Inhalt:
Leonardo da Vincis Stadt auf zwei Ebenen; ein Triumphmonument in Form eines Elefanten; ein Wolkenkratzer, der 1,6 Kilometer hoch ist und 528 Stockwerke hat; eine Glaskuppel, die den größten Teil Manhattans bedeckt; der Friedrichstraßen-Wolkenkratzer von Mies van der Rohe; El Lissitzkys Wolgenbügel:
… mit diesen und anderen nicht gebauten Projekten wurden anspruchsvolle neue Ideen erforscht, Konventionen hinterfragt und Wege in die Zukunft gewiesen. Einige von ihnen sind Meisterwerke, andere vergnügliche Fantasien. Gesellschaft, Politik und Ästhetik der Zeit spiegeln sich in diesen Visionen. Die Ideen erscheinen unglaublich kühn, doch sie verweisen auch auf Gebäude, die Jahrzehnte später entstanden sind. (Klappentext)
Rezension:
Nach den “Atlas der erfundenen Orte” und den “Atlas der Länder, die es nicht mehr gibt” ist kürzlich das dritte Werk erschienen, welches unbedingt in die Reihe der ungewöhnlichen, aber schönen Sachbücher gehört. Es handelt sich dabei um Philip Wilkinsons “Atlas der nie gebauten Bauwerke”.
Der Architekturkenner begibt sich auf eine Reise durch die Baugeschichte und zeigt, welche Ideen für ein besseres oder anderes Leben erdacht wurden, wie sie entstanden und woran sie scheiterten, aber auch, welche Strahlkraft sie heute noch besitzen.
Sein detaillierter Blick in die Geschichte zeigt, dass nicht immer nur das Rennen um das höchste, schönste oder nützlichste Gebäude die Baukunst bestimmte, sondern auch der Zweck, denen die Gebäude haben sollten.
Wilkinson beginnt mit den Klosterplan von St. Gallen, der ca. 820 n. Chr. für eine neue Arbeits- und Lebenswelt der dortigen Mönche sorgen sollte, streift durch die Geschichte Pläne Leonardo da Vincis, Walter Gropius’ bishin in die Neuzeit, in der ganze Städte auf den Reißbrett enstehen.
Der Autor schildert die Entstehung von Plänen, die als Gedankenspiel entstanden und letztlich an den verschiedenen problemstellungen von Geldmangel bis Geltungssucht scheitern sollten, er beschreibt damit auch das Arbeiten großer Konstrukteure und Architekten, die vielerseits mit anderen Bauwerken glänzen konnten, an einigen ihrer Projekte jedoch scheiterten.
Mit der Liebe zum Detail weißt der Autor aber auch auf die Zukunft hin, vom nicht umgesetzten 1,6 km hohen Wolkenkratzer bis zum derzeit höchsten Gebäude der Welt ist es gar nicht so weit gewesen und dass die Menschen irgendwann auch die damals noch unrealistischen Höhen erreichen werden, steht außer Frage.
Er verweißt auf Ideen, die später bei anderen Projekten, als die technischen Voraussetzungen gegeben waren, anders umgesetzt werden konnten und zeigt, dass Architektur immer auch eines war, der Spiegel ihrer Zeit.
Kurzweilige Umrisse auf je 4 Seiten erläutern, unterlegt von Skizzen aus den Händen der dort aufgeführten Konstrukteure und Architekten, was diese erdachten und erklären, vor welchen Problemen und Fragestellungen sie standen. Baugeschichte kann spannend sein, zumal wenn man bedenkt, was heute wäre, wenn man das eine oder andere Projekt tatsächlich so umgesetzt hätte.
Die Bolschewiken etwa hätten sich einen futuristischen Turm in ihre Hauptstadt gesetzt, der satirisch sehr leicht hätte umgedeutet werden können, hätten die Genossen sich darauf eingelassen.
Architektur ist eben immer auch mit den Gedankengängen der jeweiligen Zeit verbunden. Wilkinson zeigt zugleich, welche Ideen heute schon für unser Leben in der Zukunft zirkulieren und schafft dabei einen Überblick, der sehr beeindruckend ist.
Ein überaus lesenswertes Sachbuch zum schnellen Stöbern oder gezielten Durchlesen, auf jeden fall wird man danach die Gebäude um einen herum mit anderen Augen betrachten. Viel Spaß dabei.
Autor:
Philip Wilkinson wurde 1955 geboren und ist ein britischer Autor von Werken für Kinder und Erwachsene. Der in Cheltenham/England aufgewachsene Wilkinson arbeitete zunächst als Redakteur, u.a. für Dorling Kindersley, widmete sich bald den Themen Kunst, Architektur und veröffentlichte mehrere Sachbücher, auch über Religion und Glaubenssysteme, nachdem er u.a. am Corpus Christi College in Oxford studiert hatte.
Sein beständiges Interesse gilt aber besonderen Gebäuden. In seinem Blog “English Buildings” erläutert er die Geschichte historischer Gebäude Großbritanniens. Für seine Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet.