Rezension

Alex Michaelides: Die stumme Patientin

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Die stumme Patientin Alex Michaelides Rezensionsexemplar/Thriller Droemer Taschenbuch Seiten: 379 ISBN: 978-3-426-28214-4

Inhalt:

BlutĂŒberströmt hat man die Malerin Alicia Berenson neben ihrem geliebten Ehemann gefunden – dem sie fĂŒnf Mal in den Kopf geschossen hat.

Seit Jahren sitzt die Malerin nun in einer geschlossenen psychiatrichen Anstalt. Und schweigt. Kein Wort hat sie seit der Nacht des Mordes verloren, lediglich ein Bild gemalt. Fasziniert von ihrem Fall, setzt der forensische Psychiater Theo Faber alles daran, Alicia zum Sprechen zu bringen. Doch will der Psychiater wirklich nur herausfinden, was in jener Nacht geschehen ist? (Klappentext)

Rezension:

Krimis und Thriller zu rezensieren, fĂ€llt schwer. Wie leicht lĂ€sst sich hier spoilern oder verraten, dass es der Butler war oder der GĂ€rtner der Mörder ist, doch ich bleibe bei der Inhaltsangabe laut Klappentext. Das ist in diesem Falle mal unverfĂ€nglich und verrĂ€t nichts. Wer möchte, kann also getrost weiterlesen, gleichwohl ich es schwierig finde, eine vernĂŒnftige Rezension zu schreiben.

Der Inhalt ist dann auch schnell ersichtlich, gehen wir also gleich zum Aufbau dieses einzigartigen DebĂŒts ĂŒber. Gegliedert ist das Buch in kurzweilige Kapitel aus der Sicht des Hauptprotagonisten, anfangs sehr einseitigen, spĂ€ter wandlungsfĂ€higen Theo Fabers und TagebucheinschĂŒben eben jener stummen Patientin, Dreh- und Angelpunkt des Thrillers. Weitere Perspektiven gibt es nicht.

Alex Michaelides beschrĂ€nkt sich hier auf das Notwendige. Andere Protagonisten dĂŒrfen und können hier auch bemerkenswert blaß bleiben, was auf den Leser sehr wohltuend wirkt. In ruhiger ErzĂ€hlweise geht der Autor mit seinem Hauptprotagonisten, dieser ist anfangs nur wenig facettenreich, was sich im Verlauf der Handlung jedoch bessert, auf Spurensuche und lullt den Leser damit ein.

Das zu Beginn ruhig wirkende DebĂŒt lĂ€sst dabei keine Spuren vom melnacholischen Mehltau skandinavischer Krimis zu. Der Autor hat dennoch die Geduld aufgebracht, eine klare Linie mit nicht allzu kaputten Protagonisten zu verfolgen und den Handlungsverlauf StĂŒck fĂŒr StĂŒck im Spannungsbogen aufzubauen.

Am Anfang passiert nicht viel, trotzdem möchte man weiterlesen. Michaelides weiß, welche Stellschrauben er drehen muss, um seine Leser in den Bann zu ziehen. Ja, auch ruhige englische Krimis gibt es, die mit nur einem Mord auskommen. Blut fließt hier nicht gerade in Strömen. Vielmehr werden die psychologischen Komponenten ins Spiel gebracht.

Hier sieht man die Kenntnisse des Autors aus der Psychologie eingewoben. Eine Arbeit, deren Erfolge man etwa bei anderen Autoren, wie Sergej Lukianenko, in anderer Form beobachten kann. Gutes Autorenhandwerk ist eben nicht nur das Spiel mit der Sprache und das Lebendigwerdenlassen von Protagonisten, sondern eben auch das Einarbeiten von sonstigen Fachkenntnissen.

Auch merkt man die Erfahrungen des Drehbuchschreibens von Michaelides, der einen Film vor dem inneren Auge seiner Leser ablaufen lĂ€sst, der zu ĂŒberraschen vermag.

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die stĂ€ndig und nur Krimis oder Thriller lesen. Mich haben die, sparsam aber sehr gezielt wirkenden, Wendungen jedoch sehr ĂŒberrascht. TatsĂ€chlich habe ich fast bis zum Schluss nicht einmal ansatzweise geahnt, worauf die Handlung hinauslĂ€uft. Der große Knall kam unerwartet.

Das ist eine wunderbare QualitĂ€t und einer der vielen Punkte, die es wert macht, die Arbeit des Autoren zu verfolgen. Nicht nur DrehbĂŒcher kann Alex Michaelides nĂ€mlich schreiben, sondern auch in Buchform begeistern. Und das ist bei der Flut von Krimis sehr bezeichnend. Hoffen wir, dass „Die stumme Patientin“ nicht untergeht, sondern viel weiter oben auf dem Leserradar landet. Dieser Thriller hĂ€tte das verdient.

Autor:

Alex Michaelides wurde 1977 auf Zypern geboren. Er studierte zunĂ€chst in Cambridge und Los Angeles, schreibt DrehbĂŒcher fĂŒr’s Fernsehen und Kino. Er ließ sich zum Psychotherapeuten ausbilden und arbeitete zwei Jahre in einer psychiatrichen Klinik fĂŒr Jugendliche. Dies ist sein erster Roman, der zugleich in ĂŒber 39 LĂ€ndern erschienen ist. Michaelides lebt in London.

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Andrew Roberts: Feuersturm

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Feuersturm Andrew Roberts Rezensionsexemplar/Sachbuch C.H. Beck Hardcover Seiten: 896 ISBN: 978-3-406-70052-1

Inhalt:

Warum verloren die AchsenmĂ€chte den Zweiten Weltkrieg? TatsĂ€chlich durch strategische Fehler und aus ideologischer Verblendung oder wegen der Übermacht der Alliierten? Im Mittelpunkt der analyse stehen die MilitĂ€rgeschichte und die Operationen, Schlachten zu Land, zu Wasser und in der Luft, der Wettlauf in der RĂŒstung und Informationsbeschaffung.

Der Historiker Andrew Roberts begibt sich auf Spurensuche durch den Verlauf eines Krieges, der Millionen Menschen weltweit das Leben kostete, zu den Schlachtfeldern und wechselt zwischen den Ebenen, von den Politikern bis zu den GenerĂ€len und einfachen Soldaten und ihren unzĂ€hligen Opfern. ErzĂ€hlt wird eine Geschichte von Europa, ĂŒber Asien und Amerika. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Wer auf FlohmĂ€rkten nach BĂŒchern stöbert, stolpert des Öfteren ĂŒber ziemlich einseitige Literatur, die als solche kaum zu bezeichnen ist. Sogenannte Militaria, die aus einer zweifelhaften Sichtweise heraus geschrieben wurde und besonders das Geschehen um den Zweiten Weltkrieg sehr einseitig darstellt. GefĂŒhlt ist auf den meisten FlohmĂ€rkten jeder zweite BĂŒcherstand mit solcherlei Schriften bestĂŒckt.

Anders dagegen gut bestĂŒckte Bibliotheken oder BuchlĂ€den mit großen Sachbuch-Abteilungen, in denen inzwischen sehr viele Aspekte des Schlimmsten aller Kriege beleuchtet werden.

Heruntergebrochen auf Personengeschichte, Biografien oder den Geschehnissen in einzelnen LĂ€ndern oder zu bestimmten Jahren findet sich dort eine Vielfalt wieder, fĂŒr die man den Verlagen, Autoren und Historikern, aber auch natĂŒrlich unzĂ€hligen Zeitzeugen dankbar sein muss. Und nun liegt mit „Feuersturm – Eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ eine besonnene und ruhige Analyse des militĂ€rischen Geschehens innerhalb des Zweiten Weltkriegs vor.

Andrew Roberts hat sich mit seiner Recherche in unzĂ€hlige Archive begeben und die Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges besucht. Herausgekommen ist ein Portrait der Ereignisse von den Vorbereitungen fĂŒr die grĂ¶ĂŸte aller Katastrophen bis hinein zu den Moment, in dem das UnglĂŒck, welches die AchsenmĂ€chte, das Deutsche Reich, Japan und Italien, auf die Welt stĂŒrzen ließen, sich ĂŒber sie selbst umkehrte.

Haarscharf analysiert er die die Entscheidungen von Politikern und Offizieren, die Bewegungen der Heere, Marinen und LuftstreitkrÀfte aller Beteiligten und ihre Auswirkungen auf den Verlauf des Krieges, um herauszufinden, warum Hitler den Krieg verlor und die Alliierten siegten.

Herausgekommen ist eine umfassende Analyse, die bald zu den Standardwerken fĂŒr Geschichtsinteressierte und Historikern gehören dĂŒrfte, konzentriert auf den rein militĂ€rischen Aspekt. Das muss man mögen, so etwas zu lesen, anderenfalls wird man durch die AusfĂŒhrlichkeit der Beschreibung entsprechender Operationen aus den Konzept gebracht. Ausschweifende Kapitel nehmen sich jeweils einen Erdteil oder eine bestimmte Gegend vor, analysieren etwa das Vorgehen in Pearl Habor oder auch weniger bekannten SchauplĂ€tzen, etwa den Philippinen.

Viel Faktenwissen bekommt der Leser alleine durch die Veranschaulichung und GegenĂŒberstellung von Zahlen, etwa Truppen- oder WaffenstĂ€rken. Wer so tief nicht ins Detail gehen möchte oder das Durchhaltevermögen und die Konzentration ĂŒber weite Strecken nicht aufbringen kann, wird spĂ€testens hier raus sein. Alle anderen bekommen mehrere Aspekte vorgesetzt, warum der Zweite Weltkrieg eben so und nicht anders verlief.

Das alleine macht Andrew Roberts‘ Werk zu einer lesenswerten LektĂŒre. Grobe Schnitzer leistet sich der Autor und Historiker jedoch auch, darunter solche, die einfach unverzeihlich sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zitat

Nachdem die Beiden eine Zyankalikapsel an ihrer SchĂ€ferhĂŒndin Blondi getestet hatten – von der sie offensichtlich annahmen, dass sie in einem Deutschland nach dem Sturz des Nationalsozialismus auch nicht mehr leben wollte…

Andrew Roberts: Feuersturm – Eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs

Dies im Abschnitt ĂŒber den Selbstmord Adolf Hitlers und Eva Brauns. Jeder nur annĂ€hernd Geschichtsinteressierte muss ĂŒber eine solche Formulierung, von der ich hoffe, dass sie einfach der Übersetzung geschuldet ist, den Kopf schĂŒtteln. Hitler testete die Kapsel an seinem Hund, da er Himmler, von dem er diese bezogen hatte, zu diesem Zeitpunkt misstraute.

Nichts anderes ist richtig. Alleine fĂŒr solch eine Formulierung muss es AbzĂŒge geben und auch fĂŒr die zwei SchlusssĂ€tze nach einer an sich ganz guten und nachvollziehbaren Analyse.

Das geht so nicht und ist nach der Detailliertheit des gesamten Werkes weder angebracht, noch ausreichend. Manche Bemerkungen sind einfach zu flapsig. Und dies tut gerade solchen Ausarbeitungen nicht gut. Wer darĂŒber hinwegsehen kann, hat trotz allem mit „Feuersturm“ eine gute Analyse des Geschehens im Zweiten Weltkrieg vorliegen. Aufpassen sollte man dennoch.

Autor:

Andrew Roberts wurde 1963 in London geboren und ist ein britischer Historiker und Publizist. Er besuchte nach der Schule die UniversitÀt von Cambridge und graduierte in Moderne Geschichte. Von 1985-1988 arbeitete er als Investmentbanker und veröffentlichte 1991 sein erstes geschichtswissenschaftliches Werk.

Nach weiteren Veröffentlichungen setzte er sich 2001 mit der Schlacht von Waterloo und 2003 mit den unterschiedlichen FĂŒhrungsstilen Hitlers und Chruchills auseinander. Seine Biografie Napoleons wurde mehrfach ausgezeichnet. Als Kolumnist veröffentlicht er regelmĂ€ĂŸig in verschiedenen Zeitungen, ist BefĂŒhrworter des Thatcherismus‘ und AnhĂ€nger des Brexit. Roberts hat derzeit eine Professort am King’s College in London inne.

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Bernadette Conrad: Groß und stark werden

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Groß und stark werden Bernadette Conrad Rezensionsexemplar/Lebenshilfe btb Verlag Hardcover Seiten: 304 ISBN: 9778-3-442-75803-6

Inhalt:

Wagen wir als Eltern zu wenig? Was ist wichtig fĂŒr Kinder? Wo finden sie Orientierung angesichts einer immer komplexeren Welt?

Die Journalistin Bernadette Conrad geht mit der Starautorin Cornelia Funke ins GesprĂ€ch darĂŒber, wie wir unsere Kinder fördern können, „groß und stark“ zu werden. Ein thematisch vielfĂ€ltiger Austausch unter MĂŒttern – und ein Streifzug durch die ErzĂ€hlwelt von Cornelia Funke. (Klappentext)

Rezension:

GesprĂ€che, die in eine völlig andere, als die geplante, Richtung verlaufen, sind oft genug die interessanteren. Dies musste auch die Journalistin Bernadette Conrad erfahren, die die deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke eigentlich nur zu einem ihrer neuen BĂŒcher interviewen wollte. Daraus wurde nichts. Doch, es entwickelte sich etwas anderes daraus.

