Mut

Björn Stephan: Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau

Inhalt:

Sommer, 1994. Sascha Labude ist ein etwas verträumter 13-Jähriger, der einzigartige Worte sammelt. Sein Leben ist relativ ereignislos, also abgesehen davon, dass das alte Land untergegangen und Saschas Vater verstummt ist und sein bester Freund Sonny so berühmt werden will wie Elton John.

Doch dann zieht Juri in die Siedlung, ein Mädchen, das alles über das Universum weiß und ganz anders ist als Sascha – nämlich mutig. sogar so mutig, es mit den schlimmsten Schlägern der Siedlung aufzunehmen. (Klappentext)

Rezension:

Der Brief, er liegt schon länger auf dem Schreibtisch des einstigen Kindes, wird geöffnet. Erinnerungen durchfluten Jenni, die nun junge Frau, die bis dahin erfolgreich verdrängt hat, was damals passierte. Die Perspektive wechselnd, Leserin und Leserschaft reisen zurück, in eine Zeit, in der sich alles veränderte, nichts blieb, wie es vorher war.

Beinahe zu ruhig beginnt das Autorendebüt, was uns Leserschaft hier vorliegt und wird doch immer schneller, heftiger werden, mit jeder Zeile, die uns in die Geschichte einsaugt. Wir begleiten den Hauptprotagonisten, der sich selbst für nicht sichtbar für seine Umgebung hält, durch die Tage.

Selbst die Schläger, die im selben Treppenaufgang wohnen, wie er, beachten Sascha nicht. Dem verträumten Jungen, der noch blasser neben seinem besten Freund wirkt, ist dies nur Recht. Seinen größten Schatz hütet er in einem unscheinbaren Heft. Wörter, die es nur einmal auf der Welt in einer einzigen Sprache gibt und die nur dort eine bestimmte Bedeutung haben. Sascha sammelt sie, hält fest, um sich an etwas zu halten. So kann es bleiben.

Tut es nicht. Diesen Sommer wird sich das Lebend es Jungen schlagartig ändern, wie auch die Welt um ihn herum sich ändert. So beobachtet der/die Lesende den Hauptprotagonisten, der zunächst Beobachter, dann Akteur der Ereignisse ist.

Vielschichtig sind die Protagonisten um ihn herum, die Beschreibungen Björn Stephans tun ihr übriges, um sofort den typischen Geschmack des damals angesagten Kaugummis im Mund zu haben und die flirrende Umgebung der Plattenbauten zu spüren, die den Handlungsort prägen. Der Autor indes hat sich hier viel vorgenommen.

Er erzählt von der Zeit zwischen Kindheit und Jugend, von Freundschaft und erster Liebe, von Beobachtung und Irrtum, Angst, Mut und dem Erkennen, dass nichts ist, wie es scheint.

Stephan gelingt es kunstvoll, nicht nur Zeitsprünge zu verbinden, sondern auch Klippen des Kitsches zu umschiffen, einmal haarscharf, zudem mehrere Enden unterzubringen. Jeder Strang wird zu Ende erzählt. Lücken werden durch das Kopfkino gefüllt, besonders gegen Ende eine kleine Herausforderung für die Leserschaft.

Ein Roman, der auf vergleichsweise wenigen Seiten so viel zu erzählen hat und auf mehreren Ebenen die Lesenden nachdenklich zurücklässt, dabei sprachlich schön geschrieben ist, bleibt. So wie die Wörter in Saschas Heft.

Autor:

Björn Stephan wurde 1987 in Schkeuditz geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Aufgewachsen in Schwerin, studierte er zunächst in Berlin Geschichte und Politikwissenschaft und besuchte anschließend die Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Er schreibt für die Zeit, die Süddeutsche Zeitung, arbeitet als freier Reporter. Seine Texte und Reportagen wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Sozialpreis und dem Reporterpreis. Im Jahr 2021 erschien sein erster Roman. Der Autor lebt in München.

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Katja Brandis: Woodwalkers 6 – Tag der Rache

Tag der Rache Book Cover
Tag der Rache Reihe: Woodwalkers – 6 Kinderbuch Arena Verlag Hardcover Seiten: 341 ISBN: 978-3-401-60397-1

Inhalt:

Es ist so weit! In den Rocky Mountains beginnt der Sommer und mit ihm die Abschlussprüfungen für Carag.

