Erzählung

Eric Malpass – Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Eric Malpass Rowohlt Erschienen am: 02.07.2012 Seiten: 239 ISBN: 978-3-499-25891-6

Inhalt:

Der achtjährige Gaylord hat seine Augen und Ohrn überall. Vor allem dort, wo sie nicht hingehören. Schon morgens früh hopst er von Bett zu Bett und will seine Familie mit selbstgebrühten Kräutermatsch-Tee beglücken. Doch der Haussegen hängt auch so schon gewaltig schief:

Der Vater wurde aus dem elterlichen Schlafzimmer verbannt, Großtante Marigold steckt irgendwo in der Vorkriegszeit fest, und Tante Becky spannt der eigenen Schwester den Liebhaber aus… Voller Wiz und Phantasie beobachtet Gaylord die Welt um ihn herum. Und stekt so lange seine Nase in fremde Angelegenheiten, bis die Welt wieder in Ordnung ist. (Klappentext)

Einordnung:

Dies ist der erste Teil einer siebenbändigen Reihe.

Rezension:

Gute Geschichten sind die, in denen nichts passiert und die dennoch Spaß machen, gelesen und erzählt zu werden. Dies könnte in etwa die Überschrift oder der Arbeitstitel für diesen Serienauftakt gewesen sein, denn nichts anderes sind die Gaylord-Romane von Eric Malpass.

Abgesehen vom, für den deutschen Sprachraum etwas unglücklich gewählten, Vornamen des vorwitzigen kleinen Hauptprotagonisten, erzählt Malpass eine amüsante englische Familiengeschichte, bei der man sich sofort an den kleinen Lord erinnert.

Nur, dass hier nicht ein kleines Kind in höchste Kreise hineingeworfen wird. Im Gegenteil. Der achtjährige Gaylord hat eigentlich alles, was er braucht, eine mehr als verrückte Familie, patente und liebevolle Eltern und jetzt vielleicht nicht Reichtum, aber zumindest keine Geldsorgen.

Mit seiner kindlichen Sicht auf die Umgebung betrachtet er die Dinge und treibt seine Familie in den Wahnsinn, und überfordert den Vater, der mit Schriftstellerei und dem Jonglieren großer Worte sein Geld verdient in Verlegenheit, wenn er wissen will, woher denn die Babys kommen.

Diese und andere Episoden des Alltags der Familie Pentecost schildert Malpass so, dass man nicht umhin kann, den kleinen Gaylord samt Familie ins Herz zu schließen und auf den Streifzügen durch die Umgebung zu begleiten. Der Leser schmunzelt, wenn Gaylord sinniert, warum man eigentlich kein Menschenfleisch esse oder möchte den Jungen einfach nur in den Armen nehmen, wenn der Angst hat, vor den größeren Jungen, die sich für eine Lappalie bei ihm „rächen“ wollen.

Aufgeteilt in kurze Kapitel begleitet der Leser aber nicht nur ihn, sondern auch die Eltern oder die Tanten, die Schwestern des Vaters oder den grantigen Großvater, und allmählich ergibt sich aus den verschiedenen Teilen ein Gesamtbild, welches die kindliche Welt Gaylords umgibt, von der man gerne noch mehr erleben möchte.

Wer das tut, muss jedoch sich geduldig üben, denn nur der erste Part ist normal erhältlich, andere Teile der Gaylord-Pentecost-Serie sind vermehrt antiquarisch zu erwerben. Doch, wenn die Qualität der Übersetzung, Brigitte Roeseler zeichnet sich für diesen Teil aus, in etwa gleich bleibt, so wird dem Lesevergnügen nichts im Wege stehen.

Wer einen kleinen englischen Familienroman lesen und sicherlich auch ein Stück britischer moderner Literaturgeschichte der Nachkriegszeit erleben möchte, ist mit Malpass‘ Romanen jedenfalls sehr gut bedient.

Autor:

Eric Malpass wurde 1910 in Derby geboren und war ein englischer Schriftsteller. Er arbeitete lange Zeit als Bankangestellter und seit 1947 bei der BBC. Danach schrieb er für mehrere große Zeitungen, wie den Observer, dessen Kurzgeschichten-Wettbewerb er 1954 gewann.

Ende der 1950er Jahre schrieb er seinen ersten Roman und bekam 1960 in Italien die Goldene Palme für das beste humoristische Buch. Die Gaylord-Romane, die er 1965 begann, wurden seine erfolgreichsten Werke, die teilweise auch verfilmt wurden. Malpass starb im Jahr 1996.

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Bernd Fischerauer: Burli

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Burli Bernd Fischerauer Verlag: Picus Erschienen am: 27.02.2017 Seiten: 287 ISBN: 978-3-7117-2046-7

Inhalt:

Adolf, genannt Burli, erlebt in den Jahren des Wirtschaftswunders nicht nur erste erotische Freuden, er steht auch knapp davor, die Nazi-Vergangenheit seines Vaters, des biederen Keksvertreters, aufzudecken. Ein spannender Schelmenroman, der heftig am Mythos der Stunde Null kratzt. (Klappentext)

Rezension:

Verantwortlich sind wir dafür nicht, aber Verantwortung tragen wir dafür. Dieser Satz könnte Arbeitstitel für diesen Roman gewesen sein und so tauchen wir in die Geschichte eines Teenagers ein, der ein gut gehütetes Geheimnis aufdeckt.

Eigentlich könnte Adolf, von allem zu seinem Überdruss Burli genannt, in den Tag hineinleben. Der Dreizehnjährige brilliert in der Schule, schreibt Artikel für die Jugendseite der städtischen Zeitung und macht bei Schultheaterproben mit, um seiner Angebeteten näher zu sein.

