Geschichte

Christian Grataloup: Die Geschichte der Welt – Ein Atlas

Inhalt:

Der erste Atlas für das Zeitalter der Globalgeschichte.

Dieser moderne Atlas der Weltgeschichte bringt die Geschichte der Menschheit auf ungewöhnliche Weise ins Bild. Von den Mesopotamiern und alten Ägyptern bis zur Machtentfaltung Chinas im 21. Jahrhundert und dem Klimawandel stellt Christian Grataloup jede Karte mit kurzen Begleittexten in ihren jeweiligen welthistorischen Kontext. So kombiniert das opulente, zum Schmökern einladende Werk neueste globalhistorische Erkenntnisse mit einer attraktiven und regelrecht spannenden Kartografie. (Klappentext)

Rezension:

Mit Atlanten lassen sich sehr leicht Zusammenhänge darstellen und ein Überblick zu verschiedenen Themen gewinnen. Gerade um die Dimension und das Ineinandergreifen historischer Ereignisse und Zeitabschnitte zu verstehen, ist diese Form der Aufbereitung von Wissen geeignet. Der Historiker Christian Grataloup hat den Versuch gewagt, einen gesamtgeschichtlichen Überblick in Kartenform zu schaffen, um so klassische historische Themen zu veranschaulichen, aber auch eher selten behandelte Aspekte, wie etwa die Guerilla-Bewegung in Lateinamerika aufs Tableau zu bringen. Der daraus entstandene Atlas der „Geschichte der Welt“ liegt nun in seiner deutschen Übersetzung vor.

Christian Grataloup: Die Geschichte der Welt – Ein Atlas

Wie jeder klassische Atlas ist dies kein Werk, welches streng hintereinander weggelesen werden soll. Nein, in übersichtlicher Form wird hier geschichtliches Wissen visualisiert. zu jeder Karte findet sich eine kurze zusammenfassende Erklärung, mitunter ein Zeitstrahl zur Verdeutlichung des Verlaufs, die Karten selbst sind sehr übersichtlich gehalten. Die Farbgebung lenkt den Blick aufs Wesentliche. Im Einzelnen sind zwar viele Informationen zu finden, jedoch nicht so, dass man beim Auffinden verloren gehen würde. So lädt das Gesamtwerk zum Stöbern ein, Themen vom geschichtlichen Interesse zu vertiefen, eventuell neue Aspekte der Historie zu entdecken.

Christian Grataloup: Die Geschichte der Welt – Ein Atlas

Die Texte sind kompakt gehalten. Karten können einzeln gelesen werden aber auch eine Beschäftigung mit einer größeren Spanne ist so möglich. Das Werk ist dabei gut einsetzbar zur Ausarbeitung von Vorträgen, sich Zusammenhänge in Erinnerung zu rufen. Hervorgehoben ist dabei die Vielzahl an historischen Inhalten, von Anbeginn der Menschheit bis in die heutige Zeit, so dass diese Ergänzung auch sinnvoll ist. Für Schüler, Studenten, in Bibliotheken und für sonst Interessierte.

Bei der Durchsicht ist nicht aufgefallen, dass etwas gefehlt hätte. Im Gegenteil, einige historische Zusammenhänge dürften vor allem in dieser Darstellungsform nicht wirklich überall bekannt sein. Den historischen Kontext kann solch ein Atlas natürlich nicht bieten, aber als Visualisierung dessen ist er ungemein hilfreich und ein Gewinn im Bücherregal.

Christian Grataloup: Die Geschichte der Welt – Ein Atlas

Autor:

Christian Grataloup wurde 1951 geboren und ist ein französischer Geograf und Historiker. Er ist emeritierter Professor an der Universität Paris VII. Am Institut d’etudes politiques de Paris hat er ebenso gelehrt, wie an den Universitäten von Reims, Dakar, Genf und Lüttich. Grataloup forschte u. a. zur Didaktik der Geografie als auch zur Geogeschichte der Globalisierung. Er ist Autor zahlreicher Werke, die bereits in mehreren Sprachen übersetzt wurde und zeichnet sich für eine Vielzahl von Fachartikeln verantwortlich.

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Frank Engehausen/Michael Erbe (u. A.): Deutsche Geschichte – von der Antike bis heute

Inhalt:
Das große Werk zur deutschen Geschichte – von der Spätantike bis heute

Umfassend und fundiert werden hier 2000 Jahre deutsche Geschichte in acht Epochen dargestellt. Ein Zeitstrahl und eine Einführung zu jedem Kapitel bieten einen Überblick über die Meilensteine und die prägenden Entwicklungen der jeweiligen Zeit. Die über 500 Fotos, Karten, Tabellen, Kurzporträts und Schlüsselbegriffe machen Zusammenhänge deutlich und erwecken deutsche Geschichte zum Leben. (Klappentext)

Rezension:

Gerade die Darstellung historischen Überblickwissens hat des Öfteren den Knackpunkt, dass je mehr man sich der Gegenwart annähert, auf Ereignisse zur Sprache kommt, deren Ausgang man noch gar nicht kennen kann, so dass es einer ständigen Aktualisierung bedarf. Hier endet die Darstellung des Überblicks der deutschen Geschichte mit dem Beginn der Übernahme der Macht einer neuen Regierung nach der der ersten Bundeskanzlerin Angela Merkel, doch zuvor ist viel passiert. Zweitausend Jahre Geschichte hat ein Team von Historikern nun zu einem Lexikon der Historie ausgearbeitet, vom Anbeginn der Antike bis hinein in unsere Zeit. Dargestellt wird unsere Geschichte, welche zugleich auch ein wichtiger Teil europäischer Geschichte ist, in all ihren aufregenden und zuweilen auch grausamen Fascetten.

In acht Abschnitten werden ausführlich Antike und Völkerwanderung, das Mittelalter, das konfessionelle Zeitalter (1495-1648), das Ancien Regime, das bürgerliche Zeitalter, die Zeit der Weltkriege und die Geschichte der deutschen Teilung, sowie der Wiedervereinigung dargestellt. Den Abschluss findet die Betrachtung in den 1990er Jahren bis hin zu den ersten Monaten der Regierung Scholz.

Ausführlich werden Wege beleuchtet, Wendepunkte und Kontraste unserer Geschichte, ergänzt mit zahlreichen Bildmaterial, Karten und Kurzbiografien, sowie ebenfalls an den Seitenrändern herausgestellten Begriffsklärungen. Man kann dies hintereinanderweg lesen oder als Lexikon gebrauchen, wie es wahrscheinlich von vielen Lernenden und Interessierten gebraucht wird. Dabei wird der Fokus nicht nur auf die große Politik gelegt, sondern auch auf Entwicklungen in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur eingegangen, um ein umfassendes Bild zu erhalten.

Autorenkollektiv: Deutsche Geschichte – von der Antike bis heute, Seiten: 512, ISBN: 978-3-411-71020-1, Duden Verlag

Die einzelnen Texte sind von Stil und Machart her einheitlich gehalten, auf den neuesten Stand historischer Forschungen und ohne Vorwissen lesbar, wie dies bereits in vorangegangenen Wissensübersichten des Verlags der Fall ist. Wieder gelingt hier der Spagat zwischen ausführlicher und detaillierter Darstellung und kompakter Aufbereitung. Jedem Kapitel wird ein Zeitstrahl, sowie einer gesonderten Einführung vorangestellt.

