Geschichte

Rüdiger Frank: Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates

Nordkorea - Innenansichten eines totalen Staates Book Cover
Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates Rüdiger Frank Pantheon Verlag Seiten: 461 Broschur ISBN: 978-3-570-55293-3

Inhalt:

Nordkorea und seine diktatorischen Machthaber aus der Kim-Familie werden gefürchtet und verlacht. Gefürchtet, weil das Regime mit Atomkrieg droht und die Bevölkerung im letzten staatssozialistischen System der Erde unterjocht. Verlacht, weil auf westliche Betrachte Rückständigkeit und Massenaufmärche vor allem kurios wirken. Aber das wird dem Land kaum gerecht.

Rüdiger Frank, einer der besten Kenner Nordkoreas, der regelmäßig dorthin reist, versucht in diesem Buch eine Annäherung an das abgeschottete Land, aus dem nur wenig verlässliche Nachrichten dringen. Aus seiner reichen Erfahrung heraus erklärt er Geschichte und Selbstverständnis, die Machtstrukturen und die seit einiger Zeit zu beobachtenden Änderungen im Alltag und in den wirtschaftlichen Verhätlnissen.

Und er wagt einen Ausblick auf die Frage einer möglichen Wiedervereinigung mit Südkorea. (Klappentext)

Rezension:
Nordkorea ist als kleines Land die große Unbekannte unter den Staaten Asiens. Über kaum ein Land dringt so wenig nach Außen, über kaum ein Land gibt es so wenige Informationen und wird so einseitig berichtet, wie dieses auf der koreanischen Halbinsel.

Doch, abseits von Halbwissen und Begrifflichkeiten wie der “Achse des Bösen”, wozu die Vereinigten Staaten das Land zählen, “Atomtests” und “Hungersnöte”, fragt sich der westliche Beobachter, wie es den Land bis heute gelingt, zu existieren, während andere Länder mit ähnlichen Staatssystemen zusammenbrachen oder zumindest wirtschaftlich eine 180-Gradwende vollzogen, allen voran Nordkoreas großer Nachbar China.

Wie gelang es dem Regime sich trotz Hungersnöte und technologischen Rückstand zu halten? Wir alle haben die Satellitenbilder im Kopf, die ein dunkles Nordkorea zeigen, umgeben von durch Elektrizität hell erleuchteten Nachbarstaaten. Worauf baut der Staat auf? Welche Ideologien stecken dahinter und sind diese wirklich so starr, wie es scheint?

Oder durchlebt der Nachbar Südkoreas gerade eine Phase des langsamen, aber kontinuierlichen Umbruchs? Wie gestaltet sich die Gesellschaft Nordkoreas ihren Alltag? Gibt es ein Umdenken im Umgang mit den Regime und den Nachbarn?

Weshalb ist die Teilung Koreas und dem zu Folge eine mögliche Wiederveinigung nicht mit der Deutschlands zu vergleichen, auch wenn beide Staaten nach Berlin schauen und die Wiedervereinigung Fernziel für beide ist? Und, wo liegen die Fallstricke?

Rüdiger Frank, der beide koreanische Staaten vom Äußern und insbesondere vom Inneren her kennt, analysiert Korea und zeichnet das Bild eines Staates, welches mehr interessante Fragen bereithält, als dass es Fragen beantwortet.

Zu spannend ist es, zu beobachten, was derzeit in Nordkorea passiert, wenn es sich auch für den Beobachter, der jetzt nur die Beiträge aus den westlichen Medien kennt, selten so zu erkennen gibt. Man muss schon dorthin reisen und Kontakte in beide koreanische Staaten haben, um analysieren zu können und genau dies tut Frank in diesem Buch.

Zunächst beschäftigt sich der Autor mit der Geschichte Koreas, die in die Teilung von Außen heraus führte und folgend mit den ideologischen Überbau, der als erstaunlich wandlungs- und interpretationsfähig beschrieben wird. Sowohl von der staatlichen Seite als auch von der Bevölkerung selbst. Das politische System wird, soweit möglich, aufgegliedert und die wackelige Wirtschaft analysiert.

Der Autor beschreibt den Wandel Nordkoreas anhand von Reformversuchen des Regimes, zeigt, was funktioniert und was trotz Scheitern, etwa der Remormen 2002, trotzdem zurückbleibt und eines Tages helfen könnte, zu einem völligen Wandel beizutragen. Mit oder ohne den derzeitigen Machthabern.

Rüdiger Frank geht noch einen Schritt weiter und schildert die Rolle der Sonderwirtschaftszonen und die Rolle des derzeitigen Machthabers Kim-Jong-Un im staatlichen System Nordkoreas, sowie, wie Propaganda als Sonderweg zwischen Russland bzw. der ehemaligen Sowjetunion, China und den Erfeind USA funktioniert. Er wagt aber auch zugleich einen Blick in die Glaskugel, bezüglich Varianten einer Wiederveinigung beider koreanischen Staaten.

So gegliedert, ergibt sich ein ausgiebiges und detailliertes Standardwerk über die aktuelle Situation Nordkoreas und ein anderes Bild, abseits der üblichen Medien-Berichte, welches man unbedingt verinnerlichen sollte.

Rüdiger Frank zeigt auf, wo das Regime an sich selbst scheitert, aber auch, was funktioniert und welche roten Linien die internationale Staatengemeinschaft überdenken sollte, die sich zu sehr auf’s einseitige Handeln verlegt hat und damit alle Chancen der Annäherung verspielt, wenngleich Nordkorea nicht unschuldig daran ist.

Der Autor gibt einen sehr differenzierten und interessierten Einblick, der auf jeden Fall das Wissen über Nordkorea erweitert und dazu anstößt, sich eben nicht mit zweiminütigen Berichten in der Tagesschau zufrieden zu geben, sondern mehr zu erfahren.

In klarer und verständlicher Sprache zeichnet der Autor dieses Bild, dennoch verlangt das Lesen Konzentration ab, die man halten muss. Es ist kein Werk zum Nebenherlesen, aber so spannend beschrieben, wie Geschichte, Politik und Wirtschaft sonst nicht sein können. Dafür und für eine etwas klarerer Sicht auf ein, uns so unbekanntes, Land, lohnt sich die Lektüre.

Autor:
Rüdiger Frank wurde 1969 in Leipzig geboren und ist ein deutscher Wirtschafts- und Ostasienwissenschaftler. 1991/92 verbrachte er ein einsemestriges Sprachstudium an der Kim-Il-Sung-Universität im nordkoreanischen Pjörnjang, finanziert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Koreanistik, sowie Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen.

Später lehrte er in New York, wurde 2007 zum Professort für “East Asian Economy and Society” an der Universität Wien ernannt und ist seit 2012 Vorstand des Instituts für Ostasienwissenschaften in Wien. In Seoul ist er als außerplanmäßiger Professor tätig und besucht beide Staaten regelmäßig. Er war Mitglied mehrerer EU-Delegationen und des World Economic Forum.

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Steve Sem-Sandberg: Die Erwählten

Die Erwählten Book Cover
Die Erwählten Steve Sem-Sandberg Klett-Cotta Erschienen am: 26.09.2015 Seiten: 525 ISBN: 978-3-608-93987-3 Übersetzerin: Gisela Kosubek

Inhalt:

An einem Januar-Morgen 1941 wird der elfjährige Adrian Ziegler, Sohn einer Wiener Arbeiterfamilie, seinem Zuhause entrissen und in die Klinik Spiegelgrund gebracht. Während der Zweite Weltkrieg tobt, sind Adrian und die anderen Kinder in der Erziehungsanstalt schutzlos der Hölle des Nazi-Systems ausgeliefert.

Einzig der Anblick des Bergs vor dem Fenster weckt in ihnen die Hoffnung auf einen Schutzengel, der sie von diesem finstersten aller Orte zu retten vermag. Die Klinik wird so zum Spiegel des Nazi-Terrors – und das Überleben zur absolzuten Ausnahme. (Klappentext)

Rezension:
Die Reihe guter dokumentarischer und aufarbeitender Romane ist dünn gesät. Viel zu oft werden einzelne Geschehnisse überhöht, gar welche dazu erfunden, als wollen die Autoren die Leser in eine bestimmte Zeitebene einführen, bitte jedoch mit Wohlfühlfaktor, und wenn ein wenig Schrecken und Grusel dabei ist, ist dann die kriminalistische Ader des Zielpublikums auch bedient. Hier aber, ist’s anders.

Steve Sem-Sandberg, dessen größter Teil seiner Werke noch gar nicht aus dem Schwedischen übersetzt wurde, hat mit “Die Erwählten” in Werk geschaffen, welches ebenso wie “Die Elenden von Lodz” aufwühlen und den Blick weiten vermag.

Im Kern geht es um den Wiener Jungen Adrian Ziegler, dessen Elternhaus nicht ins Zeitbild der Nazis passen will und der deshalb in die fänge der neuen Machthaber, genauer gesagt, in der Anstalt Spiegelgrund landet.

Dort sammelt das Regime und seine Getreuen all das, was schwer erziehbar oder als abartig, nicht lebensfähig gilt. Wer einmal drin ist, verlässt dieses System dann auch nicht so schnell. Und schon gar nicht lebendig.

Der zweite Handlungsstrang bezieht sich auf die Kinderkrankenschwester Anna Katschenke, die beim hochangesehenen Jekelius, Leiter der Anstalt, eine Stelle sucht und antritt und nach und nach vom Wirken der Ärzte dort erfährt, das Euthanasie-Programm zur Vernichtung lebensunwerten Lebens willfährig mitträgt und unterstützt.

Gleich dazu die erste erzählerische Meisterleistung des Autoren. Die Täter existierten mit den aufgeschriebenen Namen alle wirklich.

Die Namen Gross, Jekelius oder etwa Katschenka lassen sich nachvollziehen, um die überlebenden und toten Opfer zu schützen, werden diese jedoch anonymisiert, wobei auch hier leicht herauszufinden ist, dass es sich bei der Geschichte um den Jungen Adrian um niemand anderen als Friedrich Zawrel handelt, dessen Lebensgeschichte und Leiden hier als Grundlage für die Handlungsstränge dient, die mit zunehmender Seitenzahl immer schneller, immer drängender erzählt werden.

Dabei unterlässt der Autor es, den Leser zu schonen, begibt sich in die gefühlswelt der Täter und wirft seine Leser dann wieder ins kalte Wasser, wenn beschrieben wird, wie Kinder und Jugendliche mit vermeindlicher oder wirklicher Behinderung vorgeführt, misshandelt oder erlöst werden.

Letzteres findet vor allem im Kopf statt, nur Andeutungen gibt es reichlich.

Unterfüttert mit z.B. Vernehmungsprotokollen und einer tragischen Wiederbegegnungsszene, die verbürgt sind, ist dieser Roman kleinteilig, jedoch immer packend. Man möchte die Täter am liebsten jetzt noch nach ihrem Tode einer gerechten Strafe zuführen.

Doch, was ist schon gerecht, in Anbetracht der Behandlung, die diese ihren Opfern haben angedeihen lassen?

Erschreckend, diese Kaltschnäuzigkeit und diese Willkür, die damals das geherrscht haben, ebenso diese Berufung auf Vorgesetzte. “Wir haben doch nur Befehle ausgeführt.”

Man möchte brechen, auch im Angesicht der Tatsache, dass sich nicht wenige Täter in die Gesellschaft wieder eingliedern, ihren Beruf wieder aufnehmen konnten, während all ihren Opfern, sofern sie mit den Leben davon kamen, Gerechtigkeit meist versagt blieb. Eine Ungeheuerlichkeit.

Im perspektivischen Wechsel gestaltet, hat Sem-Sandberg ein Meisterwerk des Gedenkens geschaffen, welches unbedingt gelesen gehört. Viel zu selten erfährt man etwas über das Schicksal der Euthanasie-Kinder, deren bekanntestes Beispiel in Deutschland Ernst Lossa ist, doch müssen, wie hier am Beispiel Friedrich Zawrels unbedingt noch mehr Kinderschicksale aufgearbeitet werden, um in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu geraten.

Zu groß ist die Gefahr des wiederkehrenden Geschehens. Es hat schließlich auch damals nicht mit überdorsierten Tabletten oder Spritzen angefangen, sondern mit geschürten Hass und Ausgrenzung. Dagegen und gegen die Folgen, nicht zuletzt zur Erinnerung, dieser Roman.

Autor:
Steve Sem-Sandberg wurde 1958 in Oslo geboren und ist ein schwedischer Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer. Schon im jungen Erwachsenenalter verfasste er erste Romane. Er war Redakteur bei der Tageszeitung Svenska Dagbladet und wurde für seinen Roman “Die Elenden von Lodz” mit den schwedischen August-Preis ausgezeichnet. Er übersetzt zudem auch andere Autoren ins Schwedische. Er lebt in Stockholm und Wien.

