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Julia Finkernagel: Ostwärts (1)

Inhalt:

Wenn nicht jetzt, wann dann? Was passiert, wenn eine Managerin ihren Job an den Nagel hängt, den Rucksack schultert und bis in die hinterste Mongolei reist? In Rumänien wird sie fast von Peter Maffay überfahren, dafür genießt sie in Georgien Gastfreundschaft 2.0 (Promille). Sie gerät in die Fänge des russischen Geheimdienstes, isst Suppe auf Tadschikisch (ohne Löffel!) und versucht sich als kirgisische Schwiegertochter in der Sommerjurte. Ach ja – und dreht darüber mit ihrem Kameramann eine launige TV-Serie. Alles zum ersten Mal.

Ein wunderbar geistreiches wie humorvolles Buch über echte premieren, die ein oder andere Panne und das große Glück vom Unterwegs-Sein. (Klappentext)

Bücher der Reihe:

Julia Finkernagel: Ostwärts 1 – Ostwärts oder wie man mit den Händen Suppe isst, ohne sich nachher umziehen zu müssen

Julia Finkernagel: Ostwärts 2 – Immer wieder Ostwärts oder wie man in der Transsibirischen Eisenbahn duscht, ohne seekrank zu werden

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Rezension:

Bei Filmen bin ich immer vorsichtig, wenn der Trailer die Höhepunkte vorwegzunehmen scheint, bei Büchern geht es mir mit Klappentexten ebenso, wobei da die Wahrscheinlichkeit irgendwie höher zu sein scheint, dass sich die beschriebene Geschichte vollkommen anders entwickelt. Diese Inhaltsangabe klang witzig und genau nach dem, was heute im Internet zahlreich angeklickt wird. Spontane Reiseerlebnisse für den Moment festgehalten, nur eben in Buchform. Und es funktioniert.

Julia Finkernagel hat eigentlich als Managerin am Frankfurter Flughafen gearbeitet, bevor sie sich ein Sabbatjahr nahm und seit dem für den MDR in die verschiedensten Winkel der Erde reist. Mit Kamera- und Tonmann gilt es, die Geschichten der Menschen zu ergründen, die dort leben und die Zuschauer zu Hause in fremde Welten zu entführen. Alltag mal anders und immer darauf bedacht, spontane Ereignisse mitzunehmen. Keine Reisereportage im klassischen Sinn. So entpuppte sich “Ostwärts” zu einem der erfolgreicheren Formate des MDR.

Doch, wie waren die Anfänge und wie lernte Julia Finkernagel, wie Fernsehen funktioniert? Dies und natürlich ihre kuriosen Erlebnisse in den Ländern, die sie als erstes bereiste, beschreibt sie mit humorvollen Blick in ihrem Buch “Ostwärts oder wie man lernt, mit den Händen Suppe zu essen, ohne sich nachher umziehen zu müssen” und reiht Kuriositäten, Erlebnisse und Menschen so aneinander, dass man das Gefühl hat, die Autorin auf der Reise zu begleiten, zudem Erlebnisse zu erfahren, die es nie schafften, gesendet zu werden.

Nichts ist statisch oder faktenlastisch, als Reiseführer ist das Buch nicht zu gebrauchen, eher als Erfahrungsbericht, den man trotzdem einiges für sich mitnehmen kann. “Krieg und Frieden” taugt zum Beispiel nicht nur als Lektüre, sondern auch (Bücherfreunde festhalten!) als Toilettenpapier, wenn man nichts anderes hat und wenn man Hunger hat, ist man Plov.

Schriftstellerisch ist der Reisebericht, der in kurzweiligen und übersichtlichen Kapiteln über Polen, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, bis nach Georgien, Russland, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan und in die mongolische Steppe wird, zwar kein großer Wurf, aber um so amüsanter und nachdrücklicher zu lesen. Reisen erweitert schließlich den horizont und warum nicht einmal ein eher etwas ungewöhnliches Ziel in seine To-do-Liste aufnehmen?

