auch zum recherchierten Geschehen.

Für Fans von True Crime, die auch einmal einer anderen Herangehensweise als im englischsprachigen Raum offen gegenüberstehen, ist „Das achte Haus“ als Lektüre zu empfehlen, ebenso für jene, die die sich auch mit hierzulande unbekannteren Fällen beschäftigen möchten. Der besondere Aspekt des beschriebenen Vereinahmung- und Verarbeitungsprozesses bringt noch einmal eine andere Komponente mit hinein, auf die man sich einlassen können muss.

Alleine der Zugang zu den spiritistischen Einsprengseln geht mir persönlich ab und hätte es wirklich nicht gebraucht. Viel spannender waren da die Schilderungen historischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge, für die sich dann doch alleine schon die Lektüre lohnt. Unter diesen Gesichtspunkten kann ich „Das achte Haus“ empfehlen. 

Autorin:

Linda Segtnan wurde 1986 geboren und ist eine schwedische Historikerin und Autorin. Sie hat Audio-Horrorgeschichten mit historischem Bezug zu Orten in Schweden recherchiert, geschrieben und aufgenommen. Das achte Haus ist ihr erstes Buch, es erschien im schwedischen Original im September 2022. Segtnan lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Stockholm.

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