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Sahm Venter: Nelson Mandela – Briefe aus dem Gefängnis

Briefe aus dem Gefängnis Book Cover
Briefe aus dem Gefängnis Sam Venter (Hrsg.) Rezensionsexemplar/Sachbuch C.H. Beck Verlag Hardcover Seiten: 752 ISBN: 9078-3-406-71834-2

Inhalt:

Auf den Höhepunkt einer brutalen Kampagne des Apartheid-Regimes in Südafrika wurde der Anwalt und Aktivist Nelson Mandela verhaftet. Für seine politischen Aktivitäten um den African National Congress ANC musste er die Jahre 1964-1990 in Haft verbringen.

Der spätere Präsident des Landes schrieb in diesen Tagen zahlreiche Briefe an Mitstreiter, Regierungsfunktionäre und an seine Familie. Mehr als 250 ausgewählte Briefe aus dieser Zeit geben Einblick in die Welt eines Mannes, der sich seine Güte und den Weitblick in schwierigen Zeiten bewahrte und zuletzt als einer der inspirierendsten Menschen des 20. jahrhunderts verehrt wurde. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Haft, Ausgrenzung und Isolation sind in Diktaturen und artverwandten Regime dazu angedacht, die Gegner zu brechen und mundtot zu machen. Wer aus dem Alltags- und politischen Geschehen herausgehalten wird, wer behindert wird, aktiv zu sein, soll vergessen und dessen Betrachtungen und Ideen keine Chance zum Wachstum haben.

Dies hatten die politischen Führer Südafrikas vor, als sie Nelson Rohlilhala Mandela mit Hilfe einer konstruierten Gerichtsverhandlung einsperrten und damit 27 Jahre lang demütigten und nur so ihre Vorherrschaft der Minderheit sichern konnten.

Doch, die Verantwortlichen hatten nicht mit den Willen, Mut und ungeheuren Glaube an das Gute im Menschen, gedacht, welches Mandela Zeit seines Lebens aufrecht hielt, nicht zu vergessen seinen großen Kreis an Freunden, Verwandten und Unterstützern. Ihnen schrieb er beständig Briefe. Ein Großteil wird nun der Öffentlichkeit in dieser Ausgabe zugänglich gemacht.

Dieses Buch ist keine Biografie und auch keine veröffentlichung, die Nelson Mandela selbst forciert hat, dennoch nenne ich ihn hier zumindest an zweiter Stelle als Autor, da er, zwar unwissentlich, aber dennoch für den Inhalt dieses Buches gesorgt hat. Wichtig und an erster Stelle zu erwähnen, ist jedoch Sahm Venter, die mit Beharrlichkeit und Engagement aus Archiven und Privatsammlungen zusammengetragen hat, was ein äußerst vielschichtiges Bild ergibt, welches einen der wohl faszinierendsten Menschen der jüngeren südafrikanischen Geschichte zeigt.

Detailliert gab Mandela Freunden und Verwandten Einblick in seinen Gefängnisalltag, frustriert von den Eingriffen der Zensurbeamten und Gefängnisverantwortlichen, so dass der Anwalt und Aktivist aucvh regelmäßig an Justizminister und andere staatlich Verantwortliche schrieb.

Teilweise sehr schwer zu lesen, da besonders die ersten Briefe unglaublich frustrierend und zermürbend zu lesen sind, so wie sich eben Mandela gefühlt haben muss, wird die Sammlung durch ein umfangreiches Personenregister ergänzt und unter jeden Brief gibt es Erläuterungen zu den dort verwendeten Begrifflichkeiten, beschriebenen Verwandtschaftsverhältnissen oder Ereignissen.

Dies macht die Sammlung so unglaublich wertvoll und informativ, dass man sie in Ergänzung zu Mandelas Biografie “Der lange Weg zur Freiheit” lesen sollte, jedoch unbedingt Vorkenntnisse haben muss, um dies mit Genuss und Gewinn zu lesen.

Charaktereigenschaften, die später die Öffentlichkeit faszinieren und diese sehr besondere Sichtweise Mandelas, die schließlich zum Versöhnungsprozess in Südafrika führen sollten, werden in seinen Briefen deutlich, wozu besonders die Vielfalt und Auswahl der Briefe betragen.

Für die Lektüre sollte man sich Zeit nehmen und nichts parallel lesen, um mit der vollen Konzentration dem rechnung zu tragen, welch schwere Zeit Mandela durchlebt hat. Kartenmaterial und Fotos, eine Kurzbiografie, sowie das berührende Vorwort einer Enkelin Mandelas machen hier Geschichte erlebbar, eingebetet im historischen Material der Briefsammlung.

Wer Südafrika verstehen will, sollte zu diesem gut recherchierten und strukturierten Werk greifen, ahnt hinterher aber auch, warum die Regenbogennation heute ohne ihren Übervater eine wankende Zukunft hat. Unbedingte Empfehlung.

Autor:

Nelson Mandela wurde 1918 geboren, war ein führender südafrikanischer Aktivist und Politiker. Im Jahrzehnte andauernden Widerstand gegen die Apartheid praktizierte er als Anwalt, bevor er von 1963-1990 in verschiedenen Gefängnissen Südafrikas als politischer Häftling einsaß.

Ab 1944 engagierte er sich im African National Congress (ANC) und wurde zum Symbol und Vorbild im Freiheitskampf gegen Unterdrückung und Rassentrennung. 1994 wurde er erster schwarzer Präsident seines Landes und bekam ein Jahr zuvor den Friedensnobelpreis. Er starb 2013 in Johannesburg.

Herausgeberin:

Sahm Venter ist Senior Researcher bei der Nelson Mandela Foundation.

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Alexander Münninghoff: Der Stammhalter

Der Stammhalter Book Cover
Der Stammhalter Alexander Münninghoff C.H. Beck Erschienen am: 20.07.2018 Seiten: 334 ISBN: 978-3-406-72732-0 Übersetzer: Andreas Ecke

Inhalt:

Der findige Großvater mit seiner Firma, ein lebenshungriger Sohn und ein Enkel, der Stammhalter, der entführt werden muss: Zwischen diesen Generationen entspinnt sich die wahre Geschichte vom Niedergang einer Familie im 20. Jahrhundert, nicht durch den Krieg, der gut für die Geschäfte ist, sondern weil jeder für den anderen “nur das Beste” will.