Wie funktioniwert Fernsehen und wie leben die Menschen fernab touristischer Standardrouten in dennoch reiseinteressanten Ländern? Wie viel Promille muss man bekommen, um eine georgische Tischrunde zu überstehen und warum wechselt der Tee in Tadschikistan mehrfach das Gefäß, bevor er getrunken wird? Dies alles und noch viel mehr, mit Appetit auf bulgarischen Schopska-salat und, na ja, eben Plov im Reisebericht der etwas anderen Art, auch wenn man wissen möchte, wie man in der weiten Steppe Pipi macht, ohne gesehen zu werden. Na dann, gute Reise.

Autorin:

Julia Finkernagel ist eine deutsche Moderatorin, Drehbuchautorin, Redakteurin und Drehbuchautorin. Nach der Schule studierte sie zunächst Kommunikationsdesign und arbeitete am Frankfurter Flughafen im Bereich der Planung des flugbetriebes. 2007 nahm sie sich ein Sabbatjahr und bereiste die Welt.

Auf die Berichte, die sie zunächst per E-Mail versendete, wurde der MDR aufmerksam, so begann die Geschichte der Dokumentationsreihe “Ostwärts – mit den Rucksack der Sonne entgegen”, die bis 2014 gesendet wurde. Seit dem arbeitet sie zudem als producerin für verschiedene Fernsehformate und wurde 2011 zudem für ein Qualifizierungsprogramm für Filmschaffende ausgewählt. 2016 war Finkernagel Mitglied der Jury der Biberacher Filmfestspiele. Dies ist ihr erstes Buch.

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Autoren-Interview auf der Leipziger Buchmesse 2018: Mr. History Guido Knopp

NH: Geschichte im Fernsehen. Die Präsentation von Themen ist abängig von verschiedenen Faktoren, etwa der Quote. Vielleicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht ganz so entscheidend, aber unterlag Ihre Arbeit jemals diesem Einfluss oder waren Sie frei und unabhängig zu entscheiden, welche Themen Sie wie bearbeiten?

GK: Zum einen war ich in meinen Entscheidungen wegen des Programmes wirklich völlig frei. Keiner hat mir reingeredet. Kein politischer Druck, kein Druck von Außen, dafür war ich sehr dankbar. Was nun die Rücksicht auf die Quoten betrifft, so ist es natürlich wenn man einen Programmzeitpunkt erhalten hat, der um 20:15 Uhr liegt, also die beste Zeit im Hauptprogramm, eigentlich selbstverständlich, dass man schaut, dass man möglichst viele Zuschauer bekommt.

Nicht nur die jenigen, die eh schon alles wissen oder zu wissen glauben, sondern auch die jenigen, die durch die Art der Filme für etwas interessieren kann. Und wenn diese Art so ist, dass sie nicht nur Insider abholt, sondern auch z.B. den Arbeiter, der abends müde von der Werkbank kommt und eigentlich Unterhaltung sehen will, aber von der Art des Gebotenen, die Spannung, die Emotion, so gefesselt wird, dass er dran bleibt, hat der Autor des Filmes die Chance Informationen zu liefern.

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Guido Knopp über "Meine Geschichte".

NH: Sie haben das gemacht, in dem Sie teilweise neue Stilmittel für Dokumentationen verwendet haben, die es so vorher zumindest hierzulande nicht gab und wurden dafür des Öfteren auch kritisiert.

GK: Die Stilmittel, die ich verwendet habe, waren einerseits bekannte, die ich nur perfektioniert hatte. Historisches Material ist das Eine bei historischen Dokumentationen, Zeitzeugen sind das Andere. Ich habe sie nur anders dargeboten. Perfekter geschnitten, perfekter kommentiert. Was neu war, was wir als erste gemacht haben, dass wir Spielszenen in Dokumentationen integriert haben, sogenannte. Reenactments.

Da wurden wir am Anfang von den Althergebrachten, die gewohnt waren, dass Dokumentationen dies nicht machen dürfen, natürlich dann und wann kritisiert. Das hat sich aber durchgesetzt. Wir waren die Pioniere und haben das weltweit verbreitet. Unsere Filme wurden weltweit vertrieben und verkauft. Heute ist das ein Stilmittel, was überall angewandt wird und das auch anerkannt ist.

