Leben

Julia Cimafiejeva: Minsk. Tagebuch

Inhalt:

Die belarusische Dichterin Julia Cimafiejeva ist inzwischen Writer in Exile in Österreich. Im Rahmen des gleichnamigen Programms lebt sie nun in Graz. Dort hat Cimafiejeva ein tagebuch weitergeführt, das sie in den Tagen vor den Präsidentschaftswahlen in ihrem Land im August 2020 begonnen hatte – es liegt hier erstmals in Deutsch veröffentlicht vor:

Eine Chronik der Ereignisse in eindrücklichen Worten, eine Chronik von Hoffnung und Gewalt. Notizen aus einem Land, das von einem absurden autoritären System in eine offene Diktatur abgleitet – weil sich Belarusinnen und Belarusen sich nicht mehr mit den Lügen der Machthaber abfinden. (abewandelte Verlags-Inhaltsangabe)

Rezension:

Die Studentin beobachtet in ihrem Wohnheim nachts heimlich das Austauschen von Wahlurnen. Die Welt indes schenkt Lukaschenko keine Beachtung. Gerade richtet sich die Aufmerksamkeit auf die einstürzenden Türme des World Trade Centers in New York City und der autoritäre Herrscher zementiert seine Macht. Jahre später ist die Stimmung hoffnungsvoll. Die Opposition hat drei respektable Kandidatinnen. Aufbruch versprechen sie, Wandel. Das Volk geht dafür auf die Straße. Diesmal schaut die Welt zu. Doch das Regime weiß wie man spielt. Mit Unsicherheit und Angst, unter Nutzung von Polizei, Geheimdienst, unter Nutzung von Gewalt.

Die Dichterin, die längst Texte veröffentlicht, lebt in der belarusischen Hauptstadt, hofft und bangt, möchte etwas tun, demonstrieren vielleicht. Man muss auf der Hut sein. In diesen Tagen werden unzählige Menschen verhaftet, von der Straße weg, wenn sie mit der Opposition in Verbindung gebracht werden. Und sei es nur, weil die Socken deren Farbgebung haben.

Ihre Waffe ist das Wort, ein Stift und ein kleines Heft. Es entsteht ein Tagebuch der Proteste. Zunächst voller Hoffnung, vielleicht Zukunftspläne mischen. Was wäre, wenn sich diesmal wirklich etwas ändert? Schnell wird dies verdrängt. Immer öfter nehmen Ängste überhand, je heftiger sich das Regime wehrt. Schließlich der Drang, zu gehen. Erst im Exil ist sie wieder vorhanden, Luft zum Atmen.

Julia Cimafiejeva beschreibt eindrucksvoll die persönliche Sicht auf einen Konflikt, der regelmäßig aufbricht, kurze Zeit Aufmerksamkeit erlangt, um dann dem Vergessen anheim zu fallen. Wer erinnert sich denn noch regelmäßig an die Ereignisse des gescheiterten Versuchs eines Volkes, ein Land zu verändern? Wer hat sich damals, wer interessiert sich heute für die Folgen dieser Tage? Nie zuvor stand das belarusische Regime so sehr mit dem Rücken zur Wand? Nie wehrte es sich so heftig, um dann gefestigter denn je daraus hervorzugehen.

Immer wieder schweift die Beobachterin ab, in ihre Gedankenwelt, nur um dann selbst Akteurin der Ereignisse zu werden. Man hält den Atem an, wenn sie berichtet, wie sie vor Protesten flieht, in Hausaufgänge, Innenhöfe hinein, in das nächste Geschäft. Die Erleichterung ist zu greifen, wenn sie wieder einmal den Häschern entkommen ist. Dann wieder Ängste. Gefühlswelten wechseln innerhalb des Textes, der zunehmend immer bedrohlicher wirkt. Die Gefahr wandelt sich in eine Schreibblockade um. Gedichte zu schaffen, scheint der Autorin unmöglich. Erst außerhalb Belarus wird sich dies lösen.

„Manchmal denke ich, dass sie mit imaginären Feinden kämpfen: grausam, brutal, stark, bis an die Zähne bewaffnet, echte Superkriminelle – die nur in den Köpfen der belarusischen Machthaber existieren. Vielleicht haben sie sich solche echten Gegner immer gewünscht…“

Julia Cimafiejeva: Minsk. Tagebuch

Schließlich das Exil. In Graz gibt es zu dieser Zeit noch keine belarussische Community. Die ist in der österreichischen Hauptstadt viel größer. Doch, im Ausland wird der Konflikt schnell verdrängt. Ernüchternde Erkenntnis, vermischt mit der Erleichterung, der Tristesse, der ständigen Bedrohungen entkommen zu sein. Und wieder schreiben zu können. Frei. Die Einträge im Tagebuch werden leichter. Lesen sich leichter. Die Autorin schafft zum Ende hin nicht nur mit ihrem Text ein Stück Protest.

Der Text, der im Nachhinein entstand, transportiert diese Stimmungen. Die Sätze, mal kompakt, mal ausschweifend, machen deutlich, wie inmitten Europas ein Land und sein Herrscher einem Volk die Luft zum Atmen nimmt. Das Regime kann sich darauf verlassen, dass der Blick Europas schnell in andere Richtungen zeigt. Das Lebensglück der Menschen indes wird verspielt. Ernüchterung, Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit. Je nach Abschnitt, es gibt derer drei, kommt mal dieses, mal jenes Gefühl zum Tragen. Die Autorin hat sich diese Tage ins Gedächtnis eingeschrieben, gegen das Vergessen. Damit das wenigstens jemand tut.

Autorin:

Julia Cimafiejeva wurde 1982 geboren und ist eine belarusische Dichterin und Übersetzerin. Zunächst studierte sie Englisch, schrieb selbst an mehreren Büchern und Gedichten, veröffentlicht regelmäßig Texte. Ende 2020 lebte sie für längere Zeit in Graz und ist Teil des Programms Writer in Exile, in Österreich. Sie ist Mitglied des Belarusischen PEN und der Vereinigung belarusischer Autoren und Autorinnen.