Eine Freundschaft, ein Vertrauen und ein GesprĂ€ch ĂŒber Kindheit und Jugend und, was uns zu dem macht, was wir sind. Cornelia Funke gab Antworten und ließ die Journalistin eintauchen in ihre Gedankenwelt. Ein Streifzug durch Kindheit frĂŒher und heute und durch phantastische Geschichten entstand und liegt nun im btb Verlag vor.

Bis auf „GespensterjĂ€ger“ und auch hier nur das Buch zum Film, habe ich keines der Werke von Cornelia Funke gelesen, geschweige denn die Verfilmungen oder anders geartete Adaptionen mir zu GemĂŒte gefĂŒhrt. Um so interessanter war es fĂŒr mich, dies in StreifzĂŒgen mit diesem Werk zu tun, welches sich nicht klar einordnen lĂ€sst. Ist es ein Interview, Lebenshilfe-Buch, Ratgeber, Weißheiten einer Autorin oder einfach nur ein facettenreicher Einblick in einen klugen Kopf?

Wohl ein wenig von allem, mag sich der Leser denken, wenn er in kurzweilige Kapitel eintaucht, die sich mit nachdenklichen GesprĂ€chsnotizen abwechseln. Dies ist ein großer Pluspunkt, zumal hier weder Bernadette Conrad noch Cornelia Funke, deren Gedanken sich immer an kreativen Ideen und ihren geschaffenen literarischen Welten orientieren, den Zeigefinger erheben.

Herrlich unaufgeregt geht das vor sich. Zugleich entdeckt der gemeine Fan, wie viel dann doch hinter den einzelnen Geschichten steckt, welche Botschaften die Bestsellerautorin vermittelt wissen möchte und welche Sorgen, aber auch positiven Gedanken Funke antreiben.

Manchen Einblick, hier beginne ich dann Abstriche zu machen, hĂ€tte ich mir ausfĂŒhrlicher gewĂŒnscht, manchen Spoiler ĂŒber Funkes Werke etwas weniger stark. NatĂŒrlich werden das Buch vor allem die Leser in die Hand nehmen, die Funkes Arbeiten kennen und schĂ€tzen, jedoch, wer noch ganz unbedarft herangeht, der sollte zuerst vielleicht einige ihrer BĂŒcher lesen und dann diese interessante Muischung aus Gedankenkonstrukt, GesprĂ€ch und Leitfaden. Dann funktioniert das auch.

Anderenfalls kann man auch den Herrn der Diebe folgen.

Autorinnen:

Bernadette Conrad wurde 1963 in Stuttgart geboren und ist eine deutsche Journalistin und Schriftstellerin. Nach der Schule studierte sie von 1983-1988 Germanistik und Romanistik in Bonn und Konstanz. 1991 machte sie ein Diplom als SozialpÀdigung und arbeitete in der Alkohol- und Drogenberatung.

Ab 1995 arbeitete sie als freiberufliche Journalistin fĂŒr den Rundfunk und verschiedenen Zeitungen. Von 2000-2003 arbeitete sie als Auslandsjournalistin in Italien, Zwischenstationen fĂŒhrten sie zudem in die USA. Seit 2016 lebt sie in Berlin. 2006 erschien ihr erstes Buch, seitdem veröffentlichte sie mehrfach und wurde vielfach ausgezeichnet. 2010 erhielt sie den Walliser Medienpreis.

Cornelia Funke wurde 1958 geboren und ist eine deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin. Nach der Schule absolvierte sie eine Ausbildung zur DiplompĂ€dagogin und arbeitete als Erzieherin. Parallel dazu studierte sie Buchillustration in Hamburg und kam durch Ihre Arbeit selbst zum Schreiben. Ihr internationaler Durchbruch kam 2002, als ihr Buch „Herr der Diebe“, welches zwei Jahre zuvor in Deutschland erschien, ins Englische ĂŒbersetzt, in Amerika erschien.

Es folgten erfolgreiche Reihen, wie die Tintenherz-BĂŒcher oder die Drachenreiter. Ein Großteil ihrer BĂŒcher wurde von ihr selbst illustriert und nach Erscheinen verfilmt. 1979 zog sie mit ihrer Familie nach Los Angeles, von wo aus sie soziale und ökologische Projekte unterstĂŒtzt. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in ĂŒber 37 Sprachen ĂŒbersetzt.

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Viveca Sten: Mörderisches Ufer

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Mörderisches Ufer Thomas-Andreasson-Reihe (8) Kriminalroman Kiepenheuer & Witsch Taschenbuch Seiten: 454 ISBN: 978-3-462-05190-2

Inhalt:

Jeden Sommer kommen Hunderte Kinder ins Segelcamp nach Lökholmen, der kleinen Insel gegenĂŒber von Sandhamn, und verbringen dort ihre Ferien. Doch nicht alle, die am Camp teilnehmen, können ihre Zeit dort genießen, denn einige Kinder werden gemobbt und leiden unter den Gemeinheiten der anderen. Als eines von inen plötzlich verschwindet, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit… (Klappentext)

Einordnung: Dies ist der achte Band der Thomas-Andreasson-Reihe.

Rezension:

Skandinavische Krimis kennzeichnen sich allzuoft durch Melancholie, die sich wie Mehltau durch die BĂŒcher zieht, schönen Landschaftsbeschreibungen, aber gescheiterten Existenzen, denen man die Ermittlerrolle nur mit großem Wohlwollen abnehmen kann.

Nur hin und wieder sticht ein Fall, eine Geschichte oder gar eine Reihe wohltuend heraus und setzt ein Zeichen gegenĂŒber dem Einerlei dieses sehr eigenen Genres. In diesem Sinne entfĂŒhrt Viveca Sten ihre Leser wieder einmal nach Lökholmen und Sandhamn, jener lĂ€ndlichen idylle Schwedens, die tief im Inneren ihre Schattenseiten verbirgt. Zumindest, wenn man der feder der Autorin folgt.

Ein Handlungsstrang verfolgt den Weg des kleinen elfjÀhrigen Benjamin, der gegen seinen Willen in ein Segelcamp auf der SchÀreninsel verfrachtet wird und dort schnell das Ziel von Àlteren Jugendlichen wird, die in ihm das ideale Mobbingopfer sehen.

Ein parallel gefĂŒhrter ErzĂ€hlstrang verfolgt ein, mit diesem Protagonisten lose verbundenen Gerichtsprozess, ein anderer dritter ist der verbindende Klebstoff zwischen den Zeilen.

Dies fĂŒhrt bei manchen Autoren dazu, dass sie sich verlieren und es nicht schaffen, eine vernĂŒnftige Lösung zur zusammenfĂŒhrung zu schreiben, doch mit Hilfe eines kontinuierlichen Spannungsaufbaus, der wellenförmig mal die eine Handlung hervorhebt, dann wieder andere Protagonisten fordert, schafft es die Autorin, was nur bei wenig Krimis so ĂŒberzeugend gelingt.

