C.H.Beck

Die Frankfurter Buchmesse 2023

Der Innenhof, die Aurora, der Frankfurter Messe. Blick auf die Hallen 3.0 und 3.1. (Quelle: Privatarchiv)

Im vergangenen Jahr stand die Buchmesse in Leipzig einige Wochen lang auf der Kippe und so hatte ich mich ziemlich schnell entschlossen, für beide Termine Urlaub zu nehmen, damit ich im schlechtesten Falle zumindest eine Buchmesse gehabt hätte. Sicher war ich mir nur, dass zumindest Frankfurt als Messe für den großen Lizenz- und Rechtehandel nicht gecancelt werden würde, Leipzig als Lesemesse für das Gefühl schon eher. Dass es anders kam und wieder zwei große Buchmessen stattfinden konnten, die eine mit einer vorausschauenden Verlegung in den April hinein, ist großartig. So habe ich beide Messen mitnehmen können. Die vergangene in Frankfurt war zudem für mich eine Premiere.

Angereist bin ich den Tag vor Messebeginn, was sich schon für Leipzig bewärt hat und hier ebenso gut funktionierte. Die Bahn war sogar pünktlich, was ja auch nicht immer selbstverständlich ist. So ging es entspannt zur Pension und ebenso gemütlich am nächsten Tage zum Messegelände, welches in den ersten zweieinhalb Tagen bereits für das Fachpublikum seine Tore geöffnet hatte. Erkenntnis zu Beginn, wer bisher nur die Leipziger Buchmesse gewohnt ist, ist mit dem Pendant in Frankfurt zunächst einmal heillos überfordert. Lange Gänge, sehr viele Hallen mit mehreren Etagen. So verteilten sich die deutschen Verlage beispielsweise auf die Hallen 3.0 und 3.1. Gut, dass ich einen Messeplan hatte und mir aufgeschrieben hatte, wo welche Veranstaltungen, die mich interessieren, stattfinden würden. Die Möglichkeit einer App gab es auch, welche ich sehr gut strukturiert finde, aber da ich meinem alten Smartphone, der Leistunsgfähigkeit des WLAN auf dem Messegelände nicht über den Weg traue, hatte ich mir vorab Notizen gemacht. Trotzdem habe ich natürlich anfangs immer wieder auf den Plan schauen müssen. Wo bin ich und wo muss ich hin?

Sich zu verirren hat man aber in den ersten Tagen noch gekonnt. An jenen für Fachbesucher ist einfach noch nicht so viel los und so konnte man gut zwischend en Gängen und Hallen wandeln, was am Besucher-Wochenende so einfach nicht mehr möglich war. Bahne dir einmal einen Weg an den Schlangen von Strobel und anderer Autoren vorbei, zumal wenn alle großen Publikumsverlage auf einer Ebene platziert wurden, was wohl intern auch ein wenig für Unmut gesorgt hat.

Noch war aber nicht Wochenende, so dass ich nach und nach ganz entspannt an den Ständen schauen und mit Verlagsmitarbeitenden sprechen konnten, sofern diese einmal greifbar waren, was bei denen naturgemäß auch nicht oft der Fall ist, zumal wenn die Terminkalender, dies ist einfach in Frankfurt so, eng getaktet ist. Trotzdem kamen im Laufe der Tage wunderbare Gespräche zustande, vor allem an den Ständen kleiner unabhängiger und mittelgroßer Verlage, während es bei den größeren manchmal beiderseits nur für die Übergabe der Visitenkarte reichen musste. Das ist aber in Ordnung so und auch eingeplant, wenn auch sich einige nicht ganz so zugänglich zeigten, aus verschiedenen Gründen heraus. Vielleicht muss man sich auch einfach in solch eine Messe eingrooven. So ging es mir anfangs zumindest.

Auch während der Fachbesucher-Tage fanden bereits Lesungen statt, deren Aufzeichnung jetzt sicher in den Mediatheklen diverser Fernseh- und Rundfunksender, auf Youtube und bei diversen Zeitungen zu finden sein dürften. Davon habe ich einige mitnehmen können, so hat Tobias Lehmkuhl etwa sein Sachbuch “Der doppelte Erich – Kästner und das Dritte Reich” vorstellen können oder Nilufar Karkhiran Khozani ihren Roman “Terafik”. Im Verlauf der Tage gab es noch mehr Lesungen und Gesprächsrunden, denen ich lauschen konnte, etwa Deborah Feldman mit ihrem Buch “Judenfetisch” oder “Meine Mutter hätte es Krieg genannt”. So heißt das Sachbuch von Tochter Vera über ihre Mutter Anna Politkowskaja.

Dazwischen Autoren und Autorinnen wie Ewald Frie, der vor kurzem den Deutschen Sachbuchpreis erhalten hatte oder Tonio Schachinger mit seinem Roman “Echtzeithalter”, welcher mit dem Deutschen Buchpreis 2023 ausgezeichnet wurde, aber auch Autoren wie Andrej Karkow, Joachim B. Schmidt oder Isabel Schayani waren zugegen, mit Themen und Werken, die in der einen oder anderen Form hier noch auftauchen werden. Überhaupt dominierten für mich einzelne Länderschwerpunkte, wie man sich halt Lesungen und Gesprächsrunden vorher heraussucht, wenn man nicht nur ohne Plan durch die Hallen schlendern möchte. Eine dieser war dem Gastland vorbehalten, welches sich mit der dichtesten Dichte an Dichtern rühmt. Slowenien. Zumindest kurz hatte ich Zeit, mir deren schön gestaltete Räumlichkeiten auch anzusehen.

Egal ob jetzt Frankfurt oder, wie sonst immer Leipzig, solche Buchmessen nutze ich gerne zur Ideensammlung. Dabei hilft sicherlich auch die eine oder andere Veranstaltung, sei es am Stand des Karl Rauch Verlags, der dieses Jahr sein hundertjähriges Bestehen feiert, bei Mirabilis oder auch bei den ganz großen, die zu Blogger-Empfängen geladen hatten, wie etwa S. Fischer, Kiepenheuer & Witsch zusammen mit Diogenes oder auch der Sachbuchverlag Dorling Kindersley. Der weiß nicht nur wunderschöne und informative Lexika herauszugeben, sondern auch giftblaue Cocktails zu servieren.

Ab Freitagnachmittag wurde es dann voll. Voller. Am Vollsten. Und das blieb dann auch so die restliche Zeit, als auch endlich das Lesepublikum in die Hallen gelassen wurde. An großen Publikumsverlagen war dann schlicht und einfach sehr schnell ein Vorbeikommen nicht mehr möglich, zumal wenn noch Signierstunden an den Ständen durchgeführt wurden. Da darf mann dann schon fragen, warum zumindest für die deutschsprachigen Verlage nicht noch eine zusätzliche Halle geplant wurde. Das hätte vielleicht schon ausgereicht. Für einige Autor:innen gab es ja zudem einen extra platzierten Signierbereich, für den man sich ein Zeitslot buchen konnte.

