Graphic Novel

Bea Davies: Super-GAU

Inhalt:

Am 11. März 2011 trifft die Fukushima-Katastrophe Japan mit voller Wucht. Tausende Kilometer entfernt, in Berlin, geht das Leben weiter – doch nicht unberührt vom Geschehen. Acht menschen, deren Schicksale unerwartet miteinander verflochten sind, erleben, wie ein fernes Ereignis ihre Welt ins Wanken bringt.

Bea Davies erzählt in ihrer eindringlichen Graphic Novel von den feinen Verbindungen zwischen globalen Katastrophen und persönlichen krisen und zeigt, wie diese Momente unser aller Leben verändern können. (Klappentext)

Rezension:

Wie dünne Fäden ziehen sich die Verbindungen von Menschen rund um den Globus und so bleiben auch wir, scheinbar sicher vor so mancher menschengemachter oder natürlicher Katastrophe, nicht verschont. Diese Ereignisse ziehen Veränderungen nach sich, derer wir nicht entkommen können, die uns einen anderen Blick zu unserer eigenen Vergangenheit, Gegenwart, unserem Leben einnehmen lassen. Die Illustratorin Bea Davies ist für ihr Werk „Super-Gau“ erstmalig auch in die Rolle der Autorin geschlüpft und zeigt, wie sich das Leben mit einem Schlag ändern kann. Auch fernab im vermeintlich sicheren Berlin.

Dabei wirkt die Katastrophe von Fukushima, zunächst das Erdbeben und der Tsunamie, die anschließend das Reaktor-Ungluck zur Folge haben werden, in der feinfühligen Graphic Novel als stetes Hintergrundrauschen, welches die Schicksale der einzelnen Figuren auf unterschiedliche Art und Weise beeinflusst. Vor diesem Weltgeschehen erzählt Bea Davies die Geschichte einer jungen Frau, die ihre Mutter nie gekannt hat und nun in einer Obdachlosenunterkunft tätig ist, einer Mitarbeiterin vom Jugendamt, eines Schreibenden, eines Wissenschaftlers, eines Jungen. Alle leben und haben sie ihren Alltag, der durch ihre Umgebung und eben den Ereignissen, um sie herum, gelenkt wird. Natürlich auch durch solch außergewöhnliche, wie Fukushima.

Im steten Wechsel verschieden großer Panels erzählt Bea Davies so mehrere Geschichten, die zusammen eine große ergeben. Wie Puzzle-Stücke muten diese zum Teil an. Manche fast malerisch, andere im eindeutigen Comic-Stil. Immer in Schwarz-Weiß. Eindrücklich besonders sind die übergroßen, teilweise ganze Seiten einnehmenden Panels, die das Ausmaß an persönlicher Zerrüttung und Zerstörung durch die Katastrophe verdeutlichen. Dies verursacht Momente, die zum Innehalten, in Details versinken, einladen. Das ganze Ausmaß von Verletzlichkeit zeigt sich hier. Fukushima als Chiffre für persönliche Krisen, Probleme und Suchen.

Wir folgen den Figuren auf ihren Wegen, die sich kreuzen, ohne dass dies verwirrend wäre oder erzählerisch schwierige Lücken provoziert. Es sind immer genau so viele Details, wie nötig, die da auf einem einprasseln. Keines zu wenig oder zu viel. Man lebt und leidet mit all den Protagonisten, ohne dass es effekthaschend wirkt. Diese Graphic Novel regt zum Nachdenken an, natürlich über solcherlei Ereignisse, aber auch über die Verbindungen zwischen uns, derer wir nur durch eben diese gewahr werden.

In diesem Sinne sei die Graphic Novel unbedingt empfohlen.

Blick auf Instagram: Bea Davies

Autorin und Illustratorin:

Bea Davies wurde 1990 in Italien geboren und lebt seit 2012 in Berlin als freie Illustratorin und Comic-Zeichnerin. Nach Erhalt eines Stipendiums fing sie 2010 ihre künstlerische Ausbildung an der School of Visual Arts of New York an. Ihr Studium führte sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee fort. Im Jahr 2019 erschien ihre erste Graphic Novel. „Super-GAU“ ist ihr zweites Werk, zudem ihr Debüt als Autorin.

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Kris/Vincent Bailly: Ein Sack voll Murmeln – Graphic Novel

Inhalt:

Die Memoiren „Ein Sack voll Murmeln“ erschienen 1973, wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, zweimal verfilmt und sind längst zum literarischen Klassiker geworden. Darin erzählt Josef Joffo (1931-2018) über seine Kindheit in Paris während der deutschen Besatzung, der Flucht seiner jüdischen Familie und seinen unbändigen Willen im Untergrund zu überleben.

Ein Klassiker, adaptiert als packendes und einfühlsames Comic von Kris und Vincent Bailly.

(Klappentext)

Rezension:

Erinnerungen auf eine komplett andere Form zu übertragen, weit weg vom Ursprungsmedium, ist wagemutig. Dennoch gibt es einige positive Beispiele, neben ganz vielen, die unter die Tische fallen dürfen, wo dies gelungen ist. Bei den Kindheitsmemoiren von Josef Joffo ist dies in beiden Richtungen der Fall.

Ist die erste Verfilmung noch beim Autoren durchgefallen, gilt die zweite als gelungen, was nicht zuletzt großartigen Kinder- und Erwachsenendarstellern, einem klugen Drehbuch und einer nicht minder begabten Regie zu verdanken ist. Auch die hier vorliegende, auf die Biografie fußende Graphic Novel darf als positives Beispiel gelten.

Dabei ist es gar nicht so einfach, eine Geschichte in ein anderes Medium zu übersetzen. Was nimmt man auf, verdichtet man, welche Szenen und Dialoge bleiben? Was lässt man, zwangsweise, außer Acht. Platz ist begrenzt, wird in dieser Erzählform durch die Größe der Panels vorbestimmt.

Auch die Wahl der Farbpalette und des Zeichenstils spielen für die Wirkung eine maßgebliche Rolle. Daraus folgt die Frage, ob die Adaption des Erzählstoffes am Ende als gelungen gelten darf. So möchte ich nicht weiter auf die Geschichte selbst eingehen, die bereits rezensiert wurde, sondern auf die Besonderheiten des vorliegenden Werkes.

Paris ist bunt gehalten, wie alle Szenen, die Hoffnung verkörpern. Ein schneller Strich ins Urban Sketching hinein, manches Panel wirkt beinahe wimmelbildhaft. Temporeich gebietet sich die Graphic Novel, die mit hohem Erzähltempo schnell ins Düstere kommt. Erdtöne dominieren da plötzlich. Einige Panels wirken gedrungen, der Hintergund verschwimmt des Öfteren. Das Auge ruht auf den Vordergrund.