Wenn Sie Sachverhalte haben, zu denen Sie keine Bilder besitzen, die aber bekannt sind, dann ist es völlig legitim, wenn Sie das sehr gut inszenieren und die dokumentarischen mit den Spielsequenzen ergänzen. Das ist eine Fortführung der Dokumentation.

NH: Ein anderer Kritikpunkt waren die anzahlmäßig vielen Dokumentationen zum “Dritten Reich”, aber es gab ja auch andere Themen, wozu etwas gemacht wurde. Gab es irgendeinen Plan, ein Schema, welche Themen aufgearbeitet werden sollten?

GK: Ich hatte die Zuständigkeit in meinem Sender für das gesamte 20. Jahrhundert. Und wenn man das hat, darf man keinen Bogen um das sogenannte “Dritte Reich” machen. Es war natürlich, vor allem in den Jahren zwischen 1995 und 2005 ein Schwerpunkt, nicht der einzige Schwerpunkt.

Und ich habe mir gesagt: Wenn ich das Thema behandle, will ich es systematisch angehen. Ich habe angefangen mit einer Serie über den Tyrannen an der Spitze “Hitler – Eine Bilanz”, wie in der Form einer Pyramide. Dann die zweite Stufe der Pyramide “Hitlers Helfer”, “Hitlers Generäle” und am Ende die Basis der Pyramide, die Phänomene der Tyrannei.

Hitler - Eine Bilanz von Guido Knopp
Hitler – Eine Bilanz von Guido Knopp
Autor: Guido Knopp
Titel: Hitler - Eine Bilanz
Seiten: 320
ISBN: 978-3-442-15352-7
Verlag: Goldmann

Das sind zunächst die Hitlerjugend, die SS, der Holokaust, das sind Flucht und Vertreibung und der Bombenkrieg als Phänomene der Zeit. Das war die Phase zwischen 1995 und 2005. Danach war das für uns zwar noch nicht auserzählt, aber die Systematik war in diesem 10-Jahres-Rythmus schon ganz bewusst gewollt. All die anderen Themen kamen immer wieder dazu.

Bei den Monarchien war es so, dass ich gesagt habe: Wir brauchen für den Sommer in unserem Programm ein leichteres Thema und da bot sich das Thema -Monarchie- an, was ja nicht nur ein Bunte-Blätter-Thema ist.

Man hat dort auch eine historische Relevanz, denn all diese Königshäuser leben ja nur, weil sie ihre Untertanen, ihre Bevölkerung, mitnehmen und das Gefühl geben, dass die Geschichte diese royalen Themen und Traditionen in das Volk hineinträgt und das Volk dadurch Identität gewinnt.

NH: Sie haben dadurch natürlich viele Zeitzeugen befragt, nehmen wir z.B. Für die Reihe “100 Jahre – Der Countdown”, bei der ich mich immer noch ärger, dass sie nicht vollständig auf DVD vorliegt (so im Nebensatz gesprochen)…

GK: Darf ich erzählen, woran das liegt?

NH: Ja, bitte.

GK: Dass liegt daran, dass wir 75 Prozent der Sendung mit einer Produktionsfirma produziert haben. 25 Prozent sind Eigenproduktionen und der Produzent hatte das Recht, die Produktionen, die er gemacht hat, auf DVD zu vertreiben, aber die 25 Prozent, die wir selber hergestellt haben, eben nicht. Ich gebe Ihnen den Rat: Wenn diese Sendung demnächst wieder bei Phoenix läuft, die gesamten 20 Stunden aufzunehmen.

Inzwischen legendär. 
Die 1000 minütige Dokumentation "100 Jahre - Der Countdown"

NH: Ich hatte einen Geschichtslehrer, der diese Dokumentation verwendet hat, um uns Schüler dafür zu begeistern. Woher kommt Ihre Begeisterung für Geschichte.

GK: Das höre ich vielfach. Das ist eine Sache, die schon lange in meiner Jugendzeit zurückliegt. Ich hatte eine Familie, die natürlich von der Geschichte berührt war, wie so viele deutsche Familien. Väterlicherseits kommt meine Familie aus Oberschlesien, von Flucht und Vertreibung betroffen. Das war ein Thema, wenn man als Kind die Großeltern besuchte.

