Gesellschaft

Sebastian 23: Cogito, ergo dumm

Cogito, ergo dumm -  Book Cover
Cogito, ergo dumm – Eine Geschichte der Dummheit Rezensionsexemplar/Humor Benevento Taschenbuch Seiten: 336 ISBN: 978-3-7109-0103-4

Inhalt:

Machen wir uns nichts vor, der Mensch neigt zu Dummheiten. Aber waren wir immer gleich dumm, oder gibt es Anhaltspunkte für eine fortschreitende Verdummung? Und was ist dran am Gerücht, dass Dumme glücklicher sind? Bestseller-Autor SEBASTIAN 23 nimmt uns mit auf einen Parforceritt durch die Dummheiten der Menschheitsgeschichte. (Klappentext)

Rezension:

Ein Mediziner, der mit seiner Behandlungsmethode erfolgreich zwei Stardirigenten ihrer Zeit erblinden ließ, ein antiker Feldherr, der das Meer auspeitschte, nachdem ihm die Überquerung nicht gelang und ein Präsident, der Ketchup als Gemüse an amerikanischen Schulen durchsetzen wollte.

Die Geschichte der Menschen ist seit jeher durchzogen von klugen Einfällen und so vielen Dummheiten, dass man sich fragen darf, wie wir es eigentlich bisher geschafft haben, zu überleben? Zum Schreien komisch ist die vorliegende Sammlung des Satirikers und Poetry-Slamers Sebastian 23, die im Benevento-Verlag erschienen ist, welche ein ernstzunehmendes Sachbuch mit einer gewaltigen Portion Humor darstellt.

Ein schwedischer König, der im Wettrüsten um die größte Kanone, ein Schiff so stark bestückte, dass es gleich im Hafen unterging, ist da noch als amüsante Begebenheit zu nennen, nicht so der Pilot, der den falschen Knopf drückte und damit eine Atombombe fallen ließ. Zum Glück ist die nicht explodiert. Und so konnte sich Sebastian 23 durch kuriose und skurile Situationen wühlen, sie in seinem neuen Buch zusammenstellen.

Er stellt dar, was eigentlich Intelligenz ist und welche Arten von Dummheit es gibt, konzentrierte sich dabei im Laufe des Schreibens vor allem auf die situative, die uns heute herzhaft lachen lässt. Gehört sie nicht zum Leben dazu oder anders gesagt, macht uns gerade Dummheit menschlich?

Einem belgischen Fernfahrer wurde von seinem Arzt gesagt, er ernähre sich unausgewogen und bräuchte mehr Eisen. Dass der Mann umgehend in einem Haushaltswarenladen ging und sich eine Packung Nägel kaufte und schluckte, kann man ihm da kaum vorwerfen, oder? Mit seinen inneren Verletzungen kam er sofort ins Krankenhaus.

Sebastian 23 in “Cogito, ergo dumm – Eine Geschichte der Dummheit”.

Ein U-Boot-Kommandant, der entdeckt wurde, da er die Toilettenspülung nicht richtig bedienen konnte oder Hähne als Kopfbedeckung gegen die Pest sind da noch das wenigste. Wie wäre es mit einem Banküberfall und zur Verschleierung der Identität natürlich die obligatorische Maske. Dumm nur, wenn sie mit Farbe aufgetragen wurde.

Zu nennen wäre da auch der Kriminelle, der zur Polizei ging, um ein schöneres Fahndungsfoto zu bekommen oder der Verbrecher, der ausbrach um praktisch ins Gefängnis einzubrechen.

Sebastian 23 nimmt sich selbst nicht so ernst und diese, sowie andere Dummheiten der Menschheitsgeschichte auf die Schippe. Thematisch gegliedert geht es zunchst darum, was Intelligenz und Dummheit eigentlich sind, welche Unterscheidungen da getroffen werden und wie sich diese darstellen. Lässt sich Dummheit gleichsam wie Intelligenz messen?

Wenn ja, stimmt die Behauptung, dass die Menschen immer dümmer werden? Oder wird unsere Welt nur vielschichtiger und wir unserer eigenen Unzulänglichkeit mehr bewusst? Ein Blick auf die Politiker vergangener und unserer Zeiten, auf Wissenschaft und Technik und in die Gesellschaft hilft dabei. Mit viel Augenzwinkern, wohl gemerkt.

Die intensive Recherche zu diesem Buch, welches eine abwechslungsreiche bunte Lektüre darstellt, die kurzweilig von der Antike bis zu Instagram-Verbrechen unserer Zeit führt, muss dem Autor unheimlich viel Spaß gemacht haben.

Anders kann ich mir das Feuerwerk an Anekdoten nicht erklären, die Sebastian 23 hier zusammengestellt hat und zum Besten gibt. Diese sind urkomisch, tragisch und regen zum Nachdenken an, zumal, wenn Dummheiten nicht mehr nur auf die humoristische Schippe genommen werden, sondern auch ernste Folgen für uns alle haben.

Bei allem Humor stellt er auch situative Situationen zur Debatte, die einem wirklich an den Verstand der Menschen zweifeln lassen. Doch, ein wenig Dummheit gehört zu unsere Existenz dazu und wer aus der Lektüre mit einem Lächeln herausgeht, war schon mal intelligent genug. Humor bereichert und verlängert schließlich unser Leben, wie auch Penicillin, welches erst durch einen Fehler, eine wissenschaftliche Dummheit, im Experiment, entdeckt wurde.

Die Geschichte der Dummheit oder die Unzulänglichkeit der menschlichen Intelligenz. Lesen wäre klug.

Autor:

Sebastian 23 wurde 1979 geboren und ist ein deutscher Slampoet, Satiriker und Autor. Nach der Schule studierte er Philosophie und trat bei zahlreichen Poetry-Slam-Meisterschaften an. Er lebt in Bochum und geht mit seinem Programm regelmäßig auf Tour, veröffentlichte mehrere Bücher und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet.

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Matthias Drobinski/Thomas Urban: Johannes Paul II.