Zudem macht der Pubertierende erste erotische Abenteuer und auch sonst ist das Leben in Graz und Umgebung schön. Wenn man einmal von den Eltern absieht, die streng seine kleine Schwester und ihn züchtigen, und den alten Zeiten nachtrauern.

Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders, die Nachkriegszeit in Österreich. Doch, Burli bekommt eines Tages ein Foto zu Gesicht, welches sein Leben verändern und die heile Welt seiner Familie zum Einsturz bringen wird.

Der österreichische Schriftsteller Bernd Fischerauer hat kurz vor seinem Tode mit „Burli“ einen wichtigen Roman herausgebracht, den es unbedingt zu beachten gilt. Die Verarbeitung der verdrängten Vergangenheit, sein Lebensthema, findet hier ihren Abschluss und so sticht die Erzählung in Wunden, die Ewiggestrige nur allzu gerne verschlossen sehen.

In dichter Folge drängen sich kurzweilige Kapitel aneinander, die aus Perspektive eines Nicht-mehr-Kindes-aber-auch-noch-nicht-Erwachsenen, die Misere aufzeigen, in deren Konflikt sich mehrere Generationen direkt nach den Zweiten Weltkrieg befanden.

Zum einen die Elterngeneration, die sich oft genug auf die Befehlsgewalt gerufen und von allem nichts gewusst haben will, zum anderen die Kinder und Juigendlichen, die die grausamen auswirkungen nicht mehr bewusst erlebt, aber das Handeln ihrer Eltern in Frage gestellt hatten.

Diesen Spagat aufzuzeigen, mit Hilfe des sympathischen Protagonisten Burli, ist Fischerauer überaus gelungen.

Eine Lösung bietet der Autor freilich nicht. Am Ende bleiben Schmerz und Scherben, und die Erkenntnis, dass die einst so angebeteten Erwachsenen auch nur Menschen sind, die Fehler machen. In diesem Falle sind sie unverzeihlich.

Fischerauer stellt die Selbstinszenierung der Kriegsgeneration gegen die Unschuld der nachfolgenden, die zurecht hinterfragt. Auch wenn’s weh tut. Wer hat was wann im Krieg getan und warum? Wer stand auf welcher Seite und wer hat aus begangenen Fehlern gelernt?

Fragen, für die man mancherorts ausgegrenzt und als Nestbeschmutzer beschimpft wurde, die aber viel zu wenig gestellt wurden. Alleine, dass es in diesem Roman Burli tut, ist eine Wohltat. Durchsetzt mit viel Humor wird die ernste Handlung aufgelockert, nicht zuletzt die Beschreibungen der amorösen Abenteuer tun ihr übriges, um den Lesern ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern. Teenager sind doch zu jeder Zeit dann doch irgendwie gleich.

Der beschriebene Umbruch vom Kind zum Jugendlichen, zum werdenden Schriftsteller, hat Fischerauer in Form seines Protagonisten unglaublich nahbar beschrieben. Jede Zeile einfühlsam, die Spannung wird nur langsam aufgebaut, hält sich aber über die ganze Erzählung.

Wenn man dem Autor etwas ankreiden möchte, und das ist Meckern auf ziemlich hohen Niveau, ist es, dass er die Geschichte nicht zu Ende geschrieben hat.

Tatsächlich ist das Ende nicht harmonisch (im Sinne von stilistisch rund und schlüssig). Ansonsten aber ist „Burli“ eine wunderbare Erzählung über das Ende der Kindheit, die erste Liebe, Fehlleitungen der Eltern, einer Gesellschaft im Umbruch, dem Hinterfragen der Vergangenheit und ein Spiegelbild der österreichischen Nachkriegszeit.

Im Hinblick auf das Heute wäre es vielleicht wünschenswert, hätte es mehr Burlis dieser Art gegeben.

Autor:

Bernd Fischerauer wurde 1953 in Graz geboren und war ein österreichischer Regisseur, Schauspieeler, Drehbuch- und Romanautor. Der zuletzt in München lebende Autor studierte nach dem Abitur in Graz und beendete dies mit der Regieklasse, 1965. 1968 begann er mit ersten Inszenierungen, die er ab 1969 am Wiener Volkstheater fortsetzte.

In den 1970er Jahren schrieb er zunehmend Drehbücher für’s Fernsehen und arbeitete ab 1971/72 als Regisseur. 1982 inszenierte er den Film „Blut und Ehre – Jugend unter Hitler“. Für seine Arbeit erhielt er mehrere Auszeichnungen und Nominierungen, darunter der Adolf-Grimme-Preis.

2017 erschienen zwei Bücher von ihm, „Burli“ darunter ist sein erster Roman gewesen. Fischerauer starb 2017 in München, wo er zuletzt lebte.

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Jesus Carrasco: Die Flucht

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Die Flucht Jesus Carrasco Klett-Cotta Erschienen: 2013 Seiten: 208 ISBN: 978-3-608-98001-1 Übersetzerin: Petra Strien

Inhalt:

Ein Junge flieht. Die Schreie seiner Jäger verfolgen ihn. Tagsüber kauert er in einem staubigen Versteck. Nachts kämpft er sich in der Dunkelheit vor und sucht in vertrockneten Brunnen nach Wasser. Vor ihm liegt nichts als die ausgebrannte Ebene, eine Welt unerbittlicher Hitze und Gesetzlosigkeit. Und es gibt kein Zurück. (Klappentext)

Rezension:

Unter der sengenden Sonne Spaniens, die die ebene Landschaft unter sich ausdürrt, begegnet der Leser einem Jungen auf der Flucht. Genauer gesagt, in seinem Versteck, in dessen Nähe seine Häscher ihn suchen. Das Alter des Kindes nicht näher bestimmt, der Protagonist nicht namentlich betitelt, erwacht sofort der Beschützerinstinkt, ohne zu wissen, was dem Jungen vorab widerfahren ist.