Alexander Münninghoff hat aus den vielschichtigen Beziehungen einer Familie, aus der versunkenen Welt zwischen Riga und Den Haag, einen zauberhaften, bewegenden Roman geschrieben. (Klappentext)

Rezension:

Die Erzählung beginnt mit einem Sprung, hinein in eine längst vergessene Zeit. Eine Zeit, in der Großgrundbesitzer die Geschickte Osteuropas bestimmten und die Ruhe trügerisch ist. Es sind die Jahre vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, in die Münninghoff eintaucht, um den Auf- und Abstieg seiner Familie zu erzählen. Eine Geschichte, die dem deutschen Pendant der Buddenbrooks würdig ist, nur eben wahr.

Eindrücklich, minutiös, immer wieder Kindheitserinnerungen und später im Erwachsenenalter Erfahrenes aufgreifend, beschreibt Münninghoff an exemplarischen Szenen die Ecken und Kanten seiner Familie. Förmlich kann man die einzelnen Protagonisten, die einst tatsächlich sein Leben prägten, greifen und begleitet sie auf ihren Weg. Der Spannungsbogen steigt stetig an, führt geradewegs in die unausweichliche Katastrophe.

Alles, was einen Aufstieg hat, hat auch irgendwann einen Abstieg. Eine Regel, die der Autor am Beispiel seiner Familie detailliert zu beschreiben weiß. Er geht kritisch um, mit seinen Verwandten, analysiert als Erwachsener, was er als Kind nur beiläufig aufnehmen und bemerken konnte.

Aus dieser Perspektive, später die des jungen Erwachsenen, der seinen Vater charakterlich über den Kopf wächst, erzählt er, was nicht sein durfte, was war und daraus folgte.

Lebendig beschrieben sind die Figuren, haarscharf die Formulierungen, und doch ist nichts so, wie es scheint. Den Vater, den der junge Alexander Münninghoff bewundert, steht er später immer kritischer gegenüber. Fassungslos, manchmal jedoch ausnützend, betrachtet der Jugendliche dann seine Familie. Nichts ist Schwarz und nichts ist Weiß. Grautöne bestimmen die Bilder, die im Kopf entstehen und längst vergangene Zeiten lebendig werden lassen.

Es mag von dieser Art Familienbiografien Unzählige geben, die sich wahrscheinlich auch noch gleichen, und vielleicht wird man, wie so oft, die eine oder andere Parallele zu seiner eigenen Familie entdecken. Wer weiß schon, was man da für Leichen im Keller findet? Münninghoff jedenfalls hat sich auf die Suche begeben. Eine, die es sich zu begleiten lohnt.

Autor:

Alexander Münninghoff wurde 1944 in Posen geboren und ist ein niederländischer Journalist. Von 1974-2007 arbeitete er für die Haagsche Courant und gewann 1983 den Niederländischen Preis für Zeitungsjournalismus.

Er veröffentlichte mehrere Bücher über das Schachspiel und gründete 2009 eine Partei, für die er jedoch nicht mehr aktiv tätig ist. Für seine Familienchronik “De Stamhouder” wurde er 2015 mit den Libris History Prize ausgezeichnet.

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Leonie March: Mandelas Traum

Mandelas Traum Book Cover
Mandelas Traum Leonie March Erschienen am: 23.04.2018 Dumont/Mairdumont Seiten: 300 ISBN: 978-3-7701-8289-3

Inhalt:

Was hält Südafrika im Innersten zusammen? Wie nah am Ideal der Regenbogennation des Übervaters nelson Mandela ist das Land heute tatsächlich? Leonie March begibt sich auf eine große Erkundingsreise: von der Beachfront Durbans über die Drakensberge, vom Eastern bis zum Western Cape und durch die pulsierenden Metropolen Johannesburg und Kapstadt. “Mandelas Traum” ist das Porträt eines faszinierenden Landens am Scheideweg. (Klappentext)

Rezension:

Wo Widersprüche sich in großer Anzahl sammeln, Kontraste größer nicht sein könnten, die Hautfarbe oder das Wohnviertel ausschlaggebend ist für Erfolg oder Misserfolg, dort ist Südafrika nicht weit. Das Land am Kap steckt über zwanzig Jahre nach dem Ende der Apartheid noch immer in alten Konflikten fest, neue sind bis heute hinzugekommen.

Doch, warum sind die Menschen dort immer noch voller Hoffnung, verfolgen unbeirrt ihre Pläne und suchen weiter nach den Weg zur Regenbogennation, die der erste schwarze Präsident Nelson Mandela sich für sein Land erträumte? Die freie Journalistin Leonie March begibt sich auf Spurensuche durch ihre Wahlheimat und entdeckt bisher unbekannte Facetten von Südafrika.

Reiseberichte können nie alle Aspekte und Ansichten innerhalb eines Landes wiedergeben, und so stellt auch dieser nur eine Momentaufnahme der detaillierten Beobachtungen der Autorin dar. Mehr möchte Leonie March auch nicht, muss sie auch nicht, denn alleine ihr Sammelsurium an Geschichten, die sie aufgetragen hat, vermag Faszination zu wecken.

Anhand von zwei Karten auf den Innenseiten des Umschlages und einer klaren Reiseroute hat sie viele Aspekte dieses Landes aufgefangen, die in keinem Reiseführer so zu finden sind. Klar, kaum jemand würde touristisch wohl in ein aktives Bergwerkgebiet fahren oder sich in die verrufensten Wege der Townships verirren, aber March gelingt es hiermit, mit den unterschiedlichsten Menschen aus verschiedenen Schichten ins Gespräch zu kommen.

In jedem Abschnitt wartet sie mit einer neuen Geschichte auf, und zeigt, dass es abseits der Klischees über Kriminalität, den üblichen touristischen Highlights und korrupten Politikern jede Menge Südafrikaner gibt, die mit Eigeninitiative Projekte führen, die ihnen und ihren Landsleuten eine Perspektive geben sollen.

Nicht immer gleich spannend sind diese Geschichten, doch die Begeisterung der Autorin ist gleichwohl ansteckend. Wenn auch sie selbst sich nicht immer ganz von ihrer rosaroten Brille entfernt. Am Interessantesten wird es, wenn sie kritisch hinterfragt, Überlegungen zur Geschichte oder Zukunft ihrer Gesprächspartner anstellt oder sich bei ihrer Reise einfach treiben lässt.