Johannes Paul II. - Der Papst, der aus dem Osten kam  Book Cover
Johannes Paul II. – Der Papst, der aus dem Osten kam Matthias Drobinski/Thomas Urban C.H. Beck Erschienen am: 17.02.2020 Seiten: 336 ISBN: 978-3-406-74936-0

Inhalt:

Johannes Paul II. (1920-2005) war ein Jahrhundertpapst. Er begeisterte die Massen, und seine Besuche in Polen zeigten den Menschen im Ostblock: Es gibt eine Kraft, die stärker ist als der kommunistische Staatsapparat.

Doch so sehr Karol Wojtyla in seiner Heimat stets die Reformer in der Kirche unterstützt hatte – als Papst regierte er selbst autoritär, beschnitt die Unabhängigkeit der Ortskirchen und maßregelte Theologen. Matthias Drobinski und Thomas Urban erzählen keine Heiligengeschichte, sondern porträtieren eine faszinierende Persönlichkeit, die Revolutionär und Reaktionär in Einem war. (Klappentext)

Rezension:

Im Jahr 1978 begann eines der längsten Pontifikate der Geschichte. Karol Wojtyla, der sich fortan Johannes Paul II. nannte, wurde zum Papst gewählt und ließ die kommunistische Welt aufhorchen. Krisensitzungen im Moskauer Kreml und in Warschau folgten, hatte der Pole doch schon seit seiner Priesterweihe nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder für Aufmerksamkeit und Schwierigkeiten bei den Machthabern gesorgt.

Auch als Papst blieb er Hoffnungsträger für Hunderttausende. Doch, der Mann, der aus dem Osten kam, blieb sich treu und für viele auch hoch umstritten. Die kirchliche Ökomene förderte er, doch gegen Missbrauch in der Kirche unternahm er nichts, auch seine Einstellung gegenüber Frauen, Verhütung und Sexualität waren konservativ. Zu konservativ für eine sich im Umbruch befindliche Welt. Doch, wer war Karol Wojtyla eigentlich? Der Mann, der die katholische Kirche ins neue Jahrtausend führen sollte.

Beitrag aus der Dokumentation “100 Jahre – Der Countdown”, 1981 – Schüsse auf den Papst.

Die Journalisten und Autoren Thomas Urban und Matthias Drobinski zeichnen das vielschichtige Porträt eines Menschen, der zuweilen so widersprüchlich ist, wie die Institution, der er sein Leben verschrieb. Auf relativ wenigen Seiten wird das längste Pontifikat seit mehreren Jahrhunderten dargestellt, aber auch der Weg dorthin minutiös aufgezeichnet.

Welche Wegsteine markierten die Biografie eines Mannes, der Geschichte schreiben und selbst eine solche werden sollte? Wie entwickelte Wojtyla, später als Papst Johannes Paul II., seine Ansichten und woran lag es, dass der einst so progressive Pfarrer, Bischof und Kardinal mit dem Alter immer konservativer wurde?

Beschrieben wird nicht nur der Lebensweg und die Schwierigkeiten der kirchlichen und politischen Auseinandersetzungen, denen sich der “Reisepapst” ausgesetzt war, sondern immer wieder auch Momente, die Geschichte schrieben. Das Attentat auf den Papst gehört ebenso dazu, wie auch die Unterstützungen der Streikenden auf der Lenin-Werft in Danzig, um Lech Walensa, Beginn des schleichenden Zusammenbruchs der kommunistischen Regime im Osten.

Ungeschönt wird das Bild wiedergegeben, welches sich schon zu Lebzeiten formte, auch die Debatte um die Stellung der Frau in der Kirche, die neuen Schwung aufnahm und in derer der Papst auch viele Gläubige enttäuschte, wird dargestellt.

Intensive Recherchearbeit in Archiven, die Sichtung von Interviews und Berichten gingen der Arbeit voran, in derer die Autoren darstellen, welchen Einfluss Papst Johannes II., der sich der Ökomene verschrieben sah und für den Frieden in der welt kämpfte, doch so voller Widersprüche war, auf die Kirche nahm. Sie zeigen, wie der Mann, der über ein Vierteljahrhundert lang, das Schicksal der Katholiken bestimmte, die Kirche über sein pontifikat hinaus bestimmte und welches Erbe er seinen Nachfolgern hinterlies.

Abgesehen von manchen Längen, die wohl alle Biographien aufweisen, ist diese hier leicht zu lesen, ist doch die Zeit, in der Karol Wojtyla voller hochspannender Ereignisse und Wendungen. Die Autoren zeichnen ungeschönt ein facettenreiches Bild mit all seinen Widersprüchen in handlichen Kapiteln.

Nachvollziehbar auch für die jenigen, die das Weltbild des Johannes Paul II. jetzt nicht vertretetn. Urban und Drobinski zeigen, welche Zeichen das Oberhaupt der Katholiken in die Welt sendete und was davon bleibt. Im Guten, wie auch im Schlechten.

Der erste Medienpapst der Geschichte, der den Vatikan in kleinen Schritten veränderte und doch manche, vielleicht zu hoch an die Institution gestellten, Erwartungen enttäuschte, im Spiegel der Zeitgeschichte und an dessen Leben nicht nur die Katholiken bis zuletzt Anteil nahmen. Wie bewerten wir heute den Polen Karol Wojtyla und sein Pontifikat als Papst Joannes Paul II.?

Die Autoren mit dem Versuch einer sehr vielschichtigen Darstellung.

Autoren:

Matthias Drobinsi wurde 1964 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach dem Abitur studierte er Geschichte, katholische Theologie und Germanistik in Gießen und Mainz, begann danach eine journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. 1993 begann er als redakteur für die Zeitung Publik-Forum, später für Die Woche zu arbeiten, auch recherchierte er für mehrere öffentliche Rundfunk- und Fernsehsender.

Seit 1997 arbeitet er für die Süddeutsche Zeitung als innenpolitischer Redakteur und ist dort für Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständig-

Thomas Urban wurde 1954 geboren, ist ebenfalls Journalist und Autor, studierte Romanistik, Slavistik und osteuropäische Geschichte. Nach mehreren Stationen arbeitete er zunächst beim Bundessprachenamt.

Nach einem besuch der Henri-Nannen-Schule war er für verschiedene Presseagenturen tätig, später wechselte er zur Süddeutschen Zeitung, wo er als Osteuropa-Korrespondent tätig wurde, sowohl aus Warschau und Moskau berichtete, als auch vom Abchasien- oder dem ersten Tschetchenienkrieg. 2012 übernahm er das Korrespondentenbüro in Madrid.