Den Betrachtenden stockt der Atem. Gerade zur rechten Zeit kommen die Momente, die einem durchatmen lassen, nur um im nächsten Moment wieder über den Haufen geworfen zu werden.

Dies gelingt in dieser Adaption, die ein Stück Lebensgeschichte einer neuen Zielgruppe zugänglich und begreiflich machen kann, ohne das Original zu verraten. Tatsächlich hat man nicht das Gefühl, dass wichtige Szenen vergessen wurden, gerade wenn man den Ausgangstext kennt. Der Geist des Originals bleibt erhalten und so kann diese Graphic Novel neben Buch und der zweiten Verfilmung bestehen.

Autor/Illustrationen:

Vincent Bailly wurde 1967 in Nancy geboren und ist ein französischer Comic-Zeichner. Er studierte 1986 an der Kunsthochschule Straßburg und arbeitet seit 1991 für verschiedene Verlage als Illustrator und veröffentlicht seine Zeichnung in Zeitungen und Kinderbüchern. Sein Zeichenstil gilt als düster, so dass ihn der Durchbruch erst spät gelang. Er veröffentlichte in Zusammenarbeit mit anderen Autor/innen mehrere Graphic Novels und unterrichtete von 2000 bis 2009 an der Kunsthochschule ENAAI in Bourget-du-Lac.

Kris ist das Pseudonym des französischen Comic-Autoren Christophe Goret, welcher 1972 in Brest geboren wurde. Zunächst studierte er Geschichte und arbeitete als Buchhändler, bevor er ein Atelier gründete. Im Anschluss schrieb er Drehbücher und arbeitete für die Zeitschrift Spirou. Seine Arbeit, die mehrere Alben und Drehbücher umfasst, wurde mehrfach ausgezeichnet.

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Die Leipziger Buchmesse 2025 – Tag 2

Der zweite Messetag begann mit einem Kaffee im Pressezentrum und Foto-Bombing. Die große Treppe in der Glashalle muss einmal pro Messe fotografiert werden. So will es das Gesetz. Da kann man schon mal anderen Buchbloggenden in die Quere kommen. Dann ging es zu S. Fischer, wo wir einfach die neuen Blogger-Betreuer kennenlernen wollten und zu einem Foto mit Thomas Mann auch nicht nein sagen konnten.

Die noch stille Treppe (Quelle: Privatarchiv)

Nein, nicht den echten Thomas. Eine Pappfigur und ein Bilderrahmen musste als Foto-Point herhalten. Eine tolle Idee, die jeden Tag für ein anderes Motiv genutzt werden konnte, soweit ich das aus den Augenwinkel sehen konnte. Aber ein Thomas Mann sticht halt vieles.

Dieses Jahr vielleicht nicht Kristine Bilkau, die mit ihrem Roman „Halbinsel“ in der Kategorie Belletristik den Preis der Leipziger Buchmesse gewann. Die erste Veranstaltung war ein Interview mit ihr, dem ich zuhören wollte, in dem aber die Moderatorin mehr gesprochen hat als Frau Bilkau selbst. Fand ich jetzt nicht gerade günstig, aber ich habe Kristine Bilkau am letzten Messetag nochmal in einem anderen Interview sehen dürfen.

Das Buch und die Preisträger der anderen Kategorien habe ich mir übrigens auch nach Hause geholt. Zwei Sachbücher darunter hat man jetzt auch nicht so häufig.

Danach stellte Viktor Remizov seinen Roman „Permafrost“ vor, der drei Familienschicksale in Sibirien verfolgt. Interessant, der Autor ist eigentlich Russe und lebt in Moskau, ist jedoch mit einer Italienerin verheiratet und hat selbst auch einen italienischen Pass, darf deshalb reisen und kann wohl um einiges freier agieren als andere Autoren, somit auch nicht betroffen von den derzeit noch immer aktiven Sanktionen. Finde ich spannend.

Die Moderatorin Julia Finkernagel stellte im Anschluss ihr Sachbuch „Reisefieber“ vor und Fußballer und Weltmeister Christoph Kramer auf einer Bloggerveranstaltung des Verlags seine Coming of Age Geschichte „Das Leben fing im Sommer an„. Er ist super sympathisch, einige Bookstagrammerinnen auf dieser Veranstaltungen waren es nicht. Teeniehafte kindische Fangirlfragen, die einigen von uns nur die Augen verdrehen haben lassen. Aber, alle wie sie wollen.

Auf einer nachfolgenden Lesung hatten die Illustratorin Bea Davis, die ihre Graphic Novel „Super Gau“ über die Katastrophe von Fukushima vorstellen wollte und ihr Moderator mit der Technik zu kämpfen, was aber nicht sonderlich schlimm gewesen ist. Am Stand von Carlsen hat sie viele ihrer Bücher signieren können und in jeder auch etwas hinein gezeichnet. So, dass dieses Motiv aussieht, als wäre es gedruckt und normal zum Buch gehört. Nicht nur ich fand das toll.

Vor dem nach der Messe folgenden Treffen im Pinguin gab es am Stand von Karl Rauch, dem Verlag des Kleinen Prinzen, ein Meet&Greet mit verschiedenen Autoren und Freunden des Verlags. Eine Signatur konnte ich mir von Mattia Insolia und Hanne Orstavik holen und ein paar Projekte und Ideen besprechen. Es sind auch solche Sachen, weswegen ich diese Messen liebe.

In Kürze folgt dann der Messebericht Tag 3.

Euer findo

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Die Leipziger Buchmesse 2025 – Eine Vorschau

Nur noch wenige Tage und es ist wieder so weit: Der wichtigste Frühjahrstreff der Buch- und Medienbranche öffnet seine Pforten auf der Leipziger Messe. Vom 27. bis zum 30. März findet die Leipziger Buchmesse statt, die zusammen mit der Manga-Comic Con und den Veranstaltungen im Rahmen des Programms „Leipzig liest“ im letzten Jahr über 280.000 Besucher begeistern konnte. Damals präsentierte sich eine ganze Gastland-Region, die Niederlande und Flandern, unter dem Motto „Alles außer flach“. In diesem Jahr dürfen wir literarisch in den hohen Norden reisen. „Worte bewegen Welten“ ist der Leitspruch des Gastlandes 2025, Norwegen.

Auch ich werde wieder Messe-Luft atmen dürfen und freue mich schon darauf, euch hinterher darüber berichten zu können. In den letzten Jahren waren dabei nicht nur die Lesungen, Interviews und Podiums-Diskussionen, denen man lauschen durfte, Highlights, sondern immer wieder auch Zufallsbegegnungen, Gespräche zwischen den Ständen. Ob nun mit Lesenden des Blogs, anderen Bloggenden oder an den Verlagsständen und auf Veranstaltungen. Prinzipiell jagd ohnehin auf der Messe ein Highlight das nächste.