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Peter Vajkoczy: Kopfarbeit

Inhalt:

Die Instrumente sind winzig, die Herausforderungen groß.

Kopfarbeit ist der empathische Bericht des rennomierten Gehirnchirurgen Prof. Dr. Vajkoczy, Chefarzt an der Charite in Berlin. Erstmals erzählt er von seltenen Erkrankungen, komplizierten Operationen und modernsten Operationstechniken. Seine Patienten und der wissenschaftliche Fortschritt sind ihm gleichermaßen wichtig. Und ständig leben Neurochirurgen wie er mit dem Druck, dass die kleinste Komplikation schwerwiegende Folgen haben kann, das Gelingen jedoch den Mut belohnt, nichts unversucht zu lassen – und Leben rettet. (Klappentext)

Rezension:

Der Operateur sieht das, was er tut, nur durch ein Mikroskop in bis zu vierzigfacher Vergrößerung. Stunden dauert es, bis der Schädel geöffnet, das Gehirn erreicht ist, Blutgefäße verödet oder miteinander, mit Fäden der Stärke 0,07 mm vernäht und der Tumor entfernt werden können. Selbst, wenn dies geglückt ist, ist das keine Garantie, dass das gewünschte Ziel erreicht ist. Der Spielraum der Neurochirurgen ist gering.

Die Gefahr für Komplikationen ist groß, dass der Patient nur mit schweren Behinderungen oder gar nicht überlebt. Peter Vajkoczys Bericht „Kopfarbeit“ gibt Einblicke ins Kopfinnere und auf den Pakt zwischen dem Allerschönsten und Allerschrecklichsten.

Peter Vajkoczy gibt Einblick in die Königsdisziplin der Medizin, in der Freud und Leid nah beieinander liegen und zeigt, dass längst nicht mehr ein Halbgott in Weiß für Erfolg oder Misserfolg einer behandlung Sorge trägt, sondern ein ganzes Team notwendig ist, um ein gutes Behandlungsergebnis für die Patienten zu erzielen.

In seinem empathischen Bericht, der sachlich einzelne Fallbeispiele darstellt, zeigt er, wie Präzensionsarbeit, Erfahrung und Forschung ineinander übergreifen, welche Operationenstechniken noch vor wenigen Jahren eine Sensation waren, heute zu den Standards der Neurochirurgie zählen und wie weltweit vernetzt geforscht wird, um immer minimalistischere Eingriffe mit größeren Erfolgen für die Patienten zu verbinden.

Betont sachlich stellt er anhand der Fälle die eigentliche Operation dar, beschreibt um so emotionaler die Vorgeschichte und die Nachwirkungen von Behandlungen, welche Lehren man aus Erfolgen zieht, was Niederlagen für die weitere medizinische Arbeit bedeuten. Vajkoczy erklärt detailliert medizinische Präzisionsarbeit, für Laien verständlich gemacht anhand zusätzlicher schematischer Skizzen, zeigt jedoch auch, wie wichtig das Zusammenspiel eines aufeinander abgestimmten Teams ist, ebenso die Kommunikation mit Patienten und deren Angehörigen.

Der Autor beschönigt dabei nichts. Bewusst werden auch medizinische Verläufe geschildert, die keinen guten Ausgang nahmen, aber eben auch, warum es sich lohnt für seine Patienten tagtäglich aufs Neue zu kämpfen. Immer wieder wird deutlich, wie international verknüpft Vajkoczys Arbeit ist, nicht nur anhand seiner Biografie, auch im Sinne der Vernetzung, wenn es darum geht, Strategien für Behandlungen zu entwickeln, Forschung und Alltag gleichermaßen voran zu bringen.

Peter Vajkoczy zeigt, wie viel bereits möglich ist, woran geforscht wird und was die Schönheit und Faszination der Neurochirurgie für ihn ausmacht, nicht zuletzt, wie viel und wir wenig über die funktionalen Zusammenhänge im Gehirn wissen. Wo sitzt eigentlich die Seele des Menschen? Wie entscheidet man am Behandlungstisch zwischen der Bekämpfung eines Tumors und einer Verlängerung von Lebensqualität? Wie geht Vajkoczy mit urplötzlich auftretenden Komplikationen um oder, wenn sich ein Behandlungserfolg nur Stunden später in eine medizinische Niederlage entwickelt? Auch das kommt zur Sprache.

Und die ist für Laien sehr zugänglich, nimmt vielleicht etwas Distanz zu dieser Disziplin heraus, zumal in dieser Form, wenn man sich anhand von Patientengeschichten entlanghangeln kann. Allerdings ist auch klar, dass Vajkoczy hier nur einen winzigen Ausschnitt seiner Arbeit zeigen kann, eben so wie er es unter dem medizinischen Mikroskop sieht. Schon bevor man die letzte Seite umgeschlagen hat, bleibt man beeindruckt zurück.

Autor:

Prof. Dr. Peter Vajkoczy wurde 1968 geboren und ist ein deutscher Mediziner und Neurochirurg. In München und Heidelberg studierte er Medizin und ist seit 2007 Direktor der Klinik für Neurochirurgie an der Berliner Charite. Vorher war an mehreren Forschu8ngseinrichtungen und Kliniken im Ausland tätig, zudem elf Jahre an der Medizinischen Fakultät Heidelberg. Er ist spezialisiert auf Kopf- und Gehirn-Neurochirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und Kinderneurochirurgie, zudem beschäftigt er sich mit der Moyamoya-Erkrankung, einer seltenen Erkrankung der Hirngefäße, bei der es zu einer langsamen Verengung und Verschluss der Halsschlagader kommt.

Für seine medizinische und wissenschaftliche Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet.