Beide sind Verfasser mehrerer Sachbücher.

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Philipp Gut: Jahrhundertzeuge Ben Ferencz

Jahrhundertzeuge Ben Ferencz Book Cover
Jahrhundertzeuge Ben Ferencz Philipp Gut Piper Erschienen am: 02.03.2020 Seiten: 346 ISBN: 978-3-492-05985-5

Inhalt:

Minutiös aufbereitete SS-Ereignismeldungen sind es, die Ben Ferencz nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Eine Chronik des Genozids, ein Sensationsfund und Grundlage für den daraus folgenden Einsatzgruppenprozess in Nürnberg.

Mit gerade einmal 27 Jahren tritt Ferencz als Chefankläger auf und auch danach prägt der Anwalt wichtige Etappen der Zeitgeschichte mit. Er gestaltet die deutsche Wiedergutmachungspolitik mit, ebenso den Aufbau des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ben Ferencz, der SS-Generäle jagte, Opfer entschädigte und bis ins hohe Alter für den Weltfrieden kämpfte. (abgewandelte Inhaltsangabe)

Rezension:

Hundert Jahre sind eine kaum fassbare Zeitspanne, vor allem, wenn sie so ereignisreich gewesen sind, wie die, die Ben Ferencz in vielen Facetten erleben und mitgestalten durfte.

Aus einer armen Familie stammend, wurde der begabte Junge Jurist und half mit Recht und Gerechtigkeit international durchzusetzen und wurde so zu einem Fürsprecher gegen Gräuel und Leid, solches zu sühnen und künftig zu verhindern. Dies ist seine Biografie.

Der Historiker und Journalist Philipp Gut hat sich die fulminante Aufgabe gegeben, eine atemberaubende Biografie zu verschriftlichen. Nun im Piper-Verlag erschienen, ist dies gelungen. Auf der grundlage von Berichten, Tagebuch-Einträgen und nicht zuletzt Interviews mit den jenigen, den der Autor später als Jahrhundertzeuge betiteln würde, zeichnet Gut das Leben eines Kämpfers nach.

Minutiös beschreibt er die Anfänge des begabten Schülers und Studenten, der Recht studierte und den der Krieg nach Europa brachte, der Kontinent, der zu Ferencz prägenster Wirkungsstätte werden sollte.

Ferencz erzählt, wie direkt in den letzten Kriegstagen Material in seine Hände fiel, welches später Grundlagen für die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg werden sollte und welche Weichen ihm gestellt wurden, künftig sich dafür einzusetzen, dass solches Leid, wie von den Nationalsozialisten verursacht, künftig nicht ungesühnt bleiben würde.

Faszinierend sind die einzelnen Episoden aus Ferencz’ Leben, welches immer wieder Berührungspunkte mit den Europa bewegenden Ereignissen hatte, die er zudem kräftig mitgestaltete. Beindruckend, seine Ausführungen, wie er um die Entschädigung von ehemaligen NS-Zwangsarbeitern kämpfte und welchen Hürden er sich gegenüber sah, als es darum ging, eine internationale Gerichtsbarkeit gegen künftige Kriegs- und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schaffen.

In verständlicher Sprache, ohne das Für und Wider der beschriebenen Zeit außer Acht zu lassen, erweist der Autor einem der großen Menschen der jüngeren Zeitgeschichte Ehre und Respekt. Eine Biografie, gleichsam ein Denkmal für jemanden, den es immer um die Sache ging, der jedoch auch fehler und Schwierigkeiten eingesteht, denen er sich ausgesetzt sah.

Intensiv recherchiert, ohne rosarote Brille, ist diese Biografie so spannend wie ein Krimi zu lesen.

Make Law, not War.

Sein Leitspruch und die Maxime, nach der ferencz lebte. Der Bericht über einen außergewöhnlichen Menschen in bewegenden Zeiten.

Autor:

Philipp Gut wurde 1971 geboren und ist ein Schweizer Journalist und Autor. Er studierte in Zürich und Berlin Geschichte, neuere deutsche Literaturwissenschaft und Philosophie und arbeitete als Assistent an der Universität Zürocj, bevor er 2005 promovierte. Als freier Autor arbeitete er zunächst beim Zürcher Tages-Anzeiger, seit 2010 als stellvertrender Chefredakteur.

Er schrieb für mehrere Zeitungen und veröffentlichte Biografien zu Hermann Hesse und Winston Chruchill. Seine Recherchen sorgen immer wieder für Aufsehen und werden intensiv diskutiert.

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Oskar Roehler: Der Mangel

Der Mangel Book Cover
Der Mangel Oskar Roehler ullstein Erschienen am: 28.02.2020 Seiten: 170 ISBN: 978-3-550-20038-0

Inhalt:

Vom Übergang einer Mangelgesellschaft, in der es von allem zu wenig gab, in eine Konsumgesellschaft, die den Menschen ihre Würde raubt.

Vom Großwerden einer Gruppe von Kindern in den Sechszigern, den Anstrengungen der Väter, Wohlstand oder zumindest eine Illusion davon zu erschaffen.

Von den Rückschlägen, die sie erleiden. Von den Sorgen und Existenzängsten der Mütter und das Gegenbild dazu, der Ausweg aus Mangel und Überfluss zugleich: die Kunst als Rettungsanker für das Überleben. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Der namenlose Junge beobachtet die Erwachsenen, die daran scheitern, eine Illusion von Wohlstand Wirklichkeit werden zu lassen und daran zu Grunde gehen, zerbrechen. Mit Gleichaltrigen trollt er durch die noch nicht fertige Neubausiedlung am Rande eines Dorfes, gräbt sich durch Schlamm und Lehm, versinkt sprichwörtlich in seiner eigenen Welt.

Zu Beginn ist er ein Vorschulkind, welches um sich herum alles aufnimmt, später versucht, mit den Mitteln der Kunst zu überleben, beinahe wie einst die Mütter und Väter um ihn herum, zu scheitern droht.

Beindruckend ist diese Novelle, deren Handlung der Leser wie einen kunstfollen Kurzfilm vor dem inneren Auge ablaufen sieht. Nicht von ungefähr kommt dieser Effekt, ist doch der Autor Oskar Roehler selbst Filmregisseur und Drehbuchautor.

