Drama

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Inhalt:
Ben Oppenheim balanciert zwischen Ex-Frau, zwei Kindern und seiner Liebe zu Julia. er hat Rückenschmerzen und Geldsorgen, aber was ihn wirklich ängstigt, ist der Krieg in osteuropa. Getrieben vom jüdischen Fluchtinstinkt steigt er eines Morgens kurzerhand in ein Flugzeug nach Brasilien. Mitsamt Ex-Frau und Kindern, aber ohne Julia. Im Krisenmodus läuft Benn zur Hochform auf. Nur der Atomkrieg lässt auf sich warten. Ben dämmert, dass er sich ändern muss, wenn sich etwas ändern soll. (Klappentext)

Rezension:
Eine Geschichte voller Misstrauen gegen sich selbst, eingebettet im kriselnden Weltgeschehen und transgenerationalen Trauma liegt mit Micha Lewinskys Erzählung „Sobald wir angekommen sind“ vor. Der Roman führt uns vom beschaulichen Zürich einmal um den halben Globus und zeigt sehr eingängig, dass auch vermeintliche Kurzschlussreaktionen ihre Hintergründe haben und das deren Folgen gewaltig sein können.

Düster erscheint die Welt dem Protagonisten, der sich von Beginn an von allen Seiten gedrängt sieht. Der berufliche Erfolg bleibt schon länger aus, im Leben seiner Familie hat er keinen sicheren Stand, ebenso schwebend ist die Beziehung zu seiner Geliebten, zu deren Sohn er keinen rechten Zugang finden möchte. Die immer bedrohlicheren Nachrichten aus Osteuropa tun ihr Übriges.

Nur noch weg möchte Ben, der sich als Getriebener sieht, schon qua der Historie seiner jüdischen Vorfahren, deren Schicksal er bereits zu Anfang so sehr verinnerlicht hat, dass nur noch die Flucht nach vorne bleibt. Mit Kindern und Ex-Frau macht Ben sich auf nach Brasilien, wo er mit der Zeit feststellen muss, dass es leicht ist, einem geografischem Ort zu entfliehen, sich selbst und seinen Problemen jedoch fast unmöglich ist zu entkommen.

„Je schlechter es dir geht, desto lustiger bist du.“
„Danke“, sagte Ben. „Ohne deine Hilfe könnte ich das nicht.“

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Der temporeiche Roman, der eine Flucht auf mehreren Ebenen erzählt, behandelt wichtige Themen, ohne dabei die Hauptfigur zu schonen, die mit ihren Umgang nicht gerade nervenschonend seinen Mitmenschen und, das sei hier schon mal festgestellt, mit uns Lesenden umgeht. Transgenerationales Trauma wurde erstmals im Blick auf Überlebende der Shoah und deren Nachfahren beschrieben, nur wandelt sich dieses Getriebenensein im übertragenden Sinne für Ben zu einer selbsterfüllenden Prophezeihung.

Flucht natürlich, sagte Bens Nervensystem. Flucht, Flucht. Flucht.
Renn!, riefen die Ahnen.

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Die Hauptfigur tut sich bis an die Schmerzgrenze selbst leid, auch wenn der gezeichnete Gegenpart, hier die Ex-Frau, sich kaum sympathischer anstellt. Nur schütteln möchte man den gehetzt wirkenden Protagonisten, dessen Familie sich mit und wegen ihm mehrfach am Rande des Abgrundes bewegt. Alle scheinen, so sieht es Ben, nicht die Tragweite der Geschehnisse zu erfassen, machen es mit ihren Anforderungen an ihm nur noch schlimmer. Und er sieht sich folgerichtig mit den Rücken zur Wand.

Abgesehen vom weinerlichen, sich selbst bemitleidenden Hauptprotagonisten kann man auch an kaum einer anderen Figur ein gutes Haar lassen, wobei die Sympathien mit steigender Entfernung zu Ben zunehmen. Lewinsky spielt dabei mit unzähligen Grauschattierungen, die da aufeinanderprallen und mit zahlreichen Kontrasten. Letztere geben schon die Handlungsorte wieder.

Sie hatten sich so an ihre Privilegien gewöhnt, dass sie sich bedroht fühlen mussten, sobald sich etwas veränderte. Sie standen ganz oben in der Nahrungskette, aber stark waren sie dennoch nicht. Eigentlich konnten sie sich kaum noch rühren, so satt lagen sie in ihren bewachten Wohntürmen. Unfähig zu fliegen, unfähig, sich zu wehren. Sie mussten sich verbarrikadieren und bewaffnen. Mit der Kuchengabel in der Hand […]

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Ein Exil soll es sein, so hofft es der Protagonist, doch entpuppt sich das gewählte Ziel als Ferienort, in welchem im übertragenen Sinne all die Herausforderungen der Heimat warten. Diese Irritation im Gegenspiel zum geografischen Raum darzustellen, gelingt dem Autoren, der mit seinem Roman auch Stefan Zweig gedenkt, der seinerseits vor den Nazis ins südamerikanische Exil geflohen war und stellt Ben dem gegenüber.

Ben hatte sich die Südamerikaner immer dunkler vorgestellt. Gut gelaunt. Und im Grunde tanzend. Nun musste er sich eingestehen, dass er sein zukünftiges Zuhause vor allem von Bildern des Karnevals kannte.

Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind

Die Frage, wann der richtige Moment zur Flucht ist, scheint da durch, ebenso, wann es eine unverhältnismäßige Kurzschlossreaktion wäre. Wo da der Protganist zu verorten ist, beantwortet sich schon in den ersten Kapiteln der Erzählung.

Diese ist in sich schlüssig ohne Lücken und mutet zuweilen wie ein Fernsehspiel an. Zwar sind die Handlungen nachvollziehbar, die Zeichnung des Protagonisten geht einem jedoch nicht sonderlich nahe. Gerade, wenn man sich eher rational denkend verortet. Hier ist die Figur auch gegenüber sich selbst im ständigen Widerspruch. Und da kann man wie auch immer geartete Traumta gelten lassen, im Gegensatz zum Jammertal, in dem sich Ben ständig zu befinden scheint. Schauplätze sind indes nachvollziehbar beschrieben.

Ein Roman mit einer fast unsympathischen Hauptfigur muss man mögen zu lesen. Dann aber eröffnet sich eine Erzählung, die auf so vielen Ebenen wirkt. Transgenerationales Trauma, Unsicherheiten in einer sich den Krisenherden ausgesetzten Welt, Flucht- und Schutzinstinkt hat Micha Lewinsky zu einem Dschungel nicht nur für Ben verwoben. Ob dies aber reicht, um den Wald vor lauter Bäumen am Ende des Tages zu sehen?

Autor:
Micha Lewinsky wurde 1972 in Kassel geboren und ist ein Schweizer Drehbuchautor, Regisseur und Schriftsteller. Mit seiner Regiarbeit „Herr Goldstein“ wurde er 2005 mit dem Pardino d’Oro ausgezeichnet, für sein Spielfilm-Regiedebüt erhielt er 2008 den Schweizer Filmpreis in der Kategorie Bester Spielfilm. 2022 erschien sein erstes Buch.

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Hubertus von Prittwitz: Skarabäus

Inhalt:

Die Wahrheit ist die beste Lüge. Das lernt der achtjährige Friedrich von seinem Vater. Im Gerichtssaal sieht er seine Schwester das letzte Mal. Sein Vater, ein Spion des BND, trennt ihn für immer von seiner Mutter und seiner Unschuld. Im goldenen Käfig in Neuried bei München züchtigen der Missbrauch durch seine Stiefmutter und der Kontrollwahn des Vaters den Abtrünnigen. Nach mehreren gescheiterten Versucen gelingt die Flucht über Indien, Kairo und den Sudan in das Strafgefangenenlager des Menschenfressers.

Hubertus von Prittwitz rasanter Roman erzählt die Geschichte eines Überlebenden. Die Dichte des Milieus zieht den Leser tief hinein in das historische Erbe der Familienschuld. Im Spiel mit der Macht der Fiktion entspannt sich das Drama eines uralten Adelsgeschlechts. (Klappentext)

Rezension:

Am Ende steht ein Käfer als Symbol für den fortwährenden Versuch, seiner Familie zu entkommen. Diesen lebenslangen Versuch hat Hubertus von Prittwitz erzählerisch in seinem gleichnamigen Autorendebüt „Skarabäus“ verarbeitet. Eng an der eigenen Biografie und doch ganz weit weg.

Fast einem modernen Märchen gleich, springt der Roman zwischen Agententhriller, Politroman und Coming of Age Story entlang den Abgründen der Familie des zunächst achtjährigen Protagonisten. Bei kompakter Seitenzahl geradezu ausschweifend erzählt, begegnen wir Friedrich, der in seiner Kindheit bereits vom eigenen Vater entwurzelt wird, zugleich aber lückenlos kontrolliert. Dazu gesellt sich auch noch der seelische und physische Missbrauch durch die Stiefmutter. Mit der Zeit entwickelt der Junge, den wir bis ins frühe Erwachsenenalter begleiten, Überlebensstrategien, die sämtlichen Willen erfordert, die eine gebrochene Seele aufbringen kann.

Viel zu viele Faktoren für einen Roman, der sich zudem nicht gerade leichtgängig lesen lässt. Das Springen zwischen den Genres ist eine Sache, es gelingt einem jedoch auch nicht, sich dauerhaft an wenigsten einer der Figuren festzuhalten. Alleine die Anspielungen auf verschieden historische Ereignisse sind spannend eingebunden, in eine Erzählung, die keinen anderen roten Faden kennt als die innere Zerissenheit des Hauptcharakters. Zu Beginn weiß man da nicht, was man eigentlich liest. Es scheint, erst mit dem Voranschreiten der Kapitel, die zugegeben zuweilen filmisch wirken, hat der Autor seinen Stil gefunden. Dem entsprechend rund wirkt auch das Ende.

Der Hauptprotagonist ist zugleich Erzähler und Handlungstreiber, in einer Geschichte, die wie ein Schachspiel wirkt. Dabei entgeht dem zunächst sehr jungen Friedrich viel. Nach und nach wandelt sich jedoch die Figur und wird selbst zum aktiven Taktgeber. Dieser Platztausch ist dann doch spannend beschrieben, wobei erzählerische Längen dennoch nicht ganz ausgeblendet werden können.