Kein Durchkommen mehr an den Besuchertagen. (Quelle: Privatarchiv)

Das setzt zwar einerseits voraus, dass die Verlage das auch kommunizieren, dass es einen solchen braucht, andererseits jene, die ein Zeitfenster ergattern konnten, mussten so auch nicht ewig und drei Tage Schlange stehen. Zu diesem Zeitpunkt selbst war natürlich kein Zeitslot mehr zu bekommen. Ein kleiner Junge hatte dennoch Glück und erwischte die Autorin seines Buchs, direkt nach der Signierstunde am Ausgang des Bereichs. Ich konnte mein Buch einer netten Dame übergeben, die ein Ticket zuvor ergattert hatte und so dies für mich signieren lassen konnte. So habe ich jetzt ein Autogramm von MinaLima. Und wenn die Messe dann so endet, mit der Erkenntnis, dass es immernoch, in all dem Trubel der so um einen herum passiert, gute Menschen gibt, ist das doch eine schöne Erkenntnis abseits dort durchaus ernst diskutierter Themen.

Für mich ziehe ich ein insgesamt doch positives Fazit von der Messe, nicht nur wegen der interessant zu verfolgenden Lesungen und Gespräche, trotz ein paar irritierender Gesprächswechsel. Die meisten waren großartig. Viele Menschen durfte ich kennenlernen, wieder treffen und mich austauschen, ebenso zahlreiche Ideen für kleine und größere Projekte sammeln, so dass ich nicht ausschließen möchte, künftig neben Leipzig regulär auch Frankfurt erneut zu besuchen. Wenn es die Unterkunftspreise zulassen. Dann aber vielleicht nur an den Fachbesuchertagen. Die Besuchertage kollidieren, meinem Gefühl nach, mit dem Konzept und der daraus folgenden Planung der Messe. Und das wird dann sehr schnell einfach nur noch viel zu viel.

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Uwe Neumahr: Das Schloss der Schriftsteller

Inhalt:

Wohl nie waren so viele berühmte Schriftsteller und Reporterinnen aus aller Welt unter einem Dach versammelt wie in Nürnberg 1946. John Dos Passos und Erika Mann, Erich Kästner und Martha Gellhorn, Willy Brandt und Markus Wolf: Sie kamen, um zu berichten – von den Gräueln des Krieges und des Holocaust, die dort vor Gericht verhandelt wurden. Sie wohnten und schrieben auf Schloss Faber-Castell, diskutierten, tanzten, verzweifelten, tranken. Uwe Neumahr erzählt ihre Geschichte in seinem aufregenden und bewegenden Buch. (Klappentext)

Rezension:

In den Abgrund blickend, saß die Welt 1946 in Nürnberg zu Gericht, wo die noch Lebenden der ehemaligen NS-Führungsriege sich verantworten mussten, für die Auswirkungen ihrer Politik und Entscheidungen, die zum Krieg führten und in die Verbrechen des Holocausts mündeten. Das Unfassbare in Worte fassen, eine Sprache dafür zu finden und der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, oblag den zahlreichen Journalisten und Schriftstellern, die den Prozessen beiwohnten, gänzlich oder zeitweise.

Im Gerichtssaal den einstigen Tätern gegenüber sitzend, danach im von den Alliierten eingerichteten Presse-Quartier auf Schloss Faber-Castell zu versuchen, dies zu verarbeiten und in Worte zu fassen. Der Germanist Uwe Neumahr erzählt ihre Geschichte.

Als im Februar 1933 das NS-Regime auch gegenüber den Kulturschaffenden seines Landes die Macht zementierte, ahnten wenige, dass die Welt nur Jahre später in Trümmern liegen und zu Gericht sitzen würde über die Führungsriege eines Staats, der Millionen Menschenleben forderte. Über diesen Beginn berichtet Uwe Wittstock in seinem viel beachteten literarisch wirkenden Sachbuch. Das Ende, an dem zu einem kleinen Teil die gleichen Protagonisten Anteil nahmen, wird nun in diesem Werk in den Blick genommen.

Anders als Uwe Wittstock hangelt sich jedoch Uwe Neumahr nicht entlang eines Zeitstrahl, sondern beschreibt das Unwirkliche anhand von Personenkonstellationen, die schon für sich selbst genommen so besonders sind, wie der Prozess selbst, ob zu der geschilderten Zeit, davor oder erst viel später.

Das Geschehen der Verhandlungen, im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung war es anzahlmäßig nie nur ein einziger Prozess, gibt den Rahmen vor, ein sehr sonderbares Stück Geschichte einmal aus einem anderen Blickwinkel aufzuzeigen, der heut abseits der bekannten Bilder fast vergessen ist. In sich kompakt und geschlossen wirken die Kapitel, die zusammen einer Linie folgen und in der sich der Autor vor allem auf einzelne Biografien und der dadurch beeinflussten Wahrnehmung fokussiert.

So wurde der Prozess nicht nur von den Journalisten der verschiedenen Herkunftsländer unterschiedlich aufgenommen, auch abseits aller Ideologie oder Geografie gab es in der damaligen journalistischen Betrachtung durchaus ausgemachte Unterschiede. Wie wurde der Prozess etwa von den wenigen anwesenden weiblichen Journalistinnen gesehen? Wie schauten sei auf Angeklagte, Kläger und Richter? Wie schauten die Schreiberlinge auf das Leben und Wirken ihrer Konkurrenz? Gab es Unterschiede in der Betrachtung zwischen ausländischen und den wenigen anwesenden deutschen Journalisten?

Wie gestalteten sich und wirkten Verwerfungslinien im journalistischen Arbeiten während oder in Folge der Prozesse? Der Autor folgt diesen und geht der unterschiedlichen Betrachtungen von John Dos Passos oder Martha Gellhorn auf dem Grund, beschreibt die Wahrnehmungen von Erika und Golo Mann oder etwa Willy Brandts und Markus Wolf, deren Biografien sich dort zum ersten Mal kreuzen sollten.

Diese Vielfalt macht dieses Sachbuch zu einer aufwühlenden und zugleich spannenden Lektüre, die innerhalb einer besonderen und sehr sensibel anzufassenden Thematik gut recherchiert weitere Besonderheiten herausschält. Es liegt dabei in der Natur des Textes, dass einzelne Längen durchzuhalten sind, aber durch die relativ kurz gehaltenen Kapitel fällt dies nicht weiter ins Gewicht. Die Perspektive wechselt nicht nur zwischen den einzeln beleuchteten Personen, die Dynamik kommt immer wieder durch das jeweilige Gegenüber zustande.

