Robert Harris

Lesung: Robert Harris und “Der zweite Schlaf”

Es ist ja nachts durchaus etwas los in Berlin, gerade um diese Zeit. Neben den derzeit stattfindenden “Festival of Lights”, was an und für sich schon beeindruckend ist, fand gestern in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz eine Lesung der besonderen Art statt. Das Setting ist hier zu erwähnen, ein altehrwürdiges Gebäude, direkt an der Spree, direkt an der Allee “Unter den Linden”. An einem exklusiveren Ort für solch eine Veranstaltung war ich auch noch nicht. Und dann natürlich Robert Harris, der sein neuestes Werk vorstellte. “Der zweite Schlaf“.

Die Berliner Bertelsmann-Residenz, “Unter den Linden 1”.

Ich habe noch nicht viel von ihm gelesen, genauer gesagt nur “Vaterland”, aber auch andere Romane von ihm interessieren mich sehr. Dieses hier soll nun komplett aus den Rahmen fallen. Harris verarbeitet ja oft historische oder politisch-konfliktreiche Stoffe und vermischt sie mit fiktionalen Inhalten, hier hat er sich jedoch ausprobiert. Das vorliegende Szenario ist komplett erdacht.

Was wäre wenn unsere technologischen und zivilisatorischen Errungenschaften verschwinden würden und in Vergessenheit geraten, die Welt in eine Art Mittelalter zurückfallen und die Erforschung der Vergangenheit verboten wäre? Wie würden die Menschen dieser Zukunft mit Artefakten und Funden aus unserer Zeit umgehen? Welche Fragen würden sie sich stellen, wenn Fragen stellen ebenso verboten wäre? Klingt doch nach einem interessanten Szenario, oder?

Robert Harris, “Der zweite Schlaf”, Heyne Verlag, Seiten: 415, Hardcover.

Robert Harris machte auf mich den Eindruck eines Menschen mit einer sehr guten und differenzierten Beobachtungsgabe, Humor und vor allem Nähe. Überhaupt nicht abgehoben. er hat ein wenig erzählt über seine Schreibarbeit, speziell an diesem Buch und nach der Lesung blieb Zeit Fragen zu stellen, natürlich das Buch zu kaufen und signieren zu lassen. Ein Büffet mit diversen Häppchen und Getränken war auch aufgebaut.

Ich bin sicher, solch ein Autor hätte noch viel mehr Menschen interessiert, aber gerade für die, die es nicht so mit Menschenmassen haben, sind die Lesungen in der Bertelsmann-Repräsentanz eine gute Sache. Es gibt dort kein Gedränge, schon von der Raumaufteilung her und der Anzahl der Plätze. Das Einzige, was man tun muss, ist sich vorher online anzumelden, auf der Internetseite und bis auf das Buch, wenn man denn möchte, musste man auch nichts bezahlen. Nicht mal für Häppchen und Getränke.

Abwechselnd wurde mal Englisch, mal Deutsch gelesen. Gleich ein ganz anderer Sound.
Robert Harris spricht über die Arbeit an seinem Roman. Moderiert hat die Veranstaltung Dr. David Eisermann (l.), die deutschen Passagen hat der Schauspieler Denis Abrahams (r.) gelesen.

Gefallen hat mir, dass auch der Autor sich nach der Lesung zwischen die Besucher begeben hat, am Büffet war und zwischen den Tischen hin und her gegangen ist und sich unterhalten hat. Kein “Ich lese, signiere und dann verschwinde ich durch die Hintertür.” Einmal mehr habe ich mein schlechtes Englisch bedauert. Aber ich habe mich mit einer anderen Besucherin der Veranstaltung rege unterhalten und das ist auch so etwas, was ich an solchen Lesungen liebe. Man kommt ins Gespräch.

Robert Harris und ich.

Am Ende war ich dann noch bei den Brennpunkten des anfangs erwäghnten “Festival oft Lights“. Ich rege mich ja oft über das Chaos in Berlin auf, aber in solchen Momenten liebe ich diese Stadt. Fotos liefere ich nach, sobald gesichtet.

Der virtuelle Spendenhut

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann freue ich mich über eine virtuelle Spende. Vielen lieben Dank.

Lesung: Robert Harris und “Der zweite Schlaf” Read More »

Robert Harris: Vaterland

Vaterland Book Cover
Vaterland Robert Harris Heyne Erschienen am: 13.03.2017 Seiten: 383 ISBN: 978-3-453-42171-4 Übersetzer: Hanswilhelm Haefs

Inhalt:

Hitler hat den Krieg gewonnen. Großdeutschland, das vom Rhein bis zum Ural reicht, dominiert Europa. Ständige Partisanenkämpfe und der Kalte Krieg mit den USA zermürben das Reich.

In Berlin geschieht der brutale Mord an einem hohen Parteibonzen – und Kripo-Sturmbannführer März gerät im zuge seiner Ermittlungen gefährlich nah an die Wahrheit. (Klappentext)

Rezension:

Historische Schreckensszenarien vermögen zu faszinieren, besonders, wenn sich der Leser bewusst wird, wie leicht Ungeheuerlichkeiten hätten wahr werden können. Robert harris hat mit seinem ersten Roman ein solches Bild erschaffen und versetzt uns in die Zeit der 60er Jahre.