Zahlreiche Veranstaltungen habe ich mir notiert, wie etwa bereits am Donnerstag die Eröffnung des Gastlandstandes Norwegen mit Kronprinzessin Mette-Marit oder „Reisefieber“ mit Julia Finkernagel am Stand von MDR Kultur. Wenn ihr auch die Messe besuchen wollt, hier findet ihr das Programm und die App, in der sich Lesungen, Signierstunden und anderes finden lässt, sortiert nach Ort und Datum. Wie ihr zur Messe gelangt, erfahrt ihr hier und den Messeplan könnt ihr hier finden.

Neben den üblichen Verdächtigen, wie Sebastian Fitzek, dessen Signierstunden wie in jedem Jahr auch diesmal sicherlich den Rahmen sprengen werden, empfehle ich euch einen Gang zu den Ständen des Netzwerks „Schöne Bücher„, der unabhängigen Verlage. Dort bekommt ihr nicht nur Lektüre abseits des Mainstreams sondern auch ein Goodie, wenn ihr euch an einer Sticker-Sammelaktion beteiligt. Wie das aussieht, könnt ihr hier nachlesen. Aber auch wer nicht sammelt, dem seien ein Blick auf diese und andere Verlagsstände natürlich empfohlen, von denen wir alle wohl unsere ganz eigenen Favoriten haben. Ob diese nun unter den klassischen Romanen, Mangas, Comics oder Graphic Novels oder Hörbüchern zu finden sind, die dieses Jahr nochmals besonders auf der Messe präsentiert werden oder gar zwischen den Regalen der Antiquariatsmesse und im Bereich Druck-Kunst.

Quelle: Privataufnahme (so viele Menschen)

Manch einer muss jedoch vielleicht den finanziellen Ruin mit einkalkulieren. Im Gegensatz zur Frankfurter Buchmesse, die ohnehin nur an zwei Tagen für die normalen Besucher geöffnet ist, dürft ihr schon ab Donnerstag auf die Leipziger Buchmesse und überall dort auch Bücher kaufen, nicht nur in der Messe-Buchhandlung selbst.

Treffen wir uns also zwischen den Gängen, an den Verlagsständen und stöbern uns gemeinsam durch die Verlagsprogramme. Ich wünsche uns allen viel Spaß in den kommenden Tagen. Und allen, die zu Hause bleiben, viel Spaß dann beim Stöbern in den Blogs, Literaturforum, auf Youtube und den zahlreichen Social Media Kanälen, auf denen hoffentlich ein wenig Messe-Feeling zu euch auf’s heimische Sofa transportiert werden wird. Und sicher das eine oder andere Buch euch auf die Wunschliste wandern lässt.

Euer findo.

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Matz: Das Verschwinden des Josef Mengele

Inhalt:

1949: Josef Mengele landet in Buenos Aires. Hinter verschiedenen Pseudonymen versteckt, glaubt der ehemalige Folterarzt von Auschwitz, er könne sich ein neues Leben erfinden. Perons Argentinien ist wohlwollend, die ganze Welt will die Nazi-Verbrechen vergessen. Doch die Verfolgung wird wieder aufgenommen und er flieht über Paraquay nach Brasilien. Seine Pdyssee wird nicht mehr unterbrochen … bis zu seinem mysteriösen Tod 1979. Eine herausragende Adaption des Romans von Olivier Guez über die Flucht und die Jagd nach Mengele, dem „Todesengel“ ohne Reue. (Klappentext)

Rezension:

Als 1945 das Deutsche Reich am Boden lag, versuchten viele ihrer Repräsentaten, ehemals hohe Würdenträger, Politiker an den Schalthebeln der Macht und ausführende Beamte ihr Heil in der Flucht. Für nicht wenige führte dieser Weg über die sogenannte „Rattenlinie“ nach Südamerika, Eichmann etwa, der Organisator der Todeslager oder Eduard Roschmann, der „Schlächter von Riga“.

Auch Josef Mengele, der an der Rampe von Auschwitz über Leben und Tod entschied, bestialische Experimente an Zwillingen, unter den Deckmantel der Medizin, durchführte, gelang es so, nicht zuletzt durch die Hilfe einflussreicher Freunde, beinahe spurlos zu verschwinden. Die Geschichte seiner Flucht und des Versteckens hat Olivier Guez zu einem packenden Roman verarbeitet. Fünf Jahre später wurde die Erzählung für die hier nun vorliegende Graphic Novel durch Alexis Nolent (Matz) und Jörg Mailliert adaptiert.

Erdfarben und klare Linien dominieren die einzelnen Panels, die die Geschichte eines Phantoms erzählen, deren unmenschliche Grausamkeiten kaum in Worte zu fassen sind. Das versuchen weder der Autor des Skripts, noch der Illustrator. Die Geschichte setzt nach dem Unfassbaren an, welches in Rückblenden nur gestreift wird. Konzentriert wird sich hier auf die Zeit nach 1945, die sich anhand weniger Puzzlestücke rekonstruieren lässt. Dabei tauchen wir ein in die wirre Gedankenwelt eines Mannes, dessen Handeln nicht mehr nachzuvollziehen ist.

Einige Dokumente und Geld im Gepäck, die Unterstützung von Freunden, nicht zuletzt der Familie, die mit einem gut situierten Betrieb fest im wirtschaftlichen Gefüge des bayerischen Heimatortes der Mengeles, gelingt es dem „Todesengel“ von Auschwitz zu fliehen, wo er sich auf ein funktionierendes Netzwerk verlassen kann. Das Untertauchen gelingt. Man trifft sich untereinander, phantasiert von Rückkehr und „Viertem Reich“, wenn sich die Lage in Europa wieder beruhigt haben sollte. Das tut sie nicht. Mit den Jahren gelingt es Verfolgern in Israel und Deutschland, Spuren aufzunehmen. Die Schlinge zieht sich immer enger zu. Auch in Südamerika selbst wird es einsam um Mengele, der immer mehr seiner Unterstützer verprellt.

Dies die Handlung der verdichteten Graphic Novel, in denen sich großformatige Panels abwechseln, die reine Unbeschwertheit zeigen, abewechselnd mit Details des tiefen Falls einer Figur, die am Ende nur noch der Schatten ihrer Selbst sein wird. Zwei Stränge stehen hier im Fokus, natürlich der Weg Mengeles selbst, zunächst im Versuch sich mit Hilfe alter Seilschaften ein neues Leben aufzubauen, dann zunehmend in Wahn und Verzweiflung verfallend, als alle Unterstützung nach und nach wegbricht.