Diese Art und Weise Geschichte nicht kalenderartig zu erzählen, sondern indirekt über die sie zur damaligen Zeit erlebenden Personen schafft einen sehr besonderen Zugang. Zugleich ist es ein Sachbuch, welches dadurch innerhalb der Bücher gegen das Vergessen einfach heraussticht. Diese Perspektivensammlung gibt es bisher so zu selten. Gestützt auf zahlreiche Quellen und einer Fülle an Archivmaterial hat Uwe Neumahr eine Lektüre geschaffen, die zugleich einer Vielfalt an journalistischen und schriftstellerischen Arbeiten ein Denkmal setzt, die damit ebenso gewürdigt und manchmal kritisch betrachtet werden muss, wie die Vorgänge, denen Kästner und andere beiwohnten.

Über die eine oder andere dort beleuchtete Person lohnt es sich dabei durchaus ein wenig Grundwissen in der Hinterhand zu haben. Die Lektüre lädt jedoch ein, selbstständig ergänzend zu recherchieren, so dass man selbstständig noch viel mehr Informationen zusammentragen kann. Wenn man denn möchte. Auch ohne bekommt man jedoch ein umfassendes Bild über jene, die sich einer fast unlösbaren Aufgabe gegenüber sahen.

Uwe Neumahr würdigt an der einen und beleuchtet kritisch an anderer Stelle. So ausgewogen möchte man mehr davon lesen. Das was da ist, lohnt sich.

Autor:

Uwe Neumahr wurde 1972 geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Literaturagent. In Tübingen und Pisa studierte er zunächst Literaturwissenschaft, promovierte in Köln und war Mitarbeiter der Forschungsstelle zur spanischen Renaissance der Universität Kiel. Danach arbeitete er als Lektor, sowie als Literaturagent, seit 2013 in München, wo er zahlreiche nationale und internationale Autor:innen vertritt. Er ist Autor mehrerer Sachbücher, u. a. einer Biografie über Cervantes, die 2015 erschien.

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Jan Bazuin: Tagebuch eines Zwangsarbeiters

Inhalt:

Das kürzlich entdeckte, hier erstmals publizierte Tagebuch des Jan Bazuin ist das ergreifende Zeugnis eines Rotterdamer Jugendlichen, der während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurde. Die renommierte Zeichnerin Barbara Yelin hat die knappen, schnörkellosen Notizen einfühlsam illustriert und macht so das Geschehen auf unheimliche Weise präsent. Ein wichtiges, ein fesselndes Buch nicht nur für junge Leser. (Klappentext)

Rezension:

Im Nachhinein aufgeschriebene Erinnerungen sind nicht selten überlagert von durch das kollektive Gedächtnis aufoktroyierte Erinnerungen, die die Geschichtswissenschaft trennen muss, vom tatsächlichen Geschehen und den damaligen wirklichen Empfindungen. Nicht immer ist es einfach, das zeithistorische Fundament freizulegen, zumal, nur natürlich, auch den Zeitzeugen die Erlebnisse verschwimmen oder diese vor geschichtlichen Ereignissen einfach besser stehen möchten oder Geschehnisse so erschreckend waren, dass sie verdrängt waren und nur langsam wieder an die Oberfläche kehren.

Am Genauesten sind hier noch Tagebücher, die nicht im Nachhinein verändert wurden. Sie geben einen unverfälschten Eindruck wieder. Ein solches über ein noch zu selten beleuchtetes Kapitel der deutschen Geschichte wurde nun neu aufgelegt.

Es handelt sich um den schriftlichen Nachlass des Rotterdamer Jugendlichen Jan Bazuin, der aufgrund der familiären Enge und der Auswirkungen des NS-Besatzungsregimes sich gezwungen sah, sich für einen Arbeitseinsatz in Deutschland zu melden, um der häuslichen Situation zu entgehen. Das aus drei Heften bestehende, hier zusammengelegte Tagebuch, zeigt in nüchterner Sprache die Auswirkungen der NS-Zwangsarbeit auf die Biografie eines Jugendlichen, der sich mit seiner Deportation nach deutschland vom regen in die Traufe gehen sah, genau und nüchtern all das notierte, was er beobachtete und empfand.

Anfangs optimistisch verschärft sich bald der Ton. Jugendlicher Tatendrang wechselt mit Resignation und Verzweiflung. Der Wechsel längerer “Alltagsbeschreibungen” zu kurzen Notizen erfolgt oft abrupt. Gleichwohl wird schnell klar, und dies ist es auch dem Schreibenden selbst, dass es mehrere “Klassen” der Zwangsarbeit gegeben hat und Bazuin es vergleichsweise gut getroffen hat, dennoch schildert auch er Situationen der menschlichen Entgrenzung, die unter die Haut gehen. Unterstrichen wird dies durch die einfühlsamen Zeichnungen von Barbara Yelin, die die bedrückende Wirkung des Geschriebenen hervorheben.

Historisch eingeordnet wird dies durch ein ausführlich erläuterndes Nachwort, welches über die beschriebenen Orte der NS-Zwangsarbeit aufklärt, zudem durch ein Begriffe-Glossar, der dies auch für weniger fachlich versierte Lesende zugänglich macht. Das Werk ist zugleich eine Veröffentlichung des NS-Dokumentationszentrums München und damit ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen, ohne die Schwere eines allzu umfassenden Sachbuchs zu besitzen. Unbedingt lesenswert.

Autor:

Jan Bazuin wurde 1925 in Rotterdam geboren und arbeitete zunächst in der familieneigenen Druckerei. Aufgrund der familiären Situation und des von Hungersnot und Besetzung gebeutelten Lands meldete er sich Anfang 1945 zum “Arbeitseinsatz” im Deutschen Reich und schrieb währenddessen mehrere Tagebücher über Leben und Überlebenunter den Deutschen. Im Zuge der aufarbeitung zur NS-Zwangsarbeit im früher zum RAW Neuaubing gehörigen Barackenlager wurden diese wieder entdeckt und neu aufgearbeitet.

Ausarbeitung:

Barbara Yelin wurde 1977 in München geboren und ist eine deutsche Comiczeichnerin. Zunächst studierte sie Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und zeichnete mehrere in Deutschland und Frankreich erschienene Anthologien. Für mehrere Zeitungen erarbeitete sie Comic-Strips. 2016 wurde aus einem von ihnen ein Buch.- 2018 veröffentlichte sie in Carlsenverlag, zudem 2020 ein Kinderbuch in Zusammenarbeit mit Alex Rühle.