Die Bewertung des Werks hierbei darf sich nicht auf den Inhalt als solchen beziehen. Unsere Geschichte ist verlaufen, wie sie es eben ist und die Bewertung derer erfolgt zwangsläufig immer durch ihr Ergebnis und der Betrachtung nachfolgender Generationen. Hier sei aber der sachliche Stil genannt, sowie die Aufbereitung, mit der man eine Bleiwüste verhindert hat. Ist man mit der Lektüre von einigen Abschnitten durch, hat man sich sicher nicht nur einen Gutteil Wissen für die Geschichts- oder auch Deutschprüfung (wenn es da um die historische Komponente geht) angeeignet. Einen modern aufbereiteten Rundumblick griffbereit zu haben, schadet ja nicht.

Insofern ist dies eine sinnvolle Ergänzung für das Regal.

Autorenkollektiv:
Frank Engehausen, Michael Erbe, Kay Peter Jankrift, Jörn Leonhard, Gabriele Metzler, Walter Mühlhausen, Dietmar Schiersner, Axel Schildt und Hans-Ulrich Thamer
(mehr über diese Personen: hier)

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Peter Englund: Momentum – November 1942

Inhalt:

Im November 1942 drängt alles auf Entscheidung: Auf der Pazifikinsel Guadalcanal schlagen US-Streitkräfte die japanischen Besatzer zurück; in der Schlacht von El Alamein, Ägypten, werden die deutsch-italienischen Truppen zum Rückzug gezwungen; in Stalingrad wird die deutsche 6. Armee eingekreist.

Peter Englund schildert die Ereignisse in diesem entscheidenden Monat aus der Sicht derer, die sie erlebt haben: darunter ein deutscher U-Boot-Kommandant im Nordatlantik, ein zwölfjähriges Mädchen in Shanghai, ein sowjetischer Infanterist in Stalingrad, ein Partisan in den belarussischen Wäldern, eine Journalistin in Berlin, eine Hausfrau auf Long Island – neben bekannten Figuren wie Sophie Scholl, Ernst Jünger oder Albert Camus. Ein episches Geschichtswerk, das die existenzielle Dimension des Krieges erfahrbar macht. (Klappentext)

Rezension:

Nach der Erzählung eines spannenden Stücks skandinavischer Kriminalgeschichte hat sich der schwedische Historiker und Journalist Peter Englund einem Wendepunkt der Geschichte vorgenommen und seziert die wenigen Wochen, die sich rückblickend als mit entscheidend für den Ausgang des Zweiten Weltkriegs darstellen.

Der November 1942 ließ den Mythos der unbesiegbaren Deutschen ebenso bröckeln, wie die über alles erhabene Weltsicht einiger japanischer Militärs. Zugleich zeigte sich das Organisationstalent und die wirtschaftliche Stärke Amerikas, die zum entscheidenden Faktor des Krieges werden sollte, aber auch der unbedingte Durchhaltewillen der sowjetischen Streitkräfte, die bei Stalingrad auf Entscheidung drängten, sowie die brutale Unmenschlichkeit der Vernichtungslager.

Der Autor berichtet mit der Form des literarischen Sachbuchs und bringt die Perspektiven verschiedener Beteiligter rund um den Globus zur Sprache. Beinahe liest man dies wie einen Roman, hat jedoch ein auf gründlicher Recherche gestütztes Werk, welches unzählige Facetten beleuchtet. So verfolgen wir auch die ersten Schritte auf den Weg zur Atombombe, ebenso wie Leben in ihrem Exil, sowie nur scheinbar fernab aller Fronten die Auswirkungen des Krieges spürend.

Peter Englund beschreibt die Auswirkungen des Krieges auf die von ihm gewählten Protagonisten. Fast nüchtern verfolgt er deren Weg, nimmt sich Zeit, ohne Fäden und Biografien aus den Augen zu verlieren. Eine Karte, die das Innere der beiden Buchdeckel verkleidet, verdeutlicht Dimensionen, zwei Bildteile visualisieren das Erzählte. Die Gefahr, ausschweifend zu werden, ist der Autor durch ständige Perspektivwechsel umgangen, die jedoch zuweilen zum Innehalten zwingen, da zu viele Personen es mit sich bringen, durcheinander gebracht zu werden.

Der erzählte Zeitraum ist übersichtlich, doch ist in den Wochen des November 1942 so viel passiert, dass es sich lohnt, diesen gesondert zu betrachten, wie man es mit ähnlichen zeitlichen Abschnitten des Zweiten Weltkrieges bereits getan hat, oft beschränkt auf nur einem geografischen Raum, Land oder Personenkreis.

Diese Art der Betrachtung so geführt ist dagegen nicht so häufig und kann jene ansprechen, die sonst vor Mammutwerken nüchterner Sachliteratur zurückschrecken, zugleich werden auch in Europa eher unbekanntere Ereignisse zur Sprache gebracht. Wie viel wissen wir denn tatsächlich von den Kriegsgeschehen im asiatischen Raum und dem dadurch beeinflussten Alltag der Menschen, etwa in Shanghai oder Burma, wie viel von den Kämpfen auf den Inseln im Pazifischen Ozean?

So bringt der Autor bekannte und unbekanntere neue Facetten zusammen und gibt einen Überblick, der zwar genug detailschärfe besitzt, sich jedoch nicht im Klein-Klein verliert. Dies ist eine Schwäche seines Werks, zugleich jedoch dessen größte Stärke. Anders erzählt, müsste man sich auf nur einen Schauplatz beschränken oder diese Art des Erzählens zu Gunsten eines sachlicheren Stils aufgeben. Peter Englund ist der Spagat gelungen.

Autor:

Peter Englund wurde 1957 im schwedischen Ort Boden geboren und ist ein skandinavischer Historiker und Schriftsteller. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Archäologie, theoretische Philosophie und Geschichte, arbeitete danach im Nachrichtendienst der schwedischen Armee. 1988 veröffentlichte er ein Buch über die Schlacht bei Poltawa, ein Jahr danach promovierte er mit einer Untersuchung des Weltbilds des schwedischen Adels im 17. Jahrhundert.


Danach war er als Journalist und Korrespondent für verschiedene Zeitungen in Kriegs- und Krisengebieten tätig, veröffentlichte zahlreiche historische Werke und war u.a. Kommentator für Dokumentationen im schwedischen Fernsehen. Seit 2009 war er Mitglied der Schwedischen Akademie, die den Nobelpreis vergibt. Ein Amt, welches er is 2015 innehatte. Mehrere seiner Werke wurden in rund zwanzig Sprachen übersetzt.