Zum anderen können wir die Situation in Deutschland verfolgen, der Umgang der Familie, die einerseits ihren wirtschaftlichen Erfolg nutzt, um Mengele in Südamerika zu unterstützen, andererseits aber auch ihren Betrieb aus dem Blickfeld heraushalten möchte, als nach den Anfängen der Bundesrepublik doch noch die Nazi-Gräuel des Familienmitglieds Thema werden, nicht zuletzt auch durch innere Auseinandersetzungen. Auch die Verfolgung der Repräsentanten des NS-Regimes durch Menschen wie Fritz Bauer oder des israelischen Geheimdiensts Mossad schaffen Zeichner und Texter mit einzubringen. So werden die wichtigsten Handlungsstränge und Aspekte des Romans, der als Vorlage diente, eingebunden und auf sehr anschauliche Weise übermittelt.

Der nervöse Strich des Zeichners korrespondiert sich im irren Blick der unmenschlichen Bestie, die sich jämmerlich verkriecht und doch immer wieder Morgenluft wittert, zudem gerade der deutsche Staat in seiner Anfangszeit wenig Interesse verspürt, den Opfern des NS-Regimes Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Diese Hoffnungsschimmer zerrinnen der kümmerlichen Figur, zu der Mengele mit den Jahren wird, immer schneller durch die Finger. Am Ende bleibt vom Skorpion, der sich mehrfach gehäutet hat, nichts mehr übrig und verkommt zu einem Phantom.

Eine sehr eindrückliche Graphic Novel, die weder mit visuellen Eindrücken spart, zudem durchaus textlastig daherkommt, jedoch keineswegs überfrachtet wirkt. „Das Verschwinden des Josef Mengele“, kann man als durchaus gelungene Adaption betrachten, deren Bilder nicht so schnell loslassen werden.

Autoren und Illustrationen:

Alexis Nolent ist ein französischer Schriftsteller, vor allem für Drehbücher von Videospielen, zudem veröffentlichte er auch einen Roman und unter dem Pseudonym Matz eine Reihe von Comics. Er wurde in Rouen, Frankreich geboren, wuchs in der Karibik auf, bevor er nach Paris zog. Vor dem Schreiben von Comics studierte er Jura. Für seine Arbeit bekam er u. a. den Priix Saint-Michel, 2004 und 2006.

Jörg Mailliet wurde 1970 im Toulon geboren und ist ein französischer Comic-Zeichner. Er studierte Grafikdesign in Lyon und arbeitet seitdem als freier Grafiker. Er illustriert Kinderbücher und ist Mitgründer eines Kinderbuchverlages. Für die Illustration des Comic Tagebuchs 14/18 wurde er 2015 für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.

Olivier Guez wurde 1974 in Straßburg geboren und ist ein französischer Journalist und Schriftsteller. Er studierte von 1992 bis 1996 in Straßburg Internationale Beziehungen. Weitere Stationen führten ihn nach London. In einem Fernstudium studierte er Jura, bevor er 1998 eine Masterprüfung in Europäische Politik und Verwaltung abglegete. 1998 war er als Beobachter der Wahlen von der OSZE und dem französischen Außenministerium nach Bosnien-Herzegowina entsandt, danach berichtete er für verschiedene Tageszeitungen aus Lateinamerika, Europa und dem Nahen Osten. Nach verschiedenen Stationen u. a. 2009 einer Beobachtermission in Pakistan und Afghanistan lebt Guez in Paris und ist u. a. Kulturberichterstatter für die FAZ und FASZ.

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Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Inhalt:

Mit der ersten großen Liebe ist für uns oft ein Duft verbunden. Für Feurat Alani sind der Duft und der Geschmack von köstlichem Aprikoseneis, das er als Kind in Bagdad gekostet hat, für immer mit dem Irak verbunden. In 1000 Tweets berichtet er von dieser ersten Reise in das Herkunftsland seiner Familie und von den späteren Reisen als erwachsener Journalist, vom Krieg und dem Wandel, den dieser im Traumland seiner Kindheit bewirkt hat. Wir begleiten den Autor bei der Entdeckung eines orientalischen Landes voller unbekannter Düfte, aber auch bei seiner Trauer um das, was später unwiederbringlich verloren ging. Die berührenden und scharfsichtigen Beobachtungen des Kindes und des jungen Erwachsenen hat Léonard Cohen mit seinen Zeichnungen eindrücklich illustriert. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

In Mansour halten wir an einer Eisdiele. Ich koste von dem besten Eis, dass ich je gegessen habe. Aprikose. Der Duft von Bagdad.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Gerade als der Iran-Irak-Krieg vorbei ist, lernt Feurat im Alter von neun Jahren die Heimat seines Vaters kennen. Das Land wirkt anders als in den Medienberichten, modern und offen. Die einfachen Leute fahren VW Passat. Melonen werden am Fluss eingegraben, um sie abends gekühlt essen zu können. Doch das Gesicht Saddam Husseins bestimmt den Irak. Seinen Namen sollen sie nicht laut aussprechen. Als seine kleine Schwester es dennoch tut, kennt Feurat fortan nun auch den Duft der Diktatur.

Im Irak herrscht Lebenslust, zumindest damals, trotz bereits vorhandener Einschränkungen. Vor dem Embargo leben die Menschen gut, doch das Glück der Menschen, schon damals Spielball der Gegensätze, wird im Laufe der Jahre zerrinnen. Bis nichts mehr davon übrig ist. Über die Jahre wirft der Autor, zunächst mit den Augen des Kindes, später als junger Journalist, immer wieder einen Blick auf dieses Land, welches wir kaum fassen können. Doch wie der Irak, so stet Feurat Alani selbst stets unter Spannung zwischen den Welten. Als Iraker und Franzose. Seine Beobachtungen hat er nun zusammengestellt. In Form einer Tweet-Sammlung. Ergänzt durch minimalistische Zeichnungen entstand so das Portrait seine Autobiografie, ein Blick auf die jüngere Geschichte eines Landes, eine Graphic Novel und ein Zustandsbericht, der einem den Atem stocken lässt.

Als Ziad und ich uns an diesem Tag trennen, gehe ich mit einem Gefühl der Scham. Mir wird alles geschenkt. Und ihnen alles genommen.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

In dieser Kombination ist das Werk „Der Geschmack von Aprikoseneis“ ungewöhnlich einprägsam. Kurz und prägnant sind die Sätze, den Möglichkeiten der Social Media Plattform Twitter nachempfunden. Momentaufnahmen, die sich stapeln und fließend ineinander übergehen. Sie zeigen den Wandel eines Landes, zugleich die Veränderung des Blickwinkels. Der des Kindes weicht dem jungen Erwachsenen, der dokumentieren, festhalten und der Welt von der irakischen Wirklichkeit berichtigen möchte.

