Geschichte

Oliver Rathkolb: Schirach – Eine Generation zwischen Goethe und Hitler

Inhalt:

Baldur von Schirach sprach von Blut und Ehre, vom Wunder der Kameradschaft und von der Kraft der Fahne. Und er machte Adolf Hitler zum geliebten „Führer“, der das deutsche Volk groß, frei und glücklich machen würde. Eine ganze Generation sang seine Lieder, trommelte und turnte und marschierte mit ihm. Als Reichstatthalter hielt er Hof in Wien, die Deportation der jüdischen Bevölkerung sah er als seinen „aktiven Beitrag zur europäischen Kultur“. Oliver Rathkolb gibt die Geschichte einer schillernden NS-Karriere wieder, die unmittelbar in das Herz des „Dritten Reiches“ führt und viele Fragen aufwirft. (Klappentext)

Rezension:

Während andere Biografien viel mehr Aufarbeitung erfahren, sich mit Lebenswegen auf verschiedene Art und Weise auseinandergesetzt wurde, erfuhren andere bisher wenig Beachtung, wobei auch deren Aspekte wichtig sind, um zu verstehen, wie ein Regime wie das der Nationalsozialisten in Deutschland entstehen und seine Macht festigen, die Welt in eine Katastrophe stürzen konnte. In diesem Falle ist ein ganz entscheidender Baustein die Indoktrinierung der Jugend gewesen. Der österreichische Historiker Oliver Rathkolb hat sich nun aufgemacht, Aufstieg und Fall von Baldur von Schirach zu beleuchten, der dies zu verantworten hatte.

Einfach aufgrund der Auswahl der Thematik schon ist dieses Sachbuch sehr besonders, da im Gegensatz zu etwa Hitler selbst, Hitler oder Sperr, die Rolle des Mannes vergleichsweise im Dunkeln liegt, der kurzzeitig als eine der Nachwuchshoffnungen des Dritten Reiches galt und auch dazu beitrug, dass sich dieses grausame Regime so lange halten konnte.

Der Historiker hat sich dabei entlang eines Zeitstrahles gehangelt und geht in die Familiengeschichte von Schirachs weit vor dessen Geburt zurück, um die Hintergründe darzustellen, die Übernahme und Weiterentwicklung damaliger antisemitischer Vorstellungen, wie sie in verschiedenen Gesellschaftsschichten populär waren, aber auch einen der Grundsteine aufzuzeigen, die später Hitlers Paladin als einem der Punkte der Verteidigungsstrategie im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess dienen sollte, was dazu führte, dass von Schirach nicht zum Tode verurteilt wurde.

Minutiös wird die Annäherung an Hitler dargestellt, ebenso die Ideologisierung, aber auch der stetige Konkurrenzkampf und die Intrigen innerhalb der Führungsriege des Regimes. Zugleich erläutert der Autor hier Brüche ausführlich und zeigt, warum die Aufarbeitung des Nationalsozialismus gerade im Wien nach dem Krieg mit Problemen behaftet war. Auch dafür liegen die Grundlagen in von Schirachs Wirken.

Dies ist so detailreich wie einprägsam dargestellt, dass es eine lohnend ergänzende Lektüre zur bereits vorhandenen Aufarbeitungsliteratur ist. Auch versteht man dadurch, warum gerade von einer ganzen Generation indoktrinierter Jugendlicher in den letzten Kriegstagen an einigen Orten grausame Taten ausgeübt wurden, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben.

Sachlich und nüchtern hat hier Oliver Rathkolb das zwiespältige Porträt eines Menschen zusammengestellt, der ausschlaggebend für die Ideologisierung eines verbrecherischen Regimes war, sowie für den Tod von Hunderttausenden. Interessant ist zudem der noch zu wenig beleuchtete Kunstraub der Nazis und die Vereinnahmung kulturellen Lebens, welches ebenso ausführlich beleuchtet wird. Alleine dies schon ein Kapitel, weshalb sich die gesamte Lektüre lohnt.

Autor:

Oliver Rathkolb wurde 1955 in Wien geboren und ist ein österreichischer Historiker. Nach Studien der Rechtswissenschaften und Geschichte in Wien war er wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Bruno Kreisky Archiv und übernahm 1992 die Funktion des dortigen Wissenschaftskoordinators.

1984 bis 2005 war er wissenschaftlicher Angestellter des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Gesellschaft, 1993 habilitierte er und übernahm die Lehrbefugnis als Dozent für Neuere Geschichte unter Berücksichtigung für Zeitgeschichte im Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Nach verschiedenen Funktionen übernahm er eine Forschungsprofessur der Universität Havard. Er verfasste mehrere Beiträge und Expertisen für Fach- und populärwissenschaftliche Medien und Zeitschriften.

Oliver Rathkolb: Schirach – Eine Generation zwischen Goethe und Hitler Weiterlesen »

Nadja Tomoum: Das Geheimnis des Tutanchamun

Inhalt:

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit – und manchmal birgt er „Wunderbare Dinge“: Mehr als 3300 Jahre hatte niemand gewagt, die Ruhe des Pharao im Tal der Könige zu stören. Dann – am 26. November 1922 – öffnete der britische Archäologe Howard Carter die Gruft des Tutanchamun. Die Schätze, die Carter ans Tageslicht brachte, machten aus seiner Entdeckung ein Jahrhundertereignis.

Sie lieferten Stoff für Schauermärchen über den Fluch des Pharao, Inspirationen für die Glamourwelt der Golden Twenties und Impulse für bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse. Dass sie nichts von ihrem Zauber verloren haben, wird in diesem spannenden Buch über die konfliktbeladene Welt des Tutanchamun, die Suche nach dem goldenen Pharao, die erste globale Mediensensation und die aktuelle Forschung deutlich. (Klappentext)

Rezension:

Das Tal der Könige, Grabstatt mächtiger Herrscher des Alten Ägypten. Seit Jahrhunderten graben hier die Menschen nach den Schätzen längst vergangener Zeiten. Im November 1922 stoßen Arbeiter bei Untersuchungen der Grabstädte Rhamses VI. auf in Stein gehauene Stufen einer mit Schutt verhüllten Treppe. Freigelegt, eine vermauerte Türöffnung mit intakten Siegel.

Der britische Archäologe telegraphiert sofort an seinen Geldgeber, der zuvor für die Finanzierung einer letzten Grabungssaison hatte überredet werden müssen: „Habe endlich wunderbare Entdeckung gemacht. […]“ Ein Satz der in die Geschichte eingehen wird, übertroffen nur von den Funden selbst. Als Herrscher unbedeutend, für die Archäologie ist das Auffinden der Grabstätte des Tutanchamun und dessen Erforschung eine Sensation. Über den Kindkönig, die Entdeckung, deren Auswirkungen und der Erforschung, die bis heute anhält, liegt nun dieses sehr interessante Sachbuch vor.

In ihrer detaillierten Dokumentation beschäftigt sich die deutsche Ägyptologin Nadja Tomoum zunächst mit dem Zeitalter der Pharaonen selbst, bevor sie auf den eigentlichen Hauptgegenstand ihres Werks eingeht. Die Familie des jungen Pharaos wird ebenso beleuchtet, wie dessen kurzes Leben und die Frage, warum ein Grab so lange Zeit beinahe unentdeckt bleiben konnte, während andere Ruhestätten über die Jahrtausende hinweg fast vollständig geplündert wurden.