Darüber lässt der Autor die Leser lange Zeit im Unklaren, wie so vieles erst einmal im Nebel verborgen bleibt. Das ist die Ausgangslage von Carrascos Geschichte, die auf’s Wesentliche reduziert, ihre Leser vollkommen in den Bann zieht. Die Protagonisten sind unbarmherzig gegen sich selbst, alleine dem kleinen Jungen und der sich ihn annehmende Ziegenhirte gewinnen im Laufe der Geschichte an Farbe und Sympathie.

Die anderen haben sie schlichtweg auch nicht verdient, wie sich mit zunehmender Seitenzahl herausstellt. Immer mehr wird der Leser davon ergriffen, den Hintergrund des Leidens des Jungen aufzuspüren und sich auf eine Reise zu begeben, die den Knirps an seine psychischen und physischen Grenzen bringen wird.

Immer wieder der drohenden Gefahr ausgesetzt, doch noch in die Hände seiner Verfolger zu fallen.

Es ist eine unglaublich schnell zu lesende, trotz des Themas, Geschichte, die sofort faszinierrt. Der Schreibstil, auf Wesentliches reduziert, ohne Schnirkel genügt, um völlig in die Gedankenwelt des kindlichen Protagonisten einzutauchen, sich seiner anzunehmen.

Mehr braucht es hier nicht, mehr möchte man auch nicht, leidet und dürstet mit dem Jungen und fragt sich, ob man wohl selbst diesen Kampf ums Überleben bestehen würde.

Angelegt ist die Erzählung in einem nicht näher bestimmten Zeitraum, doch ist zu vermuten, aufgrund der Schilderungen einiger Begebenheiten (etwa: Massengrab), dass es sich entweder um die Zeit des Spanischen Bürgerkrieges oder der Diktatur Francos handelt, gleichwohl könnte die Geschichte praktisch überall im südlichen Europa angesiedelt sein.

Die Geschichte geht einem ans Herz, wobei sich die geschilderte Gewalt in Grenzen hält. Alleine, die Gedanken zwischen den Zeilen, wenn man ein wenig mehr der Vergangenheit des Jungen zu spüren bekommt, gehen schon genug nahe.

Beeindruckend ohne zu viel oder zu wenig zu erzählen, geht Jesus Carrasco voran und nimmkt uns mit auf einem Weg, auf dem der kleine Protagonist über sich hinauswächst. Ein Roman, der nichts anderes als die Höchstwertung verdient.

Autor:

Jesus Carrasco wurde 1972 in Badajoz geboren. „Die Flucht“ ist sein erster Roman, der in mehreren Sprachen übersetzt wurde und in zehn Ländern erschienen ist. Es wurde in Spanien als das „Beste Buch des Jahres2013“ ausgezeichnet. Der Autor lebt in Sevilla und arbeitet zudem als Werbetexter.

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Rebecca Makkai: Ausgeliehen

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Ausgeliehen Rebecca Makkai List Verlag Taschenbuch ISBN: 978-3-548-61134-1 Übersetzerin: Mirjam Pressler

Handlung:

Der zehnjähriger Ian ist süchtig nach immer neuen Geschichten. Lucy Hull, Bibliothekarin in der Stadtbücherei von Hannibal, ist dabei seine Komplizin. Sie hilft ihm, die geliehenen Bücher an seiner strengen Mutter vorbeizuschmuggeln.

Eines Morgens traut Lucy ihren Augen kaum. Ian, von zu Hause ausgerissen, kampiert zwischen den Regalen. Er hat einen Plan: Geschickt lotst er sie in Richtung highway und mitten hinein in eine abenteuerliche Reise. (Klappentext)

Bemerkung:

Die Taschenbuchausgabe scheint vergriffen. Ich selbst habe sie nur gebraucht erworben. Es gibt jedoch eine Hardcover-Ausgabe mit anderen Cover, die bei Ullstein verlegt wird.

Rezension:

Wenn man als Autor zu viel möchte, es aber nicht schafft, auch nur eine Idee komplett aus- und zu Ende zu führen, passiert genau das. Dann entstehen solche, vorsichtig ausgedrückt, unausgegorenen Geschichten, wie diese von Rebecca Makkai geschriebene. Das Hauptthema ist dabei noch das interessanteste.

Ein kleiner Junge durchlebt die Liebe zur Literatur heimlich, da er jedes Buch an seiner strenggläubigen Mutter vorbeischmuggeln muss. Behilflich ist ihn dabei die Bibliothekarin der Kinderbuchabteilung seiner Stadtbibliothek, die er kurzer Hand entführt und auf einen Roadtrip quer durch das Land entführt.

Doch, gleich auf den ersten Seiten beginnen die erzähltechnischen Probleme der Autorin. Geschrieben aus der Ich-Perspektive Lucy Hulls, der erwachsenen Protagonistin, reiht sich ein Klischee an ein anderes. Gedanken werden angeregt aber nicht zu Ende geführt.

Die Hauptprotagonisten sind zwar sympathisch aber handeln unschlüssig und ohne Ziel. Man erfährt weder, warum eine erwachsene Frau sich so von einem zehnjährigen Nerd übertölpeln lässt, noch warum dieser Hull quer durch das Land schickt. Sonnebebrillt und asthmatisch an ihrer Seite sitzend.

Auch die Familiengeschichte der Bibliothekarin ist für sich genommen interessant genug, einen eigenen Roman zu tragen, fügt sich hier aber gleichsam schlecht ein und warum die Autorin so permanent mit der Sexualisierung eines Kindes herumspielt, liegt nur begründet in der Einführung einer kruden Nebenfigur, was zwar hauptthematik sein möchte aber auch nicht wirklich funktioniert.

Zu allem Überfluss gesellt sich dann noch eine Möchtergern-Verfolgungs-Agenten-Geschichte dazu. Handlungsstränge allesamt lose und kaum ein stimmiges Gesamtbild ergebend.