Fast beduert man es, dass die Fotos allesamt eher kleinformatig und in Graustufe gehalten sind, und von ihrer Anzahl eher gering. Gerne hätte man noch mehr bildliche Eindrücke, kann sich aber dank der guten Beobachtungsgabe der Autorin alles wunderbar vorstellen.

Noch ein paar Seiten mehr hätten “Mandelas Traum” jedoch gut getan. Die Autorin konzentriert sich, zwar nicht ausschließlich, bei ihren Besuchen vor allem auf abkömmlinge der Stämme und Urvölker Südafrikas, um den entgegengesetzten Kontrast zu haben, hätte ich mir noch mehr Einblicke in die Geschichte des Landes gewünscht, die auch vorkamen.

Diese hätten mehr ausformuliert werden müssen. Natürlich fraglich, in wie weit man das in einer solchen Art Bericht umsetzen kann, aber ein Versuch wäre es wert gewesen. Ansonsten jedoch die faszinierende Momentaufnahme eines großen Landes und seiner Bevölkerung.

Autorin:

Leonie March wurde 1974 geboren und arbeitet als freie Journalistin in Südafrika und berichtet von dort von diesem und den Nachbarländern Simbabwe, Mosambik und Sambia. Sie ist Mitglied eines weltweiten Korrespondenten-Netzwerkes und erarbeitet für Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau und verschiedenen Rundfunksendern Reportagen. Sie lebt mit ihrem Partner in Durban.

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Charles C. Mann: Amerika vor Kolumbus

Amerika vor Kolumbus Book Cover
Amerika vor Kolumbus Charles C. Mann Rowohlt Erschienen am: 21.10.2016 Seiten: 720 ISBN: 978-3-498-04536-4

Inhalt:

Charles C. Mann schreibt die Geschichte des vorkolumbianischen Amerikas. Er zeigt, dass die indianischen Kulturen oftmals weiter entwickelt waren als die europäischen Gesellschaften, und gewährt uns überraschende Einblicke in die Lebensweise der Ureinwohner. “Amerika vor Kolumbus” ist ein wichtiges, mitreißend erzähltes Buch. (Klappentext)

Rezension:

Auf den Gebiet der späteren Vereinigten Staaten von Amerika riesige Bisonherden, auf den Südkontinent einzelne bevölkerte Fleckchen Erde, einsame Dörfer im Regenwald und nur wenige Konzentrationspunkte von Hochkulturen wie den Maya, Inka und Azteken. Ansonsten, eine romantische Idylle, die durch die Ankunft der Europäer zerstört wurde.

Dies ist das Bild, welches wir heute von der Kolonialisierung Amerikas seit seiner Entdeckung haben, welches zudem in zahlreichen Filmen vertieft wird? Doch, wie war es wirklich? Wie erlebten die Menschen, Eroberer und Eroberte die Ankunft der Europäer? Welchen Einfluss nahmen diese auf das Leben der Urbevölkerung und in welchen Punkten waren die Einwohner Amerikas Ursache selbst für ihren Niedergang?

Der Wissenschaftsjournalist Charles C. Mann begab sich auf Spurensuche, besuchte Ruinen und Ausgrabungsstätten, befragte Archäologen, Biologen und Geographen zu ihren teils kontroversen Ansichten und sichtete zahlreiches Quellenmaterial. Entstanden ist eine biografische Entwicklungsgeschichte des Amerikas vor, während und direkt nach seiner Entdeckung vom Wilden Westen bis hinein in die peruanischen Anden.

Ausgiebige Recherchearbeit, dargestellt durch ein wahrhaft beeindruckendes Anmerkungs- und Quellenverzeichnis wird für den Laien verständlich, vertiefend und geordnet präsentiert.

Beeindruckend die Auseinandersetzung mit den verschiedensten Theorien nimmt Mann seine Leser von den allgemeinen Fragen zum Thema hinein in die Details und erklärt, warum der Urwald in Wahrheit ein riesiger angelegter Garten war, dass die Ureinwohner vor ihrer Entdeckung bereits im Niedergang begriffen waren, warum einige Europäer selbst wie die Indianer leben wollten und welche Erkenntnisse sich aus der Vergangenheit ziehen lassen.

Aufgelockert durch Fotografien und Kartenmaterial wird der Leser durch das Thema gelotst, muss jedoch seine volle Aufmerksamkeit auf die Lektüre richten, ohne die man es nicht schaffen wird, dabei zu bleiben.

Diese Ausgabe aus den Rowohlt Verlag ist ein Paradebeispiel dafür, wie Sachbücher gestaltet und geschrieben werden können, für wirklichen Erkenntnisgewinn, den man auch fachlich nutzen kann und der hoffentlich auch bei der weiteren Lektüre des Fortsetzungsbandes von Nutzen sein wird.

Dazu übrigens eine Besonderheit und wohl auch Einblick in die Arbeit von Verlagen: Im Land des Autoren ist dies der erste Band, der jedoch im Deutschen als zweiter erschien. Man mag nun spekulieren, ob dies einfach der Erwartung geschuldet ist, dass ein Band als erfolgversprechend angesehen wird, um den zweiten zu refinanzieren, oder ob dies andere Gründe hatte? Es ist jedenfalls gelungen. Als besonderes Sachbuch und vertiefende Lektüre ist dieses Werk sehr zu empfehlen.

Autor:

Charles C. Mann wurde 1955 in Michigan/USA geboren und ist ein US-amerikanischer Autor und Journalist. Er schreibt regelmäßig für mehrere Wissenschaftsmagazine, einige Artikel auch für Zeitungen wie die New York Times und beschäftigt sich insbesondere mit den Folgen der Entdeckung Amerikas. Seine Werke wurden ausgezeichnet, u.a. von der National Academy of Science. Zwei seiner Werke wuden bereits ins Deutsche übersetzt.

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Anja Tuckermann: “Denk nicht, wir bleiben hier!”

"Denk nicht, wir bleiben hier!" Book Cover
“Denk nicht, wir bleiben hier!” Rezensionsexemplar/Sachbuch dtv/Hanser Taschenbuch Seiten: 303 ISBN: 978-3-42362682-8

Inhalt:

Hugo Höllenreiner wächst in München auf; sein Vater betreibt ein kleines Fuhrunternehmen. 1943 wird Hugo mit seinen Eltern und fünf geschwistern deportiert. Er ist erst neun und weiß nicht, wohin die Reise geht, die im Zigeunerlager von Auschwitz-Birkenau endet. Im April 1945 befreien ihn englische Soldaten aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen. Dazwischen liegen zwei Jahre, über die er erst der sechzigjährige zu reden vermag. In diesem Buch erzählt Hugo Höllenreiner vieles zum ersten Mal. Er möchte davon berichten, damit junge Menschen erfahren, wie es wirklich gewesen ist. (Klappentext).