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Elke Lorenz: Machtworte

Inhalt:

Die Geschichte eines Mädchens und ihrer Familie im Osten Deutschlands. Sie wächst nach dem Krieg als Tochter eines der neuen Gesellschaft kompromisslos dienenden Staatsanwalts auf. Immer ist sie konfrontiert mit seiner Wortmacht, seinen Forderungen, seinen Anklagen und Urteilen, seinem Krieg der Worte. Der Mann weiß alles, hört alles, er hat immer recht. Irrte er, war das notwendig gewesen für einen höheren Zweck. Und das Mädchen hat zu folgen, muss vieles durchleben und verstehen. Verletzendes, Böses, Komisches, bis bei ihr aus dem Nachreden ein Nachdenken wird, bis sie als junge Frau andere Worte hat als der Vater für ihr Leben sucht und findet. (gekürzter Klappentext)

Rezension:

Nach dem Tod des Mannes erinnert sich das einstige Kind, inzwischen längst erwachsen, zurück, spürt der über allem schwebenden Frage nach dem Warum nach. Warum dachte, warum handelte der Mann, der ihr Vater gewesen war, so und warum sah er das Leid der ihn umgebenden und ausgelieferten Menschen nicht, die Differenzen zwischen aus einer Ideologie heraus entstandenen Wunschvorstellung und dem Unglück derer, die sich dem nicht fügen konnten oder wollten? Nicht zuletzt seiner eigenen Familie.


Elke Lorenz beschreibt in „Machtworte“, ihrem neuen zeithistorischen Roman, der fiktives Geschehen mit eigenen Lebenserfahrungen verbindet, wie ein vorgegebenes gesellschaftliches Bild nicht nur eine Gesellschaft zerbrechen lässt, sondern auch jene auseinanderbringt, die sich eigentlich am nächsten stehen sollten. Diese Elemente sind hier verbunden mit einer eindrücklichen Coming-of-Age-Geschichte, einer kompakt formulierten Familienhistorie, die sich so oder ähnlich, im übertragenen Sinne, in vielen Familien Ostdeutschlands abgespielt haben dürfte.

Die Autorin, die sich in der Rolle des Mädchens begibt, erste Arbeiten entstanden dabei bereits Mitte der 1980er Jahre, als noch längst nicht abzusehen war, dass ein paar Jahre später ein komplettes Staatensystem in sich zusammenfallen würde, beschreibt dabei nüchtern den sich wandelnden Denkprozess. Zunächst möchte das Mädchen gerne glauben, doch schon da ist Angst das bestimmende Gefühl. Noch nicht vor den langen Armen eines Landes seinen Feinden gegenüber, hier noch in der Gestalt des Vaters, der von Beginn an unnahbar erscheint. Mit den Jahren schlägt Glaube in Erkennen um. Reife macht das Loslösen, nicht zuletzt vom Weltbild des Mannes möglich. Probleme folgen auf den Fuß. Wie integer und selbst bestimmend bleiben, in einem Land, welches alles unter Kontrolle haben möchte?

Trotz dem die Geschichte vor allem aus einer Perspektive heraus erzählt wird, werden die Sichtweisen der elterlichen Figuren vorangestellt, um einen Teil des Rahmens zu bilden, der erst gegen Ende geschlossen wird und in dem sich die Protagonistin bewegt. Lorenz gelingt damit der Versuch, die Erzählung nicht einseitig verkommen zu lassen, sondern eine Erklärung zu liefern, warum die dem Mädchen umgebenden Erwachsenen so handeln, gleichzeitig wird die charakterliche Stärke ihrer Hauptfigur um so besser herausgearbeitet. Der Tonfall. der die sich über Jahre abspielenden Handlung erzählt, ist nüchtern gehalten, stellenweise arg kalt. Die Autorin verliert kein Wort zu viel und versteht es schnörkellos ohne Ausschweifungen zu erzählen.

Elke Lorenz gibt nicht vor, wie ihre Leserschaft die beschriebene Zeit zu werten haben, zeigt jedoch, warum bestimmte Personen so handelten, wie sie gehandelt haben und was dies mit jenen machte, die darin eben nicht ihr Glück sahen. Sie zeigt im Kleinen die Differenzen einer Gesellschaft auf, die mit den Jahren immer mehr nur nach Außen eine Einheit darstellte, am Ende nicht einmal das vermögen konnte.

Die Sympathiepunkte liegen klar auf Seite der erzählenden Protagonistin, auf alle anderen Figuren muss diese nur reagieren. Mal sind die dunklen Flecke größer, mal ist die Weste tiefschwarz. Oder eben rot, wenn wir bei dem Zeitstrang bleiben. Man kann eigentlich nicht anders, als mit der Hauptfigur mitzufühlen, zu leiden, zu kämpfen. Da die Geschichte aus einer Art Rückblende heraus erzählt wird, ist von Anfang an klar, dass die erzählende Perspektive allwissend ist, auch den Lesenden sollte schnell bekannt werden, wohin das alles führt, zumal wenn der zeitliche Kontext bekannt ist. Die Autorin verklärt nichts, gibt jedoch Einblicke auch in jene, die wirklich an bestimmte Mechanismen dieses Systems glaubten. Das ist teilweise sehr beklemmend zu lesen, zumal aus ostdeutscher Perspektive. Hier wären noch andere Lese-Perspektiven interessant.

Die Autorin beschreibt vor allem die Mechanismen einer Gefühlswelt, die sich nach allen Seiten eingeschränkt sieht. So was muss man mögen, um in die Erzählung komplett eintauchen zu können. Dann jedoch werden Figuren und Schauplätze lebendig. Nicht nur die beschriebene Wohnung ist plötzlich beengend.

Der Roman zeigt ganz klar eine Perspektive von vielen und spricht damit nicht nur ostdeutsche Lesende an, sondern alle, die verstehen und begreifen wollen. Den zeitlichen Kontext ausgetauscht, dazu bestimmte Begrifflichkeiten und schon könnte die Erzählung in jedem anderen autoritären Staatswesen spielen. Dabei wirkt das Ende der Erzählung dann doch eine Spur zu einfach. Ansonsten ist Elke Lorenz, nicht zuletzt durch eigene, eingearbeitete Erfahrungen, mit „Machtworte“ eine abgerundete Geschichte gelungen.

Autorin:

Elke Lorenz, geb. 1950, studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete danach drei Jahre lang in einer Kreisredaktion. Es folgten erste literarische Arbeiten. Nach der Wende war sie verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Bautzen. Seit 2009 widmet sie sich wieder vermehrt ihrer schriftstellerischen Arbeit. „Machtworte“ ist ihr Debütroman. Elke Lorenz lebt in Wuischke am Czorneboh bei Bautzen.

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Charlotte Schallie (Hrsg.): Aber ich lebe

Inhalt:

Emmie Abel überlebte als kleines Mädchen die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen. David Schaffer entkam dem Genozid in Transnistrien, weil er sich nicht an die Regeln hielt. Die Brüder Nico und Rolf Kamp versteckten sich in den Niederlanden dreizehn Mal vor ihren Mördern. Zusammen mit den Überlebenden haben drei international bekannte Zeichner:innen deren Geschichten in Graphic Novels erzählt, die unvergesslich vor Augen führen, was der Holocaust für Kinder bedeutete – und nicht nur für sie. (Klappentext)

Rezension:

Immer weniger Zeitzeugen gibt es, die uns und vor allem den nachfolgenden Generationen erzählen können, wie es war, aufzuwachsen, inmitten des Holocausts, einem unvorstellbaren Terror ausgeliefert zu sein, in dem ein winziger Moment des Zögerns, eine falsche Entscheidung, ein unvorsichtiger Augenblick den Tod bedeuten konnte. Um so wichtiger ist es, deren Erinnerungen festzuhalten und sie so aufzubereiten, dass Interesse geweckt wird und die Geschichten der Erzählenden im Gedächtnis bleiben.

In einer Mischung aus Sachbuch und Graphic Novel versuchen dies mit „Aber ich lebe“ drei Illustratoren, die zusammen mit ihren Interview-Partnern deren Kindheit nachspüren und fangen mit unterschiedlichen Zeichenstilen sehr individuell deren und nicht zuletzt ihre eigenen Eindrücke ein, bevor am Ende der Streifzüge eine Nachbereitung in Textform eingefügt ist.

Zunächst Barbara Yelin, die die Geschichte von Emmie Arbel nachspürt. In düsteren und dunklen Farben erzählt sie die Geschichte des kleinen Mädchens, welches kaum alt genug ist, um zu begreifen und doch schon gelernt hat, zu überleben. Frohe Momente, sowie die heutige Zeit sind dagegen hell gehalten. Die Konturen verschwimmen, wenn Erinnerungen diffus werden, der Blick verliert sich in Details. Wie wirken Schrecken und Grauen der Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter hinein?

But I live / Barbara Yelin über Emmie Arbel

Eine andere Facette beleuchtet Miriam Libicki. Sie erzählt die Geschichte von David Schaffer, der am anderen Ende Europas den Folgen des Holocausts entkam. Die Zeichnerin setzt auf klare Konturen, im Gegensatz zu Yelin, auch die Farben sind leuchtender, heller gehalten. Hier ist es der Hintergrund der an detailschärfe verliert, während die Figuren immer fassbar und bestimmt bleiben. Manche Zeichnungen wirken beinahe holzschnittartig, als würde man mit Puppen das Erlebte lebendig werden lassen. Im Gegensatz zur ersten Geschichte bindet sich Libicki nicht ein, um Kontrast und Wirkung zu schaffen.

Zuletzt, die Erinnerungen von Rolf und Nico Kamp, erzählt von Gilad Seliktar. Die Zeichnungen sind in bläulichen und gelblichen Tönen gehalten und wirken beinahe wie ältere Fotos. Auch dieser Stil weiß eine, nein eigentlich zwei, Geschichte eindrucksvoll in Szene zu setzen, wobei natürlich alle drei Geschichten auf ihre Art in Erinnerung bleiben werden.

„Aber ich lebe – Vier Kinder überleben den Holocaust“, nach den Erinnerungen von Emmie Arbel, David Schaffer, Nico Kamp und Rolf Kamp (Quelle: C. H. Beck)

Diese sind dann auch nicht zu werten. Erlebt ist erlebt, wobei die Konzentration auf einzelne Szenen liegt. Keine Geschichte ist mit der anderen zu vergleichen und doch haben sie alle etwas gemeinsam. Das Ziel der Mitwirkenden ist in jedem Fall erreicht, um so mehr noch als auch der Entstehungsprozess, das Zusammenfinden der Zeichnenden mit Machern und Zeitzeugen illustriert dargestellt wird und eine Nachbereitung in Textform die weitergehenden Biografien von David Schaffer, Nico und Rolf Kamp, sowie Emmie Arbel beleuchtet.

Hier ist das Kunststück gelungen, Geschichte für die Nachwelt modern aufzubereiten, nicht nur für Kinder und Jugendliche. Im Englischen gibt es wohl dazu auch begleitendes Unterrichtsmaterial. Mit der Konzentration der Illustrierenden auf einzelne Punkte der Erinnerungen der Zeitzeugen werden zudem bestimmte Aspekte herausgestellt, zudem ein schwieriges Thema niedrigschwellig und doch anspruchsvoll aufbereitet.

Diese Art, Geschichte zu erzählen, funktioniert wunderbar, wenn die Zeichnenden, wie hier, nicht den Menschen aus den Blick verlieren. So reiht sich „Aber ich lebe“ gut ein, zu den Büchern gegen das Vergessen. Wünschenswert wäre es, noch mehr Werke dieser Art zu schaffen.

Leseprobe des Verlags: hier klicken

Verantwortliche:

Charlotte Schallié ist Professorin an der University of Victoria in Kanada und unterrichtet sowohl Germanistik als auch Holocaust Studies. 1965 in Toronto, Kanada geboren, wuchs sie in der Schweiz auf und studierte zunächst Geschichte und Germanistik in Vancouver. Sie veröffentlichte mehrere Werke u. a. zur Schweizerischen Geschichte im Zweiten Weltkrieg.

Barbara Yelin wurde 1977 in München geboren und ist eine deutsche Comic-Künstlerin. Sie studierte zunächst Illustration in Hamburg und zeichnete mehrere Comic-Geschichten, die in verschiedenen Zeitungen und Anthologien erschienen. 2012 erhielt sie eine Gastprofessor an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, 2013-2015 war sie Dozentin in Erlangen.

Miriam Libicki ist Autorin der Graphic Novel „Jobnik!“ über ihren Wehrdienst in Israel sowie zahlreicher Nonfiction Comics. Sie wurde 2017 mit dem Vine Award for Canadian Jewish Literature ausgezeichnet.

Gilad Seliktar illustriert Kinderbücher, zeichnet Comics und Illustrationen für verschiedene israelische Zeichnungen unnd wurde 2018 bei der Vergabe des Israel Museum Ben-Yitzhak Award ausgezeichnet. Er ist autor mehrerer Graphic Novels und lehrt in Jerusalem an der Bezalel Academy of Arts and Design.

Sie erzählen die Geschichten von Emmie ArbelRolf und Nico Kamp, sowie David Schaffer.

Für externe Inhalte wird keine Haftung übernommen, diese gehören den Erstellern.

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Karl Schlögel: Terror und Traum – Moskau 1937

Inhalt:

Schauprozesse und Massenverhaftungen markieren den Höhepunkt von Stalins diktatorischer Herrschaft. Im Schatten des Terrors aber scheint der Traum einer neuen Gesellschaft Gestalt anzunehmen: Gigantische Bauprojekte verändern das Stadtbild, sowjetisches Hollywoodkino, Fliegerhelden und Sportspektakel begeistern die Massen. Karl Schlögels neues Meisterwerk schildert ein russisches Schicksalsjahr, das in der europäischen Geschichte tiefe Spuren hinterlassen hat. (Klappentext)

Rezension:

Im Blick auf die Zivilisationsbrüche der 1930er Jahre herrscht eine auffallende Asymmetrie. Eine Welt, der sich im kollektiven Gedächtnis nach dem Zweiten Weltkrieg Namen wie Dachau, Buchenwald und Auschwitz eingeprägt hatten, fehlen oft Workuta, Kolyma oder Magadan. Auch in Stalins Riesenreich vollzog sich ein totalitärer Wandel, dessen Opfer spätestens mit der Festigung des Eisernen Vorhangs zum zweiten Mal hinter einer Mauer des Schweigens verschwanden und erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der zaghaften Öffnung von Archiven wieder zum Vorschein kamen.

Dabei ist das Moskau 1937 ein Schauplatz europäischer Geschichte, viel facettenreicher und durchmischter, als das die damaligen Machthaber wahrhaben wollten. Die Welle des Terrors, mit der Stalins getreue, die nicht selten selbst derer Opfer wurden, fegte um so heftiger über die Metropole an der Moskwa hinweg. Der Historiker Karl Schlögel zeichnet dies nach und schaut dabei nicht nur auf die großen Schauprozesse, sondern auch auf eine immer mehr verängstigte Gesellschaft im erzwungenen Wandel.

Das sehr detaillierte Sachbuch des Osteuropa-Historikers Karl Schlögel erfährt, 2008 erstmals erschienen, durch die tagespolitischen Ereignisse eine Aktualität, die ihres Gleichen sucht, ist die Geschichte der Stalinschen Terrors doch untrennbar mit dem verbunden, was danach passieren sollte, auch, was passiert, wenn Verarbeitungs- und Erinnerungskultur nicht in dem Maße wirken können, wie dies in der Mitte des europäischen Kontinents in Sachen Holocaust der Fall ist.

Dabei wagt der Autor einen Rundumblick, soweit es damals schon die geöffneten Archive in Russland zugelassen haben und führt die Leserschaft ein, in ein pluralistisches Moskau, welches es nach 1937 so nicht mehr gab. Schlögel zeigt eine Vielfältigkeit auf, die sich nicht nur in Architektur und Fortschrittsglaube widerspiegelte, sondern auch in Kunst und Kultur, sowie Technik. Der junge Staat wollte sich der Welt präsentieren, zugleich die Machthaber im Kreml ihren Status sichern und festigen. Kapitel für Kapitel beschreibt Schlögel einzelne Aspekte des gesellschaftlichen Kosmos‘ einer Metropole, die im Zuge des Stalinschen Terrors in seine Bestandteile zerfiel. Das letzte Adressbuch für lange Zeit, 1936, steht am Anfang dessen, sowie Kongresse und Ausstellungen, die die Welt bewegten, während anderswo in Europa bereits zuvor dunkle Wolken dem vorauseilten, was später die Welt in den Abgrund stürzen sollte. Danach folgte nur noch Terror, mit all seinen schrecklichen Folgen.

Der beschriebene Zeitraum ist überschaubar, nicht so sehr die geschehenen Ereignisse und beleuchteten Perspektiven, deren Biografien abrupt 1937/38 endeten. In seinem Standardwerk nimmt sich der Historiker Zeit für einzelne gesellschaftliche Aspekte, die Beschränkung liegt allein im stadtgeografischen Raum, den Stalins Getreue mit Gewalt umformen wollten. Hier versinkt man in Details, was sehr nüchtern, teilweise sehr schwerfällig zu lesen ist, doch auch so sein muss, wenn man ein umfassendes Gesamtwerk erhalten möchte.

Fragen kommen auf, wie jene, warum selbst ehemalige Minister und Beamte, die an der ersten Terrorwelle beteiligt waren, in Schauprozessen angeklagt, selbst absurde vorgefertigte Geständnisse und Schuldbekenntnisse unterschrieben? Im Wissen um die Mechanismen des Machterhalt Stalins. Der Historiker beleuchtet das Geschehen an verschiedenen Schauplätzen Moskaus, den Blick der Einheimischen, der alten und der neuen Elite Russlands, sowie die Betrachtung der Emigranten und Exilanten, den Blick Amerikas auf das neue Moskau, sowie diesem auf sich selbst. Nach und nach setzt Schlögel hier ein Puzzle zusammen, welches abrupt zum Stillstand kam, als ein anderes Land Europa mit Gewalt und Terror überziehen sollte.

Karl Schlögel spricht hier den interessierten Laien mit Vorkenntnissen an, sowie Kenner der Historie und hat mit seinem geschichtlichen Standardwerk Grundlage für Diskussionen und weitere Betrachtungen gelegt, denen sich Andere annehmen können. Vieles von dem, was später in der Sowjetunion passierte, wäre ohne das Jahr 1937 nicht denkbar. So ganz ohne Vorkenntnisse geht es jedoch nicht, die mit Quellen gut unterfütterte Lektüre, ergänzt durch eine historische Karte des Schauplatzes, ist ohne dies nicht leicht lesbar. Zu viele Namen mussten erwähnt, zu viele Biografien und gesellschaftliche Aspekte beleuchtet werden.

Die Lektüre, die nur vor allem die Konzentration der Lesenden gewinnt, ist erhellend. Fraglich nur, wie viele Fakten letztendlich hängen bleiben und was die noch ausführliche Betrachtung eines einzelnen Aspekts des gesellschaftlichen Wandels Moskaus noch zusätzlich für Erkenntnisse bringt. Hier ist die Grundlage dafür, dies auszuprobieren und um sich, in turbulenten Zeiten, neue Perspektiven zu schaffen. In diesem Sinne, zu empfehlen.

Autor:

Karl Schlögel wurde 1948 geboren und ist ein deutscher Historiker und Publizist. Er studierte u. a. Soziologie, osteuropäische Geschichte und Slawistik in Berlin und schrieb seine Dissertation über Arbeiterkonflikte in der Sowjetunion nach Stalin. 1982 ging er als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Moskau, wo er sich mit der Geschichte der russischen Intelligenzija im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigte, arbeitete anschließend als Privatgelehrter und freier Mitarbeiter für den Rundfunk.

Er veröffentlichte dort, sowie in mehreren Magazinen und Zeitungen, bevor er eine Professur für Osteuropäische Geschichte in Konstanz erhielt, sowie 1995 die selbe in Frankfurt/Oder. Von 2003 bis 2005 war er dort Dekan der Kulturwissenschaftlichen Universität.2013 wurde er emeritiert. Er konzipierte mehrere Ausstellungen und Zeitschriften mit, war Mitglied der Jury des Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und beschäftigt sich seit Beginn der Krimkrise intensiv mit der Geschichte der Ukraine. 2013 wurde er mit der Puschkin-Medaille ausgezeichnet, welche er 2014 ablehnte. 2018 erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse, ein Jahr darauf den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

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Jürgen Meier: Wöbkenbrot und Pinselstrich

Inhalt:

Johannes Becker beginnt 1910 ein Ingenieurstudium in Chemnitz und heiratet kurz darauf. Als er zunehmend der völkischen Ideologie der Nationalsozialisten verfällt, wendet sich seine Frau von ihm ab. Ähnlich zerrissen ist die Familie Meyer in Ostwestfalen. Der Vater Karl nutzt die Machtübernahme der Nazis aus, um sich an jüdischem Eigentum zu berreichern. Sein Sohn Gottfried folgt ebenfalls seiner Begeisterung für die Nazis und zieht in den Krieg. Er lernt Ingeborg Becker kennen und heiratet sie. Aus Krieg und Hitlerzeit hat er nichts gelernt, sein Sohn Georg aber will es besser machen und schließt sich 1970 der Studentenbewegung an. (abgewandelte Inhaltsangabe).

Rezension:

So ausufernd wie einstweilen Thomas Mann muss man gar nicht schreiben, wenn man eine fiktive Familiengeschichte mit all ihren höhen und Tiefen, Wandlungen und innerer Zerissenheit zu Papier bringen möchte, auch nicht, wenn man den Personenkreis erweitert. Jürgen Meier zeigt in seinem Roman „Wöbkenbrot und Pinselstrich“ dass das auch anders geht und beschreibt so ganz nebenbei die Herausforderungen, Schrecken und Wandlungen des vergangenen Jahrhunderts.

Der leicht gängige Familienroman wechselt zwischen den Perspektiven und Generationen, beginnt 1910. Fortschrittsglaube manifestiert sich in den neuen Errungenschaften der Technik, Ingenieure werden gesucht. Hoffnungsvoll schaut der junge Johannes, ersterer einer interessanten Reihe von Protagonisten in die Zukunft, noch nicht ahnend, dass bereits dunkle Schatten über Deutschland heraufziehen. Eingenommen von der Figur, deren Enthusiasmus aber auch Unsicherheiten der Autor fein herausgearbeitet hat, steigen wir in die Geschichte ein, die zu einem wahren Wechselbad der Gefühle verkommt. Das Erzähltempo passt sich dem an. Sprünge wechseln sich ab mit nachdenklichem Innehalten.

Der Perspektivwechsel zwischen den Figuren aus den zwei Familien, deren Wege sich kreuzen werden, bringt die Dynamik einerseits, wie auch die beschriebenen Generationswechsel. Jürgen Meier versteht es, die Zeiten greifbar zu machen. Hervorzuheben sind besonders seine Beschreibungen des Konflikts und einzelner Abschnitte, wie etwa die unmittelbare Nachkriegszeit, das Nichtsehenwollen des geschehenen Unrechts, aber auch Anspielungen eben der im Klappentext anklingenden Bereicherung von deutschen Familien an jüdischem Besitz. Hier wirkt die Erzählung besonders bedrückend.

Dabei beschränkt sich der Autor nicht nur auf eine Sichtweise, sondern bringt mit einer Vielzahl an Figuren unterschiedliche Perspektiven hinein, die für eine gewisse Dynamik sorgen, nicht zuletzt für gewisse Exkurse in Kunst und Philosophie, die man vielleicht nicht unbedingt beim Aufschlagen des Romans erwartet. Hier kommt das künstlerische Schaffen des Schreibenden durch, der damit an den richtigen Stellen Ruhe einbringt.

Das kann man als Einlassung nehmen, jedoch auch als Meta-Ebene für die jeweils beschriebene Zeitepoche, muss man jedoch mögen. Hier wird wichtig, wie und als was man diesen Roman lesen möchte. Konzentriert man sich auf die Familiengeschichte, setzt den Fokus eher auf die Beschreibungen gesellschaftlichen Wandels oder hat Freude an Kunst und Philosophie? Für jeden ist etwas dabei. So klar habe ich das bisher jedoch nur selten gelesen.

Das Werk orientiert sich am historischen Verlauf der jüngeren Geschichte, so dass Wendungen allein durch das Denken und Handeln der einzelnen Figuren entstehen. Sprachlich wird man zudem über den Dialekt des Östwestfälischen Platts stolpern, in dem einzelne Sätze und Passagen formuliert sind. Sicher eine besondere Herausforderung für das Lektorat, welches wahrscheinlich jedes Wort nachschlagen musste. Für uns Lesende gibt es jedoch eine Art Glossar hintenan mit der Übersetzung ins Hochdeutsche.

Die Protagonisten, mit all ihren Ecken und Kanten, sind nachvollziehbar. Niemand ist hier durchgängig Sympathieträger. Perfektionismus gibt es im realen Leben nicht. Entscheidungen und Handlungen, oft genug die falschen, sind es, die uns zudem machen, was wir sind. Wusste schon Dumbledore aus den Romanen um Harry Potter. Hier gilt das auch. Nicht nur das macht Lust auf mehr. Man darf auf Fortsetzungen gespannt sein.

Ach so, was ist jetzt nun eigentlich Wöbkenbrot? Vielleicht so viel, eine Spezialität, unter der vor allem Menschen aus Ostwestfalen zu leiden haben. Aber hat nicht jede Region, die an kulinarischer Abstrusität kaum zu überbieten sind? Wer genießen möchte, bleibt vielleicht besser bei dieser Erzählung.

Autor:

Jürgen Meier lebt in Hildesheim und ist ein deutscher Schriftsteller und Dokumentarfilmer. Er schloss 1973 ein Studium „Intermedia“ in Bielefeld ab und arbeitete anschließend als PR-Werbechef am Stadttheater Hildesheim. Er gründete die Werbeagentur Aickele & Meier. Seit 1997 ist er selbstständiger Autor und Journalist. Von ihm liegen Theaterstücke, Buchveröffentlichungen und Theaterstücke vor.

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Yara Nakahanda Monteiro: Schwerkraft der Tränen

Inhalt:

Was löst es aus, in einen Kampf hineingeboren zu werden, der nicht der eigene ist – und der doch alles beeinflusst?

Vitorias Leben besteht aus Erinnerungen. Aus Bildern, Gerüchen, dem Geschmack von saurer Milch. Da sind die Säulen eines Traumas, das sie nicht überwinden kann. Vitoria flieht während des Kriegs für die Unabhängigkeit Angoas mit ihren Großeltern nach Portugal, lernt ihre Mutter nie wirklich kennen. Jahre später bricht Vitoria aus, entdeckt die Einzigartigkeit, aber auch Zerrissenheit dieses, ihres Landes, von sich selbst. Ihrer Familie auf die Spur trifft sie in Huambo auf die Geister einer fremden Vergangenheit und muss lernen, dass es Risse gibt, die vielleicht zu tief sind, um noch geflickt zu werden. (Klappentext)

Rezension:

Der Krieg ist überall gleich, macht uns Menschen zu Monstern und bringt in Einigen von uns das beste zum Vorschein, in anderen alles schlechte. Manche der daraus entstandenen Wunden heilen nie. Sinngemäß könnte dies der Untertitel des vorliegenden Romans „Schwerkraft der Tränen“ sein, mit dem sich die portugiesische Autorin Yara Nakahanda Monteiro der Geschichte ihres Geburtslandes Angola und nicht zuletzt ihrer Familie fiktionalisiert annähert.

Im Zentrum der Erzählung steht die junge Vitoria, deren Großeltern kurz nach ihrer Geburt mitsamt der Enkelin nach Portugal fliehen, vor den Grausamkeiten des Unabhängigkeitskrieges in ihrer Heimat und den sich anbahnenden Bürgerkrieg. Nun, Jahre später, möchte die nun Erwachsene mehr über ihr Geburtsland erfahren, nicht zuletzt, über Beweggründe ihrer Mutter, die Tochter zu Gunsten eines ungewissen und brutalen Kampfes zu verlassen. Vitoria öffnet sich ein wirres gesellschaftliches Gefüge und entdeckt Wunden, die nie vollständig verheilt sind.

Beinahe in der Form einer begleitenden Reportage erzählt, eröffnet die Autorin ihrer Leserschaft den Blick auf eine Welt, der zumindest im westlichen Gefüge viel zu selten Beachtung und erst in letzter Zeit verdienende Aufmerksamkeit bekommt. Welche Folgen hatten Loslösungsbestrebungen von den Kolonialmächten in Afrika, darauf folgende Kriege und Bürgerkriege nicht nur für einzelne Regionen, sondern auch für die betroffenen Menschen, die von den Ereignissen überrollt und oft auf Generationen hinaus gezeichnet wurden? Aus Sicht der Protagonistin werden diese Risse nach und nach deutlich, wenn sich Vitoria im Verlauf der Geschichte ein immer schärferes Bild ihrer eigenen familiären Vergangenheit bietet.