Danach beleuchtet sie das Leben derer, die diese letztendlich finden sollten, sowie die Auswirkungen auf die Menschen, die nach den Schrecken des Ersten Weltkrieges die Entdeckungen als willkommene Ablenkung aufnehmen würden. Ein kritischer Blick auf die nahezu erste globale Mediensensation wird ebenso geworfen, wie aufgezeigt, wie akribisch und sorgsam Howard Carter und sein Team mit den aufgefundenen Schätzen umgingen.

In ihrem Sachbuch beschreibt Nadja Tomoum die faszinierende Begeisterungsfähigkeit und nicht zuletzt Pionierarbeit Carters und dessen Team, die bis heute fortgesetzt wird, detailliert geht sie auch auf die Auswirkung dieser ersten globalen Mediensensation ein und den Umgang mit den Funden im Vergleich damals zu heute.

Etwa der Frage, ob es bei den sehr fragilen Funden und angesichts der Unwiederbringlichkeit der Schätze nicht besser ist, heuer einen täuschend echt aussehnenden Nachbau der Grabkammer zu besichtigen als das Original, dessen Wandmalereien durch die Feuchtigkeit und den Staub, den die Besuchermassen mit sich bringen, akut gefährdet sind? Müssen auch die Grabbeigaben um die halbe Welt reisen oder sollte man sie nicht besser in Ägypten selbst besichtigen und sich in New York und anderswo nicht mit Repliken begnügen?

Die Autorin stellt in ihrem Buch damit nicht nur das Leben eines Herrschers oder die Arbeiten dessen Entdeckern dar, sondern auch die Grundfragen, denen sich forscher und museale Institutionen auf der ganzen Welt gegenüber sehen. Wie umgehen mit in der Historie, unter welchen Umständen auch immer, außer Landes gebrachten Fundstücken, die zweifellos zum kulturellen Erbe ihrer Herkunftsorte gehören? Wie erhalten, was durch Beschädigungen unwiederbringlich verloren ginge? Welche Methoden damaliger archäologischer Arbeiten sind zu hinterfragen, welche wissenschaftlichen Leistungen gar nicht hoch genug zu honorieren? Zumal Ausgrabungen immer auch mit wissenschaftlicher Grundlagenarbeit verbunden sind und gerade in dieser Zeit ein Umbruch erfolgte, im Umgang mit den Funden.

Sehr kompakt ist die Darstellung, ohne wichtige Details aus den Blick zu verlieren, auch eine einseitige Betrachtung umgeht Tomoum, da viele Perspektiven beleuchtet werden. Hier dreht es sich eben nicht alleine um das Leben des Pharao selbst, oder die Perspektive seines Entdeckers, auch auf die historische und heutige Sicht Ägyptens auf sein kulturelles Erbe wird Bezug genommen. Der Umgang mit den Schätzen alter Herrscher, sie hatte schon immer auch eine politische Komponente. Das ist bis heute so.

Ergänzt wird das aufschlussreiche Sachbuch durch einen farbfototeil und einer Zeittafel, anhand derer sich die Regierungszeit von Tutanchamun einordnen lässt, was noch einmal die Brisanz des Fundes einordnen lässt. Ein umfangreiches Quellenverzeichnis rundet die sehr genaue, doch nicht emotionsfreie, Ausarbeitung an, die ein faszinierendes Stück Entdeckergeschichte einem breiten Publikum zugänglich macht.

Ausschnitt aus „100 Jahre – Der Countdown 1922 – Das Grab des Tutanchamun“

Autorin:

Dr. Nadja Tomoum ist Ägyptologie und Kunsthistorikerin und Ägyptologin. Sie hat viele Jahre in Kairo gearbeitet und war als Museums- und Projektleiterin in In- und Ausland tätig. Ihre langjährige Erfahrung nutzt sie heute als Kulturschaffende und Ausstellungsmacherin im interkulturellen Kontext.

Nadja Tomoum: Das Geheimnis des Tutanchamun Weiterlesen »

Christian Grataloup: Die Geschichte der Welt – Ein Atlas

Inhalt:

Der erste Atlas für das Zeitalter der Globalgeschichte.

Dieser moderne Atlas der Weltgeschichte bringt die Geschichte der Menschheit auf ungewöhnliche Weise ins Bild. Von den Mesopotamiern und alten Ägyptern bis zur Machtentfaltung Chinas im 21. Jahrhundert und dem Klimawandel stellt Christian Grataloup jede Karte mit kurzen Begleittexten in ihren jeweiligen welthistorischen Kontext. So kombiniert das opulente, zum Schmökern einladende Werk neueste globalhistorische Erkenntnisse mit einer attraktiven und regelrecht spannenden Kartografie. (Klappentext)

Rezension:

Mit Atlanten lassen sich sehr leicht Zusammenhänge darstellen und ein Überblick zu verschiedenen Themen gewinnen. Gerade um die Dimension und das Ineinandergreifen historischer Ereignisse und Zeitabschnitte zu verstehen, ist diese Form der Aufbereitung von Wissen geeignet. Der Historiker Christian Grataloup hat den Versuch gewagt, einen gesamtgeschichtlichen Überblick in Kartenform zu schaffen, um so klassische historische Themen zu veranschaulichen, aber auch eher selten behandelte Aspekte, wie etwa die Guerilla-Bewegung in Lateinamerika aufs Tableau zu bringen. Der daraus entstandene Atlas der „Geschichte der Welt“ liegt nun in seiner deutschen Übersetzung vor.

Christian Grataloup: Die Geschichte der Welt – Ein Atlas

Wie jeder klassische Atlas ist dies kein Werk, welches streng hintereinander weggelesen werden soll. Nein, in übersichtlicher Form wird hier geschichtliches Wissen visualisiert. zu jeder Karte findet sich eine kurze zusammenfassende Erklärung, mitunter ein Zeitstrahl zur Verdeutlichung des Verlaufs, die Karten selbst sind sehr übersichtlich gehalten. Die Farbgebung lenkt den Blick aufs Wesentliche. Im Einzelnen sind zwar viele Informationen zu finden, jedoch nicht so, dass man beim Auffinden verloren gehen würde. So lädt das Gesamtwerk zum Stöbern ein, Themen vom geschichtlichen Interesse zu vertiefen, eventuell neue Aspekte der Historie zu entdecken.

Christian Grataloup: Die Geschichte der Welt – Ein Atlas

Die Texte sind kompakt gehalten. Karten können einzeln gelesen werden aber auch eine Beschäftigung mit einer größeren Spanne ist so möglich. Das Werk ist dabei gut einsetzbar zur Ausarbeitung von Vorträgen, sich Zusammenhänge in Erinnerung zu rufen. Hervorgehoben ist dabei die Vielzahl an historischen Inhalten, von Anbeginn der Menschheit bis in die heutige Zeit, so dass diese Ergänzung auch sinnvoll ist. Für Schüler, Studenten, in Bibliotheken und für sonst Interessierte.

Bei der Durchsicht ist nicht aufgefallen, dass etwas gefehlt hätte. Im Gegenteil, einige historische Zusammenhänge dürften vor allem in dieser Darstellungsform nicht wirklich überall bekannt sein. Den historischen Kontext kann solch ein Atlas natürlich nicht bieten, aber als Visualisierung dessen ist er ungemein hilfreich und ein Gewinn im Bücherregal.