Rezension:

In politisch schwierigen Zeiten sich zu erinnern und das Erlebte in Schriftform zu veröffentlichen ist ein mutiger Schritt, den die letzten jahre viele Menschen gegangen sind. Grausamkeiten, Schrecken jahrzehntelang her, kaum mehr wandelnde Täter unter uns, aber eine Gesellschaft im Umbruch, zumal die Zeitzeugen rar werden, welchen besseren Zeitpunkt gäbe es, als jetzt?

Hugo Höllenreiner erzählt die Geschichte von sich und seiner Familie. Herausgekommen dabei ist eine eindrückliche und nachdenklich machende Kindheitsbiografie.

Der Klappentext verrät genug vom Inhalt, daher muss man dazu nicht viel mehr sagen. Es ist schon bedrückend genug, den Text zu lesen. Die Grausamkeiten, die Höllenreiner und seine Geschwister durchmachen mussten, sind eigentlich unmöglich zu beschreiben. Wortgewandt ist es ihm dennoch gelungen.

Immer wieder eingewoben, Gesprächsfetzen und Gedanken, hat Anja Tuckermann die Interviews zu einem biografischen Roman verarbeitet, der es in sich hat. Fast kommt ein Leser sich so vor, als schaue er ein Dokuspiel mit eingeblendeten Interviews und Kommentaren, nur ist all das Beschriebene wirklich erlebt.

Höllenreiner erzählt von Ausgrenzung und Unterdrückung, von Mut und Verzweiflung, Überlebenswillen und Durchhaltevermögen. Wie gelang es ihm die tollwütigen Aufseher Bergen-Belsens zu überstehen, die Experimente Mengeles in Auschwitz?

Wie hält man Tage durch, ohne jedes Zeitgefühl, bestimmt von Hunger und Krankheiten, ausgesetzt der Willkür anderer? Welche Last muss ein Mensch ertragen, bis er zerbricht? Wie findet man wieder ins Leben zurück, nachdem man jahrelang nur als leblose Hülle agiert?

Es ist schwer, nicht emotional zu werden. Einfühlsam wird die Geschichte Höllenreiners erzählt, dem seine Kindheit genommen wurde, und der später versuchte, das Beste daraus zu machen. Sofern möglich.

Eine literarische Dokumentation des Überlebenswillen eines kleinen Jungen, und ein Zeichen dafür, was Menschen anderen Menschen antun können, so einmal eine bestimmte Schwelle überschritten ist. “Denk nicht, wir bleiben hier!”, ist ein Lehrstück dessen, was die Zukunft bringt, wenn wir nicht aufpassen. Solch ein Leid, wie hier beschrieben, darf nicht noch einmal passieren. Dafür dieses Buch.

Autorin:

Anja Tuckermann wurde 1961 in Selb/Bayern geboren und ist eine deutsche Autorin von Romanen, theaterstücken und Journalistin. In Berlin aufgewachsen veröffentlichte sie zuerst Texte in einer von ihr gegründeten Zeitschrift und arbeitete für einen Jugendverband. Dort organisierte sie Reisen für Kinder und Jugendliche.

Von 1988-1992 arbeitete sie als Redakteurin, bis 1997 freiberuflich für die Kinderfunkredaktion des RIAS. Seit 1993 leitet sie Schreibwerkstätten zum Schreiben von Prosa und Theaterstücken. Mehrere Romane schrieb sie über das Schicksal von Sinti-Kindern im Dritten Reich. Tuckermann ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller.

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Gina Ochsner: Die versteckten Briefe

Die versteckten Briefe Book Cover
Die versteckten Briefe Gina Ochsner Rezensionsexemplar/Roman dtv Hardcover Seiten: 398 ISBN: 978-3-423-28154-6

Inhalt:

Ein kleiner Ort im Osten Lettlands, ein Junge mit großen Ohren, der die Geheimnisse der Toten zu hören vermag, gierige Investoren aus dem Westen, ein unentdeckter Schachmeister, der beste Vitaminverkäufer östlich von Riga uns verborgene Geheimnisse – ein berührender Roman über den Stoff, aus dem das Leben ist: Geschichten. (Klappentext)

Rezension:

Im Film-Geschäft funktioniert es mehr schlecht als recht, wenn Produzenten und Regisseure Geschichten erzählen wollen, zu denen sie keinen Bezug haben. Entweder wirkt das Endprodukt dann zu gewollt oder aber völlig fehlgeleitet, was im Effekt auf’s Gleiche hinausläuft. Wie aber ist es im literarischen Betrieb?

Funktioniert es etwa, wenn eine amerikanische Autorin eine estnische Geschichte erzählt? Eine, die wahrscheinlich im Heimatland der Schriftstellerin, unter Ferner-liefen abgelegt werden wird, wann rückt dort schon ein so kleines baltisches Land in den Fokus? Wird hier nicht mit Klischees gespielt? Wirkt hier auch nichts gewollt? Eine Autorin im schwierigen Spagat ihrer Erzählung.

Erzählt wird zunächst einmal die Geschichte einer Familie über Generationen, aus der sicht eines Kindes, später einer jungen erwachsenen Frau und schließlich einer todkranken Mutter, dann widerum das Leben der Bewohner eines kleinen Ortes, wie es sie in Osteuropa Hunderte gibt.

Es ist eine Erzählung über Generationen, Veränderungen und Schicksalsschläge, vom kleinen Glück und mehr oder minder großen Katastrophen. Es ist eine Geschichte über Leben und Tod und der Ungewissheit über die Zukunft. Eine Novelle darüber, was war, was ist, was sein wird.

Mehr muss man zu Anfang nicht wissen, sollte ein Leser auch nicht, zumal zu Beginnh sich auf den Schreibstil eingelassen werden muss. Nicht ganz einfach ist diese bildhafte sehr schöne Sprache, zu der man erst den Zugang finden muss, um dann in die Geschichte einzutauchen.