Hubertus von Prittwitz hat ein Auge für Schauplätze, die er vor dem inneren Auge der Lesenden sehr plastisch wirken lässt. Doch es fehlt der springende Funke, der leider an einigen Stellen dem Gefühl weichen muss, irgendetwas Entscheidendes überlesen zu haben. Vielleicht braucht man einen bestimmten Zugang, diesen speziellen Mix der Genre ganz in sich aufzunehmen? Hier wäre zu schauen, wie ein Werk des Autoren sich liest, wenn es eine Konzentration auf ein bestimmtes Genre oder einen einzelnen Aspekt gäbe.

Eventuell hätte aber auch die Erzählung ganz anders gewirkt, wenn man sich vorher mit der Biografie des Autoren und seiner Familie beschäftigt hätte. Dies sei allen empfohlen, die „Sakarabäus“ lesen möchten. Manches wird da fassbarer.

Nur schade, dass das der Rezensent (ich) vorher nicht gemacht hat.

Autor:

Hubertus von Prittwitz wurde 1969 in München geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Er studierte Politikwissenschaften in München und Berlin, arbeitete als Eventmanager und als Texter, Redakteur und Übersetzer. Er ist für die Deutsche Welle tätig. „Skarabäus“ ist sein Debüt.

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Lize Spit: Der ehrliche Finder

Inhalt:

Seit er vor einem Jahr in Bovenmeer angekommen ist, sitzt Tristan in der Schule neben Jimmy, der klüger und einsamer ist als alle anderen und es sich zur Aufgabe macht, Tristan Ibrahimi durch das Schuljahr zu begleiten. Denn der hat nicht nur einen Krieg erlebt und eine Flucht durch ganz Europa, sondern er hat auch das, wonach Jimmy sich am meisten sehnt: eine intakte, große Familie, die Halt und Geborgenheit bietet.

Gemeinsam bauen sie sich eine eigene Welt voller geheimer Orte und einer Sprache, die beide verstehen, eine Welt, in der Freundschaft möglich ist. Bis jemand eine Entscheidung trifft, die nicht nur ihre Welt gefährdet und Jimmy und Tristan alles abverlangt. (Klappentext)

Rezension:

Seine Sammlung kennt er auswendig und für Tristan hat Jimmy ebenfalls eine eigene begonnen, schließlich ist er Experte für Flippos, Sammelbildchen, die sich in Chips-Tüten befinden. Ihm selbst fehlen nur noch wenige. Tristan ist sein bester Freund, genauer, sein einziger.

Welch ein Glück, dass sie in der Klasse nebeneinander sitzen, so kann der drei Jahre jüngere ihn, der aus den Kosovo flüchten musste, durch den Schulalltag helfen und er selbst bekommt wenigstens bei seinem Freund zu Hause das Gefühl von echter Familie. Doch ein Brief zerreißt die Idylle. Tristan und seiner Familie droht die Abschiebung. Ein Plan dagegen muss also her. Der ist schnell gefunden. Doch, was passiert, wenn sich Verhältnisse umkehren?

Normalerweise waren sie einander völlig ebenbürtig, doch jetzt, wo Jetmira sich eingemischt hatte, war zwischen ihnen plötzlich ein Unterschied entstanden. Jetmira hatte Tristan größer gemacht, während Jimmy nur noch kleiner geworden war.

Lize Spit: Der ehrliche Finder

Dieser feine kompakte Roman aus der Feder der niederländischen Schriftstellerin Lize Spit ist Schicksalserzählung und Coming-of-Age-Geschichte zugleich. In „Der ehrliche Finder“ beschreibt sie ein Abhängigkeitsverhältnis, welches sich urplötzlich umkehrt und Abläufe ins Rollen bringt, die nicht nur eine Freundschaft gefährdet, von der man gleich zu Beginn ahnt, dass sie einseitig ist, sondern auch Folgen hat, die die kleinen Protagonisten schnell nicht mehr unter Kontrolle haben werden.

Im Spagat zwischen Erzählung und Jugendbuch bewegend behandelt die Geschichte eine hochaktuelle Thematik und steuert mit hohem Tempo auf ein finales Ereignis zu, welches man intuitiv erahnt, nicht lesen zu wollen und doch nicht umhin kann, an den Figuren und ihren Handlungen dran zu bleiben.

Besonders die zwei Hauptpersonen sind stark gezeichnet, altersgerecht beschrieben, wobei ein Positionswechsel zum Handlungsgegenstand wird, der einem schlucken lässt. Jimmy als Jüngerer, genießt es, einen Freund zu haben, zu helfen, während Tristan später nicht anders kann als in die Enge getrieben, zum Spielball seiner Pläne werden zu lassen. Mit wenigen Worten hat es die Autorin hier geschafft, eine unter die Haut gehende immerwährende Spannung zu erzeugen.

Er würde nicht würgen, das musste er schaffen.

Lize Spit: Der ehrliche Finder

Der Zeitraum der Handlung sind nur wenige Stunden, die alles im Leben der beiden Jungen verändern. Innerhalb weniger Kilometer, für Jimmy die ganze Welt, spielt sich ein Drama ab, welches auf eine Katastrophe zusteuert.

Der Roman wird dabei aus Jimmys Sicht erzählt, der mit seiner Mischung aus Intelligenz und an Naivität grenzender Gutgläubigkeit für seinen Freund eigene Grenzen überwindet, schließlich war der gezwungen gewesen, zu Fuß halb Europa zu durchqueren. Doch bekommen beide Protagonisten in der Geschichte ihre Momente.