Christian Grataloup: Die Geschichte der Welt – Ein Atlas

Autor:

Christian Grataloup wurde 1951 geboren und ist ein französischer Geograf und Historiker. Er ist emeritierter Professor an der Universität Paris VII. Am Institut d’etudes politiques de Paris hat er ebenso gelehrt, wie an den Universitäten von Reims, Dakar, Genf und Lüttich. Grataloup forschte u. a. zur Didaktik der Geografie als auch zur Geogeschichte der Globalisierung. Er ist Autor zahlreicher Werke, die bereits in mehreren Sprachen übersetzt wurde und zeichnet sich für eine Vielzahl von Fachartikeln verantwortlich.

Christian Grataloup: Die Geschichte der Welt – Ein Atlas Weiterlesen »

Frank Engehausen/Michael Erbe (u. A.): Deutsche Geschichte – von der Antike bis heute

Inhalt:
Das große Werk zur deutschen Geschichte – von der Spätantike bis heute

Umfassend und fundiert werden hier 2000 Jahre deutsche Geschichte in acht Epochen dargestellt. Ein Zeitstrahl und eine Einführung zu jedem Kapitel bieten einen Überblick über die Meilensteine und die prägenden Entwicklungen der jeweiligen Zeit. Die über 500 Fotos, Karten, Tabellen, Kurzporträts und Schlüsselbegriffe machen Zusammenhänge deutlich und erwecken deutsche Geschichte zum Leben. (Klappentext)

Rezension:

Gerade die Darstellung historischen Überblickwissens hat des Öfteren den Knackpunkt, dass je mehr man sich der Gegenwart annähert, auf Ereignisse zur Sprache kommt, deren Ausgang man noch gar nicht kennen kann, so dass es einer ständigen Aktualisierung bedarf. Hier endet die Darstellung des Überblicks der deutschen Geschichte mit dem Beginn der Übernahme der Macht einer neuen Regierung nach der der ersten Bundeskanzlerin Angela Merkel, doch zuvor ist viel passiert. Zweitausend Jahre Geschichte hat ein Team von Historikern nun zu einem Lexikon der Historie ausgearbeitet, vom Anbeginn der Antike bis hinein in unsere Zeit. Dargestellt wird unsere Geschichte, welche zugleich auch ein wichtiger Teil europäischer Geschichte ist, in all ihren aufregenden und zuweilen auch grausamen Fascetten.

In acht Abschnitten werden ausführlich Antike und Völkerwanderung, das Mittelalter, das konfessionelle Zeitalter (1495-1648), das Ancien Regime, das bürgerliche Zeitalter, die Zeit der Weltkriege und die Geschichte der deutschen Teilung, sowie der Wiedervereinigung dargestellt. Den Abschluss findet die Betrachtung in den 1990er Jahren bis hin zu den ersten Monaten der Regierung Scholz.

Ausführlich werden Wege beleuchtet, Wendepunkte und Kontraste unserer Geschichte, ergänzt mit zahlreichen Bildmaterial, Karten und Kurzbiografien, sowie ebenfalls an den Seitenrändern herausgestellten Begriffsklärungen. Man kann dies hintereinanderweg lesen oder als Lexikon gebrauchen, wie es wahrscheinlich von vielen Lernenden und Interessierten gebraucht wird. Dabei wird der Fokus nicht nur auf die große Politik gelegt, sondern auch auf Entwicklungen in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur eingegangen, um ein umfassendes Bild zu erhalten.

Autorenkollektiv: Deutsche Geschichte – von der Antike bis heute, Seiten: 512, ISBN: 978-3-411-71020-1, Duden Verlag

Die einzelnen Texte sind von Stil und Machart her einheitlich gehalten, auf den neuesten Stand historischer Forschungen und ohne Vorwissen lesbar, wie dies bereits in vorangegangenen Wissensübersichten des Verlags der Fall ist. Wieder gelingt hier der Spagat zwischen ausführlicher und detaillierter Darstellung und kompakter Aufbereitung. Jedem Kapitel wird ein Zeitstrahl, sowie einer gesonderten Einführung vorangestellt.

Die Bewertung des Werks hierbei darf sich nicht auf den Inhalt als solchen beziehen. Unsere Geschichte ist verlaufen, wie sie es eben ist und die Bewertung derer erfolgt zwangsläufig immer durch ihr Ergebnis und der Betrachtung nachfolgender Generationen. Hier sei aber der sachliche Stil genannt, sowie die Aufbereitung, mit der man eine Bleiwüste verhindert hat. Ist man mit der Lektüre von einigen Abschnitten durch, hat man sich sicher nicht nur einen Gutteil Wissen für die Geschichts- oder auch Deutschprüfung (wenn es da um die historische Komponente geht) angeeignet. Einen modern aufbereiteten Rundumblick griffbereit zu haben, schadet ja nicht.

Insofern ist dies eine sinnvolle Ergänzung für das Regal.

Autorenkollektiv:
Frank Engehausen, Michael Erbe, Kay Peter Jankrift, Jörn Leonhard, Gabriele Metzler, Walter Mühlhausen, Dietmar Schiersner, Axel Schildt und Hans-Ulrich Thamer
(mehr über diese Personen: hier)

Frank Engehausen/Michael Erbe (u. A.): Deutsche Geschichte – von der Antike bis heute Weiterlesen »

Peter Englund: Momentum – November 1942

Inhalt:

Im November 1942 drängt alles auf Entscheidung: Auf der Pazifikinsel Guadalcanal schlagen US-Streitkräfte die japanischen Besatzer zurück; in der Schlacht von El Alamein, Ägypten, werden die deutsch-italienischen Truppen zum Rückzug gezwungen; in Stalingrad wird die deutsche 6. Armee eingekreist.

Peter Englund schildert die Ereignisse in diesem entscheidenden Monat aus der Sicht derer, die sie erlebt haben: darunter ein deutscher U-Boot-Kommandant im Nordatlantik, ein zwölfjähriges Mädchen in Shanghai, ein sowjetischer Infanterist in Stalingrad, ein Partisan in den belarussischen Wäldern, eine Journalistin in Berlin, eine Hausfrau auf Long Island – neben bekannten Figuren wie Sophie Scholl, Ernst Jünger oder Albert Camus. Ein episches Geschichtswerk, das die existenzielle Dimension des Krieges erfahrbar macht. (Klappentext)

Rezension:

Nach der Erzählung eines spannenden Stücks skandinavischer Kriminalgeschichte hat sich der schwedische Historiker und Journalist Peter Englund einem Wendepunkt der Geschichte vorgenommen und seziert die wenigen Wochen, die sich rückblickend als mit entscheidend für den Ausgang des Zweiten Weltkriegs darstellen.

Der November 1942 ließ den Mythos der unbesiegbaren Deutschen ebenso bröckeln, wie die über alles erhabene Weltsicht einiger japanischer Militärs. Zugleich zeigte sich das Organisationstalent und die wirtschaftliche Stärke Amerikas, die zum entscheidenden Faktor des Krieges werden sollte, aber auch der unbedingte Durchhaltewillen der sowjetischen Streitkräfte, die bei Stalingrad auf Entscheidung drängten, sowie die brutale Unmenschlichkeit der Vernichtungslager.