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Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Inhalt:

Das Buch ist eine der schönsten Erfindungen der Menschheit. Bücher lassen Worte durch Zeit und Raum reisen und sorgen dafür, dass Ideen und Geschichten Generationen überdauern. Irene Vallejo nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise durch die faszinierende Geschichte des Buches, von den Anfängen der Bibliothek von Alexandria bis zum Untergang des römischen Reiches.

Dabei treffen wir auf rebellische Nonnen, gewiefte Buchhändler, unermüdliche Geschichtenerzählerinnen und andere Menschen, die sich der Welt der Bücher verschrieben haben. (Klappentext)

Rezension:

Bücher sollten noch lange nicht in der uns bekannten Form existieren, da schon machten längst Legenden die Runde durch die damals bekannte Welt, die sich wie der Plot eines spannenden Kriminalromans lesen. Agenten des Pharaos waren unterwegs um für die Bibliothek ihres Herrschers Schriftstücke zu sammeln, für die Ägypter teils mehr wert als Gold.

Da schon hatte das geschriebene Wort einen langen Weg hinter sich, der bis zu den ersten gebundenen Büchern dennoch langwierig anmuten sollte. Irene Vallejo erzählt sie, die Geschichten von Herrschern, die um die Macht des Wortes wussten, vom beschwerlichen Weg von Papyrus zu Papier und von der Strahlkraft erster Bibliotheken der Antike.

Wenn er durch Alexandria streifte, sah er unter der realen Stadt die abwesende Stadt pulsieren. Obwohl die Große Bibliothek verschwunden war, hingen ihr Echo, ihr Flüstern und Wispern weiter in der Luft.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Die spanische Autorin und Literaturwissenschaftlerin Irene Vallejo reist mit uns in die Antike und erzählt von den Anfängen eines Gegenstandes, der sich unzählige Male gewandelt hat, heute gar als Hörbuch oder als elektronische Datei existiert und erst durch entsprechende Gerätschaften sichtbar gemacht werden muss.

Die Verbreitung des Lesens führte zu einem neuen Gleichgewicht der Sinne. Bisher hatte sich die Sprache ihren Weg durch die Ohren gebahnt, mit der Erfindung der Buchstaben aber wanderte ein Teil der Kommunikation zu den Augen ab.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

„Papyrus“ liest sich dabei nicht wie eine wissenschaftliche Abhandlung, sondern wie ein Spannungsroman, zuweilen mit Krimi-Elementen. Wer liest, nimmt die Perspektive von erzählenden Philosophen ein, die um Worte rangen, und der Unveränderlichkeit dieser, waren sie einmal auf Papyrus oder Pergament festgehalten, misstrauten, von Herrschern im Größenwahn und vom Kampf der ersten Kopisten gegen den Verfall.

Von den meisten Werken gab es nur wenige Kopien, und dass ein bestimmter Text vollständig erlosch, war eine sehr reale Bedrohung. In der Antike konnte das letzte Exemplar eines Buchs jeden Augenblick aus einem Regal verschwinden, von Termiten zerfressen oder von der Feuchtigkeit unwiederbringlich beschädigt werden. Und während das Wasser oder die mahlenden Kiefer der Insekten ihre Arbeit taten, verstummte eine Stimme für immer.

Irene Vallejo: Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern

Vallejo legt dabei zum einen ihren Fokus auf hervorstechende Einzelpersonen, lässt jedoch auch tief ins Innere antiker Gesellschaften schauen, zeigt die Dramatik der ersten Zensur, aber auch warum das Buch an sich, in welcher Form auch immer, schon damals eine Erfolgsgeschichte gewesen ist. In kurzweiligen Kapiteln, die sich jeweils schwerpunktmäßig auf eine Biografie oder ein Ereignis konzentrieren, eröffnet die Autorin uns einige neue Blickwinkel auf die Anfänge und der Schicksale des Buches.

So lohnt es sich durchaus, auch dieses zu lesen.

Autorin:

Irene Vallejo wurde 1979 in Saragossa geboren und ist eine spanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin. Zunächst studierte sie klassische Literatur in Saragossa und Florenz und promovierte anschließend. Sie spezialisierte sich dabei auf die Antike. Für Tageszeitungen und Zeitschriften schreibt sie Kolumnen, veröffentlichte 2011 ihren ersten Roman.

2020 gewann sie den Literaturpreis Premio Nacional de Ensavo, 2021 den Premio Aragon, die höchste Auszeichnung, die die Regionalregierung der autonomen Region Aragon vergibt. „Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern“ ist ihr erstes Sachbuch.

Die Rezension wurde auf Grundlage eines Rezensionsexemplares geschrieben, welches ausgewählte Kapitel enthielt, um Übersicht und Eindruck von der Art des Textes zu geben.

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Katrin Schumacher: Naturkunden – Füchse: Ein Portrait

Inhalt:

Welch ein Tier. Wo es auftaucht, verändert es die Spielregeln.

Geschmeidig und klug macht sich Katrin Schumacher in ihrem persönlichen Tierportrait auf einen natur- und kulturgeschichtlichen Beutezug durch Fuchsbaue und Hühnerställe, Pelzgerbereien und Stadtlandschaften, um den realen und imaginären, den ebenso listigen wie charmanten Güchsen auf den Pelz zu rücken. (Klappentext)

Einordnung:

Das Werk ist Teil der Reihe „Naturkunden“.

Rezension:

Nicht allein einen wissenschaftlichen Blick gibt die Buchreihe „Naturkunden“ auf verschiedene Themen, immer auch wird der Mensch und sein Einwirken in Bezug zum Objekt gesetzt. So kommt es, das auch der Fuchs ins Visier genommen wird, dessen kulturgeschichtliche Bedeutung die Journalistin Katrin Schumacher einmal beleuchtet hat. Entstanden dabei ist ein kompakter Rundumblick.

Und mehr leider auch nicht. Die Biologie wird hier schmählich behandelt. Zwar werden einige Aspekte des Lebenszyklus‘ und Sozialverhaltens erläutert, hintenangestellt ein kleiner Überblick zu den verschiedenen Unterarten, doch dominiert in den Zeilen der Blick des Menschens.

Ein Wandel wird beschrieben, vor allem vom Pelzlierferanten und begehrten Jagdziels, welches nicht immer einfach zu erreichen ist, zum Kultobjekt, welches als grafisches Motiv auf allen möglichen Gegenständen prankt, zudem neben den Menschen inzwischen der zweite große Stadtbewohner ist. Der Blickwinkel bleibt, zu wenig erfährt man über Natur und Biologie, zu lange scheint die Autorin durch Pelzgerbereien und mit Jägerinnen umhergestreift zu sein. Wäre dies ein Film, würde man die obligatorische Texttafel vermissen, dass hierfür kein Tier zu Schaden gekommen ist.

Der wissenschaftliche Blick wird zu kurz gehalten. Biologinnen, wie etwa Adele Brand oder Sphia Kimmig liefern ein ausführlicheres und fundierteres Portrait und halten sich nicht mit Beschreibungen etwa auf, wie Pelzhandel früher wirkte und Gerbereien arbeiten. Wer jedoch an dieser historischen Komponente mehr interessiert ist, wird bei Katrin Schumacher an Informationen fündig. Es wirkt dennoch und vor allem deswegen irritierend, dass diese Art von Portrait so ihren Eingang in die Reihe „Naturkunden“ gefunden hat.

Wer zudem schon Grundlagenwissen besitzt, wird nichts neues mehr hier raus entnehmen. So bleibt den Fans von Meister Reineke nur, andere Literatur zu suchen.

Autorin:

Katrin Schumacher wurde 1974 in Lemgo geboren und ist eine deutsche Literaturwissenschaftlerin, Journalistin, sowie Jurymitglied des Preises der Leipziger Buchmesse. Nach der Schule absolvierte sie in Bamberg, Antwerpen und Hamburg ein Studium der Germanistik, Journalistik und Kunstgeschichte und schreibt seit dem Literaturkritiken für den Hörfunk, moderierte für mehrere Radiosender und übernahm nach ihrer Promotion verschiedene Lehraufträge bis ins Jahr 2015.

Danach war sie Redaktionsleiterin im MDR für „Literatur, Film, Bühne“, seit 2020 für „Musik und Kunst“. Ab 2016 war sie Redaktionsleiterin des MDR-Ressorts „Literatur, Film, Bühne“, seit 2020 ist sie stellvertretende Redaktionsleiterin des Ressorts „Musik und Kunst“. Vorher arbeitete sie als Literaturredakteurin und ist zudem Mitglied des Buchzeit-Teams des Senders 3sat.

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SAID: Ein vibrierendes Kind

Inhalt:

In seinem nachgelassenen Roman „Ein vibrierendes Kind“ erzählt SAID von seiner Kindheit und Jugend im Iran zwischen 1947 und 1965. Die Eltern sind geschieden und das Kind wächst beim Vater auf, der als Offizier viel unterwegs ist, sich aber liebevoll um seinen Sohn kümmert.

In seinem einfach gehaltenen, bildreichen Stil erzählt SAID von einer Welt und Gesellschaft, die so nicht mehr existiert, die ihn prägt und schützt, aber auch seinen Widerstand hervorruft, bis er das Land für immer verlässt – nicht zuletzt ermuntert durch seinen Vater. „Ein vibrierendes Kind“ ist ein ans Herz gehendes Buch. (Klappentext)

Rezension:

Das Manuskript schon fertig, suchte der Autor und Poet einen passenden Verlag dafür, fand ihn und starb kurz vor der Veröffentlichung seiner Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend in einem längst vergangenen Land. SAID, so sein Künstlername, der sich für politisch Verfolgte einsetzte, sich immer auch über sein eigenes Werk hinaus für die Vermittlung persischer Literatur engagierte, wandelte hier zwischen den Welten.

Und so liegt mit seinem Text „Ein vibrierendes Kind“ eine Mischform vor, zwischen Epik und Lyrik, fast einem Langgedicht, dessen Abschnitte sich jedoch auch getrennt voneinander lesen lassen. In diesem Stil muss man erst einmal hineinfinden. Die ungewöhnliche Schreibweise, Großbuchstaben komplett außen vor zu lassen, tut ihr übriges, volle Konzentration denen abzuverlangen, die sich darauf einlassen, um dann in eine wundersame Welt der Erinnerungen einzutauchen.

ein kind für den samowar

jeden morgen wacht das kind mit seinem summen auf.
am abend arbeitet das kind für den samowar.
glühende kohle wird in einen kleinen drahtkorb gelegt, der korb hat
einen langen stiel, das kind greift zu seinem ende und rennt in den patio.
es dreht den kohlenkorb an seiner seite im kreis.
je schneller das kind ist, desto früher glüht die kohle.
dann rennt es ins haus und liefert die kohle für den samowar.‘
großmutter mault, die tätigkeit sei zu anstrengend.
doch das kind verteidigt jeden abend sein naturrecht auf das amt.
es ahnt nicht, daß bald die moderne gegen das kind siegt.
bald kommen samoware mit öl.
dann steht das kind da –
ohne auftrag, ohne würde.

SAID: Ein vibrierendes Kind

SAID erzählt vom Aufwachsen zwischen den Frauen seines Vaters, Ausflügen und den feinen Geflogenheiten der Erwachsenen, die das Kind beobachtet, vom Zwischenspiel im Internat und dem Drang zur Kontrolle der Großmutter. Melancholie sticht durch, ebenso der kritische Blick, der schon dem kleinen Jungen und später dem Jugendlichen nicht fehlt, der seinen Weg sucht, finden und vom Vater gefördert wird. Schon aufgrund der Art des Textes, der sich nicht wirklich einer literarischen Gattung zuordnen lässt, der Verlag spricht vom Roman, ist dies etwas besonderes, wie auch der Autor zeit seines Lebens immer umtriebig war.

