Kindheit

Michelle Cohen Corasanti: Der Junge, der vom Frieden träumte

Der Junge, der vom Frieden träumte Book Cover
Der Junge, der vom Frieden träumte Michelle Cohen Corasanti Fischer Taschenbuch Erschienen am: 25.05.2016 Seiten: 399 ISBN: 978-3-596-03283-9 Übersetzerin: Adelheid Zöfel

Inhalt:

Der zwölfjährige Palästinenserjunge Achmed kämpft um das Überleben seiner Familie, der einst eine blühende Orangenfarm gehörte. Auf der Jagd nach einem Schmetterling kommt seine zweijährige Schwester Amal in einem Minenfeld ums Leben.

Als auch noch sein Vater verhaftet und der Familie alles genommen wird, ist er der Einzige, der sie retten kann. Denn Ahmed ist ein Mathematikgenie und erhält eines der begehrten Stipendien an der Universität von Tel Aviv. Doch dort ist er der einzige Palästinenser unter Juden…

Rezension:

Beinahe bilden die Romane, deren Titel alle so ähnlich klingen, ein eigenes Subgenre. “Der Junge, der…”, “Das Mädchen, dass…”, “Der Hundertjährige, der…”. Sie alle beleuchten das fiktive Leben eines Protagonisten und geben dennoch ein beeindruckendes Bild einer bestimmten Zeitepoche wieder und man meint, beinahe übersättigt zu werden von Romanen dieser Art.

Auf die Gefahr hin, dass dies passiert, hat auch der Fischerverlag zu solch einem Titel gegriffen, was hier jedoch keineswegs stört. Tatsächlich liegt mit Cohen Corasantis Roman ein beeindruckendes Werk vor, was sich unbedingt zu lesen lohnt.

Die Autorin erzählt die Geschichte eines Jungen, dessen Leben praktisch mit einem tiefen Fall in der Kindheit beginnt, geprägt von Armut, Verzweiflung aber auch ein wenig Hoffnung, den Kampf gegen alle Widerstände und schließlich dem Triumph der Hoffnung.

Einen Aufstieg, wie man es vielen Menschen in der Region gönnen, der jedoch nur höchst selten eben jenen gelingt. Corasanti zeichnet zudem sehr sensibel ein Bild der Palästinenser, die in einem schier unlösbaren Konflikt, die Israelis nicht minder, gefangen sind.

Auch das ein Punkt, der unbedingt beachtet werden sollte, verliert man doch diesen mit dem Abschalten der Nachrichten zu schnell aus den Augen. Der Autorin gelingt es, wenigstens für ein paar Stunden dem Leser einen Standpunkt einnehmen zu lassen ohne die andere Seite zu vernachlässigen. Eine große Kunst, dies auf vergleichsweise wenigen Seiten zu schaffen.

Natürlich ist das Ende mehr eine Wunschvorstellung der Autorin als ein realistisches Ereignis, doch man gönnt es den Protagonisten, der so viel durchmachen muss. Man leidet, freut und trauert mit ihm, triumphiert, hofft und bangt.

Der flüssige Schreibstil lässt einem in diese Welt, die gar nicht so weit entfernt ist von unserer eigenen, eintauchen und findet sich in einem von der Gesellschaft fast vergessenen ignorierten Konflikt wieder. Die Protagonisten und ihre Ansichten klingen glaubwürdig, ein “Böser” macht eine schiere Wandlung durch, die beinahe schmerzt aber auch das gehört dazu.

Wie sonst wäre es wohl zu erklären, wie die Menschen in Palästina und Israel den Alltag dort aushalten können? Natürlich stellt sich die Autorin ganz klar auf eine Seite, was aber auch verständlich ist, wenn man ihre Geschichte betrachtet. Interessant nur, dass es nicht die “ihre” Seite ist, sondern konkret die andere. Und dies glaubwürdig und ohne Groll.

Mit “Der Junge, der vom Frieden träumte” sollte man sich ein paar Stunden Zeit nehmen, über den Konflikt Israel-Palästina nachzudenken und vor allem über die Menschen, die in dieser schier unlösbaren Situation sich zurechtfinden, eine Art Alltag leben müssen.

Egal, auf welcher Seite, es gibt unter beiden Schuldige und Anheizer, genau so wie Unschuldige, denen jedes Ausbrechen oder jeder Versuch verweigert wird, Frieden zu erwirken. Für sich und für andere.

Eine Region, die soviel politischen Sprengstoff für noch kommende Jahrzehnte birgen wird, deren Menschen hoffentlich eines Tages erkennen, dass sie nur zusammen all das überwinden und gemeinsam stark sein können.

Cohen Corasanti gibt die Hoffnung nicht auf, dass es dazu kommen wird, im Kleinen und Großen. Wenn mehr Menschen ihren Roman lesen würden, wenn es mehr dieser Ahmeds und Menachems geben würde, wie sie die Autorin beschreibt, wären wir auf einem guten Weg dorthin.

“Der Junge, der vom Frieden träumte”, eine faszinierende und wichtige Geschichtsstunde, vor allem aber ein großartiger Roman.

Autorin:

Michelle Cohen Corasanti ist eine in den USA geborene Jüdin. Ihre Eltern schickten sie nach Israel, um Hebräisch zu lernen, die jüdische Kultur und Religion zu studieren.

Sie besuchte die Hebrew University of Jerusalem, wo sie ihren Master in Nahostwissenschaften machte und arbeitete in Harvard für ihr Diplom. Inzwischen ist sie Anwältin für Menschenrechte. Dies ist ihr erster Roman.

Michelle Cohen Corasanti: Der Junge, der vom Frieden träumte Read More »

Antonia Hayes: Die relative Unberechenbarkeit des Glücks

Die relative Unberechenbarkeit des Glücks Book Cover
Die relative Unberechenbarkeit des Glücks Antonia Hayes blanvalet Erschienen am: 22.08.2016 Seiten: 461 ISBN: 978-3-7645-0575-2

Inhalt:

Der zwölfjährige Ethan hat ein paar ungewöhnliche Talente. Ohysik und Astronomie sind für ihn so selbstverständlich wie Lesen und Schreiben, und er sieht die Welt auf eine Weise, die anderen Menschen nicht begreiflich ist.

Die wichtigste Person in seinem Leben ist seine Mutter Claire, aber je älter Ethan wird, desto öfter fragt er nach seinem Vater, den er nie kennengelernt hat. Er weiß nicht, dass er als Baby beinahe gestorben wäre und sein Vater in der Folge verurteilt wurde. Doch dann setzt ein unerwartet eintreffender Brief eine dramatische Kette von Ereignissen in Gang… (Klappentext)

Rezension:

“Die relative Unberechenbarkeit des Glücks” ist ein Roman, den man beginnt und von den man von Anfang an weiß, dass man ihn so schnell nicht wieder aus den Händen legen wird. Und nach ein paar Seiten steht dann auch fest, dass es definitiv eines der Lese-Highlights des Jahres werden wird. Warum?

Weil die Geschichte so einfach, so genial und zugleich berührend ist, dass es einem förmlich vom Lesesessel hat. Antonia Hayes erzählt die Geschichte eines Kindes, dessen Leben auf einem Drama beruht, dessen sich in unserer rauen Wirklichkeit allzu viele wehrlose Babys ausgesetzt sehen und das macht sie so sympathisch, ohne erhobenen Zeigefinger, dass man nicht umhin kann, mit dem kleinen Protagonisten Ethan mitzufiebern auf seiner Suche nach Antworten auf die immer drängenderen Fragen, die er sich stellt. Davon hat er reichlich.

Warum bloß wächst er ohne Vater auf? Warum hat dieser seine Mutter verlassen und wie wäre es ein Vater zu haben? Woher hat er sein außerordentliches Physik- und Astronomieverständnis, welches ihn in der Klasse zum Außenseiter macht?

Und, könnte man mit einer Zeitreise die Katastrophe, die seine Eltern auseinander geführt und damit sein Leben schon in den ersten Lebensmonaten entscheidend beeinflusst hat, rückgängig machen?

Die australische Autorin hat mit ihrem debüt einen großartig wunderschön erzählten Roman vorgelegt, der es in sich hat und nicht nur für Physik- und Astronomieliebhaber geeignet ist. Details aus diesen Fachgebieten ziehen sich, abseits des langweiligen und manchmal anstrengenden Schulwissens durch das Buch ohne einen negativen Effekt zu haben.

Und dabei bleibt sowohl Ethan keinesfalls ein Nerd, sondern eher ein sympathischer freundlicher Junge mit ungewöhnlichen Interessensgebiet, sowie auch seine gesamte Umgebung mit all ihren Ecken und Kanten positiv besetzt ist. Selbst seinem Vater Mark, der für das auslösende Moment, die Katastrophe, verantwortlich ist, kann man irgendwie nicht böse sein.

Gleichwohl führt Hayes die Thematik nicht ad absurdum. Tatsächlich ist es eine interessante Art und Weise, hier ein ernstes Ereignis anzusprechen ohne die Betroffenen zu verschrecken. Dies zu schaffen ist eine unglaubliche Stärke, die Antonia Hayes hier schriftstellerisch zeigt.

Für alle Leser, die ihre Kaninchen auf Zeitreise schicken möchten, sei diese Geschichte eine Warnung. Natürlich können “Quarks nur durch Antiquarks zerstört werden”, aber einfach ein Name schützt eben noch lange nicht.

Allen anderen ist dieses Buch als wundervoller Roman zu empfehlen, den man von der ersten bis zur letzten Seite genießen und gerne lesen wird. Physik und Astronomie sind cool und Kinder, egal ob normal oder unnormal, sind das Größte.

Von der wunderbaren Gestaltung des Covers, die ich in der deutschen Variante bisher am gelungensten finde, bis hin zum letzten Satzzeichen, ist “Die relative Unberechenbarkeit des Glücks” von Antonia Hayes ein unvergleichliches Stück Literatur, welches hoffentlich viele Leser finden wird.

Hoffen wir, dass die schriftstellerische Tätigkeit der Autorin nicht genau so unberechenbar ist und wir noch einiges von ihr lesen werden können.

Autorin:

Antonia Hayes wurde in Sydney geboren, arbeitete und lebte in Paris, heute in San Francisco/USA. Sie schrieb Geschichten und Kolumnen für zahlreiche Magazine, bevor sie als Publizistin in der Verlagsbranche und als Buchhändlerin arbeitete.

Ihr Debütroman “Die relative Unberechenbarkeit des Glücks” erschien 2015 in Australien, bevor es in mehrere Sprachen übersetzt wurde. 2016 erschien die deutsche Übersetzung.

Antonia Hayes: Die relative Unberechenbarkeit des Glücks Read More »