Doch das Lernen fällt dem Pumajungen schwer, denn Millings Großer Tag der Rache steht unmittelbar bevor. Verzweifelt versuchen Carag und seine Freunde, die Menschen vor Millings Verbündeten zu schützen. Schnell steht für Carag, seine Menschenfamilie und die Clearwater Hogh alles auf dem Spiel. Wird es den Verteidigern gelingen, rechtzeitig hinter Millings Geheimnis zu kommen und die gefährlichen Gegner zu stoppen? (Klappentext)

Reihenfolge der Reihe:

Woodwalkers 1 – Carags Verwandlung

Woodwalkers 2 – Gefährliche Freundschaft

Woodwalkers 3 – Hollys Geheimnis

Woodwalkers 4 – Fremde Wildnis

Woodwalkers 5 – Feindliche Spuren

Woodwalkers 6 – Tag der Rache

[Einklappen]

Rezension:

Fernab aller Gender-Debatten muss man in den Regalen der Buchhandlungen so manches Mal suchen, wenn man gute Bücher, Romane für Jungen finden möchte.

Zwar gibt es auch in diesem Bereich immer mehr, aber gefühlt gegenüber der für die Zielgruppe der Leserinnen ausgelegte Literatur immer noch zu wenig und so stechen neue Buchreihen, wie die „Woodwalkers“ der Münchener Autorin Katja Brandis wohlwollend heraus. Davon abgesehen können sie natürlich dennoch von beiden Geschlechtern gelesen werden.

„Woodwalkers – Der Tag der Rache“, ist der Finalband dieser abenteuer- und actiongeladenen Serie, in der die jungen Gestaltwandler, Carag und seine Freunde, nicht nur den Abschlussprüfungen des Jahrgangs entgegen bibbern, sondern sich zudem auf den kommenden Schlag ihres Erzfeindes Andrew Milling vorbereiten müssen.

Mehr sei vom Inhalt kaum verraten, nur, dass es auch hier wieder zu dramatischen Entwicklungen und Wendungen kommt, die so einige Stunden fesselnden Lesestoff versprechen. Der über die Bände hinweg kontinuierlich aufgebaute und konsequent gehaltene Spannungsbogen, aus der Ich-Perspektive Carags erzählt, die feinen Charakterzeichnungen, die sich hier als durchaus wandlungsfähig, nicht nur im Sinne ihrer zwei Gestalten, zeigen, tun ihr übriges, um als runde Sache gelten zu können.

Carag, Holly, Brandon und die anderen sind den Lesern ans Herz gewachsen und so fern man gerade nicht altersgemäß zur Zielgruppe gehört, ahnt man während des Lesens zwar, wohin das alles führen und wie die Geschichte enden wird, für die jüngere Leserschaft aber, ist es ein Lesegenuss ohne geringste Abstriche.

Gestützt auf die Legenden der amerikanischen Urvölker, hat die Autorin hier kunstvoll die Idee der Gestaltwandler augfgegriffen, so dass man zwangsläufig die Welt Carags und seiner Freunde liebgewonnen hat. Wer darin noch ein wenig verweilen möchte, kann mitgewachsen, dies in der demnächst erscheinenden Jugendbuchreihe „Seawalkers“, es wird nass, tun.

Alles in allem hat mich diese Reihe von Anfang an überzeugt. Besonders auffällig ist hier vielleicht zu erwähnen, dass an sich keiner der Zwischenbände schwächelt und man nicht mit dem Gefühl zurückgelassen wird, dass irgendetwas fehlen würde.

Ohne erhobenen Zeigefinger hat die Münchener Autorin Themen wie Charaktereigenschaften verarbeitet und gezeigt, dass auch gerade auf den deutschen Kinderbuchmarkt sich Perlen verstecken können, die mitunter auch über Altersgrenzen hinweg funktionieren.

Es hat Spaß gemacht, den Weg Carags auf Puma- und anderen Fährten zu folgen, von denen man nach diesem letzten Band gerne Abschied nimmt. Wer die Autorin bis dato nicht auf den Schirm hatte, sowie ihre zahlreichen Pseudonyme, der sollte dies spätestens mit diesen Band. Davon abgesehen lohnt es sich vielleicht, sein Haustier mal etwas genauer zu beobachten. Vielleicht ist das ja mehr Mensch als man denkt.

Autorin:

Katja Brandis, geb. 1970, studierte Amerikanistik, Anglistik und Germanistik und arbeitete als Journalistin. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und hat inzwischen zahlreiche Romane für junge Leser veröffentlicht. Sie lebt mit Mann, Sohn und drei Katzen in der Nähe von München.

katja-brandis.de/biografie

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Stefanie de Velasco: Kein Teil der Welt

Titel: Kein Teil der Welt Book Cover
Titel: Kein Teil der Welt Stefanie de Velasco Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 10.10.2019 Seiten: 432 ISBN: 978-3-462-05043-1

Inhalt:
Vom Aufwachsen in der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas.

Mit unwiderstehlicher Kraft führt uns Stefanie de Velascos aufrüttelnder Roman in eine Welt, die mitten in der unsrigen existiert und dennoch kein Teil von ihr ist. Klug, rasant und herzzerreißend erzählt er vom Emanzipationsprozess einer jungen Frau, der sämtliche Fundamente zum Einstürzen bringt. (Klappentext)

Rezension:
Unser Grundgesetz legt fest, dass ein Jeder glauben darf, woran er oder sie möchte, so lange man seinem Gegenüber nicht schadet. Dies ist ein Privileg, zumal es noch genug Orte auf der Welt gibt oder es in der Geschichte gab, an denen die jenigen verfolgt wurden, die von den Meinungen der Mehrheitsgesellschaft abweichen oder ganz und gar ihre eigenen Wege gehen.

Doch, was ist, wenn sich die Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft zu sehr abschotten und sich selbst schaden? Stefanie de Velasco erzählt die fiktive Geschichte zweier Mädchen innerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas.

Die Autorin, die selbst lange Zeit Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen ist, erzählt nicht ihre oder eine andere klassische Aussteigergeschichte, sondern stellt dem Leser zwei klassische identifikationsfiguren an die Seite, deren Schicksal man von Zeile zu Zeile atemlos verfolgt.

Zum einen ist da das Mädchen, welches den Glauben mit einer Ernsthaftigkeit praktiziert, dass man als Leser nur den Kopf schütteln kann, dioe jedoch später nach ersten Zweifeln beginnt, zu hinterfragen. Die Erzählerin indes ist die andere Protagonistin, die einfach ihre Ruhe haben, keinen Wandel möchte, doch vom Zweifel ihrer Freundin mitgerissen wird.

Im Wechsel der Zeitebenen wird die Geschichte erzählt. Rückblenden und Gegenwartseindrücke gehen nahtlos ineinander über.

Das ist die Stärke des Romans und zugleich seine Schwäche. Zu Beginn weiß man nicht, wo diese Geschichte einem hinführen wird, welches Ziel die Protagonisten verfolgen. Auch das Lesetempo, welches die Autorin einfordert ist nicht gerade einladend.

Am Anfang fließt der Erzählstrom langsam, doch schon nach dem ersten Drittel wird klar, dass die Figuren sich in immer rasanteren Tempo dem Abgrund nähern. Dies widerum tut der Handlung gut, wenn auch im Mittelteil die Wendung zu abrupt kommt. Hier hätten fünfzig Seiten mehr der Geschichte gut getan.

Stefanie de Velasco erzählt eine nur in Ansätzen autobiografische Geschichte und doch eine, wie sie passieren könnte. Sie zeigt, wie wichtig es ist, auch auf die jenigen zu achten, die außerhalb unserer Gemeinschaft stehen, ohne erhobenen Zeigefinger natürlich, aber dennoch Hilfe anzubieten, wenn stille Zeichen dazu Anlass geben.

Die Autorin erzählt, dass es wichtig ist, auf diese Menschen einzugehen, gleich dem wie fremd die einstige Denkweise sein mag, aber auch wie wichtig es ist, größere Katastrophen zu verhindern, sind doch die Einschnitte ohnehin brutal genug.

Mit der Kraft des Erzählens zeigt „Kein Teil der Welt“ jedoch auch, wie nah Freud und Leid beieinander liegen und das Freundschaft auch dann noch eine Wirkung hat, wenn diese längst vergangen ist. Und da sind dann die Protagonisten dann doch nicht so anders als die Welt um sie herum.