Das Gefühl, nie am richtigen Ort zu sein. Unrechtmäßigkeit. Schuld. Ich möchte meine Erlebnisse im Irak vergessen, aber sie lassen mir keine Ruhe.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Zeichnungen, die beinahe wie Scherenschnitte wirken und dennoch die Strahlkraft von Fotos besitzen, unterstreichen den Text, ohne überhand zu nehmen. Sie prägen sich ein. Lesend nimmt man die beobachtende Position ein und verliert sich in diesem Strudel der Emotionen. Das funktioniert in dieser Kombination ebenso, wie dies der Tatsache geschuldet ist, dass Seitenzahlen völlig fehlen, was den unmerklichen und doch schnellen Wandel verdeutlicht, bis zum Zusammenbruch einer Gesellschaft.

Immer ist Feurat Alani Beobachter und Akteur zugleich, nebenan der Schauplätze und mittendrin. Einzelne Nadelstiche summieren sich, werden zu hörbaren Explosionen, einer Platzwunde, einer versuchten Entführung. Einschläge werden fassbar, kommen immer näher, bis es auch die Familie des Autoren zerreißt. Diktaturen kennen keine Gnade. Chaos erst Recht nicht. Dreizeiler in Absätzen prägen das Bild. Nur Ausschnitte hält der Betrachtende fest und doch das wichtige. Platz für Nebensächlichkeiten bleibt da nicht. Zunehmend müssen auch die Menschen sich damit beschäftigen, zu überleben. Bald ist das die einzige Tätigkeit.

Ein trauriger Anblick. Einer der Insassen liegt auf dem Boden. Die Rettungskräfte sind da. Der Sommer beginnt mit einem Toten. Das gefällt mir nicht.

Feurat Alani: Der Geschmack von Aprikoseneis

Aufgrund der ungewöhnlichen Erzählstruktur, ergänzt durch eine Chronologie der Ereignisse ist diese Biografie einer Person, eines Landes, einprägsam und verdeutlicht zugleich, wie schnell etwas Intaktes, auch wenn die Oberfläche bereits von Beginn an Risse aufweist, in die Brüche gehen kann. Wer ein Gefühl dafür erlangen möchte, wird dieses Werk mit Gewinn lesen können. Mit mehr Spannung als ein Roman das könnte. Jeder Tweet ist eine Tür. Die mehrteilige Serie „Fremde Heimat Irak„, die bei Arte zu finden und im gleichen grafischen Stil gehalten ist, sei ebenfalls ans Herz gelegt.

Autor:

Feurat Alani wurde als Sohn irakischer Eltern in Paris geboren. In Bagdad hat er als Korrespondent für die Sender I-Tele und Le Point gearbeitet. Er war auch regelmäßiger Mitarbeiter von Le Monde diplomatique und Geo, bevor er seine eigene Produktionsfirma gründete. Sein Dokumentarfilm Irak: les enfants sacrifi és de Fallujah (2011) wurde auf mehreren Festivals prämiert.

Illustrator:
Léonard Cohen ist Absolvent der École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs de Paris. Im Jahr 2010 wurde sein Abschlussfilm Plato auf vielen Festivals gezeigt und gewann mehrere Preise, darunter jenen für den besten Studenten-Kurzfilm und den Preis der Junior-Jury auf dem renommierten Internationalen Trickfilmfestival von Annecy. Cohen arbeitet freiberuflich und entwickelt vor allem Animationsprojekte.

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Jan Krauß/Alexander Pavlenko: Faust – Eine Graphic Novel

Inhalt:

Alle Welt kennt Faust, der mit Mephisto einen teuflichen Pakt schließt. Eine Tragödie – so spannend wie ein Thriller. Viele Zitate sind Teil unserer Umgangssprache geworden. Die Graphic Novel FAUST erschließt Goethes zentrales und exemplarisches Meisterwerk mit meisterlich gezeichneten Szenen wie aus einem kühnen Historienfilm sowie sprachlich modernisiert auch heutigen Generationen. Sinnfällig visualisiert, wirbelt der Leser durch verschiedene Sphären, Milieus und Zeiten im Himmel wie auf Erden, trifft auf Menschen, Lehren, Götter, Geister, Hexen und Magie. (Klappentext)

Rezension:

Im Unterricht oft genug zu Tode analysiert, bleibt von der ursprünglichen Magie so viel wie wenig, zuweilen gar nichts übrig, um so wichtiger ist die Übertragung von Klassikern in die Moderne, um Stoffe wie Goethes „Faust“ auch in heutiger Zeit zugänglich zu machen. Mit diesem hat es der Zeichner Alexander Pavlenko versucht, in Zusammenarbeit mit Jan Krauß, der den Text behutsam in eine moderne Form übertragen hat. Entstanden ist eine zuweilen der Geschichte bedingt düstere, aber lesenswerte Graphic Novel, die den Geist der Vorlage wunderbar transportiert.

Über den Inhalt gibt es nicht mehr viel zu sagen. Auch hier sind es zwei Gegensätze, die verhandelt werden und Protagonisten mit mehr als den bloßen Ecken und Kanten, die miteinander und gegeneinander ringen, dabei die Grenzen des Möglichen austesten und erweitern. Sehen wir uns zuerst den Text an, sind sämtliche Dialoge und Aussprüche in die Moderne übertragen wurden, jedoch so vorsichtig, dass es nicht unangenehm auffällt, sondern im Gegenteil man hineingesogen wird in die Handlung, die all das Trockene verliert, was mitunter das klassische Drama für uns heutige Lesenden hat.

Der Kunstform Graphic Novel bedingt, fällt natürlich das bekannte Versmaß weg. Der Texter hat sich hier um eine geeignete Form bemüht, die funktioneirt, vielleicht auch verständlicher wirkt, ohne die Ebenen der Interpretationsspielräume, die uns Goethe nach Lehrmeinung hinterlassen hat, zu verlieren. Die kann man mitlesen, muss dies jedoch nicht, so dass ich geneigt bin, den Klappentext des Verlags zuzustimmen. Ja, diese Form funktioniert tatsächlich wie ein moderner Krimi. Handlungsstränge wurden entwirrt, Tempo durch Konzentration aufs Wesentliche hinein gebracht.

Träger sind hier die Zeichnungen aus der Feder von Alexander Pavlenko, der hier abgesehen von ebenso für andere Werke des Verlags gestalteten Covern im Scherenschnittstil hier sein ganzes Können zeigen darf. Düster sind die einzelnen Panels gehalten, welches die Grundstimmung, zuweilen die Unruhe und Getriebenheit der Hauptfigur unterstreicht, welche sich vom oft schwarz gehaltenen Hintergrund abhebt. Wichtiges wird durch Detailreichtum hervorgehoben, während anderes manchmal fast nur schematisch gehalten wird. Pavlenko hat hier mit schnellen Strich und beschränkter Farbpalette gearbeitet. Es braucht nicht viel, um zu beeindrucken. Hier ist weniger mehr und das funktioniert gut.