Ich hatte aber auch einen exzellenten Geschichtslehrer, der schon in den 60er Jahren etwas getan hat, was andere auch hätten tun können, aber nicht getan haben. Er benutzte die Medien der damaligen Zeit, als da waren Tonbänder, Schallplatten und Filme, die man von den Landesfilmbildstellen ausleihen konnte. Das hat er alles im Unterricht eingesetzt.

Meine Geschichte von Guido Knopp
Meine Geschichte von Guido Knopp
Autor: Guido Knopp
Titel: Meine Geschichte
Seiten: 320
ISBN: 978-3-570-10321-0
Verlag: C.Bertelsmann
Rezension: hier klicken

Und das war natürlich eine spannende bildkräftige Geschichte. Wir haben uns auf diesen Unterricht immer extrem gefreut. Das hat meinen latenten Wunsch, dieses Fach später selber mal zu studieren, sehr beflügelt. Ich habe dann auch Geschichte und Politik studiert.

NH: Später haben Sie dann für die Dokumentationen Zeitzeugen befragt, normale Menschen aber auch prominente. Gab es da besonders beeindruckende Begegnungen?

GK: Das kann ich gar nicht sagen. Es waren oft ganz einfache Menschen, die von Wendepunkten ihres Lebens erzählten, die erzählt haben, wie Geschichte in sie eingegriffen hat, Erlebnisse im Holokaust, von Flucht und Vertreibung. Das waren sehr beeindruckende Begegnungen, gerade wenn es um Kinderschicksale ging.

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Die Befragung von Zeitzeugen mündete u.a. in den Projekt "Gedächtnis der Nation". Im Zeitzeugen-Portal werden die Berichte von Zeitzeugen, berühmt oder nicht, gesammelt. Zeitzeugen-Portal.de - Gedächtnis der Nation.

Wenn ich jetzt an prominente Zeitzeugen denke, dann war es immer sehr eindrucksvoll etwa mit Simon Wiesenthal zu sprechen. Ich habe mit ihm acht Stunden aufgenommen. Ich habe mit Hans-Dietrich Genscher neun Stunden aufgenommen, über die Facetten seines Lebens. Davon wurde eine Stunde gesendet. Die gesamten neun Stunden lagern noch, sorgfältig archiviert, in unserem Filmarchiv. Und ich habe auch sehr oft mit Helmut Kohl gesprochen, über die Hintergründe der Wiedervereinigung.

Das war sehr interessant, weil er sehr offen über die Frage gesprochen hat, dass wir letzten Endes doch ziemliches Glück gehabt haben, denn dieser Prozess war zeitweise sehr gefährdet. Es gab schon im Sommer 1990 einen sehr ernsthaften Putschplan gegen Gorbatschow. Die selben Leute, die dann 1991 diesen tatsächlich durchgezogen haben, den Jelzin dann niedergeschlagen hat.

Die wollten Gorbatschow von der Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte in die DDR einladen, um ihn dort zu verhaften, um einen Marshall der Sowjetunion an seine Stelle zu setzen. Im letzten Augenblick ist der Marshall, der dafür vorgesehen war, Sergei Achromejew, abgesprungen, da er kalte Füße bekommen hat. Wenn der Putsch tatsächlich Erfolg gehabt hätte, hätten wir die Wiedervereinigung vergessen können und deshalb sagt Helmut Kohl, nicht zuletzt wegen solcher Dinge haben wir enorm viel Glück gehabt.

NH: Für Ihre Arbeit mussten sie teilweise sehr ungewöhnliche Wege gehen. In dem Buch ist eine Episode erwähnt, wo Sie Staubsauger in den Kreml transferieren mussten.

GK: Das war die Frage, ob wir im Kreml eine Diskussion aufzeichnen durften. Es war die Situation der späten 80er Jahre, als wir im ZDF mit dem sowjetischen Fernsehen sehr viel gemeinsam produziert haben. Das war eine besondere Zeit der deutsch-russischen Beziehungen, die später leider versandet ist. Eine dieser Diskussionen wollte ich im legendären Katharinensaal des Kreml aufzeichnen, wo der Vertrag Brandt-Breschnew 20 Jahre vorher unterzeichnet worden war.