Bei alledem sollte man meinen, dass wenigstens das Erzähltempo anzieht, doch auch hier hat die Autorin die Ruhe weg. tatsächlich plätschert die Geschichte so dahin. Ruhiger geht’s teilweise auf keinen anderen Roadtrip zu.

Bei „Tschick“ hat das einst funktioniert, hier offenbaren sich dadurch nur noch mehr die Stolperfallen, denen die Autorin erlegen ist. Man merkt, dass es ihr erster Roman ist und hofft, dass sie sich in ihren nachfolgenden Geschichten erheblich verbessert hat.

Dennoch, es ist kein schlechter Roman. Wenn man über die so ausführlich beschriebenen Schwächen hinwegsieht, funktioniert es. Rebecca Makkai gelingt es dann und wann doch, zu unterhalten, die Gedanken des Lesers festzuhalten und uns in eine, hierzulande sehr kritisch gesehene Seite amerikanischen Alltags einzuführen.

Wenn man ihr etwas Positives zurechnen möchte, dann ist es überhaupt dies, dass sie den Finger in eine Wunde legt, die vor allem den großen starrsichtigen Freikirchen nicht gefallen dürfte, die die Bibel nur allzu wörtlich auslegen und eine Null-Toleranz-Grenze gegenüber Andersdenkenden verfolgen.

Daraus alleine hätte man trotzdem noch viel mehr machen können. Man darf nur hoffen, dass es Rebecca Makkai in ihren weiteren Arbeiten mit dieser oder anderen Thematiken besser gelingt.

Autorin:

Rebecca Makkai wurde 1978 geboren und ist Verfasserin von mehreren Romanen und Kurzgeschichten. Ihr erster Roman erschien 2011 und war in der Top-Ten-Liste 2011, der Schriftsteller-Debüts, zudem in der Auswahl des Chicago Magazines der besten Geschichten des Jahres.

Ihr Roman wurde in über sieben Sprachen übersetzt. Auch ihr Nachfolge-Roman füllte einige Bestenlisten und gewann mehrere Preise. Eine Novelle, die sich der Thematik AIDS annimmt, ist von ihr in Vorbereitung.

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Heinz Strunk: Junge rettet Freund aus Teich

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Junge rettet Freund aus Teich Heinz Strunk Rowohlt Taschenbuch Erschienen am: 01.09.2014 Seiten: 283 ISBN: 978-3-499-26668-3

Inhalt:

Mathias ist sechs Jahre alt.

Bald wird er in die Schule gehen. Er wohnt in der Siedlung, bei Mutter, Oma und Opa, die er alle sehr liebt. Weihnachten ist schon ganz nah; es schneit, und Schnee ist fast noch gemütlicher als Regen. Nur hört man leider nichts, wenn es schneit, da ist dann wieder Regen besser.

Mathias ist zehn Jahre alt.

Die großen Ferien wird er bei Oma Emmi auf dem Land verbringen. Die Kinder dort wachsen ganz anders auf, man kann hier viel Spaß haben. Mutter riecht den Braten: sie gönnt ihm die Freude nicht. Da kann sie noch so oft behaupten, Mathias sei ihr Verbündeter.

Mathias ist vierzehn Jahre alt.

Mutter ist mit ihm ins Hochhaus gezogen und hat Oma in ihrem Elend alleingelassen. Opa ist im Heim, noch so ein Verrat. Doch Mathias ahnt: im Grunde genommen trägt er die Verantwortung für Mutters Lage, obwohler natürlich auch nichts dafür kann. Wer kann schon was für seine Geburt?

(Klappentext)

Rezension:

Mathias, der bei seiner Mutter und den Großeltern in der Einöde einer norddeutschen Vorstadt aufwächst, ist ein ganz normaler Junge. Den Vormittag verbringt er, wie andere Kinder seines Alters auch, in der Schule, den Nachmittag zu Hause oder bei Freunden mit Spielen.

Keine Besonderheiten, keine Ereignisse stören die Idylle, doch Heinz Strunk schafft es, teils autobiographisch von seiner Kindheit so spannend zu erzählen, dass man sich mit dem Jungen freut, mit ihm leidet, weint, traurig ist und immer wieder die Glücksmomente einer ganz normalen Kindheit erlebt.

Tatsächlich sind die einzigen Besonderheiten vielleicht das Zusammenleben mit den Großeltern unter einem Dach, welches der Autor beschreibt oder den Beruf der Mutter, die als private Musiklehrerin arbeitet.

Spektakulär wird es erst als Mathias miit zehn Jahren aus der gewohnten Umgebung auszubrechen beginnt, die Schule wechselt und später in die Pubertät kommt. Die Geschichte legt an Tempo zu, der Schreibstil, an den man sich anfangs vielleicht noch gewöhnen muss, passt nun voll und ganz und saugt den Leser in die Geschichte hinein.

Von Anfang an konzentriert sich Strunk auf die Sichtweise des Kindes, dessen scharfer Verstand und Beobachtungsgabe völlig im Widerspruch zu seinen zunehmend immer schwierigeren Handlungen und Erlebnissen stehen, die der Junge erleiden muss. Tatsächlich ist es interessant für den Leser zu beobachten, wie sich Mathias mit jeder Zeile von seiner Mutter mehr entfernt, wobei das Buch im Allgemeinen doch sehr durchdrängt ist von der Liebe zu ihr.

Ein wunderbarer Roman, dessen Faszination sich erst auf den zweiten Blick erschließt, es aber dann vermag, den Leser ganz und gar für sich einzunehmen. Hat doch schließlich jeder Erlebnisse und Beobachtungen in der Kindheit gemacht, an die man sich noch Jahre, vielleicht Jahrzehnte erinnert, von denen man zehrt, ob nun im guten oder auch schlechten Sinne.