Bis auf eine Nebenfigur bleiben die anderen vergleichsweise blass. Die Kinder sind sich die meiste Zeit selbst genug, haben ja auch niemand anderes, in der einen oder anderen Art und Weise und doch schimmern zwischen den Zeilen tausend Gegensätze. Gerade wegen dieser Kombination ist „Der ehrlicher Finder“ berührend lesenswert.

Jimmy bekam keinen Daumen, keinen Daumen, keinen Ball, keine Münze. Keiner dieser Leute schien wirklich zu wissen, wer er war. Oder vielleicht wussten sie es schon […].

Lize Spit: Der ehrliche Finder

In sich schlüssig ist die Handlung und die Beweggründe der Protagonisten sind nachvollziehbar, ohne das sich unlogische Sprünge auftun. Dies gilt sowohl für das Verhalten der beiden Jungen als auch in Sprache und Ausdruck, sowie Denken.

Genug Geschichten, von denen der dieser traurige Roman inspiriert sein könnte, gibt es ja zu Hauf. Und so ist zwischen schmalen Buchdeckeln eine große Erzählung mit wenigen Worten entstanden, deren Clou vor allem am Ende in einem halb offenen Ende zu finden ist, welches je nach Gemütslage oder Position der Lesenden mindestens drei Interpretationen zulässt.

Nicht nur diese Wirkung hat die Übersetzerin Helga van Beuningen wunderbar ins Deutsche übertragen und so diesen wichtigen und quer durch die Altersgruppen lesenswerten Text von Lize Spit hierzulande zugängig gemacht.

Autorin:

Lize Spit wurde 1988 geboren und ist eine flämisch-belgische Schriftstellerin. Sie studierte in Brüssel am Königlichen Institut für Theater, Kino und Ton und gewann 2013 den Write Now! Award. Neben Romanen, für die u. a. mit den Preis des niederländischen Buchhandels ausgezeichnet wurde, schreibt sie Drehbücher und Kurzgeschichten. Lize Spit wird in über 15 Sprachen übersetzt.

Interview des S. Fischer Verlags mit der Autorin: Hier klicken.

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Gail Jones: Ein Samstag in Sydney

Inhalt:

An einem strahlenden Sommertag kreuzen sich die Wege von vier Menschen am Hafen von Sydney, in der Nähe der berühmten Oper. Scharen von Touristen vermischen sich hier mit den Einwohnern der Stadt. Alle vier tragen an ihrer Geschichte: Ellie erinnert sich an ihre Liebe zu James als Vierzehnjährige in der kleinen Provinzstadt, in der sie aufwuchsen. James ist besessen von einer Tragödie, für die er sich verantwortlich glaubt. Catherine trauert um ihren Bruder Brendan, der vor einigen Jahren in Dublin starb. Und Pei Xing fährt jeden Samstag nach Sydney, um einer einstigen Lageraufseherin aus Pasternaks „Doktor Shiwago“ vorzulesen.

Gail Jones folgt diesen Figuren durch Sydney, auf ihren eigenen und doch verbundenen Wegen, eingehüllt in Erinnerungen, Schuld und Bedauern, während die Stadt um sie herumwirbelt. „Ein Samstag in Sydney“ ist ein tief berührender Roman über Liebe, Verlust und die Last der Vergangenheit. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:

Um so mehr sie den Blick versuchen, nach vorne zu richten, um so mehr holt die Figuren ihre Vergangenheit wieder ein. Im Hier und Jetzt der Vergangenheit verhaftet sind die Protagonisten in Gail Jones‘ Erzählung „Ein Samstag in Sydney“, in derer die Schicksale, Lebensgeschichten einander streifen, immer einen Schritt voran. Das Ziel im übertragenen Sinne indes, ist für alle nur schwer zu erreichen.

Im flirrenden Sydney, am Hotspot der Touristen entspinnt sich die Geschichte, erzählt abwechselnd aus der Sicht der Figuren, die unterschiedliche Schicksale zu tragen haben, unter derer Last sie in verschiedener Form in ihren Nachwirkungen zusammenbrechen drohen. Was hält uns aufrecht? Was lässt uns weitergehen, suchen? Gail Jones widmet sich diesen und anderen philosophischen Fragen und verwebt sie in ruhiger Tonalität in ihrer Erzählung.

Der Geschichte gibt dies zunächst ihren roten Faden, die Figuren bekommen so schnell Konturen. Alle haben sie Ecken und Kanten. Gail Jones spielt mit Ecken und Kanten, die nach und nach zum Vorschein treten. Spannend sind die Sichtweisen der einzelnen Figuren, die jede für sich einen Roman in diesem Umfang verdient hätten, so jedoch neigt man zum Springen, manchmal gar querlesen. Der Spannungsbogen wird über die gesamten Handlungsstränge flach gehalten. Die Tonalität trägt ihr übriges dazu bei.

Natürlich, der Handlungsort ist aus unserer Perspektive heraus wieder interessant. Australien vermag auf der anderen Seite der Erdkugel zu faszinieren, sowohl das futuristisch anmutende Opernhaus, welches die Skyline Sydneys bestimmt, als auch die Ursprünglichkeit der Provinz, des Herz von Australien. Die Autorin schafft es, hier Vorstellungswelten vor dem inneren Auge entstehen zu lassen, nur fügt sich beides nicht harmonisch zusammen.