Der Autor berichtet mit der Form des literarischen Sachbuchs und bringt die Perspektiven verschiedener Beteiligter rund um den Globus zur Sprache. Beinahe liest man dies wie einen Roman, hat jedoch ein auf gründlicher Recherche gestütztes Werk, welches unzählige Facetten beleuchtet. So verfolgen wir auch die ersten Schritte auf den Weg zur Atombombe, ebenso wie Leben in ihrem Exil, sowie nur scheinbar fernab aller Fronten die Auswirkungen des Krieges spürend.

Peter Englund beschreibt die Auswirkungen des Krieges auf die von ihm gewählten Protagonisten. Fast nüchtern verfolgt er deren Weg, nimmt sich Zeit, ohne Fäden und Biografien aus den Augen zu verlieren. Eine Karte, die das Innere der beiden Buchdeckel verkleidet, verdeutlicht Dimensionen, zwei Bildteile visualisieren das Erzählte. Die Gefahr, ausschweifend zu werden, ist der Autor durch ständige Perspektivwechsel umgangen, die jedoch zuweilen zum Innehalten zwingen, da zu viele Personen es mit sich bringen, durcheinander gebracht zu werden.

Der erzählte Zeitraum ist übersichtlich, doch ist in den Wochen des November 1942 so viel passiert, dass es sich lohnt, diesen gesondert zu betrachten, wie man es mit ähnlichen zeitlichen Abschnitten des Zweiten Weltkrieges bereits getan hat, oft beschränkt auf nur einem geografischen Raum, Land oder Personenkreis.

Diese Art der Betrachtung so geführt ist dagegen nicht so häufig und kann jene ansprechen, die sonst vor Mammutwerken nüchterner Sachliteratur zurückschrecken, zugleich werden auch in Europa eher unbekanntere Ereignisse zur Sprache gebracht. Wie viel wissen wir denn tatsächlich von den Kriegsgeschehen im asiatischen Raum und dem dadurch beeinflussten Alltag der Menschen, etwa in Shanghai oder Burma, wie viel von den Kämpfen auf den Inseln im Pazifischen Ozean?

So bringt der Autor bekannte und unbekanntere neue Facetten zusammen und gibt einen Überblick, der zwar genug detailschärfe besitzt, sich jedoch nicht im Klein-Klein verliert. Dies ist eine Schwäche seines Werks, zugleich jedoch dessen größte Stärke. Anders erzählt, müsste man sich auf nur einen Schauplatz beschränken oder diese Art des Erzählens zu Gunsten eines sachlicheren Stils aufgeben. Peter Englund ist der Spagat gelungen.

Autor:

Peter Englund wurde 1957 im schwedischen Ort Boden geboren und ist ein skandinavischer Historiker und Schriftsteller. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Archäologie, theoretische Philosophie und Geschichte, arbeitete danach im Nachrichtendienst der schwedischen Armee. 1988 veröffentlichte er ein Buch über die Schlacht bei Poltawa, ein Jahr danach promovierte er mit einer Untersuchung des Weltbilds des schwedischen Adels im 17. Jahrhundert.


Danach war er als Journalist und Korrespondent für verschiedene Zeitungen in Kriegs- und Krisengebieten tätig, veröffentlichte zahlreiche historische Werke und war u.a. Kommentator für Dokumentationen im schwedischen Fernsehen. Seit 2009 war er Mitglied der Schwedischen Akademie, die den Nobelpreis vergibt. Ein Amt, welches er is 2015 innehatte. Mehrere seiner Werke wurden in rund zwanzig Sprachen übersetzt.

Peter Englund: Momentum – November 1942 Weiterlesen »

Elke Lorenz: Machtworte

Inhalt:

Die Geschichte eines Mädchens und ihrer Familie im Osten Deutschlands. Sie wächst nach dem Krieg als Tochter eines der neuen Gesellschaft kompromisslos dienenden Staatsanwalts auf. Immer ist sie konfrontiert mit seiner Wortmacht, seinen Forderungen, seinen Anklagen und Urteilen, seinem Krieg der Worte. Der Mann weiß alles, hört alles, er hat immer recht. Irrte er, war das notwendig gewesen für einen höheren Zweck. Und das Mädchen hat zu folgen, muss vieles durchleben und verstehen. Verletzendes, Böses, Komisches, bis bei ihr aus dem Nachreden ein Nachdenken wird, bis sie als junge Frau andere Worte hat als der Vater für ihr Leben sucht und findet. (gekürzter Klappentext)

Rezension:

Nach dem Tod des Mannes erinnert sich das einstige Kind, inzwischen längst erwachsen, zurück, spürt der über allem schwebenden Frage nach dem Warum nach. Warum dachte, warum handelte der Mann, der ihr Vater gewesen war, so und warum sah er das Leid der ihn umgebenden und ausgelieferten Menschen nicht, die Differenzen zwischen aus einer Ideologie heraus entstandenen Wunschvorstellung und dem Unglück derer, die sich dem nicht fügen konnten oder wollten? Nicht zuletzt seiner eigenen Familie.


Elke Lorenz beschreibt in „Machtworte“, ihrem neuen zeithistorischen Roman, der fiktives Geschehen mit eigenen Lebenserfahrungen verbindet, wie ein vorgegebenes gesellschaftliches Bild nicht nur eine Gesellschaft zerbrechen lässt, sondern auch jene auseinanderbringt, die sich eigentlich am nächsten stehen sollten. Diese Elemente sind hier verbunden mit einer eindrücklichen Coming-of-Age-Geschichte, einer kompakt formulierten Familienhistorie, die sich so oder ähnlich, im übertragenen Sinne, in vielen Familien Ostdeutschlands abgespielt haben dürfte.

Die Autorin, die sich in der Rolle des Mädchens begibt, erste Arbeiten entstanden dabei bereits Mitte der 1980er Jahre, als noch längst nicht abzusehen war, dass ein paar Jahre später ein komplettes Staatensystem in sich zusammenfallen würde, beschreibt dabei nüchtern den sich wandelnden Denkprozess. Zunächst möchte das Mädchen gerne glauben, doch schon da ist Angst das bestimmende Gefühl. Noch nicht vor den langen Armen eines Landes seinen Feinden gegenüber, hier noch in der Gestalt des Vaters, der von Beginn an unnahbar erscheint. Mit den Jahren schlägt Glaube in Erkennen um. Reife macht das Loslösen, nicht zuletzt vom Weltbild des Mannes möglich. Probleme folgen auf den Fuß. Wie integer und selbst bestimmend bleiben, in einem Land, welches alles unter Kontrolle haben möchte?

Trotz dem die Geschichte vor allem aus einer Perspektive heraus erzählt wird, werden die Sichtweisen der elterlichen Figuren vorangestellt, um einen Teil des Rahmens zu bilden, der erst gegen Ende geschlossen wird und in dem sich die Protagonistin bewegt. Lorenz gelingt damit der Versuch, die Erzählung nicht einseitig verkommen zu lassen, sondern eine Erklärung zu liefern, warum die dem Mädchen umgebenden Erwachsenen so handeln, gleichzeitig wird die charakterliche Stärke ihrer Hauptfigur um so besser herausgearbeitet. Der Tonfall. der die sich über Jahre abspielenden Handlung erzählt, ist nüchtern gehalten, stellenweise arg kalt. Die Autorin verliert kein Wort zu viel und versteht es schnörkellos ohne Ausschweifungen zu erzählen.