Die Handlung orientiert sich an der Vorlage, während der Spagat, diese in die Morderne zu übertragen in diesem Zusammenspiel gelingt, ohne die Idee zu verraten oder gar, auch schon gesehen, ins Satirische abzugleiten. Auch wenn es ein wenig Wunschdenken ist, würde man diese Version, vielleicht nicht stattdessen aber parallel im Schulischen behandeln, kann ich mir durchaus vorstellen, dass Goethes Drama auch heute noch zugänglich ist. Ohne Interpretationshilfen bedienen zu müssen oder einen Text so sehr auseinander zu nehmen, bis dieser nicht mehr lebt. Pavlenko und Krauß erreichen mit ihrer Version genau das Gegenteil.

Autoren:

Alexander Pavlenko wurde 1963 in Ryazan geboren und studierte zunächst Trickfilmkunst, bevor er für verschiedene Filmstudios in Moskau arbeitete. Seit 1992 lebt er in Deutschland und illustrierte Comics, Science-Fiction und Abenteuerromane, die in verschiedenen Ländern veröffentlicht wurden. Seine Zeichnungen waren zudem Stücke verschiedener Ausstellungen.

Jan Krauß studierte Politologie, Romanistik und Philosophie und veröffentlichte mehrere Werke, wie z. B. das Kinderbuch „Thors Hammer“. Er lebt in Frankfurt/Main.

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Andreas Steinhöfel/Melanie Garanin: Völlig meschugge?!

Inhalt:

Benny, die Umweltaktivistin Charlie und Hamid, der 2015 als Flüchtlingskind aus Syrien kam, sind dickste Freunde. Nichts kann sie auseinander bringen. Nichts? Als Benny von seinem Opa eine Kette mit Davidstern erbt, finden die drei sich in einem Strudel aus Antisemitismus, Mobbing und Gewalt wieder, der sie mit sich reißt und ihre Freundschaft zu zerstören droht. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte der drei Freunde beginnt mit ihrem Ende. Der zwölfjährige Benny wird verletzt aufgefunden, aus einer alten Höhle geborgen, in der er zuvor gestürzt war. Noch einmal ist er mit den Schrecken davongekommen, doch was war zuvor passiert? Eine beeindruckende Graphic Novel ist hier parallel zur gleichnamigen Jugendserie der Fernsehsender ZDF und Kika erschienen, die mit ihrem Inhalt das Werk in die Reihe der Bücher gegen das Vergessen rückt.

Erzählt wird die Geschichte dreier Freunde. Benny ist Mittelpunkt der Gruppe, sportlich und mitreißend. Charlie gehört nicht nur die Modelleisenbahn, um die sich die Gruppe regelmäßig versammelt, in gelben Gummistiefeln engagiert sich die Vegetarierin zudem für Umwelt- und Naturschutz. Der Dritte im Bunde ist Hamid, der 2015 mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland kam und seine Gedanken und Gefühle in Zeichnungen verarbeitet.

Nichts kann die drei auseinander bringen, doch in der weiterführenden Schule geht es rau zu. Handys verschwinden, Mobbing und Ausgrenzung sind an der Tagesordnung. Als Benny offen eine Kette mit Davidstern trägt, stellt dies auch die Freundschaft zu Hamid in Frage, dem sein älterer Bruder einige krude Gedanken in den Kopf gesetzt hat. Ein Strudel, der sich immer heftiger auftürmenden Gewalt beginnt die Freundschaft der drei zu zerreißen.

Soviel zum Inhalt der Geschichte, die sich trotz der thematischen Schwere leicht lesen und diskutieren lässt, was nicht nur an der grafischen Aufbereitung durch Melanie Garanin liegt, sondern auch an der einfühlsamen Erzählweise durch Steinhöfel, der wie kaum ein anderer deutschsprachiger Kinderbuchautor es schafft, wichtige Fragen aufs Tableau zu bringen, dabei keine Fäden der Handlungsstränge zu verlieren oder ins Klischeehafte abzurutschen. In einer Mischung aus Comic- und Mangastil werden Mobbing, Antisemitismus und Ausgrenzung, Freundschaft und Mut so aufbereitet, dass sich dies gemeinsam, z. B. im Unterricht oder alleine gut lesen lässt, finden doch alle entsprechende Äquivalente in der realen Welt.

Vergleichsweise ausführlich orientiert sich das Werk sehr eng an der gleichnamigen, ebenfalls sehenswerten TV-Serie, die parallel dazu entstand. Die Kapiteleinteilung entspricht der Benennung der einzelnen Folgen. Durch die Erzählweise entfallen in beiden Medien Längen. Zudem fehlt der erhobene Zeigefinger fast gänzlich.

In der Serie sind die Charaktere wechselseitig perspektivgebend, während die Graphic Novel vor allem aus der Sicht von Charlie erzählt wird. Doch die drei Hauptcharaktere sind hier wunderbar ausgestaltet, haben allesamt Ecken und Kanten, in ihren Reaktionen nachvollziehbar. Der erzählte Zeitraum ist unbestimmt, es kann sich dabei jedoch nur um wenige Wochen handeln. der Handlungsort könnte überall in Deutschland sein. Gegensätzliche Protagonisten sind klar definiert gehalten, aber auch deren abstruse Beweggründe sind ausreichend ausgearbeitet, so dass sich eine Dynamik zwischen den Figuren entfaltet, die dem Werk eine gewisse Geschwindigkeit und Brisanz verleiht.

Interessant bei solcher Lektüre ist immer auch die Farbgebung. Kontraste ergeben sich durch die warmen Farben, wenn aus der Sicht etwa von Benny erzählt wird, und den eher dunkelblau gehaltenen Tönen, wenn von Hamid die Rede ist, der seine Gedanken mit sich herumträgt. Zudem sind auch hier die Zeichnungen innerhalb der Zeichnung zu erwähnen, da der Junge parallel zur Handlung das Erlebte selbst malerisch verarbeitet. Große Freistellen wechseln sich zudem ab mit witzigen Randbewegungen, so dass zwischen all dem Ernst es genug auflockernde Momente gibt.

Diese Graphic Novel behandelt all die Themen, die alle Schüler/innen in der einen oder anderen Form kennen, sei es, da sie selbst Betroffene sind oder in derer Umgebung bestimmte Dinge passieren, über die gesprochen werden muss. Dafür bietet das Werk eine Grundlage und kann sicher als Aufhänger und Diskussionsgegenstand im Unterricht genutzt werden. Der Vergleich zur Ringparabel in Lessings Werk „Nathan der Weise“ drängt sich auf. Moderner kann man eine Thematik kaum aufbereiten.