Und das wollte man zuerst nicht, denn der Katharinensaal ist heilig, und wir haben lange verhandelt. Die Verhandlungen waren zäh, und irgendwann flog ein Engel durch den Raum. Wir haben eher durch Zufall die Russen gefragt, sagt mal Leute, können wir euch irgendwie behilflich sein? Braucht ihr irgendetwas? Dazu muss man wissen, dass es in der Sowjetunion damals eine regelrechte Wirtschaftskrise gab.

Sie überlegten einen Moment, schauten sich an, schauten uns an. Dann sagten sie, wenn Sie uns so fragen, wir bräuchten Staubsauger. Gesagt, getan. Wir haben eine Luftbrücke gebildet, von Frankfurt nach Moskau, und haben 20 nagelneue Staubsauger der Marke Kärcher, der Name sei genannt, in den Kreml transferiert. Die Diskussion fand statt. Man sieht, was Staubsauger positiv für die deutsch-russischen Beziehungen leisten können.

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Guido Knopp: "Wir haben 20 Staubsauger in den Kreml transferiert."

NH: In Anbetracht der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen, in der Politik, stellt man sich die Frage, ob man wieder mehr Geschichte im Fernsehen braucht. Ist dem so?

GK: Wenn Sie einen Historiker fragen: Natürlich brauchen wir mehr Geschichte im Fernsehen. Alle sollten über Geschichte etwas wissen. Nicht nur über die Geschichte des sogenannte “Dritten Reiches”, aber vor allem auch, denn man wird ja doch außerhalb der Landesgrenzen immer wieder gelegentlich konfrontiert. Wie hältst du es denn damit? Wie stehst du denn dazu?

Das muss jeder eigentlich wissen. Ich sage: Es gab 1933 keine Einbahnstraße in den Nationalsozialismus. Vieles war so angelegt, dass es dazu kommen konnte, aber es hat nicht zwangsläufig dazu kommen müssen. Es hätte durchaus anders kommen können, wenn die Handelnden, die Verantwortungsträger von Weimar, anders gehandelt hätten. Die Möglichkeiten hätten sie gehabt. Wenn es aber dazu gekommen und die Tyrannei schon angelaufen ist, wenn man sich dann dazu bequemt und abnickt, einem Ermächtigungsgesetz zustimmt, dann ist es schon zu spät.

Die Lehre heißt: Wehret den Anfängen. In der Nachschau muss man sagen, und das hat mir Simon Wiesenthal gesagt, Schuld ist nie kollektiv, für nachfolgende Generationen nicht. Schuld ist immer individuell, aber Verantwortung ist es. Und daher haben wir als nachfolgende Generationen dafür zu sorgen, dass so etwas zumindest in unserem Lande nie wieder passiert.

NH: Die Dokumentationen wurden ja nicht nur hier gerne gesehen, auch im Ausland. Wie waren da die Reaktionen?

GK: Sehr positiv, und auch mit Genugtuung, dass endlich einmal Filme über das sogenannte “Dritte Reich” aus Deutschland kamen. Als wir anfingen, hatte die BBC global betrachtet fast schon ein Alleinvertretungsrecht für dokumentarische Darstellung von Geschichte, nicht zuletzt deutscher. Wir fanden, dass das gar nicht geht.

Wir sind selbst verantwortlich für die Darstellung von Geschichte und müssen uns selbst kümmern. Man war wirklich froh, dass wir das getan und große Serien gemacht haben. Die Tatsache, dass diese Serien zum Teil in über 150 Ländern gelaufen sind, ist ein Indiz dafür, dass dieser deutsche Zugang für Darstellung von Geschichte international angekommen ist.

Es war am Anfang so, dass das Interesse sich auf die Thematik “Drittes Reich” konzentrierte. Es hat ein wenig gedauert, bis ich unsere Partner dazu bewegen konnte, sich auch für andere Themen der deutschen Geschichte zu interessieren. Ich erinnere mich noch, wie ich meinen Freund Charlie (Nachname fehlt), den Chef des History Channel, dazu zu überreden versuchte.

Der Wettlauf zum Suedpol von Guido Knopp
Der Wettlauf zum Suedpol von Guido Knopp
Nicht nur Hitler. Guido Knopp "Der Wettlauf zum Südpol".