Mir hat der Schreibstil sehr gut gefallen und die Protagonisten mit all ihren Ecken und Kanten, auch wenn ich froh bin, mit einigen solchen Typen selbst keine Bekanntschaft gemacht zu haben. Der Titel selbst spielt nur auf eine Episode aus dieser wunderbaren Erzählung an, trifft den Inhalt des Romans, welcher so viel mehr enthält, die gesammelten Erlebnisse einer Kindheit, nicht wirklich.

Auch der Klappentext ist, wenn überhaupt, nur an der Oberfläche kratzend, hätte man auch anders und treffender schreiben können. Das tut der wunderbaren Geschichte jedoch keinen Abbruch.

Autor:
Heinz Strunk wurde 1962 in Hamburg geboren und ist ein deutscher Autor, Entertainer und Mitglied der PARTEI. Unter seinem bürgerlichen Namen Mathias Halfpape gehörte er einer Band an, mit der er ein paar kleinere Erfolge in Norddeutschland feierte.

Von 2003-2004 arbeitete er für den TV-Sender VIVA. Größere Erfolge brachten ihm seine schriftstellerischen Tätigkeiten, mit „Fleisch ist mein Gemüse“ gelang ihm 2004 auf Anhieb der Durchbruch als Autor, weitere Romane folgten.

2008 kandidierte er für DIE PARTEI in Hamburg als deren Spitzenkandidat und errang für sie eines ihrer besten Ergebnisse bei einer stattfindenden Wahl. 2016 erschien sein Roan „Der goldene Handschuh“, welcher für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde.

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Georges Simenon: Der kleine Heilige

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Der kleine Heilige Georges Simenon Diogenes Erschienen: 2013 (Neuauflage) Seiten: 241 ÎSBN: 978-3-257-24148-8 Übersetzerin: Trude Fein

Inhalt:

Paris 1897: Die sinnliche Gemüsehändlerin Gabrielle teilt ihre kleine Wohnung in der Rue Mouffetard mit wechselnden Männern. Unter ihren sechs Kindern bildet Louis eine Ausnahme. Er ist brav, fleißig, anspruchslos. Doch in dem unauffälligen Jungen, der spöttisch „der kleine Heilige“ genannt wird, steckt etwas besonderes: Louis wird zum Künstler, der unbeirrbar seinen Weg geht. (Klappentext)

Rezension:

Paris um die Jahrhundertwende. Eine aufstrebende Stadt, Mittelpunkt europäischen Kulturlebens und des modernen Europas. Allein, die Menschen in der rue Mouffetard bekommen davon nichts mit.

Viel zu beschäftigt, für das eigene und das Überleben ihrer Familien zu besorgen, ist ihre Welt begrenzt auf ihren Straßenzug, den winzigen Wohnungen und ihrer Arbeit, so sie eine haben. Ansonsten prägen Armut und unstete Lebensweisen ihre Welt.

So wächst auch Louis auf als Jüngster von sechs Kindern und beobachtet seine Familie. Ruhig und besonnen, sich für nichts außer seiner unmittelbaren Umgebung interessierend, ist er zu unscheinbar für alle anderen.

In der Schule, die er als Einziger der Familie ordentlich abschließt, gilt er als Träumer, der dennoch irgendwie es schafft, unter den Klassenbesten zu landen und jemand, der sich leicht herumschupsen lässt, in der Familie gleichsam als Sonderling, doch dieser ist er unbeirrbar.

Er speichert seine Beobachtungen, fest entschlossen, sie für sich zu nutzen. Schließlich bekommt er Farbstifte geschenkt. Der Weg zum Künstlertum beginnt.

In diesem Roman passiert eigentlich nichts. Spannend ist etwas anderes. Gesellschaftliche Ereignisse wie die Jahrhundertwende, Wirtschaftskrise und beide Weltkriege werden nur in sofern gestreift, als dass sie das leben des Protagonisten, der ansonsten überaus sympathisch ist, unmittelbar berühren.

Ansonsten gilt, was dem „kleinen Heiligen“ nicht interessiert, lässt auch der Autor unberührt. So plätschert die Geschichte vor sich hin. Armut und eine Umgebung, die eigentlich zur Verzweiflung treibt, werden hier wunderbar beschrieben.

Bemerkenswert, Louis stört sich an all den Widrgkeiten nicht. Er geht seinen Weg, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben und genügt sich selbst. Mehr passiert nicht.

Dies ist jedoch vollkommen ausreichend. Eine Geschichte zum Zurücklehnen, keinesfalls hohe Literatur, sprachlich anspruchsvoll schon gar nicht aber manchmal brauchen wir so etwas, um den Kopf frei zu bekommen.

Dazu eignet sich „Der kleine Heilige“ sehr, dessen Unaufgeregtheit so manchen doch zu wünschen wäre. Ein kleiner Roman für’s Zwischendurch, eine Hommage an das Künstlertum und daran, das Leben so gelassen, wie möglich zu nehmen, eben, wie’s kommt.

Nicht mehr, nicht weniger. Ein schöner Roman, um die Jahrhundertwende einer faszinierenden Stadt spielend, auf das wir in uns allen irgendwo ein Stück des „kleinen Heiligen“ entdecken.

Autor:

Georges Joseph Christian Simenon wurde 1903 in Lüttich geboren und war ein belgischer Schriftsteller. Er gitl als Verfasser von über 75 Kriminalromanen (Maigret-Reihe), daneben schrieb er weitere 100 Romane, über 150 Erzählungen und 200 Groschenromane. Mehr als 1000 Kurzgeschischen schrieb er unter Pseudonym.