Autor:

SAID, eigentlich Said Mirhadi, wurde 1947 in Teheran geboren und war ein iranisch-deutscher Schriftsteller. Seit 1965 lebt er in München, ging 1979 für kurze Zeit in den Iran zurück, um dann entgültig nach Deutschland zurückzukehren. 2004 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft und schrieb Prosa und Lyrik, war zudem an der Produktion von Hörspielen beteiligt. Der Schriftsteller war Mitglied des PEN-Zentrums, 1995-1996 Vizepräsident dessen und von 2000-2002 Präsident des PEN-Zentrums Deutschland. Er wurde mehrfach für sein Werk ausgezeichnet, etwa 2006 mit der Goethe-Medaille und 2014 mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Er starb im Jahr 2021.

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Laurent Petitmangin: Was es braucht in der Nacht

Inhalt:

Fus und Gillou, 10 und 7, sind sein ganzer Stolz. Doch dann stirbt seine Frau, und er steht allein da mit seinen Jungs. Die Arbeit als Monteur bei der Staatsbahn SNCF, Haushalt, Erziehung: Er gibt sein Bestes, bringt die Jungs zum Fußball, zeltet mit ihnen in den Ferien. Die ersten Jahre läuft alles einigermaßen glatt. Nur Fus wird in der Schule schlechter, sodass er schließlich nicht in Paris studieren kann. Der Vater tröstet sich damit, dass zwischen ihnen alles beim Alten bleibt – bis er entdeckt, dass der 20-Jährige mit einer rechtsextremen Clique rumhängt.

Wie fühlt man sich, wenn das eigene Kind in falsche Kreise gerät, die eigenen Werte verrät? Was kann man tun? Eine Tragödie zwingt den Vater zu einer Antwort. (Klappentext)

Rezension:

Eine Geschichte gleichsam eines französischen Films. okay, ganz so schlimm ist die Sache nicht. Vielmehr hat Laurent Petitmangin mit „Was es braucht in der Nacht“ ein bezeichnendes Autorendebüt vorgelegt. Hier erzählt er die Geschichte einer Entfremdung. Ein Schicksalsschlag entfernt, zunächst schleichend, den Vater von seinem ältesten Sohn, der haltsuchend in den Einfluss einer rechten Gruppe gerät und somit sich von den elterlichen Idealen immer mehr entfernt.

Der Vater sieht dies mit Sorge, doch, was soll, kann er tun? Im direkten Zusammenspiel ändert sich zunächst auch nichts. Schnell ist eine gemeinsame Ebene gefunden. Der Alltag muss funktionieren, nicht zuletzt auch des jüngsten seiner Söhne wegen. Das tut es, bis sich die Katastrophe Bahn bricht. Doch, was bleibt, was muss, wenn selbst Blut nicht mehr dicker als Wasser zu sein scheint?

Laurent Petitmangin beschreibt einfühlsam das Auseinanderbrechen einer Familie, deren Protagonisten sich immer weiter von einander entfernen und doch nicht ohne einander können. Das Unverständnis des Einen wird ebenso beschrieben, wie auch das Hineinschlittern in eine Gefahrenzone, die beide Protagonisten nicht sehen oder kontrollieren können.

Für Frankreich selbst ist dies eine hoch aktuelle Erzählung, ist sie doch bezeichnend für eine extreme Spaltung der gesellschaftlichen Sichtweisen, für deren in einem Teil eine Fundamentalisierung in Richtung Rechtsextremismus eine annehmbare Option erscheint. Ohne zu sehen, was dies für Folgen haben kann. In einer Zeit, in der eine rechtsextreme Präsidentschaft in Frankreich im Rahmen des Möglichen erscheint. Der Autor nimmt sich die Zeit jedoch auch für das Infragestellen einer Vater-Sohn-Beziehung. Wie weit reicht der Einfluss von Eltern und was tun, wenn dies einmal nicht der Fall ist, und sich alles auf den Abgrund hinzu bewegt?

Es ist ein erschütternder und zugleich nachdenklicher Roman, ruhig in seinen Beschreibungen, ohne lange Strecken vorzuweisen. Das gibt die kompakte Form einfach nicht her. Die Konzentration zudem, auf eine Perspektive, tut ihr übriges, diese Geschichte zu etwas Besonderen zu machen. An der einen oder anderen Stelle bin ich dabei mit der Übersetzung nicht wirklich glücklich. Hier wäre die Vorlage des französischen Originals interessant. Auch das Ende ist vielleicht etwas zu einfach. Ansonsten jedoch hat Petitmangin durchaus eine runde erzählung vorgelegt, für die man sich einen ruhigen Moment nehmen sollte.

Autor:

Laurent Petitmangin wurde 1965 in Lothringen geboren und studierte in Lyon, bevor er für die französische Fluggesellschaft Air France zu arbeiten begann. Nach verschiedenen Stationen rund um die Welt, lebt er heute in Paris. „Was es braucht in der Nacht“ ist sein erster Roman.

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Christian Bommarius: Im Rausch des Aufruhrs – Deutschland 1923

Inhalt:

Franzosen und Belgier besetzen das Ruhrgebiet. Tucholsky wirft hin und geht zur Bank. Hemingway wird nicht bedient. Das Rheinland will sich vom Reich abspalten. Anita Berber hat sie alle in der Hand, Joseph Roth steht vor dem Durchbruch. In Hamburg proben Kommunisten den Aufstand und Hitlers Bierkellerputsch scheitert in München blutig. Ein Brot kostet 399 Milliarden Mark.
(Klappentext)

Rezension:

Die neue Demokratie steht auf wackligen Beinen, akzeptiert wird sie nur von wenigen. Die Niederlage des Ersten Weltkriegs ist noch nicht zu lange her. Einen Weg zur Stabilisierung hat man noch nicht gefunden, gefundenes Fressen für radikale Kräfte. Das Geld verliert immer mehr an Wert. Bald schon wird der Lohn in Schubkarren ausgegeben werden müssen.

Für Banken arbeitende Druckereien suchen händeringend Angestellte. Auch ein späterer Propagandaminister, sowie ein kranker Schriftsteller finden sich hinter Bankschalter wieder. Es ist das Jahr 1923, kurz bevor der deutsche Staat sich zu stabilisieren beginnt und zugleich auch Risse bekommt, die ihn später mit zu Fall bringen sollten. Der Journalist Christian Bommarius hat sich mit der rührigen Zeitspanne von zwölf ereignisreichen Monaten beschäftigt.

Ein Sachbuch als historischer Kalender, dies ist die Aufmachung, in der jedem Monatskapitel zunächst eine Übersicht der zu den Zeitpunkt stattfindenden Ereignisse vorangestellt wird, eingeführt durch jeweils mehrere bezeichnende Fotos. Fast literarisch wird die Zusammenfassung danach aufgefächert. Wir begleiten Politiker und solche, die es einmal werden, Putschisten, Künstler und Literaten durch dieses flirrende Jahr und einen geschassten Monarchen, der von seiner Rückkehr träumt.

Die Fakten sind bekannt. Beiderseits der Grenze des Ruhrgebiets, welches von den Franzosen besetzt wird, nichts Neues. Trotzdem wirken die Texte zuweilen hölzern. Leichtgängig ist etwas anderes. Ein Lesefluss entsteht alleine nicht durch den vielseitigen Wechsel der beschriebenen Ereignisse, die zwar ausgiebig recherchiert wurden, aber für Sprunghaftigkeit wirken. Es gilt, Überblickswissen zu erlangen. Wer dieses bereits hat, sollte sich spezialisierter Lektüre zuwenden. Hier wird Grundlagenwissen aufgefrischt.

Eine gute Ergänzung ist das Personenverzeichnis hintenan, welches einen Ausblick auf den weiteren Verlauf der im Text aufgeführten Biografien gibt, deren Weichen auch und besonders im Jahr 1923 gestellt wurden.

Was sehr interessant dargestellt wird, sind die Auswirkungen der Inflation auf die einzelnen Wege der jeweiligen Personen, doch immer dort, wo es spannend wird, erfolgt der Wechsel zum nächsten Momentum. Dabei hat der Autor ein umfangreiches Detailwissen vorzuweisen. Vielleicht wäre hier die Konzentration auf einen Bereich, etwa Kunst und Kultur, nur Wirtschaft oder nur Politiker, vorteilhafter gewesen? Eine Einführung und Übersicht ist es jedoch allemal.

Autor:

Christian Bommarius wurde 1958 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach der Schule studierte er Rechtswissenschaften und Germanistik, bevor er als Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht arbeitete. Er war von 1998 bis 2017 Redakteur bei der „Berliner Zeitung“, anschließend Kolumnist der „Süddeutschen Zeitung“. Er arbeitet zudem als freier Autor und wurde bereits mit dem otto-Brenner-Preis (2018) und den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste, Berlin, ausgezeichnet.

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Tete Loeper: Barfuß in Deutschland

Inhalt:

Mutoni, eine junge, gebildete Frau aus ruanda, beschließt nach dem Tod ihrer Mutter auszuwandern. Über eine ehemalige Mitschülerin erhält sie das Angebot, nach Hamburg zu ziehen und dort einen Mann zu heiraten. Voller Zuversicht und Hoffnung auf ein besseres Leben begibt sie sich auf den Weg nach Deutschland. Entgegen ihren Erwartungen findet sie sich jedoch schon bald in unterdrückenden, teils gewaltvollen Arbeitsverhältnissen wieder. Die Erfahrungen, die sie als Schwarze Migrantin in Deutschland alltäglich macht, führen sie schließlich zu einer unerwarteten Entscheidung… (Klappentext)

Rezension:

Als alle Fäden in ihrer Heimat förmlich zerreißen, entschließt sich die junge und lebensfrohe Mutoni ihr Heimatland Ruanda zu verlassen. In der Stadt, in der sie aufgewachsen ist, hält sie nichts mehr, nachdem mehrere Familienmitglieder ebenfalls den Schritt in die Ferne gewagt haben, die Mutter gestorben ist und das Bild, welches sie von Europa im Kopf hat, immer verführerischer wird.

Ein Angebot, in Deutschland einen Mann zu heiraten, den sie kaum kennt, zu arbeiten und Fuß zu fassen, kommt da gerade recht. Doch, nicht nur Temperaturen und Kleidung sorgen schnell für einen Kulturschock. Mutoni erkennt schnell, dass sie unter falschen Versprechungen hergelockt wurde. Ihr gelingt es, sich davon zu befreien, doch auch alltäglichere Nadelstiche setzen ihr zu, gerade wenn den Verursachern contra gegeben wird.

Sie stoppte augenblicklich in ihrer Bewegung und warf mir einen skeptischen Blick zu. Es hatte ihr wohl die Sprache verschlagen, denn wortlos verließ sie die Küche und schloss demonstrativ die Wohnzimmertür hinter sich.

Tete Loeper: Barfuß in Deutschland

So beginnt die Geschichte, die die Autorin und Journalistin Tete Loeper anhand ihrer und die Anderer Erfahrungen entlang aufgeschrieben und zu einem berührenden Roman gewoben hat, der einen nachdenklich zurücklassen wird. In kompakter Form schafft sie es, all die Hoffnungen und Enttäuschungen, die Gewalterfahrungen unterzubringen, seien sie nun physischer oder psychischer Natur, dass es einem beim Lesen kalt den Rücken hinunter laufen wird. Unweigerlich wird man sich zudem fragen, wie viel Härte das Lektorat herausnehmen musste, gerade zu Beginn, damit der Text gerade zu Beginn noch für Lesende zu verarbeiten ist.