Dabei bleiben andere Figuren reichlich blass. Monteiro gibt nur wenigen Charakteren Ecken und Kanten, was jedoch dem Erzählstil zu Gute kommt. Die Autorin konzentriert sich auf die innere Gefühlswelt Vitorias und nähert sich dabei ein Stück weit ihrer eigenen Geschichte an. Auch sie hat ähnlich der Hauptfigur als Kleinkind das Land verlassen. Besonders beindruckend wirkt der Text immer dann, wenn die junge Frau sich auf kleine Details, die sie beobachtet, fokussiert. Einzelne Passagen stechen hervor.

Doch, die Autorin verliert sich nicht in Belanglosigkeiten. Das Erzähltempo steigt mit zunehmender Seitenzahl. Kleinere Rückblicke und Konfrontationen erweitern den Blickpunkt der Lesenden, strahlen jedoch immer wieder auf die Protagonistin zurück. Die weiß immer genau so viel, wie auch die jenigen, die dieses Buch in den Händen halten. Übergänge sind sehr harmonisch gezeichnet.

Man fühlt die innere Zerrissenheit der Protagonistin, die die Geschichte ihrer Familie, deren Landes nachspürt, zugleich mittendrin ist und doch außen vor steht. Das chaotische Treiben, Willkür, Korruption, Armut und doch Lebensfreude der Menschen dort, schafft Monteiro sehr plastisch wirken zu lassen. Die Autorin leistet damit einen wertvollen Beitrag der Vergangenheitsbewältigung der mit ihr verbundenen Länder. Erzählt wird dabei die Tragik einer ganzen Epoche in einem Zeitabschnitt aus wenigen Wochen. Vorkenntnisse indes braucht man als Lesender nicht. Monteiros Erzählung steht für so viele Familienschicksale Afrikas im Zeichen der Wende von der Kolonialherrschaft zur Unabhängigkeit, mit all den bekannten Folgen, die dort noch heute zu spüren sind.

Die eine oder andere Konfrontation mehr, in manchen Abschnitten eine noch stärkere Fokussierung hätten der sonst sehr eingängigen Geschichte gut getan, welche dennoch empfehlenswert ist. Vom Erzähl- und Schreibstil, den nachverfolgten und klaren Handlungssträngen und den Spannungsmomenten her, ist dies eine der ersten Geschichten aus der Feder einer portoguiesischen Autorinnen, die mir wirklich gefällt. Ergänzend dazu sei gesagt, angolanische und portugiesische Begriffe werden in einem ergänzenden Glossar erklärt.

Warum man aber die Triggerwarnung, wenn man schon eine schreibt, jedoch in Winzschrift in den hinteren Seiten des Romans versteckt, bleibt wohl Geheimnis des Verlags. Die werden die meisten wohl erst entdecken, nachdem sie das Buch gelesen haben. Dann ist es jedoch zu spät.

Autorin:

Yara Nakahanda Monteiro wurde 1979 in Huambo, Angola, geboren und wuchs in Portugal auf, wo sie schon früh mit dem Schreiben begann. Sie schrieb Drehbücher, Kurzgeschichten und für Podcasts, bevor sie mit „Schwerkraft der Tränen“ ihr erstes Buch veröffentlichte, welches in mehreren Sprachen übersetzt wurde.Nach Stationen rund um die Welt lebt sie heute wieder in Portugal.

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Jules Valles: Jacques Vingtras 1 – Das Kind

Inhalt:

In diesem großen Klassiker der französischen Literatur erzählt Jules valles die durchaus autofiktionale Geschichte eines kleinen Jungen, der von seiner Bauernmutter und seinem Lehrervater ständig zum Sündenbock gemacht und emotional und körperlich missbraucht wird. Sein größtes Anliegen ist es, den sozialen Status der Familie zu verbessern.

Allen geschilderten sozialen Abgründen und menschlichen Bösartigkeiten zum trotz ist Das Kind doch voller Ironie und Humor und gilt vielen gar als eines der witzigsten Bücher der französischen Literatur überhaupt. In Christa Hunschas leichtfüßiger Übersetzung erstrahlt der Roman so modern, als sei er aus dem Herzen der Gegenwart geschrieben. (Klappentext)

Einordnung der Reihe:

Jules Valles: Jacques Vingtras 1 – Das Kind
Jules Valles: Jacques Vingtras 2 – Die Bildung
Jules Valles: Jacques Vingtras 3 – Die Revolte

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Rezension:

Einerseits historischer Roman aus heutiger Sicht, in jedem Fall gesellschaftliches Porträt, autobiografische Erzählung, entführt der Schriftsteller Jules Valles uns in ein Frankreich, welches es so nicht mehr gibt. Unter den Eindruck der Zeitenwende, das Experiment der Pariser Kommune sollte rst Jahre später scheitern, erzählt er von seiner Kindheit, die in Nuancen an die psychische Verlorenheit erinnert, die man später auf der anderen Seite des Kanals in der Figur des Oliver Twists wiederfinden wird.

Doch der Autor hatte Eltern, was es hier nicht besser macht. Deren einzige Erziehungsmaßnahmen schien darin zu bestehen, dem Kind seine Unvollkommenheit, das Kindsein selbst vorzuwerfen. Entlang der eigenen Biografie entwirft der Autor das Bild eines Aufwachsens unter Qualen, eines Kindes, welches um so ungezwungener ist, je weiter es der Recihweite der Eltern entkommt.

Wenn man so möchte, liegt mit „Das Kind“, hier in einer wunderbaren Übersetzung von Christa Hunscha, ein aus heutiger Sicht historischer Coming of Age Roman vor, der sich flüssig lesen lässt. Die Sprache ist klar und ohne Schmirkel. Wo französische Begriffe auftauchen, hilft ein nachgestelltes Glossar. Die Sympathien werden sofort verteilt, vereint der Erzähler doch alle auf sich.

Für die umgebenden Protagonisten ist die Figur des Jacques‘ oft mehr, mal weniger ein lästiges Übel. Frei fühlt sich der Junge. Die größte Freude der Mutter ist es, das Kind zu piesacken. Der Vater gibt Jacques die Schuld für den fehlenden Karriereaufstieg. Von beiden Seiten setzt es Schläge.

So zusammengefasst wirkt das deprimierend, doch Jules Valles bewahrt seinem Protagonisten Neugier und Beobachtungsgabe, Traum und Phantasie, vor allem Hoffnung. So überlebt der Junge den Tag, so alle Lesenden die Seiten, die sonst nur erdrückend wären. Um so bedeudungsvoller erscheinen kleinere Erfolge Jacques‘, die am Ende Früchte tragen, um so witziger wirken einzelne Szenen.

So liest sich schnell, was sonst nur schleppend zu ertragen wäre, auch wenn der Zeitraum eine ganze Kindheit und Jugend, die zu damaliger Zeit, 19. Jahrhundert, schneller zu Ende ging als heute, umfasst.

Das Unglück ist da!

Jules Valles: Jacques Vingtras 1 – Das Kind

Wer liest hangelt sich entlang der Schilderungen aus der Sicht des Protagonisten, Sinnbild für das Gute und Reine.