Elke Lorenz gibt nicht vor, wie ihre Leserschaft die beschriebene Zeit zu werten haben, zeigt jedoch, warum bestimmte Personen so handelten, wie sie gehandelt haben und was dies mit jenen machte, die darin eben nicht ihr Glück sahen. Sie zeigt im Kleinen die Differenzen einer Gesellschaft auf, die mit den Jahren immer mehr nur nach Außen eine Einheit darstellte, am Ende nicht einmal das vermögen konnte.

Die Sympathiepunkte liegen klar auf Seite der erzählenden Protagonistin, auf alle anderen Figuren muss diese nur reagieren. Mal sind die dunklen Flecke größer, mal ist die Weste tiefschwarz. Oder eben rot, wenn wir bei dem Zeitstrang bleiben. Man kann eigentlich nicht anders, als mit der Hauptfigur mitzufühlen, zu leiden, zu kämpfen. Da die Geschichte aus einer Art Rückblende heraus erzählt wird, ist von Anfang an klar, dass die erzählende Perspektive allwissend ist, auch den Lesenden sollte schnell bekannt werden, wohin das alles führt, zumal wenn der zeitliche Kontext bekannt ist. Die Autorin verklärt nichts, gibt jedoch Einblicke auch in jene, die wirklich an bestimmte Mechanismen dieses Systems glaubten. Das ist teilweise sehr beklemmend zu lesen, zumal aus ostdeutscher Perspektive. Hier wären noch andere Lese-Perspektiven interessant.

Die Autorin beschreibt vor allem die Mechanismen einer Gefühlswelt, die sich nach allen Seiten eingeschränkt sieht. So was muss man mögen, um in die Erzählung komplett eintauchen zu können. Dann jedoch werden Figuren und Schauplätze lebendig. Nicht nur die beschriebene Wohnung ist plötzlich beengend.

Der Roman zeigt ganz klar eine Perspektive von vielen und spricht damit nicht nur ostdeutsche Lesende an, sondern alle, die verstehen und begreifen wollen. Den zeitlichen Kontext ausgetauscht, dazu bestimmte Begrifflichkeiten und schon könnte die Erzählung in jedem anderen autoritären Staatswesen spielen. Dabei wirkt das Ende der Erzählung dann doch eine Spur zu einfach. Ansonsten ist Elke Lorenz, nicht zuletzt durch eigene, eingearbeitete Erfahrungen, mit „Machtworte“ eine abgerundete Geschichte gelungen.

Autorin:

Elke Lorenz, geb. 1950, studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete danach drei Jahre lang in einer Kreisredaktion. Es folgten erste literarische Arbeiten. Nach der Wende war sie verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Bautzen. Seit 2009 widmet sie sich wieder vermehrt ihrer schriftstellerischen Arbeit. „Machtworte“ ist ihr Debütroman. Elke Lorenz lebt in Wuischke am Czorneboh bei Bautzen.

Elke Lorenz: Machtworte Weiterlesen »

Charlotte Schallie (Hrsg.): Aber ich lebe

Inhalt:

Emmie Abel überlebte als kleines Mädchen die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen. David Schaffer entkam dem Genozid in Transnistrien, weil er sich nicht an die Regeln hielt. Die Brüder Nico und Rolf Kamp versteckten sich in den Niederlanden dreizehn Mal vor ihren Mördern. Zusammen mit den Überlebenden haben drei international bekannte Zeichner:innen deren Geschichten in Graphic Novels erzählt, die unvergesslich vor Augen führen, was der Holocaust für Kinder bedeutete – und nicht nur für sie. (Klappentext)

Rezension:

Immer weniger Zeitzeugen gibt es, die uns und vor allem den nachfolgenden Generationen erzählen können, wie es war, aufzuwachsen, inmitten des Holocausts, einem unvorstellbaren Terror ausgeliefert zu sein, in dem ein winziger Moment des Zögerns, eine falsche Entscheidung, ein unvorsichtiger Augenblick den Tod bedeuten konnte. Um so wichtiger ist es, deren Erinnerungen festzuhalten und sie so aufzubereiten, dass Interesse geweckt wird und die Geschichten der Erzählenden im Gedächtnis bleiben.

In einer Mischung aus Sachbuch und Graphic Novel versuchen dies mit „Aber ich lebe“ drei Illustratoren, die zusammen mit ihren Interview-Partnern deren Kindheit nachspüren und fangen mit unterschiedlichen Zeichenstilen sehr individuell deren und nicht zuletzt ihre eigenen Eindrücke ein, bevor am Ende der Streifzüge eine Nachbereitung in Textform eingefügt ist.

Zunächst Barbara Yelin, die die Geschichte von Emmie Arbel nachspürt. In düsteren und dunklen Farben erzählt sie die Geschichte des kleinen Mädchens, welches kaum alt genug ist, um zu begreifen und doch schon gelernt hat, zu überleben. Frohe Momente, sowie die heutige Zeit sind dagegen hell gehalten. Die Konturen verschwimmen, wenn Erinnerungen diffus werden, der Blick verliert sich in Details. Wie wirken Schrecken und Grauen der Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter hinein?

But I live / Barbara Yelin über Emmie Arbel

Eine andere Facette beleuchtet Miriam Libicki. Sie erzählt die Geschichte von David Schaffer, der am anderen Ende Europas den Folgen des Holocausts entkam. Die Zeichnerin setzt auf klare Konturen, im Gegensatz zu Yelin, auch die Farben sind leuchtender, heller gehalten. Hier ist es der Hintergrund der an detailschärfe verliert, während die Figuren immer fassbar und bestimmt bleiben. Manche Zeichnungen wirken beinahe holzschnittartig, als würde man mit Puppen das Erlebte lebendig werden lassen. Im Gegensatz zur ersten Geschichte bindet sich Libicki nicht ein, um Kontrast und Wirkung zu schaffen.

Zuletzt, die Erinnerungen von Rolf und Nico Kamp, erzählt von Gilad Seliktar. Die Zeichnungen sind in bläulichen und gelblichen Tönen gehalten und wirken beinahe wie ältere Fotos. Auch dieser Stil weiß eine, nein eigentlich zwei, Geschichte eindrucksvoll in Szene zu setzen, wobei natürlich alle drei Geschichten auf ihre Art in Erinnerung bleiben werden.

„Aber ich lebe – Vier Kinder überleben den Holocaust“, nach den Erinnerungen von Emmie Arbel, David Schaffer, Nico Kamp und Rolf Kamp (Quelle: C. H. Beck)

Diese sind dann auch nicht zu werten. Erlebt ist erlebt, wobei die Konzentration auf einzelne Szenen liegt. Keine Geschichte ist mit der anderen zu vergleichen und doch haben sie alle etwas gemeinsam. Das Ziel der Mitwirkenden ist in jedem Fall erreicht, um so mehr noch als auch der Entstehungsprozess, das Zusammenfinden der Zeichnenden mit Machern und Zeitzeugen illustriert dargestellt wird und eine Nachbereitung in Textform die weitergehenden Biografien von David Schaffer, Nico und Rolf Kamp, sowie Emmie Arbel beleuchtet.

Hier ist das Kunststück gelungen, Geschichte für die Nachwelt modern aufzubereiten, nicht nur für Kinder und Jugendliche. Im Englischen gibt es wohl dazu auch begleitendes Unterrichtsmaterial. Mit der Konzentration der Illustrierenden auf einzelne Punkte der Erinnerungen der Zeitzeugen werden zudem bestimmte Aspekte herausgestellt, zudem ein schwieriges Thema niedrigschwellig und doch anspruchsvoll aufbereitet.