Dieses Gefühl wird nach und nach durch zwar immer kleinere aber auch spür- und sichtbare Nadelstiche ersetzt, die die Protagonistin verspürt, ob nun durch ihre Umgebung ungewollt oder gewollt hervorgerufen. Loeper gibt hier einen Ansatz von Vorstellungen weiter, die niemand aktiv erleben möchte, der leider jedoch immer noch Alltag für viele ist. Gleichzeitig ist es der Autorin in prägnanter Sprache gelungen, auf wenigen Seiten ihrer Protagonistin eine gewisse Wandlungsfähigkeit angedeien zu lassen, die weit über das hinaus geht, was sich anfangs erahnen lässt.

Das setzt dann auch eine gewisse Fähigkeit beim Lesenden voraus, sich selbst zu hinterfragen. Wie bestimmen Klischees unser Denken und Handeln, auch unbewusst? Wie kommentieren und beobachten wir, wie wirkt dies nach außen und wie ist es gemeint, im Guten oder auch im Schlechten? Was macht das mit jenen, die dann im Fokus stehen? Was macht es mit uns, als Gesellschaft? Wenn man sich diese Punkte einmal nach dem Lesen des Romans durch den Kopf gehen lässt, hat dieser sehr viel erreicht.

Autorin:

Divine Gashugi Umulisa, bekannt unter ihrem Pseudonym Tete Loeper, wurde 1990 in Ruanda geboren. Sie lebte während des Völkermords an den Tutsi in Burundi und im Kongo im Exil. Nach ihrem Studium des Journalismus arbeitete sie in verschiedenen Forschungsprojekten mit gefährdeten Mädchen und jungen Frauen, leitete Workshops für Kreatives Schreiben. Seit 2016 lebt sie in Deutschland und arbeitet als Autorin, Schauspielerin, Bildungsreferentin für interkulturellen Austausch und globales Lernen.

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Sasha Filipenko: Die Jagd

Inhalt:

Ein Journalist, der zu viel weiß. Ein Sohn, der seinen Vater verrät. Ein Oligarch, der keine Gnade kennt. Ein korrupter Schreiberling ohne jeden Skrupel. Medien, die auf Bestellung einen Ruf ruinieren. Sasha Filipenko erzählt die Geschichte des idealistischen Journalisten Anton Quint, der sich mit einem Oligarchen anlegt. Worauf dieser den Befehl gibt, Quint fertigzumachen. Die Hetzjagd ist eröffnet. (Klappentext)

Rezension:

Wer Belarus und Russland verstehen möchte, sollte sich einmal aufmerksam die Biografie Sasha Filipenkos anschauen. Zunächst nach St. Petersburg ausgewandert, um über sein Geburtsland unbehelligt schreiben, damit gleichzeitig aber auch unangreifbar das russische politische und gesellschaftliche System auf’s Korn zu nehmen, lebt der Autor inzwischen in Deutschland, um ohne Einschränkungen leben und schreiben zu können.

Er tut dies auf Russisch und nahm in seinem Roman „Rote Kreuze“ die Umdeutung der Geschichte vor, im Nachfolgeband dann das belarussische Gesellschaftssystem. In „Die Jagd“ beschreibt er, brandaktuell, den Einfluss der Oligarchen, Russlands Superreiche und das Dilemma derer, die versuchen, ehrlich zu bleiben.

Sperriger als die anderen, bereits auf Deutsch erschienenen Romane, gelingt der Einstieg in zwei parallel verlaufende Geschichten, die sich erst mit zunehmender Seitenzahl in einander verketten und auf die unvermeidbare Katastrophe zusteuern. Der Erzählstil ist gewöhnungsbedürftig, doch zunächst schaffen wechselnde Perspektiven eine Übersicht über die handelnden Protagonisten, die unterschiedlich zum gesellschaftlichen System stehen. Parallelen zu realen Personen sind hier nicht unbeabsichtigt.

„[…] Anton, für eure Zeitung kann man einen eigenen Friedhof aufmachen!“

Sasha Filipenko: Die Jagd

Tatsächlich lassen sich existierende Pendants im russischen Raum ausmachen, was der Erzählung eine ungeheure Brisanz verleiht, zumal jetzt in diesen Zeiten. Filipenko beschreibt familiäre Machtstrukturen nahe der großen Politik, nebst käuflichen und ideellen Medienjournalismus und die Unterschiedlichkeit des Umgangs der Menschen, die damit gelernt haben, zu leben. Ob sie das so akzeptieren oder eben nicht.

Im Gegensatz zu „Der ehemalige Sohn“ ist die Tonalität nicht gleich und überwiegend deprimierend, sondern steuert von einer, vielleicht nicht optimistischen Haltung, so doch Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen, zumindest von Seiten der Hauptfigur Anton Quints, erst langsam, dann immer schneller gen Abgrund zu.

„Es ist mein Beruf, an die anderen zu denken!“ „Aber denk doch auch einmal an uns. Oder sollen sich doch deine Opfer, die du andauernd rettest, wenigstens ein einziges Mal für dich einsetzen. Sollen sie mal dir helfen. […]“

Sasha Filipenko: Die Jagd

Filipenko zeigt, wenn auch nicht ganz so stimmig, dass es durchaus auch innerhalb der mächtigen Familien verschiedene Sichtweisen geben mag, zumindest auf einige Themenbereiche bezogen. Der Autor vergisst nicht die Zwischentöne, die vielen Wahrheiten, in denen man in einem System, wie dem russischen, leben kann und das ist großartig, zumal quasi aus dem Exil heraus geschrieben. Hier machen die Protagonisten beider Seiten eine nachvollziehbare Entwicklung durch.