Immer wieder wartet man auf Wendungen, einem anziehenden Tempo, doch plätschert der Roman förmlich unter der gleißenden Sonne Australiens dahin, dass es nicht einmal hilft, den hier zu lesen. Das Schicksal der Figuren berührt da leider viel zu wenig und verfängt nicht.

Hier hätte mehr Ausführlichkeit jedem Handlungsstrang, jeder Figur gut getan, die wir so nur streifen als würden wir selbst an ihnen vorbeigehen, vielleicht bemerken, dann jedoch im nächsten Moment schon vergessen. Da hilft es nicht mal, dass im realen Leben auch jeder von uns eine eigene Geschichte mit entsprechenden Höhen und Tiefen hat, vielleicht mit etwas hadert. Nur in den seltensten Fällen machen wir dies uns bewusst. Im Roman, wo dies an sich hätte gelingen sollen, denn das Grundprinzip ist durchaus interessant, funktioniert das hier jedoch auch nicht wirklich. Schade.

Autorin:
Gail Jones wurde 1955 geboren und ist eine australische Schriftstellerin. Zunächst studierte sie an der University of Western Australia in Perth, bevor sie 1992 begann, Romane und Erzählungen zu veröffentlichen. Diese wurden in zahlreichen Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. 2014 wurde sie durch das Berliner Künstlerprogramm des DAAD als Gast nach Deutschland eingeladen. In Australien lehrt sie Kreatives Schreiben.

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Jan Krauß/Alexander Pavlenko: Faust – Eine Graphic Novel

Inhalt:

Alle Welt kennt Faust, der mit Mephisto einen teuflichen Pakt schließt. Eine Tragödie – so spannend wie ein Thriller. Viele Zitate sind Teil unserer Umgangssprache geworden. Die Graphic Novel FAUST erschließt Goethes zentrales und exemplarisches Meisterwerk mit meisterlich gezeichneten Szenen wie aus einem kühnen Historienfilm sowie sprachlich modernisiert auch heutigen Generationen. Sinnfällig visualisiert, wirbelt der Leser durch verschiedene Sphären, Milieus und Zeiten im Himmel wie auf Erden, trifft auf Menschen, Lehren, Götter, Geister, Hexen und Magie. (Klappentext)

Rezension:

Im Unterricht oft genug zu Tode analysiert, bleibt von der ursprünglichen Magie so viel wie wenig, zuweilen gar nichts übrig, um so wichtiger ist die Übertragung von Klassikern in die Moderne, um Stoffe wie Goethes „Faust“ auch in heutiger Zeit zugänglich zu machen. Mit diesem hat es der Zeichner Alexander Pavlenko versucht, in Zusammenarbeit mit Jan Krauß, der den Text behutsam in eine moderne Form übertragen hat. Entstanden ist eine zuweilen der Geschichte bedingt düstere, aber lesenswerte Graphic Novel, die den Geist der Vorlage wunderbar transportiert.

Über den Inhalt gibt es nicht mehr viel zu sagen. Auch hier sind es zwei Gegensätze, die verhandelt werden und Protagonisten mit mehr als den bloßen Ecken und Kanten, die miteinander und gegeneinander ringen, dabei die Grenzen des Möglichen austesten und erweitern. Sehen wir uns zuerst den Text an, sind sämtliche Dialoge und Aussprüche in die Moderne übertragen wurden, jedoch so vorsichtig, dass es nicht unangenehm auffällt, sondern im Gegenteil man hineingesogen wird in die Handlung, die all das Trockene verliert, was mitunter das klassische Drama für uns heutige Lesenden hat.

Der Kunstform Graphic Novel bedingt, fällt natürlich das bekannte Versmaß weg. Der Texter hat sich hier um eine geeignete Form bemüht, die funktioneirt, vielleicht auch verständlicher wirkt, ohne die Ebenen der Interpretationsspielräume, die uns Goethe nach Lehrmeinung hinterlassen hat, zu verlieren. Die kann man mitlesen, muss dies jedoch nicht, so dass ich geneigt bin, den Klappentext des Verlags zuzustimmen. Ja, diese Form funktioniert tatsächlich wie ein moderner Krimi. Handlungsstränge wurden entwirrt, Tempo durch Konzentration aufs Wesentliche hinein gebracht.

Träger sind hier die Zeichnungen aus der Feder von Alexander Pavlenko, der hier abgesehen von ebenso für andere Werke des Verlags gestalteten Covern im Scherenschnittstil hier sein ganzes Können zeigen darf. Düster sind die einzelnen Panels gehalten, welches die Grundstimmung, zuweilen die Unruhe und Getriebenheit der Hauptfigur unterstreicht, welche sich vom oft schwarz gehaltenen Hintergrund abhebt. Wichtiges wird durch Detailreichtum hervorgehoben, während anderes manchmal fast nur schematisch gehalten wird. Pavlenko hat hier mit schnellen Strich und beschränkter Farbpalette gearbeitet. Es braucht nicht viel, um zu beeindrucken. Hier ist weniger mehr und das funktioniert gut.

Die Handlung orientiert sich an der Vorlage, während der Spagat, diese in die Morderne zu übertragen in diesem Zusammenspiel gelingt, ohne die Idee zu verraten oder gar, auch schon gesehen, ins Satirische abzugleiten. Auch wenn es ein wenig Wunschdenken ist, würde man diese Version, vielleicht nicht stattdessen aber parallel im Schulischen behandeln, kann ich mir durchaus vorstellen, dass Goethes Drama auch heute noch zugänglich ist. Ohne Interpretationshilfen bedienen zu müssen oder einen Text so sehr auseinander zu nehmen, bis dieser nicht mehr lebt. Pavlenko und Krauß erreichen mit ihrer Version genau das Gegenteil.

