Europa Verlag

Angela Findlay: Im Schatten meines Großvaters

Inhalt:

Als die in England aufgewachsene Angela Findlay im Rahmen eines Kunstprojekts ein Gefängnis betritt, hat sie sofort das unerklärliche Gefühl,als ob sie dorthin gehörte. Jahrelang hatte sie mit einem diffusen Schuldgefühl in sich gerungen. Doch nun beginnt sie, nach den Ursachen zu forschen,und so entsteht ein immer detaillierteres Bild von Nazi-Deutschland und vom Leben ihres toten Großvaters, eines hochdekorierten Generals der Wehrmacht. (Klappentext)

Rezension:

Immer detailreicher werden die Erkenntnisse, die sich aus den Forschungen generationsübergreifender Traumata ergeben, doch noch wird dieses Phänomen anhand zu weniger Perspektiven beleuchtet. Inzwischen gibt es Bücher, in denen die Nachfahren von Migranten darüber berichten, schon früh hingegen erschienen die Erfahrungen der Nachfahren Holocaust-Überlebender. Nun ist mit “Im Schatten meines Großvaters” der Blick um eine faszinierende Facette ergänzt worden.

Da sind zunächst einzelne Bemerkungen seitens der Mutter, Momente der Kindheit und eine Art Wissen, auf die sich die Autorin keinen Reim machen kann, doch erlebt Angela Findlay im Rahmen der von ihr gestalteten Kunst-Projekte zunächst, was Verarbeitung bei anderen Menschen bewirkt. Erst später beginnt sie die Hintergründe ihrer eigenen Gefühle zu recherchieren und macht sich auf eine Reise durch die Vergangenheit ihres Großvaters.

Den Blick voller Wohlwollen war da immer die Frage, wie viel wusste der General vom Grauen des Holocaust hinter der Front, in wie fern war er selbst beteiligt? Hat er weg gesehen, mitgemacht oder, bestenfalls, dagegen Widerstand geleistet? In der Hoffnung auf letzteres recherchierte die Autorin quer durch Europa auf der Suche nach Antworten, legt Schicht um Schicht ein Bild voller Grauschattierungen frei und kommt damit auch ihren eigenen Gefühlen immer näher.

Diese psychologische Reportage ist faszinierend zu lesen, allein fehlt manchmal die Einordnung eines fachlichen Historikers, doch in Ergänzung zu anderer Literatur ist auch dieses Buch unglaublich wertvoll. Was hier gut nachzuvollziehen ist, ist die innere Zerrissenheit Findlays, was sich auch auf andere übertragen lässt, die sich mit vererbten Traumata herumschlagen müssen. Medizinische Hintergründe werden dabei angerissen, jedoch so, dass es für die Laien unter uns nachvollziehbar bleibt.

An mancher Stelle fehlt eine sachlich-nüchterne Tonalität, an anderen wären detailreichere Ausführungen interessant gewesen. Trotzdem ist diese psychologische Spurensuche ungemein lesenswert. Ich kann sie nur empfehlen.

Autorin:

Angela Findlay wurde 1964 geboren und ist eine Künstlerin und Vortragsrednerin. Sie unterrichtete Kunst in Gefängnissen und war Koordinatorin für Koestler Arts Charity. Daneben beschäftigt sie sich mit den Folgen ungelöster generationsübergreifender Traumata.Sie lebt in England und Deutschland.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Angela Findlay: Im Schatten meines Großvaters Read More »

Andreas Neuenkirchen: Codename – Sempo

Inhalt:

1940 ist Chiune “Sempo” Sugihara offiziell der japanische Vizekonsul in Litauen. Tatsächlich aber spioniert er als Agent seines Außenministeriums deutsche und russische Truppenbewegungen aus. Seit seinen Lehrjahren in japanischen Kolonien ein entschiedener Gegner von Tyrannei und Unterdrückung, nimmt er sich der jüdischen Flüchtlinge an, die eines Tages beginnen, sein Konsulat zu belagern. Gemeinsam mit einem kreativen holländischen Konsul und einem profitorientierten russsischen Kommunisten heckt er einen wahnwitzigen Plan aus, ihnen mit Visa zweifelhafter Gültigkeit die freie Passage nach Japan zu ermöglichen.