Sie unterrichtete an der Hochschule der Bildenden Künste Saar und als Dozentin im Comic-Seminar Erlangen, seit 2018 zudem an der Universität für Angewandte Kunst, Wien. Für ihre Arbeit erhielt sie den Bayrischen Kunstförderpreis für Literatur, 2015, sowie den Max-und-Moritz-Preis als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin, 2016.

Paul-Moritz-Rabe wurde 1984 in Erlangen geboren und ist ein deutscher Historiker. Er leitet die wissenschaftliche Abteilung des NS-Dokumentationszentrums Münschen sowie des Erinnerungsortes auf dem Gelände des ehemaligen NS-Zwangsarbeiterlagers Neuaubing. Sein Buch “Die Stadt und das Geld”, welches 2017 erschien, zur Haushalts- und Finanzpolitik Münchens während der NS-Zeit wurde mit mehreren Förderpreisen ausgezeichnet.

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Bernd-Stefan Grewe: Gold – Eine Weltgeschichte

Inhalt:

Die ältesten Goldfunde stammen aus Gräbern des 5. Jahrtausends v. Chr. – das edelste Metall als letzte Gabe für die wichtigsten Persönlichkeiten einer Gesellschaft. Seit der Zeit der frühen Hochkulturen hat Gold nichts an Faszinationskraft eingebüßt. Es begegnet uns bis heute als Schmuck, liturgisches Gerät und auch als Zahlungsmittel. Bis vor kurzem diente es sogar als Garant ganzer Währungssysteme. Aber am Gold klebt immer auch Blut – was für die Tage des Goldrauschs galt, gilt auch noch für die Goldförderung der Gegenwart. (Klappentext)

Rezension:

Dagobert Duck machte als Goldsucher am Klondike ein Vermögen und wurde so zur reichsten Ente der Welt. Die vom Zeichner Carl Barks erfundene Comicfigur steht sinnbildlich für die zahlreichen Abenteurer, die ihr Glück zu Zeiten des großen Goldrauschs in Nordamerika versuchten. Nur wenige waren damit wirklich erfolgreich, der Erzähler Jack London erst mit seinen Geschichten, in denen er auch seine eigenen Erlebnisse zu Teilen mit verarbeitete und für die Nachwelt lebendig erhielt. Noch früher erstickte die Gier nach dem Edelmetall ganze Völker, Kriege wurden geführt.

Das glänzende Metall war seit grauer Vorzeit schon begehrt und konfliktumwoben. Heute noch walten darum herum zahlreiche Konflikte, nicht zuletzt die bleibende Zerstörung der Natur, die mit den Abbau des Gold einher geht. Der Historiker Bernd-Stefan Grewe begab sich auf Spurensuche durch die Geschichte, von den Zeiten erster glänzender Grabbeigaben, über die Rolle des Metalls in Währungssystemen bis hinein, in die heutige Zeit.

Wer sich schnell Überblickswissen verschaffen möchte, eine solide und gut recherchierte Grundlage, ist mit den Büchern der Riehe C. H. Beck Wissen gut bedient. Ohne sich in allzu viele Details zu verlieren, schauen die Autoren und Autorinnen hier durchaus über den tellerrand und so liefert auch Bernd-Stefan Grewe eine informative Übersicht zur Thematik, die man fortan, vielleicht nicht mit anderen Augen, so doch solide unterfüttert betrachten kann.

Dabei hat er die Geschichte des Edelmetalls spannend zu Papier gebracht und so aufgebaut, dass dieser Band nicht so schnell von den Veränderungen unserer Zeit überholen wird. Jedes Kapitel ist unterteilt in kleinere Abschnitte, aufgelockert mit mehreren Grafiken, die zur Veranschaulichung dienen. Zahlreiche Quellen- und Querverweise runden die Lektüre ab. Man kann dies auch auf die anderen Bände der Reihe übertragen, der Autor schafft hier das Format nicht trocken daherkommen und einen Blick über den Tellerrand hinaus gewähren zu lassen.

Autor:

Bernd-Stefan Grew ist Professor für Geschichtsdidaktik an der Universität Tübingen. Zunächst absolvierte er eine Ausbildung zum Bankkaufmann, bevor er 1990 Geschichte, Französisch und spanisch in Trier und Paris studierte. Im Jahr 2000 promovierte er in Geschichte. Nach zahlreichen Stationen folgte 2016 der Ruf an die Universität Tübingen. Er ist Autor und Verfasser zahlreicher Publikationen.

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Johann Hinrich Claussen/Ulrich Lilie: Für sich sein

Inhalt:

Jeder scheint die Einsamkeit zu kennen, und doch ist sie wie ein unerforschter Kontinent. Johann Hinrich Claussen und Ulrich Lilie vermessen in ihrem kurzweiligen Atlas Zufluchtsorte, an denen man endlich “für sich” ist, die Weiten der Loneliness, die man melancholisch durchwandert, das Reich der Solitude, in das sich Mönche, Wissenschaftler und Künstler zurückziehen, und die eisigen Regionen der Isolation, in denen man zu erfrieren droht. Sie erklären, was die Forschung über Einsamkeit sagt, und weisen Wege der Befreiung. Ein hilfreicher Führer für alle, die den Kontinent der Einsamkeit näher erkunden und sicher wieder verlassen wollen. (Klappentext)

Rezension:

Familien werden immer kleiner, die Anzahl alleinlebender Menschen steigt stetig. Bestattungen ohne Trauernde nehmen zu. Unter den Lebenden entführen Stress und Depressionen zuweilen in das Reich der Einsamkeit. Doch, was ist das überhaupt? Welche Zustände der Einsamkeit gibt es? Gibt es neben der ungewollten auch gewollte Einsamkeit? Wie kehrt man Einsamkeit um? Wann ist sie erwünscht, wann zu gefährlich, um sie zu ignorieren?

Die Autoren Johann Hinrich Claussen und Ulrich Lilie haben sich nicht nur zurückgezogen, um für uns Lesende das Reich der Einsamkeit zu erkunden.

Der Begriff der Einsamkeit ist zunächst und vor allem psychologisch interessant, doch kann dieser auf vielen weiteren Ebenen betrachtet werden. Folgerichtig erklären die Autoren anhand verschiedener Beispiele die Arten der Einsamkeit, die sie meinen, festgestellt zu haben. Ein spannender Ansatz ist das, der spannend erzählt, zum Nachdenken über sich und Andere führt, hier jedoch nicht funktioniert. Der Einstieg ist so anstrengend wie ermüdend zu lesen. Schon für die ersten Seiten muss man volle Konzentrationj und, am besten, drei Tassen Kaffee aufbieten. Wer da ein ganzes Buch durchhält, verdient Hochachtung.

Fachlich schwebt dieses Sachbuch irgendwo zwischen Populärwissenschaft und Ratgeber. Positiv ist zu erwähnen, dass Angebote wie Seelsorgetelefonnummern hinten an erwähnt werden, auch einige historische Referenzen lesen sich interessant, doch so umfassend das vorliegende Werk ist, es funktioniert nur bedingt. Zu oft schweifen beim Lesen die Gedanken ab, zu viele Stellen muss man immer und immer wieder nachlesen, um ja nicht den Faden zu verlieren.

Ein sehr trockener Schreibstil negiert die an sich kurzen Kapitel. zu viel wiederholt sich einfach. Im Gedächtnis bleibt dann kaum etwas haften. Grundsätzlich ist das für ein Sachbuch eher schlecht, für einen Ratgeber sowie so. Gut gemeint ist eben nicht immer wirklich gut. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Autoren:

Johann Hinrich Claussen wurde 1964 in Hamburg geboren und ist ein deutscher Theologe und Autor. Zunächst studierte er Theologie in Tübingen, Hamburg und London, bevor er promovierte. Im selben Jahr wurde zum Pastor der Nordelbischen Kirche ordiniert und tratt eine erste Pfarrstelle an. Er habilitierte 2005 an der Universität Hamburg und lehrte später als Privatdozent. Von 2007 bis 2016 war er Hauptpastor in St. Nikolai in Hamburg, 2016 schließlich im Rat der EKD Leiter des Kulturbüros in Berlin. Claussen schreibt regelmäßig für deutsche Zeitungen und Zeitschriften sowie für verschiedene Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er gehört zum Herausgeberkreis der Predigtstudien.

Ulrich Lilie wurde 1957 in Rhumspringe geboren und ist ein deutscher Theologe. Seit 2014 ist er Präsident der Diakonie in Deutschland und 2020 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung.

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Uwe Wittstock: Februar 33 – Der Winter der Literatur

Inhalt:

Es ging rasend schnell. Der Februar 1933 war der Monat, in dem sich auch fir Schriftsteller in Deutschland alles entschied. Uwe Wittstock erzählt die Chronik eines angekündigten und doch nicht für möglich gehaltenen Todes. Von Tag zu Tag verfolgt er, wie das glanzvolle literarische Leben der Weimarer Zeit in wenigen Wochen einem langen Winter wich und sich das Netz für Thomas Mann und Bertolt Brecht, für Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin und viele andere immer fester zuzog. (Klappentext)

Rezension:

Die Geschichte der letzen Tage, sie beginnt mit einem Tanz auf den Vulkan. Der Schriftsteller Carl Zuckmayer, der mit den Drama “der Hauptmann von Köpenick” ein paar Jahre zuvor seinen größten Erfolg feierte, begibt sich zum Presseball, einer Berliner Institution. Alles, was Rang und Namen hat, gibt sich dort die Ehre. Die künstlerische Elite versammelt sich. Doch, die Atmosphäre ist getrübt. Nicht wenige Anwesende ahnen, dass sich die Zeiten gerade ändern. Welche Folgen dies langfristig haben wird, ist kaum jemanden klar. Am nächsten Tag, den 30. Januar 1933, wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.

Es ist die Geschichte einer flirrenden Zeit. Einen Monat, in etwa so lang, wie ein ausgedehnter Sommerurlaub, brauchte es, um die Demokratie auszuhölen und durch ein System der Willkür und Tyrannei zu ersetzen, doch zunächst war nicht sicher, ob nicht die Nazis genau so schnell verschwinden würden, wie andere Regierungen zuvor. Der Krieg noch nicht in sicht, begann die Konsolidierung der Macht jedoch bereits vom ersten Tag an. Schriftstellende, Journalisten und Künstler mussten sich entscheiden. Bleiben, wie der Autor Erich Kästner etwa oder die Flucht ins Exil, wie sie Thomas und Heinrich Mann ergriffen.

Der Autor und Literaturredakteur Uwe Wittstock erzählt von einem beispiellosen kulturellen Exodus, nachdem nichts mehr so sein sollte, wie zuvor.

Anhand ausgewählter Biografien beschreibt der Autor Tage der Entscheidung. Rettet man mit der Flucht ins Exil sein eigenes Leben oder wartet man nicht lieber ab, bis der Spuk vorbei ist? Muss man überhaupt fliehen? Ist man von den Ausfällen der Machthaber selbst betroffen oder kann sich gar mit der neuen Situation arrangieren?

Was nimmt man mit, was versteckt man? Wo taucht man unter? Wie und wovon lebt man dann dort? Uwe Wittstock erzählt aus der Sicht der Manns, Döblins oder etwa Ricarda Huch und Gottfried Benn, welchen Fragen und Entscheidungen die ausgesetzt waren, die sich schon längst mit ihrem künstlerischen Schaffen positioniert hatten. Er berichtet von der Vernetzung einer Schicht, die die Nazis innerhalb weniger Tage zerschlugen.

Mit der Form eines literarischen Sachbuchs macht Uwe Wittstock eine Zeit lebendig, deren Folgen die Protagonisten damals nur ahnen konnten, die später einen ganzen Kontinent und noch mehr ins Unglück stürzte. Fakten verpackt er in erzählerischer Form. An manchen Stellen muss man durchatmen und sich vergewissen, was man mit “Februar 33 – Der Winter der Literatur” eigentlich vor sich hat. Nicht doch einen Roman?

Aus Tagebuchaufzeichnungen, Notizen und Briefen, teilweise autobiografischen Schriften, hat Wittstock ein lebendiges Bild ausgewählter Männer und Frauen gewoben, die alle auf unterschiedliche Art und Weise sich entscheiden mussten, manchmal von einer Minute auf die andere. Dabei handelt es sich um Ausschnitte.

Ein Ding der Unmöglichkeit ist es, die Wege der gesamten künstlerischen Elite jener Zeit darzustellen, doch die Auswahl der Lebensläufe zeigt ein breites Spektrum auf. Der Autor ruft so jene Zeit ins Gedächtnis, in der noch niemand sicher sagen konnte, ob dieser oder jene Weg der richtige sein sollte. Viele Akteure indes, konnten später nicht mehr an ihre Erfolge vor Februar 1933 anknüpfen. Anderen wurde die Kooperation mit den Nazis zum Verhängnis. Wenige nur konnten auch in der Nachkriegswelt künstlerisch Fuß fassen.

Wittstock erzählt chronologisch. Die Kapitel sind in Form von Tagesdaten untergliedert, was die Brisanz und die Schnelligkeit verdeutlicht, mit der sich alles änderte. In wechselnder Perspektive werden die Schwierigkeiten und Fragestellungen klar, denen sich die Akteure ausgesetzt sahen. Auch, was danach geschah, bleibt nicht unerwähnt. Zur Abrundung werden im Anschluss Kurzbiografien aufgeführt. Das Sachthema erzählerisch in dieser Form lebendig werden zu lassen, funktioniert hier sehr gut.

An manchen stellen wirkt das so, als würde man selbst etwa an einer Straßenkreuzung stehen und müsste sich entscheiden, ob man zur Wohnung geht, in der Gefahr, den eigenen Häschern in die Arme zu laufen, oder doch zum Bahnhof, um in den nächsten Zug zu steigen und Richtung Grenze zu fahren, so lange dies noch möglich ist. Manche Biografien sind bekannt, trotzdem schwitzt man beim Lesen teilweise Tropf und Wasser. Eine nüchterne Abhandlung ist etwas anderes.

Autor:

Uwe Wittstock wurde 1955 in Leipzig geboren und ist ein deutscher Literaturkritiker, Lektor und Autor. Zunächst arbeitete er als Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1980 bis 1989 der Literaturrerdaktion angehörte, danach wirkte er als lektor beim S. Fischer Verlag.

Zur gleichen Zeit war er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Neue Rundschau. Im Jahr 2000 wurde er stellvertrender Feuilletonchef der Tageszeitung Die Welt, zwei Jahre später Kulturkorrespondent in Frankfurt/Main. Bis 2017 arbeitete er als Literaturchef des Magazins Focus. Zu seinen Werken zählen mehrere Sachbücher. 1989 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis für Journalismus.

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Katajun Amirpur: Khomeini – Der Revolutionär des Islams

Inhalt:

Kein anderer Revolutionär hat die islamische Welt so sehr verändert wie Ruhollah Musavi Khomeini (1902-1989). Die bekannte Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur entdeckt in dieser ersten umfassenden Khomeini-Biografie in deutscher Sprache einen im Westen weitgehend unbekannten Gelehrten, Dichter und Mystiker und erklärt, wie es dem charismatischen Asketen gelang, den Islam zu politisieren und den übermächtigen Westen in Angst und Schrecken zu versetzen. (Klappentext)

Rezension:

Wie einst ihre Großeltern stimmen die jungen Menschen heute mit den Füßen ab, nur in eine andere Richtung. Die meisten von ihnen verlassen den Iran, suchen ihr Glück im von der Regierung verteufelten Westen oder in der privaten Isolation. Selten ist die Differenz zwischen öffentlichem und Privatleben größer als im ehemaligen Persien.

Im Jahr 1979 begann die „Herrschaft der Rechtsgelehrten“, wie die Theokratie in einigen dortigen Schriften genannt wird, nach einer Revolution, die die Befreiung von Korruption und Willkür des Schah-Regimes versprach, doch nur ein Übel durch ein anders ersetzte. Kopf dieser Bewegung war ein charismatischer islamischer Gelehrter namens Khomeini.

Eine Figur, die heute noch dem Westen Rätsel aufgibt, Angst und Schrecken macht, um dessen Erbe in der iranischen Führungsebene bis heute gerungen wird.

Die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur beleuchtet das Leben des Theologen, Mystikers, Denkers und ewigen Revolutionsführers und Machtmenschen, der selbst nach seinem Tod das einstige Persien fest im Griff hat. Für eine Biografie ist das Werk, welches Khomeini, im deutschsprachigen Raum erstmals so ausführlich, beleuchtet, dennoch kompakt.

Beginnend von der Kindheit und Jugend Khomeinis an, zeigt die Autorin die erstaunliche Vielfältigkeit dieser Person auf, aber auch welche Schlüsselmomente und Weichenstellungen das Denken Khomeinis prägten und verhärteten. Amirpur zeigt, wo religiöse Richtlinien das Handeln dieses Theologen und Politikers prägten, wo Pragmatismus die Oberhand behalten musste.

Ausführlich erläutert sie den Wandel der persischen Gesellschaft und auch die Änderungen im politischen Weg Khomeinis, aber auch die verschiedenen religiösen Strömungen, die den Iran prägten, was nicht einfach zu lesen ist und einige Längen zwangsläufig mit sich bringt, zumal wer sich mit Religion bisher nur oberflächlich beschäftigt hat.

Hier versucht Amirpur ein komplexes Gesamtbild verständlich zu erläutern. Ein Begriffsglossar und eine Zeittafel unterstützen dies. Ohne geschichtliche Vorkenntnisse oder zumindest Ahnung der Kenntnisse über verschiedene Strömungen des Islams, ist die Lektüre schwierig.

Doch die Wissenschaftlerin bringt auch unbekanntere Anekdoten aus dem Leben Khomeinis zur Sprache, die die Person begreifbarer machen, auch der Blick der Enkelgeneration, auf das Erbe ihres Großvaters ist beeindruckend. Alleine dafür lohnt sich der Versuch einer Lektüre. Die Zukunft des Irans indes ist kompliziert. Folgerichtig, wenn man sich die Biografie dieses Mannes anschaut.

Autorin:

Katajun Amirpur wurde 1971 in Köln geboren und ist eine deutsch-iranische Journalistin udn Islamwissenschaftlerin. Zunächst studierte sie Politologie in Bon und schiitische Theologie in Teheran.

Nach verschiedenen Positionen, u.a. an der Freien Universität Berlin, der Hochschule für Philosophie in München war Sie Assistenzprofessorin für Moderne Islamische Welt an der Universität Zürich und Herausgeberin der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik.

2011 nahm sie den Lehrstuhl für Islamische Studien an der Universität Hamburg an, 2018 den für iran und schia-bezogene Studien an der Universität Köln. In Hamburg ist Amirpur Stellvertretende Direktorin der Akademie der Weltreligionen. Die Autorin, die zudem für diverse Zeitungen und Magazine schreibt, ist verheiratet mit dem Schriftsteller Navid Kermani.

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Volker Reinhardt: Die Macht der Seuche

Inhalt:

Die Große Pest der Jahre um 1348 war eines der einschneidendsten Ereignisse der europäischen Geschichte. Der Historiker Volker Reinhardt rekonstruiert den Verlauf der Epidemie von den Anfängen in Asien bis zu ihrem vorläufigen Erlöschen in Europa, beleuchtet die unterschiedlichen Verhältnisse in ausgewählten Städten und fragt, wie die Überlebenden politisch und wirtschaftlich, religiös und künstlerisch das große Sterben bewältigten.

Sein spannend geschriebenes Panorama führt eindringlich vor Augen, was wir dem medizinischen Fortschriftt verdanken – und wie verblüffend ähnlich wir heute trotzdem auf eine Pandemie reagieren. (Klappentext)

Rezension:

Den Umgang mit heute verlaufenden Pandemien betrachtend, lohnt sich mitunter ein Blick zurück in die Geschichte und eine vergleichende Betrachtung von Ereignissen mit ähnlich einschneidender Bedeutung. Für eine Fokussierung etwa, nur auf Corona ist es noch zu früh.