Autoren:

Alexander Pavlenko wurde 1963 in Ryazan geboren und studierte zunächst Trickfilmkunst, bevor er für verschiedene Filmstudios in Moskau arbeitete. Seit 1992 lebt er in Deutschland und illustrierte Comics, Science-Fiction und Abenteuerromane, die in verschiedenen Ländern veröffentlicht wurden. Seine Zeichnungen waren zudem Stücke verschiedener Ausstellungen.

Jan Krauß studierte Politologie, Romanistik und Philosophie und veröffentlichte mehrere Werke, wie z. B. das Kinderbuch „Thors Hammer“. Er lebt in Frankfurt/Main.

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Joachim B. Schmidt: Tell

Inhalt:
Joachim B. Schmidt greift nach den Schweizer Kronjuwelen und macht aus der Tell-Saga einen Pageturner, einen Thriller, ein Ereignis: Beinahe 100 schnelle Sequenzen und 20 verschiedene Protagonisten jagen wie auf einer Lunte dem explosiven Showdown entgegen. Keine Nach-, keine Neuerzählung, sondern ein Blockbuster in Buchform: The Revenant in den Alpen, Game of Thrones in Altdorf. (Klappentext)

Rezension:

Die im 14. Jahrhundert spielende Sage (1307) um den Schweizer Freiheitskämpfer wurde mit der ersten schriftlichen Erwähnung in Hans Schribers Weissen Buch von Sarnen 1472, spätestens jedoch mit der Aufnahme und Dramatisierung durch Friedrich Schiller zum Selbstläufer und zum Identifikationsmythos des Alpenlandes.

Fehlerkorrektur:

In der ersten Version ist leider ein Fehler überlaufen, den ich hiermit korrigiere. Gestützt bei den Zahlenangaben dienen die zugehörigen Wikipedia-Artikel zu Wilhelm Tell und dem Weissen Buch von Sarnen.

Die ersten Quellen, in denen die Erzählung belegt ist, datieren auf die Zeit um 1470. Danach scheint sich die Tell-Sage dann sehr rasch zu verbreiten und ist spätestens um 1510 allgemein volkstümlich.

Erstmals taucht Tell im Weissen Buch von Sarnen als «Thäll» (Varianten «Thall», «Tall») auf,[2] niedergeschrieben um 1472 vom Obwaldner Landschreiber Hans Schriber.[3]

[Einklappen]

Der Protagonist, der nach verweigerter Respektbezeugung gegenüber dem herrschenden Landvogt, seinen Sohn einen Apfel vom Kopf schießen muss, später seinen Gegenspieler zur Strecke bringt und damit zur Initialzündung eines Aufstandes beiträgt, der schließlich in die Unabhängigkeit führt, ist seither nicht nur Schulstoff, auch Vorlage für zahlreiche Theaterstücke und Verfilmungen.

Jetzt liegt eine neue, modernisierte Fassung vor. Der schweizerisch-isländische Schriftsteller Joachim B. Schmidt hat Schillers Drama in Romanform umgewandelt. Doch, darf man das? Und, ist dies überhaupt gelungen?

Zunächst, auch der Roman besticht mit einem Perspektivenwechsel in rascher Abfolge, ebenso mit unzähligen Protagonisten, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird. Das bringt von Beginn an Tempo in die verschiedenen Handlungsstränge, schafft Sympathien und Antipathien, auch Figuren, die im klassischen Drama unnahbar sind, werden so greifbar.

Joachim B. Schmidt reiht die Sichtweisen der einzelnen Figuren so aneinander, dass sich schnell ein komplexes Bild ergibt, man jedoch konzentriert lesen sollte, um darüber den Überblick zu behalten. Vielleicht wäre hier sogar das Vorhandensein einer Figurenauflistung von Vorteil gewesen, zumal für jene, bei denen die letzte Beschäftigung mit der eigentlichen Vorlage schon länger zurückliegt.

Ansonsten ist es dem Autoren gelungen, das Drama in die Moderne zu transferieren, wenn auch nur mit dem Schreibstil. Handlungsorte und Zeit bleiben unverändert. Der Text wirkt sehr dynamisch.

Es funktioniert insgesamt gut. Ein Gefühl trögen Schulstoffs kommt gar nicht erst auf, so dass man dieses Experiment als gelungen betrachten kann. Das Ergebnis rechtfertigt sich selbst. Joachim B. Schmidt zeigt hier, dass er nicht nur isländisches Lebensgefühl auf Papier transferieren, sondern auch Legenden unheimlich spannend nahe bringen kann. Das letzte Kapitel hätte es dabei nicht einmal gebraucht. Dies jedoch ist Geschmackssache.

Autor:

Joachim B. Schmidt ist ein Schweizer Journalist und Schriftsteller, der zunächst eine Ausbildung zum diplomierten Hochbauzeichner absolvierte. Mit einer Kurzgeschichte gewann er einen Schreibwettbewerb und veröffentlichte erstmals 2013 seinen ersten Roman. Als Journalist und Touristenquide arbeitet er in Reykjavik, Island, wohin er 2007 ausgewandert ist. Sein Roman „Kalmann“ erschien 2020 bei Diogenes.