Für die Juden beginnt eine aufreibende Odyssee durchs eiskalte Sibirien und über die raue japanische See in die Freiheit. Für Sugihara folgen Kriegsgefangenschaft, die unehrenhafte Entlassung aus dem Staatsdienst, Gelegenheitsjobs in Japan und Russland. Erst Jahrzehnte später erfährt er, dass sein Plan aufgegangen ist, und erst kurz vor seinem Tod wird er von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet. (Klappentext)

Rezension:

War Chiune Sigihara der japanische Schindler? Dass er seit Bekanntwerden seiner Taten immer wieder mit diesem wenig originellen Titel bedacht wird, ist so unglücklich wie verständlich. Auch ohne Vorkenntnisse hat man bei einer derart griffigen Verschlagwortung sofort eine ungefähre Vorstellung von der historischen Rolle, die ihm zukommt. Gleichwohl ist eine solche Bezugnahme auf eine andere historische Persönlichkeit auch immer eine Reduzierung.

Der japanische Schindler ist eben nicht das Original. Mit einer derartigen Größe verglichen zu werden ist einerseits sicherlich eine Ehre, klingt andererseits jedoch nach einem Trostpreis. Eine Hitparade der Holocaust-Helden wäre unschicklich, und darüber hinaus hat Chiune Sugihara es verdient, nicht nur im Schatten eines anderen geehrt zu werden.

Andreas Neuenkirchen: Codename – Sempo

Der in Japan lebende Journalist und Autor Andreas Neuenkirchen tut dies in einem recht eindrucksvollen Porträt, welches er über den japanischen Diplomaten, der durch seine Postion getarnt, eigentlich für seine Regierung die Truppenbewegung der Deutschen und der Sowjetunion ausspionieren sollte, dem jedoch per Aufenthaltsort eine bedeutende Rolle zukommen sollte, in Bezug auf die Menschen, deren Leben er rettete. Entstanden ist eine eindrucksvolle Biografie einer hier in Europa fast vergessenen, in Japan erst spät gewürdigten Persönlichkeit, ein wichtiges Werk in der Reihe der Bücher gegen das Vergessen.

Die Geschichte von Chiune Sugihara beginnt der Journalist mit einem Blick auf dessen Elternhaus, Kindheit und Jugend, die schließlich in einem Weg mündete, abseits dessen, welchen der Vater für seinen Sohn erdacht hatte. Wichtige Schlüsselmomente und Stationen werden dargestellt, um darauf später zurückzukommen und die Motivation für das spätere Handeln Sugiharas wenigstens im Ansatz zu klären.

Neuenkirchen begab sich nicht auf die Spuren eines Unternehmers, der zunächst nur günstige Arbeitskräfte für seine Fabriken brauchte, für den dann im Laufe der Zeit die menschlichen Leben einen höheren Stellenwert erhielten oder der Männer, die im Auftrag ansonsten neutraler Regierungen, wie dies etwa in Schweden der Fall gewesen ist, Verfolgte vor dem Schlimmsten bewahren sollten. Chiune Sugihara war im Auftrag der japanischen Regierung in Europa unterwegs.

Wenngleich die Rettung Tausender jüdischer Flüchtlinge die Sugiharas in Deutschland nicht in Bedrängnis bringen sollte, so dauerte es dennoch nicht lange, bis sich der Himmel über ihrem Schicksal verfinsterte.

Andreas Neuenkirchen: Codename – Sempo

Nach Lehrjahren in der Mandschurei zunächst in Moskau, später dann in Kaunas, vor allem um die Truppenbewegungen der eigentlich verbündeten Deutschen und derer Gegner auszuspionieren. Neuenkirchen hat den auslösenden Moment für eine menschliche Großtat und den Weg Sugiharas, sowie den Umgang mit dem historischen Erbe gesucht.

Für die zahlreichen Geschichte, ja für diese eine, wirkt der Text auf den ersten Blick beinahe zu kompaktm, doch Neuenkirchen wagt keine Ausschweifungen, hat sich beim Schreiben aufs Wesentliche konzentriert. Die Wirklichkeit ist spannend genug. Sie bedarf keinerlei Ausschmückung. Gestützt auf Archivarbeit, Interviews und Zeitzeugenberichten, Zeitungsartikeln verfolgt er den Weg eines außergewöhnlichen Menschen und der jenigen, deren Leben Sugihara rettete.