Der Protagonist, Vorschulkind, Kind, früher Jugendlicher ist das alte Ego des Autors, der Eindrücke in sich aufsaugt, wie ein Schwamm. Kurz und prägnant sind die Sätze, messerscharf und folgerichtig, wie die Beobachtungen selbst.

In der Erzählung fühlt man mit dem Handelnden, der begreift, dass es da draußen in der großen weiten Welt noch etwas anderes geben muss, dass die Chancen, die sich ihm bieten, jedoch noch weniger als rar gesät sind.

Röhler verbildlicht hier Trost- und Perspektivlosigkeit, die Zeit des Wirtschaftswunders, die überall ankommt, nur nicht dort. Die Zeitspanne umreißt die ersten Jahrzehnte der bundesrepublikanischen Gesellschaft, mit allen Möglichkeiten, vielmehr jedoch mit allen Fallstricken.

Der Protagonist bleibt dabei immer in der Position des Schwachen, ständig am Rand des Abrgund stehend, selbst, als er beginnt, sich daraus zu kämpfen. Trost nur in der Welt der Kunst, der Sprache.

Roehlers Stil, diese Geschichte eine lehmhafte Schwere angedeihen zu lassen, ist gewöhnungsbedürftig. Schön zu lesen, doch plätschert die Trostlosigkeit wie voluminöse Regentropfen nur so dahin. Die Atmosphäre ist düster, die ganze Zeit über, kaum Hoffnungsschimmer.

Um das zu lesen, sollte man in der richtigen Stimmung sein. Für depressive Gemüter ist das nichts.

Es ist eine kompakte Erzählung mit dem Effekt eines Günter Grass, der mit Worten zu faszinieren oder verschrecken mochte. Dazwischen gibt es nichts, sozusagen luftleerer Raum.

Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Kunst als zweifelhafter Rettungsanker. Und immer wieder Dreck, Schlamm, Feuchtigkeit, Lehm. Graue, braune Masse, aus der man etwas erschaffen oder in die man versinken kann.

Doch, muss das zwischen zwei Buchdeckeln sein?

Autor:

Oskar Roehler wurde 1959 geboren und ist ein deutscher Filmregisseur, Journalist und Autor. Nach seinem Abitur ist er als Autor für Drehbücher tätig und wurde ab 1990 als Spielfilmregisseur bekannt. Sein erfolgreichster Film war “Die Unberührbaren”, der u.a. mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde.

Roehler gehört zu den Gründungsmitgleidern der Deutschen Filmakademie, 2003. Im Jahr 2011 veröffentlichte er einen autobiografischen Roman, den er auch verfilmte. 2018 verfilmte er den Roman “HERRliche Zeiten” des umstrittenen rechten Schriftstellers Thor Kunkel.

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Martina Borger: Wir holen alles nach

Wir holen alles nach Book Cover
Wir holen alles nach Martina Borger Erschienen am: 25.03.2020 Diogenes Seiten: 204 ISBN: 978-3-257-07130-6

Inhalt:

Job und Kind unter einen Hut – die alleinerziehende Sina jongliert damit seit Jahren. Seit kurzem wird sie von ihrem neuen Partner Torsten dabei unterstützt.

Und sie haben Ellen, Ende sechzig, die sich engagiert und liebevoll um Sinas Sohn Elvis kümmert und das hat, was er sich so wünscht: Zeit, Geduld – und einen Hund. Doch dann widerfährt dem sensiblen Jungen etwas Schlimmes. Da er sein Geheimnis nicht preisgibt, spinnt sich ein fatales Netz aus Gerüchten um die kleine Patchworkfamilie. (Klappentext)

Rezension:

Sobald man an der Oberfläche kratzt, zeigen sich erst kleine, dann immer größere Risse, die sich schnell zu tiefen unüberwindlichen Gräben ausweiten. Und das nicht einmal absichtlich. Grob könnte man damit die Handlung dieses, zu Beginn sehr betulichen Familienromans, beschreiben, wie sie so oft in den Regalen zu finden sind.

Doch hat die Geschichte aus der Feder Martina Borgers seine Berechtigung, mögen doch gerade die hier beschriebenen Szenen allzuoft in unserer Gesellschaft vorkommen.

In den Protagonisten mag man sich wiederfinden. Allesamt nachvollziehbare Charaktere. Die überarbeitete Mutter, deren berufliche Existenz zu wackeln beginnt, die ältere und hilfsbereite Dame aus der Nachbarschaft und der sensible Filius, Dreh- und Angelpunkt, zugleich Sorgenkind.

Dazu der neue Partner, auch Patchwork ist nichts Ungewohntes. Irgendwo findet man da seine Identifikationsfigur, die die Autorin behutsam ausgearbeitet hat. Der Erzählstil ist dabei von der ersten Zeile an sehr ruhig, um so erschütternder das Ereignis, welches einen Stein ins Rollen und Geschwindigkeit in die Handlung hineinbringt.

Kurzweilig und überschaubar sind die einzelnen Kapitel, beschrieben aus der Perspektive der jeweiligen Hauptperson, wobei hier die Sichtweise des Kindes nur aus der Beobachtung der Erwachsenen heraus, die ihre Schlüsse ziehen, wiedergegeben wird.

Martina Borger erzählt ohne Ausschweifungen von einem schrecklichen Verdacht und von Konsequenzen unseres Handelns, oder eben einer möglichen Nicht-Handlung. Zugleich bringt sie viele Probleme unter, die Gang und Gäbe sind, hier nicht im Detail auserzählt werden. Hier hätte manches Wort mehr geschrieben werden müssen, zumindest Elvis’ Perspektive ausformuliert, wäre wünschenswert gewesen.

Die Erzählung kommt relativ unscheinbar daher, was aber nicht über die Wucht hinwegtäuschen sollte, die der Roman im Verlauf entfaltet. Martina Borger durchbricht die Stadt- und Kleinfamilienidylle, konfrontiert sie mit ihren Sorgen und Ängsten, zeigt, welche Kraft, ein einmal geäußerter Verdacht haben kann.

Doch, ist zu wenig Aufmerksamkeit an der falschen Stelle nicht erst Recht fatal? Leser werden es herausfinden.