Wir haben so gute Serien jenseits der Nazizeit, etwa über die Geschichte der Bundesrepublik, die Geschichte der Bundeskanzler. (Charlie) How boring, Guido! Wie langweilig. What’s your next Hitler-project? Das war so eine Phase. Gott sei Dank hat sich das gelegt und sie haben allmählich auch andere Serien genommen, unsere Reihe über die Geschichte der Deutschen, wo wir aus dem Ghetto des 20. Jahrhunderts ausgebrochen und bis ins 10. Jahrhundert vorgedrungen sind und die Geschichte von den Anfängen bis heute erzählt haben.

NH: Das war eine Reihe, mal komplett mit Spielszenen.

GK: Nicht komplett, es gab Historiker-Kommentare, aber wenn Sie außerhalb des 20. Jahrhunderts etwas machen möchten, müssen Sie Spielszenen verwenden. Es gibt ja nichts anderes. Die müssen auf einem sehr hohen Niveau sein, dass sie vom Publikum angenommen werden. Wir haben da ein wenig Geld in die Hand genommen und es so gemacht, dass das alles sehr Prime-Time-fähig ist. Es ist sehr gut angenommen worden. Man sah schon bei der ersten Folge, über “Otto und das Reich”, da hatten wir 6,5 Millionen in der Spitze und das war ein großer Erfolg.

NH: Zur Prime Time läuft ja oft ein Krimi oder ein Tatort und dergleichen. Da ist es doch an sich ein Wagnis, eine Dokumentation zu bringen. Wie war die Zuschauerstruktur?

GK: Einer meiner Chefredakteure, Nikolaus Brender, hat mal gesagt, das ZDF wird durch Geschichte jung. Er hat das deshalb gesagt, da unser Zuschauerschnitt jünger war als der des ZDF im Allgemeinen. Es ist ja ein Phänomen von ARD und ZDF, dass wir ein relativ altes Publikum haben. Alt im Sinne, so ab 65 Jahre.

Wir hatten teilweise einen Schnitt ab 59 Jahren und jünger, eine deutliche Verjüngung. Und wir hatten auch in der Gruppe der 14 bis 49-jährigen mehr Zuschauer als es das ZDF im Allgemeinen hatte. In sofern ist das ein Indiz, dass wir die Zuschauer von 8 bis 99 Jahren interessieren wollten, die Hundertjährigen natürlich auch, relativ nah herangekommen sind. Nicht nur, was die Altersstruktur betrifft, sondern auch die Bildungsstruktur.

NH: Für die Dokumentationen haben Sie mit Wissenschaftlern, Historikern zusammen gearbeitet. Sind Sie manchmal Gefahr gelaufen, es zu wissenschaftlich zu gestalten?

GK: Es war von Anfang an mein Ansatz, nicht in diese Falle zu tappen. Wissenschaftler als Berater haben bei einem Film nur zwei Mal eine wichtige Aufgabe. Wenn es am Anfang darum geht, ein Drehbuch anzuschauen und abzunehmen, und Fehler zu korrigieren. Und dann drehen die Teams und dann nehme ich später den Rohschnitt ab, und kläre den Kommentartext ab.

Wenn der abgenommen ist, geht der wieder an die wissenschaftlichen Berater, und die schauen, ob der Kommentar verifiziert ist, mit den wissenschaftlichen Kenntnissen übereinstimmt. Das hat wunderbar geklappt. Bei “Die Deutschen” war es so, dass wir aufgrund mangels Zeitzeugen, Wissenschaftler auch im On (Einspieler mit Interview) integriert haben, für kurze Statements zu bestimmten Sachverhalten der Geschichte. Das war eine Ausnahme.

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Spielszenen machen in Dokumentationen Geschichte begreiflich.

NH: Es bleiben zahlreiche Dokumentationen. Welche hätten Sie gerne noch gemacht?

GK: Wenn Sie mich so fragen, dann sage ich: Was ich nicht gemacht habe, und zwar aus verschiedenen Gründen, ist eine große Geschichte der Bundesrepublik ab 1945.