Diese Art, Geschichte zu erzählen, funktioniert wunderbar, wenn die Zeichnenden, wie hier, nicht den Menschen aus den Blick verlieren. So reiht sich „Aber ich lebe“ gut ein, zu den Büchern gegen das Vergessen. Wünschenswert wäre es, noch mehr Werke dieser Art zu schaffen.

Leseprobe des Verlags: hier klicken

Verantwortliche:

Charlotte Schallié ist Professorin an der University of Victoria in Kanada und unterrichtet sowohl Germanistik als auch Holocaust Studies. 1965 in Toronto, Kanada geboren, wuchs sie in der Schweiz auf und studierte zunächst Geschichte und Germanistik in Vancouver. Sie veröffentlichte mehrere Werke u. a. zur Schweizerischen Geschichte im Zweiten Weltkrieg.

Barbara Yelin wurde 1977 in München geboren und ist eine deutsche Comic-Künstlerin. Sie studierte zunächst Illustration in Hamburg und zeichnete mehrere Comic-Geschichten, die in verschiedenen Zeitungen und Anthologien erschienen. 2012 erhielt sie eine Gastprofessor an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, 2013-2015 war sie Dozentin in Erlangen.

Miriam Libicki ist Autorin der Graphic Novel „Jobnik!“ über ihren Wehrdienst in Israel sowie zahlreicher Nonfiction Comics. Sie wurde 2017 mit dem Vine Award for Canadian Jewish Literature ausgezeichnet.

Gilad Seliktar illustriert Kinderbücher, zeichnet Comics und Illustrationen für verschiedene israelische Zeichnungen unnd wurde 2018 bei der Vergabe des Israel Museum Ben-Yitzhak Award ausgezeichnet. Er ist autor mehrerer Graphic Novels und lehrt in Jerusalem an der Bezalel Academy of Arts and Design.

Sie erzählen die Geschichten von Emmie ArbelRolf und Nico Kamp, sowie David Schaffer.

Für externe Inhalte wird keine Haftung übernommen, diese gehören den Erstellern.

Charlotte Schallie (Hrsg.): Aber ich lebe Weiterlesen »

Karl Schlögel: Terror und Traum – Moskau 1937

Inhalt:

Schauprozesse und Massenverhaftungen markieren den Höhepunkt von Stalins diktatorischer Herrschaft. Im Schatten des Terrors aber scheint der Traum einer neuen Gesellschaft Gestalt anzunehmen: Gigantische Bauprojekte verändern das Stadtbild, sowjetisches Hollywoodkino, Fliegerhelden und Sportspektakel begeistern die Massen. Karl Schlögels neues Meisterwerk schildert ein russisches Schicksalsjahr, das in der europäischen Geschichte tiefe Spuren hinterlassen hat. (Klappentext)

Rezension:

Im Blick auf die Zivilisationsbrüche der 1930er Jahre herrscht eine auffallende Asymmetrie. Eine Welt, der sich im kollektiven Gedächtnis nach dem Zweiten Weltkrieg Namen wie Dachau, Buchenwald und Auschwitz eingeprägt hatten, fehlen oft Workuta, Kolyma oder Magadan. Auch in Stalins Riesenreich vollzog sich ein totalitärer Wandel, dessen Opfer spätestens mit der Festigung des Eisernen Vorhangs zum zweiten Mal hinter einer Mauer des Schweigens verschwanden und erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der zaghaften Öffnung von Archiven wieder zum Vorschein kamen.

Dabei ist das Moskau 1937 ein Schauplatz europäischer Geschichte, viel facettenreicher und durchmischter, als das die damaligen Machthaber wahrhaben wollten. Die Welle des Terrors, mit der Stalins getreue, die nicht selten selbst derer Opfer wurden, fegte um so heftiger über die Metropole an der Moskwa hinweg. Der Historiker Karl Schlögel zeichnet dies nach und schaut dabei nicht nur auf die großen Schauprozesse, sondern auch auf eine immer mehr verängstigte Gesellschaft im erzwungenen Wandel.

Das sehr detaillierte Sachbuch des Osteuropa-Historikers Karl Schlögel erfährt, 2008 erstmals erschienen, durch die tagespolitischen Ereignisse eine Aktualität, die ihres Gleichen sucht, ist die Geschichte der Stalinschen Terrors doch untrennbar mit dem verbunden, was danach passieren sollte, auch, was passiert, wenn Verarbeitungs- und Erinnerungskultur nicht in dem Maße wirken können, wie dies in der Mitte des europäischen Kontinents in Sachen Holocaust der Fall ist.

Dabei wagt der Autor einen Rundumblick, soweit es damals schon die geöffneten Archive in Russland zugelassen haben und führt die Leserschaft ein, in ein pluralistisches Moskau, welches es nach 1937 so nicht mehr gab. Schlögel zeigt eine Vielfältigkeit auf, die sich nicht nur in Architektur und Fortschrittsglaube widerspiegelte, sondern auch in Kunst und Kultur, sowie Technik. Der junge Staat wollte sich der Welt präsentieren, zugleich die Machthaber im Kreml ihren Status sichern und festigen. Kapitel für Kapitel beschreibt Schlögel einzelne Aspekte des gesellschaftlichen Kosmos‘ einer Metropole, die im Zuge des Stalinschen Terrors in seine Bestandteile zerfiel. Das letzte Adressbuch für lange Zeit, 1936, steht am Anfang dessen, sowie Kongresse und Ausstellungen, die die Welt bewegten, während anderswo in Europa bereits zuvor dunkle Wolken dem vorauseilten, was später die Welt in den Abgrund stürzen sollte. Danach folgte nur noch Terror, mit all seinen schrecklichen Folgen.

Der beschriebene Zeitraum ist überschaubar, nicht so sehr die geschehenen Ereignisse und beleuchteten Perspektiven, deren Biografien abrupt 1937/38 endeten. In seinem Standardwerk nimmt sich der Historiker Zeit für einzelne gesellschaftliche Aspekte, die Beschränkung liegt allein im stadtgeografischen Raum, den Stalins Getreue mit Gewalt umformen wollten. Hier versinkt man in Details, was sehr nüchtern, teilweise sehr schwerfällig zu lesen ist, doch auch so sein muss, wenn man ein umfassendes Gesamtwerk erhalten möchte.

Fragen kommen auf, wie jene, warum selbst ehemalige Minister und Beamte, die an der ersten Terrorwelle beteiligt waren, in Schauprozessen angeklagt, selbst absurde vorgefertigte Geständnisse und Schuldbekenntnisse unterschrieben? Im Wissen um die Mechanismen des Machterhalt Stalins. Der Historiker beleuchtet das Geschehen an verschiedenen Schauplätzen Moskaus, den Blick der Einheimischen, der alten und der neuen Elite Russlands, sowie die Betrachtung der Emigranten und Exilanten, den Blick Amerikas auf das neue Moskau, sowie diesem auf sich selbst. Nach und nach setzt Schlögel hier ein Puzzle zusammen, welches abrupt zum Stillstand kam, als ein anderes Land Europa mit Gewalt und Terror überziehen sollte.