Dies, in einer vergleichsweise ruhigen und fast unbrutalen schreib- und ErzĂ€hlweise, die einem dennoch einen kalten Schauer ĂŒber den RĂŒcken laufen lĂ€sst. Nicht umsonst wurde diese Geschichte, wie auch schon mehrere andere der Reihe, bereits fĂŒr eine Miniserie verfilmt.

Man kann diesen Krimi ohne Kenntnis der VorgĂ€ngerbĂ€nde lesen, sei jedoch gewarnt, wenn man den Trigger KindesentfĂŒhrung vermeiden möchte. zwar gibt es gewalttĂ€tigere Geschichten in diesem Genre, jedoch selten so gut erzĂ€hlt. Die Perspektivwechsel folgen logisch in kurzweiligen Kapiteln, die jeweils einem Protagonisten folgen, ohne unter den bereits erwĂ€hnten Krimi-Mehltau zu ersticken.

Der Handlungsstrang um die Mobber wurde zu Gunsten der EntfĂŒhrung und den entsprechenden Folgen wahrscheinlich vom Lektorat zusammengekĂŒrzt, doch liegt es nicht in der Natur der sache, dass man im Alltag einzelne Aspekte verfolgt und andere aus den Augen verliert? In diesem Sinne ist es dennoch ein gut abgerundeter Kriminalroman, der es sich zu lesen lohnt.

Autorin:

Viveca Sten wurde 1959 in Stockhilm, Schweden, geboren und ist eine skandinavische Schriftstellerin und Juristin. Nach der Schule entschied sie sich fĂŒr ein Jura-Studium und arbeitete als Chefjuristin fĂŒr die schwedische und dĂ€nische Post.

Nachdem sie mehrfach Fachliteratur und entsprechende AufsĂ€tze publiziert hatte, veröffentlichte sie 2008 ihren ersten Kriminalroman, aus dem inzwischen eine mehrbĂ€ndige Reihe geworden ist. Die Reihe wurde als Miniserie fĂŒr’s Fernsehen verfilmt. Die Autorin verbringt mit ihrer Familie die Sommer weitestgehend in Sandhamn, Haupthandlungsort ihrer BĂŒcher und lebt mit ihrer Familie bei Stockholm.

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Dirk Liesemer: Aufstand der Matrosen

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Aufstand der Matrosen Rezensionsexemplar/Sachbuch mare Verlag Hardcover Seiten: 232 ISBN: 978-3-8664-8289-0

Inhalt:
Herbst 1918. Nach mehr als vier Jahren Krieg haben die Menschen es satt: das KĂ€mpfen, das Hungern, das Sterben.

Der militĂ€rische Zusammenbruch steht unmittelbar bevor – und vor der geplanten Entscheidungsschlacht gegen England regt sich Widerstand unter den Matrosen… Auf eindringliche Weise fĂŒhrt dieses Buch vor Augen, wie aus einem Matrosenaufstand eine landesweite Revolution wurde, die Deutschland fĂŒr immer verĂ€nderte. (Klappentext)

Rezension:
Vier Jahre nach Beginn der Urkatastrophe des 20. jahrhunderts war die Welt eine andere. Im Osten hatten bereits die Bolschewiken den Zaren und seine Familie vom Thron gefegt und damit die ĂŒber dreihundert Jahre wĂ€hrende Dynastie der Romanows fĂŒr immer beendet, im Westen versanken die Soldaten im Schlamm und Morast der SchĂŒtzengrĂ€ben.

Verwundete Kriegsheimkehrer und die immer schlechtere Versorgungslage im Land ließen die anfĂ€ngliche Kriegsbegeisterung in sich zusammenschrumpfen, von der 1918 kaum mehr etwas ĂŒbrig war. Der Krieg war verloren, die Bedingungen der Sieger wĂŒrden hart werden, und doch wollten die meisten Menschen ein Ende der KĂ€mpfe. So genĂŒgte ein kleiner Funke, der das Fass zum Überlaufen brachte und auch deutschland fĂŒr immer verĂ€nderte.

Dirk Liesemer hat sich aufgemacht und anhand zahlreicher Biografien die Ereignisse um den Matrosenaufstand in Kiel und dessen Folgen recherchiert. Minutiös konstruiert er mit Hilfe von Personengeschichten, wie einzelne Akteure plötzlich das politische Geschehen bestimmten, die alte Ordnung in Frage stellten und schließlich stĂŒrzten.

Dabei konzentriert sich der Autor und Journalist nicht nur auf spĂ€ter wichtig werdende Persönen, wie Scheidemann oder Karl Liebknecht, sondern vor allem auch auf die Matrosen, die sich nicht als letztes Kanonenfutter missbraucht sehen wollten. Eindringlich schildert er in kurzweiligen Kapiteln abschnittsweise die Ereignisse, die sich in immer schnellerer Folge verselbststĂ€ndigten, ĂŒber die einige Akteure schnell selbst die Kontrolle verloren und zum Dasein als Zuschauer verdammt waren.

Gegliedert ist das alles nach Daten und Orten, so dass der Leser schön mitverfolgen kann, wie sich ein örtlich begrenzter Aufstand ĂŒber das ganze Land verbreitete, wunderbar recherchiert anhand von TagebucheintrĂ€gen, Briefen und Zeitungsausschnitten.

Wir begegnen Personen wie den Manns, Rilke oder Ringelnatz, spĂ€ter wichtig werdenden Politikern wie Scheidemann oder Adenauer, und verfolgen die Ereignisse um die Abdankung des letzten Hohenzollern Wilhelm II., der die Welt einst ins UnglĂŒck gestĂŒrzt hatte.

Der Verlauf der Geschichte und die Folgen, auch die spĂ€teren, sind bekannt, weniger jedoch die einfacher Soldaten oder Matrosen, die fĂŒr wenige Tage eben diesen mitbestimmten. EindrĂŒcklich lĂ€sst der Autor die Stimmung der Zeit wieder aufleben und zeigt die Kette der Ereignisse in ihrer ganzen Unausweichlichkeit.

Ein kleiner Ausschnitt aus der Geschichte, differenziert und ausfĂŒhrlich dargestellt, liegt mit „Aufstand der Matrosen“ hier den Lesern vor und wird so fass- und nachvollziehbar. Dirk Liesemer macht den Wendepunkt ĂŒber Personen fest und zeigt, wie schnell diese VerĂ€nderungen Deutschland beeinflussten und wo vielleicht die Grundsteine fĂŒr spĂ€tere politische Folgen gelegt wurden.

Dies gelingt gut, wenn man sich auch an manchen Stellen etwas mehr Tiefe und ErlĂ€uterungen gewĂŒnscht hĂ€tte. Ansonsten ist dies eine gute ErgĂ€nzung zur bereits bestehenden Literatur.