Ich habe eine Serie über Kanzler gemacht, und viele Einzeldokumentationen für das Spätabendprogramm “ZDF History”, aber eine groß angelegte Geschichte, 14-18 teilige Reihe, habe ich nicht gemacht, weil wir genau wussten, von den Vorhersagen, der Medienforschung, dass ist auf einem Prime Time Termin nicht präsentabel.

Das wird nicht genügend Zuschauer haben. Das kann man machen, bei einem Spätabendtermin oder bei unseren Tochtersendern, wie Phoenix, für die ich immer noch aktiv bin. Die haben aber nicht die Mittel, die es braucht, um das hochattraktiv und groß zu machen. Es ist ein zweischneidiges Schwert, weshalb ich das nicht realisiert habe.

NH: Eine letzte Frage. Eine Zeitreise. Wo würden Sie gerne hinreisen, mit der Option natürlich, wieder zurückreisen zu können?

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Guido Knopp: "Goethe und Napoleon. Mit der Medizin von heute."

GK: Ich würde gerne in die Zeit, Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, die Napoleonische Ära aber auch die Goethe-Ära. Da ist wahnsinnig viel passiert, in Deutschland, in Europa. Eine Umbruch-Zeit. Man sieht es an der Mode, die damals angesagt war, an den Möbeln. Ich sammle antike Möbelstücke und mich interessiert diese Phase, spätes Rokoko und Empire. Diese Zeit des Aufbruchs und Umbruchs zu erleben wäre natürlich reizvoll. Am liebsten in Weimar. Aber, und das mit einem großen Aber, mit den medizinischen Möglichkeiten von heute.

NH: Herr Knopp, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview ist redaktionell geschützt und darf ohne Genehmigung nicht vervielfältigt oder andersweitig verwendet werden. Die Rechte liegen bei C. Bertelsmann, Guido Knopp und findosbuecher.com

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Guido Knopp: Meine Geschichte

Meine Geschichte Book Cover
Meine Geschichte Guido Knopp C. Bertelsmann Erschienen am: 13.11.2017 Seiten: 320 ISBN: 978-3-570-10321-0

Inhalt:

Mister History blickt zurück: Guido Knopp, der das neue Geschichtsfernsehen prägte und damit für Millionen Zuschauer zum wichtigsten Geschichtslehrer wurde, verknüpft pointiert und anekdotenreich zentrale gesellschaftliche und politische Entwicklungen der vergangenen sechs Jahrzehnte mit prägenden autobiografischen Stationen und persönlichen Erlebnissen.

Immer vor dem Hintergrund seines Lebensthemas, der deutschen Geschichte. Ein Buch nicht nur für seine Zuschauer und Leser, die ihm über Jahrzehnte treu geblieben sind. (Klappentext)

Rezension:
Geschichte muss nicht trocken sein, nicht langweilig oder gar oberlehrerhaft rübergebracht werden, um ihrer gerecht zu werden. Im Gegenteil, ist sie doch in all ihren Facetten spannend und durchaus erkenntnisreich. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Wenn es ein Fazit bedarf, welches man aus Guido Knopps Arbeit ziehen darf. Lehrer setzen seine Dokumentationen im Unterricht ein, Wiederholungen einzelner Senderreihen bringen den Schwestersendern des ZDF immer noch gute Quoten, DVD-Verkäufe inmmer noch ordentliche Ergebnisse.

Doch, wer war der Mann, der als Initiator hinter all den Dokumentationen steckte, dem oft vorgworfen wurde, zweifelhafte Personen der Geschichte zu verherrlichen, der neue Dokumentationstechniken anwendete, die heute zum Standard gehören und das Geschichtsverständnis nun schon mehrerer Generationen zumindest mitprägte? Wer war Mr. History?

Erzählt wird seine Geschichte nun von ihm selbst. In seiner Biografie “Meine Geschichte” zeichnet Guido Knopp, gespickt immer wieder mit amüsanten Anekdoten, sein Leben nach und immer wieder auch ein Stück Fernsehgeschichte des ZDF.

Er berichtet von dem Aufbau seiner Redaktion bis zur Gestaltung der ersten Sendungen, gibt Einblick in den Aufwand, der hinter all den zahlreichen Dokumentationen steckt und wirft einen humorvollen Blick auf seine Kritiker, die ihm seine Erfolge mitunter neideten.