Autorin:

Martina Borger wurde 1956 in Gunzenhausen geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Nach der Schule durchlief sie eine Ausbildung als Produktionsassistentin und besuchte die DeutscheJournalistenschule in München. Von 1985-1997 erarbeitete sie u.a. Drehbücher für die Fernsehserie “Lindenstraße”. Seit 2001 veröffentlichte sie mehrere Romane. 2002 wurde sie mit dem Wiesbadener Frauenkrimipreis ausgezeichnet.

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Steven Levy: Facebook – Weltmacht am Abgrund

Facebook - Weltmacht am Abgrund Book Cover
Facebook – Weltmacht am Abgrund Steven Levy Droemer Erschienen am: 02.03.2020 Seiten: 687 ISBN: 978-3-426-27728-7 Übersetzer: Gisela Fichtl (u.a.)

Inhalt:

Die turbulente Firmengeschichte von Facebook zeigt, wie aus dem Konzern das international einflussreichste Tech-Imperium werden konnte, von dem es heute heißt, es bedrohe die Demokratie.

Das mit über 3 Milliarden weltweiten Nutzern auf Facebook, WhatsApp und Instagram über enorme datenvorräte und eine macht verfügt, die ihresgleichen sucht. Eine Macht, für die der Konzern heute immer deutlicher zur Rechenschaft gezogen wird.

Mit unvergleichlichem Insider-Wissen legt Steven Levy offen, was Mark Zuckerberg für die Zukunft seines Unternehmens und die unserer Gesellschaft plant. Er macht deutlich, warum Facebook die Welt unumkehrbar verändert hat und dafür heute die Konsequenzen trägt. (Klappentext)

Rezension:

Als studentisches Netzwerk im Jahr 2004 gegründet, sollte Mark Zuckerbergs Unternehmung einen stetigen Aufstieg Richtung der unseren Alltag beherrschenden Tech-Konzerne nehmen, dass es fast schwindelerregend ist, die einzelnen Stationen zu betrachten.

Wie konnte es einer kleinen Gruppe von Studenten gelingen, die Grundlage für etwas zu schaffen, welches heute zu den wohl Umstrittensten aller Unternehmen gehört, die Einfluss auf unser Leben nehmen?

Der renomierte Tech-Journalist Steven Levy beschreibt den Wandel der Plattform zur allumfassenden Datenmechanerie, skizziert dabei Wege und Wendungen, auch die Probleme, denen sich die Firmenspitze von Facebook heute mehr denn je gezwungen ist zu stellen.

Voraus ging eine jahrelange Recherche durch den Journalisten, der die Entwicklöung von Amerikas Tech-Konzernen seit über dreißig Jahren begleitet. Steven Levy nutzt und kennt die sozialen Medien und bekam Zugang zur Führungsriege, den Mitarbeitern von Facebook, sprach mit ehemaligen Wegbegleitern und Konkurrenten Mark Zuckerbergs.

Was anfangs nur als Art Unternehmensbiografie gedacht war, entwickelte sich im Laufe von zahlreichen Gesprächen zu einem tiefgehenden Psychograms dieses Unternehmes und ihrer Führungsriege. Levy zeigt auf, welche Wege und Wendungen Facebook nahm, wie Facebook arbeitete und Konkurrenten ausschaltete oder sich einverleibte, um dabei die Vision ihrer Gründer zu erfüllen.

Natürlich behält Levy die Fehler, die dabei gemacht wurden im Blick und zeigt, mit welchen Überbleibseln Zuckerberg und Co. zu kämpfen haben, die ihnen Jahre später auf die Füße fallen sollten.

Anfangs durchaus wohlwollend, ist es der kritische Blick, den Levys Arbeit auszeichnet, weshalb sich die Lektüre lohnt. tatsächlich könnte man auf die Idee kommen, einen begeisterten und positiven Bericht vorgesetzt zu bekommen, doch der Autor schaut über den Tellerrand.

Er zeigt die Perspektiven von Wegbegleitern und Konkurrenten, die zumeist nicht wohlwollend auf die Zeit mit Zuckerberg zurückschauen, aber auch, dass die angestellten durchaus idealistische Vorstellungen haben, die sich jedoch regelmäßig mit dem Geschöftsmodellen beißen, ganz zu schweigen von den entwicklungstechnischen Sprüngen, denen der Konzern folgen muss, um Platzhirsch zu bleiben.

Die Reportage ließt sich wie eine Biografie, ein Wirtschaftskrimi aber auch wie eine Blaupause, um mal die Farbe zu missbrauchen, von Erfolgsgeschichten des Silicon Valley.

Man muss dabei kein Nerd haben oder technisches Verständnis, um Steven Levys Ausführungen folgen zu können, zumal ein Großteil der Geschichte an Personen festzumachen ist, denen der Autor persönlich begegnet ist.

Hoch anzurechnen ist es dem Autoren, nicht zu werten, Mark Zuckerberg, sowie dessen Führungsriege, dass sie dem Tech-Journalisten auch dann noch Zugang zu Personen und Unternehmen gewährten, als die Richtung klar wurde, in die sich das Buch entwickelte.

Steven Levy zeigt die Auswirkungen eines amerikanischen Traumes auf die ganze Welt, sowie die Verquickung des Konzernes in die Politik von Staaten, nicht zuletzt der USA selbst.

Welche Probleme sind es, die Facebook selbst geschaffen hat, denen Zuckerberg begegnen muss und welche Visionen werden auch in Zukunft durch Facebook oder einer der eroberten Anwendungen in unserem Leben bestimmt.

“Facebook – Weltmacht am Abgrund”, als vielschichtiger Versuch, eine Unternehmung zu begreifen, die sich selbst von ein gefleischten Insidern schwer durchschauen lässt.

Autor:

Steven Levy wurde 1951 geboren und ist ein Technik-Redakteur, Kolumnist und Senior Editor beim Nachrichtenmagazin Newsweek. Er beschäftigt sich mit Kryptographie im Zeitalter der Computer und veröffentlichte 1984 erstmals eine konsistent ausformulierte Hackerethik.

In seinen Reportagen beschreibt er die Entwicklungen bei Tech-Konzernen wie Google oder Facebook und fand im jahr 1978 das nach einer Obduktion im Jahr 1955 entwendete Gehirn Albert Einsteins. Seine Reportagen und Artikel wurden mehrfach ausgezeichnet.