Autor:
Dirk Liesemer wurde 1977 geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Nach der Schule studierte er Philosophie und Politologie in MĂŒnster und Rennes. Anschließend besuchte er die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. FĂŒr verschiedene Zeitungen arbeitete er als Redakteur in MĂŒnschen und Berlin, ist heute freiberuflich als Journalist tĂ€tig.

Er ist Mitglied des Berufsverbands freier Journalisten und Journalistinnen „Freischreiber e.V.“ und veröffentlichte bereits mehrere BĂŒcher (u.a. Das Lexikon der Phantominseln). Liesemer lebt in Leipzig.

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Alberto Angela: Ein Tag im Alten Rom

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Ein Tag im Alten Rom Autor: Alberto Angela Sachbuch Goldmann Verlag Taschenbuch Seiten: 413 ISBN: 978-3-442-15638-2

Die Welt der Antike hautnah erleben!

Was ist ein Obolus? Wie wickelt man eine Toga? Wie teuer ist ein Sklave? Und wie fĂŒhlt es sich an, den Löwen zum Fraß vorgeworfen zu werden? Alberto Angela lĂ€sst uns einen Tag lang am bunten Treiben im antiken Rom teilnehmen:

Wir werfen einen Blick in prĂ€chtige PatrizierhĂ€user, dampfende Kochtöpfe und venusgefĂ€llige Schlafzimmer, erleben blutige GladiatorenkĂ€mpfe im Kolosseum und nĂ€chtliche Festgelage am Ufer des Tibers. Mit allen Sinnen tauchen wir ein in die Alltagswelt und das LebensgefĂŒhl der Alten Römer. Das ist Geschichte, wie sie lebendiger nicht sein könnte! (Klappentext)

Rezension:

Tausende Touristen erkunden heutzutage das, was vom einstigen Mittelpunkt der antiken Welt und von einem der ersten Imperien der Geschichte ĂŒbrig geblieben ist. besonders in dessen ehemaligen Zentrum sind noch zahlreiche Überreste zu bestaunen, die einen kleinen Einblick ĂŒber die ehemaligen GrĂ¶ĂŸe des antiken Roms geben.

Doch, die Ruinen auf den Palatin, den Kaiserforen oder das Colloseum sind durch die Jahrhunderte stark in Mitleidenschaft gezogen worden, und so ist es schwer vorstellbar, wie es war, das Leben im Rom der Antike.

Der italienische PalĂ€ontologe Alberto Angela nimmt seine Leser wieder gekonnt mit auf eine einmalige Zeitreise und lĂ€sst uns einen Tag im Leben eines römischen BĂŒrgers nachvollziehen, der im Jahr 115 n. Chr., zur Zeit Trajans lebte. Von kurz vor Sonnenauf- bis nach Sonnenuntergang streifen wir durch die Gassen des Mittelpunktes der römischen Welt und erleben den Alltag aus vielen Blickwinkeln heraus.

Wir beobachten Sklaven, die eine Villa nach einem Festgelage am frĂŒhen Morgen sĂ€ubern und sehen den domus und der domina beim Ankleiden zu. Detailliert schilder der Autor, welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten der Alltag in damaliger und heutiger Zeit aufweisen und begibt sich mit uns in Tempeln, in die Gladiatorenarena oder den römischen Thermen.

Akribisch werden Fragen geklÀrt, kurzweilig anhand von tatsÀchlichen Funden, wie Inschriften und Mosaiken, konstruiert, was tatsÀchlich passiert sein könnte. Welche gesellschaftlichen Schichten gab es im Rom der Antike?

Vor welchen problemen sahen sich Stadtherren und Politik schon damals gestellt und warum waren ToilettengÀnge ein Gemeinschaftserlebnis? Was spielten oder lernten römische Kinder und was landete neben Flamingo und SiebenschlÀfer sonst noch in den Kochtöpfen?

Erstaunen wird man darĂŒber, was es frĂŒher schon gab und welche Lösungen die Römer fĂŒr Probleme aller Art hatten, aber auch, wenn man vergleicht, wie weit die Entwicklung, ob gesellschaftlicher oder technischer Natur seitdem vorangeschritten ist. Ohne Vorkenntnisse kann man Alberto Angela gut durch die kurzweiligen Kapitel folgen, der manchmal ausschweifend erzĂ€hlt, jedoch durchweg zu begeistern und interessieren vermag.

Es ist dabei kein wissenschaftliches Buch, sondern ein Werk, welches ein Thema der breiten Masse nĂ€her bringt, jedoch auf nachweisbaren Funden im Staube Roms beruht. Erlebbarer Geschichtsunterricht, der begeistert. Wer Rom aus seinen Besuchen heraus kennt, wird vieles erkennen. Wer noch nicht in der Ewigen Stadt gewesen ist, wird spĂ€testens jetzt den wunsch verspĂŒren, die antiken StĂ€tten besichtigen zu können.

Die Zeitreise ist in ĂŒbersichtliche Kapitel, anhand von Uhrzeiten, gegliedert. Ein Tagesablauf eben. Dazwischen immer wieder wieder EinschĂŒbe, die einen grundsĂ€tzlichen Überblick ĂŒber bestimmte Fragen geben und so erklĂ€ren, was z.B. ein Sesterz wert gewesen ist oder was die ersten „Wolkenkratzer“ Roms gewesen sind.

So verwoben bringt der Autor eine sehr komplexe Thematik verstĂ€ndlich nĂ€her, auch wenn es sich nur um einen ganz gewöhnlichen Tag im Antiken Rom und dessen BlĂŒtezeit handelt. Lebendiger geht Geschichte kaum.

Autor:

Alberto Angela wurde 1962 in Paris geboren, studierte nach dem Abitur in Frankreich und in Italien Naturwissenschaften, bevor er sich weiter auf PalÀontologie und PalÀoanthropogie spezialisierte. Er arbeitete an verschiedenen Orten der Welt an Ausgrabungen und Forschungen und veröffentlichte mehrere in Fachkreisen anerkannte AufsÀtze.

Als Wissenschaftsjournalist arbeitete er fĂŒr Fernsehsender und veröffentlichte mehrere SachbĂŒcher ĂŒber die menschliche Entwicklungsgeschichte und das Alte Rom. Er ist Mitglied des Instituts fĂŒr Menschliche PalĂ€ontologie in Rom.

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Gerd Hankel: Ruanda 1994 bis heute

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Ruanda – 1994 bis heute Gerd Hankel Taschenbuch Zu Klampen Verlag Seiten: 159 ISBN: 978-3-86674-590-2

Inhalt:

Vom April bis Juli 1994 wurden in Ruanda zigtausend Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ermordet. Das Land ist zum Synonym fĂŒr den Völkermord an den Tutsi geworden, aber auch fĂŒr dessen Aufarbeitung und vorbildliche VergangenheitsbewĂ€ltigung. Doch, unter der OberflĂ€che brodelt es wieder.