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Bücher gegen das Vergessen #04

Bücher gegen das Vergessen sollen uns geschichtliche Ereignisse vor Augen führen, für die wir nicht unbedingt die Verantwortung tragen, aber dennoch verantwortlich sind, sie nicht zu vergessen. Abseits von Rezensionen soll hier eine Auswahl vorgestellt werden.

Takis Würger: Stella

Das Literatur heute noch großflächig wirken kann, zeigt sich immer dann, wenn wieder einmal ein Werk erscheint, welches die Emotionen kochen lässt. Nichts anderes passierte, als der Hanser Verlag den vorliegenden Roman von Takis Würger veröffentlichte. Man hätte meinen können, ein Beben wäre durch die Landschaft der gedruckten Wörter gegangen. Viele reißerische Artikel und Beiträge sind erschienen, ob der fiktionalen Verarbeitung eines grausamen historischen Geschehens.

Grundlage von „Stella“ ist die Geschichte von Stella Goldschlag, die im Berlin des Nationalsozialismus durch die Gestapo gezwungen wurde, als Jüdin andere Juden aufzuspüren und sie zu verraten. Um ihre Eltern zu retten, schließlich auch, um sich selbst am Leben zu erhalten und weil sie keinen Ausweg mehr aus diesem Teufelskreis sah. Über hundert Menschen soll die echte Stella, deren Ruf als „blondes Gift“ unter den sich versteckenden Juden Berlins bald die Runde machte, so verraten haben. Traurig und erschreckend zugleich.

Takis Würger „Stella“
Hanser Verlag,
221 Seiten, Hardcover,
ISBN: 978-3-446-25993-5

Was nun diesen Roman so besonders macht, ist die fiktionale Verarbeitung des schon für sich unglaublichen Stoffes, in Verbindung mit einer Liebesgeschichte. Darf man das? Die historische Wahrheit so verändern, dass man teilweise Sympathie für jemanden empfindet, der so viele Leben auf dem Gewissen hat, dass einem die Galle hochkommen müsste?

Ich war skeptisch.

Zuerst hatte ich das Buch von Peter Wyden, Sachbuch wohlgemerkt, gelesen, welches in den 1990er Jahren erschien und dann lange Zeit vergriffen war. Selbst die englische Ausgabe konnte man teilweise nur zu Mondpreisen erwerben, doch kaum hatte Takis Würger vorgelegt, stieg auch das Interesse an der Hintergrundgeschichte, so wurde das Buch im Steidl Verlag neu aufgelegt.

Abgesehen davon, dass der Verlag die Chance hat verstreichen lassen, das Sachbuch des mittlerweile verstorbenen Autoren auf der Leipziger Buchmesse parallel zu Würgers Roman vorzustellen, war dies ein erschreckend erzähltes Stück Geschichte mit der Frage, wie weit würde man gehen, wenn man seine liebsten Vertrauten und sich selbst am Leben erhalten möchte? Was tun, wenn die Grenze einmal überschritten ist?

Ich war in diese Stadt gekommen, weil ich dachte, es sei wichtig, dass ich die Gerüchte von der Wahrheit trenne, und jetzt floh ich vor ihr.

Der Hauptprotagonist in Takis Würgers Roman „Stella“.

Peter Wyden, einst Mitschüler Stellas, interviewte sie Jahre nach dem Krieg. Immer wieder ging er der Frage nach, wie passieren konnte, was nicht hätte passieren dürfen. Warum lieferte Stella so viele Juden an die Gestapo aus, selbst als die Gründe dafür wegfielen? Oder, fielen sie je ganz weg?

Peter Wyden „Stella Goldschlag – Eine wahre Geschichte“
Link zur Rezension.

Nun also, Takis Würger, der daraus einen Roman gemacht hatte und zurück zur Ausgangsfrage. Darf man das?

Inzwischen bin ich der Meinung, ja. Man darf, zumindest in dieser Form. Der Autor hat seine Geschichte um tatsächliches Geschehen gewebt. Auszüge der Prozessakten, Aussagen der Opfer von Stella Goldschlags Verrat, durchbrechen und ergänzen sichtbar die fiktionale Handlung. Wahres Geschehen gut unterscheidbar, eingewoben und auch eingeordnet. Takis Würger war so klug, ein Personenregister hintenan zu stellen, um einzuordnen, was mit den Vorbildern der Protagonisten tatsächlich geschehen ist. Auch eine Quellenangabe seiner Recherchen fehlt hier nicht.

Alle Aufregung umsonst oder vielleicht auch nicht. Das muss ein Leser für sich selbst entscheiden. Ich muss für mich ein ganzes Stück Kritik zurücknehmen, sage aber auch, dass man sich wirklich auch mit der Hintergrundgeschichte, der echten Stella Goldschlag beschäftigen sollte, wenn man sich den Roman zu Gemüte führt. Vieles wird man wiedererkennen. Vieles wird nachvollziehbarer.

Und, einiges regt zum Nachdenken an.

Inhaltsangabe des Romans

Ein junger Mann kommt 1942 nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er eine Frau. Die beiden werden ein Paar. Eines Morgens klopft sie an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht, und sagt: „Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt.“ (Klappentext)

Über den Autor von „Stella“

Takis Würger wurde 1985 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach der Schule arbeitete er als Helfer in einem Entwicklungshilfeprojekt in Peru, bevor er Volontär bei der Münchener Abendzeitung wurde und die Henri-Nannen-Schule besuchte.