Als sich der Zug in Bewegung setzte, zückte Sugihara ein letztes Mal auf litauischem Boden Feder und Papier. Die letzten behelfsmäßigen Visa warf er aus dem fenster des fahrenden Zuges, in die Hände derer, die ihn laufend begleiteten, so lange es ging. Erschöpft und verzweifelt rief er: “Ich kann nicht mehr schreiben, bitte vergebt mir!” Dann sank er in seinen Sitz und schlief sofort ein.

Andreas Neuenkirchen: Codename – Sempo

Eindrucksvoll werden einzelne Momente herausgestellt. Fast wirkt es so, als wäre man inmitten eines Dokuspiels und doch ist dies ein sehr flüssig zu lesendes Sachbuch, welches einmal einen anderen erinnerungswerten Aspekt zur Sprache bringt, als dies normalerweise der Fall ist. Ansonsten hätte man schon öfter von Chiune Siguhara gehört.

Andreas Neuenkirchen versteht es Familien- und Personengeschichte, sowie ein gesellschaftlichs Porträt miteinander zu verknüpfen, ebenso Nachwirkungen und den Umgang mit der Vergangenheit darzustellen. Ein Sachbuch, welches sich von der durch das wirkliche Geschehen verursachten Dramaturgie wie ein spannender Roman liest, ist das. Und fast genau so aufgebaut. Im forderen Teil gibt es ein Personenregister. Aber auch die Nachbetrachtungen sind sehr überlegt und kenntnisreich. Sie runden die Thematik gut ab.

Der Ausgang der Geschichte von Chiune Sugiharas Taten ist bekannt, doch noch viel zu wenig beschrieben. Dieser Text ändert das nun.

Autor:

Andreas Neuenkirchen wurde 1969 in Bremen geboren und arbeitet seit 1993 als Journalist. Zunächst zuständig für Bremer Stadtmagazine und Tageszeitungen, arbeitete er von 1998 bis 2016 als Redakteur in München. Nebenher arbeitete er als Autor für Hörspiele, Heftromane, Rundfunkreklame, Bücher und Filme. Die meisten haben Japan-Bezug. Seit 2016 lebt er mit seiner japanischen Frau und der gemeinsamen Tochter in Tokio.

Andreas Neuenkirchen: Codename – Sempo Read More »

Rebiya Kadeer, Alexandra Cavelius: Die Himmelsstürmerin

Inhalt:

Rebiya Kadeer zählte einst zu den reichsten Frauen im Reich der Mitte. Nach einer beispiellosen Karriere begann sie schließlich, ihren politischen Einfluss zu nutzen und sich für die Rechte ihrer uigurischen Landsleute einzusetzen, einer muslimischen Volksgruppe im Nordwesten Chinas, die von Peking ihre religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Grundrechte einfordert. Damit wurde sie zur meistgehassten Frau des Regimes, das Gegner gnadenlos verfolgt, foltert und tötet.

Die chinesische Führung rächte sich an ihr und sperrte Rebiya Kdeer für fünf Jahre ins Gefängnis, wo sie Zeugin von Folter, Vergewaltigungen und Hinrichtungen wurde. Nachdem sich Menschenrechtsorganisationen aus der ganzen Welt für ihre Freilassung aus dem Gefängnis eingesetzt hatten, durfte sie in die USA ausreisen, wo sie ihren leidenschaftlichen Kampf für freiheit und Menschenrechte weiterführt. Ihr bewegtes Leben ist spannender als jeder Roman. (Klappentext)

Rezension:

Lange leugnete die chinesische Führung die Existenz der Internierungslager, deren Innenleben der raren Erzählungen Überlebender direkt der Hölle entsprungen zu schienen. Als sich aufgrund von Satellitenbildern deren Bestehen nicht mehr leugnen ließ, sprach die Kommunistische Partei beschönigend von Bildungsstätten, doch die Realität im Reich der Mitte sieht anders aus.