Die Zeichen, dass der Völkermord als politisches Instrument genutzt wird, dessen BewĂ€ltigung zur UnterdrĂŒckung kritischer Stimmen genutzt wird, mehren sich. Hinter dem Vorzeigestaat verbirgt sich ein totalitĂ€res Regime und dessen durchsetzung eines Geschichtsbildes, welches keinen Widerspruch duldet. Ein ernĂŒchterndes PortrĂ€t des Vorzeigestaats in Zentralafrika. (eigene Inhaltsangabe)

Rezension:

Insbesondere Autoren von SachbĂŒchern haben die Aufgabe, den leser mit einer Thematik vertraut zu machen, sie auf etwas zu stoßen oder wachzurĂŒtteln und genau dies tut Gerd Hankel mit seinem Standardwerk ĂŒber den Verarbeitungsprozess des Völkermordes in Ruanda. KĂŒrzlich erschien die vorliegende ErgĂ€nzung und Aktualisierung, die nicht minder aufrĂŒttelnd die Ereignisse in Zentralafrika analysiert und in ein neues Licht stellt.

Doch, zunĂ€chst, der Autor ist ein Kenner der Thematik, beschĂ€ftigt sich der Wissenschaftler schon lĂ€nger mti Völkermorden im Allgemeinen und der Geschichte Ruandas im Besonderen. Diese wird kurz, aber detailliert genug umrissen, um den noch nicht vertrauten Lesern einen Überblick zu geben.

Sehr faktenreich ist die BeschÀftigung mit den Sachverhalten, an die man konzentriert herangehen muss. Analysiert wird von Anfang an, zahlreiche Beispiele an Personen festgemacht. Zahlen und Statistiken bekommen ein Gesicht.

Das ist zuweilen anstrengend. Doch, die Auseinandersetzung funktioniert nur so, zumal sich Gerd Hankel hier gegen einem ganzen Trott politischer Ansichten und der allgemeinen Diplomatie stellt, die nicht einen Blick unter die OberflĂ€che wagen. Dies gilt fĂŒr Frankreich, ebenso wie Deutschland, Amerika oder Groß-Britannien.

Nur langsam werden erste Risse sichtbar. Diese sind auch kaum zu vermeiden, beschreibt Hankel doch, wie sich nach einem offensichtlichen Terrorregime ein anderes etabliert, welches verdeckt operiert und nur zugern sich als Garant der Aufarbeitung vergangenen Übels inszeniert, nicht ohne das eigene Fehlverhalten zu kaschieren.

Noch immer verschwinden Menschen spurlos, die auf Ungereimtheiten in den Prozessen zur Verarbeitung des Völkermordes aufmerksam machen oder gar in der Vergangenheit heutiger Regierungsmitglieder Ruandas kramen. Dem Leuchtturm Afrikas gehen langsam aber sicher die Lichter aus.

Hankel stellt, unterstĂŒtzt durch zahlreiche erdrĂŒckende Quellen und Begegnungen, schlĂŒsselt die Rolle von Staat und Wirtschaft fĂŒr die Verarbeitung auf, das Handeln einzelner Gruppen auf die NachbarlĂ€nder Ruandas und der damit verbunden Wechselwirkung wieder hin zu dem kleinen zentralafrikanischen Land.

Wer hat heute die DeutungsautoritĂ€t ĂŒber die Geschehnisse Mitte der 1990er jahre und wie viel Unrecht vertrĂ€gt der Fortschritt. Übersichtlich gegliedert und konzentriert, letzteres muss der Leser unbedingt sein, liest sich die Aktualisierung des 2016 erschienen Berichts etwas anstrengend, jedoch verliert man seine rosarote Brille, zieht gar den Vergleich zur Verarbeitung anderer Kriegsverbrechen Ă€hnlicher Coleur.

Man kann froh sein, dass es etwa bei der Behandlung der Trias Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, etwa in Deutschland anders zugegangen ist. Der Autor weist hier aber auch auf die Unterschiede zu den Geschehnissen in Ruanda hin.

Wer umfassend sich ĂŒber die Verarbeitung des Völkermordes in Ruanda informieren und dabei einen Blick unter die schöne glatte OberflĂ€che werden möchte, ist mit diesem Werk gut bedient, muss sich jedoch vollstĂ€ndig darauf konzentrieren. Kein Buch zum Nebenherlesen, welches es auch nicht sein soll. Gerd Hankels Verdienst ist es, einiges an unserem, vielleicht falschen Bild auf die Ereignisse in Ruanda zurechtzurĂŒcken. Alleine dafĂŒr schon, lohnt die LektĂŒre.

Autor:

Gerd Hankel wurde 957 in BĂŒderich bei Wesel geboren und ist Jurist und Sprachwissenschaftler. Er studierte zunĂ€chst in Mainz, Granada und Bremen, bevor er 1993 freier Mitarbeiter des Hamburger Instituts fĂŒr Sozialforschung wurde. Seit 1998 ist er zudem wissenschaftlicher Angestellter der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.

Seit 2002 untersucht er den Völkermord in Ruanda, insbesondere die Verarbeitung dessen durch die sogenannten Gacaca-Gerichte. Zudem veröffentlichte er u.a. ein Werk ĂŒber die strafrechtliche Verfolgung deutscher Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg.

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Sy Montgomery: Einfach Mensch sein

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Einfach Mensch sein Sy Montgomery Erschienen am: 20.03.2019 Diogenes Seiten: 207 ISBN: 978-3-257-07064-4 Übersetzerin: Heide Sommer

Inhalt:

Machen uns Tiere zu besseren Menschen? Vertrauen, Instinkt und GespĂŒr: Im Einssein mit der Natur finden wir unsere Lebendigkeit wieder. Im Beisein der Tiere wachsen wir manchmal ĂŒber uns selbst hinaus. Ein Weisheitsbuch fĂŒr unsere Zeit mit vielen Illustrationen und einem Nachwort von Donna Leon. (Klappentext)

Rezension:

In wie weit verĂ€ndern uns zufĂ€llige Begegnungen mit Tieren? Welchen Einfluss nehmen Haus- und Nutztiere auf unser Leben? Viel ist schon darĂŒber geschrieben worden. Ganze AufsĂ€tze gibt es etwa ĂŒber die Domestikation des Wolfes, woraus die verschiedenen Haushunde entstanden, die UnabhĂ€ngigkeit der Katze, die den Mensch als „Dosenöffner“ duldet oder etwa in der Landwirtschaft der Nutzen von Schweinen und KĂŒhen, der sich fĂŒr viele in die Anzahl von Litern Milch bzw. Kilogramm Schwein fassen lĂ€sst.

Doch, was machen Tier mit unserer Psyche? Welchen Einfluss nehmen sie auf unser Wohlbefinden und was können wir von ihnen lernen? Die Autorin und Naturforscherin Sy Montgomery nimmt uns mit, auf eine erstaunliche Reise.