Als Redakteur arbeitete er bei der Zeitschrift Der Spiegel und berichtete u.a. aus Afghanistan und der Ukraine. 2017 wurde sein erster Roman veröffentlicht. Für seine Arbeit wurde Würger mehrfach ausgezeichnet.

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Volker Surmann: Mami, warum sind hier nur Männer?

Mami, warum sind hier nur Männer? Book Cover
Mami, warum sind hier nur Männer? Volker Surmann Goldmann Verlag Erschienen am: 14.09.2015 Seiten: 288 ISBN: 978-3-44248-207-8

Inhalt:

Verkehrte Welt im Gay-Resort auf Sardinien: Hotelier Helmer Klotz, selbst schwul, verachtet seine homosexuelle Klientel aus tiefstem Herzen. Dann gewährt er in einer Notsituation Ilka, einer frisch verlassenen Mutter mit ihren zwei Kindern, Unterkunft.

Damit treffen zwei Welten aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein können. Denn auf eine Konfrontation mit so viel Heterosexualität sind Helmers Hotelgäste nicht vorbereitet, die aufgeweckte Kleinfamilie stiftet ordentlich Unruhe und Chaos.

Und doch sind es am Ende ausgerechnet die von der Liebe enttäuschte Heterofrau und ihre Kinder, die dem bärbeißigen Hotelchef vor Augen führen, dass es unter Homosexuellen durchaus auch liebenswerte Exemplare gibt. (Verlagstext)

Rezension:

Alleine die Anwesenheit der völlig aufgelösten Mutter mit ihren zwei kleinen Kindern bringt Helmer Klotz‘ Welt ins Wanken. Der ist der eigensinnige und mürrische Betreiber eines Gay-Resorts auf Sardinien und auf solcherlei Gäste nicht vorbereitet.

Genau so, wie der Rest des Personals und natürlich der Gäste, darunter eines Transvestiten und später eines schwulen Männer-Chores. Doch, Ilka braucht für sich und ihre Sprösslinge eine Unterkunft.

Gerade hatte sie ihren Mann mit einer anderen Frau erwischt, der Familien-Urlaub ist gelaufen, das Auto kaputt, die Nerven am Ende.

Zwei völlig verschiedene Sichtweisen auf den Alltag, Gleichberechtigung, Emanzipation und Geschlechterrollen treffen aufeinander. Die Kinder sind da noch am freiesten von Vorurteilen. Thea, 11 Jahre alt, die noch Kind ist aber keines mehr sein will, Felix, 6 Jahre alt, Lieblingsfarbe Rosa.

Diese müssen nicht nur die bevorstehende Trennung ihrer Eltern verdauen sondern auch eine völlig andere Sicht auf die Welt, genau so wie Ilka, ihre Mutter, selbst, die sich aber schnell mit den Gegebenheiten arrangiert.

Schneller, als die anderen Gäste. Doch, auch die tauen bald auf. Und so spinnt sich eine witzige Geschichte um Toleranz und Vorurteilen, Anerkennung und Loyalität, Respekt und Gleichberechtigung, doch die dunklen Wolken des Abschieds wirken bedrohlich. Als dann noch Dennis, Ilkas betrüerischer Ex-Mann, auftaucht, scheint die Katastrophe da.

Volker Surmann reiht in seinem Roman „Mama, warum sind hier nur Männer“ Klischee für Klischee aneinander.

Das ist gewollt und hätte in eine literarische Katastrophe führen können, doch eine gewisse Portion Humor, großflächig über die Seiten verteilt, machen die Geschichte nicht nur erträglich sondern zu einem guten Stück Unterhaltung, die es in sich hat.

Schließlich kann man auf einer weiteren Ebene Gedankenspiele zu Fragen von Moral und Gesellschaft entdecken, über die es sich lohnt nachzudenken. Alleine dafür, lohnt es sich, den Roman zu lesen.

Der flüssige Schreibstil, die Ich-Erzählung aus unterschiedlichsten Perspektiven und die kurzen Kapitel lassen die Seiten nur so daher fliegen. Die Roman-Handlung ist schnell erzählt und vorhersehbar. Stört hier jedoch nicht.

Tatsächlich macht es sogar Spaß, Ilka, die Kinder und die Gedankengänge von Hotelgästen und -personal zu verfolgen. Um den Kopf frei zu kriegen, ein wunderbarer Roman, um Gedanken in die eine oder andere Richtung zu schupsen, sowie so. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Autor:

Volker Surmann wurde 1972 in Halle/Westfalen geboren und ist ein deutscher Comedian, Kabarettist, Autor, Verleger und Sprachwissenschaftler. Bereits im Alter von 16 Jahren veröffentlichte er satirische Texte beim WDR.

Zu Schulzeiten gehörte er einer Kabarett-AG an und trat zusammen mit Kai Ostermann zwischen 1993 und 2001 mit mehreren abendfüllenden Programmen auf. 1999 schloss er ein Germanistik- und Philosophie-Studium ab und war bis zu seiner Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Bielefeld tätig.

Neben weiteren Auftritten in Kabarettprogrammen, schließlich auch im Fernsehen, schrieb er satirische Texte, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde.

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