Karl Schlögel spricht hier den interessierten Laien mit Vorkenntnissen an, sowie Kenner der Historie und hat mit seinem geschichtlichen Standardwerk Grundlage für Diskussionen und weitere Betrachtungen gelegt, denen sich Andere annehmen können. Vieles von dem, was später in der Sowjetunion passierte, wäre ohne das Jahr 1937 nicht denkbar. So ganz ohne Vorkenntnisse geht es jedoch nicht, die mit Quellen gut unterfütterte Lektüre, ergänzt durch eine historische Karte des Schauplatzes, ist ohne dies nicht leicht lesbar. Zu viele Namen mussten erwähnt, zu viele Biografien und gesellschaftliche Aspekte beleuchtet werden.

Die Lektüre, die nur vor allem die Konzentration der Lesenden gewinnt, ist erhellend. Fraglich nur, wie viele Fakten letztendlich hängen bleiben und was die noch ausführliche Betrachtung eines einzelnen Aspekts des gesellschaftlichen Wandels Moskaus noch zusätzlich für Erkenntnisse bringt. Hier ist die Grundlage dafür, dies auszuprobieren und um sich, in turbulenten Zeiten, neue Perspektiven zu schaffen. In diesem Sinne, zu empfehlen.

Autor:

Karl Schlögel wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Historiker und Publizist. Er studierte u. a. Soziologie, osteuropäische Geschichte und Slawistik in Berlin und schrieb seine Dissertation über Arbeiterkonflikte in der Sowjetunion nach Stalin. 1982 ging er als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Moskau, wo er sich mit der Geschichte der russischen Intelligenzija im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigte, arbeitete anschließend als Privatgelehrter und freier Mitarbeiter für den Rundfunk.

Er veröffentlichte dort, sowie in mehreren Magazinen und Zeitungen, bevor er eine Professur für Osteuropäische Geschichte in Konstanz erhielt, sowie 1995 die selbe in Frankfurt/Oder. Von 2003 bis 2005 war er dort Dekan der Kulturwissenschaftlichen Universität.2013 wurde er emeritiert. Er konzipierte mehrere Ausstellungen und Zeitschriften mit, war Mitglied der Jury des Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und beschäftigt sich seit Beginn der Krimkrise intensiv mit der Geschichte der Ukraine. 2013 wurde er mit der Puschkin-Medaille ausgezeichnet, welche er 2014 ablehnte. 2018 erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse, ein Jahr darauf den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

Karl Schlögel: Terror und Traum – Moskau 1937 Weiterlesen »

Jürgen Meier: Wöbkenbrot und Pinselstrich

Inhalt:

Johannes Becker beginnt 1910 ein Ingenieurstudium in Chemnitz und heiratet kurz darauf. Als er zunehmend der völkischen Ideologie der Nationalsozialisten verfällt, wendet sich seine Frau von ihm ab. Ähnlich zerrissen ist die Familie Meyer in Ostwestfalen. Der Vater Karl nutzt die Machtübernahme der Nazis aus, um sich an jüdischem Eigentum zu berreichern. Sein Sohn Gottfried folgt ebenfalls seiner Begeisterung für die Nazis und zieht in den Krieg. Er lernt Ingeborg Becker kennen und heiratet sie. Aus Krieg und Hitlerzeit hat er nichts gelernt, sein Sohn Georg aber will es besser machen und schließt sich 1970 der Studentenbewegung an. (abgewandelte Inhaltsangabe).

Rezension:

So ausufernd wie einstweilen Thomas Mann muss man gar nicht schreiben, wenn man eine fiktive Familiengeschichte mit all ihren höhen und Tiefen, Wandlungen und innerer Zerissenheit zu Papier bringen möchte, auch nicht, wenn man den Personenkreis erweitert. Jürgen Meier zeigt in seinem Roman „Wöbkenbrot und Pinselstrich“ dass das auch anders geht und beschreibt so ganz nebenbei die Herausforderungen, Schrecken und Wandlungen des vergangenen Jahrhunderts.

Der leicht gängige Familienroman wechselt zwischen den Perspektiven und Generationen, beginnt 1910. Fortschrittsglaube manifestiert sich in den neuen Errungenschaften der Technik, Ingenieure werden gesucht. Hoffnungsvoll schaut der junge Johannes, ersterer einer interessanten Reihe von Protagonisten in die Zukunft, noch nicht ahnend, dass bereits dunkle Schatten über Deutschland heraufziehen. Eingenommen von der Figur, deren Enthusiasmus aber auch Unsicherheiten der Autor fein herausgearbeitet hat, steigen wir in die Geschichte ein, die zu einem wahren Wechselbad der Gefühle verkommt. Das Erzähltempo passt sich dem an. Sprünge wechseln sich ab mit nachdenklichem Innehalten.

Der Perspektivwechsel zwischen den Figuren aus den zwei Familien, deren Wege sich kreuzen werden, bringt die Dynamik einerseits, wie auch die beschriebenen Generationswechsel. Jürgen Meier versteht es, die Zeiten greifbar zu machen. Hervorzuheben sind besonders seine Beschreibungen des Konflikts und einzelner Abschnitte, wie etwa die unmittelbare Nachkriegszeit, das Nichtsehenwollen des geschehenen Unrechts, aber auch Anspielungen eben der im Klappentext anklingenden Bereicherung von deutschen Familien an jüdischem Besitz. Hier wirkt die Erzählung besonders bedrückend.

Dabei beschränkt sich der Autor nicht nur auf eine Sichtweise, sondern bringt mit einer Vielzahl an Figuren unterschiedliche Perspektiven hinein, die für eine gewisse Dynamik sorgen, nicht zuletzt für gewisse Exkurse in Kunst und Philosophie, die man vielleicht nicht unbedingt beim Aufschlagen des Romans erwartet. Hier kommt das künstlerische Schaffen des Schreibenden durch, der damit an den richtigen Stellen Ruhe einbringt.

Das kann man als Einlassung nehmen, jedoch auch als Meta-Ebene für die jeweils beschriebene Zeitepoche, muss man jedoch mögen. Hier wird wichtig, wie und als was man diesen Roman lesen möchte. Konzentriert man sich auf die Familiengeschichte, setzt den Fokus eher auf die Beschreibungen gesellschaftlichen Wandels oder hat Freude an Kunst und Philosophie? Für jeden ist etwas dabei. So klar habe ich das bisher jedoch nur selten gelesen.

Das Werk orientiert sich am historischen Verlauf der jüngeren Geschichte, so dass Wendungen allein durch das Denken und Handeln der einzelnen Figuren entstehen. Sprachlich wird man zudem über den Dialekt des Östwestfälischen Platts stolpern, in dem einzelne Sätze und Passagen formuliert sind. Sicher eine besondere Herausforderung für das Lektorat, welches wahrscheinlich jedes Wort nachschlagen musste. Für uns Lesende gibt es jedoch eine Art Glossar hintenan mit der Übersetzung ins Hochdeutsche.

Die Protagonisten, mit all ihren Ecken und Kanten, sind nachvollziehbar. Niemand ist hier durchgängig Sympathieträger. Perfektionismus gibt es im realen Leben nicht. Entscheidungen und Handlungen, oft genug die falschen, sind es, die uns zudem machen, was wir sind. Wusste schon Dumbledore aus den Romanen um Harry Potter. Hier gilt das auch. Nicht nur das macht Lust auf mehr. Man darf auf Fortsetzungen gespannt sein.