Nach dem durchschlagenden Erfolg ihres Bestsellers „Rendezvouz mit einem Oktopus“ erweitert die Schriftstellerin das Spektrum und wirft einen Blick auf verschiedene Tierarten. zwar ist ein achtarmiges Exemplar auch wieder dabei, doch geht es diesmal auch um schrĂ€ge Vögel, einem Schwein und eigensinnigen Hunden. Montgomery schaut zurĂŒck auf diese Begegnungen und erklĂ€rt an der Wirkung auf sie selbst den Einfluss unserer tierischen Begleiter.

Kapitelweise widmet sie sich einer Bekanntschaft nmit einem Tier, nicht selten auch ein Wegbegleiter und zeigt nebenbei, wie man auch Lebensabschnitte in solche Portionen einteilen. Nach dem Haustier in der Kindheit etwa oder der schönsten Spinne Clarabelle.

Kurzweilig und melancholisch schildert sie ihr Leben mit und neben Tieren, zeigt, dass wir an ihnen wachsen, ebenso unserem eigenen Leben einen Sinn geben können. Ein jeder Haustierbesitzer kann das bestÀtigen. Fast literarisch mutet ihr Sachbuch an, schöne Umschreibungen, wie man sie selten in solchen Werken findet. Hier ist die Autorin unglaublich stark.

Genau da jedoch beginnt auch ihre große SchwĂ€che, die sich schon in „Rendezvouz mit einem Oktopus“ allzu deutlich gezeigt hat. NatĂŒrlich sind manche Begegnungen mit Tieren sehr emotional, können uns aus der Bahn werfen und ausbremsen, doch VerklĂ€rungen, wie es einer Naturkennerin wie Montgomery nicht passieren darf; gut, lassen wir mal haustiere außen vor, aber selbst dann; hier jedoch zu oft geschehen, sind fehl am Platz. Ein Tier ist schließlich immer noch ein Tier.

Das ist Kritik auf hohem Niveau, zumal sich die Autorin immer wieder fĂ€ngt und nochmals die Kurve bekommt. Dieses Werk, am ehesten ein literarisches Sachbuch, macht neugierig sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Wie wĂŒrde wohl ein Roman der Schriftstellerin Montgomery ĂŒber ihre Tierbegegnungen sich lesen oder ein reines Sachbuch der Wissenschaftlerin?

Der Perspektivwechsel wĂŒrde sich interessant machen. Bis dahin bleibt nur, entweder das Buch zu lesen oder das eigene Haustier (und andere Tiere) mit anderen Augen zu betrachten. Und vielleicht lernen wir dabei noch etwas anderes? Zum Beispiel, einfach Mensch zu sein.

Autorin:

Sy Montgomery wurde 1958 in Frankfurt/Main geboren und ist eine Naturforscherin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin. 1979 schloss sie ihr Studium an der Syracuse University in den FÀchern Journalismus, Französisch und Literatur ab, sowie in Psychologie. Ihr wurden zwei Ehrendoktortitel verlieren.

Ihre BĂŒcher, sowohl fĂŒr Kinder als auch fĂŒr Erwachsene, wurden fĂŒr verschiedene Preise nominiert, u,.a. den National Book Award im Bereich Sachbuch. Sie schreibt DrehbĂŒcher u.a. fĂŒr National Geographic TV und beteiligt sich an wissenschaftlichen Studien und Expeditionen im Bereich der Naturforschung.

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Marcus & Martinus Gunnarsen: Unsere Geschichte

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Unsere Geschichte Marcus/Martinus Gunnarsen (u.a.) Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag Erschienen am: 01.11.2018 Seiten: 208 ISBN: 978-3-86265-750-6

Inhalt:

Hei, wir sind Marcus und Martinus Gunnarsen. Wir kommen aus Trofors, Norwegen, und haben eine Mama, einen Papa und zwei Schwestern. Wir gehen zur Schule, spielen Fußball, hören gern Musik, hĂ€ngen mit Freunden ab und mĂŒssen iin der Woche um zehn im Bett sein. Wir sind zwei ganz gewöhnliche Jungs. Aber es gibt bei uns auch einige Dinge, die nicht ganz normal sind. Hier ist unsere bisherige Geschichte. (Klappentext)

Rezension:

In der Jugendecke finden sich in den Buchhandlungen immer öfter BĂŒcher von Youtubern und Möchtegern-Stars, denen ihre Zielgruppe nacheifert und jede Bewegung auf den verschiedenen Social Media KanĂ€len verfolgt. Gemeinsam steht und fĂ€llt man, feiert Erfolge und baut eine Karriere auf, die manchmal aus nur wenig mehr als gutem Aussehen und einem richtigen Riecher fĂŒr den Erfolg besteht, worin der auch immer liegen mag. Etwas anders gelagert ist die Geschichte dieses Buches.

NatĂŒrlich ist klar, dass hier die Hilfe eines Ghostwriters in Anspruch genommen wurde, deren Name man auch mit ein wenig Suche herausbekommt, doch erzĂ€hlt wird hier die Geschichte zweier Teenager, die als ZwillingsbrĂŒder einmal bei der skandinavischen Variante des Junior Eurovision Song Contests teilnahmen, den Mega Grand Prix jr., und diesen gewannen.

Dank UnterstĂŒtzung der Eltern, einer gewaltigen Portion GlĂŒck und den Kontakten zu den richtigen Leuten stĂŒrmten sie bald darauf die norwegischen Charts, erreichten Gold und Platin, fĂŒllten mehrmals das Oslo Spektrum (ausverkauft) und eroberten nicht nur ihre Heimat, sondern bald darauf den rest Skandinaviens. Derzeit werden LĂ€nder, wie Deutschland und Frankreich, ins Auge gefasst. Zu dieser Strategie passt wunderbar das Buch.

Wir begleiten die Jungs hier auf ihren Weg zur Musik und durch die Stationen ihres bisherigen Weges. Der ist reich bebildert, gefĂŒhlt relativ wenig Text, aber das macht nichts. Die Fans freut es sicher. Aus Sicht der Zwillinge, die einfach nur ihren traum verfolgen, dabei unbĂ€ndiges GlĂŒck haben, diesen auch verwirklichen zu können, staunen sie ĂŒber Meilensteine, reflektieren jedoch auch, wie sehr sich ihr Leben inzwischen von dem ihrer Altersgenossen unterscheidet und wem sie das alles zu verdanken haben. Vor- und Nachteile, nicht vergessen.

Und mehr kann man oder braucht man auch nicht darĂŒber zu sagen. FĂŒr Fans ist es ein Nice-to-have neben der Musik und den Konzertauftritten, von denen es inzwischen auch welche in Deutschland gab. Man macht’s einfach den Beispielen aus Amerika nach, ich werde hier Justin Bieber nicht erwĂ€hnen (ups), in manchen Teilen sogar noch besser. Bisher hat das funktioniert und so funktioniert auch dieses Buch. Wer nicht Fan ist, wird dieses ohnehin nicht lesen.