Große Längen muss ein Leser überstehen, um dann hin und wieder einen wundervollen Satz mitzunehmen, der durch die Geschichte trägt. Erstes kommt leider zu häufig, letzteres zu selten vor. Was nützt die schönste Sprache, wenn die Handlung nicht trägt, nicht begeistern oder faszinieren kann, gleichwohl sie glaubwürdig ist. Wobei sich die Protagonisten als teilweise sehr spleenig und sonderbar erweisen.

Das trägt nicht gerade dazu bei, den Leser bis zum Ende zu überzeugen. Teilweise haben bestimmte Ereignisse Wiedererkennungswert, wenn etwa Alteingessesene vor der tatsache ausländischer Investoren, neumodisch Heuschrecken, gestellt werden, andererseits lässt es einem ratlos zurück, wenn sich herausstellt, dass auch diese Menschen eine Geschichte, einen guten Kern haben.

Der im Klappentext erwähnte kleine Protagonist wächst zur Hauptfigur heran, ohne selbst eine zu sein. Ein Stilmittel, für welches man der Autorin Anerkennung zollen muss, zu wenig wird aber auf die im titel erwähnten Briefe eingegangen und die Abrundung, der Rahmen der Handlung macht mich auch nicht ganz glücklich.

Tief gespalten bin ich und weiß nicht, was ich von der Erzählung halten soll. Die Grundidee interessant, die Protagonisten mit Ecken und Kanten, aber der Handlungsrahmen, die Ausführung und der Schreibstil, der zu viel Ruhe hineinbringt, nehmen viel von dem Potential weg, welches die Geschichte hätte haben können. Es ist ein Roman, den man entweder lieben oder nicht mögen wird, ich entscheide mich salomonisch für die Mitte.

Autorin:

Gina Ochsner wurde 1970 geboren und ist eine amerikanische Schriftstellerin. Nach der Schule studierte sie in Iowa und Oregon und veröffentlichte 2005 eine Kurzgeschichtensammlung, die weithin positiv aufgenommen wurde. 2009 gewann sie den Flannery O’connor Award für Short Fiction. Auch unter Pseudonym veröffentlicht sie Geschichten, 2009 ihren ersten Roman.

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Zoni Weisz: Der vergessene Holocaust

Der vergessene Holocaust Book Cover
Der vergessene Holocaust Rezensionsexemplar/Sachbuch dtv Verlag Hardcover Seiten: 218 ISBN: 978-3-423-28164-5

Inhalt:

Im Nationalsozialismus wurde eine halbe Million Sinti und Roma von den Deutschen umgebracht. Zoni Weisz war sieben Jahre alt, als auch seine Familie deportiert und in Konzentrationslagern ermordet wurde. Er selbst konnte durch die Hilfe eines niederländischen Polizisten auf einen anderen Zug springen. Nach dem Krieg erhielt er einen Ausbildungsplatz als Florist – Beginn einer erstaunlichen Karriere. (Klappentext)

Rezension:

Über die Geschichte der judenverfolgung im Dritten Reich, sowie in den besetzten Gebieten, ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben und berichtet wurden. Viele Archive wurden durchforstet. Erschreckende Erkenntnisse folgten daraus.

Wie sieht es aber mit der Aufarbeitung der Verbrechen an anderen Opfergruppen aus? In Bezug auf die Sinti und Roma etwa, ist noch nicht allzu viel geschehen. um so wichtiger und bedeutender dieser Erfahrungsbericht von Zoni Weisz, der nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Zoni Weisz ist Angehöriger der Sinto, eine Volksgruppe, die man landläufig mit den “fahrenden Volk” in Verbindung bringt. Böse Zungen nennen sie Zigeuner. Doch, die Kultur dieser Menschen, die vor allem auf mündlichen Überlieferungen beruht, ist Grundlage einer geschlossenen Gemeinschaft. Jeder ist für jeden da, man hilft sich und doch stehen die Sinto in der ersten Hälfte des 20. jahrhunderts vor einer Zeitenwende.

Unheil braut sich in Europa zusammen, der Vater von Zoni beschließt die traditionelle Lebensweise, im Wohnwagen umherzuziehen, aufzugeben und einen festen Wohnsitz anzunehmen. Er möchte dadurch weniger auffallen, außerdem erkennt seine Frau den wert schulischer Bildung, um ihren Kindern eine sichere Zukunft zu gewähren.

Dies funktioniert, zumindest für eine kurze Zeit. Doch, bald verfolgen die deutschen Besatzer auch in den Niederlanden ihr erbarmungsloses Werk und deportieren Hunderttausende, darunter auch die Eltern und Geschwister Zonis, in die Vernichtungslager des Reiches. Doch, der Siebenjährige hat Glück und schlägt sich mit Hilfe entfernter Verwandter durch.

Es ist der Überlebensbericht eines Autors, dem von jetzt auf gleich seine Kindheit geraubt wurde, aber auch ein Zeugnis, wozu einem der Wille zu Überleben und es allen zu beweisen, fähig machen kann. Im positiven Sinne. Zoni Weisz erzählt seine Geschichte, die nach all den Schrecken und Unwägbarkeiten, Grausamkeiten, hätte nicht erfolgreicher verlaufen können.

“Der vergessene Holocaust” ist in jeder Zeile eine beeindruckende Biografie, die zeigt, dass die Schergen des NS-Regimes und seiner niederländischen Helfer ihn zwar zugesetzt und viel Leid angetan, ihn jedoch nicht kleinkriegen konnten. Ein Bericht, der Mut macht und nicht zuletzt eine niederländische Erfolgsgeschichte.

Aufgelockert und nahbar durch zahlreiche Fotografien aus dem Privatarchiv von Weisz beschreibt dieser seinen Weg gegen alle Widerstände, ob das nun Barrieren seines eigenen Volkes, psychische Schäden durch die Erlebnisse des Holocaust oder vom kleinen Auslieferungsboten bishin zum führenden und bekanntesten Floristen der Niederlande, nicht zuletzt Botschafter und Unterstützer der Sinti und Roma.

Jede Zeile geht einem beim Lesen nahe. oft möchte man schlucken, innehalten. Eine Biografie, die man nicht so leicht übergehen und vergessen kann und darf.

Zoni Weisz hat seinen Frieden mit der eigenen Geschichte gemacht, doch setzt er sich unermüdlich für sein Volk ein, welches in vielen Teilen Europas immer noch ausgegrenzt und chancenlos ist. Es gibt noch viel zu tun. Der Autor macht dies deutlich und spart nicht mit Kritik an dieser Situation, kämpft für Rechte, die eigentlich überall gang und gäbe sein sollten.