Er beschreibt das Wie und Warum, erklärt, wie Neuerungen in der fernsehtechnischen Gestaltung zunächst das Feuilleton althergebrachter Zeitungen verärgerte, und es zum Ruf der “Verknoppung” der Geschichte kam.

Kurzweilig und spannend, wie auch seine Beiträge, seine Dokumentationen zur deutschen Geschichte ist auch seine eigene. Wer “Fan” seiner Arbeiten ist, empfiehlt sich die Lektüre ohnehin, wer Kritiker ist, dem sei “Meine Geschichte aus dem C.Bertelsmann-Verlag ebenfalls ans Herz gelegt.

Wie entstanden bestimmte Sendungen, welcher Aufwand, der für den Zuschauer so nicht sichtbar ist, musste betrieben werden, um Sendereihen zu komplizierten Themen zu füllen, gerade wenn die Türen sich nur per Staubsauger öffnen ließen (sinnbildlich gesprochen)?

Wo waren die Grenzen der ZDF Redaktion Zeitgeschichte und wie die Resonanz in Deutschland, Europa und der Welt? Welche Historiker arbeiteten im Hintergrund mit, welche historischen Persönlichkeiten, von Berühmt bis zum zufällig gewesenen Zeitzeugen gaben Einblicke in die Geschehnisse?

Guido Knopp erinnert sich und kann sich damit getrost einreihen, in die Aufzeichnungen der Gespräche, die er und sein Team mit den verschiedensten Interviewpartnern geführt haben.

Das Kind des Wirtschaftswunders, welches die brotlose Kunst der Geschichte studierte, und diese selbst so spannend zu erzählen wusste, wie einst sein Lehrer auf seinem Gymnasium und sich damit um seiner Lieblingsthematik verdient machte.

Interessenten, die nicht zuletzt ein Stück Fernsehgeschichte nachempfinden und einen Blick hinter die Kulissen werfen möchten, und auch sonst, eine unbedingte Leseempfehlung. Geschichte ist spannend wie ein Krimi und es unbedingt wert, sie zu erzählen.

Was ist eigentlich "Verknoppung"?

Guido Knopp setzte als einer der ersten Spielszenen ein, wo historisches Filmmaterial nicht ausreichte, bestimmte Ereignisse der Geschichte darzustellen. Heute ein gängiges Mittel in den Fernsehtechniken unserer Zeit, war dies damals noch eine neue ungewohnte Technik.

“Nicht authentisch”, lautete das Urteil einiger großer Zeitungen. Zudem wurde Geschichte erstmals nicht nur chronologsich erzählt, sondern anhand von bestimmten Ebenen (z.B. anhand von Personenhierarchien), um eine bessere Nachvollziehbarkeit zu gewähren. Auch dies damals ein Novum.

Zudem wurde historisches Filmmaterial mit Kommentaren unterlegt, Personen nicht vor wertenden, sondern neutralen Hintergründen interviewt.

Auch dies, und die Präsentation geschichtlicher Themen, nicht “oberlehrerhaft”, zur Primetime, um für Aufklärung Reichweite zu bringen, brachten Guido Knopp und seiner Redaktion bestimmte Kritiken ein. Andere, wie Johannes Rau oder Simon Wiesenthal lobten Knopp für seinen Beitrag zum Geschichtsverständnis seiner Zuschauer.

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Autor:
Guido Knopp wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Journalist, Historiker, Publizist und Moderator. Nach der Schule studierte er Geschichte, Politik und Publizistik und arbeitete zunächst als Redakteur verschiedener Zeitungen.

So war er u.a. für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” und der “Welt am Sonntag” tätig. 1978 wechselte er zum ZDF und leidete ab 1984 die von ihm initiierte Redaktion “Zeitgeschichte”. Neben der Podiumsdiskussionsreihe “Aschaffenburger Gespräche” verantwortete er zahlreiche Dokumentationsreihen zur deutschen Geschichte.

Seit 2010 ist er Vorsitzender des Vereins “Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation.” Guido Knopp erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. die “Goldene Kamera” oder den “Emmy”. Er lebt mit seiner Familie in Mainz.

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