Im modernsten Überwachungsstaat werden jene unterdrückt, die es wagen könnten, den Führungsanspruch Pekings zu hinterfragen, allen voran Minderheiten, deren bloße Existenz schon als Bedrohung angesehen wird. D

Doch während die Bedrohung der Tibeter nicht zuletzt durch ihr religiöses Oberhaupt, des Dalai-Lama immer wieder in den Blick der Weltöffentlichkeit gerät, tut dies die Unterdrückung der im Nordwesten Chinas lebenden Uiguren erst seit kurzen. Die Journalistin Alexandra Cavelius hat mit der Menschenrechtsaktivistin, der Uigurin Rebiya Kadeer mehrfach gesprochen. daraus entstanden, ist dieses Werk.

Es erzählt die Lebensgeschichte dieser beeindruckenden Frau, deren außergewöhnliche Persönlichkeit schon von den Eltern so gesehen und in diese Richtung gefördert wurde. Kadeer erzählt von einem Leben zwischen den Kulturen und für ein Volk, ihre Erfolge, die sie zu einer angesehenen Person innerhalb der Region machten, wo sie lebte, aber auch in Gefahr brachten und schließlich zu Fall.

In beeindruckenden Bildern schildert sie die negativen Auswirkungen einer Geopolitik, die einem brutalen Eroberungsfeldzug gleicht und zusammengehalten wird, u. a. durch Folter und Gewalt, die sie am eigenen Leib erdulden musste, beginnend mit ihrem Aufwachsen, wirtschaftlichen Erfolgen und schließlich dem versuchten Brechen ihrer Persönlichkeit, was ihren Peinigern glücklicherweise nie vollständig gelang.

Beim Lesen stockt der Atem, ob der nächsten Schikane, des nächsten Rückschlags, aber auch vor einem nahezu unerschütterlichen Mut, der seines Gleichen sucht. Zunächst noch optimistisch, ihren Platz suchend, mehren sich die negativen Schläge, die bald keine Auswege mehr zulassen und schließlich in den Abgrund führen.

Die beiden Autorinnen legen dabei den Fokus auf dem Weg Kadeers in China und zeigen, wie ein System die unter ihm lebenden Menschen frisst. Die Gliederung orientiert sich dabei anhand der verschiedenen Lebensabschnitte Kadeers, ein Bildteil zeigt Fotos von wichtigen Lebensstationen. Nur eine geografische Karte ist nicht vorhanden, welche noch eine zusätzliche sinnvolle Ergänzung gewesen wäre.

Einfach zu lesen ist dies nicht. Der Text erfordert unbedingte Konzentration und Aufmerksamkeit, ob der gesellschaftlichen Befindlichkeiten, der Nuancen familiärer und kultureller Traditionen etwa, die aus heutiger Sicht einige Entscheidungen und Reaktionen Kadeers seltsam erscheinen lassen oder zumindest wagemutig.

Die Geschichte von Rebiya Kadeer und damit auch die Unterdrückung einer einst stolzen Volksgruppe muss unbedingt bekannter werden, in sofern ist Cavelius’ Buch eines dieser modernen Werke gegen das Vergessen, die noch mehr Aufmerksamkeit verdienen.

Wer die Unruhe beim Lesen nicht scheut, wird hier bleibende Eindrücke erhalten.

Ausschnitt eines externen Interviews aus dem Jahr 2015: https://www.youtube.com/watch?v=ceJ5RjM1QjY , hier 2009: https://www.youtube.com/watch?v=pw2U1304IFE

Autorinnen:

Rebiya Kadeer wurde 1946 im Gebirge von Altay, im ehemaligen Ostturkestan geboren und ist Chinas bekannteste Menschenrechtlerin. Seit 2005 lebt sie im amerikanischen Exil und setzt sich dort für ihre uigurischen Landsleute ein. Sie wurde bereits mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert.

Alexandra Cavelius ist freie Autorin und Journalistin und schreibt für verschiedene zeitungen und Magazine. Auf Basis mehrerer Interviews entstand in Zusammenarbeit mit Sayragul Saytbay deren Biografie “Die Kronzeugin, sowie das Sachbuch “Die China-Protokolle”.