Allenfalls in den nächsten Jahren wird man das gesamte Ausmaß überblicken können, doch wie gingen unsere Vorfahren mit global sich verbreitenden Viren und ihren Folgen um, welche Schlüsse und Maßnahmen zogen sie, den damaligen Wissestand und medizinischen Kenntnisse natürlich berücksichtigt, daraus?

Welche Auswirkungen hatte etwa die um sich greifende Pest im sozialen und gesellschaftlichen, poltischen Gefüge, während diese um sich griff und vor allem, welche Nachwirkungen waren zu verzeichnen. Der Historiker Volker Reinhardt begab sich auf Spurensuche.

Anhand zahlreichen Kartenmaterials, welches der historischen Betrachtung voransteht, erläutert er die einzelnen Phasen der Pest, ihre Verbreitung im damaligen Europa und ihre Auswirkungen auf die einzelnen Regionen. bemüht, um vergleichende und vielschichtige Betrachtung, fokussiert der Autor sich dabei nicht auf einzelne Regionen, wenngleich etwa Italien und Frankreich einen großflächigen Anteil an seiner Betrachtung ausmachen.

Warum dies so ist, erläutert Reinhardt ebenso, wie er auch immer wieder anhand der Quellenlage verdeutlicht, wo beträchtliche Lücken eine ausführliche Auswertung beinahe unmöglich bzw. schwierig machen.

Detailliert geht er zunächst auf die Seuche als solches ein, und erläutert dann, was diese mit den damaligen Menschen machte und welche Auswirkungen in den Jahren danach Folge waren. Einzelne Abschnitte der Betrachtung lohnen einem Vergleich zur heutigen Situation. Schon damals erkannte etwa die obere Führung von Mailand die Bedeutung der Isolation. Auch die Quarantäne, wie wir sie heute kennen, nahm in der damaligen Zeit ihren Anfang. Reinhardt geht jedoch auch auf die Unterschiede ein, erläutert, weshalb die Pest wo welche Auswirkungen hatte, wie viele Menschen nach Quellenlage tatsächlich betroffen waren und dass sich auch damals schon die Hoffnungen nach einer besseren, anderen Gesellschaft nach der Seuche schnell zerschlugen.

Das alles ist in kompakter Form keine ausschweifende, jedoch leider um so mehr trockene Literatur, die zwar versucht anhand von Personengeschichte Interesse zu wecken, dies jedoch nicht vermag. Tatsächlich ist diese Sammlung an Wissen eine schnöde Aneinanderreihung von Fakten, die trocken daherkommt. Es wirkt in etwa so, als würde man heutige Nachrichten mit einem tiefen Seufzer kommentieren. mit zunehmender Seitenzahl muss man sich förmlich zwingen, die Fakten aufzunehmen und zu behalten. Da nützt dann auch eine sehr intensiv bewältigte Quellenlage und gute Recherchearbeit wenig.

Schade, aus diesem Stoff Geschichte hätte man viel mehr herausholen können. Genug Interessenten gäbe es bestimmt.

Autor:

Volker Reinhardt wurde 1954 in Rendsburg geboren und ist ein deutscher Historiker. Seit 1992 lehrt er als Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg. Zunächst jedoch studierte er Geschichte und Romanische Philologie in Kiel, Freiburg im Breisgau und in Roman, danach absolvierte er seine Staatsexamen in Geschichte 1975, und Romanistik 1976.

Nach einem Forschungsaufenthalt in Rom promovierte er über die Finanzen des Kardinals Borghese, war 1985-1991 Hochschulassistent in Freiburg im Breisgau, habilitierte dort 1989.

Als Hochschuldozent lehrt er an der Universität Freiburg in der Schweiz, ist zudem Vertrauensdozent der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er beschäftigte sich mehrfach mit der Geschichte der italienischen Renaissance, u.a. mit der Familie Medici, Borgia und verfasste eine Biografie Leonardo da Vincis. Reinhardt ist Mitherausgeber der WBG-Reihe “Geschichte kompakt”.

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Joe Biden: Versprich es mir

Inhalt:

Im November 2014 versammelten sich die Bidens in Nantucket, um gemeinsam Thanksgiving zu feiern – eine Familientradition seit vierzig Jahren. Aber diesmal fühlte sich alles ganz anders an. Bei Beau, dem ältesten Sohn von Joe Biden, war zuvor ein bösartiger Hirntumor diagnostiziert worden, und sein Überleben war ungewiss. «Versprich es mir», bat der kranke Sohn seinen Vater. «Versprich mir, dass du klarkommst, ganz egal, was passiert.» Joe Biden gab ihm sein Wort. Das darauffolgende Jahr stellte ihn auf eine schwere Probe. (Inhaltsangabe des Verlags)

Rezension:

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind die Gräben tief und die Aufgaben, denen sich ein Präsident Biden gegenüber sieht, könnten schwieriger kaum sein. Klimaschutz, Rassismus, die Spaltung zwischen Bevölkerungsgruppen, marode Infrakstruktur, geerbte Konflikte auf unserem Planeten.

Es gibt viele Baustellen für einen Präsidenten Biden, doch der langjährige Politiker sah sich 2014 vor der bis dato wohl größten Herausforderung in seinem Leben, und die stellte sowohl seines als auch das der Familie auf dem Kopf.

Bei uns anlässlich der Wahl des Demokraten Joe Bidens zum US-Präsidenten übersetzt, erschien dieser sehr persönliche Blick in den Vereinigten Staaten bereits 2017. Die Ära Obama, an der der Politiker einen nicht ganz unerheblichen Anteil hatte, gerade vorbei, die Auswirkungen der Regierungszeit dessen Nachfolgers nicht absehbar, gibt diese Rückschau einen Einblick in das politische Denken, aber vor allem auch in den Menschen Joe Biden.

Vorliegend ist dies keine Biografie, aber eine Rückschau, fokussiert auf bestimmte Ereignisse, die das Wirken Bidens als Senator und Vize-Präsidenten prägten, als auch dessen Verständnis von Familie, zumal der Autor schon 2016 die Chance hätte ergreifen können, sich als Kandidat für die US-Präsidentschaft aufstellen zu lassen.

Detailliert erläutert Biden in dieser, nennen wir es Denkschrift, wie der Schicksalsschlag seines Sohnes ihn einerseits vorantrieb, andererseits determinierte, zumal den Trauerprozess nach dem Verlust eines geliebten Menschens. Inszenierung von Politik, wie sie im amerikanischen Raum üblich ist, hin oder her, hier erläutert der Mensch Biden seine Beweggründe und dies in einer sehr nachvollziehbaren Art und Weise.