Vorwiegend schrieb er in französischer Sprache, seine ersten Geschichten schrieb er bereits im Alter von 16 Jahren. Die Maigret-Reihe, die er in den 30er Jahren begann, verhalfen ihm zu seinem literarischen Durchbruch. Im Laufe seines Lebens hatte er insgesamt 33 wechselnde Wohnsitze, zuletzt in Lausanne, wo er 1989 starb. (Klappentext)

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Gary Shteyngart: Kleiner Versager

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Kleiner Versager Gary Shteyngart Rowohlt Erschienen am: 16.12.2016 Seiten: 474 ISBN: 978-3-498-06432-7 Übersetzerin: Mayela Gerhardt

Inhalt:

Der kleine, schmächtige Igor wandert, siebenjährig, mit seinen Eltern von Leningrad „zum Feind“ nach New york aus und nennt sich fortan Gary. Von beiden Systemen lernt er nur das Schlechteste. Kein Wunder, dass aus seinem Berufswunsch Astronaut nichts wird. Da beschließt er, wenigstens etwas Unserioses anständig zu machen: Schriftsteller! (Klappentext)

Rezension:

Der kleine Igor wächst in einer ganz normalen unnormalen russischen Familie auf, die anders ist als alle anderen. Das merkt das Kind schon früh, denn seine Familie ist jüdisch, wenn auch nicht stark religiös.

Der Vater arbeitet als Maschinenbauer, die Mutter als Schreibkraft und der an Asthma und Höhenangst leidende Junge wächst in St. Petersburg auf, mit dem Traum Astronaut zu werden. Doch zeigt er früh eine andere Begabung. Die, Schriftsteller zu werden.

Denn schon als Kind schreibt er Kurzgeschichten und einen ersten kleinen Roman, inspiriert von den Geschichten Selma Lagerlöfs. Doch, keiner außer den Lehrern kann damit etwas anfangen. Für die Eltern bleibt er liebevoll ihr „kleiner Versager“. Und schließlich wandern sie aus. Zum Feind, in eine komplett andere Welt.

Der Autor hat als Kind und später als Jugendlicher in der neuen Welt es schwer, seinen Platz zu finden. Ständig stößt er auf kulturelle Grenzen und Widersprüche zwischen den Werten seiner Familie und der Konsum- und Scheinwelt Amerikas.

Shteyngart eckt mit zunehmenden Alter immer mehr an und bringt schließlich auch das Gedankenbild seiner Eltern um die Zukunft ihres Sohnes zu Fall.

Entstanden ist eine Abrechnung mit dem Leben, mit dem Aufwachsen zwischen zwei Welten, mit seinen Eltern und nicht zuletzt mit seinem Werden als Schriftsteller.

Dies macht er ziemlich genial. Nachvollziehbar bis abstoßend, die ganze Bandbreite, schreibt er über die ersten dreißig Jahre seines Lebens bis zum Entstehen seines ersten publizierten Romans.

Auf der Suche nach sich selbst ist Shteyngart hier eine Art russisch-amerikanisch-jüdisches „Die Asche meiner Mutter“ gelungen. Ein Roman, der vor nichts zurückschreckt, mal rasant ist, auf der nächsten Seite innehaltend.

Der Leser entdeckt den Mensch hinter dem Autoren und wird sich am Ende nicht sicher sein, ob er real mit ihm zu tun haben wollte oder froh ist, nur das Buch lesen zu können.

Tatsächlich sind drei Viertel des Buches mehr als wunderbar und sind für sich genau so gut wie das irische Gegenstück. Das letzte Viertel demontiert dies jedoch. Solch eine Wendung hätte ich nicht erwartet, vor allem bei einem biografischen Roman.

Wäre es umgekehrt gewesen, könnte man leicht die volle Punktzahl vergeben, schließlich wirkt der letzte Eindruck immer am längsten nach, weil sehr frisch, so aber müssen Abzüge gemacht werden. Trotzdem ist Gary Shteyngart lesenswert und das nicht nur wegen dem wunderbaren Cover.

Autor:

Gary Shteyngart wurde 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad (St. Petersburg) geboren und emigrierte im Alter von sieben Jahren in die USA. Nach der schule studierte er am Oberlin College Politikwissenschaft und arbeitete für verschiedene Non-Profit-Organisationen in New York.

Sein Debüt als Schriftsteller gab er mit „Ein Handbuch für den russischen Debütanten“ (2002), schrieb aber schon im Kindesalter Kurzgeschichten. als Reise- und Kulturjournalist publiziert er in verschiedenen New Yorker zeitschriften und Zeitungen, wie „The New Yorker“ oder „The New York Times“. seine Werke sind mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem „National Jewish Book Award for Fiction“. Shteyngart lebt in New York.

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Antonio Scurati: Das Kind, das vom Ende der Welt träumte

Das Kind, das vom Ende der Welt träumte Book Cover
Das Kind, das vom Ende der Welt träumte Antonio Scurati Rowohlt Taschenbuch Erschienen am: 16.07.2010 Seiten: 352 ISBN: 978-3-644-00731-4 Suse Vetterlein

Inhalt:

Ein Kind träumt vom Ende der Welt. Es wandelt im Schlaf, spielt mit Feuer – und niemand hat eine Erklärung dafür. Dreißig Jahre später ist das Kind zum Mann geworden und erlebt einen neuen Albtraum: In seiner Heimatstadt bricht Panik aus, als mehrere Erzieher, Lehrer und Priester des Kindesmissbrauchs verdächtigt werden.

Die heile Welt vieler Familien zerbricht, denn immer mehr Eltern entdecken an ihren Kindern verstörende Symptome. Doch dann bringt die Aussage einer Mutter im Gerichtssaal die Wendung. (Klappentext)

Rezension:

Verstörend ist das Schlafwandeln des Sohnes für die Eltern, genau so wie Gerüchte, die Jahre später die Runde machen, eine ganze Stadt verschrecken.

Der Protagonist, wie der Autor selbst, inzwischen erfolgreicher Professor an einer angesehenen italienischen Universität, sieht wie Gerüchte und Unterstellungen plötzlich zu Aussagen werden und eine ganze Stadt überrollen.