Rebiya Kadeer, Alexandra Cavelius: Die Himmelsstürmerin Read More »

Christian Hardinghaus: Die verlorene Generation

Inhalt:

Hitlers letztes Aufgebot war minderjährig. Aufgepeitscht durch Kriegspropaganda glaubten viele Hitlerjungen, sie könnten den Endsieg noch herbeiführen und Deutschland vor dem Untergang bewahren. Als Luftwaffenhelfer, im Volkssturm und in Panzervernichtungstrupps kämpften zuletzt selbst 14-jährige als Lückenfüller und Kanonenfutter. Alleine in den letzten Kriegswochen fielen über 60.000 Kindersoldaten. Die Überlebendenden leiden bis heute an verdrängten Kriegstraumata und konnten oder wollten nie darüber sprechen. Am Ende ihres Lebens berichten dreizehn Zeitzeugen von ihren Kindheitserlebnissen während erbarmungsloser Kämpfe oder zermürbender Gefangenschaft. (abgewandelter Klappentext)

Rezension:

In den Trümmern des Dritten Reiches kämpften zuletzt nur noch die Jüngsten, zumeist ums nackte Überleben. Noch halbe Kinder, waren sie das letzte Aufgebot des NS-Regimes, chancenlos und auf verlorenen Posten. Die auf zerstörung getrimmte Kriegspropaganda gepaart mit der teilweise naiven Sicht Pubertierender, die sich für unverwundbar hielten, führte dazu, dass diese sowjetischen oder amerikanischen Soldaten mitunter schmerzliche Verluste zufügten.

Am Ende mussten diese entscheiden, was mit den Halbwüchsigen, die in Fantasieuniformen mit viel zu großen Stahlhelmen steckten, geschehen sollte. Nicht wenige kamen in Kriegsgefangenschaft, wo für viele sich das Grauen fortsetzte. Der Historiker Christian Hardinghaus hat sich, nach den Soldaten und Frauen im Zweiten Weltkrieg nun der dritten Gruppe, der als Kindersoldaten eingebundenen Minderjährigen angenommen. Die Geschichten dreizehn von ihnen, sind nun für die Nachwelt festgehalten.

Ein wichtiger Bestandteil der Erforschung von Zeitgeschichte ist das Festhalten von Erlebnisberichten, das Recherchieren von Tagebüchern und das Führen von Interviews. Lange war dies bei den Kindersoldaten des Zweiten Weltkriegs nicht möglich, zum Einen, da Aufarbeitungsprozesse zu weilen einseitig verlaufen, zum anderen da Verarbeitungsprozesse mitunter langwierig verlaufen. erst in jüngster Zeit wird aufgearbeitet und zugehört.

Viele Veröffentlichungen, etwa von Tagebüchern aus Kriegskindertagen, gab es in den letzten Jahren und doch wird der Gruppe, die das NS-Regime für seine Zwecke ganz zuletzt noch missbrauchte, kaum Beachtung geschenkt. Die Kinder und Jugendlichen nämlich, die im Rahmen willkürlich zusammengewürfelter Volkssturm-Einheiten gegen die Übermacht alliierter Soldaten ankämpfen musste, während um ihnen herum der Staat in seine Bestandteile zerfiel. Die Wahrnehmung der Zeitzeugen darüber, unterscheidet sich dabei zuweilen deutlich von der nachfolgender Generationen.

Christian Hardinghaus hat daher vor allem eines, Gespräche geführt, zugehört und nachgefragt. Wie in seinen anderen Werken zuvor hinterfragt er zunächst die Erinnerungskultur und wie eine Annäherung, hier an die ehemaligen deutschen Jugendlichen im Zweiten Weltkrieg gelingen kann, welche Bandbreite vor allem jahrgangsmäßig dies umfassen muss und welche Nachfragen nicht außen vor gelassen werden können.

Diese stellt er jeweils am Ende dieser so entstandenen Kurzbiografien, die vor allem die Jugendzeit der Befragten ausführlich behandeln. Eingeführt werden ihre Geschichten durch die Darstellung der jetzigen Lebenssituation, um so Zugang dazu zu finden.