Natürlich ist auch klar, bei welcher Figur die Sympathien liegen müssen, doch zeigt der Schreibende auch, welche Konsequenzen Idealisten in einem solchen Gesellschaftssystem zu tragen bereit sind. Es muss die Frage gestellt werden, ob dies notwendig ist, zumal wenn es darum geht, nicht nur aufzuzeigen, wo die kritischen Punkte liegen, sondern irgendwann auch darum, den eigenen Kopf aus der sich selbst angelegte Schlinge zu ziehen.

„[…] Die ganze Geschichte dieses Landes läuft darauf hinaus, dasss das Geschmeiß Menschen wie dich hinausekelt, und du erwartest, dass sich das plötzlich ändert.“

Sasha Filipenko: Die Jagd

Gegen Ende hat man dem Autoren den zu Beginn etwas hölzernen und unnahbaren Erzählstil verziehen und schaut gebannt auf das dargestellte Szenario, welches reale Vorbilder hat. Vielleicht hilft das zu verstehen, wie Russland funktioniert. Gerade aktuell ist dies bezeichnend. Das System ist hart im Umgang mit dem Lebensglück der Menschen. Filipenkos Roman zeigt, dass das durchaus für beide Seiten der russischen Gesellschaft gilt.

Autor:

Sasha Filipenko wurde 1984 in Minsk geboren und ist ein weißrussischer Schriftsteller der auf Russisch schreibt. In seiner Wahlheimat St. Petersburg studierte er nach einer abgebrochenen Musikausbildung Literatur und widmete sich der journalistischen Arbeit, war Drehbuch-Autor, Gag-Schreiber für eine Satire-Show und Fernsehmoderator. Aktuell lebt Filipenko in Deutschland.

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Vladimir Vertlib: Zebra im Krieg

Inhalt:

In der Geschichte von Paul Sarianidis verbindet Vladimir Vertlib meisterhaft Ironie, Ernst, Menschenfreundlichkeit und politischen Scharfblick zu einem beklemmend aktuellen Roman: Paul lebt mit seiner Familie in einer vom Bürgerkrieg heruntergewirtschafteten osteuropäischen Stadt am Meer. Als er arbeitslos wird, verstrickt er sich immer tiefer in die wüsten Debatten, die in den Sozialen Medien toben.

Doch eines Tages wird Paul von Boris Lupowitsch, einem Rebellenführer, den er im Internet bedroht hat, verhaftet. Lupowitsch rechnet mit ihm vor laufender Kamera ab. Paul wird verhöhnt und gedemütigt, das Video millionenfach gesehen. Wie kann er mit dieser Schande weiterleben? Wird seine Familie ihm verzeihen? Und wird es ihm gelingen, einmal das Richtige zu tun? (Inhaltsangabe lt. Verlag)

Rezension:

Überschaubar ist die Anzahl der Romane, die von den aktuellen realen Geschehnissen überrollt werden und dennoch nichts von ihrer Brisanz verloren, ja, dadurch viel mehr hinzu gewonnen haben. Die vorliegende Erzählung des österreichischen Autoren Vladimir Vertlib veranschaulicht das in beeindruckender Art und Weise.

Wer liest, taucht in die wirren Tage einer von Bürgerkrieg gebeutelten osteuropäischen Stadt ein, die nicht näer benannt wird, deren reales Vorbild sich jedoch direkt in der Beschreibung der ersten Zeilen aufdrängt. Dort begleiten wir Paul, der in seiner durch Jobverlust erzwungenen Taten- und Perspektivlosigkeit einen an den Unruhen beteiligten Rebellenführer beleidigt, dieser anschließend sich rächt und damit nicht nur dessen Leben komplett auf den Kopf stellt.

Hier setzt die Geschichte an, deren Protagonist gefährlich oft zwischen den Polen schwankt, einerseits Sympathieträger zu sein, andererseits sein Kontingent an Wohlwollen der Lesenden zu schnell zu vebrauchen. Gleichzeitig ist dies eines der handlungstreibenden Elemente, an denen wir uns entlang der doch etwas umfangreicheren Kapitel entlang hangeln,, wobei der Autor den Hang zum Abstrusen hat.

Einmal davon abgesehen, was im beschriebenen Setting als normal gelten kann, hat der Schreibende besonders gen Ende damit über das Ziel hinausgeschossen, wie die Bürgerkriegsparteien auch den städtischen Zoo in Mitleidenschaft ziehen und der Streichelzoo, nun ja, im Nebensatz alles andere als gestreichelt wird. Abgesehen davon, dass Vertlib ebenso eine gehlörige Portion Ironie und Sarkasmus eingebracht hat.

Zuweilen wirkt das komisch, doch das Lachen bleibt einem noch, bevor man dies zulässt, im Halse stecken. Vladimir Vertilb hat es hier verstanden, seine Finger in die Wunden zu legen und schafft es, sprachlich die Extreme eines Bürgerkriegs, seine Absurditäten und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Einzelnen auf den Punkt zu bringen.

Der Charakterwandel des Hauptprotagonisten wirkt dabei an manchen Stellen zu glatt, in der nächsten Zeile wieder folgerichtig. Von der Tonalität her ist „Zebra im Krieg“ zwar auch erdrückend, jedoch nicht ganz so deprimierend wie etwa Serhij Zhadans Erzählung „Internat“, die etwas konsequenter wirkt.

Vertlib geht da etwas sanfter, aber ebenso bestimmt mit seinen Lesenden um, was sich in seiner Gesamtheit lohnt.

Autor:

Vladimir Vertlib wurde 1966 in Leningrad geboren und ist ein österreichischer Schriftsteller. Mit seiner Familie emigirerte er 1971 aus Russland und lebt seit 1981 in Österreich, wo er Volkswirtschaft studierte. Zunächst veröffentlichte er verschiedene Beiträge in Literaturzeitschriften. Sein erstes Buch erschien 1995. Vier Jahre später erhielt er den Österreichischen Förderungspreis für Literatur, sowie 2001 den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis.

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