Danach ist nichts mehr, wie es war. Jede Familie ist von Missbrauchsvorwürfen in irgendeiner art und Weise betroffen, jedes Kind zeigt die Symptome eines Opfers. Zumindest deuten Eltern, Medien und Medien dies so. Jeder Erwachsene ist gleichzeitig verdächtig genug, Täter zu sein.

Der Autor, anfangs nur als Journalist inbolviert, versinkt immer Tiefer im Strudel der Ereignisse, kommt auch immer näher dem Geheimnis seiner Kindheit. Und ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er selbst Opfer war und schon Täter ist.

Antonio Scurati zeigt in seinem Roman, wie erdrückend ein Gerücht oder Anfangsverdacht zum Selbstläufer werden kann und wie schnell die Klimaveränderung von Aussagen das Leben der Menschen beeinflussen kann.

Er stellt die Rolle der Medien ebenso eindrucksvoll dar, wie die Rolle von wahren und gefühlten Tätern, ebenso wie die der Opfer, die oft genug aus dem Blickfeld geraten, wenn sich alles auf die Suche und Identifikation der Täter konzentriert.

Dies gelingt dem Autor in einem Wechsel kurzer Kapitel. Einerseits aus der Perspektive des verstörten schlafwandelnden Kindes, andererseits eines Mannes, der die Ereignisse auf sich zukommen sieht, aber nicht verhindern kann, von ihnen verschluckt zu werden.

Der Leser selbst wird von Zeile zu Zeile hineingesogen, gleichsam im erwähnten Strudel und kann sich kaum mehr darauß befreien. Scurati ist ein beeindruckendes, unbedingt lesenswertes Werk gelungen, zumal in Zeiten, wo Missbrauchsskandäle in Kirche und Heimen die Runde machten.

Das Buch erschien erstmals 2010 in Deutschland, ein Jahr zuvor im Mutterland der katholischen Kirche. Eine besondere Form der Verarbeitung der Ereignisse, die nichts verschönt oder negiert, sondern zeigt, was eine Nachricht bei den Menschen hervorbringt.

Autor:

Antonio Scurati wurde 1969 in Neapel gebohren und lehrt an der IULM-Universität Mailand. Er koordiniert dort das Forschungszentrum für Kriegs- und Gewaltsprachen. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt und ausgezeichnet. Unter anderem bekam er den Premio Mondello und den Premio Campiello für seine Werke.

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Eric-Emmanuel Schmitt: Adolf H. – Zwei Leben

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Adolf H. – Zwei Leben Eric-Emmanuel Schmitt S. Fischer Erschienen am: 01.04.2010 Seiten: 511 ISBN: 978-3-596-18457-6

Inhalt:

„Was wäre geschehen, wenn die Kunstakademie Adolf Hitler aufgenommen hätte?“ 8. Oktober 1908: „Adolf Hitler ist durchgefallen.“ Ein einzelner Satz steht am Anfang der Katastrophe, die ein Jahrhundert erschüttert hat.

Was aber, wenn der Zwanzigjährige tatsächlich Maler geworden wäre? Ohne Scheuklappen wirft Eric-Emmanuel Schmitt die verstörende Frage nach den Bedingungen auf, die einen Menschen zu dem machen, was er ist. Parallel zu der Geschichte des Diktators Adolf Hitler erzählt er eine Lebensgeschichte im Konjunktiv: die Biographie des Kunstmalers Adolf H. (Klappentext)

Rezension:

Ein Gedankenspiel mit Tücken, was rein von der Thematik, rein von der Person, um die es sich dreht zur Stolperfalle für jeden Autor werden kann, hat Eric-Emmanuel Schmitt hier mit Bravour geleistet.

Parallel zueinander werden zwei Geschichten erzählt, die sich am Anfang gleichen und mit den Jahren immer mehr von einander entfernen. Die eine ist bekannt.

Hitler, der im Ersten Weltkrieg seine Initiation erfährt und die Welt in die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte stürzt, die andere genial: Hitler, der erfolgreiche und mit sich ins Reine kommende Kunstmaler. Tolerant, einsichtig und sympathisch.

Doch, darf man so über Hitler schreiben, dieses Gedankenspiel machen? Ist es zulässig?

Ganz klar, ja. Zumindest, wenn der Autor, wie Schmitt es in gewohnter Weise tut, bewusst die Fettnäpfchen-Themen sucht, sie gekonnt für sich nutzt und damit am Ende nicht Schiffbruch erleidet. Hätte hier durchaus anders ausgehen können.

Doch, Schmitt hat mit der parallelen Erzählung ein Schema gefunden, der Thematik gerecht zu werden ohne die Opfer des „echten“ Hitler gerecht zu werden und dennoch den fiktiven Menschen Adolf H. sympathisch erscheinen zu lassen.

Eine Meisterleistung, die nur ganz wenigen Autoren gelungen wäre. Tatsächlich hat mir diese Umsetzung besser gefallen als Timur Vermes‘ Szenario, welches auch erst heute im Hinblick des Erstarkens der AfD interessant geworden ist.

Eine prophetische Gabe, von der ich nicht wollte, dass sie sich im übertragenen Sinne bewahrheitet. Nun aber „Adolf H. – Zwei Leben“. Zwei Leben, die unterschiedlich gegensätzlicher nicht sein könnten. Kurze Abschnitte, Szenen, die sich direkt hinteinander abwechseln.

Am Anfang fällt es schwer, zwischen den einzelnen Protagonisten, ja, es ist ein und die selbe Person, dann wieder auch nicht, hin und her zu schalten. Gegen Mitte des Romans, wenn die Unterschiede größer werden, fällt es leichter. Der Lesefluss ist trotzdem ein langsamer.