Verlinkungen:

Gewinnersong 2012 MGPjr „To draper vann“ (Zwei Wassertropfen)

Hei„, Song des allerersten Albums.

Girls„, erster englischsprachiger Song.

Auftritt bei der Nobelpreisverleihung, 2016

Autoren:

Mit Ghostwriter-Hilfe Marcus und Martinus Gunnarsen, die 2002 geboren wurden und zu den Youngstars der skandinavischen Musikszene gehören. Nach der Teilnahme am Mega Grand Prix Junior, den sie 2012 gewannen, schafften sie den Sprung zu Teenie-Stars, stĂŒrmten mehrfach die norwegischen, schwedischen und dĂ€nischen Charts. Ihre Platten rĂ€umten Gold und Silberstatus ab, bekamen Platin.

Sie wurden mit den Spellemann-Preis nominiert, den wichtigsten Preis der norwegischen Musikszene. Inzwischen gehören sie zu den etablierten KĂŒnstlern Norwegens, durften bei einer Verleihung des Friedensnobelpreises auftreten und planen als nĂ€chstes, in Europa Fuß zu fassen. In Norwegen erschien neben den Buch bereits ein Kinofilm, eine Miniserie. RegelmĂ€ĂŸig sind sie zudem GĂ€ste in skandinavischen Fernsehshows und auch als Synchronsprecher waren sie bereits unterwegs.

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Joseph Cassara: Das Haus der unfassbar Schönen

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Das Haus der unfassbar Schönen Joseph Cassara Kiepenheuer & Witsch Erschienen am: 11.04.2019 Seiten: 444 ISBN: 978-3-462-05169-8 Übersetzer: Stephan Kleiner

Inhalt:

New York, 1980: Die Stadt platzt fast vor Glamour und Energie und keine Subkultur könnte diesen Zeitraum besser verkörpern als die aufkommende LGBTQ-Ballroom-Szene. Neu in diese schillernde Welt kommt angel, eine gerade mal siebzehnjĂ€hrige Dragqueen, schwer traumatisiert von ihrer eigenen Vergangenheit und auf der Suche nach einer Familie fĂŒr Menschen ohne Familie.

Sie begegnet Hector, der davon trĂ€umt, ProfitĂ€nzer zu werden. Die Beiden verlieben sich und grĂŒnden das Haus Xtravagaanza, in dem sie ausschließlich Latino-Queens aufnehmen, um in sogenannten BĂ€llen gegen die anderen HĂ€user anzutreten. Zur Familie der Xtravaganzas gehören bald noch Venus, Juanito und Daniel; zusammen kĂ€mpfen die Xtravaganzas um Anerkennung und Respekt vor ihren LebensentwĂŒrfen – und nicht zuletzt ums blanke Überleben, denn ein grausames Virus macht die Runde. (Klappentext)

Rezension:

Ein Roman, wie ein Schrei. So in etwa kann man die Geschichte aus der Feder Joseph Cassaras beschreiben, die uns Kiepenheuer & Witsch hier in der deutschen Übersetzung vorlegt. In seinem DebĂŒt erzĂ€hlt der aus New Jersey stammende Schriftsteller vom Wandel der Gesellschaft, einem flirrenden Jahrzehnt, Rausch und Extremen und Extremsituationen, denen sich die Protagonisten ausgesetzt sehen.

In handlichen Kapiteln begleiten wir die Figuren, die alle ihre Lebensgeschichte als schweres Paket mit sich herumtragen, durch das schillernde New York, jedoch in seine Schattenseiten hinein. Angel ist die Hauptprotagonistin, die ob ihrer GeschlechtsidentitĂ€t aus den vorgegebenen engen Grenzen der Gesellschaft zunĂ€chst ausbricht, spĂ€ter anderen dabei hilft. In Zeiten von Diversity ein hochaktuelles Thema, welches noch vor wenigen Jahren weniger offen gehandhabt wurde, heute immer noch auf Barrieren stĂ¶ĂŸt.

Vertiefend steht am Anfang der EinfĂŒhrung zunĂ€chst die Lebensgeschichte, eingebunden in die Romanhandlung, der Figuren, die zusammen einen Weg suchen, ihre eigene IdentitĂ€t zu finden, zu wahren und zu verteidigen. Das ist anfangs etwas anstrengend zu lesen. Man muss sich in Schreib- und ErzĂ€hlstil, immer aus wechselnder Protagonisten-Sicht ĂŒbrigens, einfinden.

Die eingeflochtenen hispanischen Redewendungen und AusdrĂŒcke, der Slang des Buches macht das selbige nicht gerade zu einer einfachen LektĂŒre, zumal Joseph Cassara seine Protagonisten quĂ€lt und sie von der einen in die andere Extremsituation wirft. Es geht ums Leben, die Liebe, den Tod, Gesellschaft und Ausgrenzung, Selbstfindung, Drogen und SexualitĂ€t. Auch das damals aufkommende HIV-Virus ist ein immer wiederkehrendes Thema.

Ziemlich viel fĂŒr eine Geschichte. Es klappt, wenn es auch an einigen Stellen hakt. ÜbergĂ€nge zwischen einzelnen Handlungen hĂ€tte ich mir an mancher Stelle etwas sanfter gewĂŒnscht, rein vom Lesefluss her, BrĂŒche dramatischer und in bestimmten Zeitebenen, zum Beispiel RĂŒckblicke, wĂ€re ich gerne ein wenig lĂ€nger verharrt.

Wer sich ein wenig mit neuerer Zeitgeschichte, Subkulturen und LGBTQ auskennt, wird sich vielleicht leichter einfinden, andere werden neue Facetten entdecken und ein Jahrzehnt im Schnelldurchlauf durchleben, aus Sicht einer damals sehr weit ausgrenzten Gruppe von Menschen.

Josep Cassara hat mit diesem Roman gezeigt, dass er das Zeug dazu hat, in einer Reihe mit großen amerikanischen Schriftstellern, etwa Jonathan Safran Foer, genannt zu werden, die ein fortschrittliches und nachdenkliches, kritisches Amerika reprĂ€sentieren und den Finger auf die Wunden legen. DafĂŒr hat sich dieses Werk, wenn auch mit kleineren Abstrichen, gelohnt. Und da kann man auch mal das extrem ablenkende Cover ĂŒbersehen, welches ich jetzt jedoch als verlegerische Entscheidung werte.

Autor:

Joseph Cassara ist in New Jersey geboren und aufgewachsen. Er studierte zunĂ€chst an der Columbia University und schloss einen Schreibworkshop ab, bevor er selbst seinen ersten Roman „Das Haus der unfassbar Schönen“ veröffentlichte. FĂŒr diesen erhielt er bereits mehrere Preise. Parallel unterrichtet er selbst Kreatives Schreiben.

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