Einige Längen und ein allzu abrupter Wechsel im handlungsverlauf zum Trotz, zieht einem der Roman in seinem Bann, lässt einige Fragen offen und im Leser arbeiten. Das halboffene Ende passt dazu, insgesamt hätten der Erzählung ein paar Seiten mehr Ausführungen gut getan. Im Großen und Ganzen jedoch, lesenswert.

Autorin:
Stefanie de Velasco wurde 1978 geboren und ist eine deutsche Schriftstellerin. Aufgewachsen bei den Zeugen jehovas verließ sie die Religionsgemeinschaft im Alter von 15 Jahren. Nach der Schule studierte sie Europäische Ethnologie und Politikwissenschaft in Bonn, Berlin und Warschau.

Für das Berliner Stadtmagazin Zitty, die FAS und Zeit Online schreibt sie regelmäßig Beiträge. Im Jahr 2013 erschien ihr Debütroman „Tigermilch“, der verfilmt und zahlreich übersetzt wurde. Ein Jahr später wurde sie dafür für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. „Kein Teil der Welt“, ist ihr zweiter Roman.

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Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist

Niemand weiß, dass du hier bist Book Cover
Niemand weiß, dass du hier bist Nicoletta Giampietro Piper Erschienen am: 01.03.2019 Seiten: 416 ISBN: 978-3-492-05918-3

Inhalt:

Der zwölfjährige Lorenzo soll bei seiner Tante in Siena unterkommen, bis der Krieg vorüber ist. Die Toskana gilt als sicher. Mit seinem neuen Freund Franco träumt Lorenzo vom glorreichen Triumph des faschistischen Italiens. Doch die Begegnung mit Daniele bringt seine Überzeugungen ins Wanken. Daniele ist Jude. Als die Stadt schließlich von den Deutschen besetzt wird, schweben er und seine Eltern in großer Gefahr. Und Lorenzo trifft eine folgenreiche Entscheidung. (Klappentext)

Rezension:

Es gibt Romane, deren Geschichten verschwinden, sobald man den Buchdeckel zugeklappt hat und andere, die bleiben und nachwirken. Zur letzteren Sorte gehört „Niemand weiß, dass du hier bist“ von Nicoletta Giampietro. Das Debüt der italienischen Autorin erzählt die Geschichte des kleinen Lorenzo, der vor den Kriegswirren des Zweiten Weltkrieges in Afrika ins vermeintlich sichere Italien zu Verwandten gebracht wird und dort mit seinem neuen Freund Franco vom Siegeszug des Faschismus träumt.

Zunächst ist alles noch aufregend, auch wenn erste Anzeichen von der Grausamkeit und Bedingungslosigkeit auch den Kinderaugen des Zwölfjährigen nicht entgehen. Jüdische Mitschüler verschwinden aus dem Unterricht, immer schwieriger wird es, an Lebensmittel zu kommen, die Tante eckt mit allzu freier Meinungsäußerung an.

Im Szenario einer Kleinstadt, Siena, in der Toskana konzentrieren sich die Auswirkungen des Krieges. Viel packt die Autorin hinein. An historischen Gegebenheiten orierentierent, an realen Personen nur leicht angelehnt, hat sie einen Aufarbeitungsversuch eines Stückes italienischer Geschichte geschaffen, der fasst zu vergessen werden drohte.

Zunächst die Protagonisten, in deren Zentrum der anfangs zwölfjährige Lorenzo steht. Aufgewachsen in Tripolis, ist er der wache Charakter, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. Zugleich außenstehender Beobachter und Beteiligter trägt der Protagonist die Geschichte.

Detailliert zeigt die Autorin den Zwiespalt auf, in dem Lorenzo sich befindet, vor allem in den gegensätzlichen Freundschaften, einerseits zum gleichaltrigen Franco, dessen Familie vom Faschismus profitiert, er selbst ist ganz der Ideologie verfallen, andererseits im späteren Verlauf zu Daniele, der nur knapp dem Unheil der Deportation entgeht. Beide Freundschaften bringen Lorenzo, auf die eine oder andere Art und Weise, in Gefahr.

Immer wieder fallen dabei bezeichnende Sätze, wie dieser:

Ich war an einem sicheren Ort gebracht und zurückgelassen worden. Aber Kriege sind unberechenbar. Und sichere Orte auch.

Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist

Die Geschichte entfaltet eine Sogwirkung, zunächst nur leicht, mit zunehmender Seitenzahl immer stärker, der man sich nicht entziehen kann. Dazu trägt ein kontinuierlicher Spannungsbogen bei und die Tatsache, dass die Autorin möglichst viele Themen gezielt untergebracht hat.

Zwar nur haarscharf an der Überfrachtung vorbei, sind auch die Nebenfiguren so detailliert gezeichnet, dass sie fassbar werden, allen voran Figuren wie Matteo oder Zia Chiara, die durchaus zur Identifikation taugen. Lorenzo steht irgendwo dazwischen. Auch thematisch macht es Giampietro ihren Lesern nicht leicht. Geschont wird niemand.

Es werden die Auswirkungen des Krieges auf den Alltag, das Denken und Handeln der Partisanen, der Mitläufer und der Täter behandelt, aber auch dort immer wieder gezeigt, dass jede Geschichte zwei seiten hat, eine großer Stärke des Romans, unterstützt durch sprachlich wunderbare Bilder.

… fast verschmolzen mit der Wand, zitternd wie ein Pappelblatt im Wind, schmutzig und mit riesigen, angsterfüllten Augen, …

Nicoletta Giampietro: Niemand weiß, dass du hier bist

Geschichtliche Aufarbeitung kennen wir von deutscher, niederländischer oder von polnischer Seite, dieser Roman zeigt einen Versuch etwas Unfassbares fassbar zu machen aus italienischer Sicht. So gelungen, habe ich selten etwas gelesen und kann diesen Roman nur jeden Interessierten ans Herz legen.

In klarer verständlicher Sprache und nicht allzu langen Kapiteln verfolgt die Autorin das Handeln ihres Protgonisten über mehrere Jahre, in denen Lorenzo einen Prozess des zu schnellen Erwachsenwerdens durchmachen muss. Leben, damit der andere überlebt, dabei einen klareren Blick bekommen. Vielleicht kann man es so zusammenfassen?

Emotional, nicht kitschig, beschreibt die Autorin Lorenzos Weg und zeigt im Nachwort auf, welchen realen Gegebenheiten einzelne Elemente der Handlung und Beschreibungen entlehnt sind. Gerade dies macht „Niemand weiß, dass du da bist“ zu einem unglaublich starken Roman, dessen Geschichte sich so oder ähnlich tatsächlich hätte abspielen können. Manche Szenen sind der Realität entlehnt.

Wer diesen Roman liest, wird dies mit zunehmend offenen Mund tun und viel Stoff zum Nachdenken bekommen. Eine Geschichte mit Nachhall, die ihres Gleichen sucht, gegen das Vergessen und für das Erinnern. Eine unbedingte Empfehlung.

Autorin:

Nicoletta Giampietro wurde 1960 in Mailand geboren und wuchs in einer italienisch-französischen Familie auf. Sie studierte nach der Schule Politikwissenschaften und geschichte in Mailand und Tübingen, zog 1986 nach Deutschland. Seit 1995 lebt sie in mainz, nach Stationen in Köln und Rotterdam. Sie spricht mehrere Sprachen. „Niemand weiß, dass du hier bist“ ist ihr erster Roman.

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Maxim Leo: Wo wir zu Hause sind

Wo wir zu Hause sind Book Cover
Wo wir zu Hause sind Maxim Leo Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 14.02.2019 Seiten: 368 ISBN: 978-3-462-05081-3

Inhalt:

Wenn vier Menschen um einen Tisch sitzen, dann ist Maxim leos Berliner Familie schon fast vollständig versammelt. Die vielen anderen Leos, die in den 30er-Jahren vor den Nazis flohen, waren immer fern, über den ganzen Erdball verstreut. Zu ihnen macht er sich auf, nach England, Israel und Frnkreich, und erzählt ihre unglaublichen Geschichten.

Die von Hilde, der Schauspielerin, die in London zur Millionärin wurde. Die von Irmgard, der Jura-Studentin, die einen Kibbuz in den Golanhöhen gründete. Die von Ilse, der Gymnasiastin, die im französischen Untergrund überlebte. Und die ihrer Kinder und Enkelkinder, die jetzt nach Berlin zurückkehren, in die verlorene Heimat ihrer Vorfahren. (Klappentext)

Rezension:

In Interviews mit Schriftstellern fällt öfter der satz, am besten schreibe man über das, was man kennt. Doch, schon bei der eigenen Familiengeschichte wird es schwierig, ist sie doch etwas, was meist episodenhaft in den Köpfen einzelner Familienmitgleider herumgeistert und zumeist nicht tiefgehender erläutert wird. Wer wagt es schon, alte Wunden aufzureißen, genauer nachzufragen?