Gerade in unserer Zeit, in der extreme Richtungen wieder Zulauf erhalten und Glaube immer noch zur Konfrontation missbraucht wird oder als Aufhänger, auszugrenzen, ist solch ein Werk gerade für Jüngere wichtig, um zu zeigen, dass es auch anders geht, dass Freundschaft, Mut und Zusammenhalt ideologische Grenzen überwinden können. Auch eine Botschaft, wie sie sich durch einige von Steinhöfels Werken zieht.

Dieses Werk, was junge Lesende ernst nimmt und in der Lage ist, neue Perspektiven zu geben, ist damit unbedingt empfehlenswert.

Autoren:

Andreas Steinhöfel wurde 1962 geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Nach dem Abitur begann er ein Studium der Biologie und Englisch auf Lehramt, bevor er zu Medienwissenschaften, Anglistik und Amerikanistik wechselte. 1991 erschien sein erstes Kinderbuch, seit 2016 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er ist Autor mehrerer ausgezeichneter Kinder- und Jugendbücher, schreibt Drehbücher. Sein Werk wurde bereits mehrfach verfilmt.

Melanie Garanin wurde 1972 geboren und ist eine deutsche Illustratorin, Kinderbuchautorin und Comiczeichnerin. Zunächst studierte sie in Potsdam-Babelsberg Animationsfilm. Seit 1998 arbeitet sie als freiberufliche Animatorin und Illustratorin für eigene Werke und die anderer Titel. 2020 erschien ihre erste autobiografische Graphic Novel, in der sie den Tod ihres Sohnes verarbeitete. Sowohl eigene als auch die von ihr illustrierten Titel anderer Autoren wurden in mehrere Sprachen übertragen.

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Charlotte Schallie (Hrsg.): Aber ich lebe

Inhalt:

Emmie Abel überlebte als kleines Mädchen die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen. David Schaffer entkam dem Genozid in Transnistrien, weil er sich nicht an die Regeln hielt. Die Brüder Nico und Rolf Kamp versteckten sich in den Niederlanden dreizehn Mal vor ihren Mördern. Zusammen mit den Überlebenden haben drei international bekannte Zeichner:innen deren Geschichten in Graphic Novels erzählt, die unvergesslich vor Augen führen, was der Holocaust für Kinder bedeutete – und nicht nur für sie. (Klappentext)

Rezension:

Immer weniger Zeitzeugen gibt es, die uns und vor allem den nachfolgenden Generationen erzählen können, wie es war, aufzuwachsen, inmitten des Holocausts, einem unvorstellbaren Terror ausgeliefert zu sein, in dem ein winziger Moment des Zögerns, eine falsche Entscheidung, ein unvorsichtiger Augenblick den Tod bedeuten konnte. Um so wichtiger ist es, deren Erinnerungen festzuhalten und sie so aufzubereiten, dass Interesse geweckt wird und die Geschichten der Erzählenden im Gedächtnis bleiben.

In einer Mischung aus Sachbuch und Graphic Novel versuchen dies mit „Aber ich lebe“ drei Illustratoren, die zusammen mit ihren Interview-Partnern deren Kindheit nachspüren und fangen mit unterschiedlichen Zeichenstilen sehr individuell deren und nicht zuletzt ihre eigenen Eindrücke ein, bevor am Ende der Streifzüge eine Nachbereitung in Textform eingefügt ist.

Zunächst Barbara Yelin, die die Geschichte von Emmie Arbel nachspürt. In düsteren und dunklen Farben erzählt sie die Geschichte des kleinen Mädchens, welches kaum alt genug ist, um zu begreifen und doch schon gelernt hat, zu überleben. Frohe Momente, sowie die heutige Zeit sind dagegen hell gehalten. Die Konturen verschwimmen, wenn Erinnerungen diffus werden, der Blick verliert sich in Details. Wie wirken Schrecken und Grauen der Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter hinein?

But I live / Barbara Yelin über Emmie Arbel

Eine andere Facette beleuchtet Miriam Libicki. Sie erzählt die Geschichte von David Schaffer, der am anderen Ende Europas den Folgen des Holocausts entkam. Die Zeichnerin setzt auf klare Konturen, im Gegensatz zu Yelin, auch die Farben sind leuchtender, heller gehalten. Hier ist es der Hintergrund der an detailschärfe verliert, während die Figuren immer fassbar und bestimmt bleiben. Manche Zeichnungen wirken beinahe holzschnittartig, als würde man mit Puppen das Erlebte lebendig werden lassen. Im Gegensatz zur ersten Geschichte bindet sich Libicki nicht ein, um Kontrast und Wirkung zu schaffen.

Zuletzt, die Erinnerungen von Rolf und Nico Kamp, erzählt von Gilad Seliktar. Die Zeichnungen sind in bläulichen und gelblichen Tönen gehalten und wirken beinahe wie ältere Fotos. Auch dieser Stil weiß eine, nein eigentlich zwei, Geschichte eindrucksvoll in Szene zu setzen, wobei natürlich alle drei Geschichten auf ihre Art in Erinnerung bleiben werden.

„Aber ich lebe – Vier Kinder überleben den Holocaust“, nach den Erinnerungen von Emmie Arbel, David Schaffer, Nico Kamp und Rolf Kamp (Quelle: C. H. Beck)

Diese sind dann auch nicht zu werten. Erlebt ist erlebt, wobei die Konzentration auf einzelne Szenen liegt. Keine Geschichte ist mit der anderen zu vergleichen und doch haben sie alle etwas gemeinsam. Das Ziel der Mitwirkenden ist in jedem Fall erreicht, um so mehr noch als auch der Entstehungsprozess, das Zusammenfinden der Zeichnenden mit Machern und Zeitzeugen illustriert dargestellt wird und eine Nachbereitung in Textform die weitergehenden Biografien von David Schaffer, Nico und Rolf Kamp, sowie Emmie Arbel beleuchtet.

Hier ist das Kunststück gelungen, Geschichte für die Nachwelt modern aufzubereiten, nicht nur für Kinder und Jugendliche. Im Englischen gibt es wohl dazu auch begleitendes Unterrichtsmaterial. Mit der Konzentration der Illustrierenden auf einzelne Punkte der Erinnerungen der Zeitzeugen werden zudem bestimmte Aspekte herausgestellt, zudem ein schwieriges Thema niedrigschwellig und doch anspruchsvoll aufbereitet.

Diese Art, Geschichte zu erzählen, funktioniert wunderbar, wenn die Zeichnenden, wie hier, nicht den Menschen aus den Blick verlieren. So reiht sich „Aber ich lebe“ gut ein, zu den Büchern gegen das Vergessen. Wünschenswert wäre es, noch mehr Werke dieser Art zu schaffen.