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Sven Felix Kellerhoff: Eine kurze Geschichte der RAF

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Eine kurze Geschichte der RAF Autor: Sven Felix Kellerhoff Klett-Cotta Erschienen am: 22.02.2020 Seiten: 208 ISBN: 978-3-608-98221-3

Inhalt:

Die RAF hatte dem Rechtsstaat den Kampf angesagt. Sie stürzte die Bundesrepublik in ihre bis dahin tiefste Krise. Welche Rolle spielten die Baader-Meinhof-Anwälte? Warum wurde an den Mythos der “Vernichtungshaft” geglaubt?

Wie machte die RAF nach dem “Deutschen Herbst” 1977 weiter? Der Autor zieht pointiert Bilanz und enthüllt die konzise Gesamtgeschichte des Linksterrorismus in Deutschland, der schonungslos gegen die Demokratie ins Feld zog. (Klappentext)

Rezension:

Aus kleinen Teilen einer Portestbewegung heraus entstand Ende der 1960er Jahre eine Terrororganisation, die mehr als dreißig Jahre die Bundesrepublik in Atem hielt, die Gesellschaft und den Rechtsstaat herausfordern sollte.

Zunächst getragen von Sympathien, anfangs von Teilen der Studentenschaft und Intellektuellenkreisen, verschaffte sie sich durch Anschläge auf Personen und Institutionen der Medienwelt, Wirtschaft und Politik Aufmerksamkeit, doch bröckelte der Rückhalt mit den Jahren, spätestens aber mit der Nacht von Stammheim zusehens.

Immer schwieriger wurde es, für vermeintliche und tatsächliche Ziele Personal zu requirieren und so lief die als “Proejekt Stadtguerilla” gegründete Terrororganisation nach drei Generationen aus.

Die Rote Armee Fraktion scheiterte an der Gesellschaft und Hartnäckigkeit des Staates. Viel ist darüber geschrieben wurden, über die Täter und die Entwicklung dieser Bewegung, nicht zuletzt in den Monumentalwerken Stefan Austs und Butz Peters, die damit Standartliteratur geschaffen haben.

Doch, ist es möglich, die Perspektive der Opfer einzunehmen und eine Kurzfassung darüber zu schreiben? Sven Felix Kellerhoff hat dies versucht.

Knapp 208 Seiten umfasst das vorliegende Werk, wenn man Inhalts- und Quellenverzeichnisse mitzählt und so erhält man eine wahrhafte Kompaktfassung, die mit “Eine kurze Geschichte der RAF” dies auch im Titel deutlich macht.

Das knapp gehaltene Sachbuch umfasst die wesentliche Geschichte der die Bundesrepublik Deutschland prägenden Terrororganisation, die an ihren beteiligten Personen, der Politik und letztendlich auch an der Gesellschaft scheitern sollte. Die Recherchearbeit merkt man dem Autoren an.

Es ist jedoch schade, dass es ihm nicht so gelungen ist, wie auf den ersten Seiten geschildert, hier den Opfern der Anschläge genug Raum zu geben.

Doch ist es erstaunlich, auf wie wenig Seiten sich die Geschichte der RAF raffen lässt, die selbst heutzutage kaum lesbare Pamphlete als Rechtfertigung für ihre Anschläge schrieb.

Kellerhoff zeichnet so knapp wie möglich die Entwicklung der Roten Armee Fraktion nach, wie es wohl kaum einem Autoren vor ihm gelungen ist. Viel neues wird einem Kenner der Materie jedoch nicht begegnen. Gut recherchiert ist es jedoch und so nah geschrieben, dass es sich als Einführung gut lesen lässt, was nun im Klett-Cotta Verlag erschienen ist.

“Eine kurze Geschichte der RAF” ist Einführungsliteratur, nicht mehr, jedoch auch nicht weniger. Wer sich jedoch weitergehend informieren möchte, etwa zu Mogadischu, den Anschlag in Stockholm oder den vorangegangenen Ereignissen der Gründung der RAF sollte auf andere Literatur umschwenken, bzw. diese nachfolgend lesen.

Nichts destotrotz wird Kellerhoff künftig im Kanon der Geschichtsliteratur zur Roten Armee Fraktion zu Recht zu finden sein.

Autor:

Sven Felix Kellerhoff wurde 1971 in Stuttgart geboren und ist ein deuterscher Journalist, Historiker und Autor. Nach der Schule studierte er an der Freien Universität Berlin Neuere und Alte Geschichte, Publizistik und Medienrecht.

Er arbeiete zunächst für verschiedene Zeitungen und Fernsehsender, absolvierte 1997/1998 die Berliner Journalisten-Schule. Seit 1998 arbeitet er für den Axel Springer Verlag. Dort war er von 2000-2002 Leiter der Wissenschaftsredaktion der Berliner Morgenpost und danach Verantwortlicher für die Kulturberichterstattung.

Seit 2003 ist er leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der Welt und Berliner Morgenpost. Seit 2012 ist er verantwortlich für den Geschichtskanal der Welt/N24.

Kellerhoff ist Autor verschiedener Sachbücher und war von 2005-2008 Beisitzer im Vorstand des Landesverbands Berlin des Deutschen Journalisten-Verbands.

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Christopher Kloeble: Das Museum der Welt

Das Museum der Welt Book Cover
Das Museum der Welt Autor: Christopher Kloeble Verlag: dtv Erschienen am: 21.02.2020 Seiten: 528 ISBN: 978-3-423-28218-5

Inhalt:

Bartholomäus ist ein Waisenjunge aus Bombay, er ist mindestens zwölf Jahre alt und spricht fast ebenso viele Sprachen.

Als Übersetzer für die deutschen Brüder Schlagintweit, die 1854 mit Unterstützung Alexander von Humboldts zur größten Forschungsexpedition ihrer Zeit aufbrechen, durchquert er Indien und den Himalaya.

Bartholomäus verfolgt jedoch einen ganz eigenen Plan: Er selbst möchte das erste Museum seines großen und widersprüchlichen Landes gründen. Dafür riskiert er alles, was ihm etwas bedeutet, sogar sein Leben. (Klappentext)

Rezension:

Als das British Empire an seinen Rändern erste Auflösungserscheinungen zeigt, die Kolonien in Neuengland strebten Mitte des 19. Jahrhunderts nach Unabhängigkeit, begann man anderswo gerade erst, seine Vorherrschaft zu festigen.

Mit Hilfe von Pionieren, Glücksrittern und Entdeckern, dem Handel und starken Militär sicherte sich England den riesigen indischen Subkontinent im Spiel der Großmächte. Expeditionen wurden gefördert, um weiße Flecken von der Landkarte zu tilgen und Besitzanspruch zu markieren. Mittendrin drei Deutsche, deren Weg heute fast vergessen ist.

Unter Fürsprache des preußischen Königs und Empfehlung Alexander von Humboldts machten sich 1854 die Gebrüder Schlagintweit auf, Indien für das englische Königshaus und die britische East India Company zu ergründen. Die Bergsteiger und Wissenschaftler unternahmen eine bis dato beispiellose Expedition, erforschten mal gemeinsam, mal getrennt, von Bombay ausgehend, atemberaubende Landschaften, drangen bis nach Nepal und Tibet vor, um ihren in Europa gegebenen Auftrag zu erfüllen.

Unter all den Dingen, zu denen ich mitgewirkt, ist Ihre Expedition bzb eube der wichtigsten geblieben. Es wird mich dieselbe noch im Sterben erfreuen.

Alexander v. Humboldt, Brief an die Brüder Schlagintweit, im Roman abgedrucktes Zitat.

Der Schriftsteller Christopher Kloeble hat sich nun diesem historischen Stoff angenommen und daraus einen Abenteuer- und Expeditionsroman gewoben, der seines Gleichen sucht. Hauptfigur hier, der Waisenjunge Bartholomäus, der zunächst unwillig die drei Brüder begleitet, beobachtet und nicht nur die Ingrez, Indien und schließlich sich selbst kennenlernt.

Aus der Sicht des Hauptprotagonisten wird die Geschichte erzählt. Detailreich lässt der Autor das Indien der Kolonialzeit wieder aufleben, zeigt, wie erste zarte Sprosse einer Unabhängigkeitsbewegung wuchsen, die erst etwa hundert Jahre später zum Erfolg führen sollten.

Zugleich ist dem Autor ein wunderbarere Coming of Age Roman gelungen, der feinfühlig vom Aufwachsen in unklaren Verhältnissen, Ängsten berichtet, parallel Bartholomäus mit zunehmender Seitenzahl Erfahrung und Selbstsicherheit angedeihen lässt. Umgeben von Lüge und Verrat.

Werde ich den Verräter auch bald als Freund bezeichnen?

Der Hauptprotagonist Batholomäus in “Das Museum der Welt” von Christopher Kloeble.

Die Spannung eines solchen starken Stoffes fehlt nicht. Tatsächlich hat Kloeble hier keine Längen entstehen lassen, sondern das richtige Maß gefunden, etwa zwischen ausführlicher Beschreibung von Handlungen und Landschaften, ohne in irgendeinem Bereich zu übertreiben oder seine Leser zu unterfordern. Auch kitschig wirkt das alles nicht.

Die Kapitelgliederung folgt der Expedition, deren Beschreibung nahe an der Wahrheit liegt, zumindest im Verlauf, und den Beobachtungen des jungen Bartholomäus’. So werden nicht nur Orte und Gegenstände zu bemerkenswerten Objekten, auch die Protagonisten unter dem sensiblen Augenmerk des Hauptprotagonisten.

Dies hält den Spannungsbogen, der von der klaren und dichten Sprache des Autoren bestimmt ist. Dieser Roman ist eine gelungene Mischung aus Expeditionsgeschichte, Abenteuer und Coming of Age, Gesellschaftskritik und Landesgeschichte, wie sie nur selten zu finden ist. Somit ist das Werk Teil des Museums der Welt, des ersten Museum Indiens, welches Bartholomäus zusammentragen möchte.

Ich kann nur jedem Leser empfehlen, es zu ergründen.

Autor:

Christopher Kloeble wurde 1982 in München geboren und ist ein deutscher Schriftsteller und Drehbuchautor. Er war Mitglied im Tölzer Knabenchor und besuchte bereits als Schüler den Manuskriptum-Kurs der Ludwig-Maximillians-Universität München.

Er studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und veröffentlichte in diversen Zeitschriften. Parallel dazu schrieb er diverse Drehbücher für Film und Fernsehproduktionen. Für seine Werke erhielt er zahlreiche Stipendien und Preise. Kloeble lebt in Neu-Dehli und Berlin.

Zusatzinformationen:

Die Nachfahren der realen Gebrüder Schlagintweit haben hier Informationen und Hintergründe zur Geschichte ihrer Vorfahren zusammengestellt. Die abgebildete Karte findet sich auch im Roman wieder.

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Peter Balko: Zusammen sind wir unbesiegbar

Zusammen sind wir unbesiegbar Book Cover
Zusammen sind wir unbesiegbar Peter Balko Hanser/Zsolnay Verlag Erschienen am: 17.02.2020 Seiten: 157 ISBN: 978-3-552-05974-0 Übersetzerin: Zorka Ciklaminy

Inhalt:

Nichts kann sie auseinander-bringen, davon sind Leviathan und Kapia überzeugt. Bis eines Tages die Ereignisse rund um einen harmlosen Kuss ihre Freundschaft doch gefährden… Peter Balko erzählt unterhaltsam und sehr warmherzig die Geschichte von Tom Sawyer und Huckleberry Finn an der ungarisch-slowakischen Grenze. (Klappentext)

Rezension:

Eine Geschichte wie ein Knall und eine Erzählung, die ihre Leser fordert. So kommt Peter Balkos Kurzroman, gleichsam Novelle, “Zusammen sind wir unbesiegbar” daher, die kürzlich aus dem Slowakischen übersetzt wird.

Das Autorendebüt nimmt sich den Zusammenhalt, oder auch nicht, einer Kinderfreundschaft vor, die zumindest auf den ersten Blick ungewöhnlicher nicht sein könnte. Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an und gleichen sich zuweilen aus.

Eine Kleinstadt an der slowakischen ungarischen Grenze, lebendig durch die Beschreibung ihrer schrulligen Protagonisten, erlebt durch die zwei Hauptfiguren, die dies zu ihrem Kindheitsparadies machen. Erzähler ist der etwa achtjährige Leviathan, Anspielungen an die mysthische Figur aus antiker Zeit sind durchaus gewollt, der ungelenk und schüchtern seinen Platz in der Familie, der Klasse und seiner Umgebung sucht.

Sein Blick ist es, an dem die Leser sich heften und die Geschichte verfolgen werden, auch auf den gegensätzlichen Freund Kapia schauen, der grob, brutal, doch voller Phantasie und loyal gegenüber Leviathan ist. Beide schließen ob der Ereignisse um ihnen herum eine scheinbar unüberbrückbare Freundschaft.

Erzählt wird vom rauen und nicht einfachen Leben in einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt und die einzelnen Marotten ihrer Bewohner den Verlauf der Geschichte bestimmt. Schule, Kinderstreiche und -ängste bestimmen den Alltag, bei genauerer Sicht auch das Schicksal zerüttelter Familien und die Nachwirkungen der Zeit.

Die heilt, zumindest hier, nicht alle Wunden. Die erste Liebe wird ebenso thematisiert, wie der Tod, dies alles mit einem humorigen Blick, den der Autor behutsam einfließen lässt. Wie käme man sonst dazu, ein Meerschwein Ivan den Schrecklichen zu nennen?

Die Mischung wird nicht jedem liegen. Über Strecken ergeben sich Längen, die die Erzählung nicht schnell konsumieren lassen. Doch insgesamt funktioniert die Vielfalt gut, wenn Peter Balko auch gut daran getan hätte, hier und da zu kürzen, zu verdichten, an anderer Stelle widerum mehrere Seiten hinzuzufügen.

Das Ende der Geschichte geben Klappentext und die Namen der Protagonisten vor. Der Knall könnte kaum größer sein. Der Autor scheint überhaupt eine Vorliebe für scharfe Brüche zu haben. Hier passt es mal.

Wer schwierige flirrende Novellen nicht scheut, ist mit dieser Geschichte gut bedient. Für alle anderen braucht’s schon eine besondere Stimmung, sich diese Erzählung zu Gemüte zu führen, zumal der Autor sich nicht ganz einfacher Elemente seiner Biografie bedient. Als wäre alles andere nicht schon Stoff genug.

Autor:

Peter Balko wurde 1988 in Lucenec geboren und ist ein slowakischer Schriftsteller und Drehbuchautor. “Zusammen sind wir unbesiegbar”, ist sein Autorendebüt, für das er bereits zahlreiche Preise erworben hat. Sein Werk wurde 2020 erstmalig ins Deutsche übersetz

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Jasmin Schreiber: Marianengraben

Marianengraben Book Cover
Marianengraben Jasmin Schreiber eichborn Verlag Erschienen am: 28.02.2020 Seiten: 254 ISBN: 978-3-8479-0042-9

Inhalt:
Paula braucht nicht viel zum Leben: ihre Wohnung, ein bisschen Geld für Essen und ihren kleinen Bruder Tim, den sie mehr liebt als alles andere auf der Welt. Doch dann geschieht ein schrecklicher Unfall, der sie in eine tiefe Depression stürzt.

Erst die merkwürdige Begegnung mit Helmut, einem schrulligen alten Herrn, erweckt wieder einen Funken Lebenswillen in ihr. Und schließlich begibt Paula sich zusammen mit Helmut auf eine abenteuerliche Reise, die sie Beide zu sich selbst zurückbringt – auf die eine oder andere Weise. (Klappentext)

Rezension:
Es passiert eigentlich nicht viel im neuesten Roman von Jasmin Schreiber und doch eine ganze Menge, lesen so einen wunderbar schmerzhaften, bedrückenden und dennoch lebensbejahenden Roman. Wie das zusammenpasst? Zu Beginn steht die Trauer der Hauptprotagonistin, der ein Leser sofort in sein Herz schließen wird.

Die Studentin Paula hat vor ein paar Jahren ihren kleinen Bruder durch das Meer verloren und ist seit dem tief gefallen. Im übertragenen Sinne bis an den Grund des Marianengrabens, des tiefsten Punkt der Ozeane. Nur ist es hier Lethargie und Depression, unverarbeiteter Schmerz, der die Oberhand hat.

Aus ihrer Perspektive erlebt man nun einen Roadtrip und damit auch ein Auftauchen, beschwerliches Ankämpfen gegen die Schuldgefühle. Gegenpol bildet der zweite Hauptprotagonist. Helmut, ein älterer Herr, der ebenso eine Geschichte zu erzählen hat. Auf diese zwei Figuren ist die Geschichte reduziert. Völlig ausreichend ist das.

Feinfühlig beschreibt die Autorin diesen schmerzhaften Verarbeitungs-prozess. Gebannt wird man in die Geschichte eingesogen. Manch kalter Schauer wird einem bei diesen Zeilen über den Rücken laufen, nur um dann wieder grinsen, manchmal laut auflachen zu müssen.

Diese Kontraste zu schaffen, ist Jasmin Schreiber hervorragend gelungen. Dies lässt in der Geschichte die Protagonisten durchhalten, ebenso fordert dies die Leser dieses gelungen Werks.

Auf Trauer folgt Verarbeitung. Diesen Prozess begleiten die Leser, die nach und nach die Puzzleteile der Geschichten beider Protagonisten erfahren, wenn Paula und Helmut so langsam aus dem sprichwörtlichen Meer auftauchen. Interessant dazu auch die Titelüberschriften.

Jasmin Schreiber hat nicht nur ihr Biologie-Studium der Protagonistin „umgehängt“. Viel steckt von der Autorin in Paula. Jede Zeile so gemeint. Jede Zeile ehrlich.

Dies alles ist die große Stärke von „Marianengraben“. Definitiv ein Highlight für alle, die ihn lesen werden und eine Mahnung, Menschen mit Depression die Hand zu reichen, niemals allein zu lassen, im übertragenen und wörtlichen Sinne, schwimmen zu lernen.

Autorin:

Jasmin Schreiber wurde 1988 geboren und ist studierte Biologin, arbeitet als Kommunikationsexepertin und Autorin. 2018 wurde sie als Bloggerin des Jahres ausgezeichnet. Sie arbeitet ehrenamtlich als Sterbebegleiterin und Sternenkinder-Fotografin. Die Autorin lebt in Frankfurt/Main.

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