Wie wirken sich Entscheidungen, die einzelne Familienmitglieder Generationen zuvor getroffen haben, auf ihre Nachfahren aus und gibt es so etwas, wie ein kollektives Familiengedächtnis? Maxim Leo meint ja, und begibt sich auf Spurensuche quer über den Erdball zu den Wurzeln seiner Familie.

Die Geschichte seiner Familie ist vor allem in der beginnenden Verzweigung der 30er-Jahre die Geschichte von Frauen, denen besonderes abverlangt wurde in besonderen Zeiten. Der Autor führte Interviews mit den Nachfahren, Kindern und Enkeln und findet sich plötzlich wieder im Strudel der Geschehnisse, die die Familie quer über den Erdball verteilten und nur ein paar Leos in Berlin zurückließen. Die Stadt, in der alles ihren Anfang nahm.

Einfühlsam und emotional müssen die langen Gespräche gewesen sein, die Maxim Leo mit unzähligen Mitgliedern geführt haben muss und so spürt er minutiös seiner eigenen Vergangenheit nach oder dem, was heute noch nachwirkt. Das ist beeindruckend und macht nachdenklich, aber auch Lust, die eigene Familiengeschichte mal etwas näher zu betrachten, mal etwas tiefgehender zu hinterfragen.

Ungemein spannend beschreibt er die Besonderheit der Zeit, der seine Vorfahren ausgesetzt waren, aber auch, dass die drei Frauen, deren Kinder, Enkel und Urenkel, heute in Wien, Haifa, London und im ländlichen Frankreich zu Hause sind, nicht zum Opfer werden wollten, sondern für sich und ihre Nachkommen ums Überleben gekämpft haben.

Er vollzieht die Geschichte nach und die Erkenntnis, dass wir vielleicht weniger selbst entscheiden als in unserem kollektiven Gedächtnis festgelegt ist, folgt auf den Fuße. Bleibt die Frage, warum man jemand anderes Familiensagen sich zu Gemüte führen sollte? Ganz einfach, weil Familie eben das ist, was man sich nicht aussuchen kann, was bleibt und was wir zu dieser machen. Zudem ist es interessant zu erfahren, wie ähnlich und doch verschieden sich manche Biografien verhalten und dass eben nicht alles so „warm und selbstverständlich“ ist, wie es zunächst scheint.

Autor:

Maxim Leo wurde 1970 in Ost-Berlin geboren und ist ein deutscher Journalisst, Drehbuchautor und Schriftsteller. Nach einer Ausbildung zum Chemielaboranten holte er 1990 das Abitur nach und studierte zunächst Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin, sowie in Paris. Er war Nachrichtenredakteur bei RTL und seit 1997 ist er zudem Redakteur bei der Berliner Zeitung.

2002 bekam er für seine Arbeit den Deutsch-Französischen Journalistenpreis, 2006 den Theodor-Wolff-Preis verliehen. Er ist Autor mehrerer Spaß-Bücher, sowie 2011 eines biografischen Werkes, wofür er 2011 den Europäischen Buchpreis erhielt. 2018 erschien mit „Wo wir zu Hause sind“ ein weiteres biografisches Buch. Leo schreibt Drehbücher für die Serie „Tatort“ und lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Stephen Davies: Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang

Titanic - 24 Stunden bis zum Untergang Book Cover
Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang Stephen Davies Aladin Verlag Erschienen am: 28.02.2018 Seiten: 128 ISBN: 978-3-8489-2103-4

Inhalt:

Die Titanic sticht in See – und Jimmy und Omar sind mit an Bord. Die beiden erkunden den Ozeanriesen bis in den letzten Winkel, schleichen sich zu Mitternachtspartys, entdecken Drachenblut im Frachtraum und dringen sogar bis in den Gymnastikraum der 1. Klasse vor. Für sie ist das Schiff wie ein großer Freizeitpark. Doch als es einen Eisberg rammt, wird der Traum zum Albtraum: Es gibt nur 20 Rettungsboote – nicht annähernd genug für 2228 Passagiere. (Klappentext)

Rezension:

Anfang des 20. Jahrhunderts ist der Glaube an den Fortschritt, an die Technik und der Bezwingbarkeit der Natur noch ungebrochen, als das damals größte Passagierschiff der Welt in See sticht. Ziel Amerika, Sehnsuchtsort für unzählige Menschen, die ihr Glück in der Neuen Welt versuchen und die Trostlosigkeit, vor allem Armut, ihrer alten Heimat hinter sich lassen wollen.