Große Politik spielt natürlich eine Rolle, so gibt Biden Einblick in die Ausgestaltung der Rolle eines Vize-Präsidenten. Dies jetzt zu lesen, lässt ahnen, was ein Präsident Biden anders machen würde als sein Vorgänger. Das ist jedoch nicht das, was hängen bleibt. Nachhaltig ist die Beschreibung seiner Selbst als Familienmensch, der trotz vollen Terminkalenders, immer auch den Biden-Clan im Blick behält, zumal in schweren Zeiten.

Natürlich weiß der Autor um die Wirkung seiner Worte, weiß bestimmte Formulierungen einzusetzen und das ist gewollt. Wie denn auch nicht, bei einem Politiker.

Die Schrift richtete sich hier an ein amerikanisches Lesepublikum, nach Obama und hat sicher für dieses einige offene Fragen geklärt, denn weder die Krebserkrankung seines Sohnes waren vor dessen Tod groß in der Öffentlichkeit bekannt, zurecht, noch die darauf fußende Entscheidung, nicht zu diesem Zeitpunkt nach dem Präsidentenamt zu streben, wo doch viele ihn neben Hillary Clinton für einen aussichtsreichen Kandidaten, schon 2016, gehalten haben.

So ist “Versprich es mir”, ein behutsames Puzzleteil, Denkschrift, Erklräungsversuch und Ausblick zugleich, und für einige Amerikaner, ja, vielleicht auch ein Stück Hoffnung.

Autor:

Joeseph “Joe” Robinette Biden Jr. wurde 1942 in Scranton, Pennsylvania geboren und ist ein US-amerikanischer Politiker, Mitglied der Demokratischen Partei. Von 1973 an gehörte er bis 2009 dem Senat an und war 2009-2017 Vize-Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. 2021 wurde er zum 46. Präsidenten der USA gewählt.

Das Buch wurde im Rahmen des Sachbuchmonats Januar 2021 gelesen. #SachJan21 #sachjan2021

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Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Die seltsamsten Orte der Religionen Book Cover
Die seltsamsten Orte der Religionen Johann Hinrich Claussen C.H. Beck Verlag Erschienen am: 27.08.2020 Seiten: 239 ISBN: 978-3-406-75598-9 Illustrationen: Lukas Wossagk

Inhalt:

Niemand hat die Absicht, einen seltsamen Ort zu schaffen. Es passier einfach. Der älteste Steingarten Japans wird von Moos überwuchert, Bäume erweisen sich plötzlich als heilkräftig, Kirchen müssen vor Verfolgern versteckt werden. Das Buch führt seine Leserinnen und Leser zu 39 christlichen und nichtchristlichen Orten auf der ganzen Welt, die wie von einem anderen Stern sind. (Klappentext)

Rezension:

Die Welt ist voller Religion, ob es einem gefällt oder nicht.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Was und woran glaubst du? An der Frage scheiden sich, sprichwörtlich, die Geister und so kommt es nicht von Ungefähr, dass sich die unterschiedlichen Spielarten in den verschiedensten Plätzen und Orten, Gebäuden, manifestieren. Kirchen, Moscheen und Synagogen, Tempel sind zwar die Norm, doch Religion zeigt sich eben nicht nur in offiziellen Bauten.

Vielerorts gibt es Abweichungen von der Norm, die hervorstechen und dadurch zu etwas Besonderen werden. Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen nimmt uns Lesende mit auf eine Reise zu den spirituellen Orten der Welt.

Der sonderbare Trip erfordert einen besonderen Reiseführer, der nun in der Art eines kurzweiligen Sachbuches bei C.H. Beck vorliegt. In handlichen Kapiteln und kurzweiligen Abschnitten werden hier Pilgerziele für Millionen ebenso vorgestellt, wie Orte religiöser Prägung, die nur einer kleinen ausgewählten Gruppe von Menschen vorbehalten sind.

Spannend die Geschichten dahinter, weshalb in Frankreich etwa ein Postbote sein Mausoleum errichtet hat oder der Gottesdienst seinen Weg ins Internet gefunden hat. Hat wer vielleicht Angst vor dem Tod, gibt es inzwischen die Möglichkeit sich einfrieren zu lassen. Nachhaltigkeit gibt es jedoch auch ganz und gar, zum Beispiel in Spanien. Dort wird eine Kathedrale aus Müll errichtet.

Aus der Ferne sieht es aus wie ein überdimensionierter Schrotthaufen – ein wildes Gewirr von Metallstäben, die spitz in die Höhe ragen. Dabei ist es das Nationalheiligtum Litauens.

Johann Hinrich Claussen: Die seltsamsten Orte der Religionen

Vornehmlich christliche Orte werden hier aufgelistet, was dann auch einer der wenigen Kritikpunkte ist, immer mit Ortsangabe und kurzem, überhaupt nicht trögen geschichtlichen Abriss. Manifestifikationen anderer Religionen sind Einsprengsel und werden in wenigen Beiträgen erörtert. Schade, dabei gibt es gerade auf diesem Gebiet sicher so viel zu entdecken, wenn es auch nicht für jeden ein Besuch im indischen Rattentempel sein muss.

Sachlich und wohlwollend sind die Schilderungen. Kritik schimmert kaum durch, doch zeigt Claussen durchaus Wege auf, die Menschen konsequent gegangen sind, wenn diese sich verstoßen oder ausgegrenzt, wahlweise auch erleuchtet gefühlt haben, um ihrem Glaube Ausdruck zu verleihen.

Das funktioniert im Großen und Ganzen, wenn auch einige Längen beim Lesen entstehen, die jedoch den Blick über den Tellerrand schärfen. Und, wer weiß? Vielleicht begibt sich ja der eine oder andere Leser selbst einmal auf Entdeckungsreise. Der Autor zeigt zumindest, dass sich ein Trip da und dorthin durchaus lohnen kann.

Autor:

Johann Hinrich Claussen wurde 1964 in Hamburg geboren und ist ein deutscher evangelisch-lutherischer Theologe und Autor. Er studierte evangelische Theologie in Tübingen, Hamburg und London, promvierte dort im Jahr 1996.

Im selben Jahr wurde er zum Pastort ordiniert, habilitierte sich 2005 an der Universität Hamburg und lehrte dort als Privatdozent. Claussen ist Beauftragter im Rat der EKD für Kultur und leiter des dort dafür zuständigen Büros. Für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften schreibt er regelmäßig Beiträge. Eines seiner ersten Werke erschien im Jahr 2004.

Illustrator:

Lukas Wossagk ist seit 2012 als freiberuflicher Illustrator und Grafiker tätig, unter anderem für Projekte der Stadt München. Zudem wirkte er bereits mehrfach für im C.H. Beck Verlag erschienene Werke.

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