Die Eltern sind der klare Gegenpol, mit überkommenen und aus der Zeit gefallenen Vorstellungen, die den Betrachtungen des Jungen nicht Stand halten können. Jules Valles lässt Jacques die Stationen seiner Kindheit durchlaufen, erzählt schlüssig. Lücken und unlogische Brüche existieren in diesem Format nicht. Die Erzählung kommt kompakt daher. Ausschweifungen werden vergleichsweise sparsam eingesetzt, dann jedoch besonders betont. Einzelne Sätze stechen heraus.

Man fühlt die Verlorenheit, Hilflosigkeit, später die Entschlusskraft der Hauptfigur, dessen Geschichte so übersetzt, auch gut ins Heute zu übertragen wäre. Jede historische Staubschicht oder Melancholie wurde hier zu Gunsten der Erzählung entfernt.

Das funktioniert, hinterlässt Eindruck. Wer liest, der steht, sitzt neben Jacques, erleidet, erträgt Schläge und psychische Erniedrigung, den kram, den Hass der Eltern, die diesen über das eigene Kind ausschütten. Zart besaite müssen die Lektüre vielleicht das eine oder andere Mal unterbrechen. Lichtblicke für den Jungen gibt es dennoch zur Genüge.

Ein Coming of Age Roman aus einem wechselhaften Epoche in moderner Übersetzung, biografisch angehaucht und Missstände kritisierend, viel steckt in diesen doch überschaubaren Seiten. Doch Valles hat es hier geschafft, das unterzubringen, ohne sich zu vertun. Lesenswert allemal. Kleinere Schwächen ergeben sich aus der Distanz der heute Lesenden heraus.

Wie hätten Erwachsene, wie Kinder in vergleichbaren Situationen heute handeln können? Man ertappt sich dabei, den Protagonisten ein ums andere Mal schütteln zu wollen, als würde das Kind nicht genug körperlich gedemütigt werden, aus damaliger Perspektive ist das jedoch folgerichtig. Macht neugierig auf die weiteren Teile.

Autor:

Jules Valles wurde 1832 geboren und war ein französischer Journalist, Romaschriftsteller und Publizist, sowie Sozialkritiker. Unter den Eindrücken des Deutsch-Französischen Kriegs wurde er 1871 Mitglied der Pariser Kommune, des revolutionären Stadtrats, der gegen den Willen der Zentralregierung versuchte, Paris nach sozialistischen Vorstellungen zu verwalten.

Nach Niederschlagung dieser gelang es ihm nach London zu fliehen. 1880 kehrte er schließlich nach Frankreich zurück, um fortan von seiner publizisitischen Arbeit zu leben. Er starb 1885 in Paris.

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Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Inhalt:

Das Buch ist eine der schönsten Erfindungen der Menschheit. Bücher lassen Worte durch Zeit und Raum reisen und sorgen dafür, dass Ideen und Geschichten Generationen überdauern. Irene Vallejo nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise durch die faszinierende Geschichte des Buches, von den Anfängen der Bibliothek von Alexandria bis zum Untergang des römischen Reiches.

Dabei treffen wir auf rebellische Nonnen, gewiefte Buchhändler, unermüdliche Geschichtenerzählerinnen und andere Menschen, die sich der Welt der Bücher verschrieben haben. (Klappentext)

Rezension:

Bücher sollten noch lange nicht in der uns bekannten Form existieren, da schon machten längst Legenden die Runde durch die damals bekannte Welt, die sich wie der Plot eines spannenden Kriminalromans lesen. Agenten des Pharaos waren unterwegs um für die Bibliothek ihres Herrschers Schriftstücke zu sammeln, für die Ägypter teils mehr wert als Gold.

Da schon hatte das geschriebene Wort einen langen Weg hinter sich, der bis zu den ersten gebundenen Büchern dennoch langwierig anmuten sollte. Irene Vallejo erzählt sie, die Geschichten von Herrschern, die um die Macht des Wortes wussten, vom beschwerlichen Weg von Papyrus zu Papier und von der Strahlkraft erster Bibliotheken der Antike.

Wenn er durch Alexandria streifte, sah er unter der realen Stadt die abwesende Stadt pulsieren. Obwohl die Große Bibliothek verschwunden war, hingen ihr Echo, ihr Flüstern und Wispern weiter in der Luft.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Die spanische Autorin und Literaturwissenschaftlerin Irene Vallejo reist mit uns in die Antike und erzählt von den Anfängen eines Gegenstandes, der sich unzählige Male gewandelt hat, heute gar als Hörbuch oder als elektronische Datei existiert und erst durch entsprechende Gerätschaften sichtbar gemacht werden muss.

Die Verbreitung des Lesens führte zu einem neuen Gleichgewicht der Sinne. Bisher hatte sich die Sprache ihren Weg durch die Ohren gebahnt, mit der Erfindung der Buchstaben aber wanderte ein Teil der Kommunikation zu den Augen ab.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

„Papyrus“ liest sich dabei nicht wie eine wissenschaftliche Abhandlung, sondern wie ein Spannungsroman, zuweilen mit Krimi-Elementen. Wer liest, nimmt die Perspektive von erzählenden Philosophen ein, die um Worte rangen, und der Unveränderlichkeit dieser, waren sie einmal auf Papyrus oder Pergament festgehalten, misstrauten, von Herrschern im Größenwahn und vom Kampf der ersten Kopisten gegen den Verfall.

Von den meisten Werken gab es nur wenige Kopien, und dass ein bestimmter Text vollständig erlosch, war eine sehr reale Bedrohung. In der Antike konnte das letzte Exemplar eines Buchs jeden Augenblick aus einem Regal verschwinden, von Termiten zerfressen oder von der Feuchtigkeit unwiederbringlich beschädigt werden. Und während das Wasser oder die mahlenden Kiefer der Insekten ihre Arbeit taten, verstummte eine Stimme für immer.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Vallejo legt dabei zum einen ihren Fokus auf hervorstechende Einzelpersonen, lässt jedoch auch tief ins Innere antiker Gesellschaften schauen, zeigt die Dramatik der ersten Zensur, aber auch warum das Buch an sich, in welcher Form auch immer, schon damals eine Erfolgsgeschichte gewesen ist. In kurzweiligen Kapiteln, die sich jeweils schwerpunktmäßig auf eine Biografie oder ein Ereignis konzentrieren, eröffnet die Autorin uns einige neue Blickwinkel auf die Anfänge und der Schicksale des Buches.

So lohnt es sich durchaus, auch dieses zu lesen.

Autorin:

Irene Vallejo wurde 1979 in Saragossa geboren und ist eine spanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin. Zunächst studierte sie klassische Literatur in Saragossa und Florenz und promovierte anschließend. Sie spezialisierte sich dabei auf die Antike. Für Tageszeitungen und Zeitschriften schreibt sie Kolumnen, veröffentlichte 2011 ihren ersten Roman.

2020 gewann sie den Literaturpreis Premio Nacional de Ensavo, 2021 den Premio Aragon, die höchste Auszeichnung, die die Regionalregierung der autonomen Region Aragon vergibt. „Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern“ ist ihr erstes Sachbuch.

Die Rezension wurde auf Grundlage eines Rezensionsexemplares geschrieben, welches ausgewählte Kapitel enthielt, um Übersicht und Eindruck von der Art des Textes zu geben.

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