Hoch konzentriert sollte man sich dieses Gedankenspiel zu Gemüte führen. Ein Schmankerl, der Kunstmaler H. trifft auf den jüdischen Psychotherapeuten Sigmund Freud und legt sich auf die Couch. Der Leser gleichsam mit ihm. Eric-Emmanuel Schmitt spielt mit dem Leser und es gelingt.

Der Schreibstil, der Ernsthaftigkeit der Thematik angemessen. Tatsächlich würde man vielleicht sogar gern ein Bild des friedlichen Kunstmalers in seiner Wohnung hängen lassen oder in einer Galerie bewundern. Der wahre Hitler indes ist nur zu verdammen.

Im Anhang dieser Ausgabe, nicht minder interessant, berichtet der Autor über den Entstehungsprozess des Werkes, welches in einer Reihe zu stellen ist, mit „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ oder „Das Kind von Noah“.

Man wünscht sich, so etwas im Anschluss von viel mehr Romanen zu lesen. Auch auf die Gefahr hin, dass dies viel interessante ist als die Geschichte an sich. Doch hier tut die Ergänzung sogar Not, ist wichtig, ergänzend.

Insgesamt also eine runde Sache, die sich zu lesen empfiehlt. Wenn auch sich der Roman etwas sperrig und nur langsam lesen lässt. Begibt man sich jedoch einmal auf diese Reise, entdeckt man etwas Großartiges.

Autor:

Eric-Emmanuel Schmitt wurde in Frankreich 1960 geboren und ist ein französisch-belgischer Schriftsteller, Dramatiker und Filmregisseur. Nach dem Abitur studierte er in Paris und promovierte in Philosophie, unterrichtete mehre Jahre lang in Cherbourg und an der Universität in Chambery.

Zunächst arbeitete er als Autor für Theaterstücke und wurde 1993 mit dem Theaterpreis Moliere ausgezeichnet. Seine darauf folgenden Theaterstücke wurden in über 35 Ländern aufgeführt und in mehreren Sprachen übersetzt. Einzelne Romane wurden verfilmt.

2009 führte er selbst bei „Oskar und die Dame in Rosa“ Regie. Schmitt lebt in Brüssel und besitzt neben der französischen auch die belgische Staatsbürgerschaft.

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Isabel Bogdan: Der Pfau

Der Pfau Book Cover
Der Pfau Isabel Bogdan Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 18.02.2016 Seiten: 248 ISBN: 978-3-462-04800-1

Inhalt:

„Einer der Pfauen war verrückt geworden.“ Dadurch bringt er das teambuilding-Wochenende einer Bankergruppe in den schottischen Highlands gehörig durcheinander. Eine subtile Komödie in bester britischer Manier. (Klappentext)

Rezension:

Mehr ist nicht im Klappentext zu lesen und ehrlich gesagt, mehr braucht es auch nicht. Tatsächlich besticht Isabel Bogdans Roman durch die Kargheit der schottischen Highlands, in denen es außer viel Grün und später Schnee nichts gibt.

Außer dem Landsitz eines Lords, das dieser aus finanziellen Gründen an Feriengästen vermietet und schließlich auch an einer Gruppe Londoner banker, die sich dort zum Team-Buildng einfindet. Wenig begeistert, die einen, da sie es für unnötig halten, die anderen, weil einer der Pfauen von Lord McIntosh verrückt geworden ist und alles Blaue angreift, was ihm vor den Schnabel kommt.

Als der Pfau dann auch noch das mettalic-blaue Auto der Chefin der Banker demoliert, lässt der Lord den Pfau verschwinden, nicht ahnend, dass er damit eine Kette von Ereignissen auslöst, die sämtliche Anwesende in die Bredouille bringt.

Isabel Bogdan hat mit „Der Pfau“ ihren ersten Roman geschrieben und eine Aneinanderreihung britischen Humors, der Seite für Seite den Leser zum Schmunzeln und Lachen bringt. Nicht zu viel, denn „die Lady ist eine Lady“, wobei sich diese Textstelle eher auf die Gläser Whisky beziehen, von dem es dort reichlich gibt ebenso wie andere schottische Spezialitäten.

Tatsächlich passiert an sich nicht viel, muss auch nicht. Das Verwirrspiel der Charaktere, deren unterschiedlichste Befindlichkeiten aufeinander treffen, ist Grund genug den „Pfau“ zu lesen und schon mal darüber nachzudenken, wie denn der wohl schmeckt. Und sich zu fragen, ob die Autorin nach Pfauengerichten gegooglet hat (hat sie, so auf der Lesung im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2016 erzählt).

Mir hat „Der Pfau“ sehr gefallen, nicht nur das wunderschöne Cover, vor allem, da es die Örtlichkeiten und den verrückt gewordenen Pfau tatsächlich gibt. Lord und Lady kann man googlen, die Widmung macht’s möglich, die Ferienhäuser werden tatsächlich vermietet und der Pfau greift blaue Autos an.

Die witzigsten Geschichten gibt es, zumindest in Teilen, wirklich. Das, komplett in indirekter Rede geschriebene, Buch liest sich flüssig und ist durchsetzt mit britischem Humor. Und wenn man nicht gerade Lust auf ein Pfauen-Gericht bekommt, dann zumindest auf einen Urlaub im Winter der schottischen Highlands.

Autorin:

Isabel Bogdan wurde 1968 in Köln geboren und studierte nach dem Abitur Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin (u.a. Jonathan Safran Foer, Sophie Kinshalla und Megan Abbott), liest und schreibt selbst, hauptsächlich in Blogform aber auch in der Kolumne „Was machen die da?“, die Menschen beschreibt, die ihren gewöhnlichen und manchmal außergewöhnlichen Beruf leben und lieben.

Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Rettung des „anderthalb“ und erhielt 2006 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung, 2011 den für Literatur.

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