Der Autor wertet dabei nicht oder hält sich zumindest großteils damit zurück, zeigt die Dynamik des NS-Terrors in Form ihrer Propaganda und jahrelanger Indoktrination, aber auch, was die Haltung der sie umgebenden Erwachsenen, ob nun Eltern, Lehrer oder Soldaten ausmachen konnte, wie zuweilen ein Schritt zur Seite Leben oder Tod bedeutete. Hardinghaus lässt die Zeitzeugen erzählen, ungeschönt nehmen diese kein Blatt vor den Mund und sprechen auch dabei die weniger bekannten Kapitel an, etwa von den Zuständen im Rheinwiesenlager für Kriegsgefangene der Alliierten.

Sachlich und konzentriert wirken die mit Fotos durchsetzten Berichte, zuweilen erstaunlich nüchtern, dann wieder ins Emotionale kippend, was vielleicht dem zeitlichen Verarbeitungsprozess geschuldet ist. Auch dieser wird immer kurz dargestellt. Die Wertung, wenn eine solche denn möglich ist, erfolgt dann durch die Lesenden, die mit Informationsgewinn aus der Lektüre gehen werden. Mit diesem Band, der aus dem Pool ausgewählter Zeitzeugenberichte entstanden ist, denen sich Hardinghaus bedienen konnte, ist das Bild abgerundet und sollte auch gelesen werden.

Ein wichtiger und zur weiteren Diskussion anregender Beitrag zur Aufarbeitung ist das, der herausgestellt werden kann, jedoch nicht für sich alleine stehen sollte. Für mein Interesse an der Thematik hätten es jedoch ruhig noch mehr Berichte sein können. Vielleicht wird ja das Bild noch durch kommende Lektüre ergänzt werden?

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung. Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

Christian Hardinghaus: Die verlorene Generation Read More »

Christian Hardinghaus: Die verdammte Generation

Die verdammte Generation Book Cover
Die verdammte Generation Christian Hardinghaus Europa Verlag Erschienen am: 21.02.2020 Seiten: 328 ISBN: 978-3-95890-297-8

Inhalt:

Holocaust und Judenverfolgung haben seit Jahrzehnten ihren berechtigten Platz im kollektiven Gedächtnis, doch wie sieht es aus, die Soldaten zu befragen, die auf deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben.

Ein Versäumnis, welches begann, als man in Deutschland bereit war, ein Stück Geschichte aufzuarbeiten. Bisherige Versuche einer differenzierten Betrachtung scheiterten. Der Historiker Christian Hardinghaus befragte dreizehn Zeitzeugen, die schonungslos ehrlich über das Kämpfen und Töten im Zweiten Weltkrieg berichten.

Damals und retroperspektivisch. Es sind die <berichte einfacher Soldaten und somit ein wichtiger Beitrag unserer Erinnerungskultur. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

In den letzten Jahren füllten sich zunehmend die Archivsammlungen mit Zeitzeugenberichten und Interviews, die uns zur Aufgabe machen, diese Erinnerungen zu bewahren und nicht zu vergessen.

Als nachfolgende Generation sind wir für damalige Taten und Ereignisse nicht verantwortlich, doch tragen wir Verantwortung dafür, mit den Erkenntnissen daraus verantwortungsvoll umzugehen und diesen gerecht zu werden.

In verschiedenen Bereichen gelingt dies mehrheitlich. Doch, immer noch gibt es Themen, die weitgehend unbesprochen sind, so zum Beispiel die Rolle des einfachen Soldaten an den Fronten des Zweiten Weltkrieges, der ein kleines Rädchen im großen Getriebe war, auf die Entscheidungen der Politiker und obersten Führungsriege jedoch keinen Einfluss hatte.

Wie gehen wir damit um? Zurzeit zeichnen sich zwei Wege ab. Einmal, die totale Verklärung, was falsch ist. Zum anderen, die totale Negierung von bestimmten Ereignissen im Zweiten Weltkrieg, was ebenso nicht richtig erscheint.

Eine differenzierte Betrachtung, eben nicht nur der Extreme, sondern auch der Graustufen dazwischen, ist kaum vorhanden. Dies versucht der Historiker und Autor Christian Hardinghaus nun in seinem neuesten Werk und befragte dazu mehrere Zeitzeugen, unterschiedlicher Jahrgänge, die an verschiedenen Fronten des grausamsten aller Kriege auf deutscher Seite kämpfen mussten.