Auch hier stehen sich zwei Blöcke gegenübe. Auch hier gibt es einen US-Präsidenten, der Zeichen setzen möchte. Auch hier ist der Schauplatz die Stadt an der Spree. Alleine, die ausgangssituation ist eine andere als es die tatsächlich gewesenen Geschehnisse waren.

Das Dritte Reich hat den Krieg gewonnen und dominiert Europa bis hin zum Ural.

Riesige Autobahnen durchziehen das Land, Bahnen mit einer Spurbreite von 4 Metern bringen die Herrenmenschen in die entfernten Winkel des Reiches. Doch, an den Grenzen im Osten gärt es.

Immer wieder kommt es zu Anschlägen durch Partisanen, wogegen die Bevölkerung sich längst im gleichmachenden Alltag eingerichtet hat. Nur ab und zu scheren einzelne Personen aus der Masse aus. Diese jedoch, überleben in dem Staat der totalen Kontrolle nicht lange.

Eingebunden in einem, gleichsam nach Ian Kershaw klingenden Szenario, erlebt der Leser die geschichte aus der Sicht des nicht ganz so linientreuen Kripo-Sturmbannführers März, der zunächst in einem, wie es scheint, einfachen Mordfall ermittelt.

März, angezählt durch die Weigerung, der Partei beizutreten und allzu unbequem zu agieren, wird der Fall entzogen, als sich herausstellt, dass das Opfer ein einst hohes Parteimitglied der ersten Stunde gewesen ist, doch der Polizist ist neugierig. Warum sind gewisse Stellen so sehr daran interessiert, den Mordfall zu vertuschen?

Warum wird der einzige Zeuge wenig später ebenfalls ermordet? Warum gerade jetzt, kurz vor dem geburtstag des Führers und den Besuch des amerikanischen Präsidenten? Jede neue Frage wirft weitere Fragen auf. Und bald geht es nicht nur um die Beweggründe des Opfers oder seiner Täter. Bald ist auch März in allerhöchster Gefahr.

Problematisch sind historische Romane immer dann, wenn sie geschichtliche Wahrheiten so sehr mit Fiktion vermischen, dass man Lüge und Dichtung nicht mehr von einander unterscheiden kann.

Dies wird hier umgangen, denn natürlich und zum Glück ist der hier geschilderte Fall eines Sieges der Nazis über die Welt nicht eingetreten, zudem hat der autor über die Grundlage der fakten gut recherchiert. Wie hätte ien Leben im Führerstaat ausgesehen?

Wie Berlin nach einer Umgestaltung im Sinne Albert Speers? Welche realen Personen führten welche Korrespondenzen und wie hätte dies ausgesehn, im von Harris beschriebenen Falle?

Fragen, die dicht aufeinanderfolgend, ein gruseliges Szenario ergeben, welches einem beim genaueren Durchdenken kalt den Rücken herunter läuft. Der Spannungsbogen, langsam auf den ersten Seiten aufgebaut, hält und steigert sich zunehmend.

Der Leser kommt indes in der moralischen zwickmühle einen Nazi (auch wenn sich der Protagonist, wie oben erwähnt, nicht gerade als linientreu erweist) als sympathisch zu empfinden, doch auch hier sind die Hauptfiguren zumindest so wandlungsfähig, dass es gerade noch erträglich ist.

Die Nebenfiguren sind zwar teilweise brutal, bleiben aber ansonsten blaß.

Der Ausgang der Geschichte selbst ist zwar offen, jedoch durchdenk- und leider auch zum Schluss recht vorhersehbar. Trotzdem ist Harris ein sehr lesenswerter und lebendiger Roman gelungen, der gerade heute gelesen werden sollte.

In diesem Sinne kann man über kleinere Schwächen, und dies ist Meckern auf hohen Niveau, großzügig hinwegsehen. Dann bekommt man einen spannenden Historien-, Politthriller, Kriminalroman und, wenn man auch die Anmerkungen, die auf die tatsächlichen Geschehnisse hinweisen, beachtet, eine geschichtliche Lehrstunde in ihrer einprägsamsten Form.

Autor:

Robert Dennis Harris wurde 1957 in Nottingham, Engalnd, geboren und ist ein britischer Journalist, Sachbuchautor und Schriftsteller. Nach der Schule studierte er in Cambridge Englische Literatur und arbeitete zunächst als Reporter für die BBC und als politischer Redakteur für verschiedene Zeitungen.

Seinen ersten Roamn veröffentlichte er 1992 in seiner Heimat, in Deutschland fand sich ob der Thematik zunächst kein Verlag. erst 1996 wurde “Vaterland” ins Deutsche übersetzt. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt, und mehrfach ausgezeichnet.

Die Handlungen seiner Romane sind meist geprägt durch historische Szenarien, die leicht abgewandelt werden. Harris ist verwandt mit Nick Hornby, ebenfalls Schriftsteller, und lebt derzeit in Berkshire.

Robert Harris: Vaterland Read More »