Ach so, was ist jetzt nun eigentlich Wöbkenbrot? Vielleicht so viel, eine Spezialität, unter der vor allem Menschen aus Ostwestfalen zu leiden haben. Aber hat nicht jede Region, die an kulinarischer Abstrusität kaum zu überbieten sind? Wer genießen möchte, bleibt vielleicht besser bei dieser Erzählung.

Autor:

Jürgen Meier lebt in Hildesheim und ist ein deutscher Schriftsteller und Dokumentarfilmer. Er schloss 1973 ein Studium „Intermedia“ in Bielefeld ab und arbeitete anschließend als PR-Werbechef am Stadttheater Hildesheim. Er gründete die Werbeagentur Aickele & Meier. Seit 1997 ist er selbstständiger Autor und Journalist. Von ihm liegen Theaterstücke, Buchveröffentlichungen und Theaterstücke vor.

Jürgen Meier: Wöbkenbrot und Pinselstrich Weiterlesen »

Yara Nakahanda Monteiro: Schwerkraft der Tränen

Inhalt:

Was löst es aus, in einen Kampf hineingeboren zu werden, der nicht der eigene ist – und der doch alles beeinflusst?

Vitorias Leben besteht aus Erinnerungen. Aus Bildern, Gerüchen, dem Geschmack von saurer Milch. Da sind die Säulen eines Traumas, das sie nicht überwinden kann. Vitoria flieht während des Kriegs für die Unabhängigkeit Angoas mit ihren Großeltern nach Portugal, lernt ihre Mutter nie wirklich kennen. Jahre später bricht Vitoria aus, entdeckt die Einzigartigkeit, aber auch Zerrissenheit dieses, ihres Landes, von sich selbst. Ihrer Familie auf die Spur trifft sie in Huambo auf die Geister einer fremden Vergangenheit und muss lernen, dass es Risse gibt, die vielleicht zu tief sind, um noch geflickt zu werden. (Klappentext)

Rezension:

Der Krieg ist überall gleich, macht uns Menschen zu Monstern und bringt in Einigen von uns das beste zum Vorschein, in anderen alles schlechte. Manche der daraus entstandenen Wunden heilen nie. Sinngemäß könnte dies der Untertitel des vorliegenden Romans „Schwerkraft der Tränen“ sein, mit dem sich die portugiesische Autorin Yara Nakahanda Monteiro der Geschichte ihres Geburtslandes Angola und nicht zuletzt ihrer Familie fiktionalisiert annähert.

Im Zentrum der Erzählung steht die junge Vitoria, deren Großeltern kurz nach ihrer Geburt mitsamt der Enkelin nach Portugal fliehen, vor den Grausamkeiten des Unabhängigkeitskrieges in ihrer Heimat und den sich anbahnenden Bürgerkrieg. Nun, Jahre später, möchte die nun Erwachsene mehr über ihr Geburtsland erfahren, nicht zuletzt, über Beweggründe ihrer Mutter, die Tochter zu Gunsten eines ungewissen und brutalen Kampfes zu verlassen. Vitoria öffnet sich ein wirres gesellschaftliches Gefüge und entdeckt Wunden, die nie vollständig verheilt sind.

Beinahe in der Form einer begleitenden Reportage erzählt, eröffnet die Autorin ihrer Leserschaft den Blick auf eine Welt, der zumindest im westlichen Gefüge viel zu selten Beachtung und erst in letzter Zeit verdienende Aufmerksamkeit bekommt. Welche Folgen hatten Loslösungsbestrebungen von den Kolonialmächten in Afrika, darauf folgende Kriege und Bürgerkriege nicht nur für einzelne Regionen, sondern auch für die betroffenen Menschen, die von den Ereignissen überrollt und oft auf Generationen hinaus gezeichnet wurden? Aus Sicht der Protagonistin werden diese Risse nach und nach deutlich, wenn sich Vitoria im Verlauf der Geschichte ein immer schärferes Bild ihrer eigenen familiären Vergangenheit bietet.

Dabei bleiben andere Figuren reichlich blass. Monteiro gibt nur wenigen Charakteren Ecken und Kanten, was jedoch dem Erzählstil zu Gute kommt. Die Autorin konzentriert sich auf die innere Gefühlswelt Vitorias und nähert sich dabei ein Stück weit ihrer eigenen Geschichte an. Auch sie hat ähnlich der Hauptfigur als Kleinkind das Land verlassen. Besonders beindruckend wirkt der Text immer dann, wenn die junge Frau sich auf kleine Details, die sie beobachtet, fokussiert. Einzelne Passagen stechen hervor.

Doch, die Autorin verliert sich nicht in Belanglosigkeiten. Das Erzähltempo steigt mit zunehmender Seitenzahl. Kleinere Rückblicke und Konfrontationen erweitern den Blickpunkt der Lesenden, strahlen jedoch immer wieder auf die Protagonistin zurück. Die weiß immer genau so viel, wie auch die jenigen, die dieses Buch in den Händen halten. Übergänge sind sehr harmonisch gezeichnet.

Man fühlt die innere Zerrissenheit der Protagonistin, die die Geschichte ihrer Familie, deren Landes nachspürt, zugleich mittendrin ist und doch außen vor steht. Das chaotische Treiben, Willkür, Korruption, Armut und doch Lebensfreude der Menschen dort, schafft Monteiro sehr plastisch wirken zu lassen. Die Autorin leistet damit einen wertvollen Beitrag der Vergangenheitsbewältigung der mit ihr verbundenen Länder. Erzählt wird dabei die Tragik einer ganzen Epoche in einem Zeitabschnitt aus wenigen Wochen. Vorkenntnisse indes braucht man als Lesender nicht. Monteiros Erzählung steht für so viele Familienschicksale Afrikas im Zeichen der Wende von der Kolonialherrschaft zur Unabhängigkeit, mit all den bekannten Folgen, die dort noch heute zu spüren sind.

Die eine oder andere Konfrontation mehr, in manchen Abschnitten eine noch stärkere Fokussierung hätten der sonst sehr eingängigen Geschichte gut getan, welche dennoch empfehlenswert ist. Vom Erzähl- und Schreibstil, den nachverfolgten und klaren Handlungssträngen und den Spannungsmomenten her, ist dies eine der ersten Geschichten aus der Feder einer portoguiesischen Autorinnen, die mir wirklich gefällt. Ergänzend dazu sei gesagt, angolanische und portugiesische Begriffe werden in einem ergänzenden Glossar erklärt.

Warum man aber die Triggerwarnung, wenn man schon eine schreibt, jedoch in Winzschrift in den hinteren Seiten des Romans versteckt, bleibt wohl Geheimnis des Verlags. Die werden die meisten wohl erst entdecken, nachdem sie das Buch gelesen haben. Dann ist es jedoch zu spät.

Autorin:

Yara Nakahanda Monteiro wurde 1979 in Huambo, Angola, geboren und wuchs in Portugal auf, wo sie schon früh mit dem Schreiben begann. Sie schrieb Drehbücher, Kurzgeschichten und für Podcasts, bevor sie mit „Schwerkraft der Tränen“ ihr erstes Buch veröffentlichte, welches in mehreren Sprachen übersetzt wurde.Nach Stationen rund um die Welt lebt sie heute wieder in Portugal.

Yara Nakahanda Monteiro: Schwerkraft der Tränen Weiterlesen »