Nicht ahnend, dass der Traum für nicht wenige nach ein paar Tagen zur tödlichen Falle werden würde.

Stephen Davies erzählt, grafisch schon aufbereitet durch Torben Kuhlmann, die Geschichte zweier Jungen, die es so tatsächlich an Bord der Titanic gegeben haben könnte. Zunächst erscheint für die beiden Protagonisten alles wie ein einzig großes Abenteuer.

Zusammen schleichen sich Omar und Jimmy, die sich zu Beginn finden und schnell anfreunden, wie es Kinder in dem Alter eben tun, des Nachts aus ihren Kabinen und erkunden dieses technische Wunderwerk. Sie schleichen sich durch Mannschafts- und Frachträume, einmal bis zum großen imposanten Treppenaufgang der Ersten Klasse und kommen aus den Staunen nicht mehr heraus.

Immer auf der Hut, von den Erwachsenen, insbesondere den Mannschaftspersonal, nicht erwischt zu werden. Dabei machen sie interessante Entdeckungen, wie sie nur 10- bis 12-jährige Jungen berauschend finden, die von solch einem Luxus, beide sind Passagiere der Dritten Klasse, nur träumen dürfen.

Sie begegnen imposanten John Jacob Astor, damals einer der reichsten Männer der Welt und Kapitän Edward Smith. Plötzlich jedoch, befinden sich Jimmy und Omar inmitten einer Katastrophe. Jetzt zählt nur noch, einen der raren Plätze in den Rettungsbooten zu bekommen. Doch, die Familien beider schlafen nichts ahnend in ihren Kabinen.

Kinderbücher können spannend sein und dabei Interessen wecken, wahre Begebenheiten verständlich und fassbar rüberbringen. Genau da tut Stephen Davies, der Jimmy, seinen Hauptprotagonisten aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, dabei die Grausamkeit, Absurdität der Ereignisse und die menschlichen Qualen nicht verschweigt, aber für das Zielpublikum altersgerecht verpackt.

Aufgelockert mit Zeichnungen erschließt sich so ein historisches Ereignis, welches für Friedenszeiten eine der größten menschlichen Katastrophen werden sollte, deren Blickwinkel auf Technik und menschliches Beherrschungsvermögen über die Naturgewalten für immer verändert werden sollten.

Für technikinteressierte Kinder und denen, die kleine kompakt aber kurzweilige Geschichten mögen, ist dieser kleine Roman ideal. Davies orientiert sich sehr an verbürgte Ereignisse des Untergangs, die wege der Jungen waren so möglich und auch das im Klappentext erwähnte Drachenblut gab es tatsächlich. was es allerdings damit auf sich hat, muss man schon selbst nachlesen.

Davies verschönt nichts, gibt der Geschichte aber bereits zu Beginn eine sinnvolle Richtung, die nicht verschreckt und zudem Eigenschaften wie Mut, Freundschaft und Zusammenhalt als Grundstock nimmt. Natürlich, für Erwachsene ist vorhersehbar, wie es für speziell Omar und Jimmy ausgeht, dennoch für diese Altersgruppe eine spannende Geschichte, die Lust darauf macht, mehr erfahren zu wollen und einlädt, zu recherchieren. Bitte mehr von dieser Sorte ganz wunderbarer Kinderbücher.

Autor:

Stephen Davies wurde 1976 geboren und ist ein britischer Kinderbuchautor. Er lebte von 2001 bis 2014 in Burkina Faso. Davies arbeitete schon als Erntehelfer, Missionär, Englisch-Lehrer, schrieb Reiseberichte für verschiedene Zeitungen, bevor er 2006 sein erstes Kinderbuch veröffentlichte. Seine Reiseberichte und Kinderbücher wurden mehrfach ausgezeichnet. Der Autor lebt mit seiner Familie in London.

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