Als einfache Soldaten. Und stößt damit ein Stück Erinnerungskultur an, die in anderen Ländern selbstverständlich ist, hierzulande jedoch stiefmütterlich behandelt wird.

Die ehemaligen Soldaten berichteten dem Autoren nun in Abstand der vergangenen Jahrzehnte von ihren Erlebnissen mit einer differenzierten Selbstreflektion über das Leben als einfacher Soldat, das Töten und Sterben an der Front und den Grausamkeiten des Krieges an forderster Linie, ohne Holocaust und Verfolgung, hinter den Frontlinien zu negieren oder zu beschönigen.

Stärke ist hier die Sicht des persönlichen Erlebens, welche den Lesern zugänglich gemacht wird, ohne dass dies Christian Hardinghaus wertet. Vielmehr dürfen und können die Leser sich eine eigene Meinung bilden. Fazit vielleicht, Krieg bringt nichts, er zerstört nur.

Eben auch die Leben derer, die als Soldaten kämpfen müssen. Egal, ob freiwillig oder dazu gezwungen.

So ist diese Gesprächssammlung, nichts weniger ist das vorliegende Werk, eine Ergänzung, die dazu anregen sollte, sich mit allen Perspektiven des Zweiten Weltkrieges zu beschäftigen und sich eben nicht nur auf bestimmte zu konzentrieren.

Die bisherige Aufarbeitung ist richtig und wichtig, jedoch noch nicht vollständig. Gerade hierzu leistet der Historiker Hardinghaus einen wichtigen Beitrag, der durchaus, auch, kontrovers zu diskutieren ist.

Diese Diskussion jedoch erst einmal anzustoßen, ist in unseren turbulenten Zeiten der Meinungsfrontenbildung wichtig, um ein differenziertes und ausgewogenes Bild zu bekommen.

In kurzen übersichtlichen Kapiteln ist diese Sammlung der Gespräche gegliedert, abschließend mit jeweils drei ergänzenden Fragen an die Interviewpartner gestellt, die die Gespräche einordnen. Eine ausführliche Einführung in die Texte ist ebenso gegeben, wodurch das Ganze abgerundet wird.

Ein wichtiges Dokument, welches den geschichtlichen Diskurs ergänzen sollte, wenn mir auch die Anzahl der geführten Gespräche als fast zu wenig erscheint, was jedoch dem zeitlichen Kontext geschuldet sein dürfte.

Autor:

Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung.

Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.

Christian Hardinghaus: Die verdammte Generation Read More »

Konrad Heiden: Adolf Hitler

Adolf Hitler Book Cover
Adolf Hitler Konrad Heiden Europaverlag Erschienen am: 23.11.2016 Hardcover ISBN: 978-3-95890-117-9

Inhalt:

Konrad Heiden hat den Aufstieg Adolf Hitlers von Anfang an begleitet. Aus nächster Nähe beobachtet er die Auftritte des Demagogen, arbeitet das Gewöhnliche und Spießbürgerliche, vor allem aber das Diabolische und Krankhafte an Hitlers Wesen heraus und schildert Geschichte, während sie passiert.

Bavor das ganze Ausmaß des Schreckens bekannt war, das Hitler und die Nationalsozialisten über Europa bringen sollten, warnt er bereits auf eindringliche Weise vor den Absichten dieses Mannes und der bevorstehenden Katastrophe.

Seine schonungslose psychologische Durchleuchtung des “Führers” liefert den Schlüssel, um Hitlers Ideen und politische Ziele zu durchschauen und um zu verstehen, was für die Welt von Anfang an auf den Spiel stand. (Klappentext)

Rezension:

Künftige Forscher werden vieles sehen, was uns heute noch entzogen ist; manches werden sie aus ihrer Ferne kaum glauben, was die Gegenwart breit erlebt, aber selten lang bewahrt.

Konrad Heiden “Adolf Hitler – Die Biografie”, Europa Verlag.