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Verantwortliche:

Charlotte Schallié ist Professorin an der University of Victoria in Kanada und unterrichtet sowohl Germanistik als auch Holocaust Studies. 1965 in Toronto, Kanada geboren, wuchs sie in der Schweiz auf und studierte zunächst Geschichte und Germanistik in Vancouver. Sie veröffentlichte mehrere Werke u. a. zur Schweizerischen Geschichte im Zweiten Weltkrieg.

Barbara Yelin wurde 1977 in München geboren und ist eine deutsche Comic-Künstlerin. Sie studierte zunächst Illustration in Hamburg und zeichnete mehrere Comic-Geschichten, die in verschiedenen Zeitungen und Anthologien erschienen. 2012 erhielt sie eine Gastprofessor an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, 2013-2015 war sie Dozentin in Erlangen.

Miriam Libicki ist Autorin der Graphic Novel „Jobnik!“ über ihren Wehrdienst in Israel sowie zahlreicher Nonfiction Comics. Sie wurde 2017 mit dem Vine Award for Canadian Jewish Literature ausgezeichnet.

Gilad Seliktar illustriert Kinderbücher, zeichnet Comics und Illustrationen für verschiedene israelische Zeichnungen unnd wurde 2018 bei der Vergabe des Israel Museum Ben-Yitzhak Award ausgezeichnet. Er ist autor mehrerer Graphic Novels und lehrt in Jerusalem an der Bezalel Academy of Arts and Design.

Sie erzählen die Geschichten von Emmie ArbelRolf und Nico Kamp, sowie David Schaffer.

Für externe Inhalte wird keine Haftung übernommen, diese gehören den Erstellern.

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Sid Jacobson/Ernie Colon: Das Leben der Anne Frank – Eine Biografie

Inhalt:

Menschen in aller Welt kennen Anne Frank, die 1929 als Kind jüdischer Eltern in Deutschland geboren wurde und später mit ihrer Familie vor dem Terror der nationalsozialisten in die Niederlande emigrierte, wo sie sich schließlich über zwei Jahre in einem Amsterdamer Hinterhaus versteckte. Dort schrieb sie ihr bewegendes Tagebuch. Heute ist Anne Frank ein Symbol für Millionen von Juden geworden, die der rassistischen Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.

In Zusammenarbeit mit dem Anne Frank Haus in Amsterdam verfassten Ernie Colon und Sid Jacobson diese umfassende Biografie. In Form einer Graphic Novel. Beginnend bei der Heirat der Eltern bis hin zu Annes tragischen Tod im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

(geänderter Klappentext)

Rezension:

Ihre Aufzeichnungen sind ein Symbol dessen, welches Potenzial der Welt durch das menschenverachtende und todbringende Wirken der Nationalsozialisten in Deutschland und den von ihnen im Zweiten Weltkrieg besetzten Ländern, entrissen wurde. Welche Chancen hätten sich Anne und so vielen anderen Kindern und Jugendlichen ergeben, wären sie unter normalen Umständen aufgewachsen und nicht einer zerstörerischen Vernichtungsmaschinerie zum Opfer gefallen?

Anne Franks Tagebuch gibt uns Einblick in die Seele einer Jugendlichen, die versteckt vor den Häschern der Nazis, in einem Amsterdamer Hinterhaus ausharren musste, so viele Hoffnungen und Träume hegte, aber auch Ängste ausstehen musste, bis das Schicksal auf’s Grausamste zuschlug. Ihr Leben endete kurz vor Kriegsende im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

So viel zur Geschichte. Diese ist bekannt, nicht zuletzt durch verschiedene Versionen ihres Tagebuchs, welches 1947 erstmals in den Niederlanden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Verfilmungen folgten, inzwischen auch sekundärlektüre, die sich mit den Helfern etwa beschäftigt, Anne Franks Freundschaften aus Kindertagen oder den Verrat, den die Untergetauchten zum Opfer fielen. Auch dieses Werk reiht sich da ein, eine Graphic Novel, die die Zeit des Verstecktwerdens verbildlicht.

Da stellt sich natürlich zunächst die Frage, darf man das? Reicht nicht das Tagebuch in seiner ursprünglichen Form? Muss immer noch ein Medium genutzt werden, wo doch der Text des Mädchens, mit dem Wissen um ihr Schicksal, schon hart genug zu lesen ist? Kann eine Verbildlichung die Gefühle, das Denken der Portraitierten überhaupt annähernd und ausreichend transportieren? Muss das sein? Wie sehr kann man komprimieren, herausstellen und verdeutlichen, was schon zu lesen kaum zu fassen ist?

Die Zeichner Ernie Colon und Sid Jacobson haben diese Fragen für sich beantwortet und in jahrelanger Kleinarbeit dieses sehr sensible Projekt umgesetzt. Unterstützt durch das Anne Frank Haus in Amsterdam haben sie verdichtet einzelne Episoden, die die Jugendliche anne Frank in ihrem Tagebuch beschrieb zu einem Gesamtwerk grafisch aufbereitet, welches geeignet ist, neben Text und Verfilmungen zu wirken, nicht minder beeindruckend.

Die Farbgebung ist blass, doch wirkt sie gerade zu Beginn fröhlich, um dann kontrastreich in dunklere Töne zu wechseln. Schließlich war auch das Versteck von Annes Familie und ihren Freunden dunkel und beengt. Die Autoren haben dabei ihr Hauptaugenmerk zunächst allgemein auf das Familienleben, gelegt, danach nur noch aus der Perspektive von anne selbst erzählt, ihre inneren Konflikte, kleine Freuden und Hoffnungsschimmer jedoch ebenso dargestellt. Die Linienführung erinnert an alte Fotografien.

Wer das Tagebuch gelesen hat oder wem der Stoff in reiner Textform zu schwer erscheint, für den ist die Graphic Novel durchaus eine Variante, sich Zugang zur Thematik zu verschaffen. Die gefühle, die beim Lesen aufkommen, werden auch hier hervorgerufen, vielleicht sogar noch mehr, da natürlich einzelne Episoden, die Anne so ausführlich beschrieben hat, verdichtet werden mussten. Als Ergänzung zum tagebuch hat diese Graphic Novel somit in jedem Fall ihre Berechtigung und lohnt einer näheren Betrachtung.

Autoren:

Sid Jacobson wurde 1929 geboren und ist ein US-amerikanischer Comic-Zeichner. Zunächst war er Chefredakteur bei Harvey Comics und schuf verschiedene Figuren, u. a. Richie Rich oder Casper, danach arbeitete er für marvel Comics, ebenfalls als Chefredakteur. 2010 erschien seine grafische Biografie zu Anne Frank, zuvor über den Terroranschlag 9/11 und Amerikas Krieg gegen den Terror.

Ernie Colon wurde 1931 geboren und ist ein US-amerikanischer Zeichner, arbeitete ebenfalls zunächst für Harvey Comics, anschließend für DC Comuics und Marvel.

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