Er blickt zurück, wie so viele in seinem Alter, hat etwas besonderes Eindrückliches zu erzählen. Auf das sich diese Vorgänge nicht wiederholen. Dafür und gegen das Vergessen kämpft Zoni Weisz. Und dafür sei auch jedem dieses Buch ans Herz gelegt.

Autor:

Zoni Weisz wurde 1937 geboren und ist ein niederländischer Sinto, Überlebender des Holocaust und Florist. 1944 entging er durch die Hilfe eines niederländischen Polizisten der Deportation, aufgrund derer fast seine gesamte Familie umkam.

Er versteckte sich und überlebte, begann nach den Krieg eine Ausbildung zum Mechaniker, leistete dann seinen Militärdienst in Surinam, nachdem er eine Gartenbau-Schule besuchte. Er studierte Ausstellungsarchitektur und Kunstgeschichte.

Mit seinen Ausstellungen international bekannt, wurde er als einer der führenden Floristen der Niederlande für das größte Blumenarrangement ins Guinness Buch der Rekorde eingetragen, zudem arbeitete für mehrere Aufträge der niederländischen Königsfamilie.

Als Überlebender engagiert sich Weisz für die Sinti und Roma, und hielt eine vielbeachtete Rede im Deutschen Bundestag 2011. Für sein Engagement erhielt er mehrere niederländische Auszeichnungen und das Bundesverdienstkreuz.

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Stephen Davies: Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang

Titanic - 24 Stunden bis zum Untergang Book Cover
Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang Stephen Davies Aladin Verlag Erschienen am: 28.02.2018 Seiten: 128 ISBN: 978-3-8489-2103-4

Inhalt:

Die Titanic sticht in See – und Jimmy und Omar sind mit an Bord. Die beiden erkunden den Ozeanriesen bis in den letzten Winkel, schleichen sich zu Mitternachtspartys, entdecken Drachenblut im Frachtraum und dringen sogar bis in den Gymnastikraum der 1. Klasse vor. Für sie ist das Schiff wie ein großer Freizeitpark. Doch als es einen Eisberg rammt, wird der Traum zum Albtraum: Es gibt nur 20 Rettungsboote – nicht annähernd genug für 2228 Passagiere. (Klappentext)

Rezension:

Anfang des 20. Jahrhunderts ist der Glaube an den Fortschritt, an die Technik und der Bezwingbarkeit der Natur noch ungebrochen, als das damals größte Passagierschiff der Welt in See sticht. Ziel Amerika, Sehnsuchtsort für unzählige Menschen, die ihr Glück in der Neuen Welt versuchen und die Trostlosigkeit, vor allem Armut, ihrer alten Heimat hinter sich lassen wollen.

Nicht ahnend, dass der Traum für nicht wenige nach ein paar Tagen zur tödlichen Falle werden würde.

Stephen Davies erzählt, grafisch schon aufbereitet durch Torben Kuhlmann, die Geschichte zweier Jungen, die es so tatsächlich an Bord der Titanic gegeben haben könnte. Zunächst erscheint für die beiden Protagonisten alles wie ein einzig großes Abenteuer.

Zusammen schleichen sich Omar und Jimmy, die sich zu Beginn finden und schnell anfreunden, wie es Kinder in dem Alter eben tun, des Nachts aus ihren Kabinen und erkunden dieses technische Wunderwerk. Sie schleichen sich durch Mannschafts- und Frachträume, einmal bis zum großen imposanten Treppenaufgang der Ersten Klasse und kommen aus den Staunen nicht mehr heraus.

Immer auf der Hut, von den Erwachsenen, insbesondere den Mannschaftspersonal, nicht erwischt zu werden. Dabei machen sie interessante Entdeckungen, wie sie nur 10- bis 12-jährige Jungen berauschend finden, die von solch einem Luxus, beide sind Passagiere der Dritten Klasse, nur träumen dürfen.

Sie begegnen imposanten John Jacob Astor, damals einer der reichsten Männer der Welt und Kapitän Edward Smith. Plötzlich jedoch, befinden sich Jimmy und Omar inmitten einer Katastrophe. Jetzt zählt nur noch, einen der raren Plätze in den Rettungsbooten zu bekommen. Doch, die Familien beider schlafen nichts ahnend in ihren Kabinen.

Kinderbücher können spannend sein und dabei Interessen wecken, wahre Begebenheiten verständlich und fassbar rüberbringen. Genau da tut Stephen Davies, der Jimmy, seinen Hauptprotagonisten aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, dabei die Grausamkeit, Absurdität der Ereignisse und die menschlichen Qualen nicht verschweigt, aber für das Zielpublikum altersgerecht verpackt.

Aufgelockert mit Zeichnungen erschließt sich so ein historisches Ereignis, welches für Friedenszeiten eine der größten menschlichen Katastrophen werden sollte, deren Blickwinkel auf Technik und menschliches Beherrschungsvermögen über die Naturgewalten für immer verändert werden sollten.

Für technikinteressierte Kinder und denen, die kleine kompakt aber kurzweilige Geschichten mögen, ist dieser kleine Roman ideal. Davies orientiert sich sehr an verbürgte Ereignisse des Untergangs, die wege der Jungen waren so möglich und auch das im Klappentext erwähnte Drachenblut gab es tatsächlich. was es allerdings damit auf sich hat, muss man schon selbst nachlesen.

Davies verschönt nichts, gibt der Geschichte aber bereits zu Beginn eine sinnvolle Richtung, die nicht verschreckt und zudem Eigenschaften wie Mut, Freundschaft und Zusammenhalt als Grundstock nimmt. Natürlich, für Erwachsene ist vorhersehbar, wie es für speziell Omar und Jimmy ausgeht, dennoch für diese Altersgruppe eine spannende Geschichte, die Lust darauf macht, mehr erfahren zu wollen und einlädt, zu recherchieren. Bitte mehr von dieser Sorte ganz wunderbarer Kinderbücher.

Autor:

Stephen Davies wurde 1976 geboren und ist ein britischer Kinderbuchautor. Er lebte von 2001 bis 2014 in Burkina Faso. Davies arbeitete schon als Erntehelfer, Missionär, Englisch-Lehrer, schrieb Reiseberichte für verschiedene Zeitungen, bevor er 2006 sein erstes Kinderbuch veröffentlichte. Seine Reiseberichte und Kinderbücher wurden mehrfach ausgezeichnet. Der Autor lebt mit seiner Familie in London.

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