Als das Grauen noch nicht in seiner Gänze abzusehen war, als das friedliche Europa erste Risse bekam, beobachtete ein Journalist die Ursache dessen, welche ein paar Jahre später zur größten Katastrophe der (unsrigen) jüngeren Geschichte führen sollte, sehr genau.

Messerscharf analysierte Konrad Heiden die Reden Adolf Hitlers, der von der Rolle des “Trommlers” zu Deutschlands Diktator aufstieg, und seiner Gehilfen.

Beobachtete, wie Röhms SA die Gegner der Nationalsozialisten einschüchterte, wie Ehrenwort um Ehrenwort gegeben und gebrochen wurde und wie sich eine Reihe vorab gescheiterter Existenzen nahm, was ihnen die Demokratie ohne Demokraten so bereitwillig und ahnungslos überließ.

Konrad Heiden schrieb darüber und entstanden ist dabei eine Schrift, die Hitlers Werdegang scharfsinnig analysiert und demaskiert.

Er, der er wegen seiner Tätigkeit selbst ins Exil flüchten muss, sitzt anfangs noch in den Kellern, wo die Nazis ihre ersten Versammlungserfolge feierten, spricht mit Parteimitgliedern und Weggefährten des Österreichers, der bald Deutschland beherrschen wird und ahnt die drohende Katastrophe.

Der Journalist arbeitet akribisch die Ziele Hitlers, die dieser in “Mein Kampf” formuliert heraus, stellt sie dessen Reden gegenüber und beobachtet sich anbahnende Bündnisse und das Entstehen neuer Konfliktherde. Ein Dampfkochtopf Deutschland, der explodieren wird. Die Frage ist nur, wann?

Mit der Neuauflage der ersten Biografie über Adolf Hitler holt der Europa Verlag ein Stück seiner Geschichte wieder in das Programm und dieses hat es in sich.

Neutral aber neugierig analysierend, beobachtend und abwartend hat es Konrad heiden fertig gebracht, Zeitgeschichte ohne Scheuklappen festzuhalten oder die Leser in eine bestimmte Richtung zu treiben.

Die sollen sich selbst ein Bild machen, Heiden zeigte nur den Weg auf, den Hitler und seine Kumpanen bereit waren, zu gehen. Und damit auch die Ziele und die wahren Absichten einer menschenverachtenden Diktatur, ihre Irrwege. Schonungslos, diese Weitsicht des Einen, erschreckend das Wissen, dass sich dennoch so viele haben blenden lassen (wollen).

Aneinandergereiht, kurze Kapitel, beschäftigt sich Heiden zuerst mit der Kindheit und Jugend Hitlers, seinen Werdegang über Linz, Wien und München, sowie seinen entgültigen Griff zur Macht und der Beseitigung aller Konkurrenz 1934.

Immer wieder beruft er sich auf Quellen, die er um deren Selbstschutz Willen nicht nennen kann. Nicht im Jahr seines Schreibens, 1936. Es ist das erste umfassende Werk, welches neutral berichtet und gerade heute noch gut zu lesen ist, wo der Friedensgarant Europa, der einst als Absicherung gegen Kriege auf den Kontingent in seiner Einheit wieder zerbröselt.

Diese Einheit hat Konrad Heiden, wie er so vieles andere vorausgesehen hat, als Lösung gegen Hitler betrachtet. Europa sollte auf ihn hören. Denn heute gibt es wieder einige der Vorzeichen, vor denen Konrad Heiden seine Generation einst warnen wollte.

Autor:
Konrad Heiden wurde 1901 in München geboren und studierte dort Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Für die Frankfuirter Zeitung arbeitete er anfangs als Hilfsredaktuer und begleitete seit 1921 die Aktionen und Auftritte Adolf Hitlers.

Nach mehreren Wechseln verschiedener Redakteursstellen arbeitete er als freier Journalist und Schriftsteller und flüchtete 1933 ins Exil, in die Schweiz.

1936/1937 erschien seine Biografie über Adolf Hitler im Zürcher Europa Verlag, die später Grundlage für zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten über den Diktator und den Nationalsozialismus wurde. 1940 emigrierte er in die USA und erhielt Ende der 50er Jahre deren Staatsbürgerschaft. 1966 starb Heiden in New York City.

Konrad Heiden: Adolf Hitler Read More »